Lauf nicht deinem Glück davon - Toni Waidacher - E-Book

Lauf nicht deinem Glück davon E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Du willst heiraten?« Michaela Waldner sah ihre Freundin entgeistert an. »Wann denn?« Beatrice Grote, genannt Trixi, lächelte. »In einem halben Jahr. Wenn Bert mit dem Studium fertig und in die Firma seines Vaters eingestiegen ist. Das hat er mir versprochen.« Die Freundinnen saßen in einem Straßencafé und genossen den sonnigen Tag. Rings um sie schien nur gute Laune zu herrschen, was angesichts des Wetter allerdings auch kein Wunder war. Es war Sonntagnachmittag, und die Augsburger Innenstadt war voller Spaziergänger, die einen Schaufensterbummel machten oder sich in den zahlreichen Cafés und Eisdielen niederließen. Seit Tagen kletterten die Temperaturen über die Fünfundzwanzig-Grad-Marke, und die Freibäder verzeichneten Rekorde bei den Besucherzahlen. Michaela war von Trixis Ankündigung völlig überrascht worden. Sie hatten sich auf der Uni kennengelernt, wo sie beide Betriebswirtschaft studierten. Da es in der Stadt kaum noch Zimmer für Studenten gegeben hatte und sie sich auf Anhieb sympathisch waren, hatten sie kurzerhand zusammen eine kleine Wohnung gemietet. Seit zwei Jahren lebten sie in der Augsburger Altstadt, und das Zusammenwohnen klappte immer noch. »Also, ich weiß ja nicht.« Die Dreiundzwanzigjährige schüttelte den Kopf. »Heiraten, das kommt für mich nicht in Frage. Dazu müßte mir erst mal der Richtige über den Weg laufen, und dann würde ich ganz genau prüfen, ob wir wirklich zusammenpassen.« Sie sah Trixi an. »Na ja, von dir und Bert kann man das wohl behaupten. Lange genug seid ihr ja zusammen.« Die Freundin hatte Bertram Weber kennengelernt, während sie in einer Kneipe jobbte. Seit über einem Jahr waren sie ein Paar, und Michaela

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Der Bergpfarrer –143–

Lauf nicht deinem Glück davon

Heiraten? Kommt gar nicht in Frage!

Toni Waidacher

»Das darf doch wohl nicht wahr sein! Du willst heiraten?«

Michaela Waldner sah ihre Freundin entgeistert an.

»Wann denn?«

Beatrice Grote, genannt Trixi, lächelte.

»In einem halben Jahr. Wenn Bert mit dem Studium fertig und in die Firma seines Vaters eingestiegen ist. Das hat er mir versprochen.«

Die Freundinnen saßen in einem Straßencafé und genossen den sonnigen Tag. Rings um sie schien nur gute Laune zu herrschen, was angesichts des Wetter allerdings auch kein Wunder war. Es war Sonntagnachmittag, und die Augsburger Innenstadt war voller Spaziergänger, die einen Schaufensterbummel machten oder sich in den zahlreichen Cafés und Eisdielen niederließen. Seit Tagen kletterten die Temperaturen über die Fünfundzwanzig-Grad-Marke, und die Freibäder verzeichneten Rekorde bei den Besucherzahlen.

Michaela war von Trixis Ankündigung völlig überrascht worden. Sie hatten sich auf der Uni kennengelernt, wo sie beide Betriebswirtschaft studierten. Da es in der Stadt kaum noch Zimmer für Studenten gegeben hatte und sie sich auf Anhieb sympathisch waren, hatten sie kurzerhand zusammen eine kleine Wohnung gemietet. Seit zwei Jahren lebten sie in der Augsburger Altstadt, und das Zusammenwohnen klappte immer noch.

»Also, ich weiß ja nicht.« Die Dreiundzwanzigjährige schüttelte den Kopf. »Heiraten, das kommt für mich nicht in Frage. Dazu müßte mir erst mal der Richtige über den Weg laufen, und dann würde ich ganz genau prüfen, ob wir wirklich zusammenpassen.«

Sie sah Trixi an.

