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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »… dem Herrn Staatsanwalt ist es also nicht gelungen, Herrn Brunner eine Mitschuld an dem Unfall eindeutig nachzuweisen. Im Gegenteil, das Gutachten des Sachverständigen und die Zeugenaussagen sprechen dagegen. Ich beantrage daher für meinen Mandanten Freispruch in allen Punkten. Vielen Dank.« Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen nahm Alexandra Sommer Platz und ignorierte das säuerliche Gesicht des Staatsanwalts auf der anderen Seite. Hubert Brunner, ihr Mandant, war angeklagt, einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, bei dem gottlob zwar niemand verletzt worden, aber ein Sachschaden von etlichen tausend Euro entstanden war. Nach dem Plädoyer zog sich das Gericht zur Beratung zurück und verkündete zehn Minuten später das Urteil – Freispruch. Während der Richter die Begründung vorlas, schaute Alexandra zur spärlich besetzten Zuschauerbank hinüber. Elke winkte ihr lächelnd zu, und die junge Rechtsanwältin grüßte mit einem kaum merklichen Kopfnicken zurück. Nach der Urteilsverkündung bedankte sich Hubert Brunner bei ihr. »Wegen der Kosten brauchen S' sich keine Gedanken zu machen«, sagte die Anwältin. »Die trägt die Staatskasse.« Ihr Mandant verabschiedete sich erleichtert, und Alexandra legte ihre Robe ab. »Du warst brillant!« Elke war herübergekommen und umarmte sie. »Gehen wir was essen?« Die Anwältin sah auf die Uhr. »Gerne«, sagte sie und nickte ihrer Freundin lächelnd zu. »Der nächste Termin ist erst heut nachmittag.« Die beiden Frauen verließen das Gerichtsgebäude und traten hinaus auf die Straße. Herrlicher Sonnenschein lag über der bayerischen Landeshauptstadt; seit Tagen hatte er nicht mehr geregnet. Sie gingen in ein italienisches Restaurant, das Alexandra öfter aufsuchte, wenn sie bei Gericht zu tun hatte. Zwar herrschte um die Mittagszeit großer Andrang, aber Franco, der gutaussehende
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Seitenzahl: 120
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»… dem Herrn Staatsanwalt ist es also nicht gelungen, Herrn Brunner eine Mitschuld an dem Unfall eindeutig nachzuweisen. Im Gegenteil, das Gutachten des Sachverständigen und die Zeugenaussagen sprechen dagegen. Ich beantrage daher für meinen Mandanten Freispruch in allen Punkten. Vielen Dank.«
Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen nahm Alexandra Sommer Platz und ignorierte das säuerliche Gesicht des Staatsanwalts auf der anderen Seite.
Hubert Brunner, ihr Mandant, war angeklagt, einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, bei dem gottlob zwar niemand verletzt worden, aber ein Sachschaden von etlichen tausend Euro entstanden war.
Nach dem Plädoyer zog sich das Gericht zur Beratung zurück und verkündete zehn Minuten später das Urteil – Freispruch.
Während der Richter die Begründung vorlas, schaute Alexandra zur spärlich besetzten Zuschauerbank hinüber. Elke winkte ihr lächelnd zu, und die junge Rechtsanwältin grüßte mit einem kaum merklichen Kopfnicken zurück.
Nach der Urteilsverkündung bedankte sich Hubert Brunner bei ihr.
»Wegen der Kosten brauchen S’ sich keine Gedanken zu machen«, sagte die Anwältin. »Die trägt die Staatskasse.«
Ihr Mandant verabschiedete sich erleichtert, und Alexandra legte ihre Robe ab.
»Du warst brillant!«
Elke war herübergekommen und umarmte sie.
»Gehen wir was essen?«
Die Anwältin sah auf die Uhr.
»Gerne«, sagte sie und nickte ihrer Freundin lächelnd zu. »Der nächste Termin ist erst heut nachmittag.«
Die beiden Frauen verließen das Gerichtsgebäude und traten hinaus auf die Straße. Herrlicher Sonnenschein lag über der bayerischen Landeshauptstadt; seit Tagen hatte er nicht mehr geregnet.
