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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Mit klopfendem Herzen und erwartungsvollem Blick sah Lissi den Mann von der Arbeitsvermittlung an. Würde es heute klappen? Hatte die Warterei auf eine Arbeit endlich ein Ende? Der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches tippte etwas in den Computer, dann richteten sich seine Augen auf die junge Frau. »Es tut mir aufrichtig leid, Frau Bauermann«, sagte er bedauernd. »Aber die für Sie in Frage kommenden Stellen sind bereits vergeben.« Lissi schluckte. Also, wieder nichts. »Was soll ich denn machen?« fragte sie mutlos. »Das Geld, das ich bekomme, reicht hinten und vorne net. Wenn ich die Miete bezahlt hab', dann bleibt ja nix mehr zum Leben übrig.« »Haben Sie denn Wohngeld beantragt?« fragte der Mann. »Schon, aber das ist so wenig«, sagte sie. »Es ist ja alles teurer geworden. Bloß das Arbeitslosengeld wurd' net mehr.« Die Augen hinter der randlosen Brille blickten eher teilnahmslos. Für den Sachbearbeiter war Elisabeth Bauermann nur eine Arbeitssuchende unter vielen. Jeden Tag hatte er es mit solchen Schicksalen zu tun, und wenn er die Menschen auch bedauerte und sich alle Mühe gab, etwas an ihrem Los zu ändern, so hatte er doch nur begrenzte Möglichkeiten. »Tja, es werden leider keine Erzieherinnen gesucht«, erklärte er schließlich. »Wie Sie wissen, fehlt den meisten Gemeinden das Geld für die Unterhaltung der Kindergärten. Da wird natürlich zuerst am Personal gespart.« Natürlich wußte Lissi das. Man hörte und las ja den ganzen Tag nichts anderes, als daß hier eingespart und dort abgespeckt werden mußte. Allerdings half ihr dieses Wissen nicht weiter, und als sie damals ihre Ausbildung beendet hatte, da
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Mit klopfendem Herzen und erwartungsvollem Blick sah Lissi den Mann von der Arbeitsvermittlung an.
Würde es heute klappen? Hatte die Warterei auf eine Arbeit endlich ein Ende?
Der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches tippte etwas in den Computer, dann richteten sich seine Augen auf die junge Frau.
»Es tut mir aufrichtig leid, Frau Bauermann«, sagte er bedauernd. »Aber die für Sie in Frage kommenden Stellen sind bereits vergeben.«
Lissi schluckte. Also, wieder nichts.
»Was soll ich denn machen?« fragte sie mutlos. »Das Geld, das ich bekomme, reicht hinten und vorne net. Wenn ich die Miete bezahlt hab’, dann bleibt ja nix mehr zum Leben übrig.«
»Haben Sie denn Wohngeld beantragt?« fragte der Mann.
»Schon, aber das ist so wenig«, sagte sie. »Es ist ja alles teurer geworden. Bloß das Arbeitslosengeld wurd’ net mehr.«
Die Augen hinter der randlosen Brille blickten eher teilnahmslos. Für den Sachbearbeiter war Elisabeth Bauermann nur eine Arbeitssuchende unter vielen. Jeden Tag hatte er es mit solchen Schicksalen zu tun, und wenn er die Menschen auch bedauerte und sich alle Mühe gab, etwas an ihrem Los zu ändern, so hatte er doch nur begrenzte Möglichkeiten.
»Tja, es werden leider keine Erzieherinnen gesucht«, erklärte er schließlich. »Wie Sie wissen, fehlt den meisten Gemeinden das Geld für die Unterhaltung der Kindergärten. Da wird natürlich zuerst am Personal gespart.«
Natürlich wußte Lissi das. Man hörte und las ja den ganzen Tag nichts anderes, als daß hier eingespart und dort abgespeckt werden mußte. Allerdings half ihr dieses Wissen nicht weiter, und als sie damals ihre Ausbildung beendet hatte, da wurde ihr nicht gesagt, daß dieser Beruf eines Tages in die Krise kommen würde.
»Jedenfalls bedanke ich mich für Ihre Bemühungen«, sagte sie und stand auf.
