Larry Brent Classic 075: Das Totenschiff - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 075: Das Totenschiff E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Die PSA erhält Hinweise auf den grausamen Geisterpiraten Mordio. Larry Brent folgt der Spur und gerät in einen Strudel bizarrer Ereignisse …

Das E-Book Larry Brent Classic 075: Das Totenschiff wird angeboten von BLITZ-Verlag und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Larry Brent, Dan Shocker, PSA, Grusel, Romanheft, Jürgen Grasmück, Horror, Mystery

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Seitenzahl: 147

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Band 75

Dan Shocker

DAS TOTENSCHIFF

Erscheinungstermine von „Das Totenschiff“

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: www.ralph-kretschmann.de

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Druck: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-875-4

Der Junge war etwa zehn Jahre alt. Er hockte am felsigen Strand und hielt einen schwarzen Kasten in der Hand, an dem er einen Hebel betätigte und verzückt auf ein Spielzeug-Unterseeboot blickte, das einige Meter vom Festland entfernt seine Kreise zog. Das U-Boot war ein Meter lang und drehte langsam nach links ab.

Der Junge erhob sich und spähte über die zerklüfteten, aus dem Wasser ragenden Felsen. Hinter dem spitzen, scharfkantigen Gestein gab es einen Strudel, in den das Boot gezogen wurde. Hier sammelte sich das Wasser aus verschiedenen Richtungen und sprudelte zwischen den Felsspalten und darüber hinweg. Es war deshalb besonders schwer, dem U-Boot Stabilität zu verleihen.

Paco, der kleine Spanier, übte seine Geschicklichkeit und beherrschte die Fernlenkung immer besser. Er gab den Befehl zum Sinken. Die Kammern des Spielzeug-Bootes füllten sich mit Wasser. Die Wellen schlugen zwischen den kahlen Felsen zusammen und schäumten gegen die Außenhaut des U-Bootes, von dem nur noch der Turm hervorragte. Auch der verschwand schließlich. Drei, vier Minuten lang hielt der Tauchvorgang an, dann trieben die kleinen Elektropumpen das Wasser wieder aus den Kammern. Das U-Boot hätte auftauchen müssen, aber es kam nicht in die Höhe.

Paco wurde nicht gleich unruhig. Er spähte angespannt zu der Stelle hinüber und beobachtete im Wasser einen Schatten. Na also, es klappte doch! Zwischen den Felsen war Platz genug, das hatte er schon erkundet. Da konnte das Boot tauchen, ohne irgendwo in der Tiefe hängen zu bleiben. Der Schatten stieg nach oben. Paco freute sich schon, aber dann gefror sein Lächeln.

Das war nicht sein U-Boot! Was da in die Höhe gespült wurde, war viel größer! Es war länglich wie das U-Boot, aber doppelt so groß und viel breiter. Ein verrotteter Baumstamm?

Der Junge schaltete noch einige Male an seinen Hebeln, ohne jedoch Erfolg zu haben. Da verließ er das Festland und turnte über die glatten, glitschigen Felsen, die unregelmäßig geformt aus dem Wasser ragten. Paco, der allein in der felsigen Bucht spielte, hatte sich vom Ufer eine lange Stange mitgenommen. Es war der Stiel einer Hacke, den er seinerzeit mal aus dem Garten geholt hatte, als er anfing, fernlenkbare Schiffsmodelle zu bauen. Gerade damals war es mehrfach passiert, dass diese Schiffe zwischen den Felsen festklemmten und er sie mit der Stange herausziehen musste. Paco war da erfinderisch genug. Das Wasser benetzte seine leichten Sandalen und spülte gegen die nackten Beine. Die Sonne stand schon ziemlich tief. In einer Stunde würde es dunkel sein. Bis dahin musste er das U-Boot geborgen haben. Vor allen Dingen wollte er wissen, was für ein Gegenstand das war, der dort herumschwamm.

Paco starrte auf den länglichen, auf dem Wasser schaukelnden Gegenstand. Er war überwachsen von einer schmierigen grünen Schicht, die aussah wie ein Schimmelpilz. Das Geflecht war dicht und sehr weich, wie er sofort merkte, als er das Objekt vorsichtig mit der Stange anstieß. Paco tippte es oben am runden Ende an. Das dünne Gespinst schob sich unter der Druckstelle weg. Darunter hervor schimmerte aufgedunsene Haut und ein weit aufgerissenes Auge! Paco schrie vor Schreck.