Sie gingen in ein italienisches Restaurant, das Alexandra öfter aufsuchte, wenn sie bei Gericht zu tun hatte. Zwar herrschte um die Mittagszeit großer Andrang, aber Franco, der gutaussehende Besitzer, hielt für die Rechtsanwältin immer einen Tisch frei. Seit Alexandra ihn einmal erfolgreich verteidigt hatte, war er nicht nur äußerst hilfsbereit, nein, Franco lag ihr zu Füßen…
»Ich nehme den Salat von der Mittagskarte«, sagte sie zu dem Kellner.
Elke entschloß sich ebenfalls dazu. Der Salat war auf großen Tellern angerichtet, er bestand aus Radicchio, Fenchel und gebratener Entenleber, und war mit einem leckeren Balsamico-Essig und Olivenöl angemacht. Ein Glas Weißwein und etwas Brot rundeten das Mahl ab.
»Und, bist du schon aufgeregt?« erkundigte sich die Freundin, während sie den Salat genossen.
Alexandra lächelte.
»Nicht mehr und nicht weniger als vor einem Prozeß«, antwortete sie.
Elke hätte beinahe das Besteck fallengelassen. »Also hör mal!« empörte sie sich. »Hier geht’s ja wohl um ein bissel mehr, als um einen Prozeß vor Gericht. Immerhin bist du im Begriff, vor den Traualtar zu treten. Das kann man doch net miteinander vergleichen!«
»Natürlich, du hast recht«, räumte die junge Anwältin ein. »Ich hab’ auch nur einen Scherz gemacht. Natürlich bin ich aufgeregt. Schließlich ist es ja ein Schritt, der viele Veränderungen mit sich bringt.«
»Gott sei Dank«, stieß Elke Holtmann aus. »Ich dachte für einen Moment wirklich, du würdest das alles auf die leichte Schulter nehmen.«
Alexandra Sommer nahm ihr Weinglas und drehte es in den Händen.
Sie war sechsundzwanzig Jahre alt und von schlanker Gestalt. Das anmutige Gesicht wurde von dunklen, schulterlangen Haaren umrahmt, die braunen Augen konnten träumerisch oder streng blicken – je nach Stimmungslage. Seit zwei Jahren arbeitete sie als Sozius in einer alteingesessenen Münchner Anwaltskanzlei und seit einem Dreivierteljahr war sie mit Dr. Adrian Heller verlobt – zumindest inoffiziell, denn eine öffentliche Feier mit Verlobungsanzeige und Ring hatte es nie gegeben.
»Das sind doch nur Äußerlichkeiten«, hatte Adrian gesagt, als sie ihn darauf ansprach.
Der Chefarzt einer Privatklinik war von dem Vorschlag, ihre Verlobung öffentlich bekannt zu machen, nicht begeistert gewesen, und so hatte Alexandra nicht weiter darauf gedrungen.
»Nein, auf die leichte Schulter nehme ich es gewiß net«, erwiderte sie. »Ich habe es wirklich gut überlegt und hoffe, daß es kein Fehler ist…«
Elke blickte sie wie erstarrt an.
»Du hast Zweifel?« fragte sie.
Alexandra trank einen Schluck Wein, ehe sie achselzuckend antwortete.
»Ob es richtig oder falsch ist, weiß man immer erst hinterher«, sagte sie.
Die Freundin legte die Hand auf ihre Schulter.
»Das kenn’ ich«, meinte sie betont heiter. »Das ist die Panik, die beinahe jeden Menschen vor diesem Schritt befällt. Als Franz und ich geheiratet haben, da wollte ich noch am Morgen vor der Trauung weglaufen. Meine Mutter mußte eine Stunde auf mich einreden, bis sie mich endlich überzeugt hatte.«
Die junge Anwältin schaute auf die Uhr.
»Ich muß los«, sagte sie und winkte nach dem Kellner.
Vor dem Restaurant verabschiedeten sie sich. Während Elke zum Parkhaus ging, in dem sie ihr Auto abgestellt hatte, legte Alexandra die Strecke zur Kanzlei zu Fuß zurück. Sie befand sich in der Nähe des Gerichtsgebäudes.