»Lassen Sie den Kopf nicht hängen«, verabschiedete sie der Mann. »Vielleicht klappt’s ja in der nächsten Woche.«
Allerdings war es leicht gesagt, den Kopf nicht hängen zu lassen, wenn man mit weniger als zweihundert Euro im Monat auskommen mußte. Beinahe zwei Drittel fraß die Miete auf, auch wenn das Wohnungsamt etwas dazu bezahlte. Damit konnte man keine großen Sprünge machen.
Dabei lebte sie doch schon so sparsam wie möglich. Anstatt mit dem Bus zu fahren, war sie die acht Kilometer von ihrer Wohnung zum Arbeitsamt zu Fuß gegangen, und wenn sie einkaufen mußte, beschränkte sich Lissi auf das Nötigste und achtete darauf, immer an preiswerte Sonderangebote zu kommen. Die Reklamesendungen der Supermärkte und Discounter, die zweimal die Woche in ihrem Briefkasten steckten, waren ihre wichtigste Lektüre geworden.
Mit schweren Schritten schleppte sie sich die Treppe hinauf. Elisabeth Bauermann war vor vier Jahren in die kleine Wohnung gezogen, als sie nach München gekommen war. Voller Träume war ihr Kopf da noch gewesen. Sie fand es herrlich, in der Großstadt zu wohnen und der Enge der dörflichen Idylle, aus der sie stammte, zu entgehen. Sie hatte gleich eine Anstellung in einem Kindergarten gefunden, und ihr neues Leben in Freiheit und Unabhängigkeit ließ sich gut an.
Doch man sollte seine Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Diese bittere Erfahrung hatte sie gemacht. Der Kindergarten wurde geschlossen, die Erzieherinnen gekündigt. Zwei von ihnen hatten Glück und fanden nach ein paar Wochen eine neue Anstellung, Lissi indes nicht.
Und damit nahm das Drama seinen Lauf.
Sie bemühte sich wirklich um Arbeit, hätte auch eine Stellung angenommen, die nichts mit ihrem erlernten Beruf zu tun hatte. Doch entweder gab es keine, oder es hieß, sie wäre zu jung und zu unerfahren für die ausgeschriebene Tätigkeit.
In ihrer Wohnung angekommen, kochte sich Lissi einen Tee und schaltete das Radio ein. Ein Fernsehgerät besaß sie schon geraume Zeit nicht mehr. Sie war der Meinung gewesen, darauf verzichten zu können und hatte es versetzt.
Musik klang durch die kleine Küche.
Tanzen, dachte Lissi, mein Gott, wie lange ist das her!
Das letzte Mal, erinnerte sie sich, war es auf dem samstäglichen Tanzabend im »Löwen« gewesen. Eine Woche, bevor sie ihre Zelte in St. Johann abbrach und nach München ging.
Hätte ihr Leben einen anderen Lauf genommen, wenn sie geblieben wäre?
Sie wußte es nicht. Nur eines war sicher; ihr wäre viel erspart geblieben.
Unter anderem auch der Streit um das Haus ihrer Eltern.
Traurigkeit stieg in ihr auf, als sie daran dachte, wie sie um ihr Erbe betrogen worden war. Natürlich hätte sie kämpfen können, hätte vor Gericht gehen können. Aber ihr Onkel hatte alles so geschickt gefälscht – Urkunden, Schuldverschreibungen, das Testament –, so daß es aussichtslos gewesen wäre, diesen Kampf jemals zu gewinnen. Also hatte sie diesen Kampf erst gar nicht aufgenommen, sondern war fortgegangen, um in der Fremde ein neues Leben zu beginnen.
Plötzlich stiegen Tränen in ihr auf, als sie daran dachte, wie ungerecht sie behandelt worden war, und wie hart das Schicksal mit ihr umging. Auf das Haus hätte sie verzichten können, aber nicht auf die Liebe und Zuneigung des einzigen Verwandten, den sie noch hatte.
Lissi schluchzte und fühlte sich schrecklich einsam.
*
Harald Winter gab seiner Tochter einen Abschiedskuß.
