Larry Brent Classic 089: Die Skelettfratze - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 089: Die Skelettfratze E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Eine Sekte steht im Verdacht, Menschen zu töten. Die PSA entdeckt einen Zusammenhang zu dem Wissenschaftler Dr. Tschang Fu.

Das E-Book Larry Brent Classic 089: Die Skelettfratze wird angeboten von BLITZ-Verlag und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Larry Brent, Dan Shocker, PSA, Grusel, Romanheft, Jürgen Grasmück, Horror, Mystery

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Band 89

Dan Shocker

Die Skelettfratze

Erscheinungstermine von „Die Skelettfratze“

05.10.1976 als Silber Grusel-Krimi Nr. 126

© 2016 BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: Ralph Kretschmann

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Druck und Bindung: CPI, Clausen & Bosse, Leck

Alle Rechte vorbehalten

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-889-1 (epub)

Joan Bannister konnte kein Auge schließen. Sie wusste, dass es in dieser Nacht passieren würde. Clyde benahm sich seit Tagen schon so merkwürdig. Er selbst merkte das vielleicht nicht mal so sehr. Aber sie kannte ihren Sohn gut genug, um zu wissen, wann ihn der Schuh drückte.

In dem großen, luxuriös eingerichteten Haus im besten Wohnviertel der Stadt herrschte bis auf das gleichmäßige Ticken der alten Uhr, die unten im Wohnzimmer auf dem Kaminsims stand, völlige Ruhe. Joan Bannister fuhr sich über die schön geschwungenen Lippen und zog mit ihrem Zeigefinger die Konturen ihres Mundes nach. Das tat sie immer dann, wenn sie nervös war.

Ständig blickte sie auf das Leuchtzifferblatt des elektrischen Weckers, der geräuschlos ging und auf dem die Zeiger in wenigen Minuten auf ein Uhr nachts standen.

Plötzlich vernahm sie das Geräusch. Ganz leise klappte eine Tür ins Schloss. Die Frau hielt den Atem an.

Die leisen Schritte auf dem dicken Teppichboden waren mehr zu ahnen als zu hören.

Sie konnte sich denken, dass Clyde jetzt in etwa auf Höhe der Treppe sein musste.

Da richtete sie sich vollends auf und stieg langsam aus dem Bett. Nur mit einem halb durchsichtigen Nachthemd bekleidet, huschte die fünfundvierzigjährige Fabrikantenwitwe durch das dämmrige Zimmer.

Lauschend blieb sie hinter der Tür stehen.

Sie atmete tief durch und bückte sich dann, um einen Blick durch das Schlüsselloch zu werfen.

Draußen vor der Tür war es finster. Das hätte sie sich denken können. Clyde brauchte kein Licht, um sich im Haus zurechtzufinden.

Joan Bannister ließ noch eine Minute verstreichen, drückte dann die Klinke herab und zog die Tür langsam und geräuschlos nach innen.

Die Frau wollte alles wissen: Was hatte er bei sich, wie war ihr Sohn gekleidet, wie würde er sich verhalten, wenn sie ihn ansprach?

Plötzlich schrie sie markerschütternd auf.

Joan Bannister meinte, den Verstand verlieren zu müssen.

„Neeiiin!“

Ihr Entsetzensschrei hallte durch das stille, dunkle Haus.

Die Gestalt auf dem Treppenvorsatz … das war nicht ihr Sohn Clyde! Ein unheimliches Wesen starrte sie aus gruftdunklen Augen an.

Es war ein riesiger, mannsgroßer Totenschädel, eine Skelettfratze, die auf kräftig entwickelten Knochenarmen lief und sich der zitternden Frau mit einem gewaltigen Satz näherte.

Namenloses Grauen schnürte ihr die Kehle zu, und Joan Bannister war zu einem weiteren Aufschrei nicht mehr imstande.

Ihr Körper wurde blitzartig eiskalt, als ob ein eisiger Hauch sie berührte. Sie merkte, dass die Beine den Dienst versagten.

