Macabros 010: Die Blutgärten - Dan Shocker - E-Book

Macabros 010: Die Blutgärten E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Macabros 19 - Im Schlund der Höllenschlange Als der Farmer Richard Lowestone einen Anfall erleidet, geschieht etwas Eigenartiges: der herbeigerufene Arzt Dr. Pit Mallow verschwindet spurlos. Auch wenn er den dann verstorbenen Lowestone ohnehin nicht hätte retten können, wird Sheriff Glenn Brodnick aufmerksam und sucht den Verschwundenen; findet allerdings nur den Wagen des Arztes und eine riesige Schleifspur in der Nähe des Geisterstadt Deadly Bluff/USA. Eine solche entdeckt Björn Hellmark ebenfalls in der Nähe des Hauses der Lowestones. Diese wollte er gemeinsam mit Carminia Brado besuchen, da Björn mit Richard Lowestone in Briefkontakt stand. Komischerweise trifft ebenfalls der Weltenbummler Benjamin Kennan, der immer bei den Lowestone auftaucht, wenn etwas Tragisches geschieht, mit seinem Sohn Alan vor Ort ein. Macabros 20 - Die Blutgärten von Sodom Der Reporter Garry Blish wird mit der Recherche zu dem Verschwinden des Anthropologen Donovan Watkins beauftragt und er macht sich auf den Weg nach Manila. Dort wollte der Professor mit seiner Tochter Brenda auf der Insel Kuan einen Eingeborenenstamm erforschen. Von da an waren sie nicht mehr gesehen! Blish geht sogar einen Pakt mit der attraktiven Reporterin Doreen O Thonell vom Konkurrenzblatt ein, um schneller ans Ziel zu gelangen. Auch Björn Hellmark und Alan Kennan befinden sich in dieser Gegend, denn sie suchen nach einem weiteren Auge des Schwarzen Manjas, welches sich einige Zeit im Besitz der Familie Kennan befand. Allerdings wissen sie nicht, dass der einstige Freund von Alans Vater - der Schwede Thor Lannerström - das Auge in Gewahrsam hat. Kurzbeschreibungen: © www.gruselromane

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 10

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-710-8

Dan Shockers Macabros Band 10

DIE BLUTGÄRTEN

Mystery-Thriller

Im Schlund der Höllenschlange

von

Dan Shocker

Prolog

»Anne! Anne! Schnell!« Sein dumpfer Schrei hallte durch das dunkle Haus.

Anne Lowestone hielt sich gerade in der Küche auf. Die Farmersfrau zuckte zusammen. »Richard!« Sie ließ den Teller, den sie gerade in der Hand hielt, einfach in das Abwaschbecken fallen und stürzte aus dem Raum.

Im Schein einer großen, fünfarmigen Deckenleuchte sah Anne Lowestone ihren Mann auf dem Treppenabsatz stehen, bleich, die Augen weit aufgerissen, die Hand auf das Herz gepresst und nach Atem ringend.

Es fing schon wieder an! Anne Lowestone eilte auf ihren Mann zu, stützte ihn, begleitete ihn in das Wohnzimmer und war ihm behilflich beim Hinlegen.

Sie redete nicht viel. Sie war seit einiger Zeit diese Anfälle gewöhnt. Hastig holte sie ein Fläschchen aus einem Schrank, tröpfelte zwanzig Tropfen auf einen Teelöffel und reichte ihn ihrem Mann.

»Der Doc ... Mallow ... soll kommen«, presste Richard Lowestone zwischen den Zähnen hervor. Kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn.

»Ist gut.« Anne Lowestone ließ sich ihre Erregung nicht anmerken. Richard verlangte nach dem Arzt. Diesmal schien es besonders schlimm zu sein.

Sie lief zum Telefon und rief an. Nach dem dritten Rufzeichen hob Dr. Pit Mallow ab.

»Hier Mrs. Lowestone. Kommen Sie schnell, Doktor! So schlimm war es noch nie. Ich glaube, er stirbt.«

Fünfzehn Meilen waren es bis zur Lowestone-Farm. Pit Mallow machte sich sofort auf den Weg. Der stahlblaue Chevrolet jagte über die nächtliche Straße.

Das Gesicht des Dreiundvierzigjährigen war starr wie eine Maske.

Der Zustand des Farmers beunruhigte ihn. Richard Lowestone war jetzt fünfzig und bis vor wenigen Monaten ein Mann gewesen, der vor Gesundheit strotzte. Nie war er krank gewesen, und ein Leben lang hatte er körperlich hart gearbeitet. Ein Mann, der jetzt noch aussah, als könnte er Bäume ausreißen!

Richard Lowestone und ein Herzschaden – das schien ein Unding. In den ersten Tagen hatte der Farmer auf die Medikamente angesprochen, aber dann halfen Pillen und Tropfen nicht mehr, und Mallow stand vor einem Rätsel. Irgendetwas stimmte mit diesem Mann nicht, es war kein rein medizinisches Problem, das wusste er.

Mallow gab Gas. Die Straße lag schwarz und verlassen vor ihm. Um diese Zeit fuhr kein Mensch mehr in das bergige Hinterland, in dem weit verstreut ein paar Farmen lagen.

Die Straße wurde schlechter und stieg an. Dann folgten die ersten Ausläufer der Berge.

Die Hochebene mündete direkt in dieses Felsenmeer. Das würde über sechs bis acht Meilen so bleiben, ehe das Land wieder sanfter wurde und die höher gelegene Ebene, auf der Lowestones Farm lag, sich vor ihm ausbreitete.

Mallow hörte Musik und Nachrichten. Er drehte abrupt ab, denn plötzlich waren Scheinwerfer vor ihm. Er hätte sie schon viel früher sehen müssen, aber ihm blieb keine Zeit mehr, ausführlich über dieses merkwürdige Phänomen nachzudenken. Mallow bremste und riss den Wagen zur Seite. Er hörte es schon krachen. Das ihm entgegenkommende Fahrzeug raste genau auf ihn zu ...

Aber es krachte nicht! Kein Bersten und Brechen von Metall, kein Zersplittern von Glas.

Mallow schaffte es wie durch ein Wunder, nicht gegen die Felswand zu rasen. Schlingernd blieb der Chevrolet stehen.

Dr. Pit Mallow atmete auf.

Wie unter innerem Zwang wandte er den Kopf.

