Macabros 025: Die Leichenschlucht - Dan Shocker - E-Book

Macabros 025: Die Leichenschlucht E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Rha-Ta-N mys Leichenschlucht Ronald Martin, Diener der Dämonengöttin Rha-Ta-NMy, liegt im Sterben. Doch vorher beauftragt er seine Pflegerin Gwendolyn dem berühmten Horrorfilm-Regisseur Joe Octlan einen Brief zu überbringen. Dieser folgt sogleich der Einladung seines "Fans" und besucht den Sterbenden. Der nutzt die Gelegenheit und führt mittels schwarzer Magie einen Seelenaustausch durch. Der Geist Joe Octlans stirbt mit dem alten Körper des Dämonendieners, während die Seele von Ronald Martin im Körper des Regisseurs weiterlebt. Als Octlan geht Martin daran einen neuen Film zu drehen, der den bezeichnenden Titel "Rha-Ta-N Mys Leichenschlucht tragen soll. Ort des Geschehens soll eine Schlucht nahe Dayton sein, in welcher der kleine Ort Hatonshire liegt. In einem verlassenen Stollen nimmt Martin/Octlan Kontakt zu der Dämonengöttin auf und befreit zwei Ungeheuer in Gestalt riesiger Schnecken, die er auf Hatonshire loslässt. Durch einen Zeitungsbericht wird der PSA-Agent Larry Brent auf das Filmprojekt aufmerksam und beschließt, sich den Drehort aus der Nähe anzusehen. Doch Rha-Ta-N Mys Monster scheinen unüberwindbar ... Femegericht der Kugelköpfe Cynthia Moreen ist vor geraumer Zeit in der Vergangenheit des Kontinents Xantilon verschollen. Dort ist sie in die Fänge einer dämonischen Kreatur namens Garco geraten. Mit Kaphoons alias Björn Hellmarks Hilfe gelang ihr die Flucht zurück in die Gegenwart. Doch sie war von Garco schwanger und gebar ein Kind, welches ihr der Arzt Dr. Longfield nicht zeigte. Er sprach davon, dass es nicht lebensfähig sei. Doch das Kind war bei bester Gesundheit und wurde von dem Arzt im Geheimen großgezogen. Das Kind war, wie sein Vater, ein Kugelkopf, dämonische Kreaturen, die den schwarzen Priestern treu ergeben sind.

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DAN SHOCKERS MACABROS

BAND 25

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Fachberatung: Gottfried Marbler

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-725-2

Dan Shockers Macabros Band 25

DIE LEICHENSCHLUCHT

Mystery-Thriller

Rha-Ta-N'mys Leichenschlucht

von

Dan Shocker

Prolog

Am Vorabend seines Todes äußerte der alte Mann einen Wunsch: »Ich habe fast alle seine Filme gesehen«, sagte er zu der Pflegerin, die seit drei Wochen Tag für Tag in das Haus des Kranken kam und sein Sterben miterlebte. Er hatte es abgelehnt, einen Arzt hinzuzuziehen. Ronald Martin wusste, dass seine letzte Stunde gekommen war. Er wollte nicht durch Infusionen und elektronische Geräte eine künstliche Lebensverlängerung bewirken. Der Alte war der Überzeugung dass das natürliche Ende nicht durch irgendwelche Manipulationen hinausgezögert werden sollte. »Ich habe deshalb einen Wunsch, Miss Gendine: ich möchte ihn gern persönlich kennenlernen.« Er lächelte schwach, und auf dem alten, runzligen Gesicht mit den klugen Augen zeigte sich ein verklärter Ausdruck. »Er hält sich zurzeit im Regent-Hotel in Houston auf. Eine knappe Fahrstunde von hier. Tun Sie mir diesen letzten Gefallen, Mrs. Gendine! Überbringen Sie Joe Octlan eine schriftliche Nachricht von mir.«

Miss Gendine sah den Kranken mit einem seltsamen Blick an. »Natürlich werde ich das für Sie tun.«

»Aber Sie dürfen niemand etwas davon erzählen. Versprechen Sie mir das?«

Gwendolyn Gendine nickte: »Selbstverständlich, Mister Martin. Da können Sie sich ganz auf mich verlassen.« Insgeheim sagte sie sich, dass Ronald Martin wohl schon nicht mehr ganz bei sich war. Was wollte der über Achtzigjährige nur mit einem jungen Mann, der völlig fremd für ihn war und der im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand? Es war kaum anzunehmen, dass Joe Octlan das Regent verließ, um sich hierher in das baufällige Haus zu begeben, in dem der sonderbare Einzelgänger Ronald Martin seit gut fünfzig Jahren lebte.

»Gehen Sie doch bitte mal an die Vitrine, Miss Gendine«, murmelte der alte Mann, und seine wächserne Hand, die mit bläulich hervortretenden Adern überzogen war, deutete zitternd in die angegebene Richtung. »In der mittleren Schublade ... bei all den Papieren ... da liegt ein Brief ganz oben auf ... ich habe ihn vor vierzehn Tagen geschrieben, da war ich noch nicht so schwach. Der Brief ist an die Heimatadresse Octlans gerichtet. Da konnte ich noch nicht wissen, dass er eine Reise nach Houston plant und sich praktisch in meiner Nachbarschaft aufhalten würde. Es gibt im Leben manchmal merkwürdige Zufälle, finden Sie nicht auch?«

»Doch. Da muss ich Ihnen zustimmen«, nickte Miss Gendine ernst.

Sie nahm den vorbereiteten und verschlossenen und an Filmregisseur und -produzent gerichteten Brief an sich.

»Ich habe die ganze Zeit noch damit gezögert «, fuhr Ronald Martin mit leiser Stimme fort. Seine schmalen, trockenen Lippen bewegten sich kaum. »Ich wusste ja nicht, wie es um mich steht ... aber seit gestern Abend weiß ich es. Und einen letzten Wunsch soll man sich schließlich auch erfüllen, nicht wahr?« Um seine Lippen zuckte ein seltsames, rätselhaftes und unergründliches Lächeln.