Sie wollte nicht fallen!

„Mutter!“

Am anderen Ende des Korridors wurde die Tür aufgerissen. Heller Lichtschein aus dem Zimmer fiel in den Flur und beleuchtete die Szene, die sich dort abspielte.

„Clyde?“, murmelte Joan Bannister mit heiserer Stimme.

Ihr Sohn, nur mit einem Pyjama bekleidet, stürzte aus dem Zimmer, lief auf sie zu und fing sie auf, ehe sie vollends kraftlos und verkrampft zu Boden stürzte.

Der Schreck ließ sie wie gelähmt erscheinen.

Clyde Bannister, zweiundzwanzig, kräftig entwickelt, trug seine Mutter ins Zimmer auf das Bett.

Besorgt fragte er: „Was ist los mit dir? Hast du schlecht geträumt? Ist dir nicht gut? Warum hast du so geschrien?“

„Da … war jemand, Clyde …“ Die Frau erschrak vor ihrer eigenen Stimme, die so schwach und kraftlos über ihre Lippen kam. „Hast du … ihn auch gesehen?“ Mit ungeheurer Willensanstrengung brachte sie es fertig, sich auf der Schwelle zur Bewusstlosigkeit zurück zu reißen.

„Da war jemand? Ich habe niemanden gesehen, Mutter.“

Es kam ihr so vor, als spräche er zu gefasst, zu kühl, als halte er das Ganze für ein Theater.

„Du bist krank, Mutter, ich werde einen Arzt holen.“

„Nein, bitte nicht … keinen Arzt … es geht mir schon wieder besser. Der erste Schreck … ist schon bereits vorüber.“

Ihr Atem beruhigte sich wieder, ihr Herz schlug ruhiger, das Zittern ihrer Hände ließ nach.

„Du musst einen Albtraum gehabt haben, Mutter …“

„Es war ein Albtraum, ja. Aber einer, der Wirklichkeit war, Clyde! Er stand vor der Tür … ich habe ihn ganz deutlich gesehen.“

„Wen hast du gesehen, Mutter?“

Sie befeuchtete die Lippen. Ihr Gesicht war totenbleich, so dass das kastanienrote Haar noch schärfer abstach. „Ein Skelett, Clyde … nein, kein Skelett … eigentlich nur einen riesigen Kopf, der auf zwei Armen lief!“

Sie wandte den Blick nicht von ihm.

Clyde Bannister blieb ruhig und gefasst und ließ sich nichts anmerken. „So etwas gibt es nicht, Mutter.“

„Nein, so etwas gibt es nicht … das habe ich mir auch gesagt.“

„Du musst diesen Traum vergessen …“

„Da war wirklich etwas, Clyde.“

„Wenn es dich beruhigt, werde ich nachsehen.“

„Ja, bitte, tu das. Aber sei vorsichtig.“

„Vor einem Skelett habe ich keine Angst, Mutter. Einbrecher und Mörder sind eine reale Gefahr. Und da das Haus von einer hervorragenden Alarmanlage gesichert ist, dürfte es Angehörigen dieser Zunft etwas schwerfallen, hier einzudringen. Außerdem laufen draußen im Garten zwei scharfe Schäferhunde herum, die das leiseste Geräusch melden. Hier im Haus sind wir völlig sicher.“

Die Fünfundvierzigjährige nickte und musste ihm im stillen Recht geben.

Clyde ließ sie nach einigen Minuten allein. Er schaltete sämtliche Lichter im Gebäude und außerhalb des Hauses an und sah in sämtlichen Räumen nach.

Nach einer Viertelstunde kam er wieder zurück.

Joan Bannister hatte inzwischen den Schreck so weit überwunden, dass sie sich wieder bewegen konnte und nicht mehr starr vor Angst war wie vorhin.

