Leibniz war kein Butterkeks - Michael Schmidt-Salomon - E-Book

Leibniz war kein Butterkeks E-Book

Michael Schmidt-Salomon

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Beschreibung

Philosophie muss weder langweilig noch kompliziert sein – ganz im Gegenteil: Philosophische Fragen haben viel mit unserem Alltag zu tun. Dass dies so ist, beweisen der Autor und Philosoph Michael Schmidt-Salomon und seine 20-jährige Tochter Lea in ihrem gemeinsamen Buch. Angefangen bei der Frage nach dem Sinn des Lebens oder der Existenz eines Gottes erschließen sie im Dialog die philosophische Gedankenwelt auf höchst unterhaltsame und unkonventionelle Weise. Dabei werden abstrakte Begriffe wie Vernunft und Weisheit, Gerechtigkeit und Toleranz ebenso anschaulich erläutert wie die Frage nach dem Traum von einer besseren Welt. Ein unterhaltsames und lehrreiches Buch, das Lust aufs Philosophieren macht – für alle, die es wissen wollen und nicht die Neugier verloren haben, danach zu fragen. Mehr zum Buch finden Sie unter http://www.leibniz-war-kein-butterkeks.de

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2011

ISBN 978-3-492-95320-7

© 2011 Michael Schmidt-Salomon, Lea Salomon

© für diese Ausgabe: Pendo Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2011

Umschlaggestaltung: HildenDesign unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock

Datenkonvertierung E-Book: Clausen & Bosse, Leck

VORWORT

Wie die Idee zu diesem Buch entstand

Wie gut, wenn man Kinder hat, die einen auf ganzer Linie enttäuschen! Ansonsten würden wir uns nämlich noch viel häufiger etwas vormachen. Ich beispielsweise würde noch immer glauben, dass meine Bücher – im Unterschied zu vielen anderen – für jeden verständlich geschrieben seien. Glücklicherweise belehrte mich meine Tochter eines Besseren …

»Mann, Papa!«, sagte Lea, als sie mein Büro betrat.

»Was ist?«, fragte ich.

»Dein neues Buch …« Sie stöhnte. »Willst du denn nicht mal zur Abwechslung etwas schreiben, das man auf Anhieb kapiert? Ich meine, ohne dass man zusätzlich noch einen Stapel Lexika braucht?!«

»Hey, ich kann doch nichts dafür, dass du in der Schule so wenig mitbekommen hast«, versuchte ich zu witzeln, was allerdings nicht ganz so humorvoll ankam, wie es gemeint war.

»Du hältst mich wohl für blöde?!«, schoss es mir entgegen.

»Nein, bestimmt nicht! Aber bei solchen Büchern muss man halt ein gewisses Vorwissen mitbringen. Außerdem: Wenn du meine Bücher schon als schwierig empfindest, dann lies erst mal Hegel, Heidegger oder Habermas! Du würdest dich wundern!«

»Warum sollte ich die denn lesen, wenn sie noch unverständlicher sind? Ihr Philosophen seid wirklich komische Typen …«

»Wieso?«, fragte ich.

»Wenn ein Getränkehersteller herausfindet, dass seine Limonade bei den Leuten nicht ankommt, dann heißt es nicht: ›Die doofen Konsumenten haben mal wieder voll versagt. Egal, wir bleiben bei unserem Rezept!‹ Nee, ein solcher Getränkehersteller würde so lange neue Geschmacksrichtungen ausprobieren, bis er die Leute endlich erreicht.« Lea grinste. »Jeder weiß, dass das vernünftig ist. Nur ihr Philosophen habt das offenbar nicht begriffen. Kein Wunder, dass sich kaum jemand für euch interessiert.«

Das saß! Leider musste ich eingestehen, dass Lea in gewisser Weise recht hatte. Doch ganz geschlagen geben wollte ich mich noch nicht. »Vielleicht ist es ja ein Problem der Zielgruppe«, sagte ich. »Ob Getränkehersteller oder Philosoph: Man kann mit seinen Produkten niemals alle erreichen …«

»Du meinst, ich gehöre nicht zu deiner Zielgruppe? Wie kommst du denn darauf?! Du beschäftigst dich doch mit den großen Fragen des Lebens: Wer wir sind, woher wir kommen, wie wir zu einem guten Leben finden und so weiter. Diese Themen gehen ja wohl alle Menschen an, oder? Warum also, frage ich dich, schreibst du deine Bücher nicht so, dass sie auch von allen verstanden werden können?«

»Also, ich bemühe mich schon, möglichst verständlich zu schreiben«, versuchte ich mich zu verteidigen.

Lea lächelte spöttisch: »Du weißt ja, was es bedeutet, wenn in einem Arbeitszeugnis steht: ›Er hat sich redlich bemüht …‹ Das heißt, dass man es eben nicht hingekriegt hat, dass man im Grunde ’ne ziemliche Niete ist!«

»Okay, möglicherweise trifft das ja den Punkt«, sagte ich. »Ich bin ’ne Niete, die es einfach nicht besser hinkriegt!«

»Unsinn«, entgegnete sie. »Ich weiß doch, dass du das kannst! Wenn ich mit dir über philosophische Themen rede, kapiere ich sofort, worum es geht. Lese ich aber deine Bücher, verstehe ich oft nur Bahnhof! Ich frage dich: Warum machst du nicht einmal ein Buch, in dem du genauso einfach und verständlich schreibst, wie du mit mir sprichst?«

Im ersten Moment war ich über diesen Vorschlag so überrascht, dass ich nicht wusste, was ich antworten sollte. Im Grunde war das gar keine schlechte Idee! Und je mehr ich darüber nachdachte, desto besser gefiel sie mir. »Würdest du mir denn helfen, ein solches Buch zu schreiben?«, fragte ich nach einer Weile.

»Wer? Ich? Wie soll ich dir denn helfen? Ich habe doch überhaupt keine Ahnung von Philosophie!«

»Eben drum! Dir wird es im Unterschied zu mir sofort auffallen, wenn irgendetwas nicht verständlich oder staubtrockenlangweilig ist.«

»Ich soll also die Stellvertreterin für all die Dummies da draußen spielen? Für die Masse der philosophisch Zurückgebliebenen, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben? Die kein Philosophiebuch je freiwillig anfassen würden aus Angst, sich dabei zu Tode zu langweilen?« Lea lachte. »Ja, ich glaube, das könnte ich ganz gut hinkriegen! Aber: Wenn ich dir helfe, was springt denn für mich dabei heraus?«

»Du meinst, außer der Gelegenheit, mit deinem Alten zu quatschen und tiefere Einsichten zu gewinnen über das Leben, das Universum und den ganzen Rest? Na ja, du würdest einen Teil der Bucheinnahmen bekommen.«

»Wirklich? Wird dann auch mein Name neben deinem auf dem Cover des Buchs stehen?«

»Klar«, antwortete ich.

»Cool!« Sie streckte mir die Hand entgegen: »Ich bin dabei!«

»Abgemacht«, sagte ich und schlug ein.