Vor ihm schwammdie Leiche eines Menschen.

Es hielt ihn nichts mehr. Er ließ die Stange fallen und wirbelte herum.

In der Eile stolperte er, rutschte von dem Felsen und fiel ins Wasser. Er raffte sich wieder auf, kletterte durchnässt auf den nächsten aus dem Meer ragenden Stein und eilte an Land zurück.

Es war erst Ende Mai. Der Wind hier an der Costa Brava war noch relativ kalt, und Paco spürte ihn nunumso stärker. Der Junge warf nicht einen einzigen Blick zurück zu der Stelle, wo die wie in einem grünen Kokon eingesponnene Leiche schwamm. Er kümmerte sich nicht mal um seine Fernsteuerung, die er beim Sturz ins Wasser verloren hatte.

„Hilfe!“, rief er und rannte, als säße ihm der Teufel im Nacken. „Da ist ein Toter im Wasser … Onkel Juan … schnell, komm schnell! Das musst du dir ansehen!“

Zwischen den Klippen hallte seine Stimme weit. Aber es war unmöglich, dass Onkel Juan, dessen Haus in den zerklüfteten Bergen lag, sein Schreien hörte. Erstens war er schwerhörig, zweitens schon alt, und außerdem hielt er sich nicht in der Nähe auf. Das einsame Haus, das nur über einen steilen Trampelpfad zu erreichen war, lag auf der anderen Seite der Straße, die Paco erst überqueren musste. Die Straße führte in scharfen Kurven an der felsigen Küste der Costa Brava entlang. Es herrschte um diese Jahreszeit kaum noch Verkehr. Da kam nur gelegentlich ein Fahrzeug vorbei. Im Sommer, wenn die Spanien-Touristen hier Urlaub machten, war viel mehr los. Trotz der neuen Autobahn, die quer durchs Land und bis in den Süden führte, gab’s noch viele Autofahrer, die Zeit hatten und sich die zerklüfteten Felsenküste der Costa Brava nicht entgehen ließen.

Paco Servarides kletterte über Stock und Stein. Auf der anderen Straßenseite gab’s eine Einbuchtung. Dieser Platz wurde oft von autofahrenden Touristen als Parkplatz benutzt. Auch jetzt stand ein Wagen da, ein blauer VW mit deutschem Kennzeichen.

In unmittelbarer Nähe des Wagens hatten die beiden Reisenden ein kleines Lagerfeuer angezündet. Auf einem schnell mit Steinen errichteten Ofen stand eine Pfanne, in der einige Würstchen schmorten. Der Duft stieg dem Jungen in die Nase, der schreiend und in aller Hast an den beiden Männern aus Deutschland vorbeirannte. Dabei rief Paco immer wieder dasselbe.

Einer der beiden hob erstaunt den Kopf.

„Da stimmt was nicht, Horst“, meinte Wilfried Emmerich.

„Wieso nicht?“, wunderte sich der andere. Er war einen Kopf kleiner, wirkte etwas gedrungener und hatte aschblondes, lockiges Haar. „Hat er ‘ne Abfuhr gekriegt und zetert jetzt über seine alten Herrschaften?“

Der mit dem ovalen Gesicht und dem schmalen Lippenbart schüttelte den Kopf. „Er scheint etwas entdeckt zu haben.“ Emmerich, der schon einige Male in Spanien war und die Sprache der Einheimischen leidlich beherrschte, wirkte sehr ernst. „He?“, rief er dem Jungen nach, der wie der Blitz an ihnen vorbei eilte und auf einen Felsen zurannte, neben dem ein steiniger Pfad aufwärts führte. „Was ist denn los? Warum hast du’s so eilig? Können wir dir vielleicht irgendwie helfen, Amigo?“, fragte er auf Spanisch.

„Un muerto … un muerto!“, brüllte der Junge.

„Ein Toter?“

„Unten am Strand.“ Da war Paco auch schon außer Sichtweite. Auf dem schmalen Pfad gerieten einige Steine ins Rollen und kullerten gegen die Felswände, dass es sich anhörte, als würden von Kindern Murmeln dagegen geworfen.

Wilfried Emmerich erhob sich. Er hatte einige Schwierigkeiten damit. Er war erst kürzlich wegen einer Wirbelsäulenverletzung im Krankenhaus und noch nicht wieder voll beweglich. „Wir sollten mal nachsehen“, sagte er zu seinem Begleiter.

