Larry Brent Classic 080: Reiß den Pflock aus meinem Vampirherzen - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 080: Reiß den Pflock aus meinem Vampirherzen E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

In Paris wird ein Kunstmaler von bizarren Träumen heimgesucht. Irgendwann begegnet er der Frau, die er aus seinen Träumen kennt.

Das E-Book Larry Brent Classic 080: Reiß den Pflock aus meinem Vampirherzen wird angeboten von BLITZ-Verlag und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Larry Brent, Dan Shocker, PSA, Grusel, Romanheft, Jürgen Grasmück, Horror, Mystery

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Band 80

Dan Shocker

REISS DEN PFLOCK AUS MEINEM VAMPIRHERZEN

Erscheinungstermine von „Reiß den Pflock aus meinem Vampir-Herzen“

© 2015 BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: Ralph Kretschmann

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-880-8

„Hallo!“, sagte er erfreut und ging auf sie zu. Schließlich war sie eine alte Bekannte von ihm, und er hatte in dieser Nacht nur auf die erneute Begegnung mit ihr gewartet. „Da bist du ja wieder!“

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich Nacht für Nacht kommen würde.“ Ihre sanfte Stimme klang wie eine betörende Melodie in seinem Ohr, wie sphärische Geistermusik, deren Bann er sich nicht entziehen konnte. Ihre ganze Erscheinung war sanft und zart. Sie war genau so, wie er sich immer seine Traumfrau vorgestellt hatte. Unglaublich zart, mädchenhaft, helle Haut und blondes Haar, das wie Seide schimmerte. Ihr Gesicht war schmal, und die kleine gerade Nase, die hübsch geschwungenen Augenbrauen und die feucht schimmernden roten Lippen hätten jeden Maler verlockt, dieses reizvolle Antlitz mit Farbe und Pinsel auf die Leinwand zu bannen. In den hellen Augen war ein geradezu magisch zu nennendes Licht, das ihn zu hypnotisieren und zu verführen schien.

In dieser Nacht konnte er nicht anders. Sie war wiedergekommen, und sie war mehr für ihn als nur ein Objekt, das man sich gern ansah. Er fasste sie zum ersten Mal an, legte seine Hände auf ihre Schultern und zog sie langsam an sich. Ihre Blicke verschmolzen ineinander, und um ihre schönen Lippen spielte ein weiches Lächeln. Er war betört von ihrer Nähe. Nie hatte eine Frau ihn so erregt und angezogen wie diese. Schon ihr Anblick weckte Leidenschaft und Sehnsucht in ihm, und es gab keine Minute des Tages, in der seine Gedanken nicht um dieses Objekt seiner Begierde kreisten. Langsam glitten seine Hände an ihren Schultern empor, dann legte er sie links und rechts vorsichtig an ihren Kopf und umfasste ihn, als würde er etwas Kostbares berühren. Sie blieb ganz ruhig, als wäre sie eine Puppe. Ihre Lippen waren halb geöffnet, und ihre hellen blauen Augen blickten ihn unverwandt an, als könnten sie bis in seine Seele schauen. Er führte seine Lippen über ihre Stirn, die Wangen und näherte sich dann ihren Lippen. Er küsste sie zart und schließlich wild und leidenschaftlich.

„Wer bist du? Wieso sehe ich dich Nacht für Nacht?“, flüsterte er dann mit zitternder Stimme in ihr Ohr. „Ich weiß nichts über dich.“

„Mein Name ist Olga“, hörte er ihre leise Stimme.

„Olga?“

„Ich kann nichts dafür“, reagierte sie.

„Nein, nein, so meinte ich das nicht. Ich finde den Namen sehr schön“, beeilte er sich zu sagen.

„Das glaube ich nicht.“

„Doch. Ich war nur überrascht darüber.“

„Warum?“

„Ganz einfach, liebe kleine Fee“, sagte er zärtlich und streichelte ihr Haar. „Weil ich mir natürlich auch schon Gedanken über dich gemacht habe.“

„Welche?“

„Sie alle aufzuzählen, wäre zu viel verlangt. Dafür braucht man viel Zeit. Ein Beispiel allerdings kann ich dir nennen. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie du wohl heißen magst. Ich dachte, dass Karin oder Anna zu dir passen würden.“

„Wie kommst du gerade auf diese Namen?“

„Sie passen am besten zu einem Mädchen aus Deutschland und zu deinem Aussehen.“

Sie lachte leise und schlang ihre Arme um seinen Hals. „Ich wurde in Deutschland geboren. Mein Vater war Deutscher, meine Mutter Polin. Sie stammte aus Warschau. Man sagt, dass ich ihr sehr ähnlich sehe. Aber nun muss ich gehen.“

Da waren sie wieder, die Worte, die er seit drei Nächten hörte und hasste wie die Pest. „Warum willst du wieder gehen?“

„Ich will nicht, ich muss. Das ist der feine Unterschied.“

„Wer zwingt dich dazu, Olga?“

„Die Umstände.“

„Und du kannst nichts gegen sie tun?“

„Nein, ich nicht. Aber du!“

„I-c-h-?“, dehnte er die Frage.

