Larry Brent Classic 086: Mortus, Monstrum aus dem Jenseits - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 086: Mortus, Monstrum aus dem Jenseits E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Nahe einem chinesischen Dorf im Himalaja verschwinden zwei Menschen spurlos. Eine uralte Bedrohung breitet sich aus. Die PSA-Agentin Su Hang wird von Dr. Tschang Fu entführt. Larry Brent und Chang Li nehmen die Verfolgung auf.

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Band 86

Dan Shocker

Mortus, Monstrum aus dem Jenseits

Erscheinungstermine von „Mortus, Monstrum aus dem Jenseits“

13.07.1976 als Silber Grusel-Krimi Nr. 120

© 2016 BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: Ralph Kretschmann

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Druck und Bindung: CPI, Clausen & Bosse, Leck

Alle Rechte vorbehalten

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-886-0 (epub)

Sie kamen aus dem Dorf Dunang. Das liegt unmittelbar an der Grenze zu Tibet. Sie kannten die Gebirgswelt des Himalajas wie ihre Westentasche. Hier waren sie zu Hause, und schon als Jungen hatten sie gemeinsam manchen Trip in die Tiefe der Felsenmassive unternommen, waren oft wochenlang unterwegs gewesen und hatten von den spärlichen Vorräten oder von der Jagd gelebt.

Beide Männer waren bewaffnet.

Das hatte seinen Grund.

Während der letzten drei Tage waren zwei Dorfbewohner außerhalb der Ortschaft spurlos verschwunden.

Ein eisiger Wind war über das Hochplateau gefegt. Die Sonne hatte die tief hängenden Wolken nicht auseinandertreiben können. Seit Wochen schon war es nicht mehr richtig hell geworden.

Der Tag heute unterschied sich in nichts von den vorangegangenen.

Der Wind pfiff, der Schnee wurde emporgewirbelt und in ihr Gesicht geschleudert. Die beiden Freunde, die dicke Mäntel und Pelzmützen trugen, stemmten sich gegen die sturmartigen Böen.

Dicht an dicht klebten winzige Eiskristalle auf den Augenbrauen und an den Mundtüchern, die sie sich umgebunden hatten.

Dann endlich befanden sie sich im Windschatten einer Felswand. Von hier aus waren es nur noch wenige hundert Meter bis zu der Hütte.

Die Hütte gehörte einem Einsiedler, der von Zeit zu Zeit in das Dorf kam.

Die Männer und Frauen dort verehrten den weisen, einsam lebenden Mann. Ihn wollten sie um Rat fragen.

Man erzählte sich von ihm, dass er einmal einem Yeti begegnet sei und mit ihm Freundschaft geschlossen habe.

Und um die Yeti, die legendären Schneemenschen, ging es auch Lao To und Yan Shi, die durch den knöcheltiefen Schnee stapften.

Im Dorf vermutete man, dass ein Yeti die beiden Bewohner angegriffen und mit sich geschleppt hatte. Spuren im Schnee ließen diesen Schluss zu.

Die beiden Verschwundenen mussten sich bis zuletzt gewehrt haben.

Aus dem Dorf waren mehrere Suchtrupps unterwegs, doch soweit nach Westen, wie Lao und Yan sich gewagt hatten, war bis jetzt keiner vorgedrungen.

Vielleicht konnte ihnen Khsina, der Einsiedler, weiterhelfen.

Schemenhaft erkannten sie die Umrisse der Hütte. Sie eilten darauf zu. Der Wind erreichte dieses geschützt liegende Plateau nicht mehr.

Unendliche Stille und Einsamkeit hüllte die beiden Chinesen ein. Hier oben lebte kein Vogel, hier wuchs kein Baum, kein Strauch. Die Einsamkeit war erdrückend.

Yan erreichte die Hütte zuerst. Er klopfte kurz an und drückte dann sofort die schwere, massive Holztür nach innen, ohne eine Reaktion des Bewohners der Hütte abzuwarten.

Er trat jedoch nicht ein, sondern blieb auf der Stelle wie angewurzelt stehen. Das Grauen packte ihn.

Khsina hätte überhaupt keine Antwort mehr auf das Anklopfen geben können.

Sein Skelett lehnte an der Bretterwand der Hütte, in der es eiskalt war. Das Feuer in dem kleinen Ofen war schon lange erloschen. Die Luft im Innern der rußgeschwärzten Bretterbude war stickig.

„Das gibt es nicht!“, entfuhr es Lao To. „Khsina! Vor drei Wochen war er noch im Dorf!“

Es war natürlich, dass ein Mensch von einer Minute zur anderen starb. Wenn Khsina vor drei Wochen hierher zurückgekehrt war, hatte es ohne weiteres passieren können, dass er unmittelbar danach gestorben war. Niemand konnte ihm helfen.

