Macabros 015: Tempel der Versteinerten - Dan Shocker - E-Book

Macabros 015: Tempel der Versteinerten E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Bearbeitete Original Romane Macabros 29 - Marabur, Herr der Wahnsinnshallen Um von der sterbenden Insel Xantilons zu kommen, will Kaphoon - der gedächtnislose Björn Hellmark aus der Zukunft - möglichst schnell ans Meer gelangen. Vor dem Reich von Marubur, einem gefürchteten Dämon, nimmt er noch dem sterbenden Zauberer Kecal das Versprechen ab, seine Tochter Velena sicher an die Küste zu bringen. Doch dazu müssen sie schon sehr nah an der Reichsgrenze des Marubur vorbei. Den Weg nehmen sie mit weiteren Flüchtigen auf sich. Und schon in der ersten Nacht werden sie nicht nur von den Wüsten-Vampiren attackiert, Kaphoon wird in Maruburs Gärten gelockt, aus denen es vernehmlich keine Rückkehr gibt! Auch in der Gegenwart ist der Name Marubur aktuell, denn in zwei unterschiedlichen Fällen von Wahnsinn rufen die Befallenen nach dem Dämon Marubur, was dem Reporter Gil Sanders zufällig auffällt. Macabros 30 - Tempel der Versteinerten Der unscheinbare und gut situierte Lee Batskill sucht über eine Kontaktanzeige eine Frau fürs Leben. Jane Goodwin wagt den Schritt und meldet sich auf diese. Angetan vom ersten Treffen wagt die Leiterin eines Schreibbüros den nächsten Schritt und besucht am folgenden Tag den Anzeigenaufgeber in seinem kleinen Anwesen, dass in einem Vorort außerhalb von London/England liegt. Jane ahnt nicht, dass sie damit schon in der Falle landet, denn Batskill dient seit Jahren der Göttin Aii-Ko on-Tak, die seine weiblichen Opfer allesamt versteinern lässt! Allerdings ist Scotland Yard schon auf Batskill aufmerksam geworden, da schon etliche Frauen, die auch auf seine Kontaktanzeigen eingingen, spurlos verschwunden sind! Die zuständige Yardbeamte Clea Malcom dringt sogar bis ins Anwesen Batskills vor und wird Zeuge der Versteinerung von Jane Goodwin. Kurzbeschreibungen: © www.gruselromane.de

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 15

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-715-3

Dan Shockers Macabros Band 15

TEMPEL DER VERSTEINERTEN

Mystery-Thriller

Marubur, Herr der Wahnsinnshallen

von

Dan Shocker

Prolog

Der blonde Mann mit den breiten Schultern saß leicht vornübergebeugt auf dem weißen Hengst, einem prächtigen Tier, das trotz der Beanspruchung noch kraftvolle Bewegungen machte. Seine klugen Augen beobachteten aufmerksam die Umgebung, als rechne es ständig mit einer Gefahr.

Der weiße Hengst hörte auf den Namen Yümaho. Der Reiter war niemand anderes als Björn Hellmark.

Hellmark wusste weder, dass er eigentlich in Genf lebte, noch wie er wirklich hieß und dass er aus dem 20. Jahrhundert stammte. Er hatte vergessen, dass er mit dem Zeitschiff Arsons, des Mannes aus der Zukunft, in die ferne Vergangenheit der Erde gestartet war, um herauszufinden, worauf der Untergang der in Blüte stehenden Insel Xantilon zurückzuführen war. Auf Xantilon, einem Land, das zur gleichen Zeit wie die sagenhaften Inselreiche Atlantis und Mu in einer Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes versunken war, hatte offenbar eine Priestergruppe die Oberhand gewonnen, die sich gefährlichen und bedrohlichen Riten widmete. Unheimliche Mächte waren beschworen worden und auch erschienen. Das Wirken dieser Mächte hatte schließlich den Untergang herbeigeführt.

Björn Hellmark hatte noch in seiner Zeit herausgefunden, dass auch die Welt der Gegenwart von Wesen aus jenseitigen Reichen aufgesucht und bedroht wurde, dass Menschen, auf rätselhafte Weise manipuliert, in ihrer Freiheit eingeschränkt wurden und sich oft so verstrickten, dass sie Schaden erlitten und sogar den Tod fanden.

Was seinerzeit auf Xantilon geschehen war, hatte offenbar nicht zu einer Entscheidung geführt. Die entscheidende Auseinandersetzung sollte die Welt der Gegenwart erleben.

Die Kräfte, die sich seinerzeit auf Xantilon ausgewirkt hatten, formierten sich neu. Eine Person, ein Priester der Schwarzen Kaste, Molochos, der sich zum Herrscher über das Dämonenreich aufgeschwungen hatte, wollte die Welt unterwerfen und dem absolut Bösen zum Sieg verhelfen.

Das alles wusste Hellmark nicht mehr, ebenso wenig, dass in seiner Begleitung zwei treue Freunde gewesen waren, die er während eines heftigen Erdbebens aus den Augen verloren hatte. Ihm war ebenfalls unbekannt, dass er in seiner Eigenzeit eine Frau zurückgelassen hatte, die er liebte: Carminia Brado. Die hübsche Brasilianerin lebte in dem Luxusbungalow in Genf und wusste zu diesem Zeitpunkt ebenso wenig vom Schicksal des geliebten Mannes wie Björn Hellmark über das ihre. Dass die Brasilianerin zu diesem Zeitpunkt jedoch durch eine trickreiche Manipulation in die Abhängigkeit der Dämonen geraten war, ahnte noch nicht einmal sie selbst.

Der Mann auf dem weißen Pferd befand sich in der Vergangenheit und wusste nichts mehr von seiner Herkunft. Durch einen Unfall hatte er das Gedächtnis an seine eigene Vergangenheit verloren. Er wusste nur eins: er war ein Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit, gegen das Böse. Er stellte sich den Herausforderungen der Geister und Dämonen. Seit Wochen war er unterwegs. Er hatte den Auszug der Menschen aus der Hauptstadt der Insel erlebt, war Zeuge von deren Vernichtung geworden und wusste, dass dies alles nur Zeichen eines Anfangs waren.

Die Kräfte formierten sich. Ein neuer Angriff war nur noch eine Frage der Zeit. Der Untergang Xantilons stand in den Sternen. Seit Beginn seines Aufenthaltes in den grauen Vortagen der Welt war Hellmark mit Flüchtlingen aus der zerstörten Stadt, mit Hexenmeistern, Magiern und einsam reitenden Kriegern zusammengetroffen, die wie er auf der Suche nach den Dämonen waren und hofften, sie im Zweikampf zu besiegen. Durch diese Menschen hatte er viel erfahren und dazugelernt. Er bewegte sich im phantastischen Sagenreich der Erde, als sei er hier geboren worden.