Gwendolyn Gendine hörte die Worte und dachte sich ihren Teil.

Sie war überzeugt davon, dass Joe Octlan den Brief nicht mal lesen würde.

Warum sollte er auch? Martin war ein Fremder für ihn, und Octlan hätte viel zu tun, wenn er diesen alten Mann einfach besuchen würde. Ronald Martin war entweder ein bisschen verrückt, oder er befand sich schon im Delirium.

Gwendolyn Gendine war eine etwas herbe Frau und konnte es sich nicht verkneifen zu sagen: »Meinen Sie denn wirklich, dass das Ganze einen Sinn hat, Mr. Martin? Ich möchte Sie nicht enttäuschen, ich werde gern für Sie nach Houston fahren, aber versprechen Sie sich denn wirklich etwas davon? Mister Octlan ist ein berühmter Regisseur. Sie haben jeden seiner Filme gesehen.«

Ronald Martin lachte leise und unterbrach sich. »Einmal?«, fragte er wispernd. »Fünfmal ... zehnmal habe ich mir einen Streifen angesehen, um zu wissen, wie er das gemacht hat. Er ist ein großer Künstler, ich muss ihn kennenlernen, ehe es mit mir zu Ende geht.«

»Aber ...«

Er schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht mehr darüber reden, Miss Gendine. Tun Sie mir bitte den Gefallen, um den ich Sie bitte! Es wird nicht Ihr Schaden sein ...«

Das wusste die Pflegerin. Ronald Martin war in seinem langen Leben keinem Menschen etwas schuldig geblieben. Er lebte selbst bescheiden und hatte keine großen Ansprüche gestellt. Wer ihm zum ersten Mal begegnete, mochte glauben, dass dieser ärmlich aussehende Mann nicht wusste, was er am nächsten Tag aß.

Dieser Eindruck täuschte jedoch.

Er hatte stets Geld gehabt. Woher er das hatte wusste kein Mensch. Er wohnte, so lange man zurückdenken konnte, in diesem baufälligen Haus das früher mal einem Holzfäller gehörte.

Eines Tages war der damals jedermann fremde Ronald Martin eingezogen, hatte viele Bilder und noch mehr Bücher mitgebracht und sich häuslich eingerichtet. Die düsteren Gemälde, die fremdartige, surrealistische und fantastische Landschaften zeigten, hingen zum einen Teil an der Wand und waren zum anderen in Mappen aufbewahrt. Alte und uralte Bücher mit brüchigen Rücken füllten die Regale bis unter die Decke. An den meisten waren weder Titel noch Autorennamen zu erkennen.

Jahrelang hatte man in dem kleinen Ort gerätselt, was diesen Mann veranlasst hatte, die Einsamkeit zu wählen und sich mit seinen Bildern und Büchern vollkommen einzuigeln. Nach und nach schließlich war einiges durchgesickert, einiges, das sich aus Information und Gerüchten zusammensetzte.

Ronald Martin war ein Mann, der sich mit dem Studium geheimnisvoller Schriften befasste, er war Heilkundiger, der Pflanzen und Gräser sammelte und Tees und Säfte daraus bereitete, und er war ein Maler, der eine fantastische Welt zu Papier und auf die Leinwand brachte.

Ronald Martin freundete sich mit den Bewohnern an, und seine heilkundlichen Kenntnisse wurden in diesem abgelegenen Ort zum Segen für viele Kranke.

Bis vor zehn Jahren noch war der alte Mann auf diesem Gebiete sehr aktiv, dann zog er sich aber vollends zurück und kam nur noch einmal wöchentlich ins Dorf, um dringend notwendige Erledigungen zu machen.

Gwendolyn Gendine warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war wenige Minuten nach zehn Uhr morgens.

»Geld liegt in der Schachtel auf der Vitrine. Nehmen Sie sich heraus, was Sie benötigen, Miss Gendine. Und nochmals vielen Dank für Ihre Mühe! Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie den Besuch schnellstens hinter sich bringen würden. Die Zeit, Miss Gendine ... ich habe nicht mehr viel Zeit!«

Die Pflegerin nickte. Sie wusste, wie recht er hatte. Der Kräfteverfall gerade in den letzten vierundzwanzig Stunden war erschreckend. »Noch eine letzte Frage ...«

»Ja, bitte!«

»Was ist, wenn Mister Octlan mich zurückweist?«

»Das kann er nicht. Sie suchen einfach das Hotel auf, in dem er sich befindet und geben dem Portier mein Schreiben. Er wird es in das Fach von Mister Octlan legen, und damit ist Ihr Auftrag beendet. Joe Octlan wird meine Zeilen somit persönlich erhalten, und er wird sie lesen ... und dann wird er kommen. Er kann gar nicht anders ...«

Ronald Martin sagte es mit einer Sicherheit und Bestimmtheit, dass die Krankenpflegerin leicht erschauerte. Für ihn schien es überhaupt keine Zweifel, keine Probleme zu geben. Er war einfach überzeugt davon dass Octlan seinem Ruf umgehend folgte.

»Er kann nicht anders ...« hörte sie den alten Mann kaum vernehmlich murmeln. »Wenn er den Brief liest, wird er nur noch den einen Wunsch haben, mich kennenzulernen ...«

Sie fuhr mit dem Bus. Das war die schnellste Verbindung und zwischendurch ertappte sie sich immer wieder dabei, dass ihr gerade die letzten Worte des kranken, alten Mannes wie ein immer wiederkehrendes Echo durch den Kopf gingen.

Eine gewisse Angst spielte sogar mit ein. Ronald Martin war ihr mit einem Mal nicht geheuer. Obwohl er über fünfzig Jahre an ein und demselben Platz wohnte, wusste man doch erstaunlich wenig über ihn. War er ein Magier?