Der Nachmittag verging mit zwei Terminen und einem Gespräch mit dem Seniorpartner, und dann stand einem gemütlichen Wochenende nichts mehr im Wege.
Hoffentlich hat Adrian keinen Dienst, dachte die Anwältin, während sie aus dem Auto stieg und auf das Einfamilienhaus zuging, das sie von den Eltern geerbt hatte.
Aber viel Hoffnung hatte sie nicht. Als Chefarzt mußte Adrian oft genau dann in der Klinik sein, wenn sie frei hatte…
*
Es kam genauso, wie sie es geahnt hatte.
»Tut mir leid, Schatz«, sagte der attraktive Arzt beim Abendessen. »Schöller ist heut mittag zu einem Kongreß nach Hamburg gefahren und wird erst am Dienstag wieder da sein. Ich muß für ihn einspringen.«
Er legte tröstend seinen Arm um Alexandra.
»Dafür machen wir es uns am nächsten Wochenende schön«, versprach er.
Die Anwältin hatte nur genickt und sich vorgenommen, halt das Beste aus den beiden Tagen zu machen. Samstagfrüh fuhr sie in die Kanzlei und holte ein paar Akten, um sie zu Hause durchzuarbeiten. Der Prozeß war zwar erst in zwei Wochen angesetzt, aber es konnte auch nicht schaden, wenn sie sich schon jetzt mit den Fakten vertraut machte.
Nachmittags saß sie im Garten des Hauses und studierte den Fall. Auf dem Tisch stand ein Glas Apfelsaft, an dem sie hin und wieder nippte. Alexandra merkte, daß sie sich irgendwie nicht auf ihre Arbeit konzentrieren konnte. Sie lehnte sich zurück und dachte an die bevorstehende Hochzeit. Am nächsten Ersten sollte sie stattfinden. Adrian besaß eine Penthousewohnung, direkt in der City. Da er nach der Hochzeit zu ihr ziehen wollte, überlegten sie, die Wohnung zu verkaufen. Ein Makler war bereits beauftragt worden, leider hatte sich bisher kein Interessent gefunden. Andererseits wäre es wohl leichter gewesen, das Haus zu verkaufen und zu ihm in die Stadt zu ziehen, aber Alexandra mochte sich einfach nicht davon trennen. Ihre Eltern hatten das Haus vor dreißig Jahren gebaut. Hier war sie aufgewachsen und hatte eine glückliche Kindheit verlebt. Sie hing einfach an ihrem Heim, das auch mit vielen Erinnerungen an Klaus und Thea Sommer verbunden war, die so früh verstarben.
Alexandra brachte das Glas und die Akten ins Haus. Bis zur Hochzeit gab es noch viel zu tun. Mit der großen Liste in der Tasche fuhr sie zum Englischen Garten und spazierte durch die blühende Anlage. Auf den Wiesen lagen zahlreiche Sonnenanbeter, einzeln oder in Gruppen, Spaziergänger führten ihre Hunde aus, und irgendwo saß ein Straßenmusiker und spielte auf seiner Gitarre.
Die junge Anwältin hatte sich auf eine Bank gesetzt und schaute auf die Liste. Gäste waren darauf notiert, Termine für die Anprobe des Hochzeitskleides, den Friseur und andere wichtige Kleinigkeiten, die nicht vergessen werden durften. Alexandra hatte noch vor zwei Tagen die Einladungen hinausgeschickt. Adrian und sie hatten einen großen Bekanntenkreis, und es würden wohl an die hundertzwanzig Gäste sein, die an dem Ereignis teilnahmen.
Ihr Herz pochte schneller, als Alexandra daran dachte, und plötzlich waren wieder diese Zweifel da, ob es wirklich der richtige Schritt war, den zu gehen sie beabsichtigte.
Es war nämlich keineswegs so, daß immer eitel Sonnenschein in der Beziehung zu Adrian geherrscht hätte. Der attraktive Arzt hatte zahlreiche Verehrerinnen und gab deren Werben nur zu gerne nach. Mehr als einmal hatte Alexandra vor der Entscheidung gestanden, sich für immer von ihm zu trennen. Doch dann hatte Adrian gebeten und gebettelt, ihr ewige Treue geschworen, und sie konnte nicht anders, als ihm zu verzeihen.