Sie begann sich bereits zu fragen, ob sie nicht wirklich geträumt hatte oder ob das Ereignis nicht eine Halluzination war, zurückzuführen auf ihre Nervosität, unter der sie seit Tagen litt.

Sie war sichtlich froh, als Clyde wieder auftauchte und ihr Gesellschaft leistete. Im Gespräch mit ihm verlor sich mehr und mehr die Anspannung.

Schließlich nahm sie wie früher seine Hände in die ihren und meinte: „Ich mache mir Sorgen um dich, Clyde.“

„Weshalb, Mutter?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht eindeutig begründen. Es ist so ein Gefühl. Als du noch klein warst und etwas ausgefressen hattest, sah man dir das an. Wenn du irgendetwas vorhattest, dann merkte ich das, obwohl du kein Wort über irgendwelche Pläne verlauten ließest. So ist das auch jetzt noch. Du kannst dich noch so gut verstellen, wie du glaubst. Mir kannst du aber nichts vormachen. Clyde, hast du Sorgen?“

„Nein.“

„Hast du Schulden?“

„Nein. Weshalb sollte ich? Die Firma wirft genug ab. Mir reicht das Geld, das mir zur Verfügung steht.“

„Du weißt, dass du jederzeit mehr Geld haben kannst, wenn du welches brauchst.“

„Ja, ja, ich weiß …“ Seine Stimme klang belegt und kühl, als wäre es ihm unangenehm, dass seine Mutter ausgerechnet jetzt das Gespräch auf diese Dinge brachte.

„Hast du Schwierigkeiten mit einem Mädchen?“

„Nein.“

„Aber irgendetwas hast du doch. Du bist anders als sonst. Warum vertraust du dich mir nicht an, Clyde?“

„Ich habe nichts, Mutter.“ Er erhob sich. „Ich habe keine Probleme, ich bin glücklich und zufrieden hier, mir geht es gut.“

„Du redest, als ob das alles eine Last für dich bedeutet.“

„Eines Tages, wenn du gestorben bist, werde ich die ganze Firma erben … und dann wird es mir noch besser gehen. Was will ich mehr? Und nun möchte ich gern wieder weiterschlafen. Ich bin sehr müde. Brauchst du noch etwas?“

Sie schüttelte den Kopf. „Clyde“, sagte sie dann unvermittelt.

„Ja.“

„Ich kann mir denken, was jetzt in deinem Kopf vorgeht. Du denkst sicher, ich hätte das alles hier veranstaltet, um dich aus dem Bett zu holen und um einen Vorwand zu haben, mit dir zu sprechen. So war es nicht, Clyde! Bitte, glaub mir das! Ich habe wirklich die Skelettfratze gesehen, zumindest glaube ich, dass ich sie sah. Du musst mir das glauben, Clyde!“

Er sagte nichts.

Sie schluckte. „Bitte, sag, dass du mir glaubst.“

„Ich möchte dir gern glauben, Mutter. Aber es fällt mir sehr schwer. Zumindest möchte ich dir glauben, dass du glaubst, etwas gesehen zu haben. In diesem Fall solltest du unbedingt Dr. Gerlick aufsuchen und dich ihm anvertrauen …“

Er nickte ihr noch zu, murmelte ein leises „Schlaf gut“, und zog dann die Tür hinter sich ins Schloss.

Sie fiel in einen unruhigen und traumlosen Schlaf, und als sie die Augen aufschlug, schien die Sonne hell durchs Fenster.

Geschirr klapperte leise in der Ferne. Jemand rumorte im Haus.

„Peggy!“, entfuhr es Joan Bannister.

Das Hausmädchen war schon da. Sie besaß einen Schlüssel für das Haus; für den Fall, dass Joan mal später aufstand oder nicht im Haus war, sollte Peggy jederzeit Einlass finden.

Peggy besaß ihr volles Vertrauen und diente der Familie schon über zehn Jahre. Was Joan Bannister nicht mochte, war die Gemeinschaft mit Hausangestellten unter einem Dach. Sie fühlte sich dann ständig beobachtet, nicht frei.