Das Gebirge, durch das er tagelang gestreift war, lag hinter ihm. Endlos weit und sonnenüberflutet dehnte sich die rot-orangefarbene Wüste vor ihm. Weit und breit waren weder Bäume noch Sträucher, es gab keinen Pfad, den er hätte benutzen können, kein Hinweisschild, das ihn auf eine besondere Wegstrecke aufmerksam gemacht hätte.

Das Gebirge war mit einem Mal zu Ende gewesen. Dort, so hatte es immer geheißen, sollte sich der Sitz der dämonenverehrenden Schwarzen Priester befinden. Er hatte ihre Spuren jedoch nicht gefunden.

Hellmark kam es vor, als sei er bereits seit einer Ewigkeit in den Bergen; dabei waren erst vier Wochen vergangen. Nachdem er festgestellt hatte, dass die Suche nach den geheimen und verbotenen Orten vergebens gewesen war, hatte er das Ganze dennoch wiederholen wollen. Aber der weiße Hengst war nicht mehr in die Berge zurückgekehrt. Es war unmöglich gewesen, das Tier, das sonst willig folgte, zu lenken. Yümaho lief direkt der Wüste entgegen.

Hellmark gab auf. In den vergangenen Wochen hatte er Gelegenheit genug gehabt, das Wesen des ungewöhnlichen Tieres zu studieren und näher kennenzulernen. Mehr als einmal hatte Yümaho bewiesen, dass man sich auf seinen Instinkt verlassen konnte. Er führte den oft vor Erschöpfung einschlafenden Hellmark, der sich hier in der Vergangenheit nur Kaphoon, der Namenlose, nannte, niemals verkehrt, niemals in eine Gefahr. Es war, als wolle der Hengst ihn vor unnötigen Belastungen bewahren.

Hellmark döste vor sich hin. Die Hitze setzte ihm zu. Flimmernd stieg die Luft von dem Sandmeer empor. Es gab nirgends einen Fleck, wo man Schatten, einen Schutz vor der Sonne hätte suchen können.

»Yümaho«, sagte der Deutsche, ohne die Augen zu öffnen, »wo hast du uns nur hingeführt?«

Das Pferd schüttelte leicht die Mähne, als wolle es damit ausdrücken, dass es diese Bemerkung nicht billige.

Hellmark atmete tief durch, richtete den Oberkörper auf und presste die Augenlider mehrmals fest zusammen. In der flimmernden, heißen Luft vor ihm zeigten sich schmerzhaft verzerrt die Umrisse einer paradiesischen Landschaft.

Palmen, weißer Strand, blaues Meer!

»Yümaho!«, jubelte Hellmark und klopfte freudig auf den Hals des Reittieres. »Du bist ein Prachtstück. Ich habe gewusst, dass ich mich auf dich verlassen kann.« Palmen und blaues Meer – das bedeutete Kühle, ein Bad nehmen, schwimmen und sich von den Strapazen erholen, die hinter ihm lagen.

Ein Paradies am Ende der Wüste?

Er überlegte nicht lange, sondern handelte. Kurzerhand sprang er vom Pferd und jagte in langen Sätzen nach vorn. Der rot-orangefarbene Sand stäubte mehlfein auf und sank langsam wieder zu Boden.

Plätschern von Wasser? Das war kein Irrtum?

Hellmark warf sich nach vorn. Er glaubte, über den weißen Strand zu laufen, und er sah das endlos blaue Meer, auf dem sich die gleiche Sonne spiegelte, die den Wüstensand zum Sieden brachte.

Das Meer – so dicht vor ihm! Yümaho hatte ihn direkt darauf zugeführt.

Er glaubte, direkt ins Wasser zu laufen, warf sich dann flach zu Boden und erwartete das Aufspritzen; aber da war kein Wasser. Sand drang ihm in Mund und Nase, und er spuckte heftig und fluchte vor sich hin.

»Yümaho«, knurrte er, während er sich den Sand aus den Augen wischte, »du bist schon ein merkwürdiges Vieh. Du bist kein Prachtpferd – du bist ein Trampeltier! Hat die Welt denn schon mal von einem Gaul gehört, der sich von einer Fata Morgana irreführen lässt?«

Er erhob sich und klopfte sich den Sand von der Kleidung. Taumelnd sah Hellmark das Loch im Boden. Eine Wasserstelle?

»Wenn das nicht wieder ...«, knurrte er und ging langsam darauf zu. Doch diesmal war es keine Luftspiegelung. Er entdeckte menschliche Spuren. Demnach waren vor ihm schon andere hiergewesen.

Das Wasser war nicht besonders frisch, es roch muffig, aber jeder Tropfen kam ihm vor wie eine Kostbarkeit. Er trank, wusch sich, nachdem er das Pferd versorgt hatte, das Gesicht ab, und füllte seine beiden Wasservorratsbehälter, die er aus den Häuten erlegter Tiere angefertigt hatte.

Die Wasserstelle lag etwas geschützt hinter einer Bodenwelle. Hier ruhte Hellmark einige Stunden lang aus. Morsche, verblichene Knochen riesiger, unbekannter Tiere dienten ihm dazu, sein zerfetztes Hemd zu stützen, das er als Dach benutzte, um sich Schatten zu spenden.

Er legte sich darunter. Das zerschlissene Hemd bot nur einen schwachen Schutz vor der grellen Sonne. Yümaho stand neben ihm. Dem Pferd schien die Hitze überhaupt nichts auszumachen.

Hellmark fiel in einen leichten Schlaf. Träume plagten ihn. Träume, die zu Erinnerungen wurden. Im Schlaf füllte sich die Lücke in seinem Bewusstsein, und für kurze Zeit wurde ihm gewahr, wer er wirklich war, wo er sich aufhielt, wie er in diese unheimliche Situation geraten war und wohin er wollte.

Das offene Meer war sein Ziel! Dorthin begaben sich viele, wenn sie noch die Gelegenheit dazu hatten.

Hellmark wusste, dass nur das Meer ihn retten konnte, dass es purer Wahnsinn war, sich länger als unbedingt notwendig auf der Insel aufzuhalten. Xantilon würde in der Mitte auseinanderbrechen, und jeder, der sich zu diesem Zeitpunkt noch auf der Insel befand, war rettungslos verloren.

Als er erwachte, waren zwei Stunden vergangen, und es kam ihm nicht so vor, als ob die Sonne in dieser Zeit bedeutend weitergewandert wäre. Immer noch brannte sie heiß vom Himmel.

Björn baute sein primitives Lager ab, zog das zerfetzte Hemd wieder über, um sich vor der direkten Sonneneinstrahlung zu schützen, und ritt weiter durch die unbekannte Wüste.