So entstand die Idee zu diesem Buch. Es ist gedacht für diejenigen, die sich scheuen, lange philosophische Abhandlungen zu lesen. Für alle, die im Alltag keine Zeit finden, sich mit Philosophie zu beschäftigen, jedoch zwischendurch etwas Gehaltvolles und Unterhaltsames lesen wollen. Letztlich sollte das Buch aber auch philosophisch Versierten gefallen, sofern sie Spaß daran haben, abstrakte Konzepte auf knappe, prägnante Formulierungen herunterzubrechen. Kurzum: Das Buch sollte für alle geeignet sein, die sich hin und wieder den Luxus erlauben, über den Sinn und Unsinn des Lebens auf diesem Staubkorn im Weltall nachzudenken.

Im Grunde tut dies jeder von uns auf die eine oder andere Weise. Denn: Haben wir uns nicht alle schon einmal gefragt, was das Ganze eigentlich soll? Wofür sich all der Aufwand lohnt, der mit dem Leben Tag für Tag verbunden ist? Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass wir allesamt »geborene Philosophen« sind, verurteilt dazu, unsere eigenen, kleinen Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu finden.

»Berufsphilosophen« wie ich unterscheiden sich von »geborenen Philosophen« nur darin, dass wir das Privileg genießen, etwas systematischer über diese Fragen nachdenken zu dürfen – und damit sogar unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Ich meine, dass wir Berufsphilosophen als Ausgleich für dieses Privileg unsere Denkergebnisse in möglichst einfacher, verständlicher Form präsentieren sollten, statt die Öffentlichkeit mit überkomplexen Formulierungen zu verschrecken.

Glücklicherweise entdeckten die alten Griechen schon vor 2500 Jahren eine Methode, mit der sich philosophische Einsichten leicht vermitteln lassen: Sie verpackten ihre Philosophie in interessante Gespräche, statt die Leser mit langen, komplizierten Abhandlungen zu traktieren. Obwohl ich diese antiken, philosophischen Dialoge seit langem wertschätze, kam ich seltsamerweise nie auf den Gedanken, es selbst einmal auf diese Weise zu versuchen. Dazu bedurfte es offensichtlich jener Standpauke, die mir Lea freundlicherweise angedeihen ließ. Durch sie habe ich ohnehin viel gelernt, was mir vorher einigermaßen unklar war. Vor allem machte sie mir die Probleme bewusst, vor denen »ganz normale Leute« (Lea meint, ich sei nicht »normal«) stehen, wenn sie mit der »Geheimsprache der Philosophen« konfrontiert werden.

Wir beide hoffen, dass dieses Buch ein wenig dazu beitragen kann, die Lust am wilden, ungehemmten Philosophieren zu fördern. Schließlich ist die Aufforderung »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«, die der Königsberger Philosoph Immanuel Kant im 18. Jahrhundert formulierte, noch immer brennend aktuell. Wir sollten es keinesfalls »den Experten« überlassen, über den Sinn und Unsinn des Lebens zu richten. Machen wir uns selber einen Reim auf die Welt! Das mag vielleicht anstrengender sein, als althergebrachten Glaubensrezepten blind zu vertrauen, aber eine solche Anstrengung lohnt sich in jeder Hinsicht: Denn Nachdenken ist nicht nur vernünftiger als Nachbeten, es macht auch viel mehr Spaß!

Lea Salomon & Michael Schmidt-Salomon

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1

Über das Leben, das Universum und den ganzen Rest

»Mich erstaunen Leute, die das Universum begreifen wollen, wo es schwierig genug ist, in Chinatown zurechtzukommen.«

WOODY ALLEN (*1935)

Amerikanischer Schauspieler, Autor und Regisseur

»Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.«

DOUGLAS ADAMS (1952–2001)

Britischer Schriftsteller

Gibt es einen Grund dafür, dass wir existieren?

Michael: Aller Anfang ist schwer, heißt es. Das gilt auch für philosophische Diskussionen. Hast du eine Idee, mit welchem Thema wir loslegen sollen? Gibt es eine Frage, die dich besonders interessiert?

Lea: Ja. Eigentlich sind es sogar zwei Fragen: Gibt es einen Grund dafür, dass wir existieren? Und: Warum gibt es überhaupt irgendetwas – und nicht einfach nichts?

Alle Achtung, du gehst ja gleich in die Vollen! Das sind wahrscheinlich die beiden dunkelsten aller dunklen Fragen. Willst du wirklich, dass wir zu Beginn solch schwere Themen behandeln?

Unbedingt!

Also gut, fangen wir an: Den Grund dafür, dass du existierst, den kennst du doch, oder?

Klar! Mama und du, ihr habt in der ersten Euphorie des Mauerfalls die Verhütungsmittel vergessen – neun Monate später war ich da.

Äh, ja … So wollte ich es eigentlich nicht formulieren, aber es stimmt: Du wurdest in diesen abenteuerlichen Novembertagen 1989 gezeugt, als uns irgendwie alles möglich erschien.

Das ist eine schöne Geschichte, aber sie liefert natürlich überhaupt keine Antwort auf meine Frage! Ich hab dich ja nicht gefragt, warum ich existiere, sondern warum überhaupt irgendetwas existiert. Glaub nicht, dass du mich mit so einfachen Antworten abspeisen kannst!

Okay, dann hole ich etwas weiter aus: Soweit wir wissen, entstand die uns bekannte Materie vor 13,7 Milliarden Jahren im Zuge einer gigantischen Raumexplosion, des sogenannten Urknalls. Aus den riesigen Gas- und Staubwolken des Urknalls bildeten sich vor etwa 12 Milliarden Jahren die ersten Sterne …

Stopp! Auch diese Geschichte kenne ich: Vor 4,5 Milliarden Jahren begann der Lebenszyklus unserer Sonne. Dank der Energie, mit der die Sonne die Erde versorgt, entwickelten sich hier die ersten primitiven Lebensformen. Aus diesen gingen im Verlauf der Evolution unzählige Arten hervor, unter anderem der heutige Mensch.

Richtig.

Du willst also sagen: Dass es überhaupt irgendetwas gibt, haben wir dem Urknall zu verdanken? Ganz so einfach ist das ja wohl nicht! Die entscheidende Frage ist doch: Wer oder was hat den Urknall ausgelöst?

Tja, wenn ich das wüsste, wäre mir der Physik-Nobelpreis sicher! Wir haben bislang keine Ahnung, was vor dem Urknall war oder ob überhaupt irgendetwas vor ihm war. Manche meinen, der Urknall sei tatsächlich der absolute Beginn von allem gewesen, andere halten den Urknall für die Folge des Zusammenbruchs eines vorherigen Universums. Wieder andere sind davon überzeugt, dass dem Urknall ein statischer Zustand, ein »ewiges Vakuum«, vorangegangen ist. Es gibt da verschiedene Modelle.

Also, wenn wir das alles nicht wissen, dann könnte der Urknall doch auch von einem Gott ausgelöst worden sein, oder?

Denkbar ist vieles. Es könnte ein Gott gewesen sein – oder auch ein Team verrückter Computerprogrammierer aus einer anderen Dimension, die sich mit der Erschaffung unseres Universums bloß einen dummen Scherz erlaubt haben.