„Vielleicht hat er sich einen Scherz erlaubt. Er beobachtet uns heimlich und grinst sich eins.“

„Glaub’ ich nicht. Das Bürschchen, Horst, war ziemlich aus dem Häuschen. Vielleicht hat er wirklich was entdeckt.“

Die jungen Männer verließen den Parkplatz. Emmerich nahm vom Rücksitz des Autos noch ein Fernglas, hängte es sich um und warf einen Blick zum felsigen Ufer hinunter. Er spähte in die kleine Bucht, aus der Paco Servarides kam, stellte das Glas scharf ein und sah einen Teil des auf dem Wasser schaukelnden Körpers zwischen den kahlen Felsen.

„Der Junge hat recht, Horst!“, sagte Wilfried Emmerich nur und überquerte mit seinem Freund die Straße. Sie eilten den steilen Weg hinunter und liefen dann über die aus dem Wasser ragenden Felsen.

Horst Lehnert kam zuerst an, Wilfried Emmerich unmittelbar danach.

„Verdammt“, sagte er rau, „das gibt’s doch nicht!“

Er betrachtete den Körper, der von einem grau-grünen Schimmelkokon eingesponnen war. Aus dem Gespinst leuchteten die aufgedunsene, bläulich angelaufene Haut und das weit aufgerissene Auge. In dem starren Blick des einsamen Auges war etwas, das die beiden Deutschen erschauern ließ.

„Unheimlich“, stieß Emmerich hervor. „Man meint gerade, er würde einen richtig ansehen.“

Lehnert schluckte und fasste sich. „Für ihn gibt’s nicht mehr viel zu sehen. Der ist mausetot.“

Er redete von dem Toten, als handele es sich um einen Mann.

Auf dem Wasser schwamm der Stiel, den Paco bei seiner überstürzten Flucht verloren hatte. Wilfried Emmerich griff danach und versuchte damit, die Leiche näher an die Felsen zu ziehen.

„Sieht irgendwie komisch aus“, stellte er fest und ging in die Hocke. „Scheint von Seetang oder ähnlichem überwachsen zu sein. Der muss schon lange im Wasser liegen.“

Er warf einen Blick zurück, spähte zur Straße und hoffte, dass der Junge bald einen Familienangehörigen alarmiert hatte. Die beiden Deutschen waren sich unschlüssig, was sie machen sollten. Wäre jemand in Gefahr gewesen zu ertrinken, hätten sie wenigstens etwas unternehmen können. Doch so war ihre Anwesenheit nichts weiter als eine Totenwache.

Und die, war nicht sehr aufmerksam! Ihnen beiden nämlich entging, dass die seltsame schimmelartige Schmiere auf dem Körper sich kaum merklich bewegte. Von der rechten Schulter der Wasserleiche, die den kahlen Felsen damit berührte, lösten sich winzige Moleküle. Sie wurden von dem scharfkantigen Stein abgeschabt und blieben dort kleben. Auch an der Stange, mit der die beiden Reisenden die Leiche festhielten, blieben winzige Teile haften … und … bewegten sich langsam kriechend in die Höhe, wie winzige, selbständige Tiere. Das Gespinst, in das die Leiche kokonartig eingesponnen war, bestand aus hauchdünnen Fäden, dünner als ein Haar, aber beweglich wie ein Wurm. Die Fäden waren ineinander verflochten, klebten an den Stiefelspitzen und Sohlen der beiden Männer und wanderten dort entlang. Doch Leder und Stoff waren uninteressant für das rätselhafte Gespinst. Die Fäden wurden angezogen von der Wärme des Blutes, das in diesen Körpern pulsierte. Lautlos und völlig unbemerkt glitten sie über den Rand von Horst Lehnerts Schuh, und kamen direkt auf die Haut. Da waren sie zu spüren! Der junge Mann zuckte plötzlich zusammen und klatschte seine flache Hand auf die Stelle, wo er den brennenden Schmerz verspürte.

„Ist was?“, fragte Emmerich schnell, dem die heftige Reaktion des Begleiters nicht entging.

Lehnert krempelte blitzschnell sein rechtes Hosenbein hoch. Er schrie erneut. „Verdammt, Wilfried! Was ist denn das? Dieser komische Pilz, er wächst auf meiner Haut!“

Lehnert versuchte, die Schicht, die sich wie ein oberflächliches Geschwür blitzschnell verbreitete, wegzuschieben. Es ging aber nicht. Das Gespinst wucherte in unglaublicher Geschwindigkeit weiter, rankte sich wie das Wurzelwerk eines Gewächses um Lehnerts Bein und kroch an Knie und Schenkel hoch. Das Zeug klebte auch an seinen Fingern, mit denen er das Gespinst berührt hatte. Horst Lehnert schrie und schlug um sich.