Sie zwang sich, nicht mehr daran zu denken. Die Fahrt mit dem Bus kam ihr wie eine Ewigkeit vor.

Gwendolyn Gendine war froh, als sie endlich am Ziel ankam.

Sie hatte genug Geld mitgenommen, um mit dem Taxi zum Regent-Hotel zu fahren. Dort gab sie wie versprochen den verschlossenen Brief ab. Zu gern hätte sie gewusst, was Ronald Martin so Interessantes zu Papier gebracht hatte, dass derjenige, der es las, so fasziniert war, um mehr zu erfahren ...

Aber genaugenommen ging sie das ja gar nichts an.

Der alte Mann hatte ihr angeboten, sie solle sich einen schönen Tag in Houston machen. Gut essen gehen und dann einen Kaufhausbesuch machen, um sich ein neues Kleid zu kaufen.

Er wusste die Hilfe, die sie ihm in den letzten drei Wochen zuteil werden ließ ganz offensichtlich zu schätzen. Insgeheim dachte sie, dass Ronald Martin möglicherweise sehr viel mehr besaß, als allgemein bekannt war. Irgendwann in seinem Leben musste er eine Erbschaft angetreten haben, die ihm diese Art zu leben überhaupt ermöglichte. Vielleicht gab er diese Dinge schon bald an sie weiter ... er selbst konnte ja nichts mehr mit ihnen anfangen.

Unweit des Regent-Hotels kaufte sie an einem Stand eine Portion Eis und schleckte es. Sie war gern in der Stadt und beobachtete von einer Bank aus die Menschen, die durch die Straßen eilten und fuhren. Keiner hatte Zeit.

Ehe sie in das Kaufhaus ging um ein Kleid zu erwerben, überlegte sie, ob es nicht doch besser war, noch mal in das Regent zu gehen und nach dem Regisseur zu fragen. Vielleicht konnte sie durch ein persönliches Wort dem Wunsch des alten Mannes einen gewissen Nachdruck verleihen.

Sie konnte sich noch nicht dazu entschließen.

So ging sie in das Kaufhaus und probierte mehrere Kleidungsstücke. Nach einer Stunde kam sie mit zwei Röcken und einem neuen Kleid heraus und war glücklich.

Und in dieser Stimmung entschloss sie sich, doch noch mal einen Abstecher zum Regent-Hotel zu machen und sich zu erkundigen, ob Mr. Octlan inzwischen von dem Brief des Kranken Kenntnis genommen hatte.

Gerade als sie an der Ampelanlage die Straße überquerte, sah sie einen athletisch gebauten Mann mit kurz geschnittenen, fast weißen Haaren und elastischen Bewegungen die Treppe zum Hotel hochlaufen. Der Mann trug einen silbergrauen Anzug mit breitem Revers, darunter ein offenes Sporthemd. Er war braungebrannt, und sein sehr helles Haar bildete einen auffälligen und interessanten Kontrast dazu.

Als Gwendolyn Gendine durch das gläserne Portal kam und zur Rezeption ging, stand der gutaussehende Mann beim Portier und nahm gerade den Brief zur Hand, den sie dort abgegeben hatte.

Gwendolyn Gendine hielt den Atem an.

Das also war Joe Octlan, der bekannte Regisseur und Produzent namhafter Filme, die sich alle in irgendeiner Form mit dem Übersinnlichen und Fantastischen und der Behandlung parapsychologischer Themen befassten. Sie sah, wie er den Brief in der Hand drehte, verwundert den Kopf schüttelte und dann kurzerhand den Umschlag aufriss.

Sie beobachtete das Gesicht des Mannes.

Es war glatt und ausgeglichen, wies volle, rote Lippen und eine gerade, aristokratische Nase auf. Joe Octlan hatte kleine, eng anliegende Ohren, und durch den kurzen Haarschnitt wirkte sein Gesicht fast quadratisch und größer, als es in Wirklichkeit war.

Er überflog den Brief. Seine Miene veränderte sich dabei nicht. Dann wandte er sich an den Portier wechselte ein paar Worte mit ihm, und dies war der Augenblick, da Gwendolyn Gendine den Mut fasste, auf Joe Octlan zuzugehen.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie mit leiser Stimme und merkte, wie ihr warm wurde. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, und sie lief puterrot an. »Sie sind doch Mister Octlan, nicht wahr?«

Joe Octlan wandte ihr sein Gesicht zu. »Das ist die Dame, Sir, die den Brief abgegeben hat«, sagte in diesem Augenblick der Portier mit halblauter Stimme.

Joe Octlan lächelte.

»Ja, das ist richtig«, sagte Gwendolyn Gendine schnell. »Ich glaube, dazu muss ich Ihnen etwas erklären. Mister Martin ist ein alter Mann ... er hat alle Ihre Filme gesehen. Er ... er verehrt Sie förmlich, Mister Octlan. Jetzt liegt er im Sterben. Er hat nur diesen einen Wunsch und ...«

Joe Octlan lächelte noch immer. Seine Augen waren rauchgrau. An diesem Mann stimmte einfach alles. Gwendolyn Gendine versuchte ihn zu schätzen. Er konnte ebenso gut Mitte Dreißig wie Mitte Vierzig sein.

»Ich weiß. Er hat mir alles geschrieben!« Er hatte eine ruhige, dunkle Stimme.

Gwendolyn Gendine lief ein wohliger Schauer über den Rücken.