Du meinst, wir sind Teil eines riesigen Computerprogramms? Wie im Film »Matrix«?

Ich sage nur, dass das denkbar wäre. Ebenso gut könnte unser gesamter Kosmos ein winziges Atom in einem gigantischen Organismus sein, dessen Ausmaß jenseits unserer Vorstellungskraft liegt. Vielleicht leben wir ja im Verdauungstrakt eines unsichtbaren Kobolds namens Gaga Gurgelhurz – und der Urknall war bloß die für uns wahrnehmbare Wirkung einer gigantischen, kosmischen Blähung …

Jetzt nimmst du mich auf den Arm!

Zugegeben. Vor allem aber geht es mir darum zu zeigen, dass solche Spekulationen beliebig sind und uns kein bisschen weiterhelfen. Denn selbst wenn wir wüssten, dass der Urknall tatsächlich von einem scherzenden Programmierer, einem furzenden Kobold oder einem liebevollen Schöpfergott ausgelöst wurde, so müssten wir ja weiterfragen: Wodurch sind Programmierer, Kobold oder Gott entstanden?

Na ja, ein Gott könnte doch schon immer existiert haben oder plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht sein.

Einverstanden. Aber das könnte doch genauso gut auf das Universum zutreffen, oder? Es könnte, wenn auch in anderer Form, schon immer existiert haben oder irgendwann aus dem Nichts entstanden sein.

Hmm, stimmt! Wenn ich mir das so recht überlege: Im Grunde verlagert man mit der Einführung eines Gottes das Problem nur eine Stufe weiter nach hinten. Man führt eine Erklärung ein, die man selbst nicht erklären kann.

Genauso ist es. Auf diese Weise löst man das Rätsel der Entstehung des Universums nicht. Man schafft stattdessen nur ein noch viel größeres Rätsel.

Dennoch, ich weiß nicht … Irgendwie ist das doch alles komisch! Die Welt, die uns umgibt, scheint ziemlich perfekt auf unsere Bedürfnisse abgestimmt zu sein. Wir haben genau die Luft, die wir zum Atmen brauchen. Wir verfügen über Wasser, mit dem wir unseren Durst stillen können, und sind umgeben von Pflanzen und Tieren, die uns Nahrung bieten. Wirkt das nicht so, als sei das alles speziell für uns geschaffen worden?

Eine Gegenfrage: Was wäre denn, wenn wir keine Luft zum Atmen hätten, kein Wasser und keine Nahrung?

Na, dann würde es uns nicht geben.

Und was heißt das bezogen auf deine Frage?

Keine Ahnung.

Wenn wir nicht existieren würden, so würde doch niemand die Frage stellen, ob diese Welt nicht geradezu perfekt für uns geschaffen wurde, oder?

Logisch, aber ich verstehe immer noch nicht, worauf du hinauswillst.

Überleg doch mal: Du kannst diese Frage nur deshalb stellen, weil die Bedingungen auf der Erde Leben ermöglichen. Ohne diese Bedingungen gäbe es keine Frage.

Ach so: Du meinst, man muss sich eigentlich gar nicht darüber wundern, dass die Bedingungen für unser Leben gegeben sind. Denn wären sie nicht gegeben, dann wäre auch niemand da, der sich wundern könnte! Habe ich das richtig verstanden?

Absolut perfekt! Lass uns nun noch einen Schritt weiter gehen: Wir wissen also, dass wir nur deshalb existieren, weil entsprechende Bedingungen auf der Erde vorherrschen. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass diese Bedingungen deshalb vorherrschen, damit wir existieren können.

Warte mal: Wo liegt der Unterschied?

Nun, im ersten Fall stellen wir bloß fest, dass es Ursachen gibt, die unsere Existenz bedingen. Hätte es diese Ursachen nicht gegeben, würden wir nicht existieren.

Korrekt.

Im zweiten Fall stellen wir aber nicht bloß etwas fest, wir unterstellen vielmehr etwas, und zwar etwas, das nicht notwendigerweise zutreffen muss!

Wieso das?

Wir behaupten, dass die Ursachen, denen wir unsere Existenz verdanken, aus einem bestimmten Grund vorliegen, weil irgendetwas oder irgendjemand damit einen Zweck verfolgt.

Alles klar. Das Problem ist also, dass manche Ursachen Wirkungen haben, die gar nicht bezweckt sind, oder?

Genau.

Bei genauerer Betrachtung bin ich ja selbst ein lebendes Beispiel für eine solche unbeabsichtigte Wirkung. Die Menschen, die 1989 in Leipzig und Berlin auf die Straße gingen, hatten dafür bestimmt gute Gründe, aber sie hatten ganz gewiss nicht im Sinn, ein junges Paar in Trier dazu zu bringen, auf Verhütungsmittel zu verzichten und eine Tochter namens Lea in die Welt zu setzen.

Haha! Ja, das ist ein schönes Beispiel. Wenn du erlaubst, möchte ich es noch ein Stückchen weiterspinnen: Du weißt doch, dass sich deine Urgroßeltern in den Wirren des 2. Weltkriegs kennengelernt haben. Sie stammten aus unterschiedlichen Teilen Deutschlands und auch aus ziemlich unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten. Ohne die Turbulenzen, die der Krieg damals auslöste, hätten sich die beiden niemals getroffen. In diesem Fall wäre deine Oma nie geboren worden und somit würde es auch uns beide nicht geben.

Willst du damit sagen, dass nicht nur der Berliner Mauerfall, sondern auch der 2. Weltkrieg eine notwendige Ursache für meine Existenz war?!

Jawohl, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber das heißt natürlich nicht, dass Hitler mit seinem Angriffskrieg in irgendeiner Weise bezweckte, dass du geboren würdest und nun mit mir über solch seltsame Dinge diskutieren kannst.

Krasses Beispiel! Aber ich glaube, ich verstehe jetzt, worauf du hinauswillst: Dieser Massenmörder Hitler schuf indirekt Voraussetzungen dafür, dass es mich heute gibt, aber er hat meine Existenz natürlich niemals bezweckt. Und so könnte es auch sein, dass niemand die Existenz des Universums oder der Menschheit in irgendeiner Weise gewollt hat, oder?

Richtig. Es gibt zwar unzählige Ursachen dafür, dass wir heute existieren, aber es muss nicht sein, dass irgendjemand je unsere Existenz im Sinn hatte. Und damit können wir auch auf deine Ausgangsfrage zurückkommen: Es könnte sein – und ich halte das sogar für äußerst wahrscheinlich –, dass es überhaupt keinen Grund für unsere Existenz gibt, sondern bloß Ursachen.

Wenn ich dich richtig verstanden habe, sind Gründe auf Zwecke ausgerichtet, bloße Ursachen aber nicht. Stimmt das?

Ja. Wenn du dir nach dem Duschen die Haare föhnst, dann hast du einen Grund dafür, denn du verfolgst einen Zweck: Du stylst dich, um gut auszusehen. Der Föhn in deiner Hand trocknet deine Haare jedoch nicht, weil er damit irgendetwas bezweckt, sondern weil er nun einmal so konstruiert wurde, dass er heiße Luft erzeugt, wenn man ihn an eine Stromquelle anschließt.