„So hilf mir doch! Verdammt noch mal, tu’ doch etwas!“, brüllte er.

Er riss sich die Kleider vom Leib, vollführte einen wahren Veitstanz, und namenloses Grauen erfüllte ihn, weil das Gespinst immer größere Partien seines Körpers bedeckte und sich einverleibte. Er stürzte. Seit den ersten Symptomen waren noch keine dreißig Sekunden vergangen, und Horst Lehnert sah aus, als wäre er in einen gespenstischen Kokon eingewickelt, der immer dichter wurde. Er wucherte seinen Hals empor. Die dicke schmierige Schicht erfasste Lehnerts Kinn und Lippen. Der Pilz kroch in seinen Mund, bedeckte die Schleimhäute und wirkte auf den Wangen, der Nasenspitze und den Augen wie ein Geschwür, das gnadenlos um sich griff. Horst Lehnert stöhnte qualvoll und schlug um sich.

Sein Freund wich erschüttert zurück. Auf der kleinen Felsenplatte unter seinen Füßen blieb jedoch nicht viel Platz zum Ausweichen. Wilfried Emmerich rutschte ab und fiel ins Wasser.

Es war hier nicht besonders tief, und der junge Mann raffte sich sofort wieder auf.

Lehnert wirbelte herum. Seine graugrün überwucherte Hand sah aus wie das Greifwerkzeug eines nicht menschlichen Geschöpfs, und die Arme stießen Emmerich wie Dreschflegel entgegen.

„Zurück, Horst!“, rief dieser noch. In Händen hielt er die lange Stange und zog sie durch die Luft, dass sie gegen die Hände seines Freundes knallte, der ihn berühren wollte.

Ob der mit Schimmelpilz überwucherte Mann ihn angreifen wollte oder lediglich einen Halt suchte, weil auch er ins Taumeln geraten war, konnte man an Lehnerts Bewegung nicht erkennen. Aber Wilfried Emmerich ließ sich erst gar nicht auf ein Risiko ein und stieß die unheimliche Gestalt, die keine Ähnlichkeit mehr mit seinem Freund hatte, mit der Stange zurück.

Lehnert riss die Arme hoch und versuchte noch, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Aber er schaffte es nicht mehr. Er kippte hintenüber und klatschte in das aufspritzende Wasser. Dabei schlug er hart mit dem Kopf gegen einen der spitzen Felsen. Lehnerts Bewegungen erlahmten abrupt. Wie ein Klotz lag er plötzlich im Wasser, still und reglos wie eine monströse, eingesponnene Schaufensterpuppe.

Wilfried Emmerich atmete schnell. Er schwitzte am ganzen Körper und wollte sich das Salzwasser aus den Augen wischen, als er mit einem Aufschrei zusammenfuhr.

„Oh, mein Gott! Meine … Hände!“, röchelte er und warf die Stange im hohen Bogen ins Wasser zurück. Das Ende, das er in der Hand gehalten hatte, war verseucht mit dem graugrünen Gespinst. Es hatte am Holz geklebt und war in Kontakt mit seiner Haut gekommen. Zwischen seinen Fingern begann es zu jucken, die Handinnenfläche überzog sich mit einem dünnen Film.

Emmerichs Nackenhaare sträubten sich. Er sprang von Stein zu Stein, was nicht so schnell ging, wie er es sich gewünscht hatte, stolperte und fiel ins Wasser. Er lief durch das kalte Nass und atmete schnell. Sein Herz jagte, und er hatte nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich von diesem Ort zu verschwinden, an dem es nicht geheuer war.