Am späten Nachmittag erreichte er eine wellenförmige Landschaft. Warmer Wind strich über den staubfeinen Sand, und es war, als ob dieser Wind immer aus einer Richtung zu kommen schien und im Lauf der Jahre diese wellige Dünenlandschaft geschaffen hätte.

Der Reiter zog tief die Luft ein, und auch der weiße Hengst hob schnuppernd die Nase. Hellmarks blaue Augen blickten in die Ferne.

»Die Luft ist frischer, würziger«, kam es leise über seine Lippen; er sprach mit dem Pferd. Hellmark nutzte jede Gelegenheit, etwas zu sagen, um Yümaho an seine Stimme zu gewöhnen. »Meeresluft, Yümaho?«

Das Pferd schnupperte, seine Nüstern bewegten sich stärker, und dann ging es einfach weiter, ohne dass Hellmark ihm ein Zeichen dafür gegeben hätte. Tief sanken Yümahos Hufe in den weichen Sand. Es war ein beschwerlicher Ritt, der viel Kraft kostete.

Der Reiter, dem diese Welt fremd war und der vor Antritt der Reise nicht gewusst hatte, wohin sein Weg führen würde, fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. Ein kurzes Schwindelgefühl ergriff von ihm Besitz. Er tastete nach einem Wasserbehälter, öffnete ihn und setzte ihn an. Die warme Brühe war nicht sonderlich dazu angetan, seine Lebensgeister anzuregen. Zudem wühlte Hunger in seinen Eingeweiden. Seit zwei Tagen hatte er nichts mehr zu sich genommen; nun zeigten sich die Folgen.

Der Anfall ging vorüber. Er konnte wieder besser durchatmen und sah die Bilder um sich herum klarer.

»Knurrt dir noch nicht der Magen, Yümaho?«, fragte Hellmark leise, seiner Stimme einen ruhigen Klang gebend. Auch das Pferd hatte seit zwei Tagen nichts gefressen. Hier in dieser Einöde grünte keine Pflanze, die ihm als Nahrung hätte dienen können.

Es war erstaunlich, wie der Hengst mit diesen Strapazen fertig wurde. Yümaho war in der Tat genau solch ein Wunderpferd, wie der sterbende Varok, der sich dieses Pferd erst nach hartem Kampf hatte unterwerfen können, es behauptet hatte. Das Tier war kraftvoll und äußerst genügsam, und es verfügte über außergewöhnliche Instinkte. Es besaß eine auffallende Klugheit, wie sie so oft bei seltenen Pferden auftrat.

Yümaho schaute ihn traurig aus großen, schwarzen Augen an, als hätte er verstanden, was Hellmark zu ihm sagte.

Zwischen den welligen Dünen, die sich aufgrund des darüber hinweggleitenden Sandes in ständiger Bewegung zu befinden schienen, erkannte er plötzlich einen bizarren Schatten. Schon von weitem vermutete er, dass es sich um einen einzelnen, aus dem sandigen Untergrund ragenden Fels handelte.

Hellmark behielt recht. Der schwarze, fast zehn Meter hohe Stein hatte einen Umfang von mehr als vier Metern. Er war völlig zerklüftet und verbreiterte sich nach oben, so dass es aussah, als ob es sich um einen stilisierten, eckigen Schädel handele.

Die Tatsache, dass dieser Stein existierte, dass es keine Fata Morgana war, ließ dem Reiter keine Ruhe. Dieser bizarre Klotz erinnerte in der Einsamkeit an einen vom Himmel gestürzten Meteoriten. Vielleicht war es tatsächlich ein solcher?

Beim Näherkommen aber musste Hellmark seinen ersten Eindruck revidieren. Der Stein war bearbeitet. In der Mitte des verwitterten Kolosses befand sich eine offenbar mühsam glattgeschliffene Stelle, auf die in ungelenken xantilonischen Schriftzeichen eine Nachricht eingraviert worden war.

Hellmark konnte sie entziffern, nachdem er Flugsand und Staub entfernt hatte und die Schriftzeichen sich scharf aus dem Hintergrund hervorhoben.

Wanderer, sei auf der Hut. Kurz ist der Weg zum Meer, doch dazwischen liegt das Reich Maruburs, des Herrn der Wahnsinnshallen. Meide die Tore der Stadt, meide den Klang der Pfeifen! Verloren bist du, nie kehrst du wieder von den schaurigen Hallen ...

Hellmark dachte über den Sinn der Worte nach, aber er begriff nur die Warnung als solche und verstand nicht, wer oder was damit gemeint war.

Marubur?

Er sprach den Namen leise vor sich hin und lauschte dem Klang der eigenen Stimme, als würde er dadurch mehr erfahren.

Ein leises, rieselndes Geräusch lenkte ihn ab. Er fuhr herum. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Zwei verkrampfte Hände ragten über einen Sandhügel und zogen sich langsam in die Höhe.

Auf der anderen Seite lauerte jemand.

1. Kapitel

Thomas R. Slayton klappte die Unterschriftenmappe zu und reichte sie der Sekretärin, die neben dem wuchtigen Schreibtisch stand.

»Ist das alles für heute, Miss Lawfield?«

»Ja, Mister Slayton.«

Der Bankier nickte. »Fein, dann hätten wir es wieder mal geschafft. Bringen Sie die Post noch auf den Weg!«

Er warf einen schnellen Blick auf die Uhr, während Miss Lawfield lautlos wie ein Schatten im Vorzimmer verschwand.

Slayton legte Wert darauf, gerade montags pünktlich aus dem Büro zu kommen. Einmal in der Woche fand ein Bridgeabend statt. Abwechselnd gingen diese Zusammenkünfte mal bei diesem, mal bei jenem Freund über die Bühne.

Diese Abende mochte er sehr. Sie entspannten ihn. Das lag aber nicht nur an den Kartenspielen, denn richtige Bridgeabende waren das eigentlich gar nicht mehr, zu denen sie sich trafen; das war nur anfangs der Fall gewesen.

Jetzt hatten die Abende, zu denen sich jeweils sieben Leute einfanden, mehr Clubcharakter. Der jeweilige Gastgeber sorgte für eine gute Mahlzeit, gute Getränke und für Unterhaltung. In den sich dabei entwickelnden Gesprächen wurde politisiert, wurden die neuesten Witze weitergereicht und über die letzte Entwicklung auf dem Geld- und Devisenmarkt gesprochen. Es gab kein Thema, das man ausnahm. Man redete auch über Frauen – und manchmal nahmen auch Frauen an diesen Herrenabenden teil. Doch es handelte sich dabei grundsätzlich nicht um die Ehefrauen der fünf gestandenen Männer. Zwei aus der Gruppe waren ohnehin unverheiratet. Und wenn die Reihe an diesen Gastgebern war, wurden die Bridgeabende stets besonders amüsant. Da hatte man schon Hostessen und Callgirls eingeladen, Striptease-Tänzerinnen und andere Unterhalterinnen, und niemand war bisher auf den Gedanken gekommen, dass die Bridgeabende im Haus der beiden Junggesellen eine ganz andere Atmosphäre hatten, als wenn ein verheirateter Gastgeber an der Reihe war und die betroffenen Ehefrauen – die zu diesen Zeiten für gewöhnlich abwesend waren – unvermutet auftauchen konnten.