In der letzten Zeit hatte sie indes keinen Grund gehabt, an seinen Worten zu zweifeln, und so versuchte sie jetzt, sich zu beruhigen. Bestimmt hatte Elke recht, und es war nur die übliche Aufregung vor der Hochzeit.
Sie sah auf die Uhr. Wenn nichts Besonderes anlag, dann sollte Adrian jetzt eigentlich Zeit für sie haben. Alexandra nahm ihr Handy heraus und wählte die Nummer der Privatklinik. Der Arzt hatte auch ein Mobiltelefon, das aber während seiner Dienststunden ausgeschaltet war.
»Sommer hier«, sagte sie. »Würden Sie mich bitte mit Dr. Heller verbinden?«
»Einen Moment, Frau Sommer«, antwortete die Frau in der Telefonzentrale.
Es herrschte einen Moment Stille, dann tutete es zweimal, bis sich die Stimme wieder meldete.
»Tut mir leid«, sagte die Frau. »Dr. Heller ist gar nicht in der Klinik. Er hat bis Montag frei.«
Alexander spürte, wie ein heißer Blutstrom durch ihre Adern schoß, sie spürte plötzlich ihr Herz, das bis zum Hals klopfte.
»Danke…«, murmelte sie verwirrt und beendete die Verbindung.
Adrian war nicht in der Klinik, er hatte gar keinen Dienst, wie er behauptete! Wieder einmal war sie belogen worden!
Sie drückte die Taste ihres Handys, unter der seine Privatnummer gespeichert war. Es lief nur der Anrufbeantworter, dann versuchte sie es auf seinem Mobiltelefon. Der Arzt hatte es nicht eingeschaltet, und Alexandra vernahm nur die elektronische Stimme, die ihr sagte, sie könne eine Nachricht hinterlassen.
Sie verzichtete darauf. Mit einem dicken Kloß im Hals starrte sie die Liste an, die auf ihren Knien lag, und Tränen stiegen ihr in die Augen. So überzeugend hatte er geklungen, als er erklärte, er müsse für den Kollegen einspringen, und sie hatte ihm geglaubt!
Darauf vertraut, daß seine Eskapaden endlich vorüber waren, und es für eine gemeinsame Zukunft keine Hindernisse mehr gäbe.
Welch ein Irrtum!
Noch bis zur Dämmerung saß sie auf der Bank und dachte nach. Tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf, und sie grübelte darüber nach, was sie jetzt unternehmen, wie sie Adrian begegnen sollte.
Sie wußte es nicht. Nur eines stand fest, sie wollte und konnte sein Verhalten nicht länger tolerieren. Einmal mußte es genug sein, und sie würde die Konsequenzen aus seiner neuerlichen Verlogenheit und Untreue ziehen.
Heiraten? Ihn? Nie im Leben!
*
»Papa, wann sind wir endlich da?«
Peter Reinicke lächelte und schaute in den Rückspiegel.
»Es dauert net mehr lang’«, versprach er und deutete nach vorne durch die Windschutzscheibe. »Schau, da kannst’ schon die Berge seh’n.«
Martin reckte den Kopf.
»Donnerwetter, sind die riesig!« rief er aus.
Der Bub drehte sich nach hinten. Im Kofferraum des Kombis lag auf einer Decke ein dunkelbraunes Etwas, zusammengerollt zu einem Fellbündel.
»Biene, schau nur!«
Die Berner-Senner-Hündin öffnete ein Auge, schaute ihn kurz an und wedelte mit dem Schwanz.
»Biene hat auch genug von der Fahrt«, sagte Martin zu seinem Vater.
»Wir haben es ja geschafft. Wir sind in St. Johann angekommen.«
Peter Reinicke fuhr durch den Ort und suchte die Straße, in der die Pension lag. Martin blickte unterdessen aus dem Fenster.
»Na, gefällt’s dir?« fragte sein Vater.