»Na ja, von dir und Bert kann man das wohl behaupten. Lange genug seid ihr ja zusammen.«

Die Freundin hatte Bertram Weber kennengelernt, während sie in einer Kneipe jobbte. Seit über einem Jahr waren sie ein Paar, und Michaela meinte beurteilen zu können, daß Trixis Freund ein prima Kerl war.

»Ich versteh dich nicht«, sagte Beatrice. »Eigentlich hatte ich von dir angenommen, daß du vor mir zum Traualtar schreiten würdest...«

Michaela winkte ab.

»Erst mal mache ich mein Studium fertig«, antwortete sie. »Und dann ist immer noch Zeit, sich nach dem passenden Mann umzusehen.«

Den hatte sie bisher nicht gefunden, obwohl es ihr an Verehrern nicht mangelte, indes war Michaela nicht sicher, ob die Burschen, die es ständig darauf anlegten, mit ihr zu flirten, wirklich sie meinten oder das Vermögen, das hinter dem Namen Waldner stand...

Ihr Vater war ein reicher Unternehmer. Seine Geschäfte reichten vom Im- und Export bis hin zu Beteiligungen an anderen Firmen. Die Tochter sollte nach dem Studium in das Unternehmen einsteigen, um es eines Tages ganz zu übernehmen. Das war auch der Grund, warum Michaela Betriebswirtschaft studierte, obwohl sie viel lieber Architektin geworden wäre. Daß sie einmal Chefin eines bedeutenden Imperiums, das sogar an der Börse vertreten war, sein würde, hatte sich unter den Kommilitonen herumgesprochen, und entsprechend groß war die Zahl derjenigen, die versuchten, mit ihr anzubändeln.

Trixi schaute auf die Uhr.

»Du, ich muß los«, entschuldigte sie sich. »Bert und seine Eltern warten schon auf mich.«

Sie zückte ihre Geldbörse.

»Laß nur, ich übernehme das«, winkte Michaela ab.

Die Freundinnen umarmten sich, und Trixi war wenig später in einer Seitenstraße verschwunden.

Michaela lehnte sich zurück und trank ihren Cappuccino aus. Dann winkte sie der Bedienung und bezahlte. Während sie zu ihrem Auto ging, das außerhalb der Fußgängerzone stand, dachte sie über die Neuigkeit nach, mit der Trixi sie überrascht hatte.

Nein, war sie überzeugt, so schnell werde ich bestimmt nicht heiraten. Und wenn mir jetzt gleich der absolute Traummann vor die Füße fiele.

Als sie an ihrem Auto ankam, stellte sie fest, daß es von einem anderen Wagen zugeparkt war. Rechts und links stand jeweils ein Fahrzeug, dahinter war eine Mauer, und direkt vor ihrem Mini hatte sich ein unverschämter Fahrer mit seinem Luxusschlitten hingestellt.

Michaela starrte auf die Bescherung, als könne sie es nicht fassen, daß jemand so dreist sein konnte. Kopfschüttelnd blickte sie sich um, aber der Übeltäter war nirgendwo zu sehen. Sie nahm ärgerlich den Schlüssel aus der Tasche, setzte sich in ihr Auto und ließ die Hupe ertönen. Laut. Sehr laut.

Plötzlich sah sie jemanden über die Straße hetzen. Der Mann kam direkt auf sie zu und winkte entschuldigend.

Michaela war wirklich sauer.

Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? Denkt der vielleicht, mit seinem Neunzigtausend-Euro-Auto kann er sich hinstellen, wo er will und die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer mißachten?

Ihre Wut schlug plötzlich um, als sie ihn genauer betrachtete. Der Mann mochte Mitte zwanzig sein, also unwesentlich älter als sie. Er war schlank und sah unverschämt gut aus. Die graue Hose und das hellblaue Strickhemd verrieten Chic und Eleganz, ohne dabei protzig zu wirken. Er hatte kurzes, blondes Haar, das modisch geschnitten war.