Dieser Verrückte, schoss es ihm durchs Gehirn. Um Haaresbreite wäre es zu einem Zusammenstoß gekommen und ...

Seltsam, revidierte er seinen eigenen Gedankengang. Weshalb sehe ich keine roten Rücklichter?

Dunkel und verlassen lag die Straße hinter ihm, und alles blieb still.

Ich träume, dachte er und fuhr sich über die Augen.

Mit zitternden Fingern zündete er eine Zigarette an, drückte dann die Tür weit auf, und die Nachtluft streifte sein Gesicht.

Fünf Minuten verstrichen. In dieser Zeit war er unfähig zu einem klaren Gedanken, und alles Mögliche ging ihm durch den Kopf.

Vielleicht eine fliegende Untertasse? In der letzten Zeit waren die Spalten in der Presse wieder voll von Sichtungen ungewöhnlicher und unerklärlicher Lichtphänomene am nächtlichen Himmel.

Fliegende Untertassen wurden wieder aktuell, nachdem das Thema eine Zeitlang völlig vergessen schien.

War dies ein ›Beinahe-Zusammenstoß‹ mit ihnen gewesen? Je länger Dr. Pit Mallow darüber nachdachte, desto mysteriöser schien ihm das Geschehen.

Zwei riesige, glühende Scheinwerfer, er hatte sie wirklich gesehen!

Der Arzt verdrängte die quälenden, ihn belastenden Gedanken. Er durfte nicht hier herumstehen. Ein Kranker brauchte seine Hilfe! Richard Lowestone wartete auf ihn. Pit Mallow klemmte sich hinter das Steuer, die halb gerauchte Zigarette im Ascher ausdrückend.

Er startete. Die kleinen Steine am Wegrand wurden aufgewirbelt, als er mit harter Hand den Wagen herumzog, wieder auf die Straße.

In seinem Kopf drehte sich alles wie ein Karussell, und Mallow hatte das Gefühl, Fieber zu haben. Seine Stirn fühlte sich heiß an.

Er fuhr langsam weiter und starrte mit brennenden Augen in die Dunkelheit, als würden noch mal zwei grelle Scheinwerfer auftauchen.

Der Druck in seinem Schädel blieb. Hitze und Kälteschauer wechselten sich ab, und dann trat eine gewisse Gefühllosigkeit auf, die Mallow zwar registrierte, die er aber plötzlich nicht mehr verwunderlich fand.

Die schmale Straße zwischen den Bergen war durch die hellen Scheinwerfer des Chevi in ihrer ganzen Breite ausgeleuchtet.

Kleine Pfade führten von hier aus sowohl nach links wie auch nach rechts. Sie waren gerade so breit, dass ein Fahrzeug Platz hatte.

Dr. Mallow überkam plötzlich das Gefühl, nicht mehr auf der Hauptstraße in Richtung der Lowestone-Farm unterwegs zu sein, sondern einen der schmalen Pfade zu benutzen.

Am Wegrand – stand da nicht ein Schild? Die ungelenken Buchstaben waren kaum zu entziffern.

›Deadly Bluff‹ stand darauf.

Das war eine der zahlreichen Geisterstädte aus der Zeit des Wilden Westens. Wie ein Pilz war sie vor rund neunzig Jahren aus dem Boden geschossen, als sich im Sacramento-Tal die Nachricht verbreitete, dass hier umfangreiche Goldvorkommen entdeckt worden seien. Deadly Bluff erlebte seine wildeste und tödlichste Zeit. Einige Körnchen des begehrten Metalls fand man tatsächlich, und die Überlieferung sagte, dass es tatsächlich die großen, vielversprechenden Adern in den Minen geben sollte. Aber gesehen hatte sie noch niemand.

Der Goldrausch trieb die Abenteurer in alle Winde, Deadly Bluff wurde vergessen. Heute war die verwitterte Stadt ein Ausflugsziel, in das Vorbeifahrende hin und wieder einen Abstecher machten.

Ein Ort ohne Leben, ohne Bedeutung, mitten in den Bergen, abseits von der Hauptstraße. Was wollte er hier?

Nur ganz kurz zuckte diese Frage durch Mallows Bewusstsein, und er merkte, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte.

Hatte er sich bei dem Beinahe-Zusammenstoß verletzt? War er mit dem Kopf gegen die Scheibe geknallt und für einige Sekunden bewusstlos gewesen, ohne dass er sich daran erinnerte?

Mit seinem Kopf und seinen Reaktionen stimmte doch etwas nicht!

Was wollte er in Deadly Bluff?

Wann und wieso war er eingeschlafen?

Sofort stehenbleiben, befahl er sich wie ein Betrunkener, der beiläufig bemerkte, dass er sich in Gefahr begab und instinktiv handelte.

Pit Mallow trat auf die Bremse. Ruckartig blieb der Chevi stehen. Der Arzt fühlte sich schlecht, riss die Tür auf und ging hinaus, um tief die kühle Luft einzuatmen.

Vor ihm türmte sich etwas, das ihm den Weg versperrte.

Ein Baum? Ein Felsblock? Mallow erkannte es nicht richtig. Es bewegte sich.

Bäume und Felsblöcke aber bewegten sich nicht.

Mallow presste die Augen zusammen und riss sie wieder auf. Erschreckend klar stand das Bild vor ihm. Er glaubte, das Blut in seinen Adern würde zu Eis. Was sich vor ihm auftürmte wie ein Berg – lebte!

Ein riesiger, schlangengleicher Leib wand sich lautlos vor ihm empor, überragte ihn wie ein Turm, und der feucht schimmernde Schädel des urwelthaften Reptils sauste auf ihn herab ...

Anne Lowestone bekam es mit der Angst zu tun. Nie zuvor hatte sie ihren Mann so erlebt.

»Richard! Richard!«

Lowestones Körper fühlte sich glühend heiß an, als würden alle Feuer der Hölle in ihm brennen. »A-n-n-e!«, gurgelte er.

»Ja, Rich?«, fragte sie tonlos. Aufgeregt blickte sie sich um. Die Schreie, die er von sich gab, konnten im Haus nicht unbemerkt bleiben. Patsy, das schwarze Hausmädchen, Bill und Tom, die im Nachbarhaus schliefen, allen würden die schrecklichen Geräusche nicht entgehen. Sie wussten, dass ihr Boss krank war, aber sie hatten keine Ahnung vom wahren Zustand des Patienten.