»Hmm, sehr gut.«
»So, jetzt aber nix wir raus aus dem Auto.«
Sie hatten vor der Pension gehalten. Martin öffnete die hintere Tür und stieg aus. Biene stand schon an der Klappe des Kofferraums und wartete darauf, herausgelassen zu werden. Der Bub nahm die Leine und legte sie an. Die Hündin wartete geduldig und sprang erst auf ein Zeichen Martins auf die Straße – wofür sie natürlich kräftig gelobt wurde. Unterdessen hatte Peter die beiden Koffer genommen und trug sie zur Haustür hinauf, die im selben Moment geöffnet wurde.
»Grüß Gott und herzlich willkommen«, rief Ria Stubler. »Der Herr Reinicke aus München, net wahr?«
»Ja, grüß Gott, Frau Stubler.«
Er deutete auf den Bub.
»Das ist mein Sohn, Martin, und das da ist die Biene. Schön, daß wir sie mitbringen durften.«
»Hunde sind kein Problem«, lächelte die Wirtin. »Und Sie haben ja gesagt, daß Ihre Biene ganz artig ist.«
»Das ist sie wirklich«, sagte Martin eifrig. »Außerdem beschützt sie uns, wenn Einbrecher kommen, Frau Stubler.«
»Das ist ganz prima, aber ich kann dich beruhigen; in St. Johann gibt’s keine Einbrecher, und im übrigen kannst’ ruhig Ria zu mir sagen.«
Der Bub strahlte sie an. Peter kannte diese Reaktion bei seinem Sohn schon. Immer wenn eine ältere Frau nett zu ihm war, dann freute sich der Bub, als stünde der Weihnachtsmann vor ihm. Was vor allem wohl daran lag, daß Martin seine Mutter nie kennengelernt hatte. Nach der Geburt verstarb Petra Reinicke an einer schweren Infektion im Kindsbett.
»Am besten gehst du gleich mit ihr Gassi«, sagte Peter. »Ich bring’ derweil die Koffer auf das Zimmer.«
Ria hatte schon den Schlüssel in der Hand.
»Ein netter Bub«, meinte sie, während sie den Kaufmann durch den Flur führte.
»Ja«, lächelte der Vater, »er ist auch mein ganzer Stolz.«
Das Zimmer lag im Erdgeschoß. Eine Tür führte auf die Terrasse hinaus.
»Dann wünsch’ ich Ihnen und dem Martin einen schönen Aufenthalt«, sagte Ria, nachdem sie erklärt hatte, wann es Frühstück gab.
Peter packte rasch aus und verstaute die Sachen im Kleiderschrank. Das Zimmer war groß und geräumig, die beiden Betten standen zusammen, dazu Tisch und Sessel. Es gab ein Fernsehgerät und Telefon, und ein Bad gehört ebenso dazu. Er öffnete die Terrassentür und ließ die frische, nach Blumen und wilden Kräutern riechende Luft hereinströmen.
Endlich Urlaub, dachte der Mann, den haben wir uns aber auch redlich verdient!
Peter Reinicke betrieb in München ein kleines Computerfachgeschäft. Der studierte Informatiker hatte sich vor sieben Jahren selbständig gemacht. Eigentlich in der Hoffnung, mehr Zeit für seinen Sohn zu haben, doch das hatte sich als Trugschluß herausgestellt. Zwölf und noch mehr Stunden war er manchmal in der Firma beschäftigt und konnte von Glück sagen, daß Oma Bruckner, die freundliche Nachbarin aus dem Nebenhaus, es als ihre größte Erfüllung ansah, für Martin da zu sein.
»Ich wüßt’ wirklich net, was ich ohne Sie anfangen würd’«, sagte er so manches Mal zu ihr, wenn er sich bei der Sechzigjährigen mit einem Abendessen oder einen Ausflug in den Tierpark Hellabrunn bedankte.
»Das mach’ ich doch gern’«, antwortete Therese Bruckner stets. »Ich selbst hab’ ja keine Kinder und Enkel schon gar net.«
Und manchmal kam es dann vor, – wenn Martin gerade nicht in der Nähe war – daß die Nachbarin den Zeigefinger erhob.
»Aber trotzdem kann ich kein Ersatz für eine richtige Mutter sein«, sagte sie dann. »Sie müssen sich nach einer Frau umschauen, Herr Reinicke.«