Larry Brent Classic 081: Das grüne Blut des steinernen Götzen - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 081: Das grüne Blut des steinernen Götzen E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Eine junge Frau erbt eine alte Burg in den schottischen Highlands. Als sie ihr Erbe antritt, entdeckt sie in den Kellergewölben ein schreckliches Geheimnis. Wenig später bricht in einer nahen Kleinstadt das Grauen aus.

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Band 81

Dan Shocker

DAS GRÜNE BLUT DER STEINERNEN GÖTZEN

Erscheinungstermine von „Das grüne Blut des steinernen Götzen (Chaos-Zyklus, 1. Teil)“

Erschienen am 18.11.1975 als Silber Grusel-Krimi 104 im Zauberkreis-Verlag

Juli 1977 als Silber Grusel-Krimi-Neuauflage 104 im Zauberkreis-Verlag

© 2015 BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: Ralph Kretschmann

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Druck und Bindung: CPI, Clausen & Bosse, Leck

Alle Rechte vorbehalten

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-881-5

Seit eh und je hat der Ben Macdhui, die höchste Erhebung in den schottischen Cairngorms, die Phantasie der Bewohner in dieser Gegend beschäftigt.

Um diese windige Berggegend spinnen sich die tollsten Geschichten, und es heißt, die Geister der Vergangenheit seien hier so lebendig wie in den Tagen von König Artus und auch darüber hinaus.

In einem Land, das so reich mit Legenden gesegnet ist, dessen wildromantische Gestalt, zerklüftete, unzugängliche Berge und dunkle Täler wohl mit dazu beigetragen haben, so viele unheimliche und gespenstische Geschichten in die Welt zu setzen, nimmt man diese Dinge erstaunlicherweise noch sehr ernst.

Die geheimnisvollen Seen, die tausend Burgen und Schlösser hatten es auch Reginald Thompson angetan. Er war begeisterter Amateurfotograf, und seine ganze Freizeit steckte er in sein aufwendiges Hobby.

Thompson kam aus einer Kleinstadt, die direkt an der englischen Grenze lag. Sein großer Wunsch war es schon immer, eine umfangreiche Dia-Serie vom schottischen Hinterland anzulegen, vor allem von dem legendären Loch Ness.

Er nahm sich viel Zeit. Es war Sommer, und er hatte Urlaub. Niemand drängte ihn, und im Hintergrund wartete auch keine Familie, deren Wünsche er erfüllen müsste. Als Junggeselle führte er das Leben, das ihm gefiel.

Am Freitagnachmittag erreichte der zweiunddreißigjährige Amateurfotograf Braemar, eine kleine Stadt in den Bergen, unweit des Ben Macdhui. Bis zu diesem Berg war ein Höhenunterschied von siebenhundert Metern zu überwinden. Schmale, verschlungene Pfade und eine Schotterstraße führten hinauf. Am Samstagmorgen befuhr Reginald Thompson diese Straße, um eine abgelegene, noch gut erhaltene Burg anzusteuern, die in den Fels hinein gebaut worden war. Es hieß von ihr, die Grundmauern seien auf einem Altar errichtet, den Druidenpriester in grauer Vorzeit benutzten, um ihre Gottheiten zu verehren.

Näheres wusste niemand über die Burg … oder Näheres wollte niemand wissen. Reginald Thompson hatte die Erfahrung gemacht, dass auf die Frage nach Details stets ausweichend oder gar nicht geantwortet wurde. Bei der einfachen Bevölkerung existierten noch Tabus, die Außenstehende nicht begriffen.

Reginald Thompson glaubte weder an Spuk und böse Geister noch an die Macht der Druidenpriester, die seiner Meinung nach nur um des eigenen Überlebens willen seinerzeit die grausigsten Geschichten in die Welt gesetzt hatten, um ihre Widersacher abzuschrecken. Und genauso wenig glaubte er an Gespensterschlösser und das Ungeheuer von Loch Ness. Er glaubte nur an das, was er sah und fotografieren konnte, und deshalb machte er sich auf den Weg zu dem verrufenen Schloss, in dem einst Raubritter gehaust, gezecht und geliebt hatten.