Aber selbst wenn Khsina seit drei Wochen tot war, stimmte etwas nicht.

Innerhalb von drei Wochen konnte ein Körper nicht zum Skelett werden!

Was war hier geschehen?

Atemlos durchsuchten die beiden Männer die einfache Hütte. Ein Stuhl lag umgekippt neben dem klobigen Tisch, von einem selbstgezimmerten Regal an der Wand waren alte, zerlesene Bücher und Blechnäpfe gefallen, als wäre jemand dagegen gestoßen.

Hatte sich hier in der Hütte ein Kampf abgespielt?

Unruhe und Angst erfüllten Lao To und Yan Shi. Sie konnten ihre aufgewühlten Gedanken nicht unter Kontrolle bringen.

Immer wieder streifte Yans Blick das Skelett, und wie unter einem Bann ging er schließlich ganz dicht an den Knochenmann heran und streckte die Hand nach ihm aus, als müsse er sich vergewissern, dass dies wirklich das Knochengerüst von Khsina war und nicht eine Nachbildung aus Plastik.

Er fuhr zusammen und gab einen grellen Schrei von sich.

„Lao!“, brüllte er, kalkweiß zwei Schritte zurückweichend.

„Yan? Was ist los?“

„Das Skelett …“ Yan Shi schluckte. Seine Stimme versagte ihm den Dienst.

„Es hat sich … bewegt, Lao, es ist noch warm!“

Modung war eine kleine, typisch chinesische Stadt im äußersten Grenzgebiet von Tibet.

Hier, in einer Höhe von etwas mehr als zweitausend Metern, spielte sich das gleiche hektische und vielseitige Leben ab wie in Peking.

Von dort waren sie gekommen, nachdem sie mit höchsten Regierungsbeamten gesprochen hatten.

Larry Brent, Su Hang, Chang Li und Hso Loa, ein PSA-Mittelsmann, der dem legendären Dr. Tschang Fu und seiner Sekte der Rote Drachen auf die Spur gekommen war, hielten sich seit zwei Tagen in Modung auf.

Die erste Begegnung mit Tschang Fu und seinen unheimlichen Kräften war nicht gerade ruhmreich verlaufen. Larry und seine Freunde waren froh, dass sie mit einem blauen Auge davongekommen waren.

Die Begegnung mit Tschang Fu hatte bewiesen, dass hier, im größten Land der Erde, eine Gefahr wuchs, die auch die Chinesen fürchteten, und sie hatten den Wunsch geäußert, dass Larry zunächst hierbleiben sollte.

Alle Türen und Informationen standen ihnen offen.

Nach den kräftezehrenden Ereignissen auf dem Hochplateau{1} waren Larry Brent und sein Team einige Tage in Peking unter Beobachtung gestellt worden und dann, bei den beginnenden Untersuchungen, noch mal an dem geheim gehaltenen Ort zurückgekehrt. X-RAY-3 hatte gehofft, dass bei den Aufräumungsarbeiten noch das eine oder andere an den Tag befördert würde, das die Rätsel um die geheimnisvolle Person des Dr. Tschang Fu ein wenig aufklärte.

Doch die Katastrophe hatte einen Teil des Berges ins Rutschen gebracht und Kammern und Hallen, in denen Tschang Fu eine offensichtlich außerirdische Technik erforscht und genutzt hatte, mit Erdmassen bedeckt.

Tschang Fu war entkommen. Daran gab es für Larry und seine Freunde nicht den geringsten Zweifel.

Wie viel und welche Unterlagen und Hilfsmittel er in seinem Drachenschiff beiseite geschafft hatte, entzog sich ihrer Kenntnis.

Tschang Fu war ein Phänomen. Ein unheimliches Phänomen! Vor Generationen schon hatte er gelebt. Wie viele Male er bereits sein Leben erneuert hatte, wusste kein Mensch. Die meisten hielten die Person Tschang Fus für eine Legende.

Aber dass sie das nicht war, bewiesen die Vorgänge auf dem Hochplateau und das Interesse, das höchste Regierungsstellen Larrys Anwesenheit entgegenbrachten.

Durch die Vermittlung eines hohen Beamten war die Reise nach Modung zustande gekommen. Die Anwesenheit in Modung galt nicht nur der Erholung und Entspannung nach den aufregenden Abenteuern. Hier in Modung war eine Begegnung mit dem Professor Wan Shong vorgesehen, der in Modung lebte und als einer der besten Kenner der chinesischen Kultur galt.