Verstehe. Die Konstruktion des Föhns ist die Ursache dafür, dass er heiß wird. Er selbst kennt jedoch keine Gründe, da er keine Zwecke verfolgt. Er sagt sich nicht: »Mann, heute hätte ich aber wirklich große Lust, heiß zu werden!« Er tut einfach das, wozu er bestimmt ist. Basta! Das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen mir und dem Föhn.

In der Tat.

Dennoch gibt es gute Gründe dafür, dass der Föhn genau so konstruiert wurde und nicht anders.

Klar. Denn die Menschen, die den Föhn konstruierten, verfolgten damit einen Zweck.

Das heißt also, es gibt einen Grund für die Existenz dieses dämlichen Föhns, aber keinen Grund für die Existenz der Menschheit?!! Das klingt ganz schön schräg!

Ja, wenn man das so ausdrückt! Man kann es aber auch anders formulieren: Der Föhn unterliegt einem fremdbestimmten Zweck, da er von uns Menschen zur Erfüllung einer Aufgabe konstruiert wurde. Da wir selbst aber von niemandem konstruiert wurden, können wir über den Zweck, den Sinn unseres Daseins, selbst bestimmen. Wir Menschen sind also im Unterschied zum Föhn keinen fremden Zwecken unterworfen.

Gut, ich gebe zu, dass das angenehmer klingt. Aber: Woher willst du denn so genau wissen, dass wir im Unterschied zum Föhn von niemandem konstruiert wurden und somit auch keinem fremden Zweck unterliegen?

Ich will gar nicht behaupten, dass ich das so genau weiß. Aber es sprechen sehr viele Indizien für diese Annahme.

Und welche Indizien sind das deiner Meinung nach?

Wenn etwas zu einem bestimmten Zweck geschaffen wurde, dann weist es Eigenschaften auf, die diesen Zweck in irgendeiner Weise widerspiegeln. Der Föhn zum Beispiel besitzt exakt die Eigenschaften, die seiner vorgegebenen Funktion entsprechen. Aber gilt dies auch für das Universum oder für uns? Besitzen wir Eigenschaften, die die Annahme rechtfertigen, dass wir von irgendjemandem aus irgendeinem Grund erschaffen wurden? Ich meine: Nein! Doch um das zu erklären, müssten wir einen genaueren Blick auf die Natur der Dinge werfen.

Klingt interessant. Aber lass uns dieses Thema auf morgen verschieben. Das war, wie ich finde, schon genug Input fürs Erste …

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»Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?« Mit dieser Frage (die Lea, ohne es zu wissen, fast wörtlich zitierte) eröffnete der deutsche Philosoph Martin Heidegger (1889–1976) seine berühmte Vorlesung »Einführung in die Metaphysik«. Heidegger war natürlich nicht der einzige Philosoph, der sich mit dem Problem des Seins und des Nichts beschäftigte. Zwei Jahrhunderte vor ihm hatte bereits ein anderer Denker, den viele heute wohl nur noch mit einem Butterkeks in Verbindung bringen, mit dieser dunklen Frage gerungen: Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716). Für den christlichen Universalgelehrten Leibniz war klar, dass nur »Gott« der Ur-Grund sein könne, dem wir unser aller Existenz zu verdanken haben.

Ähnlich dachte auch der einflussreiche englische Theologe William Paley (1743–1805), der die sogenannte Uhrmacher-Analogie populär machte. Sein zentrales Argument war recht einfach gestrickt, klang aber überzeugend: Wenn wir eine funktionstüchtige Uhr im Wald finden, meinte Paley, so gehen wir ganz selbstverständlich davon aus, dass diese nicht zufällig entstanden ist, sondern von einem planvoll vorgehenden Uhrmacher hergestellt wurde. Nun ist eine Uhr weit weniger komplex als beispielsweise ein menschliches Auge. Müssten wir also, fragte Paley, angesichts der vielen komplexen Organismen in der Natur nicht ebenso selbstverständlich unterstellen, dass hier ein intelligenter Planer (nämlich »Gott«!) im Spiel war? Erst mit dem Buch »Über die Entstehung der Arten«, mit dem Charles Darwin (1809–1882) die moderne Evolutionstheorie begründete, wurde es möglich, das Uhrmacher-Argument wirksam zu entkräften. Wir werden später noch darauf zurückkommen.

Die Herkunft unserer Spezies war vor Darwins bahnbrechenden Erkenntnissen rational kaum zu erklären. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Menschen allerlei Schöpfungsmythen erfanden, um eine halbwegs plausible Antwort auf das Rätsel ihrer Existenz zu finden. Der Phantasie waren dabei keine Grenzen gesetzt: In der chinesischen Mythologie beispielsweise ging man davon aus, dass die Urmaterie die Gestalt eines Hühnereies hatte, das sich später in Himmel und Erde teilte. Die nordischen Völker hingegen erzählten sich die wundersame Geschichte des Urriesen Ymir, aus dessen grausig zerstückelten Körperteilen die Welt entstand. Juden, Christen und Muslime wiederum glaub(t)en (zum Teil bis zum heutigen Tag) an ein allmächtiges Wesen namens Jahwe, Gott oder Allah, das die Welt in sechs Tagen erschuf.

Wo der Mythos blüht, ist allerdings auch die Parodie nicht weit! Die vielleicht schönste Schöpfungs-Parodie stammt von dem britischen Schriftsteller Douglas Adams (1952–2001). In seiner satirischen Science-Fiction-Reihe »Per Anhalter durch die Galaxis« berichtete er von der außerirdischen Spezies der Jatravartiden – kleiner, blauer Lebewesen mit mehr als 50 Armen, die schon allein deshalb außergewöhnlich sind, weil sie als einzige Spezies im gesamten Universum das Deospray vor dem Rad erfunden haben. Douglas Adams zufolge glauben die Jatravartiden, dass ein Wesen namens »Großer Grüner Arkelanfall« das Universum einst ausgeniest hat, weshalb sie in ständiger Furcht vor einem Tag leben, den sie als die »Ankunft des Großen Weißen Taschentuchs« bezeichnen. Glücklicherweise soll die Schöpfungslehre der Jatravartiden außerhalb ihrer Heimatwelt nicht sonderlich stark verbreitet sein …

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Sind die Dinge so, wie sie uns erscheinen?

Du hast gestern gemeint, dass die Eigenschaften des Universums nicht darauf hindeuten, dass sich dahinter irgendein Plan verbirgt. Das mag ja stimmen, aber bevor wir darüber sinnvoll reden können, müssten wir doch erst einmal wissen, ob das Universum wirklich so ist, wie wir es wahrnehmen, oder? Es könnte doch alles ganz anders sein! Nehmen wir zum Beispiel dieses Sofa: Ist es tatsächlich rot oder kommt es uns bloß so vor?

Du willst also wissen, ob die Dinge tatsächlich so sind, wie sie uns erscheinen?