„Nur du allein. Wenn du willst, dass ich für immer bei dir bin, müsstest du die Ketten sprengen, die mich hindern, zu dir zu kommen.“

„Aber das will ich tun. Sofort, Olga! Sag mir nur, was ich machen muss.“

„Mich retten, du musst mich retten!“ Sie löste sich von ihm, und plötzlich war die Szene nicht mehr so realistisch, sondern wurde traumhaft. Wie in Zeitlupe wich die Schöne, deren Namen er in dieser Nacht zum ersten Mal gehört hatte, vor ihm zurück. Sie schwebte, streckte die Arme nach ihm aus, und das weiße Kleid mit dem weitschwingenden Rock flatterte in lautlosem Wind. Sie schien von ihm hinweg- und emporgehoben zu werden.

Peter Stone reckte sich ihr entgegen. „Bleib hier, geh nicht schon wieder!“, rief er ihr nach.

Ihr helles Haar war ganz aufgelöst, und geheimnisvolles Licht spielte darin, sodass er glaubte, jede Strähne wäre einzeln beleuchtet.

„Ich kann nicht. Noch nicht!“, hallte ihre Stimme wie aus einem Schacht, in den sie gezogen wurde.

Die Helligkeit erlosch und wurde eingenommen von furchteinflößender Schwärze, einer Leere und Kälte, die ihn frösteln und aufwachen ließ.

Peter Stone richtete sich im Bett auf und ertappte sich dabei, dass er den Namen rief. „Olga!“

Aber da war keine Olga mehr, keine Liebesszene. Der seltsame Traum war zu Ende, und nüchterne Wirklichkeit breitete sich rings um ihn aus. Das einfache Hotelzimmer mit dem altmodischen Waschbecken aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg umgab ihn, dazu gehörten das kleine Fenster zum Hof, die vergilbten Vorhänge und eine schmutzige, billige Tapete. Von der nahen Straße drangen Geräusche ins Zimmer. Das alles kannte er seit drei Tagen. Die Umgebung kehrte ebenso gleichmäßig wieder wie seine Träume. Was war das nur für ein Traum, in dem er eine ihm völlig unbekannte Person sah, die seinen Vorstellungen entsprach und die sich ihm Nacht für Nacht mitteilte? Gerade so, als hätte sie eine Botschaft für ihn. In der ersten Nacht nahm er das Geschehen hin wie einen Traum, den man schön findet und an den man sich gern erinnert. In der zweiten Nacht hielt Stone es für einen Zufall, dass er wieder von der schönen Unbekannten träumte. So etwas konnte schließlich passieren. In der letzten Nacht aber, als sie sich auf ihre unnachahmliche Weise von ihm verabschiedete, empfand er zum ersten Mal so etwas wie Wehmut, dass alles vorbei sein sollte. Als er sich heute frühzeitig schlafen legte, wünschte er sich im Stillen, dass seine Traumschöne sich wieder einstellte. Und sie war gekommen. Stone nagte an seiner Unterlippe, tastete nach Zigaretten und Streichhölzern auf dem Nachttisch und zündete sich eine an. Er inhalierte tief, stieg aus dem Bett und stellte sich ans offene Fenster. Aus der fünften Etage des alten, blatternarbigen Hauses blickte er auf die Dächer von Paris. Gerade Dächer, spitze Dächer, Schornsteine, Fernsehantennen. Der Antennenwald war das einzige, was ihn störte. Sonst mochte er den Anblick. Das war das alte Paris, wie es die Maler und Schriftsteller gesehen, gemalt und beschrieben hatten.