»Schlaf schön, mein Liebling«, sagte er und strich der Fünfjährigen über den blonden Schopf. »Frau Gerstmüller liest dir nachher noch eine Geschichte vor, und dann machst’ schön die Äuglein zu, gell?«
»Ja, Papi«, versprach die Kleine. »Viel Spaß mit deinen Schulfreunden.«
»Danke, mein Liebling«, lächelte der Steuerberater und gab ihr ein Küßchen auf die Nasenspitze.
Vom Auto aus winkte er Alina noch einmal zu, die mit der Nachbarin am Fenster stand und ihm nachschaute.
Harald fuhr aus der Einfahrt und fädelte sich in den Verkehr ein. Er freute sich auf das Wiedersehen mit den alten Mitschülern und war gespannt darauf, was aus ihnen geworden war. Seit der Abiturfeier hatten sie sich nicht wiedergesehen, und bestimmt würde es ein schöner Abend werden, mit vielen Gesprächen und fröhlichen Erinnerungen an vergangene Zeiten.
Die Organisatoren des Klassentreffens hatten ein Gasthaus am Rande Münchens ausgesucht. Die alte »Waldschänke« war ein bekanntes Ausflugslokal mit einer gutbürgerlichen Küche. Als Harald auf den Parkplatz fuhr, standen bereits zahlreiche Autos dort. Erwartungsvoll stieg er aus und schloß ab.
Als er das Lokal betrat, sah er ein großes Schild an der Zwischentür: »Klassentreffen der Brahmsschule auf dem Saal«, stand darauf.
Er ging durch die Gaststube und folgte dem Hinweis zum Veranstaltungssaal. Dort blickte ihm jemand grinsend entgegen.
»Grüß dich, altes Haus!« rief Bertram Holzig. »Schön, daß du kommen konntest.«
»Das will ich mir doch nicht entgehen lassen, die alte Bande wiederzusehen!« erwiderte Harald und umarmte den ehemaligen Mitschüler. »Wie geht’s dir?«
»Bestens«, sagte Bert. »Und selbst?«
»Gut!« Harald Winter nickte ihm zu. »Sind schon viele da?«
»Sieh selbst«, meinte der frühere Klassensprecher, einer der Initiatoren dieses Treffens, und schob ihn durch die Tür.
Der Steuerberater staunte, als er auf den Saal trat. In der Mitte stand eine langgezogene Tafel, an der schon fast alle saßen. Wie früher redeten alle durcheinander, und als er ins Blickfeld kam, wurden Begrüßungsrufe laut. Hände mußten geschüttelt werden, sie umarmten sich, und Fragen nach dem Befinden wurden gestellt. Harald erkannte längst vergessene Gesichter wieder, ein paar hatten ihre Ehepartner mitgebracht. Und sogar Dr. Worthmann war gekommen, ihr alter Klassenlehrer.
Harald begrüßte jeden einzelnen und sprach ein paar Worte mit ihm. Schließlich setzte er sich auf einen freien Stuhl.
Dann meldete sich Florian Ostwald zu Wort.
»Darf ich einen Moment um Ruhe bitten, meine Herrschaften«, sagte er. »Bevor wir zum gemütlichen Teil kommen, habe ich noch eine Überraschung für euch. Nach langem Suchen ist es uns, Bert und mir, gelungen, eine verschollen geglaubte Mitschülerin aufzuspüren und hierher zu locken.«
Er deutete zur Tür.
»Da steht sie! Bitte einen Extra-Applaus für Christiane Gundlach!«
Lachend kam die attraktive Frau in den Saal und begrüßte ihn.
Sie klatschten, und Harald lächelte, als sie ihm zuzwinkerte.
»Ja, es war gar nicht so einfach, mich zu finden«, wandte sie sich an ihre ehemaligen Klassenkameraden, nachdem sie den Lehrer begrüßt hatte, »ich bin nämlich erst sein ein paar Wochen wieder im Lande, nachdem ich die letzten Jahre in New York gelebt habe.«
Sie ging reihum und reichte jedem die Hand.
»Dann ist dein Traum also wahr geworden?« erkundigte sich Harald Winter, als sie neben ihm Platz genommen hatte.