Die Fabrikantenwitwe fuhr sich durch die Haare und griff mechanisch nach einem kleinen vergoldeten Handspiegel, der auf dem Nachttisch lag, und betrachte sich darin.

„Ich sehe ja fürchterlich aus“, sagte sie erschrocken im Selbstgespräch.

Ihre Haut war weiß und teigig, die Augen waren verquollen.

Sie musste sehr schlecht geschlafen und noch schlechter geträumt haben.

Sofort stand alles wieder vor ihr. Die unheimliche Erscheinung draußen vor der Tür … ihre Reaktionen, ihre Unfähigkeit, irgendetwas zu unternehmen … Clydes Auftauchen, das Gespräch mit ihm.

Alles – ein Traum?

Sie warf die Decke zurück, als unten vor dem Haus ein Auto vorfuhr. Im gleichen Augenblick begannen die Hunde zu bellen.

Peggy ging zur Tür und rief die Tiere mit befehlender Stimme zurück. Gleich darauf vernahm sie zwei Stimmen: Die eine gehörte Peggy, die andere einem Mann.

„… dann kommen Sie rein, Sheriff. Ich werde Mrs. Bannister Bescheid sagen. Sie ist noch oben … ja …“

Joan Bannister warf rasch einen mechanischen Blick auf den Wecker. Wenige Minuten vor neun.

Sheriff Routon war im Haus? Was wollte der hier? Um diese Zeit?

Sofort war die Unruhe wieder da.

Warum war Clyde noch nicht unten? Schlief er ebenfalls noch?

Direkt neben dem Schlafzimmer befand sich das große, elegant eingerichtete Bad. Sämtliche Armaturen waren vergoldet.

Joan Bannister fuhr sich kurz mit Kamm und Bürste durch das Haar, machte sich rasch frisch und schlüpfte dann in den seidigen Hausmantel.

Die Witwe trat in dem Augenblick hinaus, als Peggy die Stufen hochkam.

„Good Morning, Mrs. Bannister!“

„Morning, Peggy.“

„Es ist Besuch da. Sheriff Routon möchte Sie gern sprechen. Ich wollte Ihnen gerade Bescheid geben.“

„Schon gut, Peggy. Ich habe ihn kommen hören.“ Ihre Stimme klang belegt.

Besorgt sah sie das Hausmädchen, das nur wenige Jahre jünger war als sie, an. „Ist Ihnen nicht gut, Mrs Bannister?“, fragte sie leise.

„Ich habe schlecht geschlafen, Peggy. Bereiten Sie den Kaffee vor. Eine Tasse davon wird mich wieder auf die Beine bringen. Ist Clyde schon unten?“

„Nein, ich habe ihn heute Morgen noch nicht gesehen. Soll ich ihn wecken?“

„Nein, nicht nötig. Ich erinnere mich jetzt, dass er mir gesagt hat, er wolle heute etwas länger schlafen.“

Joan Bannister ging langsam die Treppe nach unten, wobei der nur dreiviertel zugeknöpfte Hausmantel bei jedem Schritt aufsprang und einen Teil ihres Beines über dem Knie freigab. Sie hatte lange, wohlgeformte Beine, und Kenneth Routon, der unten in der Halle auf sie wartete, riskierte einen unbemerkten Blick, während er sich scheinbar umständlich eine Zigarre anzündete.

Joan Bannister konnte sich Routon nur mit einer Zigarre im Mund vorstellen. Und die war dann meistens noch erloschen. Der Sheriff redete viel und oft, und so vergaß er, an seiner Zigarre zu ziehen.