Seit mehr als drei Jahrzehnten befasste er sich mit der Deutung sowohl veröffentlichter als auch unveröffentlichter Legenden und Sagen.

Am Abend des zweiten Tages war es soweit.

Larry, Su Hang und Chang Li wurden von Shong erwartet. Hso Loa war nicht mehr von der Partie.

Er befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Flug nach Hongkong, wo er mit einem anderen PSA-Vertrauten zusammentreffen und die Vorfälle um Tschang Fu, die sich bis nach Hongkong und selbst nach Europa herumgesprochen hatten, durchleuchten wollte.

X-RAY-3, der zusätzlich seine geheime Rolle als X-RAY-1 zu spielen hatte, war auf jeden noch so gering erscheinenden Hinweis angewiesen.

Die Begegnung mit Wan Shong würde darüber entscheiden, ob er nur noch kurze oder längere Zeit in China bleiben würde.

Wan Shong war ein großer, hagerer Mann mit glatter, rosiger Gesichtshaut, wie man sie selten bei einem Chinesen findet.

Er trug ein blaues Seidengewand, das seine Gestalt noch zu strecken schien. Sein weißer dünner Bart kündete davon, dass er älter war, als seine Haltung, seine Gestik und Sprache, und, vor allem sein Gesicht, verrieten.

Dünnes weißes Haar bedeckte den Kopf.

Shong war einundsechzig. Man schätzte ihn auf Anhieb zwanzig Jahre jünger.

Mit zweiundzwanzig hatte er seinen Professor gemacht, reiste seither als Archäologe und Kulturhistoriker durch das ganze Land, und es gab keine Provinz, keine größere Stadt, in der er nicht wenigstens einmal gewesen war.

Vor fünf Jahren entschloss er sich, in Modung ein Haus zu beziehen. Sein Schüler Honan folgte ihm und lebte seit jener Zeit in der gleichen Stadt, nur wenige Häuser entfernt.

Was Wang Shong bewogen hatte, als über Fünfzigjähriger noch mal die Strapazen eines Umzugs auf sich zu nehmen, schilderte er in seiner eigenen, humorvollen Art.

„Sie dürfen nicht denken, dass ich vor meiner Schwiegermutter oder einer zänkischen Frau floh. Frauen haben zwar eine große Rolle in meinem Leben gespielt, doch ich habe nie geheiratet. Ich wusste, dass ich meine Frau ständig betrügen würde. Nicht mit einer anderen … mit meinem Beruf! Voller Unruhe zog ich durch das ganze Land. Überall habe ich versucht, alte Schriften aufzutreiben, und habe mir Geschichten erzählen lassen. Tschang Fu und die Besucher aus dem Weltraum erscheinen in diesen Geschichten in tausend Variationen. Für mich gibt es keinen Zweifel, dass Tschang Fu existierte … und dass er noch immer – oder schon wieder – existiert. Er selbst hat es vor über vierhundert Jahren angekündigt …“

Sie saßen um einen ovalen Tisch. Vor ihnen standen Gläser mit warmem Reiswein, auf bunt lackierten Schalen lagen chinesische Leckereien, die den Appetit auf das Essen anregten, das später serviert wurde.

Verlockende Düfte schwebten durch das Haus.

„Ich weigere mich nicht mal, zu glauben, dass er bereits im zwölften Jahrhundert lebte, als die Heere Dschingis Khans durch das Land zogen“, fuhr er fort. Er wirkte jetzt wesentlich ernster. „Aus anderen Berichten wissen wir bereits, dass die Erde vor unendlich langer Zeit von Fremden aus dem Weltall besucht wurde. Es gibt Zeugnisse davon überall in der Welt. Die Menschheit hat begonnen, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Es wird der Tag kommen, da wird man sich auch an den Gedanken gewöhnen müssen, dass es einen Menschen wie Tschang Fu gibt. Ob er die Bezeichnung Mensch allerdings verdient, bezweifle ich. Tschang Fu ist eine Bestie in Menschengestalt. Er hat ein krankes Hirn, einen kranken Geist. Er denkt … wie die Fremden denken mochten, denen er begegnete.“

Zwischen Larrys Augen bildete sich eine steile Falte. „Damit stellen Sie die Behauptung auf, dass die Fremden, die die Erde einst besuchten, einen schlechten Einfluss auf die Entwicklung unserer Art genommen haben? Damit schränken Sie zugleich die freie Entwicklung ein, die wir angeblich hinter uns haben …“