»Das weißt du noch?« staunte sie. »Ja, das war immer mein Traum, nach Amerika zu gehen und dort zu arbeiten. Nach meiner Ausbildung zur Journalistin hatte ich das Glück, gleich an eine Zeitung zu geraten, die eine Assistentin für das New Yorker Büro suchte. Ich habe natürlich zugegriffen. Zuerst war alles noch neu und schrecklich aufregend, wie du dir vorstellen kannst. Aber ich habe mich schnell eingewöhnt. Die letzten zwei Jahre habe ich dann das Büro geleitet, bis mich der Ruf nach Hause erreichte. Seit sechs Wochen bin ich wieder im Lande und arbeite in der Chefredaktion.«
Sie schmunzelte.
»Genauer gesagt, bin ich die Chefredaktion.«
»Gratuliere!« Harald nickte beeindruckt.
»Und wie ist es dir so ergangen?« wollte Christiane wissen.
Bevor er antworten konnte, ergriff noch einmal Bertram das Wort.
»Ich möchte euch bitten, daß ihr euch nacheinander von euren Plätzen erhebt, damit jeder jeden sehen kann, und ein bissel erzählt, wie es euch in den letzten zehn Jahren ergangen ist«, sagte er. »Dann wird das Essen serviert, wie ihr seht, haben die Musiker schon alles aufgebaut, und dann wird getanzt.«
»Da müssen wir wohl durch was?« raunte Christiane.
Harald schmunzelte. Es würde ihr kaum schwerfallen. Schon früher hatte sie die Begabung gehabt, sich in Positur zu stellen und zu präsentieren.
Warum sollte ihr diese Fähigkeit abhanden gekommen sein?
*
Schlafen, Aufstehen, etwas frühstücken, die Wohnung putzen – wenn es was zu putzen gab – und ansonsten die Tag herumbringen, so sah Lissis Leben aus. Manchmal ging sie in die Stadt und bummelte durch die Straßen. Dabei suchte sie die Gebäude der Zeitungsverlage auf und las in den ausgehängten Blättern die Seiten mit den Stellenangeboten, doch bisher war nie etwas für sie dabei gewesen. Außerdem deprimierte es sie, die vollen Schaufenster anzusehen und zu wissen, sich doch nichts kaufen zu können. Dabei hätte sie so gerne mal wieder ein neues Kleid gehabt oder eine hübsche Bluse.
Seit einiger Zeit hatte Lissi deshalb ihre Spaziergänge in die Abendstunden verlegt und blieb dabei in der Nähe ihrer Wohnung. Zum einen wollte sie im Dunkeln nicht alleine durch die Straßen laufen, zum anderen gab es hier kaum Geschäfte mit verführerischen Auslagen.
Als das Wohngebiet seinerzeit geplant worden war, hatte man auch an einen Spielplatz gedacht. Manchmal kam Lissi her und beobachtete die Kinder. Früher waren sie mit den Kindergartengruppen auch auf einen Spielplatz gegangen, der in der Nähe des Horts lag.
Nun saß sie hier und stellte sich vor, wie es wohl wäre, wenn sie wieder Arbeit hätte...
Ach, es hat ja doch keinen Zweck, dachte sie und wischte eine Träne ab. Alles nur Wunschträumerei.
Aber es mußte doch etwas geben, das sie tun konnte, um diesen Zustand zu ändern. Sie war jung, hatte das ganze Leben noch vor sich.
Es konnte doch nicht sein, daß es bis an ihr Lebensende so weitergehen sollte!
Aber wenn sie auch viele Ideen hatte, sich vielleicht selbst eine Arbeit zu schaffen, mit einem kleinen Laden oder ähnlichem, es scheiterte daran, daß sie kein Geld hatte.
Einmal war sie in einem Geschäft gewesen, in dem Kleidung aus zweiter Hand verkauft wurde. Sie hatte dringend ein Paar Schuhe gebraucht, ihr war der Gedanke gekommen, wie es wohl wäre, selbst so eine Boutique zu führen. Sie kam mit der Inhaberin ins Gespräch und wurde schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Die Miete sei hoch, klagte die Frau. Dazu kämen noch andere Abgaben, wie Energiekosten und Steuern, zudem verkaufe sich gebrauchte Kleidung nicht mehr so gut, wie noch vor ein paar Jahren, weil es soviel Konkurrenz gab.