Er erreichte das Ende des Schotterwegs, der rund zweihundert Meter von der alten Burg entfernt lag und in eine Art primitiven Parkplatz mündete. Von hier unten konnte man das massige Bauwerk bewundern. Die Außenmauern waren dunkel und mit Moos überwachsen. Es gab mehrere mächtige Wehrtürme, die sich über die steil abfallenden Mauern erhoben. Die guterhaltene Festung machte einen wildromantischen Eindruck und sah ganz so aus, wie man sich eine Gespensterburg vorstellte. Düster und unzugänglich, verwinkelt und verschachtelt.

Reginald Thompson machte erste Aufnahmen und suchte dann den verschlungenen Pfad, der nach oben führte. Die Burg befand sich in Privatbesitz, und ein Verbotsschild machte darauf aufmerksam, dass das Betreten nicht erlaubt sei.

Doch war weit und breit kein Mensch zu sehen, die Burg schien unbewohnt, und eine urwelthafte Stille lag über dem Ort. Reginald Thompson fiel auf, dass nicht einmal die Vögel sangen.

Er machte eine Aufnahme nach der anderen, war begeistert von der Lage der Burg und erfreute sich an der Aussicht, die man von hier aus über die Landschaft, über bewaldete Hügel und bizarre Felsen hatte. Die Burg war ideal gelegen, sodass man sie von unten kaum ausmachen konnte, wenn man nicht gezielt nach ihr Ausschau hielt.

Den Fotoapparat um den Hals gehängt, erklomm Reginald Thompson die Mauerreste, stieg von dort aus über die Zinnen und kletterte schließlich in den Hof hinab, wobei er die aus der verwitterten Wand ragenden Vorsprünge als Trittstufen nutzte.

Schwarz fiel der Schatten des Turmes über ihn.

Der Amateurfotograf machte Aufnahmen vom Innenhof. Neben einer alten verrosteten Kanone stapelten sich in einer Ecke moos- und grasüberwachsene Kanonenkugeln. Der Untergrund im Innenhof war holprig, alte, scharfkantige Steine ragten aus dem graubraunen, harten Boden und Thompson musste aufpassen, dass er nicht stolperte. Es gab einen Brunnen, dessen Öffnung mit dicken Holzbohlen abgedeckt war. In die Felsenmauer war der Eingang zu einer ehemaligen Waffenkammer eingelassen, deren Tür jedoch ein rostiger Riegel versperrte.

Thompson legte den Riegel zurück, öffnete die in ihren Angeln quietschende Tür und warf einen Blick in das Innere der Kammer. Ein riesiges Spinnennetz spannte sich vom Boden bis zur Decke. Hinter dem glitzernden Gewebe lag modriges Dunkel. An den nackten Wänden hingen noch vereinzelt einige Speere, lehnten Hellebarden und eine Armbrust.

In der dunklen Ecke, die nicht vom schräg über die Mauern fallenden Sonnenlicht erreicht wurde, machte Reginald Thompson eine schwarze, mit Schimmelpilzen überwucherte Truhe aus. Darüber, in einer Nische, waren mehrere Kettenhemden und Visiere aufeinandergelegt und -gestülpt.

Thompson schoss zwei Aufnahmen vom Eingang. Der junge Mann fühlte sich äußerst wohl. Diese Motive gefielen ihm.

Er stand so vor dem Eingang, dass er das Sonnenlicht verdeckte. Thompson trat ein paar Schritte zurück. Nun warfen der Brunnen und der hölzerne Galgen, an dem einst mit einem großen Behälter das Wasser aus der Tiefe geholt worden war, ihren Schatten auf die Öffnung der Kammer, die er entdeckt hatte.

Ein seltsames Muster entstand auf der Wand hinter der Truhe, ein richtiges Quadrat, das innen hell ausgeleuchtet war. Als Thompson zur Seite trat, erkannte er, dass neben der großen Truhe eine steile Treppe in die Tiefen des Kellergewölbes führte.