Anne Lowestone wurde immer nervöser. Zitternd richtete sich der Farmer auf.

Die Frau hörte die schrecklichen Geräusche, das Seufzen und Stöhnen, als sprächen gleichzeitig tausend Zungen aus dem Mund des Kranken. Sie presste beide Hände an die Ohren, weil sie es nicht mehr ertragen konnte.

Richard Lowestones Augen verdrehten sich. Die Pupillen waren nicht mehr wahrnehmbar. Man sah nur noch das Weiß der Augäpfel. Der Mann schlug wie ein Wilder um sich und trat die Kissen zur Seite.

Anne Lowestone wollte zurückweichen, doch ihre Beine versagten den Dienst.

Wenn nur Doc Mallow endlich käme! Er müsste längst da sein ...

Ein dumpfer Schlag! Sie glaubte, alle Luft würde aus ihren Lungen gepresst.

Richard Lowestones Faust traf sie voll auf die Brust. Die Frau taumelte, schnappte wie ein Fisch nach Luft und fiel zu Boden. Wie von Sinnen sprang Lowestone in die Höhe. Er hatte den Verstand verloren. Wie ein reißendes Tier fiel er über die Frau her.

Er trat nach ihr und traf sie voll in die Seite. Anne Lowestone glaubte, die Zehen würden sich durch die Haut in ihre Gedärme bohren.

»Paatsyyy! Biiilll!«, schrie sie, ohne Rücksicht auf Richard zu nehmen, der sie ausdrücklich darum gebeten hatte, das Dienstpersonal aus dem Spiel zu lassen, wenn er wieder mal einen Anfall bekäme. Aber das war schon kein Anfall mehr! Das war teuflische Zerstörungswut, für die es kein Beispiel gab.

Richard schlug auf sie ein. Große Hände klatschten in Annes Gesicht. Haut platzte auf. Die Wangen schwollen an.

»Rich ... mein Gott ... Rich ... was ist nur ...« Leises Flehen und Wimmern. Keine Reaktion. Er ließ nicht ab von ihr.

Mit verdrehten, pupillenlosen Augen beugte er sich über sie. Heißer, unangenehmer Atem überflutete ihr Gesicht. Richard Lowestone fletschte die Zähne wie ein Vampir, der sein Gebiss in ihre Halsschlagader schlagen wollte.

»Biiilll ...!«

Der Schädel war rund, groß und gewaltig, hundertmal größer als ein normaler Schlangenkopf. Riesige, dolchartige Zähne ragten wie die Stoßzähne eines Elefanten aus den Kiefern. Geifer troff herab, mitten in sein Gesicht.

Pit Mallow warf die Arme in die Höhe, als könne er den ruckartig nach unten schießenden Schädel damit zurückweisen.

Es packte ihn wie ein Sog.

Der Arzt verlor den Boden unter den Füßen, und die Luft um ihn herum brodelte, als ob sie plötzlich ins Kochen geriete.

Ich träume – oder ich bin verrückt, tobten die Gedanken in seinem fiebernden Bewusstsein. Oder es ist noch etwas viel Schlimmeres passiert! Die großen, grellen Scheinwerfer ... Es ist etwas Schreckliches auf die Erde gekommen, die Grenzen zwischen Raum und Zeit haben sich verwischt, sind verschoben ...

Mallow befand sich nicht mehr auf der Erde, die er kannte. Er war in eine andere Zeit geschleudert worden!

In die Urzeit?

In die Hölle?

Gedanken, die nur drei Sekunden währten ...

Ein rotglühender Schlund. Feuchtigkeit und Wärme wie in einem Treibhaus ...

War es möglich, dass die furchtbare Schlange ihn fraß?

Patsy hörte den gellenden Schrei und zuckte zusammen.

Das Dienstmädchen rannte aus dem Bad. Ihr dunkler Körper schimmerte durch das dünne, weiße Nachtgewand. Stramme Brüste und feste, lange Schenkel hatte Patsy.

Die Schreie und andere schreckliche Geräusche kamen von unten.

Nach Bill wurde gerufen und nach Tom, aber die beiden hockten drüben vor dem Fernseher und hörten nichts. Dort lief ein Western. Es knallte am laufenden Band, und man hatte das Gefühl, als würde die Lowestone-Farm von einem Banditenheer angegriffen. Die Geräusche aus dem Lautsprecher waren so laut, dass die beiden nicht bemerkten, was im Haus vorging.

Patsy lief eilig die Treppe nach unten. Die Stufen ächzten, doch die Geräusche verebbten. Jemand weinte. Es raschelte. Dumpf fiel etwas Schweres auf den Boden.

Es kam aus dem Wohnzimmer. Die Tür war geschlossen, aber nicht versperrt. Patsy klopfte nicht erst an, sondern riss die Tür einfach auf.

Ein seltsames Bild bot sich ihr, und Patsy fuhr mit der Hand zum Mund, um nicht laut aufzuschreien.

Am Boden lag Richard Lowestone und rührte sich nicht mehr. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er zur Decke. Wie Schaum stand der Schweiß auf seinem Gesicht und tropfte langsam auf den Teppich.

Neben dem Reglosen hockte benommen und schweratmend, mit aufgequollenem Gesicht und aufgeplatzten Wangen, wo Schläge und Tritte sie getroffen hatten, Mrs. Lowestone.

Anne schluckte heftig. Ihr Hals war geschwollen, wo Richard sie gewürgt hatte.

»Misses Lowestone! Madam! O mein Gott!«, entrann es den Lippen des Dienstmädchens.

Anne Lowestone wandte nur leicht den Kopf, mit ihrem lädierten Gesicht sah sie erbarmungswürdig aus.

»Mister Lowestone ... Patsy«, sagte die Farmersfrau mit schwerer Zunge. »Er ist tot!« Ihre Augen glänzten feucht, aber sie konnte nicht weinen. »Er war sehr krank, kränker, als wir angenommen haben. Der Tod ... ist eine Erlösung für ihn! Doc Mallow kommt diesmal zu spät. Aber er hätte ihm sicher auch nicht mehr helfen können ...« Anne atmete tief durch. »Zieh dir was über, Patsy ... geh dann hinüber zu den anderen und sag ihnen, sie sollen kommen und mir helfen, seine Leiche auf die Couch zu legen. Das ist das letzte, was wir ... für ihn tun können. Er hatte einen so furchtbaren Todeskampf ... das Sterben muss schrecklich für ihn gewesen sein«, fügte sie hinzu. »Ich werde Doc Mallow anrufen und ihm sagen, dass er sich nicht mehr zu bemühen braucht, er kann sich den weiten Weg sparen ...«

Anne Lowestone schien um Jahre gealtert. Das Haar hing wirr in ihr Gesicht und klebte auf den blutigen Kratzern, die von Richard stammten.