Ja. Das ist doch eine interessante Frage.

Dem stimme ich zu. Um deine Frage beantworten zu können, müssen wir uns zunächst bewusst machen, dass wir über das »Ding an sich« keine vernünftigen Aussagen machen können, sondern bloß über das »Ding für uns«.

Hä? [Das ist die in unserer Region gebräuchliche Abkürzung für »Entschuldigung, das habe ich gerade nicht richtig verstanden. Könntest du das bitte noch einmal erklären?«, die Lea gerne mal verwendet.]

Also, das »Ding an sich« ist das Ding in seinem absoluten, reinen Zustand – so wie es möglicherweise unabhängig von unserer Wahrnehmung existiert. Nehmen wir unser Sofa als Beispiel: Über die Eigenschaften, die das Sofa »an sich« hat, können wir nichts Vernünftiges aussagen. Schließlich nehmen wir es nicht »an sich« wahr, sondern nur in Bezug zu uns. So wird aus dem »Sofa an sich« ein »Sofa für uns«, nämlich ein Möbelstück, das wir mit unseren Augen sehen und mit unserem Tastsinn erspüren können.

Moment mal: Willst du damit sagen, dass das Sofa in Wirklichkeit gar nicht da ist, sondern bloß in unserer Vorstellung existiert?

Nein, sonst würden wir hier bestimmt nicht so bequem sitzen. Dieses Sofa existiert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tatsächlich – also auch unabhängig von unserer Wahrnehmung. Dennoch können wir es losgelöst von unserer Wahrnehmung nicht wahrnehmen.

Okay, ich sehe ein, dass ich das Sofa nicht unabhängig von meiner Wahrnehmung wahrnehmen kann. Aber ist das nicht eine total überflüssige Haarspalterei? Was bringt es uns denn, zwischen dem »Ding an sich« und dem »Ding für uns« zu unterscheiden?

Nun, wir kommen damit einer Antwort auf deine Frage durchaus näher – und die lautet: Du nimmst dieses Sofa zwar als rot wahr, »an sich« aber besitzt es diese Eigenschaft wohl nicht!

Was? Das rote Sofa ist in Wirklichkeit gar nicht rot?

Sagen wir es mal so: Die Röte, die du wahrnimmst, ist keine Eigenschaft des Sofas, sondern eine Konstruktionsleistung deines Gehirns.

Und wie kommt es dann, dass ich rot sehe – ich meine, in Bezug auf das Sofa?

Nehmen wir an, Sonnenlicht fällt auf unser Sofa. Physikalisch bedeutet das, dass eine elektromagnetische Strahlung auf das Oberflächenmaterial des Sofas trifft. Dieses Oberflächenmaterial ist so strukturiert, dass es einen Teil des Wellenlängenspektrums des Lichts reflektiert, sagen wir: eine Wellenlänge von 630 Nanometern.

Was geschieht mit dem Rest?

Die restlichen Wellenlängen werden absorbiert, gewissermaßen vom Oberflächenmaterial des Sofas geschluckt. Du musst wissen, dass die darin enthaltenen Atome und Moleküle nur auf die Lichtenergie in einem bestimmten Wellenlängenbereich reagieren können. Was sie nicht aufnehmen, wird wieder abgegeben.

Und das sehen wir dann?

Ja, die Wellenlängen, die die Atome des Sofabezugs nicht verarbeiten können, treffen auf die Farbrezeptoren unserer Netzhaut, die sogenannten L-, M- und S-Zapfen.

Wie bei T-Shirt-Größen? L für Large, M für Medium, S für Small?

So ähnlich. Die L-Zapfen reagieren auf lange Wellenlängen, die M-Zapfen auf mittlere, die S-Zapfen auf kurze. Bei der Rotwahrnehmung sind vor allem die L-Zapfen aktiv, da wir die Farbe »Rot« mit langwelligem Licht zwischen 600 und 750 Nanometern verknüpfen.

Das heißt also, unser rotes Sofa ist in Wirklichkeit gar nicht rot, es absorbiert und reflektiert bloß bestimmte Lichtenergien?

Exakt.

Und dieser Vorgang wird dann von unserem Auge als Rotfärbung interpretiert?

Nun, genau genommen erfolgt diese Interpretation nicht im Auge, sondern im Gehirn. Dort werden die elektrischen Signale, die der Sehnerv übermittelt, auf komplexe Weise weiterverarbeitet. So wird aus der biochemischen Messung von Wellenlängen die subjektive Empfindung »Rot« hervorgezaubert. Unser Gehirn gleicht dabei die neu ankommenden Reize mit bereits gespeicherten Informationen ab und unterlegt das Ganze mit entsprechenden Empfindungen. So erleben wir »Rot«, die Farbe des Feuers, als »warm« und »Blau«, die Farbe des Wassers, als »kalt«, was zur Folge hat, dass wir in blau angestrichenen Räumen eher frieren als in Räumen, die rot oder orange gestrichen sind.

Ja, das habe ich auch schon mal gehört! Allerdings interessiert mich im Moment eine ganz andere Frage. Ich weiß aber nicht so recht, ob das hierhin passt …

Nur keine Hemmungen!

Also, im Physikunterricht haben wir gelernt, dass die Welt aus Atomen, Elektronen, Protonen und vielen anderen winzigen Teilchen besteht, deren Namen ich längst schon wieder vergessen habe. Egal! Diese Teilchen schwirren also auf ihren Bahnen herum und zwischen ihnen ist nichts als gähnende Leere. Dennoch erleben wir die Dinge, die aus diesen Teilchen und dieser Leere gebildet werden, zum Beispiel dieses Sofa, als feste Körper. Das scheint mir doch eine ziemlich ähnliche Illusion zu sein wie die Sache mit der Farbwahrnehmung, oder? Und das bringt mich auf eine Idee: Könnte man nicht sagen, dass das »Sofa an sich« dieses komische »Klitzekleine-Teilchen-schwirren-auf-ihren-Bahnen-wild-herum-Ding« ist, das die Physiker erforschen, während das »Sofa für uns« das feste, gemütliche Möbelstück ist, auf dem wir gerade sitzen?

Interessante Frage. Es gibt eine Menge Naturwissenschaftler, die dir wohl zustimmen würden. Bei genauerer Betrachtung müssen wir aber einräumen, dass auch die Teilchen-Welt eine von uns (wenn auch über sehr komplexe Apparaturen) wahrgenommene Welt ist – sie ist also nicht die »Welt an sich«! Deshalb kann man eigentlich nicht davon sprechen, dass das »Klitzekleine-Teilchen-schwirren-auf-ihren-Bahnen-wild-herum-Sofa« das »Sofa an sich« ist.

Schade! Das hatte für mich irgendwie logisch geklungen.

Zumindest hast du mit deiner Frage auf etwas sehr Wichtiges hingewiesen: Denn ohne Zweifel ist unser Bild von der Welt durch die Erkenntnisse der modernen Wissenschaften sehr viel differenzierter geworden. Wir haben Einblicke in die Natur gewonnen, die die Grenzen unserer ursprünglichen ökologischen Nische weit überschreiten.