Und dann machte er noch eine weitere Feststellung, die ihn zusammenfahren ließ. Denn das, was er sah, war in höchstem Maße ungewöhnlich und er musste zweimal hinsehen, um sich zu vergewissern, dass er sich auch nicht täuschte.

Genau in der Mitte des ausgeleuchteten Quadrats zeigte sich plötzlich ein vibrierender Fächer. Es sah aus, als würde ein schattenhafter Falter vom Boden aufsteigen, um den oberen Rahmen des Vierecks zu erreichen.

Thompson hielt den Atem an, riss trotz des Schreckens, der ihm in die Glieder fuhr, die Kamera hoch und drückte auf den Auslöser.

Was sich dort abspielte,ging nicht mit rechten Dingen zu!

Nirgends um ihn herum war eine Bewegung, und er warf über die Schulter rasch einen Blick zurück zum Brunnen, von dem aus der Schatten geworfen wurde. Er wollte sehen, ob sich unmittelbar über dem Brunnenschacht etwas rührte.

Nichts!

Eine Halluzination?

Woher kam der Fächer?

Thompson starrte darauf und sah, dass er nun die Form einer Armbrust annahm, die wie eine Projektion mitten in dem Quadrat auftauchte.

Da griff der Fotograf sich an den Kopf und schalt sich einen Narren. Das war die Lösung!

Ein Sonnenstrahl musste die an die Wand gelehnte Armbrust getroffen und deren Schatten genau in das Quadrat geworfen haben, das durch den Galgen über dem Brunnenschacht produziert wurde.

So einfach waren manchmal die Dinge, und man erschrak grundlos und …

Das Herz des einsamen Burgbesuchers begann heftig zu pochen, als er erkannte, dass die Dinge doch viel komplizierter waren, als er auf den ersten Blick vermutet hatte.

Der Sonnenstrahl, der die Armbrust traf, fiel gar nicht durch die weit offen stehende Tür. Er wurde wie durch ein Prisma abgelenkt. Das aber widersprach allen physikalischen Gesetzmäßigkeiten.

Thompson kam nicht mehr dazu, sich über diese mysteriösen Dinge zu wundern und sich eingehende Gedanken darüber zu machen.

Innerhalb von Sekunden spielten sich die Vorgänge ab, die ihn ins Verderben zogen.

Es war zwölf Uhr mittags. Die Sonne hatte einen bestimmten Punkt erreicht, der das Schattenbild des Brunnengalgens normalerweise gegendie Holztür warf. Dort spielte sich für gewöhnlich dann das gleiche Schauspiel ab, das Reginald Thompson jetzt auf der Rückwand der Waffenkammer verfolgen konnte.

Die Umrisse der Armbrust zerflossen und formten sich zu großen, zähen Tropfen. Wie Blut. Aber es war kein Blut, das da vor ihm von der Wand tropfte. Es war Farbe, die dunkelgrün und schwer herabfloss. Thompson wurde panisch, er wollte sich herumwerfen, kehrtmachen und diesem schaurigen Ort entfliehen, an dem Dinge zu sehen waren, die nicht Wirklichkeit sein konnten.

Doch es war schon zu spät.

Er verfing sich im Bannkreis jener alten Mächte, die hier existierten. Die man nicht sah … und die doch niemand leugnen konnte.

Etwas Unheimliches passierte …

Hätte in dieser Sekunde ein heimlicher Beobachter die Szene verfolgt, sie hätte sich seinen Blicken etwa folgendermaßen dargeboten: in dem alten, holprigen Innenhof der Burg stand ein Mann vor einer weit geöffneten Holztür und starrte mit vor Entsetzen geweiteten Augen in das Innere der dahinter liegenden Kammer.

Und dieser Mann – verschwand plötzlich, als würde der Erdboden ihn verschlucken.

Der Hof war leer.

Für Reginald Thompson aber war es das genaue Gegenteil.

Er schrie leise auf, als er die Bewegung spürte, den Luftzug, und als er sah, wie die Umgebung sich veränderte.