Thomas R. Slayton war neunundvierzig Jahre alt. Er war Bankier der Union Bank und hatte diesen Posten seit Jahren inne. Slayton, ein jovialer Mann mit glattgescheiteltem Haar, Brillenträger, stets gut rasiert und nach einem dezenten, nicht gerade billigen Männer-Eau-de-Cologne duftend, war allseits beliebt. Als hiesiger Filialleiter stand er im hohen Ansehen bei seinen Vorgesetzten; seine eigenen Untergebenen wiederum mochten ihn wegen seiner menschlichen Art.

Slayton ordnete fein säuberlich die Unterlagen auf seinem Schreibtisch, warf einen flüchtigen Blick in den Terminkalender für den morgigen Tag und war mit der Aufteilung zufrieden. Seine Sekretärin belegte die nach den Bridgeabenden folgenden Dienstage nie so sehr wie die anderen Tage. Das hatte sich bestens eingespielt.

Der Kalender auf seinem Schreibtisch zeigte den 6. Januar. Ein klarer, viel zu milder Wintertag ging zu Ende.

Slayton stand noch eine Weile versonnen hinter der Panoramascheibe seines im dreizehnten Stockwerk liegenden Büros und starrte über das markante Häusermeer New Yorks. Dann ging er zum Lift und ließ sich nach unten tragen. Vor dem Bankgebäude standen schon der chromblitzende Ford und sein Chauffeur bereit, der bei seiner Annäherung die Tür aufriss und ihn freundlich begrüßte.

Danach setzte sich der Chauffeur hinter das Steuer und startete den Wagen, ohne ein Wort zu verlieren.

Die Club-Abende wiederholten sich in einem ganz bestimmten Rhythmus. John, der Chauffeur, kannte die einzelnen Ziele. Nur wenn sich unverhofft etwas änderte, weil ein Mitglied des Bridge-Clubs plötzlich umdisponieren musste, verschob sich der Rhythmus. Aber das teilte Thomas R. Slayton ihm dann schon mit.

Der Bankier lehnte sich wohlig zurück und entspannte sich. Der heutige Abend sollte bei Jeff Mills stattfinden. Mills war Junggeselle und wohnte in einem kleinen Haus rund vierzig Meilen außerhalb der Riesenstadt. Er verdiente sich als Manager die nötigen Brötchen und vermittelte Künstler von Funk und Fernsehen für Auftritte bei Vereinen, im Privatbereich, zu Modenschauen und ähnlichem. Mills hielt sich normalerweise auch länger in seinem New Yorker Büro auf, doch an den obligaten Montagen kehrte er seinem Domizil stets früher den Rücken.

Slayton musste sich eingestehen, dass Jeff Mills stets die besten Einfälle hatte, was das Überraschungsmoment anbetraf. Aber das war bei seinen Verbindungen auch kein Wunder! Würden Jane Mansfield und Marilyn Monroe noch leben, Slayton war überzeugt davon, dass Mills auch die zu den Bridgeabenden verpflichtet hätte.

Was mochte er sich wohl für den heutigen Montag ausgedacht haben?

Es machte dem Bankier Spaß, ein bisschen zu rätseln. So kam er in die richtige Stimmung. Er ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieser Montag sich von allen Montagen zuvor unterscheiden würde, dass Kräfte und Mächte wirksam und er mit Dingen konfrontiert werden sollte, die weit über seine Vorstellungskraft hinausgingen ...

Alle sieben waren da. Ein Drink zur Begrüßung, erster Gedankenaustausch, netter Plausch ...

Joe und Bob, die beiden Brüder, die ein Konstruktionsbüro in New York hatten, Phil, der Architekt, Henry, das Super-As unter den Rugby-Spielern, und Gil Sanders, freier Mitarbeiter der größten Zeitungen in und um New York und zahlreicher überregionaler Wochenblätter.

Es ging ungezwungen und fröhlich zu wie immer. Ehe man sich versah, wurde es draußen dunkel.

In dem exquisiten Gebäude, das im Landhausstil eingerichtet war, duftete es nach gebratenem Huhn, nach Ente und exotischen Gewürzen.

Für das erste Viertel des Abends hatte Jeff Mills einen chinesischen Koch und zwei junge Malavinnen angeworben, die das Essen bereiteten und auftrugen.

Eine ganze Stunde lang speisten sie.

Für zehn Uhr – nachdem Koch und Serviermädchen das Haus verlassen hatten – war der zweite Teil der Überraschung vorgesehen. Bis dahin wollte man dem Namen Rechnung tragen, der den Club bezeichnete, und der fünfundvierzigjährige Jeff Mills führte seine Gäste in den mit grünen und roten Velourstapeten und Teppichböden ausgestatteten Spielsalon, in dem er außer einigen Spieltischen auch ein Original-Roulette aus Las Vegas untergebracht hatte, das dort ausrangiert worden war.

Mills spielte leidenschaftlich gern, und er hatte die Erfahrung gemacht, dass zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit seine Gäste – auch bei anderen Partys – für diese Art von Unterhaltung die gleiche Schwäche zeigten. Hier in diesem Spielsalon wurde mit echten Einsätzen gespielt. Das Los bestimmte den Croupier – die anderen waren die Spieler.

Die Zeit bis zur zweiten Überraschung verging wie im Flug. Eine Minute vor zehn verschwand Jeff Mills. Gleich darauf erloschen alle Lichter im Haus.

Zwei oder drei dunkle Männerstimmen machten zweideutige Bemerkungen, dann hielten sie den Atem an.

Irgendwo im Haus wurde eine Tür geöffnet. Leises Rascheln ...

»Mach es nicht so spannend, Jeff!«, rief Gil Sanders. Der Reporter war der Jüngste in ihrem Kreis. »Zeig uns schon, was du angeschleppt hast!«

Gil Sanders sah gut aus. Er hatte dichtes, kastanienbraunes Haar, männlich-markante Züge, breite Schultern und schmale Hüften. Er trug wie alle hier in dieser Gruppe nur maßgeschneiderte Kleidung und hatte eine Schwäche für modische Gags. Sanders hatte sich vor vier Monaten von seiner Frau getrennt, da seinen Worten nach ein Zusammenleben mit ihr nicht mehr möglich war. Er hatte die Scheidung eingereicht, aber seine Frau bereitete ihm Schwierigkeiten, und es schien doch nicht alles ganz so planmäßig über die Bühne zu laufen, wie der Charmeur Sanders es gehofft hatte.