»Wann fahren Sie zurück, Mrs ...«

»Miss«, beeilte sie sich zu sagen. »Miss Gwendolyn.« Sie war dreiunddreißig, unverheiratet und sah nicht schlecht aus, wirkte aber etwas fade. »Ich wollte mit dem Bus um sechzehn Uhr fahren. Danach geht keiner mehr.«

»Es ist doch gut, dass wir uns hier begegnet sind«, sagte Octlan. »Das erspart mir das Suchen. Ich möchte Sie gern mitnehmen, wenn Sie das wollen. Dann haben Sie sich die Wartezeit an der Haltestelle und die lange Fahrerei erspart, und wir sind beide schneller am Ziel ...« Gwendolyn Gendine glaubte nicht recht zu hören, als Joe Octlan fortfuhr zu sprechen. »Ich würde mich freuen, wenn Sie mir auf der Fahrt Gesellschaft leisten würden. Ich möchte mich nur rasch etwas frisch machen. In spätestens einer Viertelstunde können wir fahren. Wenn es so eilig ist, sollte man keine Sekunde länger verstreichen lassen, als unbedingt notwendig. Ich bin sehr daran interessiert, Mister Martin zu sprechen!«

Er fuhr einen schneeweißen Chrysler, das neueste Modell mit blauen Ledersitzen, elektrischem Schiebedach und Klimaanlage. Das Armaturenbrett war aus echtem Palisander, und die Scheinwerfer gingen automatisch an, wenn das Tageslicht nachließ und es dämmrig wurde.

Gwendolyn Gendines Wangen glühten, als sie neben Joe Octlan saß und nach Hause zurückfuhr.

Er war ein guter Unterhalter. Aus seinem erlebnisreichen Dasein wusste er so viel zu erzählen, dass die Zeit wie im Flug verging.

Gwendolyn Gendine lag mehr als einmal die Frage auf der Zunge, was denn nun so Wichtiges in dem Brief gestanden hatte, dass er sich umgehend entschied, die Fahrt zu Ronald Martin anzutreten. Aber sie hatte nicht den Mut dazu und wollte nicht über Gebühr neugierig sein, um keinen falschen Eindruck zu erwecken. Irgendwie aber kam ihr das Ganze merkwürdig, sogar ein bisschen unheimlich vor.

Ronald Martins Prophezeiung, dass Octlan nicht anders könne, als seinem Ruf zu folgen hatte sich prompt erfüllt. Verfügte der alte Mann über übersinnliche Kräfte? War er doch ein Magier?

Unsinn! Gwendolyn verwarf die seltsamen Gedanken wieder. Es gab außer den Heilkünsten nichts, was an Besonderheiten im Leben des alten Martin erwähnenswert gewesen wäre. Außer dem Geld vielleicht noch, über das er stets verfügte, ohne je gearbeitet zu haben ...

»Ich würde Sie gern zu Mr. Martin mitnehmen«, sagte Octlan, als sie sich dem Ort näherten. »Aber er hat ausdrücklich um ein Gespräch unter vier Augen gebeten. Ich hoffe, ich komme nicht zu spät ...«

Gwendolyn Gendine kam das alles vor wie ein Traum. »Sie können mich ruhig mitnehmen. Ich werde nur kurz einen Blick zu ihm hereinwerfen, um zu sehen, wie es ihm geht. Dann werde ich mich sofort entfernen.«

Genauso geschah es.

Bevor Joe Octlan noch das alte Holzfällerhaus betrat, sah Gwendolyn Gendine nach dem Rechten.

Es war dämmrig. Der Himmel war bewölkt, und im Westen braute sich etwas zusammen. Dumpfes, fernes Donnergrollen kündete ein Gewitter an.

Ronald Martin lag in dem kleinen Raum, der ein Mittelding zwischen Schlafzimmer, Bibliothek und Antiquitätenladen war. Außer seinen zahlreichen Büchern hatte der alte Mann auch seltsam geformte Wurzeln, dunkle und irgendwie geformte Steine in seinen Regalen stehen und allerlei Krimskrams, den man auf den ersten Blick überhaupt nicht übersehen konnte.

Ronald Martins Wohnung sah im Prinzip überall gleich aus. Sie wirkte unaufgeräumt, da konnte man machen was man wollte, und irgendwie fühlte sich Gwendolyn Gendine schuldig. Sie hätte vielleicht doch etwas mehr tun sollen als nur Staub wischen und putzen. Aber der alte Mann hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie auf keinen Fall die Dinge, wie er sie hingestellt und eingeordnet hatte, anfassen sollte.

Dabei konnte von Ordnung keine Rede sein.

Was musste nur der Besucher für einen Eindruck bekommen?!

Gwendolyn ging auf das Bett zu. Ganz ruhig lag Martin da. Ob er schon?

»Nein, noch nicht«, vernahm sie seine leise Stimme, und sie erschrak. Konnte er etwa Gedanken lesen? Er schlug die Augen auf. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. Er wirkte sehr blass und eingefallen. »Aber es geht zu Ende, Miss Gendine ... ich habe Motorengeräusch gehört ... er ist also gleich ...«

»... mitgekommen«, setzte sie seine Ausführungen fort.

Ein rätselhaftes Lächeln spielte um die dünnen Lippen des Alten. »Ich hab's gewusst ... ich hab's gewusst. Wo ... ist er?«

»Er wartet draußen. Ich wollte erst nach Ihnen sehen, Mister Martin. Brauchen Sie irgendetwas?«

»Nein, danke. Es steht noch genügend Wasser in der Karaffe ...«

»Das kann ich wenigstens frisch machen.«

»Nicht nötig. Ich brauche es wahrscheinlich nicht mehr. Wichtig allein ist jetzt ... der Besuch Joe Octlans ... ich habe mich so darauf gefreut ... lassen Sie ihn herein, Miss Gendine ... und lassen Sie uns bitte allein! Ich möchte mich für alles, was Sie bisher für mich getan haben, bedanken. Sie waren sehr geduldig Ich werde mich noch erkenntlich erweisen ... Beeilen Sie sich jetzt! Es scheint ein Unwetter aufzuziehen.«

Sie nickte und wollte etwas darauf sagen. Ihre Miene versteinerte. Ruckartig warf sie ihren Kopf herum. Hier im Raum gab es nur ein einziges Fenster. Es war winzig klein, und davor standen dicht belaubt Bäume. Ronald Martin konnte von seinem Lager aus den Himmel unmöglich sehen.