Die Farmersfrau bewegte sich wie in Trance. Sie empfand keine Schmerzen mehr. Alles in ihr schien abgestorben. Mechanisch wählte sie die Nummer von Doc Mallow.

Eine Stimme meldete sich.

»Hier ist der automatische Anrufbeantworter, Praxis Dr. Mallow, Rufnummer zwo, acht, neun, null, sieben, fünf. Doktor Mallow ist zurzeit nicht im Hause. Er befindet sich auf Krankenbesuch. Bitte sprechen Sie Ihre Nachricht auf Band. Sie haben nach Ende der Durchsage zwei Minuten Zeit. Vielen Dank!«

Doc Mallows Sprechstundenhilfe hatte ihren Spruch beendet.

Wie ein Zentnergewicht legte Anne Lowestone den Hörer aus der Hand, ohne auch nur einen Ton in die Muschel zu sagen.

Dann kamen die anderen.

Patsy hatte inzwischen Bescheid gesagt. Bill und Tom kamen aus dem Fernsehraum. Mit den Stallburschen und den Arbeitern waren sie zu zehnt.

Wortlos traten sie näher. Ihre Gesichter waren ernst und verschlossen. Die Leute erschraken, als sie Anne Lowestone sahen. Gemeinsam gingen sie in den anheimelnd beleuchteten Raum, in dem ihr Boss einen so grausamen Tod erlitten hatte.

1. Kapitel

»Wenn wir jetzt zu Hause auf der Terrasse säßen, würde ich dir einen Kaffee servieren, der sich gewaschen hat«, sagte die fröhliche Stimme hinter ihm.

»Schwarz und heiß und süß, wie bei uns in Rio üblich.«

Björn Hellmark wandte sich um. Nach Frische duftende, rote Lippen hauchten einen Kuss auf seinen Mund.

»Du bist heute schlecht rasiert«, bekam er zu hören.

»Kein Wunder! Ich hatte noch keine Zeit, mich dem Messer auszuliefern.«

Seit vergangenem Abend waren sie unterwegs. Die zweimotorige Privatmaschine jagte mit einer Geschwindigkeit von rund achthundertfünfzig Stundenkilometern unter dem stahlblauen Himmel dahin.

Nach insgesamt vier Zwischenlandungen hoffte Björn, spätestens in einer Stunde sein Ziel zu erreichen. Er musste jetzt das Funkfeuer von San Francisco anfliegen und erwartete von dort weitere Meldungen über den Landeplatz, der ihm rund zweihundert Kilometer weiter nördlich zugewiesen würde.

»Du hast einen so eigenartigen Duft an dir«, meinte er.

»Willst du sagen, dass ich stinke?«

»Nein, ich habe nicht auf dein Parfüm angespielt, Schoko«, fügte er sofort hinzu, als er sah, dass Carminia Brado temperamentvoll ihre schlanken Hände in die Hüften stemmte. Immer ein Zeichen dafür, dass sie bereit war, ebenso temperamentvoll zu reagieren. »Ich muss nur feststellen, dass wir nicht auf der Terrasse sitzen und es trotzdem nach frischem Kaffee duftet. Heiß, schwarz und süß wie du«, fügte er hinzu.

Er konnte jetzt nicht den Platz hinter dem Steuer verlassen, obwohl die Maschine einen Autopiloten hatte. In wenigen Minuten würden sie über San Francisco sein.

Carminia bog den Vorhang zurück. Auf einem ausklappbaren Tisch neben der winzigen Küche standen eine Kaffeekanne, zwei Tassen und ein kleiner Korb mit Gebäck. Carminia nahm Platz, wandte sich in Richtung Cockpit, schlug ihre aufregend langen Beine übereinander und reichte ihm dann auf einem Tablett sein Gedeck.

Björn nahm einige Schlucke aus seiner Tasse und knabberte Kekse.

»Du knusperst herum wie eine Maus«, bekam er zu hören.

»Das kommt von meinen Raffzähnen«, konterte er und fletschte sein Gebiss. Außenstehende, wären sie Zeuge der Dialoge geworden, würden denken, dass einer am anderen dauernd etwas auszusetzen hatte. Diese Schäkerei unter ihnen war üblich. Carminia und Björn waren ein Herz und eine Seele.

Land kam in Sicht. Der herrliche Blick aus der Vogelperspektive war für Carminia und Björn ein Erlebnis, das sie genossen.

»Da, die Half Moon Bay«, erklärte Björn, als sie die halbmondförmige Buchtüberflogen. Nur einen Steinwurf weit entfernt schien das Häusermeer zu sein, das San Francisco hieß.

Deutlich zu erkennen war die Golden Gate Bridge, die sich wie ein kunstgerechtes Gebilde aus Streichhölzern vom blauen Wasser abhob.

Björn nahm Kontakt zum Tower auf. Er hatte die Flugzeit eingehalten und bekam die Erlaubnis zum Weiterfliegen. Eine Zwischenlandung war nicht notwendig. Er führte noch genügend Treibstoff in den Tanks mit sich.

Der Privatflugplatz lag etwa zweihundert Meilen weiter nördlich.

Björn studierte die Karte. »Wir landen in Vina«, sagte er.

»Das klingt nach Alkohol«, meinte die hübsche Brasilianerin.

»Du meinst Vino. Aber das ist etwas anderes. Der Flugplatz dort ist eigentlich mehr für Sportmaschinen eingerichtet. Mit einem zugedrückten Auge aber darf ich meinen etwas schwereren Vogel auch dort aufsetzen. Das erspart uns einen großen Anreiseweg zur Farm. Ich werde mit Richard Lowestone sprechen, was er von einem eigenen kleinen Flughafen auf seinen riesigen Ländereien hält. Falls wir wieder mal herkommen, haben wir's dann noch leichter beim Landen.«

Sheriff Glenn Brodnick steuerte den schwarzen Chrysler. Gemeinsam mit Sergeant Slaughter fuhr er die Strecke ab, die Dr. Pit Mallow mit Sicherheit gefahren sein musste.

Aus den Aufzeichnungen in der Praxis ging eindeutig hervor, dass er um halb zehn aufgebrochen war, um einen Krankenbesuch zu machen.

Bei diesem Patienten aber war er nie angekommen, und der Kranke brauchte ihn nun nicht mehr. Richard Lowestone war tot.

»So schnell geht das manchmal«, knurrte Brodnick. Er kaute seinen Kaugummi und schob sich den breitkrempigen Hut tiefer in die Stirn. Die Hälfte seines Gesichts lag im Schatten, so dass es beinahe aussah, als trüge er eine Maske.

»Er machte immer den Eindruck, als könne er nie krank werden«, fuhr er fort, um seine Gedanken loszuwerden. Auch Slaughter kannte den Farmer. »Und nun ist er weg.«

»So ist nun mal das Leben, Sheriff. Von denen man es am wenigsten erwartet, die erwischt es meistens sehr schnell. Andere sind jahrzehntelang krank und werden mit ihren Wehwehchen uralt.«

Sie sprachen eine ganze Weile über Lowestone und dann wieder über den überfälligen Arzt.

An eine Panne mochte Sheriff Brodnick nicht glauben. Bis zu dieser Zeit hätte Mallow auf alle Fälle eine Möglichkeit gefunden, um zur nächsten Farm zu marschieren und Bescheid zu geben.

In der Zwischenzeit waren auch andere Fahrzeuge durch das betreffende Gebiet gerollt. Brodnick hatte selbst einige Fahrer gesprochen. Keinem war ein liegengebliebener Chevrolet aufgefallen.

Blieben also nur zwei Möglichkeiten: entweder hatte Mallow Dreck am Stecken und war auf die Idee gekommen, seine angebliche Fahrt zu Lowestone zu benutzen, um sich abzusetzen – oder der Arzt war überfallen und entführt worden! Heutzutage musste man auf einsamer Strecke mit allem rechnen ...

Die erste Theorie verwarf Brodnick ebenso schnell wieder, wie sie ihm gekommen war, denn Pit Mallow war ein ehrenwerter Bürger, der seine Pflicht tat und sich nicht schonte. Also blieb nur die zweite Möglichkeit. Die war auch am wahrscheinlichsten. Überfall, Entführung oder Raubmord ... Vielleicht irgendein Haschbruder auf Wanderschaft, den Mallow in gutem Glauben mitgenommen hatte.

Sheriff Brodnick und Ron Slaughter, der Sergeant, beobachteten die Umgebung sehr genau. Die Luft war warm und staubig, die Straße leer. In diese gottverlassene Gegend verirrte sich nur selten ein Fahrzeug. Zweimal am Tag fuhr ein Greyhound-Bus. Einer früh morgens, der andere abends.

Brodnick richtete sein Augenmerk nach links, Slaughter nach rechts. Keine verdächtigen Spuren, kein Fahrzeug am Straßenrand ...

Dann kam das Schild.

›Nach Deadly Bluff drei Meilen‹ stand darauf.

Der Sheriff und sein Begleiter sahen sich an. Brodnick zuckte die Achseln, gab Gas und steuerte den schweren Wagen auf den schmalen Pfad.

»Moment«, sagte der Sergeant dann plötzlich. Brodnick reagierte, als käme es darauf an. Er stieg voll auf die Bremsen. Der Chrysler stand. »Haben Sie was gesehen, Slaughter?« Der Sergeant deutete auf den schmalen Sandstreifen rechts vorm Fahrzeug des Sheriffs. Reifenspuren!

»Da ist erst kürzlich einer gefahren«, meinte Ron Slaughter.

»Es fahren hin und wieder Wagen nach Deadly Bluff. Kann mir nicht vorstellen, dass Mallow einen Abstecher nach dort gemacht haben soll. Aber sei's, wie's sei!«

Brodnick fuhr der deutlich sichtbaren Spur nach.

Dann stieg er wieder auf die Bremsen. Links in einer Felseinbuchtung stand ein Wagen.

»Mallow!«, entfuhr es dem Sergeant.

Er riss die Tür auf, und noch ehe Brodnick seinen Bauch hinter dem Steuer hervorgezerrt hatte, war er schon an dem fremden Fahrzeug und inspizierte es.

Der Wagen war leer. Keinerlei Spuren ließen auf Gewaltanwendung schließen.

Mallow war hierher gelockt worden. Lebte er noch oder lag seine Leiche irgendwo im Gestrüpp oder zwischen Felsen?

Die Suche begann. Brodnick und Slaughter teilten sich die Umgebung auf. Niemand stieß auf Mallows vermutete Leiche.

Rund hundert Meter von dem abgestellten Wagen entfernt entdeckte der Sheriff jedoch eine breite Schleifspur, für die er keine Erklärung fand.

Sie sah aus, als wäre ein Mensch dort über den staubigen Weg gezogen worden. Aber sie war doch zu breit. Eher wurde man aufgrund dieser Spur an einen riesigen Baum oder einen gewaltigen Schlauch erinnert.

Die Schleifspur verlor sich zwischen den Felsen und brach dort abrupt ab.

Die beiden Männer suchten an dieser Stelle besonders aufmerksam, fanden jedoch nichts, das ihre Annahme, Mallows Leiche sei vielleicht in der Nähe verscharrt worden, bestärkte.

Sie fuhren bis nach Deadly Bluff. Der warme Wind säuselte zwischen wurmstichigen Balken, verrotteten Fensterkreuzen und morschen Dächern. Am besten war noch das Hotel erhalten, ein großer Bau mit zahlreichen Fenstern. Das breite Holzschild nannte sogar den Namen des Gebäudes: Michigan Hotel. Sonst herrschte völlige Stille in der verlassenen, geisterhaften Stadt.

Bis hierher jedenfalls war Mallows Chevrolet nicht gekommen. Auch keine Fußspuren deuteten darauf hin.

Eine knappe Stunde durchsuchten die beiden Männer alle möglichen Winkel und trafen sich dann am Fahrzeug des Sheriffs wieder.

Brodnick lutschte seinen Kaugummi. »Etwas ist faul«, sagte er, den Blick in die Runde schweifen lassend. »Mallow ist unterwegs hängengeblieben, soviel wissen wir sicher. Warum fuhr er von der Hauptstraße ab? Wen hat er getroffen? Hat er überhaupt jemand getroffen oder hatte er einen besonderen Grund, Richtung Deadly Bluff zu fahren? Dass er nicht hiergewesen sein kann, wissen wir nun auch. Auf dem ersten Drittel des Weges ist etwas passiert.«

Er blies die Backen auf und stieß hörbar die Luft aus Nase und Mund.

»Was für ein Gefühl haben Sie, Slaughter?«

Der drahtige Sergeant warf dem Sheriff einen seltsamen Blick zu. »Kein sehr gutes, Brodnick«, sagte er.

»Kein sehr gutes!«, echote der Sheriff. »Wie meinen Sie das?«

Der Gefragte zuckte die Achseln. »Kann ich nicht erklären. Nur so ...« Er ließ den Blick über die Ruinen gleiten. »Vielleicht macht's die Umgebung. In so einem Jammernest wie Deadly Bluff habe ich mich noch nie besonders wohl gefühlt. Man wird auf Schritt und Tritt an die Vergänglichkeit erinnert. Hier lebten einmal Menschen. Sie haben gehofft, geliebt und gehasst. Wie viel hundert oder tausend Schicksale haben sich hier erfüllt!«

»Sie sind der reinste Philosoph, Slaughter.«

»Nein, so ist es nicht, nicht so, wie Sie das meinen.« Er machte eine Bewegung, als fröstele es ihn. »Seit wir hier sind, Sheriff, habe ich das Gefühl, dass wir nicht allein sind. Wir werden beobachtet! Ich spüre es! Einfach so, und ich kann es nicht erklären!«

Der Pontiac hatte die Farbe eines Bergsees. Björn und Carminia wussten nicht, wieso man die Idee hatte, einen solchen Leihwagen zur Verfügung zu stellen. Ihnen war die Farbgebung zuwider.

»Abgesehen von der Farbe marschiert er aber ausgezeichnet«, freute Hellmark sich, als sie den ersten Teil der Schnellstraße hinter Vina benutzten. Der Deutsche fuhr den Leihwagen ziemlich aus. »Mit dem Lamborghini natürlich nicht zu vergleichen«, murrte er. »Aber den konnten wir schlecht als Fracht im Feuervogel mitnehmen.« So hatte Björn die zweistrahlige Cessna getauft.

Sie waren später von Vina abgefahren, als sie ursprünglich geplant hatten. Sie hatten nach der Landung ein erfrischendes Bad im Hotel genommen, sich umgezogen und waren dann erst losgefahren.

Eine bestimmte Zeit für die Ankunft auf Richard Lowestones Farm hatten sie nicht angegeben. Lediglich der Tag war festgelegt.

Richard Lowestone war Hellmark nicht persönlich bekannt. Durch die konsequente Arbeit Richard Patricks und seiner Reporter war es offenbar gelungen, eine Person ausfindig zu machen, die etwas über ein Auge des Schwarzen Manja wusste. Seit Björn erfahren hatte, was es bedeutet, alle sieben Augen dieses geheimnisvollen und unbekannten Heiligen Vogels einer alten Zeit zu besitzen, jagte er jedem Hinweis nach wie ein Goldsucher dem geliebten gelben Metall.

Aber ein Auge des Schwarzen Manja war mehr wert.

Besaß er alle, konnte er die Mächte der Finsternis, die versuchten, sich endgültig auf der Erde zu etablieren, in ihre Schranken weisen.

Ein Mitarbeiter Patricks, der die erste und einzige Zeitschrift vertrieb, die sich mit der Erforschung des Okkulten und Übersinnlichen auf ernsthafter wissenschaftlicher Basis befasste, hatte den abseits lebenden Farmer ausgekundschaftet und herausgefunden, dass sich Lowestone mit okkulten Forschungen abgab und sein Vater und sein Großvater schon in dieser Richtung gewirkt hatten.

Hellmark suchte die Begegnung mit solchen Menschen, wo immer sie auch leben mochten. Hörte er davon, suchte er Kontakt. Solche Menschen konnten ihm dienlich oder auch feindlich gesinnt sein. Es kam ganz darauf an, ob sie eine natürliche, übersinnliche Gabe besaßen, wie die heutige Parapsychologie sie erforschte, oder ob sie Kenntnisse und Wissen aus der Beschäftigung mit magischen und okkulten Dingen zogen. In diesem Fall war eindeutig Satan und sein Statthalter Molochos, der Dämonenfürst, tätig. Molochos, einst Schwarzer Priester der Schwarzen Kaste auf Xantilon, hatte sich die Gunst der Hölle erobert und war dazu auserkoren, die Macht über die sichtbare und unsichtbare Welt in diesem Teil des Kosmos zu übernehmen.

Nur eine Handvoll Menschen wusste inzwischen von dieser tödlichen Gefahr. Molochos und seine finsteren Schergen waren überall tätig.

Hatten sie sich auch hier in der einsamen Farm bemerkbar gemacht? Drohte von hier eine Gefahr oder setzte sich ein Mensch mit den Mächten der Finsternis auseinander und versuchte, sie unter seine Kontrolle zu bringen? Dies war ein gefährlicher Trugschluss. Zwar ließen niedere Geister sich zwingen durch bestimmte Formeln und Rituale, aber die Mächtigen – die Schwarzen Priester, die höheren Dämonen und an ihrer Spitze Molochos selbst – kamen gerufen und ungerufen, sobald sie einen Vorteil erkannten ...

Auf Lowestones Farm angekommen, wurden sie an der Tür von einer jungen Schwarzen empfangen.

Die Menschen auf dieser Farm machten einen scheuen, etwas bedrückten Eindruck. Das fiel sowohl Björn als auch Carminia auf.

Was war geschehen?

Sie erfuhren es, als Patsy sie zu Mrs. Lowestone führte.

Die Dame des Hauses ging ganz in Schwarz, und sogar ihr Gesicht war durch einen engmaschigen Schleier verborgen, als wolle sie ihr Antlitz von der Welt und den Menschen abwenden.

»Mein Mann ist gestern Abend verstorben, Mister Hellmark. Er hat mir von Ihnen und dem Briefwechsel erzählt, den er mit Ihnen führte. Es tut mir leid, dass ich Ihnen diese Nachricht geben muss. Sie kommen gerade recht zu Richards Beerdigung.«

Sie standen neben dem Aufgebahrten.

Ein Bruder des Verstorbenen, der aus Sacramento gekommen war, hielt die Totenwache. Weitere Verwandte gab es nicht. Die Lowestones selbst hatten keine Kinder.

Björn Hellmark betrachtete den Toten sehr genau. Sein Gesicht machte einen verzweifelten, gehetzten und gequälten Eindruck.

Dieser Mann musste einen furchtbaren Todeskampf ausgefochten haben, dass sich selbst nach seinem Sterben die Züge noch nicht entspannt und geglättet hatten.

In einem Gespräch unter vier Augen, bei dem Anne Lowestone den schwarzen Schleier nicht vom Gesicht nahm, hoffte Björn Hellmark Einzelheiten über den plötzlichen Tod jenes Mannes zu erfahren, den er nur brieflich kennengelernt hatte.

»Sein Tod kam unerwartet, so scheint es. Aber seit Wochen schon litt er an Herz- und Kreislaufbeschwerden«, erfuhr er. »So gesehen, musste man damit rechnen, dass über kurz oder lang etwas Schreckliches geschehen würde. Aber dass es so schrecklich sein musste!«

Er hatte viele Fragen auf dem Herzen, aber er unterließ sie. Die Frau war mitgenommen, bewegte sich durch das Haus wie eine Schlafwandlerin und schien nicht zu begreifen, dass der Lebensgefährte starr und stumm auf der Bahre lag und nicht mehr zurückkehrte.

Anne Lowestone redete sich selbst einige Dinge vom Herzen. Die beruhigende, sympathische Art des jungen Besuchers veranlasste sie, stärker aus sich herauszugehen, als sie es möglicherweise sonst getan hätte.

Sie berichtete stockend und mit müder, tonloser Stimme. »Er war so verändert – er schien einen Feind in mir zu sehen. Ich habe nie einen Besessenen gekannt, doch jetzt kann ich mir vorstellen, wie sie aussehen und wie sie sich verhalten. Rich war nicht mehr er selbst. Zum Schluss war es, als kämpfe er gegen alles und jeden, als wäre er umringt von unsichtbaren Geistern, die ihn folterten.«

Björn wurde hellhörig. »Sie wissen von unserem Briefwechsel«, begann er vorsichtig. »Wissen Sie, womit sich Ihr Mann in der letzten Zeit besonders befasste?«

»Nein, Mister Hellmark. Er hat mich nie in Dinge eingeweiht, die sein ganzpersönliches Metier waren.«

»Das ist seltsam.« Björn hatte Lowestone eigentlich anders eingeschätzt. In seinen Briefen zumindest hatte er ziemlich ausführlich und freimütig über seine magischen und okkulten Versuche berichtet und berief sich auf die Talente seiner Vorfahren, die durch einen geheimnisvollen, unbekannten Stein in die Lage versetzt worden waren, Unheil abzuwehren und Krankheiten zu heilen, die von den Ärzten als unheilbar angesehen wurden.

»Ja, er konnte manchmal recht schweigsam sein«, kam es versonnen über ihre Lippen.

»Wann genau haben die gesundheitlichen Beschwerden bei Ihrem Gatten angefangen, Mrs. Lowestone?«

»Vor einem Monat.«

Genau da hatte ihr Briefwechsel begonnen, dachte Björn.

Bestand zwischen den gesundheitlichen Störungen Richard Lowestones und seiner Kontaktaufnahme mit Hellmark ein Zusammenhang? Kein Arzt, kein Kriminalbeamter, der in Lowestones Tod etwas Unnatürliches gesehen hätte, wäre auf den Gedanken gekommen, die Dinge auf diese Weise anzugehen.

Aber Björn Hellmark tat es.

Wo immer sich Menschen mit Übernatürlichem abgaben, war besondere Vorsicht geboten und waren die Gedanken berechtigt, die ihm jetzt durch den Kopf gingen. Wesenloses umgab sie alle in jeder Sekunde ihres Lebens. Die unsichtbaren Geister beobachteten, lauerten und zerstörten. War es ihre Absicht gewesen, eine Begegnung zwischen Hellmark und Lowestone zu verhindern?

Björn sprach offen darüber. Diese Offenheit gefiel der Witwe.

Und plötzlich griff sie nach ihrem Schleier und hob ihn leicht an. »Vielleicht sollten Sie auch das sehen«, sagte sie leise. »Ich wollte nicht, dass jeder mich so sieht. Behalten Sie es für sich! Sprechen Sie mit niemand darüber, bitte!«

Er sah ihre ramponierten Züge. Die Haut war aufgekratzt und aufgeplatzt und schillerte in allen Regenbogenfarben. Deshalb der Schleier! Auch innerhalb des Hauses, um die Besucher nicht zu schockieren und sie daran zu hindern, Fragen zu stellen.

»Rich war eine Seele von Mensch«, flüsterte sie, während sie schnell den schwarzen Schleier wieder herunternahm. »Er tat keiner Fliege etwas zuleide. Mich aber hat er unmittelbar vor Eintritt seines Todes getreten und geschlagen, als wäre ich der letzte Dreck und als müsse er alle Aggressionen, die er zeit seines Lebens aufgestaut hatte, loswerden. Verstehen Sie das, Mister Hellmark?«

Nein, das verstand er nicht. Wenn er sich Lowestones Charakter vor Augen hielt, wie er ihn durch Briefe und die Unterhaltung mit seiner Witwe kannte, dann bestand ein eklatanter Widerspruch.

Ein ruhiger, besonnener Mensch wurde zu einer Furie ...

Satanische Kräfte tobten sich aus. Hatte er sie beschworen? Waren sie von selbst gekommen? Hatte er einen Fehler gemacht?

Die plötzlich eintretenden körperlichen Beschwerden schienen ein sichtbares Zeichen dafür, dass er seine Kräfte überschätzt und sich übernommen hatte und dass das andere, das Unsichtbare, das allgegenwärtig existierte, zupackte, als der richtige Zeitpunkt gekommen war.

Björn Hellmark kam noch mal auf den gesundheitlichen Zustand zu sprechen.

