Larry Brent Classic 069: Die Müllmonster - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 069: Die Müllmonster E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Giftfässer, deren Inhalt unbemerkt in das Erdreich sickert, werden illegal auf Müllkippen in der Nähe von Hanau abgelagert. Larry Brent, der bei einem Freund in der Nähe zu Besuch ist, macht eine unglaubliche Entdeckung. Kurz darauf verschwinden Tochter und Lebensgefährtin seines Freundes.

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Band 69

Dan Shocker

DIE MÜLLMONSTER

Erstveröffentlichung „Die Müllmonster“

17.09.1974 als Grusel-Krimi-Taschenbuch 14 (Zauberkreis-Verlag)

Februar 1975 im Rekord Verlag als Leihbuch (Drucklegung)

Februar 1975 im Rekord Verlag als Paperback (Drucklegung)

05.12.1978 als Silber Grusel-Krimi 220 (Zauberkreis-Verlag)

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: www.ralph-kretschmann.de

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-869-3

„Eines Tages wird noch etwas passieren. Das spür ich!“ Der Mann, der dies sagte, griff nach seiner speckigen Mütze und erhob sich.

Der kräftige Mann hinter dem Schreibtisch grinste. „Passieren?“ Er breitete theatralisch die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umfassen. „Was soll schon passieren, Göck? Bisher ging alles gut, also wird‘s auch weiterhin gut gehen. Keine Gedanken darüber machen, das ist alles.“

„Und eben das ist es.“ Göck verzog das Gesicht, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen. „Mir ist diese Lebensregel zu einfach, Herr Wolfhard.“

„Nanu? Mit einem Mal Gewissensbisse?“

„Irgendwann mussten die mal kommen. Man liest so viel darüber. Sie sind eben ganz scharf hinter denen her, die die Umwelt verpesten. Eines Tages kriegen die uns am Schlafittchen.“ Wolfhard erhob sich. Er war einen Kopf kleiner als der Fahrer. Der Unternehmer lachte leise. Die ulkigen Ausdrücke Göcks amüsierten ihn immer.

Das Büro, in dem die beiden Männer sich aufhielten, war, wie man so sagte, in Bestausstattung eingerichtet. Die Möbel alle in Eiche. Vor dem ausladenden Schreibtisch mit den drei Fernsprechapparaten lag ein handgeknüpfter Perserteppich aus Ghom-Seide, der einen Wert von rund dreißigtausend Mark darstellte. An den in dezenten Farben gehaltenen Wänden hingen Bilder. Originale bekannter Künstler. Sogar eine Originalgrafik von Dali besaß Wolfhard. Die kostete etwas mehr als fünfzehntausend. Das konnte er sich alles leisten. Seine Geschäfte florierten. Und man musste das Eisen schmieden solange es heiß war. Das Problem der Abfallbeseitigung war groß. Gerade die Industrie, die in ihren eigenen Abfällen zu ersticken drohte, war dankbar für jedes Angebot. Und das ließ sie sich etwas kosten.

Wolfhard ging zum Fenster. Draußen grünte es überall. Die Bäume an der Kinzig standen schon voll im Laub. Es war ein mildes Frühjahr. Der heutige Tag allerdings sah trübe aus. Der Himmel war verhangen, aber es war nicht kühl. Draußen regte sich kein Lüftchen.

Auf dem freien Platz vor dem zweistöckigen Gebäude, in dem er außer seinem Büro auch seine Wohnung hatte, standen mehrere Tankfahrzeuge. Sie waren flammend rot lackiert.

Das Gelände befand sich im Industriegebiet der Stadt. Insgesamt umfasste sein Wagenpark fünfzehn Großfahrzeuge. Gut die Hälfte davon war unterwegs. In drei Jahren hatte Wolfhard etwas geschaffen, wofür manch einer ein halbes Menschenleben brauchte. Man musste nur geschäftstüchtig sein und ein bisschen skrupellos.

„Wo kein Kläger ist, ist kein Richter, Göck“, meinte der Unternehmer, der gerade fünfunddreißig geworden war. „Und das mit der Verantwortung, das ist meine Sache! Darüber brauchen Sie sich keine grauen Haare wachsen zu lassen. So, ich glaube, das war‘s. Und nun fahren Sie! In den Deilan-Fabriken erwartet man Sie schon. Achthundert Fässer sind dort abzuholen. Die erste Fuhre schaffen Sie zur Eisenberg-Grube. Wir verteilen das Zeug ein bisschen.“ Der Fahrer verließ das Büro seines Chefs, und wenig später startete der LKW Richtung Frankfurt.

