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»Lichte Gedichte« widmet sich sowohl den ewigen Themen der Dichtung – Liebe, Natur und Tod – als auch zeitgenössischen Sujets wie einem Besuch im Möbelhaus am Montagvormittag oder einem Interview mit Steffi Graf. Dem Spagat zwischen Ernst und Komik verleiht Robert Gernhardt eine besondere Qualität in seinem größten Zyklus »Herz in Not«, der in einhundert Gedichten seine Herzoperation poetisiert.
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Seitenzahl: 113
Robert Gernhardt
Lichte Gedichte
Fischer Klassik PLUS
Fischer e-books
Ein guter Abend, um Pflaumen zu schneiden,
vorausgesetzt, es stimmt mit euch beiden.
Man kann beim Entkernen Gefühle erleben,
die schlichtweg erheben.
Zum Beispiel das, nicht allein zu sein.
Dann das Gefühl, zu zwein zu sein.
Sowie die Gewißheit: Was immer ihr tut –
es wird gut.
Ich rede jetzt nicht von der Marmelade.
Wenn die danebengeht, ist es kein Schade.
Auch meine ich keineswegs euer Verschränken.
Daß das in Ordnung geht, will ich gern denken.
Nein:
Ich stell mir nur vor, wie ihr Pflaumen schneidet,
wie ihr sorgsam die Kerne vom Fruchtfleisch scheidet
und wie sich zwei Schalen nach und nach füllen
mit Kernen und Hüllen.
Solch Scheiden, paarweis und stetig betrieben,
steigert das Leben und fördert das Lieben,
hindert das Meiden und mindert das Leiden,
vorausgesetzt, es stimmt mit euch beiden.
Der heiße Tag. Das Summen wilder Bienen
geht in dem Wein so emsig ein und aus,
als wolle jede mit dem Hinweis dienen:
Wer jetzt ein Haus hat, gehe in dies Haus.
Der stille Raum. Durchs Gitter der Lamellen
fällt gleißend parallelgeführtes Licht
aufs blaue Laken, wo der Liebe Wellen-
und Schattenspiel sich in den Spiegeln bricht.
Der nackte Leib. Des Windes leichtes Fächeln
bestreicht ein Fleisch, das sich erschauernd streckt
von Fuß bis Kopf, wo ein verschlafnes Lächeln
Erinnerung an wilde Bienen weckt.
Wäre ich schwul,
ich verliebte mich
in den mexikanischen Torwart.
»Dann sei doch mal schwul,
verlieb dich doch
in den mexikanischen Torwart!«
Schweig stille, mein Herz,
was faselst du da
vom mexikanischen Torwart?
Wie säh’ das denn aus:
Ich und verliebt
in den mexikanischen Torwart?!
Verzeih, liebe Frau,
ich lebe ab jetzt
mit diesem mexikanischen Torwart.
Hallöchen, Jungs,
begrüßt meinen Freund,
einen mexikanischen Torwart!
Ist hier noch was frei
für mich und den Herrn,
jenen mexikanischen Torwart?
Grüß Gott, Herr Kaplan,
wir wär’n gern ein Paar,
ich und dieser mexikanische Torwart …
Herz, du spielst falsch!
Du denkst nicht an mich
und schon gar nicht an den mexikanischen Torwart!
Denn tätest du das,
bedächtest du auch,
was derweil aus dem mexikanischen Tor wird!
Darum werd ich nicht schwul.
Ich verlieb mich auch nicht
in den mexikanischen Torwart.
Ich bleib treu und normal,
und du, mein Herz,
gehörst einer deutschen Hausfrau!
Über Liebe kann man nicht schreiben.
Man liebt oder läßt es bleiben.
In Worte läßt sich Liebe nicht fassen.
Man kann sie nur leben oder lassen.
Liebe entzieht sich dem Sagen.
Man hat nur die Wahl: Kopf oder Kragen.
Ich hab mir doch immer am besten gefallen.
Ich war mir doch immer der liebste von allen.
Aber nun?
Ich war mir doch immer besonders nah,
und auf einmal ist diese andere da.
Was tun?
Noch einmal eine Junge gefunden?
Dann sag der auch unumwunden:
Du liebst einen nicht mehr ganz jungen Mann,
also ran!