»Bitte entschuldigen Sie«, sagte er mit einer angenehmen Stimme. »Ich war wirklich nur eine Minute da drüben in dem Haus. Und hier war doch nichts mehr frei. Sie müssen im selben Moment zurückgekommen sein, als ich hineinging.«

Er lächelte sie so warm an, daß ihr Herz dahinschmolz.

»Können Sie mir noch einmal verzeihen?« bat er.

Der Mann hatte sich zu ihr hinuntergebeugt und schaute in ihr geöffnetes Seitenfenster.

Michaela wußte überhaupt nicht, was sie antworten sollte. Ihre Stimme versagte plötzlich.

»Bitte«, setzte der Mann hinzu, »sonst bin ich gezwungen, so lange hier stehen zu bleiben, bis Sie mir sagen, daß Sie mir nicht böse sind!«

Jetzt endlich brachte sie auch ein Lächeln zustande.

»Schon gut«, erwiderte sie. »Ich habe ja nur einen Moment warten müssen.«

»Gott sei Dank!« entfuhr es ihm. »Als Dank für Ihre Geduld würde ich Sie furchtbar gerne zu einem Kaffee einladen. Leider...«

Er tippte auf seine Armbanduhr.

»Ich habe keine Zeit, was mir schrecklich leid tut.«

»Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder«, meinte sie.

Während sie das sagte, wurde ihr bewußt, daß ihre Stimme einen hoffnungsvollen Klang hatte, und sie errötete.

»Ganz bestimmt«, nickte er, und es klang wie ein Versprechen.

Er lächelte und stieg in sein Auto. Als er davonfuhr, winkte der Mann ihr noch einmal zu.

Michaela starrte ihm wie hypnotisiert hinterher. Als der Wagen um die Ecke bog, spürte sie einen eisigen Schrecken bis zum Herz hinauf.

Sie wußte weder, wie der Mann hieß, noch hatte sie sich in der Aufregung das Kennzeichen seines Autos gemerkt!

Schade, dachte sie und startete endlich den Mini, das wäre doch mal einer gewesen, der mir hätte gefallen können...

*

Der Mann hatte die Statur eines Bären. Das schwarze, wuschelige Haar hing ihm über die Ohren, und ein Bart von gleicher Farbe bedeckte sein Kinn und die Oberlippe. In einem Geländewagen brauste er über die Landstraße und sang dabei aus voller Kehle ein Lied mit, das aus dem CD-Player erklang.

Richard Carpenter hatte ausgesprochen gute Laune. Am Morgen war er losgefahren, nachdem er die Nacht im Hotel am Flughafen verbracht hatte. Erst gestern abend war er angekommen, das Flugzeug landete mit gut sechs Stunden Verspätung in München.

Schöne Gegend, dachte er, während er aufmerksam aus dem Fenster schaute. Vielleicht ein bißchen wenig Wald, aber sonst...

Er hielt einen Moment an und vergewisserte sich anhand einer Karte, daß er sich auf der richtigen Straße befand, dann nickte er zufrieden und fuhr weiter. Bis nach St. Johann waren es nur noch ein paar Kilometer, und Richard Carpenter, der in Kanada als Holzfäller und Bärenjäger gearbeitet hatte, freute sich, seinen alten Freund Andreas Trenker und dessen Frau Marion wiederzusehen. Zwar war es gerade mal ein paar Wochen her, daß sie ihn auf ihrer Hochzeitsreise in Übersee besucht hatten, doch was die beiden ihm über Deutschland und insbesondere Bayern erzählten, hatte ihn neugierig gemacht.

Zehn Minuten später fuhr der Kanadier am Ortsschild vorbei. Er hielt am Straßenrand und stieg aus.

»Donnerwetter!« entfuhr es ihm. »Die beiden haben wirklich nicht übertrieben.«

Er sah sich um. Das Dorf schaute so malerisch aus wie aus dem Bilderbuch. Die Häuser waren bemalt; Lüftlmalerei wurde das genannt, hatte Andreas gesagt. Und viele Leute liefen in einer Art Tracht umher. Richard stand vor seinem Auto und bemerkte nicht, daß er selbst im Blickpunkt des Interesses von ein paar Spaziergängern stand. Er trug Lederstiefel und Jeans, dazu ein kariertes Baumwollhemd und darüber eine hellbraune Jacke aus Rehleder, deren Ärmel mit Fransen besetzt war. Es fehlte nur noch der entsprechende Hut, um das Bild von einem Cowboy perfekt zu machen, aber der lag auf der Rückbank.