Und doch wusste er ...?

Gwendolyn Gendine wurde es langsam unheimlich zumute. Sie ging nach draußen und bat Joe Octlan herein.

Der athletisch gebaute Mann näherte sich dem Krankenlager des Alten, der ihn aus matt schimmernden, dunklen Augen musterte.

»Nehmen Sie bitte Platz! Ich freue mich, dass Sie gekommen sind.« Ronald Martins Stimme klang brüchig und schwach. Er bemühte sich, langsam und ruhig zu atmen, aber man merkte ihm an, dass ihm das Atmen schon Schwierigkeiten bereitete.

Octlan zog sich einen Stuhl an das Bett. »Ihr Brief hat mich überrascht«, sagte er und führte seine gebräunte Rechte über die Augen. Sein Gesichtsausdruck wirkte gequält, als bemühe er sich, einen Gedanken zu fassen, der ihm entfallen war, den er jedoch noch ahnungsweise in sich trug.

»Das sollte er auch«, bemerkte Martin.

Draußen kam Wind auf. Er pfiff durch das morsche Dachgebälk und fing sich rauschend in den Wipfeln der Bäume. Blitze irrlichterten über den wolkenverhangenen Himmel. Dumpf hallte der Donner über die nahen Berge.

»Sie hatten keine andere Möglichkeit, Octlan«, fügte der Sterbende mit halb geschlossenen Augen und sich kaum bewegenden Lippen hinzu. Die Stimme klang plötzlich nicht mehr so abwesend und brüchig. Ihr haftete eine gewisse Schärfe an. »In dem Moment, als Sie den Brief lasen, mussten Sie kommen!«

Octlans Augen verengten sich. In seinem Gesicht arbeitete es. »Ich träume ... es ist ganz sicher, ich träume«, murmelte er.

»Nein, Sie träumen nicht! Sie sind bei vollem Bewusstsein, aber das eben ist Ihnen in diesem Moment noch nicht ganz bewusst. Das wird noch kommen. Voraussetzung ist, dass Sie vollkommen klar sind. Nur dann können Sie auch meine Fragen beantworten.«

»Ich weiß nicht, was das Ganze soll«, sagte Octlan wie benommen, nahm die Hände von seinen Augen, blickte sich irritiert um und stand auf. »Wo bin ich hier? Wie komme ich hierher?«

Unruhig wanderten seine Augen hin und her, sein Blick blieb schließlich auf dem alten, wächsern und ausgedörrt aussehenden alten Mann kleben, der in dem Bett lag. »Wer sind Sie?«, entfuhr es ihm.

»Der Mann, der Ihnen geschrieben hat.«

»Geschrieben? Wer hat mir geschrieben?«

»Sie haben den Brief sicher noch in Ihrer Tasche, Mister Octlan. Werfen Sie doch einen Blick hinein!«

Verstört griff dieser in die rechte Tasche seines Jacketts. Er fuhr zusammen, als er das raschelnde Papier zwischen seinen Fingern spürte. Er zog den geöffneten und zerknitterten Brief heraus, der an ihn adressiert war. »Ich kann mich gar nicht entsinnen, dieses Schreiben erhalten zu haben ...«

»Es wurde Ihnen im Regent-Hotel überreicht.«

Octlan starrte auf den Bogen, der nur wenig Text aufwies. Gibt es denn hier kein Licht?«, fragte er gereizt. Die Dämmerung in dem kleinen, stickigen Raum ging ihm auf die Nerven.

»Doch, natürlich.« Auf dem Tisch stand eine dicke Kerze. Aber sie brannte nicht.

Ein Blitz flammte am Himmel auf. Wie ein glühender Pfeil raste er durch die Wolken und schien die Wipfel der Bäume direkt vor dem winzigen Fenster zu spalten.

Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte gleißende Helligkeit.

Das weiße Licht stand kerzengerade vor Octlan und spaltete wie ein Messer die Düsternis in dem Raum. Octlan schloss geblendet die Augen. Als er sie wieder öffnete, brannte die Kerze.

»Das gibt es doch nicht!«, stöhnte er. Es dauerte einige Sekunden, ehe sich seine Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.

»Doch, das gibt's. Ich nehme an, dass dieses Licht für Ihre Zwecke ausreicht.«

Der Alte in dem Bett sah ihn mit satanisch glänzenden Augen an, und Octlan fühlte eine Gänsehaut über seinen Rücken laufen.

Mit brennenden Augen starrte der Regisseur auf das Papier. Die Buchstaben tanzten vor seinen Augen. »Ich bin ein großer Fan von Ihnen«, las er halblaut vor »Ich möchte, dass wir uns treffen, um uns zu unterhalten.«

Octlan lachte rau. »Diesen Brief haben Sie mir geschrieben? Und ich bin umgehend aus Houston losgefahren? Das ist ein Witz!«

»Wie Sie sehen, ist es keiner. Sie sind gekommen, um sich mit mir zu unterhalten. Und das werden wir! Es geht um Ihre Filme, Mister Octlan!«

»Wie bin ich hierhergekommen?«, murmelte Octlan, auf die Worte des Kranken gar nicht achtend. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Sie müssen mir das erklären. Hypnose?«

»Nein! Magie! Mächte, über die Sie oft Themen gebracht haben kann man anrufen. Aber darüber will ich nur am Rand mit Ihnen diskutieren. Als Hauptsache liegt mir Ihr Tod am Herzen. Ich habe Sie hierher gerufen, weil ich Sie töten werde!«

Joe Octlan klappten die Mundwinkel herunter. »Sie sind wahnsinnig!«

»Ihr Tod gehört zu meinem Spiel. Es ist nur durchführbar, wenn Sie voll aktionsfähig sind, sich bei vollem Bewusstsein befinden und wissen, worum es geht.«

»Und da ich das jetzt bin, werde ich mich zur Tür begeben und good bye sagen ...«

»Das können Sie nicht.«

»Ich hab' ja gesagt: Sie sind wahnsinnig!«

Octlan drehte sich auf der Stelle um und lief zu der Tür, durch die er gekommen war. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob er sie geschlossen hatte oder nicht. Jedenfalls war sie ins Schloss geklappt. Er drückte die Klinke herab, zog die Tür zurück ... und wollte sie zurückziehen. Es ging aber nicht.