Karlheinz Wolfhard stand noch immer am Fenster und blickte dem Wagen nach, der vom Gelände aus auf die Straße einbog und fünfhundert Meter weiter an der nächsten Ampel stehen blieb, als sie auf Rot sprang. Wolfhard sah nachdenklich aus und kratzte sich am Nacken.

So ganz unrecht hatte Göck nicht. Aber es war nicht gut, wenn bedeutungslose Mitarbeiter anfingen, sich Gedanken zu machen. Göck war von Anfang an bei ihm. Dass sein Gewissen sich mit einem Mal meldete, war verwunderlich. Aber das konnte man unterdrücken. Mit einem Hunderter war Göck dann meistens zufrieden. Wolfhard dachte auch über das Problem nach, dass etwas passieren konnte. Das Leben war voller Risiken. Das fing schon mit der Geburt an. Wenn sich jemand in ein Auto setzte, riskierte er sein Leben, denn er wusste nicht, ob er von dieser Fahrt noch mal zurückkam. Keiner wusste etwas Genaues. Und etwas Genaues brauchte man auch über seine Geschäfte nicht zu wissen.

Wenn Wolfhard von großen Industriefirmen giftige Abfälle und Ölschlämme entgegennahm, dann verpflichtete er sich vertragsgemäß, diese Abfälle fachgerecht zu beseitigen und zu vernichten. Dazu gab es Verbrennungsanlagen. Überall im Land. Dorthin mussten diese Stoffe gebracht werden. Aber das kostete Geld. Und dieses Geld wollte er einsparen. Kein Hahn krähte danach, wenn er den Abfall wild deponierte. Niemand überprüfte das so genau. Damit hatte er seine Erfahrungen gemacht. Wolfhard nahm die Gelder für die Vernichtung entgegen und steckte sie ein. Davon konnte er wieder Bilder und Teppiche kaufen und ein neues Appartement an der Costa del Sol. Er zündete sich eine Zigarette an und starrte dem Rauch nach. Alles schien in bester Ordnung zu sein. Doch er irrte. Es sollte schlimmer kommen, als er es sich in seinen ärgsten Träumen hätte vorstellen können!

Ein zweiter Faktor kam hinzu. Durch einen Zufall. Und das sollte das Leben der Beteiligten von Grund auf verändern. In jener Nacht schaffte Fritz Göck hundertdreißig Fässer mit einem unbekannten, chemischen Abfallprodukt unerlaubterweise auf eine Müllkippe. Niemand beobachtete ihn dabei. Die Fässer mit dem Totenkopf kullerten rasselnd zwischen das Gerümpel und den anderen Unrat. Ratten huschten quiekend davon. Die Fässer waren verbeult. Manche wurden durch den Fall eingedrückt, einige schlugen leck. Eine dunkle, rostige Brühe tropfte heraus und versickerte im Gerümpel und im Erdreich. Fritz Göck merkte es nicht und achtete auch nicht darauf. Er war froh, als er alle Fässer loswurde und wieder abfahren konnte. Der entleerte LKW ratterte über den holprigen, schmalen Zufahrtsweg, der zur Müllkippe führte. Links und rechts war dichter Baumbestand, dann folgte die asphaltierte Straße. Hier vorn lagen die ersten Häuser. Einfamilienhäuser und Bungalows. Alles war dunkel. Göck passierte die Straße, dann eine Kreuzung. Er konnte sie überqueren, da kein anderes Auto seine Bahn kreuzte.

Wäre er nicht nach links abgebogen, sondern über die Kreuzung hinweg geradeaus gefahren, wäre er direkt an dem etwas zurückgelegenen Gelände der Firma Radex vorübergekommen. Von der Straße aus war der flache Gebäudekomplex der Forschungsstation nicht einsehbar. Dichter Mischwald behinderte den Blick. Nur ein weißes Schild mit schwarzer Schrift wies auf die Radex hin. Hier wurden nukleare und radioaktive Versuche durchgeführt. Nur eingeweihte wussten allerdings Genaueres von den Experimenten, die der Firma ihren Namen gaben.

Dies alles war noch ohne Bedeutung für Fritz Göck. Aber im Zusammenhang mit den Giftfässern sollte diese Tatsache eine schauerliche Bedeutung gewinnen.