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da flammte das Licht schlagartig wieder auf. Sie standen alle vor der breiten Marmortreppe, die in die oberen Stockwerke führte und in dieser Ausstattung und Breite in jeder gängigen Fernsehshow von vielen Stars begeistert betreten worden wäre.

»Donnerwetter!« Slayton musste zweimal hinsehen. Auf der obersten Stufe der Treppe standen sieben hübsche Bikinimädchen mit dunklen Strumpfhosen und aufgebundenen Hasenohren.

»Er hat Bunnys besorgt!«, brüllte jemand.

»Sieben! Eine für jeden!«, sagte Jeff Mills, von der Seite her auftauchend. Er grinste über das ganze Gesicht. »Die Mädchen sind den ganzen Abend schon da. Ich habe sie oben versteckt. Wir hatten heute Nachmittag bereits eine Generalprobe.«

»Generalprobe?« Sanders wunderte sich. »Du willst damit doch nicht sagen, dass du erst noch üben musstest, um ...«

»... ihnen zu zeigen, wo welche Räumlichkeiten liegen und welche Verstecke es hier im Haus gibt«, nahm Mills das Wort wieder an sich. »Ich musste doch fair sein. Ihr kennt euch hier aus wie in eurer eigenen Hosentasche. Die Mädchen waren fremd. Ich gebe das Zeichen. Bei los geht das Licht aus und die Stereoanlage an. Auf dem Band ist für zwei volle Stunden Musik. Schöne Musik! Zum Tanzen, zum Schmusen, zum Träumen, Jungs! In zwei Stunden muss ich die Girls zurückgeben, da werden sie hier abgeholt und müssen ihre Freundinnen im Green Cockatoo ablösen. Um Mitternacht ist der Spaß zu Ende, da hilft alles nichts.«

Er ging um die Gruppe herum. Seine Stereoanlage, versehen mit zahlreichen Extras, konnte sich sehen lassen. Von hier aus konnte er eine vollelektronische Anlage steuern und das Licht im ganzen Haus ein- und ausschalten. Es gab Verzögerungsschalter, die für Schummerlicht sorgten. Für solche Spielereien hatte Mills, der vor der Eröffnung seiner Künstleragentur Elektriker gelernt hatte, etwas übrig.

»Haltet euch also ran, Jungs!«, fuhr er fort. Sein Gesicht glühte, und man sah ihm an, dass das Ganze ihm einen Heidenspaß bereitete. »Es liegt an euch, wie lange ihr braucht, um eine zu fangen. Sobald das Licht ausgeht, laufen die Girls davon. Und wir immer schön hinterher. Das ganze Haus gilt als Schlupfwinkel, das Dachgeschoss ebenso wie die Kellerräume. Je länger einer braucht, um seine Auserwählte zu finden, desto weniger lang ist er später mit ihr zusammen. Die Mädchen sind eingeweiht. Sie sind nicht prüde, sie machen jeden Spaß mit.«

»Red nicht so lang daher, Jeff«, warf Phil, der Architekt, ein, »das geht von der Zeit ab. Dass die Girls nicht hierhergekommen sind, um Geschirr zu spülen, ist mir auch klar.«

Mills legte die Rechte auf den flachen Schalter. »Ran an den Speck, Jungs! Ich wünsch euch viel Glück. Los!«

Plötzlich wurde es stockfinster, und im gleichen Moment begannen die verborgenen Lautsprecher, die überall im Haus installiert waren, zu dröhnen. Rhythmisch und wild war die Musik, die durch das Haus hallte. Sie passte genau zur Situation. Die Männer preschten los.

Die Bewegungen der tänzerisch davonspringenden Girls waren mehr zu ahnen als zu sehen. Es war nahezu stockdunkel im Haus. Alle Türen waren verschlossen, und an sämtlichen Fenstern waren die Rollos herabgelassen.

Oben auf der Galerie gab es schon die ersten Versteckmöglichkeiten. Riesige Vasen und Aufbauten, mannshohe Statuen und große Kunstwerke, die Mills von seinen Auslandsreisen mitgebracht hatte, zierten die geräumige Galerie.

Zwei Mädchen versteckten sich gleich hier; die anderen huschten in verschiedene Zimmer, krochen unter oder auch in Betten, zwängten sich in Schränke oder suchten ihr Versteck auf dem Dachboden.

Wie Schatten glitten die suchenden Männer an den beiden Mädchen vorbei. Das eine löste sich sofort wieder von der mannshohen Statue, die am Stück aus einem Stamm herausgearbeitet worden war und die Mills aus Nigeria mitgebracht hatte.

Noch immer unter den Klängen der wilden Musik, mit der Mills die hektische Jagd unterstrich, lief das Girl wie schwerelos die breiten Marmorstufen hinab und ließ die Linke an dem messingfarbenen, geschwungenen Geländer schleifen.

Jeff Mills hockte neben der Anlage. Drei dunkelrote Lichter zeigten die Betriebsbereitschaft des Geräts an.

Das Girl mit den langen, schwarzen Haaren, den mandelförmigen Augen und dem vollen Mund huschte direkt auf den Manager zu.

»Da bin ich«, flüsterte sie.

Er legte seine Hände um ihre Hüften und zog sie langsam zu sich heran. »Das ging schnell. Ich bin froh, dass niemand Sie bemerkt hat, Daisy. Machen wir uns gleich aus dem Staub, ehe einer merkt, dass ich gemogelt habe. Aber als Gastgeber sollte man doch wenigstens einen kleinen Vorteil haben, nicht wahr? Wohin gehen wir? Ah, ich hab's! Runter in die Kellerbar, dort vermutet uns keiner. Die haben alle oben zu tun. Nutzen wir die Zeit, bevor es zwölf schlägt. Trinken wir zuerst Brüderschaft, damit wir uns näher kennenlernen.«

Er hakte sich bei der grazilen, gutgebauten Tänzerin ein und eilte mit ihr die Stufen zur Kellerbar hinab.

Thomas R. Slayton war aus seiner Sicht einer der Glücklichen, die nicht allzu viel Zeit aufwenden mussten, um in der Dunkelheit ein Mädchen zu finden.

In der Bibliothek hatte sich eine Schöne zwischen Vorhang und Bücherwand versteckt. Slayton fand sie auf Anhieb.