Stone gehörte der malenden Zunft an. Mit ein paar Dollars in der Tasche war er von New York nach Paris gekommen, um hier Künstlerkreise kennenzulernen und den Spuren nachzugehen, die weit in die Vergangenheit reichten und mit den Namen großer Männer und Frauen verbunden waren. Hier wollte er seine Malerei verbessern. Er liebte die Stadt. Was ihm nicht gefiel, war das winzige, schmutzige Hotelzimmer, in dem er sich einquartiert hatte. Ihm schwebte eine kleine Dachgeschoßwohnung vor und er war noch auf der Suche nach ihr. Er selbst konnte sich mit seinen mehr als bescheidenen finanziellen Mitteln nicht mal das Hotelzimmer leisten. Die Kosten gingen auf das Konto seiner Schwester, die in Virginia eine Farm hatte und ihn finanziell unterstützte. Sie wollte, dass er die Stadt und ihre Atmosphäre kennenlernte und ein großer Maler wurde. Mit regelmäßigen Briefen hielt er sie auf dem Laufenden, schickte auch kleine Skizzen von Pariser Motiven mit, die Lilian alle aufhob.

Für Peter Stone, den Amerikaner in Paris, hatte es bisher nur die Kunst gegeben. Malen war sein Lebenselixier. Frauen hatten bisher nur eine zweitrangige Rolle gespielt. Spätestens mit der gestrigen Nacht hatte sich das jedoch entscheidend geändert. Er dachte nur noch an eines: an seine geheimnisvolle Traumfrau Olga. Er war besorgt. Stimmte etwas mit seinem Gesundheitszustand nicht? Hatte er schon Halluzinationen? Gerade in den vergangenen Tagen hatte er wenig gegessen, dafür viel gemalt und die Zeit darüber vergessen. Ob es damit zusammenhing? Er versuchte den Bildern, die er gesehen, und den Worten, die er vernommen hatte, einen Sinn abzugewinnen. Heute Nacht war der Traum nicht stehengeblieben, sondern weitergegangen. Er wollte in die Dinge nicht mehr hineindeuten, als sie wirklich enthielten, aber es war unbestreitbar, dass dies alles sehr sonderbar und rätselhaft war. Er konnte klar denken und glaubte auch, so wie immer zu sein. Verändert hatte sich nur sein Bewusstseinsinhalt, was jene Olga betraf. Empfing er eine Botschaft? Konnte es sein, dass eine Fremde ihm im Traum etwas mitzuteilen versuchte? Solche übersinnlichen Phänomene gab es, und sie waren nicht von der Hand zu weisen, nur waren sie ihm persönlich im Leben noch nie begegnet. Aber das hatte sich nun grundlegend geändert.

Er rauchte hastig, war nervös, und das Bild der Schönen ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er drückte die Kippe an der Sandsteinfensterbank aus und warf sie dann in die Regenrinne, die am gegenüberliegenden Haus entlanglief, das eine Etage niedriger war. Dann knipste er das Licht an. Am Fußende des Bettes stand eine Staffelei, darauf ein angefangenes Ölgemälde. Stone griff zur Palette und begann zu malen. Schnell, überhastet und unkonzentriert. Er hatte ein Frauenbild angefangen, das jene Olga aus seinen Träumen zeigte. Heute Nacht hatte er sie noch deutlicher gesehen, hatte sich jede Linie in ihrem Gesicht eingeprägt, das Lächeln ihres Mundes, die hochstehenden Backenknochen. Und die feine Nase. Das Antlitz einer Prinzessin!

Er malte eine halbe Stunde wie besessen und das Porträt entwickelte sich schnell. Stone sah sein Modell so deutlich vor Augen, als säße es unmittelbar vor ihm. Er hatte nie so schnell und effektiv gemalt. Obwohl er in Gedanken ständig woanders weilte, saß jeder Pinselstrich. Es war ein Uhr nachts, als er Pinsel und Palette aus der Hand legte. Er war nicht im Geringsten müde. Dass er am Abend so früh ins Bett gegangen war, hatte einen anderen Grund gehabt, nämlich den, seine Traumschöne wiederzusehen. Er war völlig in ihren Bann geraten und schalt sich im Stillen einen Narren. Vielleicht war es doch nicht gut, zu wenig zu essen. Da fing man an zu spinnen. Gut essen und trinken hielt Leib und Seele zusammen. Trotz vorgeschrittener Stunde entschloss er sich, ein Bistro oder einen Schnellimbiss aufzusuchen. Ein Uhr nachts war für Paris keine Zeit. Da fing das Leben erst an. Er schlüpfte in eine abgewetzte Cordhose und ein Hemd, hängte sich lässig einen Pullover über die Schultern und verließ nachdenklich das Zimmer. Mit dem altmodischen Aufzug, dessen gläserne Kabine sich in dem schmiedeeisernen Schacht bewegte, ließ er sich nach unten tragen. Die Rezeption war mit abgeschabtem Leder verkleidet, nur spärlich eingerichtet und ebenfalls sehr eng.