Dr. Hermann Stetter war an diesem Morgen der Erste in seiner Abteilung. Das war bemerkenswert. Er kam sonst immer zuletzt. Als Chef der Abteilung K konnte er sich das erlauben. Seine beiden Mitarbeiter dagegen hatten schon um acht Uhr anzufangen. Stetter dagegen tauchte meistens erst gegen zehn auf. Heute verweilte er auch nur kurz in der Abteilung. Der wohltemperierte Raum erinnerte mehr an die Einrichtung eines Terrariums, als an ein Labor. Überall an den Wänden entlang standen rechteckige, große Behälter, in denen verschiedene Insektenarten unter extremen Umweltbedingungen lebten. Diese Umweltbedingungen hatten nichts mit Hitze und Kälte zu tun. In vielen tausend Versuchen waren die jetzt existierenden Stämme herangezüchtet worden, und zwar unter immer stärker werdendem, radioaktivem Beschuss. Stetter hatte sich auf Spinnen und Schnurfüßer spezialisiert, und er hatte bewiesen, dass diese beiden Arten besonders widerstandsfähig gegen radioaktive Stoffe und Strahlungen waren. Von Spinnen hatte man das schon eine ganze Zeit gewusst, bei Schnurfüßern war es eine neue Erkenntnis, die noch erhärtet werden musste. Dr. Stetter war Ende fünfzig. In seinem weißen Kittel wirkte er etwas gedrungen. Seine Haut war frisch und glatt, das ließ ihn jünger wirken. „Was machen unsere Lieblinge heute, Herr Berger?“

Berger war einer der Assistenten in der Abteilung. Stetter neigte ein wenig den Kopf, um einen Blick in den Glasbehälter zu werfen, an dem eine schmale rote Karte hing, worauf mehrere handschriftliche Vermerke standen. Nur ein Mitarbeiter dieser Abteilung konnte sie lesen, weil sie fast nur aus Abkürzungen bestanden. Länge, Stärke und Art der Bestrahlung waren genau angegeben, und lange Zahlenkolonnen bedeckten den Karton.

„Es geht ihnen gut“, antwortete Berger. Er war Anfang dreißig, hatte aber die Stimme eines Jungen. „Wenn ich mir so vorstelle, was die schon alles mitgemacht haben und immer noch leben, dann kann man direkt neidisch werden.“

Hermann Stetter nickte und ging drei Schritte weiter zu einem anderen Glaskasten. Der Wissenschaftler musste daran denken, dass Versuche dieser Art nicht nur allein in seiner Abteilung durchgeführt wurden. In anderen Labors wurden ähnliche Bestrahlungsexperimente unternommen. Doch dort konzentrierte man sich hauptsächlich auf Säugetiere und Kaltblüter wie Fische und Echsenarten. Die Sterblichkeitsquote war beachtlich. Hier klappte es nicht, und schon jetzt, nach acht Versuchsjahren, zeichnete sich ab, dass einige Tierarten in der Lage waren, radioaktiven Strahlungen Widerstand entgegenzusetzen und nicht eingingen, sondern im Gegenteil zu einer Weiterentwicklung in der Lage waren. Dieser Langzeit-Großversuch sollte Aufklärung über viele Fragen bringen. Die Forschungen in den einzelnen Räumen verliefen unter strengsten Sicherheitsbedingungen. Hermann Stetter führte seine Inspektion rasch, aber dennoch gründlich durch und warf einen Blick in die Arbeitsbücher, um sich zu vergewissern, dass auch alles lückenlos befolgt wurde. Es zeichneten sich – nach einer Halbzeit des Versuches – Ergebnisse ab, die Verwunderung, Erstaunen und auch Erschrecken auslösten.