Er zog sie an sich, und sie tanzten einen Blues, der in diesen Sekunden zu spielen anfing. Sie war eine gute Tänzerin. Slayton erfuhr, dass sie Brenda hieß. Als er am Fenster vorbeitanzte, nahm er wie zufällig einen Teil des schweren Samtvorhangs mit und drückte ihn zur Seite.

Aus der Dunkelheit im Raum wurde Dämmerung. Slayton erblickte schemenhaft etwas von seiner Umgebung. Ein bis an die Decke reichendes Bücherregal, alte Kleinmöbel, mit geschmackvollen Details dekoriert. Hier war es eine altmodische Lampe, dort ein silbernes Tablett mit feinziselierten silbernen Tassen und einer wunderschön geschmiedeten Kanne. In der Ecke, genau der Bücherwand gegenüber, befand sich der rustikale Kamin. Davor lag ein Tigerfell mit einem prächtigen Kopf und großen, schimmernden Augen; es schien, als lebe das Tier noch und halte nur die Luft an.

»Aber es ist ein bisschen platt«, meinte Slayton, witzig darauf anspielend, als sie darüberschritten, um sich die interessante Bar anzusehen, die Mills in Form eines schmalen Kaminschranks unmittelbar neben der Esse in die Wand gebaut hatte. Ein schmiedeeisernes Gitter in Form eines verkleinerten Tores bewahrte die Flaschen und Gläser vor dem Zugriff. Aber das Gittertor war nicht abgeschlossen.

Slayton kicherte, nahm zwei Gläser aus dem Kaminschrank und wählte dann einen besonders kostbaren, alten Whisky aus Schottland.

»Na, der wird uns munden«, flüsterte er und goss die Gläser randvoll. »Mhm, wie der duftet!« Er sah sich um. »Ich glaube, wir machen es uns hier gemütlich, Brenda. Hier haben wir alles, was wir brauchen. Fehlt nur noch das Kerzenlicht.«

»In der Dunkelheit ist es doch auch schön.« Ihre Stimme ließ einen Schauer über seinen Rücken laufen.

»Klar! Aber wenn ich ein bisschen mehr von dir sehen könnte, wäre das noch viel netter. Einen solchen Prachthasen bekommt man nicht alle Tage zu sehen.«

Sie saßen vor dem Kamin auf dem seidigen Tigerfell und tranken kurz hintereinander mehrere Whiskys.

Anheimelnde Musik erklang aus dem verborgenen Lautsprecher, nicht zu laut, nicht zu leise, gerade richtig. Mills hatte das richtige Band aufgelegt. Die Stimmung haute genau hin.

Nach dem dritten Whisky stellte Slayton sein Glas auf den Kaminsims. »Ich glaube, damit müssen wir jetzt Schluss machen«, sagte er, nahm die angebrochene Flasche mit dem kostbaren Inhalt hoch und hielt sie gegen das Fensterviereck, um den gesunkenen Flüssigkeitsspiegel zu begutachten. »Mills macht uns schadenersatzpflichtig, wenn wir dieses Stöffchen allein zu unserem Privatvergnügen verputzen. Ich glaub, ich geh mal kurz runter und hol eine Flasche Champagner. Ich bin gleich wieder da.«

Plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper. Wie im Krampf umspannte er das Whiskyglas und übte einen solchen Druck darauf aus, dass es plötzlich mit einem Knirschen in seiner Hand zersplitterte.

Brenda hörte das Geräusch und begriff im ersten Moment überhaupt nicht, was geschehen war. »Ist das Glas gesprungen, Tom? Warte, ich hol dir ein neues!« Mit diesen Worten beugte sie sich vor. Slayton kam ihr entgegen. Ganz dicht sah sie das glattrasierte, duftende Gesicht vor sich.

Sie lächelte, doch das Lächeln gefror auf ihrem Gesicht, als sie in die unnatürlich weit aufgerissenen, kaltglitzernden Augen sah, in denen der nackte Wahnsinn stand!

»Tom! O mein Gott, was ist denn ... nur los mit dir?«

Sie wollte sich noch zurückwerfen, doch er war schneller. Die Rechte, die das zerdrückte Glas hielt, klatschte ihr ins Gesicht.

Die Glassplitter bohrten sich in ihre Wangen, Stirn, Nasenspitze und Oberlippe. Die scharfkantigen Splitter ritzten die Haut, und Blutstropfen quollen aus zahlreichen Schnittwunden.

Brenda schrie gellend auf, dass es schaurig durch das ganze Haus hallte. Abwehrend streckte sie die Hände nach vorn, versetzte Slayton einen Stoß gegen die Brust und schaffte es trotz ihrer Schmerzen, unter der abermals nach vorn schnellenden Hand unterzutauchen und sich zur Seite zu rollen.

Brenda sprang auf die Füße. Sie war schneller als Slayton und auch beweglicher. Sie stolperte über den Schädel des bengalischen Tigers, stürzte und robbte auf allen vieren zur Tür, als sie merkte, dass der Verrückte ihre Absicht erkannt hatte.

Sie wollte zur Tür, weg von diesem Wahnsinnigen!

Da war Slayton schon auf den Beinen, warf sich gegen die Tür, und ehe sie es verhindern konnte, drehte er den Schlüssel herum und steckte ihn in seine Hosentasche.

»Hilfe! Hiiilllfeee!« Brendas Stimme überschlug sich, ihr Herz schlug wie rasend, und der Schweiß brach ihr aus allen Poren.

Thomas R. Slayton näherte sich ihr mit baumelnden Armen wie ein Orang-Utan. Er gab krächzende Laute von sich, sein Gesicht war kreidebleich, und die Augen schienen aus ihren Höhlen zu quellen. Sein Gesicht wirkte seltsam aufgedunsen, und Schaum flockte auf seinen Lippen.

Was ihm im Weg stand, warf er um. Es polterte und krachte in der Bibliothek mit dem rustikalen Kamin. Was er zwischen die Finger bekam, warf er der bikinibekleideten Tänzerin entgegen. Bücher und Uhren, Bilder und Gläser, volle Flaschen. Wenn sie ihr Ziel verfehlten, zersplitterten sie am Kamin. Whisky, Sherry, Cognac, Schnaps und Liköre liefen an der Wand herab, bildeten eine klebrige Lache auf dem Boden.

Brenda kam nicht mehr auf die Beine. Schwere Bücher krachten gegen ihre Schultern und ihren Kopf. Sie hörte sich nur noch schreien.

Stimmen und Schreie drangen nun auch von draußen herein.

»Aufmachen! Zum Donnerwetter nochmal! Slayton! Was geht denn da drin vor? Was soll der Unsinn?«

Es war Mills Stimme. Harte Männerfäuste trommelten gegen die Tür und rüttelten an der Klinke.