Wütend schlug und trat er dagegen und suchte einen Riegel.

Der alte Mann lag noch immer kraftlos in seinem Bett und beobachtete aus spaltbreit geöffneten Augen die ergebnislosen Versuche seines unfreiwillig anwesenden Gastes. »Sie können die Tür nicht öffnen und nicht einschlagen, und es wird Ihnen auch bei den Fenstern nicht gelingen. Solange ich es will, werden Sie hier bleiben.«

»Das wollen wir doch sehen!« Joe Octlan war wütend. Mit zwei, drei raschen Schritten durchquerte er das dämmrige Zimmer. Er riss einen Stuhl empor und schleuderte ihn gegen das kleine Fenster. Es war ganz deutlich zu sehen, dass ein Stuhlbein voll gegen die Scheibe knallte. Das Fenster hätte zerspringen müssen.

Es gab aber keinen Riss und keine Scherben.

Die Scheibe war fest wie eine Mauer!

Aber dahinter brodelte der wolkige Himmel und flammten die Blitze auf. Deutlich war die Wucht des Sturmes zu erkennen, der in den Wipfeln tobte, Zweige verbog und Blattwerk abriss. Es rauschte draußen, pfiff und heulte, und der Regen prasselte vom Himmel herab, der alle seine Schleusen geöffnet hatte.

Donner grollte. Es herrschte eine Stimmung wie zu Anbeginn der Schöpfung.

Ronald Martin lachte leise und teuflisch. »So könnte es fast in einem Ihrer Filme sein, Octlan, nicht wahr? Ich habe mich immer gefragt: wie kommt der Mann nur auf seine ausgefallenen Ideen. Entweder er hat eine sonderbare Phantasie oder er weiß Bescheid.«

»Weiß Bescheid? Was meinen Sie damit, zum Teufel?« Joe Octlan brüllte los. Der Sturm tobte. Das Heulen und Pfeifen unter dem Dach hörte sich beängstigend an. Draußen wurde das auf dem Boden liegende Laub aufgewirbelt, der Regen trommelte gegen die Scheiben und schleuderte kleine Steine und Blätter mit sich.

»Wenn man Ihre Filme sieht, dann hat man einfach das Gefühl, dass Sie schon mal einen Blick in eine Welt wagten, die einem Normalsterblichen verschlossen ist. Ich habe x-mal die gleichen Streifen gesehen. Sie haben Dinge angedeutet oder oft auch bis zur letzten Konsequenz durchkomponiert, dass man glauben konnte: der Satan persönlich, Molochos oder Rha-Ta-N'my hätten Regie geführt oder Sie in entscheidenden Phasen beraten.«

»Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden!«

»Sie haben noch nie etwas von Molochos gehört?«

»Nein!«

»Von ... Rha-Ta-N'my?«

»Nein.«

»Seltsam. In einigen Ihrer Filme zeigen Sie gespenstische Wesen, die frappierende Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit haben.«

»Mit der Wirklichkeit? Von welcher Wirklichkeit sprechen Sie, Mann?«

»Von der Wirklichkeit Ihrer Filme. Diese Wirklichkeit gibt es. Das Fantastische, das Außergewöhnliche, das Sonderbare zog Sie stets an.«

»Ja. Anfangs war ich auch überzeugt davon, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gäbe, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt, wie man so schön sagt. Aber ich fand keine Beweise. Ich nahm an spiritistischen Sitzungen und okkulten Forschungsvorträgen teil, ich beobachtete sogenannte Medien bei ihrer Arbeit, alles ohne Erfolg. Ein fader Nachgeschmack blieb.«

»Sie sind nie an die richtigen Leute geraten.«

»Es gibt sie nicht.«

»Ich darf Sie daran erinnern, was eben passiert ist.«

»Mit der Tür? Mit dem Fenster?«

»Ja.«

»Unsinn! Ein Trick! Wenn das, was ich hier durchmache, kein Traum ist, dann liegt dem ein Trick zugrunde, den ich noch nicht durchschaue. Möglicherweise ist das sogar ein sehr simpler Trick. Vermutlich steckt doch Hypnose dahinter. Als ich den Brief im Regent las, wurde ich hypnotisiert. Durch eine bestimmte Formulierung meinetwegen, oder durch die Frau, ja jetzt entsinne ich mich, da war eine Frau. Ich habe sie hierhergebracht ...«

»Gwendolyn Gendine? Nein, die hat nichts damit zu tun.«

»Ihr Auftauchen kann diese Teilamnesie ausgelöst haben. Ich kam hierher, und las den Brieftext zum zweiten Mal. Da passierte genau das Gegenteil: die Hypnose wurde gelöscht, mein Bewusstsein schaltete wieder auf Normalbetrieb um.«

»Nun, so einfach ist das Ganze nicht. Ich werde Ihnen das noch beweisen. Aber schließen wir das eine doch zunächst ab. Es ist notwendig, dass Sie wenigstens wissen, warum Sie sterben müssen, die Zeit läuft sonst ab ...«