„Onkel Juan! Onkel Juan!“, rief Paco schon von weitem, als noch etwa zwanzig Meter bis zu dem alten, morschen Tor vor ihm lagen, das weit geöffnet war. Die einst schneeweiß getünchten Pfosten und Mauern waren grau-braun, große Brocken im Verputz der Mauer fehlten, und das ehemals grüngestrichene Tor sah aus, als wäre es mit ätzender Säure abgelaugt worden. Dorniges Gestrüpp wuchs außerhalb der Umzäunung und in dem verwilderten Steingarten, der dahinterlag. Mehrere große, mindestens dreißig Jahre alte Palmen gediehen weiter oben und spendeten Schatten auf der Südseite des kleinen Malerhauses, in dem vor Jahren während der Feriensaison noch reger Betrieb herrschte. Viele Touristen hatten sich von den Bildern anlocken lassen, die Juan Servarides an den Felswänden der Küstenstraße aufgestellt hatte. Die Motive des Spaniers zeigten traumhaft schöne, romantisch südliche Landschaften, Sonnenaufgänge an der Costa Brava und immer wieder Schiffe. Die Bilder waren gern gekauft worden, die Motive bildeten einen dekorativen Wandschmuck, der die Touristen auch dann an dieses Land erinnerte, wenn sie schon längst wieder zu Hause waren. Heute hingen an den Felswänden keine Bilder mehr, und Onkel Juan malte nur noch selten, und wenn, dann keine südländischen Landschaften und Schiffe mehr, sondern verhaltene Motive mit Szenen aus dem Alltag arbeitender Menschen.

Paco sauste den Weg entlang. Steinplatten waren terrassenförmig aufgeschichtet und führten wie eine große Treppe nach oben. Die Haustür stand weit offen.

„Onkel Juan!“ Paco schrie den Namen mit heller Stimme.

Juan Servarides reagierte jedoch nicht. Er kam weder aus dem Haus noch hielt er sich auf der Terrasse auf. Hier saß er sonst öfter, rauchte eine Pfeife und blickte versonnen den Rauchwölkchen nach. Hinter dem Haus waren im Hof zwei Ziegen angebunden, die laut meckerten und dem Jungen schnell entgegenliefen, als dieser auftauchte. Die Tiere wussten schon, dass er ihnen zu fressen gab. Außer den Ziegen befand sich noch ein altersschwacher Esel dort. Das Tier kaute Gras und blickte gelangweilt zu Paco herüber.

Der Junge lief ins Haus. An sämtlichen Wänden hingen Bilder. Im offenen Kamin glomm eine Restglut, und es roch wie immer nach Rauch, weil der Schornstein nicht richtig zog.

Paco schlugen die Zähne aufeinander. Obwohl er gerannt war, fror er. Die Luft hier in der Höhe war noch kälter alsunten am Wasser. Es wurde zunehmend dunkel.

Auf dem kleinen Tisch neben dem Kamin lag eine aufgeschlagene Zeitung, darauf ein Zettel.

„Wenn du mich suchst: Ich bin bei der Espana“, stand darauf.

Die Espana war ein uraltes Segelschiff, das Onkel Juan als junger, durch die Lande ziehender Maler von einem schrulligen Alten gekaufte hatte. Die Fregatte reizte Juan Servarides schon damals zum Malen, und Pacos Blicke wanderten unwillkürlich über die Wände, wo dieses alte Schiff auf zahlreichen Ölgemälden und Aquarellen verewigt war.

Ein Segelschiff! Gemalt im diffusen Nebel, auf hoher See, im Sturm. Majestätisch, ein Dreimaster wie aus einem Bilderbuch. Der hölzerne Rumpf trug unterhalb der Reling einen blau-weißen Streifen.

Paco verdrehte die Augen und fluchte. „Auch das noch, Madonna!“, stieß er hervor. „Jetzt muss ich ihn auch dort noch suchen.“

Die Espana lag in einer anderen Bucht, ungefähr einen Kilometer vom Wohnhaus entfernt. Das Grundstück gehörte einem Immobilienhändler in Barcelona, der die Bucht verkaufen wollte. Das alte Schiff, das Onkel Juan praktisch zwei Drittel seines Lebens begleitet hatte, war ihm im Weg.

Juan Servarides hatte es deshalb zum Verkauf angeboten. Aber es war nicht einfach, für einen so alten Kasten einen Interessenten zu gewinnen. Juan Servarides hatte allerlei Vorschläge unterbreitet, um Käufern den Erwerb schmackhaft zu machen. Die Fregatte, die ihre zweihundert Jahre auf dem Buckel hatte, konnte wieder Geld bringen, als Schiffsmuseum oder als Lokal.

Im letzten Sommer war ein junges Paar aus Malaga gekommen und hatte sich entschlossen, die Fregatte zu kaufen. An Ort und Stelle sollten die Renovierungsarbeiten durchgeführt werden. Die Kaufinteressenten beabsichtigten, die Fregatte als Attraktion wieder in Dienst zu stellen und Rundreisen damit zu veranstalten. Die Arbeiten am Schiff waren fast abgeschlossen. Innerhalb der nächsten beiden Tage sollte die Espana