»Er bringt ... mich um ... so helft mir doch!« Brenda brachte nur noch ein heiseres Flüstern zustande. Eine Flasche traf sie an der Schläfe. Instinktiv hob die dunkelhaarige Frau ihre Hände und wollte den Schlag abwehren. Aber ihre Kräfte versagten bereits.

Sie kippte auf die Seite. Ihre Hände bluteten. Sie war übergossen mit Whisky und Cognac. Aus Büchern herausgerissene Seiten klebten an ihrem Körper. Der Verschluss ihres BHs war aufgerissen; auf ihrem nackten Oberkörper mischte sich das Blut aus den Schnittwunden mit grünem, klebrigem Pfefferminzlikör.

Ein Mensch war zur Bestie geworden!

Slayton tobte und schlug alles kurz und klein, als Brenda sich nicht mehr rührte.

Dann erfolgte ein Krachen und Bersten von der Tür her.

Zu zweit warfen sie sich von außen dagegen, um das Schloss aus der Verriegelung zu sprengen. Mills und Gil Sanders schafften es beim zweiten Anlauf.

Ein Bild des Grauens bot sich ihren Augen, als die Tür nach innen flog und hart gegen die Seitenwand knallte. Zerrissene Bücher und zersplitterte Flaschen, Gläser, verwüstete Bilder und zerschmetterte Vasen. Von einer alten Uhr, die aus dem 17. Jahrhundert stammte und die Jeff Mills teuer in Paris erstanden hatte, waren nur noch verbogene Zeiger, ein zerdrücktes Zifferblatt und herumliegende Zahnräder übrig. Das Porzellangehäuse war in tausend Stücke zersplittert.

Totenstille!

Sie sahen neben dem Kamin Brendas zusammengesunkene Gestalt.

Und sie sahen – Thomas R. Slayton. Er stand in dem verwüsteten Raum, den er in seiner unverständlichen Wut zertrümmert hatte. Slayton hatte sich das Tigerfell übergeworfen und den Kopf zwischen Unter- und Oberkiefer des Raubtierschädels eingeklemmt, so dass es aussah, als wäre sein Körper mit dem Fell verwachsen. Die baumelnden Arme unter den flachen Gliedmaßen und dem Fell waren kaum wahrnehmbar.

Slaytons Gesicht zwischen den gewaltigen Kiefern der erlegten und präparierten Raubkatze wirkte klein, verloren und weiß. Stirn und Haaransatz waren überhaupt nicht auszumachen. Der vorspringende Oberkiefer des Tigers verdeckte das obere Gesichtsdrittel.

Die Augen des Bankiers glühten, und in der merkwürdigen Maskerade sah er aus wie ein fremdes, rätselhaftes Wesen aus einer anderen Welt. Aus seinem Mund kam ständig nur ein einziges dumpfes Wort.

»Marubur ... Marubur ... Marubur ...«

Die Starre der Zeugen dieses unfassbaren Geschehens währte nur eine Sekunde. Dann wurden sie gefordert.

Mit einem wilden Aufschrei stürzte Thomas R. Slayton sich auf seine Freunde. Er schlug um sich, krallte einem die Fingernägel ins Gesicht, boxte sich mit den Ellbogen den Weg frei und schrie und tobte wie ein Besessener.

Zu dritt warfen sie sich auf ihn, während zwei andere in die Bibliothek rannten, um zu sehen, was mit der reglos am Boden liegenden Brenda los war.

»Tom!«, brüllte Jeff Mills. Sein Gesicht war vor Erregung gerötet. Er schlug dem Bankier mehrmals mit der flachen Hand ins Gesicht. »Verdammt nochmal! Komm zu dir!«

Aber Slayton schien ihn überhaupt nicht zu hören. Er krächzte nur, spie Mills ins Gesicht, versuchte sich loszureißen, und es war erstaunlich, welche Kräfte er bei diesen Versuchen entwickelte.

»Er ist sinnlos betrunken!«, kreischte eines der Mädchen, die mit heraufgekommen waren.

Mills schüttelte den Kopf. »Unmöglich! In der kurzen Zeit kann kein Mensch so viel in sich hineinschütten.« Er hatte einen furchtbaren Verdacht. Rauschgift! Slayton schien von irgendetwas eine Überdosis genommen zu haben.

Doch so schnell ihm dieser Gedanke gekommen war, so schnell verwarf er ihn auch wieder. Hier in der Clique nahm niemand Rauschgift. Er selbst war ja schon zu manchem Klamauk aufgelegt, aber bei Rauschgift hörte der Spaß auf. Dafür hatte er kein Verständnis. Die anderen dachten ebenso. Slayton war nicht süchtig. Aber warum verhielt er sich dann so widerborstig, warum schlug und trat er nach allem, warum war sein Blick so glasig?

»Er hat den Verstand verloren!«, sagte da eine Stimme neben ihm. Gil Sanders machte die Bemerkung, nicht ahnend, dass er damit unbewusst auf die stillen Fragen des Gastgebers einging. »Er ist wahnsinnig geworden!«

Mills fühlte sich, als ob ihm eine eiskalte Hand über den Rücken fuhr. »Müssen wir einen Arzt holen?« Er warf einen schnellen Blick zurück in die hellerleuchtete Bibliothek. Joe und Bob, die beiden Brüder aus New York, kümmerten sich um Brenda und richteten die Stöhnende auf.

»Ich fürchte, ja. Vielleicht sogar die Polizei.« Sanders' Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Mit gemeinsamer Anstrengung brachten sie es fertig, Slaytons Hände auf den Rücken und seine Füße zusammenzubinden. Auf diese Weise war es leichter, ihn die Treppe hinabzutragen und seine Bewegungen unter Kontrolle zu halten.

Er rollte mit den Augen, zuckte noch immer wie im Krampf und versuchte, sich von seinen notwendigen Fesseln zu befreien, die ihn vor sich selbst und die anderen vor ihm schützten. Vergebens!

»Die Polizei?« Mills sah den Reporter groß an. »Das hat mir gerade noch gefehlt. Einen Skandal kann ich mir nicht leisten.«

»Zumindest wirst du nicht darum herumkommen, einen Arzt zu rufen. Slayton ist fertig. Das sieht ein Blinder mit dem Krückstock, mein Lieber.«

»Was ist nur los mit ihm?«

Sanders zuckte die Achseln. »Wenn ich es wüsste, würde ich es dir sagen, Jeff.« Der Reporter starrte auf den Bankier, der die Lippen bewegte und manchmal leise, manchmal laut diesen einen unverständlichen Begriff ausstieß: »Marubur!«

»Marubur? Was will er nur damit sagen? Wen oder was meint er damit?«, fragte Mills.