Oha! Was soll denn das schon wieder heißen?

Entschuldige, ich bin da wohl etwas vorangeeilt. Vielleicht kommen wir über einen Umweg besser zum Ziel: Was meinst du, warum Geparden so unglaublich schnell sind?

Geparden? Nun, die haben sehr lange Beine, starke Beinmuskeln und riesige Lungen.

Klar, aber warum ist das so?

Geparden sind Raubtiere, die sehr flinke Beutetiere jagen. Wären sie nicht so schnell, wären sie längst ausgestorben.

Richtig. Und warum haben Giraffen so lange Hälse?

Weil sie darauf spezialisiert sind, sich von den Blättern der Baumkronen zu ernähren. Das verschafft ihnen einen Vorteil, da sie nicht mit kleineren Tieren um Nahrung konkurrieren müssen.

Okay, und was heißt das nun für uns Menschen? Warum sehen wir die Röte reifer Himbeeren? Weshalb riechen und schmecken wir es, wenn eine Nahrung für uns verdorben ist? Und warum ist unser Gehirn so eifrig bemüht, Zusammenhänge zwischen Ursachen und Wirkungen zu erkennen?

Weil unsere Vorfahren dadurch ebenfalls Überlebensvorteile besaßen?

Genauso ist es! Unser Wahrnehmungs- und Erkenntnisapparat ist im Überlebenswettbewerb der Evolution entstanden wie der lange Hals der Giraffe oder die flinken Beine des Geparden. Und er ist ebenso gut angepasst an eine spezifische ökologische Nische, nämlich unseren Lebensraum als Menschen. Deshalb können wir Phänomene, die in unserer Nische ursprünglich nicht vorkamen, etwa Geschwindigkeiten über 100 Stundenkilometern, auch heute noch ganz schlecht abschätzen.

Ja, das sage ich den Jungs auch immer, wenn sie hinter dem Lenker den »großen Macker« spielen wollen …

Nun, die besondere Risikobereitschaft junger Männer ist auch so ein Erbe der Evolution – ich war da natürlich ganz anders!

Ha! Ob ich das glauben soll? Da werde ich wohl Oma fragen müssen, hehe … Aber du wolltest doch eigentlich etwas ganz anderes sagen, oder?

Stimmt! Worauf ich hinauswollte, war Folgendes: Wir haben gesehen, dass unser Erkenntnisapparat – wie der Hals der Giraffe – ein Produkt der natürlichen Evolution ist. Von daher ist er selbstverständlich gar nicht darauf ausgerichtet, die »Welt an sich« zu erfassen, er hat eine ganz andere Funktion …

… nämlich unser Überleben zu sichern!

Korrekt!

Und bei diesem Ziel hätte es unseren Vorfahren sicherlich wenig geholfen, wenn sie statt einer Antilope einen »Klitzekleine-Teilchen-schwirren-auf-ihren-Bahnen-wild-herum-Tierkomplex« gesehen hätten, oder?

Ja, ich vermute, das hätte Homo erectus doch ziemlich verwirrt.

Ich hab noch eine Frage: Wenn unsere Sicht auf die Welt in der Evolution entstanden ist, so heißt das doch, dass andere Lebewesen die Welt möglicherweise auch ganz anders wahrnehmen, oder? Ist für eine Katze wie Charly das Sofa vielleicht gar nicht rot?

Nun, für Charly dürfte das Sofa tatsächlich keine rote, sondern eine gelbe Farbe haben. Katzen besitzen nämlich nur zwei Zapfentypen, die langwelliges, rotes Licht nicht verarbeiten können. Das ist für sie als nachtaktive Räuber auch nicht von Bedeutung. Sie brauchen keine gute Farbwahrnehmung, sondern müssen im Dunkeln gut sehen können, um ihre Beute zu erjagen. Und auf diesem Gebiet sind sie uns tatsächlich haushoch überlegen.

Aber es gibt doch auch Tiere, die Farben sehen, die wir gar nicht wahrnehmen können, oder täusche ich mich da?

Nein, du hast recht: Viele Insekten, Vögel und Fische können im Unterschied zu uns ultraviolette Strahlung wahrnehmen. Daher sieht eine Blumenwiese für Bienen ganz anders aus als für uns. Außerdem verfügen manche Tiere über Sinne, die uns völlig fremd sind: Zugvögel beispielsweise orientieren sich am Magnetfeld der Erde, Fledermäuse können in völliger Dunkelheit fliegen, da sie Ultraschallwellen senden und empfangen. Sie »sehen« gewissermaßen mit ihren Ohren.

Dazu habe ich mal eine spannende Doku gesehen! Ich frage mich, wie das wohl ist, eine Fledermaus zu sein? Können wir uns das überhaupt vorstellen?

Interessant, dass du das fragst! Denn genau dazu hat der amerikanische Philosoph Thomas Nagel in den 1970er-Jahren einen sehr einflussreichen Artikel geschrieben. Nagel meinte, dass wir, selbst wenn wir alles über Fledermäuse wissen sollten, immer noch nicht wüssten, wie es sich anfühlt, die Welt mit den Sinnen einer Fledermaus wahrzunehmen. Zwischen unserer Außenwahrnehmung und der Innenwahrnehmung eines Lebewesens besteht eine große Kluft.

Das klingt für mich logisch, aber gilt das denn nur für unser Verhältnis zu Fledermäusen? Es ist doch unter uns Menschen gar nicht so viel anders, oder? Ich meine: Ich sehe dich, ich rede mit dir, und wenn ich eine Hirnforscherin wäre, dann könnte ich vielleicht auch noch erkennen, was während des Gesprächs in deinem Gehirn abläuft. Aber: Ich würde doch trotzdem niemals wissen, wie es sich anfühlt, du zu sein. Ebenso wenig, wie du wissen kannst, wie es sich anfühlt, ich zu sein.

Richtig. Die Qualität unseres eigenen, inneren Erlebens – die Philosophen sprechen hier von »Qualia« – ist nur uns selbst zugänglich. Wenn wir mit anderen Menschen mitleiden oder uns mit ihnen mitfreuen, so beruht dies auf einer – zweifellos nützlichen – Projektion: Wir stellen uns vor, wie wir uns fühlen würden, wenn wir uns in ihrer Lage befänden. Damit werden wir wahrscheinlich nicht völlig danebenliegen, da wir derselben Spezies angehören. Dennoch können wir niemals erfahren, wie es sich wirklich anfühlt, jemand anderes zu sein, als der, der wir sind.

Aus unserer eigenen Haut kommen wir einfach nicht heraus!