Der Alte sprach sehr leise, und Octlan fand es verwunderlich, dass er trotz des Lärms draußen die Stimme überhaupt so deutlich wahrnahm. »Ich behaupte: Sie sind gefährlich, weil Sie diese Antenne für Ihre eigenen Zwecke gebrauchen, aber damit nicht das Unheil stiften, das Sie eigentlich anrichten sollten. Deshalb sollen Sie mir auch zuhören. Es ist in wenigen Worten all das gesagt, was gesagt werden muss: angeblich glauben Sie nicht an die Dinge, über die Sie Ihre Filme drehten. Sie halten nichts von übersinnlichen Erscheinungen und parapsychischen Phänomenen. Aber Sie bedienen sich der Materie. Wie ich feststellen konnte, erhalten Sie von Ihren Drehbuchautoren oft nur das Gerüst für einen Film. Die detaillierte Ausarbeitung liegt einzig und allein in Ihren Händen. Wer Ihre Filme sieht, der fängt an, sich auch. Gedanken über Sie zu machen. Der kommt auf die Idee, dass Joe Octlan einen Blick in eine fremde, unfassbare Welt geworfen hat, der ist überzeugt davon, dass Joe Octlan ein Eingeweihter ist. Joe Octlan aber sagt: Nein, ich bin ein freier Künstler, ich erfinde meine Dinge. Mir fliegen diese Gedanken einfach so zu, ich brauche sie nur niederzuschreiben, sie in Szene zu setzen ... ist es nicht so?«

»Genauso ist es.«

»Falsch ist es! Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, dass diese Einflüsse von irgendwoher kommen müssen? Sie erhalten Nachrichten, und die begreifen Sie nicht. Sie blicken hinter das Okkulte, das Dämonische, hinter die Welt des Bösen ... und die Geschöpfe, die Sie beschreiben oder von denen Sie Masken anfertigen lassen, die gibt es. Aber Sie ignorieren sie. Sie ahnen nicht, welche Welten Sie schon auf Zelluloid bannten. Sie glauben: das ist meine Phantasie. Ich bin ein Künstler. In Wirklichkeit haben Sie abgeschrieben, weil jedes Kapitel irgendwo im Universum bereits existiert. Sie haben diese Kapitel gelesen, die Wesen geschaut, die die ehernen Gesetze bewachen und ausführen ... aber Sie begreifen nichts. Was könnten Sie für ein Mitstreiter sein ...«

Die Stimme des Alten war zuletzt immer leiser geworden. Aber die Faszination der Beschwörung, die diese Worte begleitete, war so intensiv, dass Joe Octlan den Atem anhielt und zuhörte. Er näherte sich dem Bett des Alten und beugte sich hinab, um der kraftlosen Stimme zu lauschen.

»... das Beet ist vorbereitet, aber die Saat hat keine Frucht getragen. Schade! Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass nur ein Mensch Ihrer Art für mich akzeptabel war. Ich konnte keinen gebrauchen, der schon so tief in Rha-Ta-N'mys Netze verstrickt ist, dass er ähnlich denkt und handelt wie ich ...«

»Rha-Ta-N'mys«, echote Octlan. »Wer oder was ist diese Rha-Ta-N'my?«

»Die Mutter des Bösen, die Göttin der Dämonen. Shab-Sodd, der Dämonenzeuger ist der Vater – Rha-Ta-N'my die Mutter. Er spielt dennoch nur eine untergeordnete Rolle tritt kaum in Erscheinung. Rha-Ta-N'my ist die Herrin, die herrscht und entscheidet, und die auch die Gedanken schickt, von denen du denkst, dass sie deinem eigenen Hirn entsprossen sind. Falsch! Es gibt Hirne, die sind aufnahmefähig. Du hast ein solches. Aber darüber hinaus einen kritischen Verstand. Das wiederum macht dich nicht zum Freund sondern zu unserem Feind. Ich habe lange gebraucht, um das zu verstehen. Ich bin verworrene Wege gegangen. Erst mied ich das Böse, das Finstere. Ich tat etwas um der Freude willen. Ich half, wo ich helfen konnte, ich las viele seltsame Bücher über Heilkräuter und magische Beschwörungsformeln, die bestimmte Krankheiten ausmerzen sollten. Zu meiner eigenen Verwunderung entdeckte ich bald, dass ich damit Erfolg hatte. Aber was ich mit guten Gedanken erreichen konnte, das genügte mir bald nicht mehr, und ich erkannte, dass ich mein Leben von Grund auf verändern konnte, wenn ich mich der Gedankenwelt Rha-Ta-N'mys öffnete die für das Menschengeschlecht seit jeher eine besondere Schwäche hatte. Ich studierte die Schriften, die über sie im Umlauf waren. Rha-Ta-N'my versprach ewiges Leben demjenigen, der bereit ist, sich ihr ganz zu verschreiben. Einem erst ist es in dieser absoluten Form perfekt gelungen: das ist Molochos, ein schwarzer Priester aus dem Lande Xantilon, der alles abstreifte, der sein Volk verriet, um dieses Leben im Reich der Dämonen zu führen. Wenn man mal den Gedanken gefasst hat, seinem Leben eine bestimmte Richtung zu geben, dann wird es oft recht schwer, das Steuer herumzureißen, auch wenn man erkennt, dass die rasende Fahrt in den Abgrund geht. Vielleicht war ich nicht ganz geschickt mit dem, was ich da vor rund vierzig Jahren in die Wege zu leiten begann. Ich stellte schon bald fest, dass ich gar nicht so eigennützig bin, wie ich das immer vorzugeben bereit war. Meine Kontakte zur Welt der Jenseitigen, die nur das eine Ziel im Auge haben die Menschen, wie sie jetzt sind, zu vernichten und von ihrer Welt Besitz zu ergreifen, brachten es mit sich, dass ich meine eigene Gedankenwelt, meine ureigenen Bewusstseinsinhalte intensiver unter die Lupe zu nehmen begann. In jedem Menschen steckt ein göttlicher und ein satanischer Funke, wirbelnde Kräfte, die stets im Widerstreit miteinander stehen. Mal überwiegt das eine, mal das andere, nicht Schwarz und Weißtöne der Seele werden in der Regel sichtbar, sondern das verwaschene Grau. Und an jedermann selbst liegt es im Grund genommen, was er aus seinem Leben macht. Er kann sich aus freiem Willen für die eine oder andere Seite entscheiden. Gegen seinen Willen ist überhaupt nichts möglich, doch verstehen es die finsteren Kräfte aus der Welt Rha-Ta-N'mys ganz geschickt, menschliche Schwächen für sich nutzbar zu machen. So mag es den Anschein erwecken, dass viele in den Strudel der Ereignisse geraten, die sie im Prinzip gar nicht gewollt haben. Aber ihre Seele war in Wirklichkeit bereit, der Boden, auf den das Samenkorn fiel, war vorbereitet. Ich habe es am eigenen Leib verspürt. Manchmal verfluchte ich mein Geschick, das mich in die Gedankenwelt der anderen einführte. Ich war überzeugt davon, das gefährliche Terrain jederzeit wieder verlassen zu können. Aber wollte ich das eigentlich? Wahrscheinlich nicht. Und das ist der Grund weshalb ich jetzt an diesem Punkt angelangt bin, der die Entscheidung fordert: entweder Tod, oder ein neues Leben! Durch Rha-Ta-N'my, die die Macht dazu hat!«