Die Mauern … nicht mehr so alt und rissig … wirkten frischer.

Die Kammer vor ihm war nicht mehr von einem riesigen Spinnennetz überwoben, sondern frei. Dicht an dicht hingen Schwerter und Armbrüste an der Wand, standen Speere und Hellebarden dort und glänzten, als wären sie frisch geputzt.

Reginald Thompson warf den Kopf herum, das nackte Grausen packte ihn.

Er war … nicht mehr allein in dem Innenhof. Menschen umringten ihn. Zahllose Menschen … Fräuleins und Ritter … in fremdartiger Kleidung, wie sie im Mittelalter üblich gewesen war. Thompson glaubte sich ins zwölfte oder dreizehnte Jahrhundert zurückversetzt. Als hätte jemand die Zeit zurückgedreht.

Als der junge Mann um die Mittagszeit nicht in seine Unterkunft nach Braemar zurückkehrte, machte sich zunächst niemand Gedanken darüber.

Es kam öfters vor, dass ein Gast länger ausblieb, dass er sich mit der Zeit verschätzte, weil es doch mehr zu sehen und zu entdecken gab, als er anfangs angenommen hatte.

Spät am Abend bemerkte man aber, dass Reginald Thompson ausgeblieben war.

Der Wirt alarmierte die Polizei, gab an, was der junge Amateurfotograf vorgehabt hatte, und eine Streife machte sich auf den Weg zu der Burg. Am Ende des Schotterwegs stieß man auf den parkenden Wagen, fand aber weit und breit keine Spur von dessen Besitzer.

Die beiden Beamten suchten die nähere Umgebung ab und konzentrierten sich dabei auf Spuren, die eventuell auf einen Sturz in die Tiefe schließen ließen.

Der Weg war hier teilweise so gefährlich, dass man eine solche Möglichkeit in Betracht ziehen musste.

Aber entsprechende Spuren gab es nicht.

Die beiden Polizisten aus Braemar näherten sich der Burg und riefen mehrere Male den Namen des Gesuchten. Die Rufe verhallten jedoch, ohne dass jemand antwortete.

Der Einbruch der Dunkelheit zwang die Polizisten, die Nachforschungen aufzugeben. Die Suche, die am nächsten Tag intensiviert und mit Hilfe eines Spürhundes fortgesetzt wurde, blieb ebenfalls erfolglos und wurde am späten Abend abgebrochen.

Es gab nicht die geringste Spur von Reginald Thompson.

Die Männer des Suchkommandos standen vor einem Rätsel, ebenso wie die Familie und die Bekannten des Verschwundenen. Niemand hatte eine Erklärung für sein Verschwinden.

War Thompson ermordet worden? Hatte er sich in dem unzugänglichen Gelände verirrt und lag irgendwo zwischen Gestein oder Gebüsch und man hatte ihn nur nicht gefunden? Diese Möglichkeit war in Anbetracht des unwirtlichen Geländes am ehesten denkbar.

An die Version, welche man sich in Braemar zuflüsterte, glaubte sowieso kein Mensch. Das Verschwinden könne mit den geheimnisvollen Kräften in Zusammenhang stehen, welche der alten Burg innewohnten.

Dummes Geschwätz, sagten diejenigen, die nicht an böse Geister und unsichtbare Kräfte glaubten.

War es Zufall oder Schicksal, dass genau vier Wochen nach diesen Ereignissen eine junge Frau in Glasgow einen Traum hatte, der für sie und die Menschen von Braemar bedeutungsvoll sein sollte?

War es überhaupt möglich, dass dieser Traum einen Stein ins Rollen brachte, der den Menschen in der Vergangenheit und auch noch vielen in der Gegenwart … Angst einjagte?

Im Leben geschehen manchmal merkwürdige Dinge, und in den seltensten Fällen ist es möglich, Geschehnisse von verschiedener Erscheinungsart miteinander in Zusammenhang zu bringen.

Doch hier war es angebracht und richtig.