Daran musste Stetter immer wieder denken, als er die neuesten Zahlen und Vermerke studierte, die nach der Bestrahlung in der letzten Nacht angefertigt worden waren. Die Spinnen und Schnurfüßer stellten eine Spezies dar, die es bisher nicht gegeben hatte. Sie lebten künstlich unter normalen Umweltbedingungen. Es waren nicht nur heimische Arten, sondern auch tropische. Zu Tausenden krabbelten die Schnurfüßer in ihren Terrarien. Die Glasbehälter waren ausgestattet mit Kompost, feuchtem Laub, Steinen und Erdschollen, unter denen die Brut sich besonders wohlzufühlen schien. In diesem Labor gab es nur noch veränderte Arten, die in der Natur nicht vorkamen. Schon Generationen vor den jetzt existierenden Spezies waren an härteste Strahlung gewöhnt worden. Tausende waren eingegangen, aber von Anfang an hatten sich auch Tausende gehalten. Das bedeutete, dass sich in der Natur eine ähnliche oder gar gleiche Entwicklung vollzog, wenn es mal ernst wurde. Alle Mitarbeiter waren zu größter Sauberkeit und Aufmerksamkeit angehalten. Keines der hier lebenden Tiere durfte nach draußen gelangen. Stetter war sich darüber im Klaren, dass es zu unkontrollierbaren Prozessen kam, über die man sich keine Vorstellungen machen konnte, da in der freien Natur die Vielzahl der Einflüsse und unbekannten Faktoren so gewaltig sei, dass man darüber erst ein eigenes Forschungsprogramm aufstellen müsse. Es klang ein bisschen scherzhaft, wenn Stetter oder seine Mitarbeiter sagten, dass sie gewissermaßen an den letzten Dingen arbeiteten. Es kam der Wahrheit sehr nahe, käme es zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu einem Atomkrieg, dann wäre eines mit Bestimmtheit klar: Die Spinnen und Schnurfüßer würden einen solchen Krieg auf alle Fälle überstehen. Sie konnten den extremsten Umweltbedingungen Herr werden. Dies stand fest. Würde ein zukünftiger Atomkrieg alle höheren Tierarten und die gesamte Menschheit ausrotten, dann würden Spinnen und Schnurfüßer bleiben. Eine riesige, tote Welt gehörte ganz einer niederen Lebensart. Sie konnten sich vermehren, und es würde keine natürlichen Feinde mehr geben. Stetter hatte manchmal über diese Dinge nachgedacht, und ein stilles Grauen beschlich ihn, wenn er die Bilder prophetisch vor sich sah. Eine sterbende Welt, beherrscht von Spinnen und Schnurfüßern, eine Welt, auf der es keine Menschen mehr gab!

Der Grund, weshalb der Wissenschaftler heute so früh im Labor eingetroffen war, lag darin, dass er später keine Zeit mehr hatte. Ab zehn Uhr würde er an einem Empfang zu Ehren japanischer Gäste teilnehmen, die in der letzten Nacht von Tokio auf dem Rhein-Main-Flughafen eingetroffen waren und heute im Laufe des Vormittags eine Besichtigung der Radex vorgesehen hatten. Alle Abteilungen standen ihnen uneingeschränkt offen. Die Mitarbeiter besonderer Forschungsgruppen hatten den Auftrag, die Fragen der Gäste freizügig zu beantworten.

„Wir sind schließlich keine Firma, die Fotoapparate herstellt“, sagte Stetter scherzhaft, als er aus seinem weißen Kittel schlüpfte. „Wir müssen nicht befürchten, dass sie zu viel erfahren und sich alles genau abgucken, was sie dann nachmachen. Wir müssen sogar hoffen, dass sie es tun. So unterschiedlich sind die Interessen in einem Land. Daran kann man mal sehen, wie schwer es die Politiker erst haben.“ Er kleidete sich in einen dunklen Anzug, nebst dezenter Krawatte.

Die Japaner kamen Punkt zehn. Es gab im Versammlungsraum der Forschungsstätte eine kurze Begrüßungsansprache. Die Gruppe aus Tokio bestand aus zwölf Männern und vier Frauen. Ausschließlich Angehörige eines Konzerns, der sich mit ähnlichen Untersuchungen und Experimenten befasste wie die Radex. Unter den Besuchern befanden sich drei ältere Ärzte und ein Wissenschaftler, die mit radioaktiv verseuchten Menschen aus dem letzten Krieg zu tun hatten. Noch immer forderten die beiden Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki ihre Opfer. Gerade das medizinische Problem, die Behandlung Strahlenkranker, die Nachkommen und die Rehabilitation wiederum warfen Fragen auf, die besonders die Deutschen interessierten.

Während des Rundgangs entwickelten sich erste Diskussionen und Gespräche, die völlig neue Aspekte ergaben. Nachdem die einzelnen Abteilungen inspiziert worden waren, suchte man das persönliche Gespräch, das zwanglos verlief, während ein kaltes Büfett bereitstand und Sekt gereicht wurde. Alle Mitarbeiter waren zusammen. Gemeinsam sah man sich schließlich einen informierenden Film an. Und um diese Zeit passierte es auch. Eine Büroangestellte, die nicht am Empfang teilnahm und die ungewohnte Pause nutzte, um eine Zigarette zu rauchen, beging einen Fehler. Sie war so sehr in eine Illustrierte vertieft, dass sie die Kippe in den Klimaschacht warf.