Shong schüttelte sachte den Kopf. „Auf den ersten Blick mag dies so scheinen, Mister Brent. Ich spreche von einem ganz bestimmten Besuch. Es gab deren mehrere. Nach Tschang Fu … und lange Zeit vor ihm. Wie es verschiedene Erdvölker gibt, existieren bestimmt mehrere Rassen, die die Erde entdeckten. Sie interessierten sich möglicherweise für diesen Planeten und vergaßen ihn dann wieder. Das eine oder andere Ereignis mag dazu geführt haben, dass sich Menschen von den Sternen mit Menschen der Erde paarten, dass Einflüsse von den Fremden zurückblieben, dass wir sie mit in unsere Entwicklung übernommen haben, ohne darüber Kenntnis zu besitzen.“

Seine Blicke ruhten immer wieder auf Su Hang, die ihm zu gefallen schien. „Ich gehe davon aus, dass es verschiedene Besucher gab, die verschiedene Interessen und Absichten verfolgten. Märchen und Sagen müssen irgendwann und irgendwo ihren Ursprung gehabt haben, und über Jahrtausende hinweg wurden die Berichte weitergegeben, mit anderen Erlebnissen angereichert, gekürzt und verändert. Aber einen wahren Kern haben alle diese Geschichten“, sagte er und kam damit plötzlich auf sein Lieblingsthema zu sprechen. „Dreißig Jahre lang schon bemühe ich mich, den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten zu erforschen, Vergleiche anzustellen und andere Berichte einzuholen, die andere Völker sich erzählt oder niedergeschrieben haben. Und dabei bin ich auf eine merkwürdige Tatsache gestoßen. Seit ich davon weiß, lässt sie mir keine Ruhe mehr. Diese Tatsache ist auch schuld daran, dass ich seit fünf Jahren hier in Modung bin. Denn in den Bergen unweit dieser Stadt müsste sich jene Stelle befinden, die mit dem Punkt übereinstimmt, wo seine Wiege einst stand.“

„Wessen Wiege?“, fragte Su Hang leise.

„Die Wiege Chi Chons.“

„Chi Chon?“ Su stutzte. Der Name war ihr nicht unbekannt. Alles, was mit der frühen Geschichte und Kultur ihres Volkes zusammenhing, interessierte sie. Besonders die versunkenen Kulturen. „Als wir Kinder waren, hat man uns mit Chi Chon Angst eingeflößt. Es hieß: Wenn es dunkel wird, komm rein ins Haus. Chi Chon ist unterwegs … Chi Chon wird dich fressen, wenn du ungehorsam bist …“

„Buhmänner gibt’s bei allen Völkern.“ Larry griff nach der Porzellanschale mit dem Reiswein. „Wenn Eltern nicht mehr weiter wissen, um die lieben Kleinen ins Bett oder zum Essen zu zwingen, wird mit dem Buhmann gedroht.“

Wan Shong nickte. „Chi Chon ist so ein Buhmann, richtig. In tausend Verkleidungen und Masken taucht er auf. In dieser Gegend muss Chi Chon – unbestätigten Berichten zufolge – mal besonders gewütet haben. Ich habe auch Hinweise in Büchern, die heute niemand mehr kennt, gefunden, wonach eine Schreckensgestalt andere Teile der Welt bedroht hat. Erstaunlicherweise haben sich dann immer auch die Meldungen verstärkt, wonach seltsame Flugkörper und Lichterscheinungen am Himmel registriert wurden. In einem alten Buch aus Europa habe ich ein Wesen namens Mortus ausfindig gemacht. Wir würden das etwa mit der denTod bringt übersetzen. Chi Chon ist sein Ebenbild. Er hat übrigens einen Beinamen: Er ist der,der Licht und Leben in sich saugt und der keinen Herrn außer dem über sich duldet, der ihnzurückholt! Das gibt mir zu denken. Mortus … ist eine Macht. Ich habe seine Ankunft auf dieser Welt vor etwa einer Million Jahren datiert. Eine ungeheuerliche Zeitspanne, ich weiß … Sie mögen sich fragen, wie kann etwas, das so alt ist, wiederkommen? Ich möchte die Gegenfrage stellen: Warum kann etwas, das so alt ist, nicht wiederkommen? Was wissen wir von den Kräften und Möglichkeiten, von Wesen und Mächten, die wir nicht kennen, die wir nie gesehen haben? Tschang Fu … kommt in über zwölftausend Geschichten zum Ausdruck, die ich analysiert habe. Da wir annehmen, dass niemand anders als Tschang Fu die Pestgärten schuf, um seine Wiederkunft zu demonstrieren, müssen wir auch davon ausgehen, dass er alle Möglichkeiten ausschöpfen wird, seine Macht auszubauen und seine Herrschaft des Schreckens zu errichten. Niemand weiß, wo Tschang Fu sich momentan aufhält. Sein Fluchtweg konnte nicht rekonstruiert werden. Wir sind auf Vermutungen angewiesen, meine Dame … meine Herren“, er fasste jeden einzelnen scharf ins Auge. „Darf ich Ihnen meine Vermutung sagen?“

„Wir bitten sogar darum“, sagte Larry leise.