Richard kramte einen Zettel aus der Tasche, auf den er sich den Namen der Pension geschrieben hatte, und die Straße, in der sie lag.

Während er sich suchend umschaute, kam ein Mann auf ihn zu.

»Grüß Gott«, sagte er freundlich. »Kann ich Ihnen vielleicht helfen? Suchen Sie etwas?«

Richard fuhr sich durch das Haar und hielt dem Mann den Zettel hin.

»Ja, die Pension Edelweiß«, erwiderte er in gebrochenem Deutsch.

»Ach, wollen Sie zu meinem Cousin?« fragte Sebastian Trenker überrascht.

»Ihr Cousin? Dann sind Sie der Pfarrer?«

»Genau«, nickte der Geistliche lächelnd und hielt ihm die Hand hin. »Sebastian Trenker.«

»Richard Carpenter«, sagte der Kanadier und drückte die dargebotene Hand. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Hochwürden. Andreas hat viel von Ihnen erzählt.«

»Kommen Sie. Ich war ohnehin gerad’ auf dem Weg zur Pension.«

Sie stiegen in den Geländewagen. Richard setzte sich hinter das Lenkrad und folgte den Anweisungen Sebastians.

»Andreas und Marion haben so viel über ihre Heimat erzählt, daß ich richtig neugierig geworden bin«, plauderte er, während sie durch St. Johann fuhren. »Schließlich habe ich mich entschlossen, einfach mal herzukommen.«

»Sie scheinen mir ein Mann von spontanen Entschlüssen zu sein«, schmunzelte der Bergpfarrer. »Dann wissen die beiden gar net, daß sie Besuch bekommen?«

Richard schüttelte grinsend den Kopf.

»Nein«, antwortete er. »Aber ich hoffe, daß ich trotzdem willkommen bin.«

»Wie lange kennen Sie meinen Cousin schon?« erkundigte sich der Geistliche.

»Andreas?« lachte der Besucher. »Ich glaube, fast an die zwanzig Jahre. Er war damals noch ein richtiges Greenhorn, als wir Bekanntschaft schlossen, war gerade erst in Kanada angekommen.«

»Das ist eine sehr lange Zeit. Ich glaube, Andreas hat Ihren Namen auch hin und wieder erwähnt. Bestimmt wird er sich freuen, Sie zu sehen.«

Sie hielten vor der Pension. Im Garten waren allerlei Gerätschaften aufgebaut.

»Was ist denn hier los?« fragte Richard Carpenter.

»In St. Johann wird gerade eine Fernsehserie gedreht«, erzählte Sebastian. »Auch hier in der Pension. Es herrscht ein bissel Aufregung im Dorf deswegen.«

Der Kanadier stieg aus und nickte anerkennend.

»Mein Freund hat nicht übertrieben«, sagte er. »Das ist wirklich ein prachtvolles Haus.«

Im selben Moment ging die Tür auf, und Marion trat heraus.

«Grüß dich, Sebastian«, rief sie und winkte.

Erst dann fiel ihr Blick auf den Begleiter des Bergpfarrers. Ihr Mund öffnete sich und blieb so.

»Andreas...?«

Sebastians Cousin stand hinter ihr.

»Was ist denn?« fragte er.

Dann sah er Richard.

»Kneif mich«, entfuhr es ihm, »damit ich weiß, daß ich net träume. Hat der Bursche seine Ankündigung also wahrgemacht!«

Die beiden stürmten aus der Tür, liefen die Stufen hinunter, den Weg bis zur Pforte und fielen dem Bären in die Arme.