Die anderen umstanden sie stumm und drehten ratlos ihre zum Teil leeren Gläser in der Hand. Die Mädchen hatten sich zusammengeschart. Die Stimmung war hinüber.

Niemand bemerkte die ersten sanften Klänge des Tennessee Waltz, die in diesen Sekunden, von rauchiger Frauenkehle gesungen, aus den Lautsprechern drangen.

Mills kümmerte sich um Brenda. Sie sah schlimm aus. Er verarztete sie, so gut es ging. Dann aber sah er ein, dass er die Verantwortung nicht mehr tragen konnte. Er rief einen Arzt aus der Nachbarschaft an, mit dem er befreundet war und dem er vertraute, dass er über das schweigen würde, was er hier zu sehen bekam.

Doktor Scoota kam. Er war Mitte fünfzig, trug dicke Koteletten, die leicht angegraut waren, und sah sich zuerst die verletzte Tänzerin an. Er machte ein besorgtes Gesicht. »Sie hat einen Schock erlitten, eigentlich müsste ich ihre sofortige Einlieferung ins Krankenhaus veranlassen ...«

»Wenn Sie mir das ersparen könnten, Doc?«, wandte Jeff Mills ein.

Er konnte ihn überreden. Der Arzt gab ihr eine Spritze, ordnete größte Ruhe an und behandelte dann die Schnittwunden in ihrem Gesicht. Zwei mussten genäht werden. Dann kümmerte Scoota sich um den Bankier.

Der reagierte auf keine Fragen und war überhaupt nicht ansprechbar. Er zeigte keine Reflexe.

Glasig starrte er auf den Mann, der ihn untersuchte, fauchte ihn an und schien durch ihn hindurchzusehen. Die ganze Zeit war Gil Sanders in unmittelbarer Nähe des Arztes und beobachtete dessen Reaktionen.

»Da ist nichts zu machen«, murmelte Scoota ernst. »Ich kann dem Mann nicht helfen. Er muss ins Krankenhaus.«

Sanders nagte an der Unterlippe. »Wie kann ein Mensch plötzlich den Verstand verlieren, Doc?«

Der sah ihn mit ernstem Blick an. »Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen mit einer Gegenfrage antworte, Mister Sanders: wie kann ein Mensch plötzlich umfallen und tot sein? Ein Organismus ist zu vielem fähig. Wir wissen viel, aber es gibt mehr, das wir nicht wissen. Eine Durchblutungsstörung vielleicht? Die akuten Symptome können ebenso gut auf eine latente Veranlagung zurückgehen, das Krankheitsbild besteht möglicherweise schon eine ganze Zeit, befand sich gewissermaßen im Ruhezustand, und ist jetzt sichtbar geworden.«

Scoota leuchtete Slayton in die Augen. »Nicht mal die Pupille verengt sich. Merkwürdig! Ich habe so etwas noch nie erlebt.«

»Er scheint durch uns hindurchzusehen«, schaltete sich Sanders wieder ein. »Was mag er jetzt sehen? Irgendetwas muss er doch wahrnehmen? Es ist, als ob er etwas registriere, gegen das er sich wehrt, das wir nicht wahrnehmen können!«

»Schon möglich, Mister Sanders. Dann würde seine Reaktion auch verständlich – für uns verständlich. Trugbilder, Wahnvorstellungen führen zu solchen Reaktionen. Er fühlt sich bedroht. Durch Menschen, durch Gegenstände. Alles scheint nur zu existieren, um ihn zu vernichten. Verständlicherweise muss er dagegen ankämpfen. Sein Blick für die Wirklichkeit ist getrübt.«

Gil Sanders kramte umständlich und gedankenverloren eine Zigarette aus einer zerknitterten Packung. Dabei wandte er den Blick nicht von dem Verrückten.

»Mich interessiert dieser Fall, Doc«, sagte er unvermittelt. »Sie müssen wissen, warum: ich arbeite seit Monaten an einer Artikelserie, die unter dem Arbeitstitel Genie und Wahnsinn steht. Ich gehe dabei zunächst allen berühmten Fällen von geistiger Umnachtung und Wahnsinn nach. Was ging in van Gogh, dem berühmten Maler, vor? Wie hat er sich und seine Umwelt gesehen? Was passierte mit Maupassant, mit Edgar Allan Poe? Warum verloren diese Menschen den Verstand, ohne dass eine organische Erkrankung die Ursache war? Warum reagierten sie mit einem Mal anders, normal? Waren sie vielleicht gar nicht verrückt? Sahen wirklich nur mit anderen, feineren, empfindlicheren Augen, reagierten sie mit Sinnen, die man – im übertragenen Sinn vielleicht – als Antennen für das Übersinnliche bezeichnen kann? Genie und Wahnsinn – ist es nicht die gleiche Erscheinungsform, die wir nur in zwei verschiedene Begriffe gekleidet haben?«

Dr. Scoota schüttelte sich leicht. »Es ist interessant, Ihnen zuzuhören. Sie werfen erstaunliche Fragen auf. Ich bewundere Sie, Mister Sanders. Was Sie sich da vorgenommen haben, ist allerhand. Da liegt verdammt viel Kleinarbeit vor ihnen.«

»Es sollen nicht nur die großen Köpfe unter die Lupe genommen werden. Ich führe noch mehr im Sinn. Um das Phänomen des Wahnsinns zu begreifen und darstellbar zu machen, ist es notwendig, auch mit Wahnsinnigen zu sprechen. Ich habe das schon getan. Ich habe in den letzten Wochen sehr viele Kliniken und auch private Heime aufgesucht, mit den Patienten gesprochen. Sind es wirklich Kranke, Doktor?«

»Nach dem derzeitigen Stand der Medizin ist das mit einem klaren Ja zu beantworten. Sie sehen es wahrscheinlich anders.«

»Ja, Doc. Und jetzt – nach diesem Ereignis – noch mehr als zuvor. Das hat mir überhaupt erst den Mut gegeben, in dieser Form von diesen Dingen zu sprechen.«

»Was ist an diesem Ereignis so besonders für Sie, Mister Sanders? Ich könnte es mir nur so erklären: Sie wurden zum ersten Mal Zeuge, wie ein Mensch, den Sie kennen ...«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen. Nein, das ist es nicht«, fiel der Reporter dem Arzt ins Wort, der seine Sachen zusammenpackte und noch einen letzten Blick auf Slayton warf. Der stierte unverändert vor sich hin, verkrampfte sich, schnitt Grimassen und sprach immer wieder das eine Wort aus, unter dem sich niemand etwas vorstellen konnte: »Marubur.« Auch Sanders wiederholte es jetzt noch einmal.

»Sie sprechen es aus, als wüssten Sie, was er damit sagen will.«