Aber das ahnte Cyrill Perkins nicht, als sie träumte …

Sie sah sich vor einem riesigen Burgtor stehen. Die Burg … das wusste sie einfach, ohne dass man es ihr gesagt hätte … hieß Sword Castle. Eine seltsame Bezeichnung für eine Burg.

Cyrill Perkins überquerte die Brücke über die Schlucht und erreichte das mächtige, mit Eisenbeschlägen versehene Haupttor, das sich lautlos und wie durch Geisterhand bewegt öffnete.

Groß und düster dehnte sich der Innenhof vor ihr aus. Sie sah einen Brunnen, außerdem eine Treppe, die zu den Wehrgängen hinter den Zinnen führte. Dem Brunnen gegenüber befand sich eine aus schweren, schwarzen Bohlen bestehende Tür, der sich die Vierundzwanzigjährige nun näherte. Sie hatte das Gefühl zu schweben, als berührten ihre Füße nicht länger den Boden. Ihr bis zu den Knöcheln reichendes, halbdurchsichtiges Nachtgewand schmiegtesich an ihren schlanken, braungebrannten Körper und ließ die Formen ihres Körpers erahnen. Die weiten Ärmel flatterten lautlos um ihre Arme, und ihre Bewegungen ließen sie wie eine Filmaufnahme in Zeitlupe erscheinen.

Es war sternenklare Nacht. Voll und silbern leuchtete der Mond am Himmel und tauchte die verwinkelte, mit Türmen und Erkern reich versehene Ritterburg in ein gespenstisches, blaugraues Licht. Schwarz hoben sich die Turmspitzen und Zinnen vom Nachthimmel ab.

Geisterhafte Stille herrschte. Nirgends ein Licht, keine Bewegung. Das Sword Castle lag ausgestorben vor den Augen der Träumenden.

Das klare, weiße Mondlicht und der schwarze Schatten der Mauern teilten den Innenhof in eine schwarze und weiße Hälfte.

Für den Bruchteil eines Augenblicks befand sich auch Cyrill Perkins genau auf der Grenze, die in der Mitte des Hofes verlief. Die eine Hälfte ihres Körpers befand sich im Schatten, die andere im Licht.

Cyrill Perkins schwebte auf die Tür der Waffenkammer zu. Die zarte, weiße Hand der jungen Frau aus Glasgow berührte den Riegel, der lautlos nach oben klappte. Die Tür schwang nach außen. Das Mondlicht fiel in die Kammer … und ließ die Waffen und Rüstungen aufblitzen.

Das alles interessierte die junge Frau nicht. Ihr Ziel war die steile, schmale Treppe, die neben der wuchtigen Truhe in die Tiefe führte.

Unmittelbar hinter der Tür der Waffenkammer standen eine einfache Holzschale, in der Fackeln und Kienspäne bereit lagen, und ein Behälter, in dem ein winziges Feuer ständig flackerte, um die Fackeln bei Bedarf und im Falle eines feindlichen Angriffs sofort entzünden zu können.

Cyrill nahm eine Fackel, hielt sie in die kleinere Schale und entzündete sie.

Ihr flackerndes Licht- und Schattenspiel ließ die Rüstungen in der geräumigen Kammer geisterhaft lebendig erscheinen.

Das Mädchen stand an der Treppe, hielt die Fackel vor sich und überblickte die endlosen Stufen, die in einen geheimen Keller führten.

Eigenartigerweise wusste sie, dass diese Treppe zu einem unterirdischen Tunnel führte, von dem aus sowohl geheime Verteidigungsanlagen als auch ein Fluchtstollen zu erreichen waren. Und es existierte ein dritter Weg, der in eine Halle mündete, mit der es eine besondere Bewandtnis hatte.

Ehemalige Burgherren sollten dort unten eine Gottheit verehrt haben, von der es hieß, dass sie ewiges Leben zu schenken vermochte, und dass diese Gottheit von fliehenden und hier in diesen Bergen Unterschlupf suchenden Druidenpriestern zu Hilfe gerufen worden sei, um ihre Feinde vernichtend zu schlagen.