Der alte Portier, der hinter dem hohen Aufbau ein wenig vor sich hin gedöst hatte, blickte ihn schläfrig an. „Ist was?“, fragte er mürrisch. Er hatte wässrige Augen und den schwammigen Teint der Alkoholiker. In seiner Reichweite stand eine halbleere Flasche Wermut. Und er nutzte die Tatsache, dass er geweckt worden war, um sich sogleich einen Schluck aus der Pulle zu nehmen. Er wischte sich über das stoppelbärtige Kinn und stellte die Flasche auf das Bord zurück.

„Nein, nichts Besonderes“, sagte Stone schnell. Er sprach etwas Französisch, wenn auch holprig. „Ich wollte nur noch mal ausgehen.“

„Können Sie doch jederzeit, Monsieur“, sagte der schmuddelige Portier und hob die Schultern. „Wir sind hier kein Gefängnis. Sie können kommen und gehen, wann Sie wollen. Ich bin nur dazu da, um An- und Abmeldungen für die Zimmer entgegenzunehmen und Auskünfte zu erteilen, wenn man Fragen an mich richtet. Und Fragen haben Sie ja keine.“

„Doch, eine schon.“ Peter Stone zog die angebrochene Schachtel Zigaretten aus der Brusttasche seiner Windjacke und reichte sie über den Tresen.

„Merci, merci!“ Der alte Portier freute sich und griff zu. Da Stone auch nach der dritten Zigarette, die der Franzose nahm, noch nichts sagte, zog der Portier weitere heraus.

„Nehmen Sie die ganze Schachtel“, ermunterte Stone ihn freundlich, der die Vorliebe des Mannes für amerikanische Zigaretten kannte.

Maurice strahlte und griff zu. „Sie wollen mich ärgern, Monsieur Stone“, tadelte er. „Hätten mir doch gleich die Schachtel geben können. Jetzt muss ich die Zigaretten wieder einzeln hineinstecken.“

„Wollte ich doch von Anfang an, Maurice.“

Der Mann hinter dem Tresen zog die eisgrauen Augenbrauen hoch. „Wenn Sie so großzügig sind, dann hat das doch einen Grund, Monsieur. Soll ich Ihnen für die Nacht ‚ne billige Freundin besorgen?“

„Nein, ich will nur eine Auskunft.“

„Schießen Sie los, Monsieur.“ Maurice räusperte sich. „Um diese Zeit“, fügte er hinzu, „bin ich das viele Reden nicht mehr gewohnt. Ich krieg ‚ne ganz trockene Kehle davon.“ Es erfolgte der erneute Griff zur Flasche. Maurice gurgelte erst und schluckte dann. „So, jetzt funktioniert es schon besser. Worum geht‘s?“

„Wie lange sind Sie schon hier im Haus, Maurice?“

„Dreiundfünfzig Jahre. Das ist ein ganzes Menschenalter“, verkündete der Mann stolz. „Ich fing als Laufbursche an. Da war ich achtzehn. War mal ein tolles Haus. Sogar Filmschauspieler und Staatsleute verkehrten hier früher. Dann fing der Besitzer an zu trinken, kümmerte sich um nichts mehr und das Hotel kam immer weiter herunter. Die Schulden nahmen überhand. Die schönsten Sachen mussten schließlich verkauft werden. Was übrig blieb, gammelt heute vor sich hin.“

„Ich wollte keine Beschreibung der Geschichte des Hotels, Maurice“, fiel Stone dem Mann ins Wort, der sich in Rage geredet hatte.

„Die ist aber sehr interessant.“

„O ja, davon bin ich überzeugt. Bei Gelegenheit können Sie mir das alles mal erzählen. Ich lade Sie an Ihrem freien Tag zu einem Drink ein und dann legen Sie los.“

„Mach‘ ich, Monsieur Stone.“

„Ich will nur eines wissen: Ist in all den Jahren, seitdem Sie hier Portier sind, irgendwann mal etwas Außergewöhnliches passiert, an das Sie sich auf Anhieb erinnern können?“

„Oh, da gibt‘s ‚ne ganze Menge merkwürdiger Begebenheiten. Während des Zweiten Weltkrieges wurde hier ein deutscher Offizier ermordet, in den fünfziger Jahren beging eine junge Frau Selbstmord. Sie stürzte sich aus einem Fenster in den Hof hinunter oder …“

„Was war das für eine Frau?“, unterbrach Stone den Portier. „Aus welchem Stockwerk stürzte sie sich und wie hieß sie?“ Peter Stone konnte seine Erregung nur schwer verbergen. Ein irrsinniger Gedanke überfiel ihn. Konnte es sein, dass die Seele jener Selbstmörderin keine Ruhe fand, dass sie nachts durchs Hotel geisterte, stets zurückkehrte an den Ort ihrer Tat und dass diese Selbstmörderin identisch war mit jener Olga, die ihm im Traum nun schon zum dritten Mal erschienen war?