„Auch auf die Gefahr hin, dass Sie dann keinen Appetit mehr haben?“ In seinen Augen blitzte wieder der Schalk.

„Vielleicht tun Sie’s gerade deswegen“, bemerkte der PSA-Agent. „Vielleicht hat die Köchin etwas anbrennen lassen, und jetzt reicht’s nicht mehr für alle …“

Wan Shong lachte. Dieser Spaß gefiel ihm. „So einfach ist es nicht. Leider! Tschang Fu ist eine Tatsache, Mortus ist eine. Zwei kommen zusammen. Einer kann der Herr des anderen sein. Ich erwähnte vorhin, dass ich Modung aufgesucht habe, weil ich hier irgendwo in den Bergen den Ort zu finden hoffte, an dem Mortus’ Grabstätte liegt. Eine Grabstätte auf Zeit. Eine Grabstätte und Wiege zugleich. Einer kann den Unheimlichen wieder zurückholen, von dem wir so viel – und doch wiederum gar nichts – wissen. Mortus erkennt den Herrn an, der ihn zurückholt. Vor drei Tagen habe ich zum ersten Mal ein Leuchten am nächtlichen Himmel, in südwestlicher Richtung, entdeckt, für das ich keine wissenschaftliche Erklärung habe. In den zwei darauffolgenden Nächten trat es erneut auf. Letzte Nacht blieb es überraschenderweise aus. Vielleicht kommt es heute Nacht wieder … oder auch nicht. Ich vermag es nicht zu sagen. Ich weiß nur eines: Es heißt, dass dort, wo Tschang Fu seine Hände im Spiel hat, rätselhafte Lichterscheinungen auftreten. Tschang Fu nutzt die ursprüngliche Energie, die wir erst zu entdecken anfangen. Und wie alle großen Verbrecher missbraucht er sie für seine Zwecke. Möglicherweise dazu, Mortus zurückzuholen.“

Während sie aßen, herrschte betretenes Schweigen.

Jeder hing seinen Gedanken nach.

Was Wan Shong da angedeutet hatte, schlug dem Fass den Boden aus.

Doch keiner der Freunde hatte einen Grund, an den Ausführungen des weisen Mannes zu zweifeln. Sie selbst hatten erlebt, was an Ungeheuerlichem kaum zu überbieten war.

Es wurde dunkel, und im Hause Shong wurden zahlreiche Kerzen angezündet. Anheimelnder Schein erfüllte die Räume.

„Ich liebe das offene Licht“, murmelte Wang Shong. „Es spendet Wärme und lässt uns den Zauber einer vergangenen Zeit empfinden … Elektrizität ist kalt. Aber wir brauchen sie …“

Sie standen am Fenster des in exklusiver Wohngegend liegenden Hauses, das einer Pagode ähnelte und in dem alle Räume auf einer Ebene lagen.

Wang Shong blickte Richtung Westen. Hoch und majestätisch, mit dem sich verdunkelnden Himmel eins werdend, erhoben sich die gewaltigen Felsmassive des Himalajas hinter der Stadt.

Die Luft hier, in zweitausend Metern Höhe, war dünn und kühl.

Larry folgte dem Blick des Chinesen.

„Sie warten auf … das Leuchten?“, fragte er.

„Ja … und nein, Mister Brent. Ich hoffe, dass es kommt, um Ihnen damit zu beweisen, dass meine Theorie wie ein Räderwerk ineinandergreift. Und ich wünsche mir gleichzeitig, dass es nicht wieder auftritt, und dass ich mich getäuscht habe. Die Gefühle, die ich empfinde, liegen im Kampf miteinander.“

Er wollte dem noch etwas hinzufügen. Doch er wurde daran gehindert.

Das Telefon klingelte.

Die Köchin, die gleichzeitig die Rolle des Hausmädchens innehatte, hob ab, tauchte dann an der Tür zum angrenzenden Raum auf und gab Shong mit unauffälliger Geste zu verstehen, dass man ihn zu sprechen wünsche.

Der Professor entschuldigte sich bei seinen Gästen und nahm das Gespräch entgegen.

Seine Miene wurde ernst. Er hörte nur einen Augenblick lang zu, nickte dann, legte auf und kehrte zurück.