»Ich glaub’s net!« rief Andreas Trenker. »Wo kommst du denn her?«

»Direkt aus München«, lachte Richard Carpenter. »Gestern abend angekommen, im Hotel geschlafen und heute morgen gleich losgefahren. Und da bin ich.«

»Ja, da bist du«, nickte Marion und ließ sich von ihm drücken. »Herzlich willkommen!«

»Danke«, lachte er und deutete auf die Filmcrew, die im Garten mit den Vorbereitungen für einen Dreh beschäftigt war. »Habt ihr überhaupt noch Platz für mich?«

»Mensch, was für eine Frage! Du wohnst natürlich bei uns in den privaten Räumen. Du bist doch kein Gast, sondern ein Freund!«

Andreas standen bei diesen Worten die Tränen in den Augen. Er sah seinen Cousin an.

»Das ist er«, sagte er, »Richard Carpenter, von dem ich dir schon erzählt habe. Von ihm habe ich alles gelernt, was ich wissen mußte, um in Kanada zu überleben. Ihm hab’ ich zu verdanken, daß meine Farm dort so erfolgreich war.«

»Ich freue mich mit euch«, lächelte der gute Hirte von St. Johann. »Aber jetzt muß ich erst mal mit der Brigitte sprechen. Ich komm nachher zu euch.«

Er nickte den dreien zu und ging über die Wiese.

Brigitte Granzinger stand inmitten eines Pulks von Schauspielern, Komparsen und Filmtechnikern. Als sie den Bergpfarrer sah, winkte sie ihm zu.

»Ich bin gleich bei Ihnen, Hochwürden.«

»Es ist net eilig«, erwiderte er und setzte sich in einen der bequemen Korbsessel.

*

Michaela bog in die Auffahrt zur elterlichen Villa und drückte den Knopf der Fernbedienung, die das schwere, eiserne Tor öffnete. Hinter ihr wurde es automatisch wieder geschlossen. Die Studentin war ein wenig verwundert gewesen, als ihr Vater gestern abend anrief und sie bat, sie möge heute, nach der Uni, nach Hause kommen. Es gäbe etwas Wichtiges zu besprechen, hatte er gesagt, war aber auf ihre Frage, worum es sich handelte, nicht weiter eingegangen. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was es sein konnte, das er unbedingt mit ihr besprechen wollte, und so war sie gleich losgefahren, nachdem sie Trixi Bescheid gesagt hatte, daß sie die morgige Vorlesung ausfallen lassen würde und frühestens am Mittwoch wieder zurück sei.

»Hallo, Gisela«, begrüßte sie die Haushälterin, die gerade Kaffee kochte. »Wo stecken Sie denn?«

Gisela Herrmann war seit über zwanzig Jahren in der Villa angestellt und hatte Michaela praktisch großgezogen, weil Inge Waldner selbst berufstätig gewesen war. Sie gehörte zur Familie und bewohnte zwei Zimmer im hinteren Flügel.

»Grüß dich, Madl«, lächelte sie. »Deine Eltern sitzen im Garten. Was macht das Studium?«

»Läuft so. Sag mal, weißt du, warum Vater mich so dringend sprechen will?«

Die Haushälterin sah sie einen Moment seltsam an, dann zuckte sie die Schultern.

»Das wird er dir bestimmt gleich selbst sagen«, antwortete sie und widmete sich wieder der Kaffeemaschine.

Wäre Michaela in Gedanken nicht mit etwas ganz anderem beschäftigt gewesen, so hätte Giselas Reaktion auf ihre Frage sie stutzig gemacht. Aber sie konnte seit gestern nachmittag an nichts anderes mehr denken als an den jungen Mann, von dem sie weder wußte, wie er hieß, noch wo er wohnte.

Als sie aus ihrer Starre erwachte, war sie ihm sofort hinterher gefahren. Allerdings ohne Erfolg. Das Luxusauto war verschwunden. Michaela klapperte alle Straßen ab, bis ihr die Unsinnigkeit ihres Unternehmens bewußt wurde. Wahrscheinlich hatte er die Stadt längst über die Umgehungsstraße verlassen und würde wohl auch nie wieder ihren Weg kreuzen.

Und dennoch wollte er ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen!