Macabros 013: Elixier der Verdammnis - Dan Shocker - E-Book

Macabros 013: Elixier der Verdammnis E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Bearbeitete Original Romane Macabros 25 - Uga, Bestie aus der Urzeit Arson, der Mann mit der Silberhaut bittet Björn um Hilfe. Die dunklen Mächte haben seine Frau Amina und seinen Sohn Taaro entführt, um den Zeitreisenden davon abzuhalten, weiterhin gegen eben jene dunklen Mächte zu agieren. Er erfährt aber, dass die beiden nach Xantilon verschleppt wurden und glaubt, dass ihm Björn bei einer Zeitreise dorthin ein guter Helfer sein könnte. Doch Molochos und seine Kreaturen sind wachsam und lassen das Zeitschiff von ihrem Diener Uga in der Urzeit abfangen! Und schnell werden dort die Mitreisenden Arson, Björn, Rani und Pepe in alle Richtungen verstreut. Macabros 26 - Elixier der Verdammnis Um ihre Unruhe bezüglich der langen Abwesenheit von Björn, Rani und Pepe unter Kontrolle zu bekommen wendet sich Carminia Brado an die Reporterin Helen Carters, die ihr eine Audienz bei der Wahrsagerin Sheila Martens verschaffen soll. Diese soll bei einer Sitzung in Trance von einem Mann, der zweimal lebt, geredet haben. Damit kann nur Björn Hellmark gemeint sein. Allerdings ist die Wahrsagerin überfällig; soll sie doch für den bekannten Schauspieler Donovan Bradley ein Haus in Coppers/England auf Geistererscheinungen überprüfen. Carmina und Helen fahren zu diesem kleinen Anwesen und tappen prompt in die Falle des Alchimisten Benjamin Huxley, der schon vor Jahrhunderten die Mädchen aus Coppers in Monster verwandelte, da sie ihn wegen seiner Buckeligkeit hänselten. So schuf er ein Elixier, dass die Frauen in Riesenspinnen verwandelte! Und Carminias Unruhe ist nicht unbegründet. Kurzbeschreibungen: © www.gruselromane.de

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 13

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-713-9

Dan Shockers Macabros Band 13

ELIXIER DER VERDAMMNIS

Mystery-Thriller

Uga, Bestie aus der Urzeit

von

Dan Shocker

Prolog

Flackernde Irrlichter stiegen aus dem Sumpf. Wie knisternde Funken spritzten sie über die morastige Fläche und irrten zwischen den schwarzen Zweigen und Ästen herum, an denen große, schlaffe Blätter wie fleischige Lappen hingen, die eine gurgelnde graugrüne Oberfläche berührten.

Die Lichter zogen sich in die Länge, blähten sich auf und wurden zu Gestalten. Eine kleine und eine große entstanden, eine Frau und ein Kind mit gelocktem, weißblondem Haar, etwa acht Jahre alt. Die schöne Frau mit den edlen Zügen hielt den Knaben ängstlich an sich gepresst und streckte flehentlich ihre andere Hand aus, als erwarte sie jemanden, der ihr entgegenkomme.

»Hilf uns! Lass uns nicht im Stich!« Fern und schwach klangen die Worte.

Die Angst in den Augen der Schönen, die nur mit einem dünnen, halbdurchsichtigen Gewand bekleidet war, verstärkte sich.

Wie von einem geheimnisvollen Sog erfasst, wurden sie in die Tiefe eines glosenden Schlundes gezogen, der oberhalb des Sumpfes zwischen den knorrigen, bizarren schwarzen Zweigen und Ästen begann.

Aus den wabernden Nebeln formten sich dämonenfratzige Gesichter. Hässliches Kichern und Lachen erfüllte die stickige, stinkende Luft, in der das Atmen zur Qual wurde. Die attraktive Frau und der Knabe wirkten wie halbdurchsichtiges Glas und verschwanden hinter den Nebeln.

Hände streckten sich ihm entgegen. Und der Mann versuchte, sie zu fassen. Aber er griff ins Leere. »Amina! Taaro!«, hörte er sich rufen, doch seine Stimme verhallte wie ein mehrfach klingendes Echo, sickerte dann in Nebel und Sumpf und verlor sich im Schlund der Tiefen von Raum und Zeit, in die seine schöne Frau und sein Sohn entführt wurden.

Schwach und fern wirkten plötzlich ihre Abbilder, und seine Sinne fieberten, weil er fürchtete, sie zu verlieren, jetzt, nachdem er endlich ihre Spur wiedergefunden hatte! Wie ein Schatten hetzte er hinter ihnen her. Er wusste, dass er nicht körperlich folgte, dass es nur sein Geist war, der den Kontakt hergestellt hatte.

Er tauchte in das brodelnde, überschwappende Nebelmeer ein, spürte die Nähe der hechelnden Dämonen, sah die geifernden Mäuler, die glühenden, wilden Augen und fühlte den stinkenden Atem, der ihm ins Gesicht schlug. Sein Bewusstsein tauchte in den Schlund ein, der in eine schwarze Unendlichkeit führte.

Die Gestalten schienen wieder zu langen, flirrenden Lichtstreifen zu werden; nur schwach nahm er noch ihre Umrisse wahr. Dann verschwanden der Sumpf und die Moorlandschaft sowie die unheimlichen, ihn bedrängenden Gestalten, durch die er sich förmlich durchgeboxt hatte.

Aus der unheimlichen Umgebung, die bedrohend wirkte, schälte sich eine in paradiesischer Umgebung liegende Landschaft. Mitten in einem Tal, das sich zum Meer hin öffnete, lag eine Stadt. Gold- und roséfarben schimmerte der Himmel über den Häusern und Gassen, in denen sich die Menschen geschäftig bewegten.

Hohe, spiralenförmige, minarettähnliche Gebäude ragten wie Speere in den Himmel und schienen ihn zu berühren.

Am Uferrand schaukelten Boote, die sehr lang waren und farbenprächtige Segel trugen, auf denen geheimnisvolle Symbole vermerkt standen – eine unenträtselte Bilderschrift.

Der erste Eindruck des Friedens und der Stille, den er empfing, wurde verwischt. Angst und Beklemmung mischten sich in seine Gefühle. Die Gesichter der hellhäutigen und bronzefarbenen Menschen, die hier in Eintracht miteinander lebten und Angehörige eines fremden Volkes waren, drückten diesen Widerstreit der Gefühle ebenfalls aus.

Es lag etwas in der Luft ...

Diese Bedrohung schien von den kahlen Höhenzügen in der Ferne zu kommen. Scharfkantige Felsen schienen den Himmel dort anzukratzen. Dunkelgraue Wolken mit einem Schimmer tiefen Violetts brauten sich dort zusammen und quollen in den Süden des Landes vor.

Donnergrollen ließ die Luft erzittern. Blitze spalteten den Himmel. Die Menschen in den Straßen und Gassen begannen zu rennen. Nackte Angst stand in den Augen zu lesen. Das Wolkenmeer im Hintergrund brodelte auf wie Dampf, der aus einem gigantischen Loch in der Erdoberfläche strömte.

Wellenartig liefen die Bewegungen durch den Boden. Risse und Spalten zeigten sich in den Häusern. Menschen liefen schreiend auseinander und kamen aus den Häusern gerannt. In den Straßen herrschte im Nu ein Bild der Verwirrung und der Panik.

Ein dröhnendes Lachen ertönte und mischte sich unter das Grollen und Stampfen, das durch den Himmel und den Erdboden lief. Das Wolkengebirge in der Ferne brodelte und zischte; dämonische Kräfte wurden frei. Molochos, der oberste der Schwarzen Priester, griff an. Die Kräfte, die er gewonnen hatte, wirkten sich aus. Die Schwarze Priesterkaste auf Xantilon genoss ihren teuflischen Triumph.

Zwei entgegengesetzt wirkende Kraftfelder prallten aufeinander. Der Geist der anderen, der Weißen Priester, wurde fühlbar. Er versuchte zu vermitteln, zu beschwichtigen. Molochos aber wollte das Chaos.

Der Himmel verdüsterte sich. Es wurde stockfinster, und man hörte nur noch das Grollen und Stampfen und die Schreie der Betroffenen.

Sein Geist registrierte die chaotische Stimmung, und er wusste, wie er hierhergekommen war. Diese alptraumhaften Bilder waren einmal Wirklichkeit gewesen – und waren es in einer anderen Zeit und in einem anderen Raum noch immer.

Der Mann, der diese Schreckensvisionen durchmachte, schlug die Augen auf. Seine Haut schimmerte wie Silber, und seine hellen Augen waren klar wie ein Bergsee.

Arson erwachte.

Nur ein Traum? Diese Dinge stimmten. Amina und Taaro waren von den Dämonen, die er durch Raum und Zeit jagte, deren Weg er verfolgte, entführt worden.

Arson dachte an das Scheusal, das ihn in der Vergangenheit des Öfteren besucht und ihm Vorschläge unterbreitet hatte. Es tauchte auch jetzt wieder auf. Wie immer nach einem solchen prophetischen Traum. Die Dunkelheit vor ihm öffnete sich, als würden zwei Schalenhälften auseinanderklappen, die innen dunkelrot beleuchtet waren. Aus dem schummrigen Rot wuchs ein riesiger, stahlblauer Schädel, kugelrund und fischartig hervorquellend waren die Augen, breit und wie mit einem dicken Streifen aus gespaltenem Felsen aufgesetzt das Maul, das sich verächtlich verzog.

»Wir sind auf seltsame Weise miteinander verbunden, du und ich«, sagte der Dämon aus der Finsternis.

Kalte und heiße Schauer liefen Arson abwechselnd über den Rücken. Obwohl es schon zu mehr als einer Begegnung mit dieser Schreckensgestalt gekommen war, fürchtete er sich jedes Mal von neuem. Ihr Anblick ließ eine Gänsehaut auf seinem Körper entstehen.

»Du hast dich gebunden, am Baum des Schicksals hast du dein Versprechen abgelegt ...«

Er schloss die Augen, als er diese Worte hörte. Er wusste das alles noch genau – auch worauf er sich eingelassen hatte. Die Liebe zu Amina und Taaro hatte ihn den schweren Weg zum Schicksalsbaum leicht gemacht. An einem seltsamen Ort, der nur Eingeweihten bekannt und zugänglich war, stand dieser Baum, ein monströses Gewächs aus prähistorischer Zeit. Er breitete seine gigantischen Äste und Zweige wie schleimige Tentakel aus und ragte hoch in einen stahlblauen, nie bewölkten Himmel, um von dort die Ströme aus Raum und Zeit zu empfangen und in Bildern wiederzugeben.

Arson wusste, dass das Schicksal jedes einzelnen denkenden Lebewesens im Strom von Raum und Zeit aufgezeichnet war und sensible, außermenschliche Sinne diese Ströme aufnehmen konnten.

Das alles war nicht ohne die Mithilfe der jenseitigen Geistesmächte durchführbar, die einen Teil dieser Welt ausmachten. Wo es Licht gab – existierte auch der Schatten.

Arson, der sich entschlossen hatte, seinerzeit den Weg zum Schicksalsbaum einzuschlagen, um jederzeit einen prophetischen Traum heraufbeschwören zu können, der ihn mit den Sinnen des Wunderbaums verband, hatte damit auch gleichzeitig den Grundstein zu einer rätselhaften Symbiose mit diesem furchterregenden Dämon gelegt, dessen Namen er nicht kannte, den er nicht beschwören und zurückdrängen konnte. Er gehörte mit zu den Träumen, die ihn weiterführten, damit er die Spur nicht verlor. Dieses schreckeneinflößende Etwas, dessen Kopf so groß war wie Arsons ganzer Körper, bildete jeweils den Abschluss des Traums und ließ ihn wissen, dass es ein Licht ohne Schatten nicht gab.

»... daran wollte ich dich nur erinnern«, mahnte ihn die dröhnende Stimme und zerriss seine Gedanken, denen er nachhängen wollte, bis die Zeit, in der der Dämon sich sichtbar machen konnte, verstrichen war.

»Du brauchst mich an nichts zu erinnern«, sagte Arson rau. Seine Augen blickten hart; er konnte sie nicht schließen, sondern musste den Anblick des Schrecklichen ertragen. »Ich weiß alles ...«

»Aber es ist nie verkehrt, einen Freund ...« Wie dieses Wort aus dem Maul des ungeheuerlichen Kopfes klang! Freund! »... einen Freund«, wiederholte der Dämon, »darüber aufzuklären, was er tun muss, um nicht ins Unheil zu rennen. Es ist Unsinn, was du tust. Es ist an der Zeit, dass du das endlich einsiehst.«

»Ich weiß, was ich tue und werde mich nie von meinem Vorhaben abbringen lassen. Und du weißt, dass sich die Gespräche mit mir nie lohnen, namenloser Dämon. Sie drehen sich immer im Kreis.«

Die gespaltenen, wie Felsgestein wirkenden Lippen verzogen sich. »Einmal wirst du es einsehen, dass dein Einsatz sich nicht lohnt, dass deine Kräfte nachlassen. Gegen uns wirst du nie ankommen, Arson!«

»Es wird sich zeigen.«

»Wird? Es hat sich schon gezeigt! Du jagst einem Phantom nach. Du willst ständig wissen, wohin Amina und Taaro entführt wurden. Die Orte und Zeiträume wechseln oft. Du kommst zu spät. Das alles könntest du dir ersparen. Ein Wort von dir genügt – und sie sind frei. Du brauchst nur deine Streifzüge durch Raum und Zeit zu unterlassen.«

»Damit verzichte ich darauf, euch auf die Finger zu sehen«, warf Arson ein.

»Ist das so schlimm?«

»Ich gebe nicht auf. Ihr könnt mich nicht davon abbringen, den einmal gegebenen Schwur zu brechen. Ich beobachte und bekämpfe euch und werde nie davon ablassen!«

Höhnisches Gelächter folgte. »Du sprichst ein großes Wort gelassen aus, Arson. Nie – was bedeutet das für einen Menschen wie dich, der die Zeiten kennt wie kein Zweiter? Nie – das bedeutet, dass deine Jagd durch Raum und Zeit weitergehen wird, deine Suche nach Amina und Taaro. Nie, das bedeutet: Du wirst deine Frau und deinen Sohn nie wiedersehen!«

Die Worte trafen ihn wie Hammerschläge.

Der Dämon blickte verächtlich. In seinen riesigen Augen irrlichterte es bedrohlich. Dann lösten sich die Konturen des gewaltigen, kahlen blauen Kopfes langsam auf. Es verschwand das dumpfe Rot, in dem er wie in einem Blutbett lag.

»Du wirst es nie allein schaffen!« So lauteten die letzten verständlichen Worte, die er vernahm und die lange in ihm nachhallten.

Minutenlang noch lag er da und konnte endlich die Augen schließen. Er fand zu sich selbst zurück. So sehr er diese Visionen mochte – so sehr fürchtete er jeweils deren Abschluss. Auf der einen Seite bekam er Amina und Taaro zu Gesicht und erfuhr Neues über das Schicksal seiner Lieben, von denen ihn eine dämonische Gewalttat getrennt hatte. Auf der anderen Seite musste er das Erscheinen des Schrecklichen in Kauf nehmen.

Arson richtete sich auf, erhob sich dann und stand wie aus mattschimmerndem Stahl gemeißelt in der dämmrigen Kabine des Zeitschiffes, das bewegungslos zwischen Raum und Zeit hing, wenn er die visionären Träume suchte.

»Allein schaffe ich es nicht, da magst du recht haben, namenloser Dämon«, flüsterte er tonlos im Selbstgespräch. Seine klugen Augen starrten auf die dunklen, runden Bildschirme, die dicht beieinander lagen. Das hier war die Zentrale des Zeitschiffes. Man vernahm kein Motorengeräusch, keine Kontrolllichter blinkten, und es gab kaum Apparaturen. Das Schiff wurde durch eine hochentwickelte Superelektronik beherrscht, die reine Energie umwandeln und steuern konnte.

Arson berührte einen schmalen Metallstreifen und dachte einen bestimmten Gedanken. Einer der Schirme, die aussahen wie Bullaugen, begann zu flackern. Farbige Nebel formierten sich zu einem Bild. Eine unsichtbare Kamera holte eine Landschaft heran – als würde sie in großer Höhe darüber schweben.

Blau war das Meer, ebenso der Himmel, der sich darin spiegelte. Eine kleine, liebliche Insel, vielgestaltig in ihrer Bodenstruktur. Es gab Täler und Berge, weiße, palmenbesäumte Strände, an die sanft die Wellen plätscherten, und kleine Bäche und Flüsse, die ins Meer mündeten.

Das war Marlos, die unsichtbare Insel. Sie lag zwischen Hawaii und den Galapagos-Inseln.

»Aber es gibt jemanden, der mich unterstützen wird, wenn ich ihn bitte, wenn ich ihm alles erkläre. Dann bin ich nicht mehr allein.« Er atmete tief durch, und neue Hoffnung erfüllte ihn, als er an Björn Hellmark dachte, den Mann, der an zwei Orten zur gleichen Zeit sein konnte und der gefährlichste Gegner der Dämonen und Molochos' in seiner Gegenwart war.

Das Zeitschiff wurde zu reiner Energie. Mit ihm veränderte sich Arsons atomare Struktur.

Gedankenschnell war er an jenem Ort, von dem er hoffte, dass er Hellmark dort traf – und niemand ihre Begegnung beobachtete. Marlos war tabu für alle Dämonen, für die rangniedrigsten wie für die höchsten. Sie konnten den geistigen Schutzschild nicht durchdringen, der von den Priestern der Weißmagischen Kaste in ferner Zeit errichtet worden war.

Marlos war nicht nur für menschliche Augen von einer bestimmten Entfernung an unsichtbar; es war auf keiner Landkarte der Welt verzeichnet, obwohl es existierte, und konnte auch von den finsteren Schattenwesen nicht registriert werden.

Dies hier war der einzige Ort auf der Erde, wo man wirklich vor ihnen sicher war. Aber hier konnten sich diejenigen, die mit allergrößter Sicherheit um das Wirken unsichtbarer Kräfte und Mächte wussten, am allerseltensten aufhalten. Sie mussten sich dem Kampf im freien Feld stellen.

Als Arson den Entschluss fasste, sich Hellmark anzuvertrauen, war ihm klar, dass der Kampf gegen die Kräfte der Finsternis mit einer neuen riskanten Variante fortgeführt wurde. Die Dämonischen würden alles aufbieten, um diesen konzentriert gegen sie gerichteten Pfeil abzuwehren und – wie es Dämonenart war – gleichzeitig zu einer Waffe für sich zu schmieden.

Was dabei herauskam, wusste auch Arson nicht. Dieses Wissen würde er erst dann besitzen, wenn er bestimmte Aktivitäten entfaltete. Die Entscheidungen, die in der Gegenwart getroffen wurden, würden sich auf die Vergangenheit und die Zukunft auswirken. Arson, zu allem bereit, griff zur größten und mächtigsten Waffe, die ihm zur Verfügung stand.

1. Kapitel

Ein großer Spiegel, der bis unter die Decke reichte, stand an der Wand.

Es handelte sich um eines der seltenen, legendären Exemplare, um einen sogenannten Zauberspiegel, der das Tor zur vierten Dimension, zu einer anderen Welt bildete. Björn Hellmarks Spiegel hatte sich einst im Besitz der Druidin Kiuna Macgullygosh befunden. Ein dunkelroter, schwerer Vorhang hing davor und verdeckte das Glas, das kein Glas war. Der hochgewachsene, breitschultrige Mann mit den schmalen Hüften passierte den Keller, ging auf den Spiegel zu und drückte den Vorhang beiseite.

Björn Hellmark stieg in den Spiegel. Die gläserne Fläche teilte sich und war wie unbewegliches Wasser, das seine Körperformen genau einschloss. Er tauchte ein und kam einige tausend Kilometer von Genf entfernt auf Marlos in der Geisterhöhle an.

In dem riesenhaften, domähnlichen Gebilde befanden sich die geschmückten, skelettierten Leiber derjenigen, die einst auf Xantilon große Entscheidungen getroffen und Geheimnisse entdeckt hatten. Die Kaste der Weißen Priester und Herrscher war hier versammelt. Auf den steinernen Thronen saßen die makabren Gestalten, umhüllt von farbenprächtigen, seidig schimmernden Gewändern. Jeder Thron trug einen Namen. Nur ein Thron war leer. Er trug Björn Hellmarks Namen.

Es war der oberste Thron. Darüber gab es nichts mehr. Auch Björn würde eines Tages hier in der Geisterhöhle seine letzte Ruhestätte finden, sein Geist eingehen in ein zeitloses Meer, wo die anderen ihn erwarteten und er mit den letzten Geheimnissen des Daseins vertraut gemacht werden würde. Wann dieser Tag war, wusste er nicht. Voraussetzung für dieses Einswerden mit den anderen war: Er musste sich dem Kampf mit den Dämonen stellen, durfte seine Seele nicht an Molochos und seine Schergen verlieren und musste unter allen Umständen verhindern, dass dämonische Kräfte erstarkten und Boden gewannen.

Seit Menschengedenken – und weit darüber hinaus – existierten finstere Mächte und wirkten sich auf das Leben des Einzelnen aus, meist ohne dass der Betroffene selbst etwas davon merkte. Er wurde zum Werkzeug, und sein eigenes Leben erfüllte sich nicht so, wie es im Buch des Schicksals vorgesehen war und wie er es – aus freiem Willen – selbst noch entscheiden konnte. Dämonen manipulierten und ließen den Kampf, der seit Urbeginn bestand, nochmals neu und endgültig aufflammen. Diesmal würde es nur eins geben: Sieger und Besiegte. Ein Patt, wie es der Vorgang nach der Katastrophe auf Xantilon zustande gebracht hatte, war diesmal ausgeschlossen.

Die Entscheidung musste herbeigeführt werden. Die Propheten und Philosophen im alten Xantilon hatten es damals schon angekündigt.

Die Dinge, welche Menschen gern in das Reich der Märchen und Sagen verlegten, waren einst Wirklichkeit gewesen. Dämonen beeinflussten das Denken und Fühlen ganzer Völker und schufen Widersprüche, so dass diese Welt, wie sie jetzt bestand, offensichtlich ein einziger Widerspruch war.

Viele Gedanken gingen dem Deutschen durch den Kopf, als er neben dem Thron ankam, der seinen Namen trug.

Hier auf der anderen Seite des Spiegels bewahrte er auch jene wichtigen Gegenstände und Trophäen auf, die für seine Mission wichtig waren oder es werden konnten. Neben dem Thron lag das Buch der Gesetze, und ein samtenes Tuch wies noch jetzt darauf hin, wo eine Zeitlang das magische Schwert des Toten Gottes gelegen hatte. Doch dieses Stadium in Hellmarks Leben gehörte der Vergangenheit an. Seit kurzem trug er dieses Schwert in seinem Flugzeug, auf Reisen und in seinem Wagen stets mit sich. Al Nafuur, geheimnisvoller Zauberpriester aus dem Land Xantilon und unübertrefflicher Ratgeber aus dem Reich zwischen Diesseits und Jenseits, hatte ihm das empfohlen, und Hellmark hielt sich daran.

Des Öfteren kam es nun zu Begegnungen, bei denen er auf das Schwert zurückgreifen musste, bei denen es ihm nichts nützte, wenn er sich erst verdoppelte und wertvolle Zeit und Kraft verlor, um die notwendigen Utensilien erst durch seinen Ätherkörper zu holen.

Auf einem niedrigen Tisch stand ein verkorktes Fläschchen. Darin befand sich der Trank der Siaris, jenes geheimnisvolle Elixier, das ihm ein Priester in einem parallel liegenden Universum zum Dank für sein Eingreifen geschenkt hatte. An diesem Tag hatte er auch erfahren, dass es bereits in ferner Vergangenheit zu einer Begegnung mit Carminia Brado in einem anderen Körper gekommen war. Bailea, die er damals über alles geliebt hatte, war in der rassigen, heißblütigen Südamerikanerin zu einer erneuten bewussten Existenz erwacht, nachdem sie davor sicher – wie viele andere auch – niedrigere Daseinsebenen durchgemacht hatte, an die sie sich heute ebenso wenig erinnerte wie an ihre Existenz als Bailea.

Entscheidendes bewirkte der Besitz der drei Augen des Schwarzen Manja. Die faustgroßen, wie Rubine wirkenden Steine lagen in mit dunkelblauem Samt ausgeschlagenen Behältern, die er hier auf Marlos aufbewahrte. Mit jedem Stein, den er dieser Sammlung hinzufügte, kam er dem großen Ziel einen Schritt näher. Die Augen des überdimensionalen, unvorstellbaren heiligen Vogels der alten Xantiloner waren für ihn zum Symbol des Umbruchs geworden. Sieben Stück benötigte er – das waren ebenso viel, wie ein Manja Augen im Kopf hatte. Damit hätte er den Schlüssel zu Molochos' absolutem Sturz sowie zur völligen Vernichtung seines finsteren Reiches in der Hand.

Doch der Weg dahin war hart. Molochos und seine Schergen versuchten mit allen Mitteln, eine Konzentration der heiligen Manjaaugen in seiner Hand zu verhindern. Jedes Mittel war ihnen dazu recht.

Björn stieg die gewaltigen Stufen, die pyramidenförmig angeordnet waren, nach unten. Er passierte die schummrige Höhle und erreichte deren Ausgang.

»Pepe?«, rief er laut und deutlich, als er draußen ankam.

Der Himmel schimmerte schon in einem hellen Rot. Die Sonne ging unter. Der schmale Felsenstreifen, der fast übergangslos an den weißen Sandstrand stieß, glühte unter dem Licht, als wäre er von innen heraus bestrahlt.

Palmen waren zu sehen, dahinter Hibiscussträucher mit großen gelb und rot schillernden Blüten. Unmittelbar dahinter standen wieder die einfachen Holz- und Strohhütten, die zum größten Teil von Rani Mahay allein gefertigt worden waren, der dabei großes Geschick bewiesen hatte. Diese Unterkünfte waren für diejenigen reserviert, die den Wunsch äußerten, auf Marlos leben zu wollen, um vor den Dämonen, deren Angriffe auf bestimmte Einzelpersonen und Gruppen sich in absehbarer Zeit verstärken würden, sicher zu sein.

Hellmark wanderte bis an den weißen Sandstrand vor. »Pepe?«, rief er noch einmal und hielt dabei die Hände wie einen Trichter vor den Mund. Seine kräftige Stimme hallte durch die klare Abendluft und wurde untermalt vom gleichmäßigen Rauschen des Meeres. Der kleine Mexikaner, den Björn an Kindes Statt angenommen hatte, war nirgends zu sehen und meldete sich auch nicht.

»Alter Drückeberger«, knurrte Hellmark. »Wenn es ums Aufgabenmachen geht, ist er meistens verschwunden.« Aus Erfahrung wusste Björn, dass sich Pepe sehr oft auf der Insel aufhielt, stundenlange Streifzüge machte und dieses wunderbare kleine Stück Erde auf seine Art erkundete und erforschte. Nicht selten leistete ihm Rani Mahay dabei Gesellschaft. Die beiden kannten die Insel fast besser als Björn, der das Land, das ihm zu treuen Händen übergeben worden war, noch nicht bis in den letzten Winkel erforscht hatte.

Hellmark blickte sich um und entfernte sich dann vom Strand. Zwischen den blühenden Sträuchern und Hütten registrierte er keine Bewegung. Auch Mahay war nicht da. Und somit fehlte auch Chitra, die prächtige Tigerin, an deren Anwesenheit auf der Insel Björn sich erst hatte gewöhnen müssen.

»Offenbar ist wieder die ganze Sippe unterwegs«, knurrte er. »Na, der Bursche kann was erleben!«

Er wandte sich um; er wollte zur Höhle zurück und damit durch den Spiegel wieder in sein Haus. Da kam ihm von der anderen Seite des Strandes eine Gestalt entgegen. Björn verhielt sofort in der Bewegung. Der hochgewachsene, schlanke Mann sah aus, als wäre er in eine hauteng anliegende Kombination gekleidet. Aber der erste Eindruck täuschte. Kleidung und Haut des merkwürdigen Besuchers bildeten eine Einheit und ergänzten sich. Das war so, wenn einer zur Elite jener gehörte, die dazu auserwählt worden waren, Raum und Zeit zu durchstreifen und die Wege der Dämonen in allen Schichten zu erforschen und zu beobachten.

Arson weilte auf Marlos? Björn lief unwillkürlich schneller dem Mann entgegen, der ihn zweimal aus einer misslichen Lage befreit hatte.

»Arson?«, sagte er überrascht, und in seiner Stimme klang die Freude mit, die er empfand, diesen Mann so unerwartet wiederzusehen. »Wie kommen Sie hierher?«

»Sie sind verwundert, das ist nicht anders zu erwarten. Ich habe bei unserem letzten Zusammentreffen anklingen lassen, dass sich unsere Wege bald wieder kreuzen.«

»Ich freue mich darüber.« Björn streckte dem Mann, dem er jetzt von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, die Rechte entgegen. Arson ergriff und drückte sie.

»Ob es ein Grund zur Freude ist, bezweifle ich.« Arson wirkte sehr ernst, und man sah ihm an, dass er offensichtlich einen inneren Kampf ausgetragen hatte. »Ich komme mit Sorgen zu Ihnen.«

»Wenn ich dazu beitragen könnte, diese Sorgen zu verringern, würde mich das freuen«, ermunterte Björn seinen Besucher. »Ich stehe in Ihrer Schuld.«

Arson schüttelte den Kopf. »Unsere Begegnungen in der Vergangenheit waren kein Zufall, Björn. Sie waren vorbestimmt. Das ist nur denen erkennbar gemacht, die im Buch der Zeit lesen können. Ich befinde mich in einer äußerst kritischen Situation.«

Arson vertraute sich dem Deutschen an. Er verschwieg und beschönigte nichts, sondern berichtete von seinem Schwur, den er als Zeit- und Dämonenbeobachter abgelegt hatte, sowie von den Schwierigkeiten, die ihm die finsteren Mächte seit einiger Zeit bereiteten. Seit jener Stunde nämlich, da sie mit Sicherheit herausgefunden hatten, dass er über Hellmarks Existenz bestens informiert war und wie kein Zweiter darüber Bescheid wusste, welche Mission dieser Mann in der Gegenwart erfüllte.

Arson berichtete von der Entführung seiner Frau und seines Sohnes und von der Drohung des namenlosen Dämons, Amina und Taaro ebenfalls zu Dämonen werden zu lassen, wenn er sich weiterhin so starrköpfig zeigte.

»Mir kommt es vor, als wären Amina und Taaro schon seit einer Ewigkeit nicht mehr bei mir«, schloss er seine Ausführungen, »dabei ist das Ereignis erst kurz nach unserer ersten Begegnung auf Kharzums Welt, in den Blutgärten, eingetreten. Ich bin ständig über den Aufenthalt meiner Familie informiert, aber ich komme entweder zu spät oder werde von dem namenlosen Dämon, der Einblick in mein Schicksal hat und damit auch Einfluss nehmen kann, in die Irre geführt. Ich weiß, dass sich Amina und Taaro in diesem Moment in einer verzweifelten Lage befinden, dass die Dämonen sie in die Vergangenheit geschleust haben, nach Xantilon, zu einem Zeitpunkt, als die furchtbaren Katastrophen dort ihren Anfang nahmen, die schließlich im Untergang der Insel mündeten. Ich muss nach dort und möchte Sie bitten, mich zu begleiten und zu unterstützen.«

»Nicht Sie bitten mich, Arson, sondern ich bitte Sie, mich mitzunehmen! Es hat seine Bedeutung, dass wir uns trafen: Wir ergänzen uns! Ich verfüge über Mittel, die den Dämonen das Leben schwermachen. Aber um sie anwenden zu können, muss ich mehr über unsere Gegner wissen. Sie haben mir mal etwas gesagt, was ich seither nicht vergessen kann: Die Vergangenheit zu kennen, bedeutet, die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu meistern. Wie könnte ich die Vergangenheit besser kennenlernen – als durch Sie? Eine Reise nach Xantilon wirft viele Fragen auf, dürfte aber noch weitaus mehr beantworten. Ich werde Sie begleiten und somit die Möglichkeit haben, jene Kräfte zu studieren, die für den Untergang eines auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung stehenden Volkes verantwortlich sind. Und nicht nur ich werde Sie begleiten, wir werden ...«

Er unterbrach sich. Von links näherte sich eine massige Gestalt, zwei Meter groß und bronzefarben. Der Mann lief in einer Badehose herum. An seiner Seite schritt majestätisch eine ausgewachsene Tigerin. Je länger sich das Tier unter Mahays Einfluss befand, desto ruhiger und zahmer schien es zu werden. Björn ließ trotzdem immer eine gewisse Distanz zwischen Chitra und sich bestehen, um keine Überraschung zu erleben.

»Wenn man vom Teufel spricht«, grinste er, Mahay entgegenblickend. »Das ist unser dritter Mann, Arson. Wo er hinpackt, da wächst kein Gras mehr, und das hat schon mancher Dämon zu spüren bekommen.«

Er weihte Mahay ein.

»Wann soll es soweit sein?«, wollte der Inder wissen.

»Je schneller, desto besser«, bemerkte Arson. »Je geringer die Zeitabstände, desto mehr Aussicht auf Erfolg haben wir.«

»Also gleich«, ergänzte Björn. »Man soll nichts vor sich herschieben, was man nachher bereuen könnte. Eigentlich bin ich gekommen, um Pepe zu suchen. So ändern sich manchmal die Umstände. Hast du den Burschen vielleicht irgendwo gesehen, Rani?«

»Nein.«

»Dann ist er möglicherweise doch am See unten.« Dieses unten bezog sich auf den Genfer See, der sich zu Füßen des Hellmarkschen Grundstücks hinzog. Dieser See lag, von Marlos aus gesehen, ein paar tausend Kilometer weiter westlich. Von der Geisterhöhle aus gesehen, die er mit nur einem Schritt durch den Spiegel erreichte, lag dieser See allerdings unten. »Ich werde mich von Carminia verabschieden, das Schwert holen – und dann kann's losgehen. Ich bin gleich wieder zurück.«

Prustend stieg er auf. Der Wuschelkopf eines Knaben tauchte im Wasser auf. Pepe wischte sich über Gesicht und Augen und fuhr sich durch die Haare.

Er watete an Land. In dieser kleinen, verschwiegenen Bucht, die er erst gestern entdeckt hatte, badete er zum ersten Mal. Flache, runde Felsblöcke lagen im Wasser wie dicke Glatzköpfe. »Das müsste Mahay sehen«, brummte der Junge und schlug sich lachend auf die Schenkel, als er über die dunklen, glatten Felsen sprang und dem Land entgegenhüpfte wie ein Känguru, das gerade das Laufen lernte.

Die warme Luft trocknete im Nu seine Haut, obwohl die Sonne bereits tief stand und das Meer in ein glühendes Rot tauchte.

Pepe schüttelte sich wie ein Hund und lief auf die kleine Höhle zu, in der er ein Proviantpaket aufbewahrte, bestehend aus einer Packung Traubenzucker, Kekse, einer Tafel Schokolade und einem Päckchen Kaugummi. In dieser kühlen Höhle blieben die Sachen einigermaßen frisch.

Außerdem lag dort noch ein Buch, in dem er gelesen hatte. Es handelte sich um einen Karl-May-Band aus Björn Hellmarks Bibliothek. Pepe war der Ansicht, dass er auf diese Weise besonders viel für seinen Sprachschatz tat. Das war besser als pures Vokabelpauken.

Die Bucht war ringsum dicht bewachsen. Oberhalb der sie umschließenden, etwa fünfzig Meter hoch liegenden Kuppe ragten Büsche und Schlingpflanzen so in die Höhe, dass sie einen undurchdringlichen kleinen Dschungel bildeten.

Dieses Versteck fand Pepe enorm. Davon wussten weder Björn noch Rani etwas.

Selbst wenn jemand den Strand entlangkam, konnte er nicht in die Bucht, obwohl der Hügel in südlicher Richtung niedriger wurde und nur noch etwa runde fünf Meter aus dem Boden wuchs.

Unwillkürlich wandte Pepe den Kopf und blieb wie vom Donner gerührt auf halbem Weg zur Höhle stehen. Dort vorn war etwas anders als vorhin. Eine große, leuchtende Kugel wuchs aus dem schillernden Blüten- und Blättermeer; sie stand offensichtlich dahinter.

Besuch auf der Insel?

Der Junge hatte sofort einen Verdacht und musste an eine ganz bestimmte Person denken, von der Björn ihm erzählt hatte: an Arson – und an dessen Zeitschiff.

Der kleine Mexikaner nagte an seiner Unterlippe. Dann lief er über den feinen Sand, und deutlich blieben seine Fußspuren dort zurück. Den Blick immer geradeaus auf das runde, schimmernde Gebilde aus Licht gerichtet, eilte er auf die niedrigste Erhöhung der Kuppe zu.

Hier war es leicht, den bewachsenen Fels zu erklimmen.

Armdicke Äste hingen wie erstarrte Schlangen an der Felswand herab, an denen er sich hochzog.

Er spähte durch Gestrüpp, durch Blüten und Farne und kroch vollends nach oben.

Kein Mensch war in der Nähe.

Pepe, der es nicht lassen konnte, grundsätzlich allem Neuen auf die Schliche zu kommen, bezähmte auch jetzt seine Neugierde nicht. Er sah den Eingang des kugelrunden Gebildes, für das die Menschen in Unkenntnis im Lauf der Zeit den Begriff UFO – unbekanntes Flugobjekt – gebildet hatten. Pepe hatte Bilder und Zeichnungen solcher UFOs gesehen; einzeln und in Formationen waren sie abgebildet und regten seit jeher die Phantasie der Beteiligten und derer, die davon erfahren hatten, an.

Anfangs hieß es, es handele sich bei diesen Objekten um neuentwickelte Flugzeuge einer feindlichen Macht. Später kursierte das Gerücht von den Besuchern vom anderen Stern. Das hielt sich noch heute in weiten Kreisen. Kein Wunder. Sie kannten die Wahrheit nicht. Dieses Objekt war in der Tat menschlichen Ursprungs, aber es stammte aus einer bestimmten Zeit, und es hatten die recht behalten, die in der Minderheit waren und von jeher behaupteten, diese rasende Geschwindigkeit sei so ungeheuerlich, dass man sie schon gar nicht mehr messen könne. Es fände auch keine Bewegung im herkömmlichen Sinn statt, sondern mehr eine Umformung von Materie zu Energie. Stets war die Rede von besonders hellem Licht gewesen, das bei diesen Vorgängen auftrat.

Schritt für Schritt kam der Junge näher. Der Eingang stand offen.

»Hallo?«, rief Pepe leise nach innen. Seine Stimme wurde förmlich aufgenommen und hallte nicht nach. Kein Mensch drin?

Was wollte Arson hier? Auch diese Frage stellte sich der Junge. Ob Björn überhaupt davon wusste?

Die Tatsache, dass etwas Fremdes auf der Insel existierte, war ungewöhnlich und stimmte ihn nachdenklich. Und plötzlich durchzuckte ihn ein anderer Gedanke. Es war etwas geschehen, wovon außer ihm noch niemand eine Ahnung hatte!

Er dachte nicht mehr weiter nach, auch nicht darüber, dass dieser Eingang offenstand. Pepe lief einfach hinein. Ein schmaler Korridor. Er verbreiterte sich. Alles war sehr nüchtern und kahl. Es war so gut wie keine Technik zu sehen.

Pepe rief mehrere Male Arsons Namen. Aber niemand meldete sich.

Was er bemerkenswert fand, war die Tatsache, dass sich verschiedene Öffnungen auf Annäherung einfach bildeten.

Er blickte in Kabinen verschiedener Art und Größe. Sie waren meistens oval, enthielten anatomisch genau passende Sitzgelegenheiten und Schlafstellen. Er kam auch in eine Kabine, die besser und persönlicher eingerichtet war und eine gewisse Gemütlichkeit aufwies. Sie lag direkt neben der Zentrale, in der es viele runde Bildschirme und einige flache, schimmernde Armaturenstreifen gab, aber keine Knöpfe, Tasten oder Kontrollleuchten.

In der Kabine standen ein flaches, an der Wand befestigtes Bett sowie ein Tisch mit einer bunten und weichen Decke darauf. In einem Regal standen mehrere Bücher, und an der Wand neben dem Bett hing ein Bild, das eine schöne Frau und einen kleinen Jungen zeigte. Das Bild war farbig und dreidimensional, so dass Pepe das Gefühl hatte, die beiden Personen würden ihm aus dem Bild entgegenlächeln.

Scheu streckte er seine Hand danach aus, um sich zu vergewissern, dass die beiden lebensgroßen Köpfe wirklich ein Bild waren und nicht durch die Wand am Fußende gestreckt wurden.

Er fuhr zusammen, als er ein Geräusch vernahm. Leise Schritte, eine Stimme, ein Lachen ...

Da kam jemand!

Pepe hatte das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben und fühlte sich wie ein auf frischer Tat ertappter Einbrecher. Er ließ sich zu einer Kurzschlusshandlung hinreißen. Sein Blick fiel auf das Bett, während die Schritte und die Stimmen näherkamen. Die eine war Björns Stimme, die andere gehörte Rani. Sie wussten also schon Bescheid. Pepe ging in die Hocke und warf einen Blick unter das Bett. Die Ecke hier unten war dunkel, da würde ihn kein Mensch vermuten.

Ohne sich weitere Gedanken über seine Handlung zu machen, zwängte er sich unter das Bett, hielt den Atem an und sah den Schatten, der quer über die Bildschirmreihe fiel, als die Freunde und Arson die Zentrale betraten.

Pepe sah nur Björns Beine und den geigenkastenähnlichen Behälter, den Björn neben sich absetzte und in dem sich das magische Schwert befand, das vor undenklichen Zeiten auf Xantilon geschmiedet worden war. In ihm wohnten besondere Kräfte.

»Sie sind leichtsinnig, Arson«, vernahm Pepe Hellmarks Stimme.

»Leichtsinnig? Wieso?«

»Dass Sie das Schiff offenstehen lassen. Haben Sie keine Angst, dass ein unangemeldeter Gast hier eindringt?«

»Die unangenehmen Gäste, die Sie meinen, Björn, können die Schwelle nicht überschreiten. Für sie ist das Schiff tabu. Und hier auf Marlos ist von vornherein jede Gefahr ausgeschlossen, dass jenseitige Geschöpfe möglicherweise doch einen Weg fänden, einzudringen. Aber wie gesagt: Dagegen ist das Schiff gesichert.«

»Mahays Chitra weiß bestimmt nichts von diesen Sicherungen«, lachte Björn. »Wenn sie in der Gegend umherstreift, muss man mit allem rechnen.« Mit diesen Worten wandte Hellmark sich um. »Vielleicht ist das Untier heimlich vorausgegangen, Arson«, fuhr Björn fort. »Mahay unternimmt kaum noch einen Schritt ohne die Tigerkatze. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sie hypnotisiert und heimlich auf den Weg hierher geschickt hat, ist groß. Ich würde vorsichtshalber mal nachsehen, ob Chitra nicht vielleicht unter Ihrem Bett liegt, Arson.«

Pepe zuckte zusammen und hatte das Gefühl, sein Herz rutsche ihm in die Hose. Für den Bruchteil eines Augenblicks spielte er mit dem Gedanken, sich zu melden. Aber er verpasste den geeigneten Moment, und mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde er mutloser.

»Da hätte ich mir auch noch die Mühe machen müssen, Carminia wieder zu bitten, Chitra zu versorgen«, knurrte der muskulöse Riese. Immer, wenn er mit Björn etwas Gemeinsames unternahm, sprang Carminia ein, die im Lauf der Zeit ebenfalls ein gutes Verhältnis zu der großen Katze gefunden hatte und sich nicht mehr fürchtete. Riskant wurde es nur, wenn durch irgendeinen Umstand mehrere Tage lang keine Fütterung erfolgen konnte. Dann wurde die Katze unruhig, suchte auch entfernte Bezirke der Insel auf und jagte Kleintiere, die es in erstaunlichem Maß hier gab. So versorgte sich Chitra selbst, aber nach diesen Jagden war sie jedes Mal sehr unruhig, und nur Rani Mahay konnte sich ihr dann nähern.

Das Thema wurde fallengelassen. Niemand dachte daran, einen Blick unters Bett zu werfen, und Pepe fiel ein Stein vom Herzen. Nochmals spielte der Junge mit dem Gedanken, sich jetzt zu zeigen, aber das Gesetz des Handelns war ihm aus der Hand genommen.

»Dann können wir starten, Arson«, sagte Björn Hellmark in diesem Augenblick.

Arson berührte ein flaches Metallband. Die Reihe der Bildschirme flammte auf. Ein leises Zischen ging durch das ganze Schiff; das Licht veränderte sich.

»Wir sind bereits unterwegs«, sagte der Mann mit der Silberhaut. »Ehe wir den nächsten Atemzug tun, sind wir in Xantilon. Ich hoffe nur, dass alles gutgeht.«

Sie sahen sich an. Das große Abenteuer hatte begonnen.

Tausend Augen lauern ständig über der Welt des Sichtbaren; tausend Ohren lauschen auf das, was gesprochen wird, ohne dass es den Beobachteten bewusst wird.

Der finstere Dämonenfürst Molochos und seine unheimlichen Heere existieren im Schattenreich. Dort registrierte man sehr genau das plötzliche Auftauchen des Zeitschiffes Arsons. Dort wusste man auch: Björn Hellmark und Rani Mahay befanden sich an Bord.

Unruhe entstand in der Geisterwelt! Entscheidungen mussten getroffen werden. Die konnte nur Molochos, der Mächtigste unter ihnen, vornehmen. Auch die Welt der Unsichtbaren, der Jenseitigen und Schattenhaften unterstand Gesetzen von Raum und Zeit. Diese Gesetze waren kontrollier- und manipulierbar für die bösen Geister geworden.

Allerdings nicht alle ...

Sonst hätte Molochos es ganz einfach gehabt: Ehe das Schiff in der Unendlichkeit von Raum und Zeit zu einem Staubkorn unter Staubkörnern wurde, hätten die ungeheuerlichen Naturkräfte, die er durch seine Elementargeister auslösen konnte, das Schiff längst zerstört.

Nur von Fall zu Fall war eine Kontrolle über ein Zeitschiff überhaupt möglich. Molochos hatte alle Kräfte mobilisiert.

Er herrschte über die Zeiten hinweg und versuchte, seinen Einfluss weiter auszubauen, konnte aber nicht überall gleichzeitig sein. Er hatte seine besonderen Helfer, in allen Zeiten und Räumen. Schnelles Handeln wurde gefordert.

Molochos rief seinen mächtigen Diener in der Urzeit. »Uga – kannst du mich hören?«

Die finstere Gestalt in der von blakenden Fackeln erhellten Höhle bewegte sich nur spärlich.

Uga, auf dem Thron des Meister-Magiers, hob den kolossalen Schädel, und das dicke, verfilzte Haar raschelte, als würden im gleichen Augenblick tausend winzige Schalen- und Krustentiere in seinen Haaren in Bewegung geraten.

Ein tiefer Atemzug hob und senkte die breite Brust des massigen Wesens, das entfernt an einen unförmig proportionierten Urmenschen erinnerte. Wilde, grobe Gesichtszüge, großporige Haut. Das auf einem steinernen Thron sitzende urmenschliche Wesen starrte aus blutunterlaufenen Augen auf die Gruppe der Steinzeitmenschen, die weit unter ihm in der Höhle um ein Feuer hockte, nur mit Fellen bekleidet. Diesen Menschen sah er ähnlich, nur auf das Vier- oder Fünffache vergrößert.

»Ja«, entrann es dumpf seiner Kehle. Es klang wie Donnergrollen, und die drei Gestalten am Feuer reckten ihre Köpfe, sprangen auf und deuteten auf ihn.

»Uga – Uga!«, schrien sie. Furcht spiegelte sich in den Augen der drei Urmenschen. Einer warf den großen Hinterbeinknochen eines Wildschweins, an dem noch Fleischstücke hingen, direkt auf den Riesen im Halbdunkel zu, als müsste er ihn besänftigen und ihm kenntlich machen, dass sie seine Nähe nicht vergessen hatten, dass er ihr Gott war und sie ihn verehrten und mit Opfergaben überhäuften.

Zu Füßen des Kolosses stapelten sich stinkende, faulige Fleischbrocken. In einer Ecke vor dem monströsen Thron, dessen Rückenlehne in einer gigantischen Krallenhand auslief und sich wie ein schützendes Dach über seinen Kopf spannte, lagen abgenagte Knochen. Zwischen ihnen hatten sich riesige Netze gebildet, und fette Spinnen krochen auf langen Beinen und klebrigen Fäden durch ein Geäst blanker Knochen.

»Ja, ich höre dich, großmächtiger Fürst!«

»Du musst eingreifen!«

Aus dem Hintergrund wallten Nebel. Magische Kräfte wurden über Raum und Zeit hinweg freigesetzt, die er nicht bewirkte, die er nur dankbar registrierte, denn dies zeigte ihm, dass er auf dem richtigen Weg war, Anerkennung zu finden und durch Molochos gefördert zu werden.

Aus wallenden Nebeln, in denen sich die Farben Grün und Violett geisterhaft mischten, stiegen die Bilder auf, die Molochos' magische Kräfte unter Beweis stellten.

Uga erblickte eine blitzende Kugel, während die drei Urmenschen die gigantische Höhle angstvoll wimmernd verließen, auf allen vieren krochen und Zeugen dieses unvorstellbaren und unbegreiflichen Geschehens wurden, das ihre Hirne nicht erfassen konnten. Hier wirkte ihr Gott. Er zürnte. Flackernde Bilder blitzten auf wie fremde Universen, in denen neue Sonnen geboren wurden.

Die donnernde Stimme aus dem Nichts erschreckte sie, ließ sie panikartig die Höhle verlassen und hinaus in die Dunkelheit rennen, die sie ebenso fürchteten. Sie waren völlig verwirrt und begriffen die Bilder und Worte nicht. Sie konnten noch nicht sprechen und gaben nur unartikulierte Laute von sich.

Uga begriff alles, denn sein Geist war den anderen um Jahrtausende voraus!