Mutlos hatte Lissi das Geschäft wieder verlassen.
Wenn sie das Haus besäße, das von rechts wegen ihr gehörte, ja, dann sähe alles ganz anders aus. Sie könnte eine Hypothek aufnehmen und sich selbstständig machen.
Doch so...
Wie so oft, wenn sie daran dachte, wurde sie traurig und wütend zugleich. Sie stellte sich vor, wie es sein würde, wenn sie nach St. Johann zurückkehrte und den Onkel zur Rede stellte. Aber insgeheim wußte sie, daß sie dazu nicht den Mut aufbringen würde.
Ach ja, St. Johann!
Damals hatte sie nur fortgewollt. Nichts hielt sie mehr in ihrem Heimatort, jetzt wäre sie glücklich gewesen, ihn wiederzusehen.
Lissi schaute auf ihre Uhr und schrak auf, es war schon nach elf. Rings um den Spielplatz leuchteten zwar Laternen, aber dahinter breitete sich Dunkelheit aus. In Gedanken versunken, hatte sie die Zeit vergessen. Rasch stand sie auf und ging den Weg entlang, der zur Straße führte.
Plötzlich vernahm sie ein Geräusch in den Büschen und erstarrte. Es hörte sich an, als drücke jemand die Zweige auseinander. Dann hörte sie eine Stimme.
»Hallo, schöne Frau, so ganz allein? Magst’ net einen Schluck mit mir trinken?« fragte ein bärtiger Mann, der im Licht der Laterne auftauchte.
Er sah abgerissen aus, Bart und Haar waren zerzaust, in der Hand hielt er eine fast geleerte Schnapsflasche, die er ihr unkontrolliert entgegenschwenkte.
In Panik rannte Lissi davon. Sie knickte um, und ein jäher Schmerz in ihrem linken Knöchel lähmte sie fast. Voller Angst humpelte sie weiter und wagte nicht, sich umzudrehen und zu schauen, ob der Mann sie verfolgte.
Endlich erreichte sie die rettende Straße, die heller beleuchtet war. Sie stolperte auf die Fahrbahn – direkt in das grelle Licht eines Autoscheinwerfers!
Harald Winter sah nur einen dunklen Schatten vor sich und trat instinktiv auf das Bremspedal. Der Wagen schlingerte, es quietschte, und dann kam er zum Stehen. Der Steuerberater drehte den Zündschlüssel herum und war mit einem Satz draußen. Vor seinem Auto kniete eine junge Frau und sah ihn mit schreckensbleichem Gesicht an.
»Um Gottes willen«, rief er. »Haben Sie sich verletzt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, ich glaub net«, erwiderte Lisa. »Mein Knöchel tut nur weh. Ich bin vorhin umgeknickt.«
»Lassen Sie mal sehen«, sagte er. »Warum sind Sie denn so einfach über die Straße gelaufen?«
Sie richtete sich mit seiner Hilfe auf.
»Da war ein Mann«, sagte sie.
Plötzlich schämte sie sich ihrer Furcht. Wahrscheinlich lag der Obdachlose längst wieder zwischen den Büschen, seine Flasche im Arm. Gewiß hatte er überhaupt nicht daran gedacht, ihr hinterherzulaufen.
»Gebrochen ist wohl nichts«, sagte Harald und blickte sich um. »Ein Mann hat Sie verfolgt, sagen Sie? Wo denn?«
»Da drüben«, deutete sie zum Park hinüber. »Aber vielleicht hab’ ich mir das auch nur eingebildet... Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet hab’.«
»Das muß es net«, schüttelte er den Kopf. »Kommen Sie, ich fahre Sie nach Hause, Frau...«
»Elisabeth Bauermann. Aber das ist net nötig. Ich wohn’ ja gleich da hinten.«
»Harald Winter«, stellte er sich vor. »Doch, besser ist besser. Es ist ja kein Umweg.«
Er half ihr, einzusteigen und setzte sich dann mit einem Lächeln hinter das Lenkrad.
*