Also ran an den Mann,
nimm ihn richtig, nur dann
kann der Knabe von Grund auf gesunden:
Noch einmal eine Dumme gefunden.
»Wie hast du gelebt?«
»Ich habe geliebt.«
»Wie hast du geliebt?«
»Alla grande.
Groß war mein Einsatz,
größer mein Spiel –«
»Und am größten deine Schande.«
»Das ist auch wieder wahr.«
Worüber schreibst du denn da?
Ach, übers Lieben.
Worüber weinst du denn da?
Ach, übers Leben.
Worüber gehst du denn da?
Ich? Über Leichen.
Das nennt man nicht eigentlich suchen,
wenn man schon weiß, wo was ist.
Das nennt man nicht eigentlich finden,
wenn man es gar nicht vermißt.
Das nennt man nicht eigentlich lieben,
wenn man den Liebling erpreßt.
Das nennt man nicht eigentlich halten,
wenn man ihn fallenläßt.
Männer, das ist was,
was neben mir sitzt
eine Zeit
und mich mit werbender
Stimme anmacht:
»Kleine Maid.«
Männer, das ist was,
was neben mir liegt
eine Zeit
und nicht davon abläßt
zu betteln:
»Beine breit.«
Männer, das ist was,
was neben mir geht
eine Zeit
und sich sodann klamm
in die Büsche schlägt:
»Keine Zeit.«
»Kleine Maid
Beine breit
Keine Zeit.«
Ihm wird der Park zum Paradies
im Dämmer.
Weiße Tiere schreiten hindurch
im Paßgang.
Daß diese Stunde nie ende, so in
der Schwebe.
Erst zwischen Tag und Traum löst sich
die Zunge:
Euch weichen Fraun entsag ich
auf immer.
Zu den Mädchen im Sandkasten will ich
mich hocken.
Über uns steigen lautlos hinweg
die Tiere.
Unter uns lassen wir Alter, Geschlecht
und Verlangen.
Da bricht er ab, als hielte ihm jemand
den Mund zu.
Hinter ihm schlagen zusammen die Zweige
der Büsche.
Die trug sehr schwer an ihren Brüsten
Als sei das Wunder dieses Tages
Darin gesammelt und sie trag’ es
Gleich einem Schiff, das von den Küsten
Des Reichtums heimkehrt, und es müßten
Nun alle, die bisher nur Vages
Von ihnen hörten, denken: Mag es
uns wirklich frommen, wenn wir wirklich wüßten?
Mal wieder in München,
mal wieder die Hitze,
es klebt am Papier
die schreibende Hand
und ist doch dieselbe,
die damals in München
so fingerfertig
in etwas verschwand,
das war so verlockend,
das war so erregend,
gefügig, geschmeidig,
zum Fingern bewegend,
man konnte sich darin
so gänzlich verlieren,
mit einem Wort:
Es war nicht: papieren.
Ist das Herz auf dem Sprung, ist das Hirn auf der Hut
Springt das Herz in die Luft, greift das Hirn nach dem Schirm
Schwebt das Herz himmelwärts, spannt das Hirn seinen Schirm
Stürzt das Herz auf den Schirm, ist das Hirn obenauf:
Siehste, mein Lieber. Immer schön auf dem Teppich bleiben!
Mich an deiner Klugheit zu berauschen
Log ich, stahl ich manche Stunde
Nur um dir und deinem Wort zu lauschen
Hing ich tiefgebannt an deinem Munde
Mochten andre mit ihm Küsse tauschen
Mich zog es zu ihm aus anderm Grunde
Einst im Mai. Den Casus aufzubauschen
Wäre freilich unklug in der Runde
Ältrer Herrn, die von Verflossnen plauschen.
Euch Frauen all, die ich begehrt,
euch hat der Zahn der Zeit versehrt.
Euch Frauen all, die ich gebraucht,
euch hat des Lebens Fuß verstaucht.
Euch Frauen all, die ich umschwärmt,
euch hat des Schicksals Faust verhärmt.
Euch Frauen all, die ich versucht,
euch hat der Gottheit Mund verflucht:
Ihr Frauen all habt IHN verschmäht!
Tut Buße, ehe es zu spät!