„Wenn der Gesetzeshüter dieser wilden Stadt schon so früh und dann noch unangemeldet auftaucht, dann hat das meistens nichts Gutes zu bedeuten“, fügte Joan Bannister ihrer Begrüßung an. Sie ging auf Routon zu, reichte ihm die Hand und bot dem Sheriff unterhalb der Galerie einen Platz an. Hier war eine gemütliche Raucherecke eingerichtet, und Joan Bannister zupfte sich eine Zigarette aus dem Spender. Kenneth Routon, zweiundfünfzig, ein grobknochiger, kräftiger Mann mit schütterem Haar und Sommersprossen im Gesicht und auf den Handrücken, reichte ihr Feuer.

„Danke!“ Joan Bannister lehnte sich in den bequemen, hochlehnigen Sessel zurück und schlug die langen, makellos glatten Beine übereinander. „Was haben Sie auf dem Herzen. Ken? Müssen Sie mir einen Strafzettel verpassen? Bin ich wieder mal zu schnell gefahren … oder hab ich bei Rot die Kreuzung überquert? Oder kommen Sie, um mich vor dem Gerichtsvollzieher zu warnen? Müssen Sie nicht, Ken! Die Gewerbesteuer ging gestern hier raus. Wenn jeder so pünktlich seine Steuern bezahlt, kann unser Staat zufrieden sein …“

„Joan“, sagte Routon mit seiner dunklen Stimme.

Die Frau richtet sich kerzengerade im Sessel auf.

„Ist … Ihr Sohn zu Hause?“

„Nun, ich denke doch. Heute Nacht jedenfalls habe ich noch mit ihm gesprochen. Und bis jetzt gibt es keine Anzeichen dafür, dass er sehr früh aufgestanden ist. Clyde ist ein Langschläfer. Warum fragen Sie danach? Haben Sie einen bestimmten Grund?“

„Natürlich. Die Antwort auf diese Frage entscheidet, wie wir vorgehen müssen. Ist er zu Hause, dann wurde sein Wagen gestohlen. Ist er nicht zu Hause, dann kann er möglicherweise einen Unfall gehabt haben. Vorhin traf ein Funkschreiben meines Kollegen aus Brakefield ein. Das ist ein kleiner Ort in Colorado. Rund hundertachtzig Meilen von hier. Dort hat man seinen Wagen gefunden. Verlassen. Es ist Clydes Fahrzeug.“

„Ausgeschlossen! Was sollte Clyde hundertachtzig Meilen von hier entfernt in Colorado?“

Routon zuckte die Achseln. „Um das zu klären, bin ich hier.“

„Clydes Wagen steht unten in der Garage. Ihr Kollege hat sich geirrt.“

Der Sheriff zog ein kleines, ledergebundenes Notizbuch aus seiner Tasche. Er verlas die Zulassungsnummer.

„Es ist Clydes Nummer, ja“, musste Joan Bannister ihm dies bestätigen. „Dann wurde der Wagen gestohlen! Natürlich … heute Nacht, da haben wir doch beide etwas gehört …“

„Was habt ihr gehört, Joan?“

Sie konnte ihm nicht das sagen, was sie wirklich gehört hatte. Also nahm sie es mit der Wahrheit nicht so genau.

„Ein Geräusch. Aber da die Hunde nicht anschlugen, nahmen wir das beide nicht so ernst. Da muss jemand an der Garage gewesen sein, Ken.“

„Ich habe sie mir vorhin, als ich kam, genau angesehen. Die Garage ist verschlossen.“

Es handelte sich um eine Doppelgarage. Tür, Schloss und Fenster waren unversehrt. Joan konnte sich selbst davon überzeugen.

Sie schloss das Garagentor auf. Innen stand nur ein weißer Chevrolet. Clydes dunkelroter Flitzer – ein zweisitziger Jaguar – war verschwunden.

Joan Bannister merkte, wie sich ihre Kopfhaut zusammenzog.

Die letzte Nacht! Ihre Vorahnungen! Weshalb sie nicht geschlafen hatte … Sie lief ins Haus zurück, über die Treppe nach oben, eilte dann durch den langen, breiten Korridor und erreichte das Zimmer am äußersten Ende.