Eine Gottheit, die Leben schenkte und gleichzeitig anderes vernichtete … das war eigentlich ein Widerspruch in sich, und Cyrill Perkins wusste, dass sie nur hier war, um jene heiligen Hallen der Druidengottheit zu betreten und Näheres über diesen Gott zu erfahren. Es schien ihr sehr wichtig, dorthin zu gelangen, und sie fand es überhaupt nicht merkwürdig, dass sich in dieser Burg keine Menschen zeigten.

Sie war die Herrin dieses Schlosses und glitt schwebend die steile Stiege hinab in die Tiefe.

Am Fuß der über achtzig Stufen befand sich ein Durchgang, hinter dem sich der Weg in drei Richtungen verzweigte. Sie wählte den mittleren Gang. Massige Mauern und Säulen säumten ihren Weg. Dann stand Cyrill Perkins abermals vor einem verschlossenen Tor, das sich aber öffnete, ohne dass sie Hand anlegte. Dahinter eröffnete sich eine riesige Halle, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Tempel hatte.

Eine poröse Statue nahm ihre ganze Aufmerksamkeit gefangen: Der Koloss, der dort auf einem Podest hockte, war nackt und kahl, mindestens dreißig Meter groß und aus einem Stein gehauen, der nicht aus dieser Gegend stammte. Seine Hände, die leicht angewinkelt über dem Boden schwebten, waren dreimal so groß wie ein ausgewachsener Mensch. Riesig, wie überdimensionale Teller, waren seine Augen, die von wulstigen Lidern überdeckt wurden.

Atemlos verharrte Cyrill Perkins vor diesem unbekannten Götzen, und unwillkürlich drängte sich ihr die Frage auf: wie gelangte dieses Ungetüm hier in das Gewölbe hinein? Die Tür, durch die Cyrill Einlass gefunden hatte, war viel zu klein. Durch sie hätte nicht einmal die Hand des Riesen gepasst.

Waren also riesige Steine hierhergeschafft worden, aus denen unbekannte Künstler diesen Koloss geschaffen hatten?

Mit unruhigen Blicken sah sie sich um und versuchte die Schwärze der endlos wirkenden unterirdischen Halle zu durchdringen. Cyrill gingum den steinernen Koloss herum, um den Hintergrund zu erfassen. Die Decke, der zyklopenhafte Aufbau der Wände und Säulen … das alles war so gestaltet, als sollten sich nicht Menschen darin bewegen, sondern dieser in Stein gehauene, fremde Gott, der einer alten magischen Kaste entstammte.

Die Dimension der Halle war beängstigend, und Cyrill Perkins kam sich in dieser Umgebung vor, als wäre sie nur eine Ameise.

Die Quader und Steinblöcke, aus denen die meterdicken Wände zusammengesetzt waren, verschmolzen mit einem Teil der Felswand. In dieser Felswand glaubte Cyrill Perkins eine Fuge ausmachen zu können, die sich in unbestimmbarer Höhe über ihr zu einem Bogen formte, als wäre in die kahle Wand ein riesiges, nicht für Menschen bestimmtes Tor eingelassen, das sich, wie ein Sesam-öffne-Dich, nur auf ein magisches Wort hin bewegen würde.

Cyrill kehrte zu dem Götzen zurück. Das Licht ihrer Fackel spielte auf dem porösen, steinernen Leib, und das Schattenspiel bewirkte, dass man den Eindruck gewann, er würde atmen. Aber das Mädchen wusste, dass dies nur eine Täuschung war.

Sie folgte dem starren Blick der seelenlosen Augen, die genau auf die große, schwarze, glatt geschliffene Platte zu seinen Füßen gerichtet waren. Ein Altar!

Waren hier vor undenkbaren Zeiten Opfer gebracht worden, um Hass und Missgunst zu besänftigen, um den Menschen den Willen der Götter aufzuzwingen?

War dieser gigantische Götze das Abbild eines Gottes, das die Augen eines Priesters, Propheten oder Magiers gesehen hatten?

War das jener Gott, den sie besuchen sollte, um von ihm das Geheimnis des ewigen Lebens zu erfahren?