Ich biete dir die Kehle dar.
Nimmst du nicht meine Kehle wahr,
so beiß ich in die deine.
Und saug an ihr, bis du verstehst,
daß du an mir zugrunde gehst,
beißt du nicht rasch in meine.
Gott straft die Männer, die schweratmend
in fremden Betten liegen und zur
Decke emporseufzen: Ich wußte gar nicht,
daß es das gibt.
Gott straft sie dadurch, daß er rächend
ins eigne Bett sie heimschickt, um dort
der Ehfrau vorzuseufzen: Zur Zeit ist
die Firma die Hölle.
Gott straft die Männer. Läßt sie ächzend
das Nachtlicht löschen, um ins Dunkel
zu seufzen: O Gott, wenn sie wüßte, wie schwer
es mir fällt, sie anzulügen.
Gott straft die Männer. Doch der andre
läßt sie schon anderntags in den Hörer
seufzen: Wir sehn uns, Liebling! und denken:
Bin ich des Teufels?
Wo kommst du her?
Ich? Aus dem hohen Norden.
Wo gehst du hin?
Ich? In die tiefe Nacht.
Wen stellst du dar?
Ich? Bin ein Wolf geworden.
Wem stellst du nach?
Ich? Alles taugt zum Morden.
Wen frißt du auf?
Dich! Was hast du gedacht?
Und er dachte an die Fraun in seinem Leben
Und befand: Sehr viele waren’s nicht
Und er fragte, was sie ihm gegeben
Und erinnerte sich dunkel: Licht
Und er dachte, ob sie seiner dächten
Und befand: Wahrscheinlich ist das kaum
Und er fragte, was Gedanken brächten
Und erinnerte sich hellwach: Traum
Und er dachte, was sie ihm genommen
Und befand: Die Glut aus meiner Brust
Und er fragte, was er selbst bekommen
Und erinnerte sich seufzend: Lust
Und er dachte an die Folgen all der Lieben
Und befand: Sie gingen reichlich weit
Und er fragte, was davon geblieben
Und erinnerte sich lächelnd: Leid.
Wie oft schon hast du so geschaut
und dem, den du ansahst, jeden Fluchtweg verbaut,
du Schöne?
Wie oft schon hast du so gelacht
und den, dem dein Lachen galt, wehrlos gemacht,
du Starke?
Wie oft schon hast du so getan,
als gingen dich deine Opfer nicht das geringste an,
du Schlimme?
Wie oft schon habe ich mir geschworn:
Die siehst du nie wieder, sonst bist du verlorn,
du Armer?
Wie oft noch werde ich mich beschwörn:
Wann wirst du denn endlich auf meine Warnung hörn,
du Idiot?
Du öffnest die Tür,
da siehst du das Mädchen,
halbnackt im Karton
schließt sie geblendet
die Augen, das obere und das untere.
Da wirfst du die Tür zu,
gehst aber nicht weiter.
Du verharrst an der Stelle,
denn die willst du noch mal sehn,
die Augen, das obere und das untere.
Doch dann siegt die Rücksicht
auf die da hinter der Tür,
halbnackt im Karton und
mit weitaufgerissenen
Augen, dem oberen und dem unteren.
Als aber in der finsteren Nacht
die junge Frau das Kind zur Welt gebracht,
da haben das nur zwei Tiere gesehn,
die taten grad um die Krippen stehn.
Es waren ein Ochs und ein Eselein,
die dauerte das Kindlein so klein,
das da lag ganz ohne Schutz und Haar
zwischen dem frierenden Elternpaar.
Da sprach der Ochs: »Ich geb dir mein Horn.
So bist du wenigstens sicher vorn.«
Da sprach der Esel: »Nimm meinen Schwanz,
auf daß du dich hinten wehren kannst.«
Da dankte die junge Frau, und das Kind
empfing Hörner vorn und ein Schwänzlein hint.
Und ein Hund hat es in den Schlaf gebellt.
So kam der Teufel auf die Welt.
Zur gleichen Zeit, da ich von meinem Hügel,
die Beine lustig werfend, talwärts wandre,
an dem Gehöft vorbei, das an den Weg grenzt,
liegt dort der Bauer und hat grad Probleme,
vom Bauch sich auf den Rücken zu verlagern:
Seit jenem Sommerabend, als sein Traktor
ihn unter sich begrub, läuft wenig.