Clydes Zimmer!

Sie klopfte an. „Clyde! Hallo, Clyde! Aufstehen! Sheriff Routon ist da! Er möchte dich in einer wichtigen Angelegenheit sprechen …“

Keine Antwort erfolgte.

Da trat Mrs Bannister einfach ein. Das Zimmer war – leer!

Im ersten Moment stand sie da wie vom Donner gerührt.

Kenneth Routon, der mit ihr gekommen war, blickte sie wortlos an. Die Zigarre zwischen seinen Lippen war bereits wieder erloschen.

„Das gibt’s doch nicht!“

Joan Bannister öffnete die Kleiderschränke.

„Er hat nicht mal seinen Koffer gepackt! Keinen Rasierapparat mitgenommen! Was will er in der Nähe von Brakefield?“

„Das eben fragen wir uns auch. Und deshalb sind wir hier.“

Routon hatte außer Zigarrenrauchen noch eine Angewohnheit: Er redete stets in der Mehrzahl. Das kam wahrscheinlich daher, weil er sich meistens in Begleitung seines Sergeants befand. Doch der war zurzeit krank, und Routon musste alles allein erledigen.

Beunruhigt ließ Joan Bannister ihren Blick in die Runde gehen. Da entdeckte sie den Brief auf der Mitte des Tisches. Sie griff danach und riss ihn mit hastigen Bewegungen auf.

Ein halbierter und zusammengefalteter linierter Bogen steckte darin, der folgende Zeilen trug:

„Liebe Mutter,

ich glaube, ich habe bisher falsch gelebt. Ich möchte mein Leben ändern. Deshalb schließe ich mich den Freunden des wahren Lichts an. Vielleicht werde ich mich noch mal bei dir melden. Ich weiß es nicht. Unternimm bitte nichts, um mich zu finden. Es hat keinen Sinn, nach mir zu suchen. Clyde“

Joan Bannister ließ den Bogen langsam sinken.

„Er hatte etwas vor. Ich habe es die ganze Zeit über geahnt. Aber er hat sich mir nicht anvertraut. Er hat sich einer Sekte angeschlossen. Die Freunde des wahren Lichts? Wer ist das, und was wollen sie? Warum verlässt er mitten in der Nacht das Haus?“

Sie spürte, wie sie erneut von Nervosität und Unruhe erfasst wurde.

„Aber er wird nicht so einfach untertauchen, er kann sich nicht so mir nichts dir nichts von hier losreißen“, presste sie plötzlich gequält hervor. „Ich werde sehr schnell erfahren, wo er steckt, darauf kann er sich verlassen. Was hat Ihr Kollege aus Brakefield Ihnen noch mitgeteilt? Wenn man Clydes Wagen gefunden hat, dann muss man doch auch etwas über ihn wissen. Oder … Ken!“, sagte sie plötzlich erschrocken. „Sie verschweigen mir etwas! Hatte Clyde … einen Unfall?“

„Zumindest keinen, über den wir etwas wissen, Joan. Clydes Wagen wurde mitten in den Bergen gefunden, auf einem Plateau, ein wenig abseits der Straße. Im Umkreis von dreißig Meilen gibt es keine Siedlung, keine menschliche Behausung!“

Die Dinge wurden immer verworrener. Joan Bannister wusste nicht mehr, woran sie war.

Sie wollte über ihr unheimliches Erlebnis von letzter Nacht sprechen, aber im letzten Augenblick hielt sie sich zurück. Sie machte sich doch nur lächerlich. Sie wusste nicht mal, ob das, was sie gesehen hatte, nicht doch ein Traum oder eine Halluzination gewesen war.

Kenneth blickte sie unverwandt an, als wisse er etwas und warte darauf, dass sie ihm noch mehr anvertraue …

Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper. Siedend heiß fiel ihr etwas ein.

Als sie den schockartigen Schwächeanfall hatte, versuchte sie, sich am Türrahmen festzukrallen.