»Ihr Mann war doch sicher in ärztlicher Behandlung?«

»Ja.«

»Es erfolgten eingehende Untersuchungen?«

»Dr. Mallow verschrieb ihm ein herzstärkendes Mittel, das er immer dann einnahm, wenn er sich schwach und elend fühlte. Ein Mann, der sein Leben lang kerngesund gewesen ist, der mal einen Schnupfen hatte und mehr nicht, schluckt fläschchenweise Medizin, stopft sich mit Tabletten voll und alles hilft nichts.«

»War regelmäßig der Arzt zur Stelle, wenn Ihr Mann diese merkwürdigen Anfälle bekam?«

»Nein. Meistens waren sie schon vorüber, bis Dr. Mallow eintraf. Von Vina bis hierher ist es eine ganz erhebliche Strecke.«

»Dr. Mallow war Ihr Hausarzt. Hat er irgendeine Bemerkung gemacht, als er den Totenschein ausstellte, Mrs. Lowestone?«

»Dr. Mallow war überhaupt nicht da! Der Schein wurde heute Morgen von einem Kollegen ausgestellt. Mallow muss etwas zugestoßen sein. Er war gestern Abend – nach meinem Anruf – auf dem Weg nach hier, kam aber nicht an. Der Sheriff war schon da und hat nach ihm gefragt.«

Dieser Vorfall beschäftigte Björn. Merkwürdige Dinge kamen hier zusammen. Er konstatierte: Richard Lowestone erleidet angeblich einen Herzanfall, der in dieser Stärke einmalig ist. Anne Lowestone ruft sofort den Arzt an. Der macht sich auf den Weg, kommt aber nicht an. Lowestone stirbt. Dr. Pit Mallow taucht unter, als hätte der Erdboden ihn verschluckt.

Das war doch kein Zufall mehr!

Eine Stunde später lernte Björn Sheriff Glenn Brodnick kennen.

Der dickleibige, kaugummikauende Gesetzeshüter sah sich auf der Farm um, sprach mit diesem und jenem, begrüßte auch die Trauergäste, die inzwischen eingetroffen waren, und beobachtete nach Björns Geschmack gerade die Fremden mit offenem Misstrauen, das einem einfach nicht entging.

»Sie sind Deutscher?«, fragte er Hellmark, als Anne Lowestone ihn vorstellte.

»Ja, aber ich lebe in der Schweiz. In Genf.«

Brodnick zuckte die Achseln. Davon hatte er nie gehört. Er war in Kalifornien groß geworden und nie weiter als fünfzig Meilen rausgekommen. Selbst New York und Washington kannte er nur vom Hörensagen und San Francisco, mit dem Wagen eine Drei-Stunden-Reise entfernt, wollte er wenigstens mal zu sehen bekommen. »Aber das hat noch Zeit«, winkte er ab. »Bis zu meiner Pensionierung.«

Er kramte eine große Vorratspackung Kaugummi aus seinem Jackett, riss eine neue Stange auf und bot Björn einen Streifen an. Hellmark bedankte sich und griff danach.

»Ich muss immer etwas zwischen den Zähnen haben«, entschuldigte sich der fette Sheriff. »Da man nicht ständig mit einem Steak in der Tasche rumlaufen kann, hab' ich mich mit Kaugummi eingedeckt.«

Björn grinste. »Bei dieser Hitze halten die sich auch besser.« Brodnick stutzte. Man sah ihm an, dass er im ersten Moment mit dieser Bemerkung nichts anfangen konnte.

»Die Steaks gehen kaputt, meine ich«, erläuterte Björn. »Da müssten Sie sich schon eine Kühlhaltebox im Wagen einbauen lassen. Unterwegs dann, wenn Sie 'ne Pause einlegen und Lust auf ein Steak haben, holen Sie sich's frisch aus dem Vorratsbehälter, bauen den zusammenklappbaren Grill auf und brutzeln das Ding.«

Brodnicks Augen, schon von Natur etwas hervortretend, schienen sich noch weiter aus den Höhlen zu wagen. »Das ist 'ne feine Idee«, knurrte er, die Worte todernst nehmend. »Warum eigentlich nicht. Bei den Strecken, die man tagsüber fahren muss, geht 'ne Menge Zeit verloren. Ich es' dann immer erst abends warm. Seit ich Sheriff bin, nehm' ich ständig zu. Kein Wunder! Abends essen macht dick. Würde ich mir mittags ein Steak grillen, fiele das Abendessen aus. Mann, Sie gefallen mir! Ihren Vorschlag lass ich mir mal in Ruhe durch den Kopf gehen. Steaks aus tiefgekühltem Kofferraum. – Lass ich mir patentieren!«

Er machte direkt einen beglückten Eindruck. Björn nickte ernst. »Sie müssen mal ausrechnen, was Sie da an Kaugummi sparen«, bemerkte er, ohne die Miene zu verziehen. Glenn Brodnick redete noch eine ganze Weile mit ihm und versuchte ihn auszuhorchen, wie er als Europäer ausgerechnet hier auf die Farm käme. Anne Lowestone schaltete sich in dieses Gespräch ein und brachte einige Erklärungen, die nicht zu genau waren und mit denen er sich zufrieden gab.

»So, ein Brieffreund von Rich waren Sie. Böse Überraschung, als Sie hier eintrafen und feststellen mussten, dass er ...«

»Ja, das kann man wohl sagen.«

»Vielleicht hätte Mallow ihm noch helfen können«, sagte Brodnick unvermittelt. »Aber man hat ihn daran gehindert. So sieht es jedenfalls aus.«

Anne Lowestone erschrak. Der weichfließende, engmaschige Schleier vor ihrem Gesicht flatterte, als sie ruckartig den Kopf wandte. »Sie wissen etwas über sein Schicksal? Sie haben ihn ... gefunden?«

»Ihn nicht, aber seinen Wagen auf dem Weg nach Deadly Bluff.«

»Deadly Bluff!«, echote Anne Lowestone, als hätte sie nicht richtig gehört.

»Was sollte er denn dort?«

»Das frage ich mich auch. Jemand muss ihn dorthin gelockt haben. Warum – wissen wir nicht. Von Mallow selbst haben wir keine Spur entdeckt.« Während Brodnick sprach, blickte er Björn Hellmark so intensiv an, als könne der ihm eine Antwort auf seine Fragen geben.