Ja, hier stoßen wir auf eine Grenze der Erkenntnis, die wir wohl nie überwinden werden …

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Ob die Dinge wirklich so sind, wie sie uns erscheinen? Das interessierte den griechischen Philosophen Platon (427–347) schon vor rund 2500 Jahren. In seinem berühmten »Höhlengleichnis«, das noch heute gerne als Beispiel in der Schule herangezogen wird, beschrieb er eine Gruppe von gefesselten Menschen, die nur die Schatten sehen können, die von Gegenständen hinter ihrem Rücken auf die Höhlenwand geworfen werden. Da sie keine anderen Erfahrungen machen können, betrachten sie die Schatten der Dinge ganz selbstverständlich als die realen Dinge. Platon fragte, was geschehen würde, wenn einer der Gefangenen befreit würde, die Höhle verlassen könnte und die Dinge so sähe, wie sie wirklich sind: Würden die anderen Gefangenen seinen phantastischen Erzählungen Glauben schenken? Wohl kaum! Dennoch hätte der Außenseiter eine »höhere« Form der Erkenntnis gewonnen.

Das Höhlengleichnis lässt sich auf verschiedene Weise deuten (was wohl der Grund dafür ist, warum Lehrer es immer wieder aus der Tasche ziehen). Platon selbst wollte damit demonstrieren, dass der Mensch seinen Sinneseindrücken misstrauen und nach »höherem Geistigem« streben sollte. Nur so könne er entdecken, was sich hinter der erfahrbaren Welt verberge: Für Platon war dieser »Ursprung aller Dinge« das »Reich der Ideen«, andere nannten es »Gott«.

Das Christentum, das von der Antike ansonsten herzlich wenig wissen wollte, adoptierte den Philosophen Platon wie kaum einen anderen vorchristlichen Denker. Das lag nicht nur daran, dass Platon der Namenspatron der sogenannten platonischen Liebe ist (einer rein »geistigen Liebe«, unbefleckt von »sexueller Begierde«). Wichtiger noch war, dass sich sein Gedankengebäude wunderbar ins religiöse Weltbild einfügen ließ. Schließlich geht auch das Christentum davon aus, dass sich hinter den profanen, sinnlich wahrnehmbaren Dingen eine »höhere geistige Quelle« (nämlich »Gott«) verbirgt.

Skeptiker wie der englische Philosoph David Hume (1711 bis 1776) lehnten derartige Vorstellungen ab. Für Hume war es offensichtlich, dass sich alle Ideen (selbst die erhabensten Ideen Platons) letztlich aus einfachen Sinneseindrücken speisten (etwa der Wahrnehmung von heiß und kalt). Die Sinne waren für ihn die einzige Quelle unseres Wissens über die Welt. Unabhängig von sinnlichen Eindrücken, meinte er, könne man gar nicht sinnvoll über die Wirklichkeit sprechen.

Tatsächlich ist uns eine gewisse Vorstellung von Raum und Zeit, Ursache und Wirkung angeboren, weshalb schon Babys recht verdutzt aus der Wäsche schauen, wenn ein Ball auf einer schiefen Ebene nach oben statt nach unten rollt. Wie diese Vorannahmen entstanden sind, konnte erst die evolutionäre Erkenntnistheorie im 20. Jahrhundert erhellen: Forscher wie Konrad Lorenz (1903–1989), Rupert Riedl (1925–2005) und Gerhard Vollmer (*1943) zeigten auf, dass unsere Weise, die Welt zu betrachten, ein Produkt der Evolution ist wie unser Geruchssinn oder die Funktionsweise unseres Verdauungstraktes.

Immanuel Kant traf also voll ins Schwarze, als er den Begriff »a priori« (»vom Früheren her«) für die Vorannahmen der Erkenntnis verwendete. Selbstverständlich war ihm (rund 70 Jahre vor Darwins Buch »Über die Entstehung der Arten«) nicht bewusst, wie früh sich dieses »Frühere« bereits in der Natur zu entwickeln begann. Aber vielleicht war das auch gut so, denn hätte Kant neben seiner skandalösen Religions- und Ideologiekritik auch noch eine Evolutionstheorie entworfen, wäre der Königsberger Philosoph wohl zu Königsberger Klopsen verarbeitet worden …

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Was können wir wissen?

Also, ich finde das alles ziemlich verwirrend: Ich sitze hier auf einem Sofa, das auf mich »rot« und auf Charly wohl »gelb« wirkt und von dem ich nicht weiß, welche Eigenschaften es »an sich« hat. Wir wissen auch nicht, wie andere Tiere die Welt wirklich wahrnehmen. Ja, wir wissen nicht einmal, wie es ist, ein anderer Mensch zu sein. Da fragt man sich doch: Was können wir denn überhaupt wissen?

Nun ja, wenn man bedenkt, dass wir Menschen die Höhlen erst vor einigen Tausend Jahren verlassen haben, dann ist es doch ziemlich beeindruckend, was wir in der Zwischenzeit herausgefunden haben, oder? Wir wissen heute zweifellos mehr als die Menschen früherer Generationen.

Okay, aber ist dieses Wissen denn wirklich sicher?

Was meinst du damit?

Wir hatten doch festgestellt, dass wir gar nicht wissen können, wie die »Welt an sich« ist. Wenn das aber so ist: Woher wollen wir dann wissen, ob irgendeine Aussage über die Welt wahr oder falsch ist?

»An sich« können wir das nicht wissen, »für uns« aber sehr wohl! Zwar wird es den Mond auch losgelöst von unserer Wahrnehmung geben (und dieser »Mond an sich« wird Ebbe und Flut auslösen), aber wir können halt nur über den »von uns wahrgenommenen Mond« reden. In diesem Zusammenhang fällt mir der berühmte Satz des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein ein: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.«

Oha! Und was soll das bedeuten?

Wir sollten uns nicht anmaßen, Aussagen über Dinge zu machen, über die wir vernünftigerweise gar nicht sprechen können! Wer behauptet, einen privilegierten Zugang zur »Welt an sich« zu besitzen, und von irgendeiner »höheren Wahrheit« berichtet, die »jenseits« unserer menschlichen Erfahrung liegt, dem sollten wir mit einer gehörigen Portion Misstrauen begegnen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich nämlich um einen Scharlatan, der uns für dumm verkaufen möchte, oder um einen Menschen, der tragischerweise in seinen eigenen Wahnvorstellungen gefangen ist.

Weshalb bist du dir da so sicher?

Weil uns der Zugang zur Welt, wie sie »an sich« sein mag, prinzipiell verschlossen ist. Jenseits der menschlichen Wahrnehmung gibt es nun einmal keine menschliche Wahrnehmung! Und das gilt selbstverständlich auch für all die »Propheten«, die in der Menschheitsgeschichte aufgetreten sind! Auch sie besaßen nur eine menschlich beschränkte Perspektive, wussten also über die »Welt an sich« ebenso wenig wie du und ich.

Verstehe! Du schlägst also vor, dass wir diese jenseitige »Welt an sich« vergessen und uns stattdessen auf die »von uns Menschen wahrnehmbare Welt« konzentrieren sollten?

Ja, zumal das für uns mit großen Vorteilen verbunden ist: Denn wenn wir unseren Erkenntnisanspruch auf die »Welt des Menschen« beschränken, fällt es uns viel leichter, zwischen wahren und falschen Aussagen zu unterscheiden.

Warum?

Weil diesseitige, menschliche Aussagen auch mit diesseitigen, menschlichen Methoden überprüft werden können! Mit dem »Jenseits« hingegen lässt sich jede Lüge im Diesseits rechtfertigen. Das wusste schon Friedrich Nietzsche.