Die Katastrophe nahm ihren Lauf! Funken, kurz darauf loderten bereits die ersten Flammen aus dem Schacht, der auch durch Labor K führte. Normalerweise hätte man das Unglück sofort bemerkt, aber im Augenblick war dort niemand anwesend. Die Feuerzungen aus den Schlitzen fanden schnell Nahrung. Pläne und Skizzen verglühten unter der Hitze, die Schachtwand selbst strahlte eine enorme Hitze aus, der Verputz riss. Die Lampen und die Fenster zersprangen. Auch die Scheiben, hinter denen die Versuchstiere untergebracht waren. Im dichten Rauch fielen Spinnen und Schnurfüßer in großen Mengen nieder. Die etwa fünf Zentimeter langen, hart gepanzerten Würmer raschelten über den Boden. Einige von ihnen wurden durch den Druck, der in den überhitzten Behältern herrschte, explosionsartig herausgeschleudert. Sie landeten auf den brennenden Fensterbänken und flogen hinaus ins Freie! Dorthin krabbelten auch andere Insekten, die dem Flammenmeer entkamen und in dem dichten Rauchvorhang untertauchten, der den verlassenen Anbau einhüllte.

Der Supergau war eingetreten. Die Geburt des Grauens wurde eingeleitet.

Man entdeckte das Feuer zu spät. Alle Räume standen binnen Minuten in Flammen. Gewaltige Rauchwolken zogen Richtung Kahler See. Die Sirenen heulten auf. Dass man zu spät auf die Brandentwicklung aufmerksam geworden war, hing damit zusammen, dass der Filmraum sich auf der gegenüberliegenden Seite der Forschungsabteilung befand. Dort gab es kein Büropersonal. Die Feuerwehren aus Krotzenburg, Auheim und Hanau rückten an, zu einem Zeitpunkt, als der Komplex bereits lichterloh brannte. Stetter und seine Mitarbeiter sahen das Flammenmeer und konnten es nicht begreifen. Die Abteilung K wurde komplett vernichtet! Jegliche Rettungsversuche kamen zu spät.

Drei Stunden dauerten die Löscharbeiten. Die Männer mussten sich darauf beschränken, dass der Brand nicht auf die angrenzenden Abteilungen übergriff und dass der Funkenflug für den nahen Wald keine verheerenden Folgen hatte. Als Hermann Stetter bei Anbruch der Dunkelheit zum ersten Mal durch seinen zerstörten Arbeitsbereich schritt, an seiner Seite zwei Beamte der Hanauer Kripo, die den Schaden aufnahmen und die Ursache ermitteln sollten, glaubte er zu träumen. Geräte im Wert von mehreren hunderttausend Mark waren ausgeglüht, die Behälter zerplatzt. Stetter fand Reste verkohlter Spinnen und Schnurfüßer. Die Leichen lagen verklumpt in den Ecken. Der Gesamtschaden war enorm. Verloren die jahrelangen Auswertungen.

Dr. Hermann Stetter stand am verkohlten Fenster und starrte hinaus in den beginnenden Abend. Auf dem Gelände wimmelte es noch von Menschen, Angehörigen und Neugierigen, darunter auch viele Amerikaner, die von den nahegelegenen Kasernen gekommen waren. Stetter stand da wie in Trance. Er fühlte sich alt und verbraucht und kam sich mit einem Mal so nutzlos vor. Diese Feuersbrunst hatten die Laborinsekten offenbar nicht überstanden. Irrtum …

Peter Torells Haus war eines der schönsten des Neubaugebietes. Der Flachdachbungalow stand etwas abseits von der Straße. Es war ein Privatweg, der bis an den Rand eines Waldes führte. Ein flacher Jägerzaun grenzte das Grundstück ein. Es war ein gepflegtes Anwesen. In der linken hinteren Ecke gab es einen naturgewachsenen Heckenzaun, vor dem ein moderner Grill stand. Eine Pergola war bis hier herübergezogen, sodass ein Teil der Gäste darunter sitzen konnte, während die andere Hälfte vollkommen im Freien saß. Torell hatte viele Freunde, er gab oft Partys. An diesem Maiabend war die Luft mild und würzig, und der Himmel spannte sich wolkenlos über das Rhein-Main-Gebiet. Kein Lüftchen regte sich. Torell hatte wieder mal Gäste geladen. Draußen im Garten stand ein langer Tisch, Picknick-Geschirr darauf. Im gemauerten Ofen glomm die Grillkohle. Torell lebte allein mit seiner siebenjährigen Tochter Katrin. Seine Frau war vor drei Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Seitdem kümmerte er sich um Haushalt und Kind. Dass es jedoch so nicht bleiben konnte, war ihm klar. In diesem Jahr sollte das Mädchen in die Schule kommen, dann musste alles noch geregelter vor sich gehen. Torell war nicht durch eine bestimmte Arbeitszeit gebunden. Als freier Werbefotograf, der für zahlreiche bundesdeutsche Firmen arbeitete, konnte er sich seine Arbeit einteilen, wie er wollte.