„Sie sprang aus der fünften Etage.“

„Zimmernummer, Maurice?“

„Aus 518.“

Stone schluckte. Er wohnte im Zimmer 515. Hier gab‘s schon mal keine Übereinstimmung. Aber das musste nichts bedeuten. „Können Sie sich an den Namen der Selbstmörderin erinnern? Hieß sie vielleicht Olga?“ Er ließ den angesäuselten Portier nicht aus den Augen.

Der sah ihn mit merkwürdigem Blick an. „Olga? Wieso denn das? Wie kommen Sie denn ausgerechnet darauf?“

Stone ärgerte sich, dass ihm das herausgerutscht war. Aber nun war es nicht mehr zu ändern. „Ich kannte mal jemanden“, sagte er schnell. „Sie hieß Olga und hat in einem Hotel in Paris gewohnt. Sie beging auch Selbstmord.“

Maurice winkte ab. „Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe, sondern auch die der Selbstmörder. Ob aus Hotelzimmern, von Seine-Brücken oder vom Eiffelturm … wenn einer Schluss machen will, findet er hier ‚ne reiche Palette an Auswahlmöglichkeiten. Nein, also Olga hieß sie nicht. Das war damals ‚ne Engländerin. Ellen. Sehr hübsch. Sie wollte in Paris Karriere machen, aber ihre Pläne zerbrachen wie Glas, und da drehte sie durch. Ihr war nicht mehr zu helfen.“

„Haben sich noch mehr hier im Hotel sur Seine umgebracht?“

„Eine Frau ihren Mann. Ein Eifersuchtsdrama. Da knallten die Pistolen. Sie hat sich nach der Ermordung ihres Mannes selbst die Kugel gegeben, um der irdischen Gerichtsbarkeit zu entgehen.“

„Sonst noch was Spektakuläres?“

Maurice ließ die Flasche wieder gluckern. „Sie sind sehr neugierig, Monsieur Stone. Ist eigentlich nicht gut, was ich Ihnen da alles erzähle. Kann man mir als Geschäftsschädigung auslegen. In ein Hotel, wo sich Menschen umbringen, kommen nicht gern Gäste. Warum wollen Sie das eigentlich alles wissen? Ich denke, Sie sind Maler und kein Schriftsteller, der daraus ‚nen spannenden Roman machen will.“

„Will ich auch nicht. In den letzten drei Nächten hatte ich seltsame Träume. Eigentlich immer denselben, wissen Sie? Ich will mit offenen Karten spielen. Gibt es speziell über das Zimmer 515, in dem ich zurzeit wohne, etwas Besonderes zu berichten?“

„Nicht dass ich wüsste.“

„Bestimmt nicht?“ Stone ließ nicht locker und fingerte in seiner Tasche herum, in die er für gewöhnlich das Wechselgeld steckte. Außer ein paar Münzen, die klapperten, fühlte er das raschelnde Papier von zwei Scheinen zwischen den Fingern. Er schob zwanzig Francs über den Tisch. „Dafür können Sie sich Nachschub besorgen, Maurice. Aber reden Sie weiter. Wenn Sie etwas über Zimmer 515 wissen, sagen Sie‘s mir.“

Der Portier nahm den Schein an sich. „Merci, Monsieur Stone. Aber es tut mir leid, dass ich Ihnen trotzdem nicht weiterhelfen kann. Mit dem betreffenden Zimmer ist nie etwas Besonderes gewesen.“

„Hat sich nie jemand beschwert, darin seltsam geträumt oder etwas erlebt zu haben?“

„Nein, Monsieur“. Der alte Portier erhob sich und zuckte bedauernd die Schultern. „Ich höre das heute zum ersten Mal.“

Stone war die Enttäuschung anzusehen. Da hatte er gehofft, wenigstens eine Antwort auf seine vielen Fragen zu finden, aber leider erfüllte sich das nicht. Von außen gab‘s also keinen Hinweis auf die rätselhafte Olga