Okay. Konzentrieren wir uns also auf die »Welt des Menschen«. Wie sehen denn die Methoden aus, mit deren Hilfe wir unterscheiden können, ob eine Aussage wahr oder falsch ist?

Erinnerst du dich? Ich hatte eben einigermaßen keck behauptet, dass ich in meiner Jugend im Unterschied zu anderen niemals den »großen Macker« gespielt habe. Du hattest mir das aus nachvollziehbaren Gründen nicht abgekauft. Und: Du hast eine Methode angegeben, mit der du den Wahrheitsgehalt meiner Aussage überprüfen könntest.

Ich hatte gesagt, dass ich, bevor ich dir das glaube, erst mal bei Oma nachfragen müsste …

Richtig. Auf diese Weise könntest du empirisch überprüfen, ob meine Aussage wahr oder falsch ist.

Halt mal. Was bedeutet denn der Begriff »empirisch«?

»Empirisch« bzw. »Empirie« stammt vom griechischen Wort »empireia«, das »Erfahrung« oder »Erfahrungswissen« meint. Und du wolltest ja in Erfahrung bringen, welche Erfahrungen Oma mit ihrem pubertären Sohn gemacht hat. Das ist durchaus eine empirische Methode – und nicht einmal die schlechteste.

Besser wäre es aber noch, wenn ich neben Oma deine ehemaligen Schulkameraden, Freunde und vor allem deine früheren Freundinnen interviewen würde. Oma hat ja bestimmt nicht alles mitbekommen, was du so getrieben hast!

Glücklicherweise …

Kann ich mir denken!

Nun, ich will das hier nicht weiter vertiefen … Kommen wir lieber auf unser Thema zurück: Wenn du sehr viele Leute interviewen würdest, so ergäbe das sicherlich ein genaueres Bild meiner damaligen Aktivitäten.

Doch so richtig verlässlich wäre auch das nicht! Im besten Fall würde ich herausfinden, was all die Leute heute über dein damaliges Ich denken. Dummerweise kann ich aber weder deine noch ihre Aussagen mit deinem damaligen Ich direkt vergleichen.

Stimmt! Deshalb helfen uns Befragungen auch nur bei bestimmten Problemen weiter. Empirische Sozialwissenschaftler können mit Befragungen zwar herausfinden, was eine Gruppe von Menschen denkt, beispielsweise ob sie eher der Evolutionstheorie oder der Schöpfungslehre zustimmt. Aber selbst, wenn man weiß, was die Mehrheit der Menschen für wahr hält, weiß man noch lange nicht, ob es auch tatsächlich wahr ist.

Klar, denn auch Mehrheiten können sich irren. Befragungen sind da sinnlos, aber es gibt doch sicher auch noch andere Möglichkeiten, Aussagen empirisch zu überprüfen?

Selbstverständlich. Nehmen wir an, wir wollten den Wahrheitsgehalt der folgenden Aussage ermitteln: »Mensch und Schimpanse sind eng miteinander verwandt und stammen von einem gemeinsamen Vorfahren ab, der vor etwa sechs Millionen Jahren lebte.« Wie du weißt, wird diese Aussage noch immer von vielen Gläubigen weltweit bestritten. Mit Umfragen kommen wir hier nicht weiter, wir müssen vielmehr nach harten, empirischen Belegen suchen, die unsere These entweder stützen oder entkräften.

Und wie stellen wir das an?

Nun, zunächst einmal können wir die Eigenschaften, also zum Beispiel die Anatomie oder das Verhalten von Menschen und Schimpansen systematisch beobachten und sie mit den Eigenschaften anderer Lebewesen vergleichen. Zudem können wir Knochen und Fossilien aus früheren Epochen untersuchen und versuchen, mit ihrer Hilfe die Abstammungslinien beider Spezies zu rekonstruieren. Die beste Methode, ihren Verwandtschaftsgrad herauszufinden, besteht allerdings darin, ihren Erbcode, die DNA, zu analysieren und dem genetischen Code anderer heute lebender oder bereits ausgestorbener Arten gegenüberzustellen. Dabei zeigt sich, dass Schimpanse und Mensch enger miteinander verwandt sind als Schimpanse und Gorilla. Nach heutigem Kenntnisstand verließ der Vorfahre des heutigen Gorillas unsere gemeinsame Abstammungslinie vor etwa sieben Millionen Jahren, während Menschen und Schimpansen erst seit rund sechs Millionen Jahren getrennte Wege gehen.

Echt? Im ersten Moment würde man eher vermuten, dass Gorilla und Schimpanse enger miteinander verwandt sind.

Dieses Beispiel zeigt uns, dass wir mit reinem Nachdenken alleine kaum herausfinden können, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. Dazu bedarf es empirischer Methoden, vor allem genauer, systematischer Beobachtungen und klug aufgebauter Experimente.

Gut, ich sehe ein, dass empirische Überprüfungen wichtig sind. Gibt es denn noch andere Methoden, die Wahrheit herauszufinden?

Ja, die gibt es. Du schaust doch hin und wieder amerikanische Gerichtsserien, oder? Da nehmen die Anwälte ihre Zeugen manchmal ziemlich hart ins Kreuzverhör. Warum tun sie das wohl?

Ich denke, sie wollen die Zeugen in Widersprüche verwickeln, um herauszufinden, was wirklich geschehen ist.

Richtig. Und damit sind wir auch schon bei dem zweiten wichtigen Verfahren, das wir kennen, um den Wahrheitsgehalt von Aussagen zu überprüfen: Bei diesem Verfahren versucht man herauszufinden, ob einzelne Aussagen logisch miteinander übereinstimmen oder ob es zwischen ihnen Widersprüche, also logische Unvereinbarkeiten, gibt. Wenn beispielsweise ein Zeuge einräumt, er habe sich auf dem Oktoberfest in München besinnungslos besoffen, dann kann er nicht zum gleichen Zeitpunkt seine Erbtante in Hamburg gepflegt haben.

Das ist einleuchtend.

Und genau darum geht es in der Logik. Es geht um Evidenz, also um Zusammenhänge, die unmittelbar, ohne empirische Überprüfung, einleuchtend sind. Um zu wissen, dass ein Mensch nicht gleichzeitig in München und Hamburg sein kann, musst du keineswegs Forschungsteams in beide Städte aussenden, die das empirisch untersuchen. Es reicht völlig aus, zu erkennen, dass die Aussagen logisch nicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Manchmal ist es allerdings gar nicht so einfach, solche logischen Unvereinbarkeiten zu erkennen. Und so begehen wir immer wieder Fehler, wenn wir unsere Schlüsse ziehen.

Was für Fehler zum Beispiel?

Es gibt verschiedene Formen von logischen Fehlschlüssen. Wir neigen unter anderem zu Übergeneralisierungen, also dazu, Einzelerfahrungen unzulässig zu verallgemeinern.

Wenn ich von einem kleinen, weißen Hund gebissen wurde und daraus ableite, dass alle kleinen, weißen Hunde beißen?

Ende der Leseprobe