Zur gleichen Zeit, da ich den schlichten Vorgang,
die Feder eilig führend, niederschreibe
und ein Gefühl verspüre, das an Scham grenzt,
geht’s vielen ähnlich. Mancher hat Probleme,
den Bauch mit seinem Herzen zu versöhnen:
Doch dank der Schreckensbilder, deren Fülle
das Mitleid täglich lähmt, läuft nichts mehr.
Und wieder mal an jenem Tisch,
an dem ich schrieb »Und wieder mal
an jenem Punkt, an dem man sa-
gen muß: Es reicht«, doch dieses Mal
will ich nicht hadern, kann nicht klagen,
muß lediglich: So sei es! sagen.
Ach, so geht das Nacht für Nacht:
Eine schläft, einer wacht.
Einer liest, wie Jahr um Jahr
Schiller schlaf- und kraftlos war,
Indes Goethe, ungequält,
frisch von Hinz und Kunst erzählt.
Einer legt den dicken Band
schließlich seufzend aus der Hand
Und erhofft vom Rest der Nacht:
Alles schläft, keiner wacht.
Ausgesetzt im Meer der Wachheit
winke ich den Schlafgaleeren,
doch die ziehn vorbei und scheren
sich nicht darum, daß da »Ach« schreit
irgendwer im Meer der Wachheit.
Festgetäut ans Floß der Helle
harre ich der Dunkelinseln,
doch kein Fluchen und kein Winseln
bringt mich Wachen von der Stelle,
festgetäut ans Floß der Helle.
Angespült am Fels der Frühe
träume ich vom Strand der Ruhe,
jäh gestört durch schwere Schuhe –
Vater Fleiß und Mutter Mühe
nähern sich dem Fels der Frühe:
Steig auf, Sonne, strahle, glühe!
Dieses Kreischen um fünf,
dieses furchtbare Kreischen!
– Das sind die Amseln.
Die bringen dir doch nur ein Ständchen.
Dieses Tuckern um sechs,
dieses gräßliche Tuckern!
– Das ist das Moped des Zeitungsboten.
Der bringt dir doch nur deine Zeitung.
Dieses Poltern um sieben,
dieses wahnwitzige Poltern!
– Das ist der Wagen der Stadtreinigung.
Der bringt doch nur deinen Müll weg.
Dieses Brummen um acht,
dieses schreckliche Brummen!
– Das sind die Flugzeuge.
Die bringen dir doch nur deine Kaptrauben.
Und das Stöhnen fortwährend.
Dieses nichtabreißende Stöhnen!
– Das warst du.
Sowas bringst doch nur du, du Weichei.
Ein einsilbiges Couplet
Man kennt mich in Graz
Und man liest mich in Linz
In Steyr bin ich Star
Und in Melk bin ich Prinz
Man hebt mich in Wels auf den Dichterthron –
Nur in Wien bin ich eine Unperson.
Man ehrt mich in Chur
Und man liebt mich in Biel
Genf zahlt mich gut
Und Buchs zahlt mir viel
Man lockt mich nach Bern mit klingendem Lohn –
Nur in Wien bin ich eine Unperson.
Man nervt mich in Greiz
Und man höhnt mich in Mölln
Man schmäht mich in Trier
Und man haßt mich in Köln
Man quält mich in Hamm mit beißendem Hohn –
Nur in Wien
Nur in Wien
Nur in Wien bin ich eine Unperson.
Ich freu mich auf mein Frühstück
Da schneide ich zwei Hörnchen auf
(Klatsch Klatsch)
Da schneid ich etwas Graubrot auf
und schmiere mir dick Butter drauf
und Leberwurst und
(Klatsch Klatsch)
Und schmier dünn Margarine drauf
und etwas Kräuterpaste
und reichlich Gorgonzola
(Klatsch Klatsch)
Und keinen Gorgonzola
Sodann greif ich zum Pfirsich
Den schneide ich in Stücke
und haue massig Sahne drauf
(Klatsch Klatsch)
Und mache einen Joghurt auf
und tu ihn auf den Pfirsich
und reichlich Gorgonzola