Joe Octlan hörte die Worte, aber er begriff deren Sinn nur teilweise.

»Als ich mich für Rha-Ta-N'my entschloss, entschloss ich mich für ein Leben nach dem Tod. Die Dämonengöttin selbst lässt den Auserwählten wissen was sie für die Gabe erwartet. Ich kann mit meinem Körper nicht weiterleben, er ist zerstört. Mein Geist und meine Seele aber gingen hinüber in das Reich der Dämonen, das ich so oft geschaut habe, im Wachen wie im Träumen. Das war eine Möglichkeit. Die zweite: einen Körper zu übernehmen, der ebenfalls vorbereitet ist, der aber damit nichts anzufangen weiß. Auf dieser Welt gibt es viele, die noch wie Menschen aussehen, aber in Wirklichkeit keine sind. Diese Tarnung ist das Höchste, das wir in Molochos und Rha-Ta-N'mys Namen mitbringen. Ich hätte einen der vielen kleinen Helfershelfer nehmen können, die im Namen der Dämonengöttin und des Dämonenfürsten daran arbeiten, zu manipulieren, zu verändern und zu verführen. Aber warum eine Kraft abziehen, die irgendwann noch gebraucht wird? Durch den direkten Zugang, den ich zu Rha-Ta-N'mys Welt fand, durch die zahlreichen Gesichter, die Namen, die ich als die ihren erkannte, auch wenn sie scheinbar nicht direkt mit Rha-Ta-N'my zu tun hatten, stehe ich über den anderen. Ich kann einen anderen Körper übernehmen und meinen alten schwachen verlassen, der nicht mehr längst zu existieren in der Lage ist. Aber warum soll ich einen niederen Dämon oder einen Halbdämon benutzen, wenn es ein Opfer gibt, das vorbereitet ist, das seinen Sinn nicht in dem Maß erfüllt, das den Ruf nicht annimmt. Dieses Opfer sind Sie Octlan!«

Die Worte waren kaum noch zu verstehen. Die Stimme des alten Mannes war zu einem armseligen Flüstern herabgesunken.

Joe Octlan merkte, dass er zitterte. Ihm fehlten die Worte, um seine Gefühle zu bestimmen, um die Situation zu beschreiben, in die er geraten war.

Dies alles war ein grausames Spiel. Jemand benutzte ihn wie einen Ball.

Er war überzeugt davon, dass durch den Brief eine Art Hypnose auf ihn ausgeübt worden war. Hypnose musste es auch sein, dass er Tür und Fenster verschlossen sah. Aber in Wirklichkeit mussten sie offen sein. Ein Fenster musste sich doch einschlagen lassen!

Er wandte sich ruckartig ab. Das Ganze kam ihm wie ein Trauerspiel vor.

Er warf einen letzten Blick auf den Alten.

Dieser schwache Mann wollte ihn töten? Das, was er alles von sich gegeben hatte, zeigte intensiv genug, dass Octlan, einem Wahnsinnigen in die Hände gefallen war.

Er sah das Zucken, das in diesem Moment über das wächserne Gesicht des Todkranken lief. Die Augenlider zitterten. Ronald Martin bewegte die Lippen. Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber seine Kräfte reichten nicht mehr aus. Ein schmerzhafter Ausdruck zeigte sich auf seinem Gesicht.

Draußen tobte der Sturm. Das Heulen und Pfeifen schwoll zu einem Höhepunkt an, und die Wände der Hütte erbebten, als ein mächtiger Donnerschlag erklang. Die Scheiben klirrten, die Tür flog auf und knallte mit einem ohrenbetäubenden Schlag gegen die Wand ...

Der Weg nach draußen war frei!

Nichts wie raus aus diesem Tollhaus!

Joe Octlan warf sich herum und jagte dem Ausgang entgegen. Ein gewaltiger Windstoß traf ihn, warf ihn zurück und zu Boden.

Etwas legte sich wie eine kalte Hand auf seine Stirn.

Octlan erschauerte, und auf seinem Gesicht zeigte sich in der nämlichen Sekunde der gleiche Ausdruck wie auf dem Gesicht des Sterbenden!

»Es hat keinen Sinn zu fliehen!«, vernahm er die Stimme des alten Mannes. Die Worte kamen nicht von außerhalb, sie erklangen in ihm! »Ich will weiterleben, Octlan. Und Sie werden an meiner Stelle sterben!«

Joe Octlan wälzte sich am Boden, als kämpfe er gegen eine unsichtbare Macht. Er schlug um sich und fühlte, dass etwas nach ihm griff aber die Berührung war nicht körperlicher Art.

»Wir werden unsere Körper tauschen, das ist alles. Warum wehren Sie sich denn nur so verzweifelt? Wenn der Tod kommt, dann kann man ihm nicht entgehen, im Normalfall.«

Die Stimme erfüllte ihn bis in die letzte Faser des Seins. Er merkte, wie sich irgendetwas aus ihm löste, wie er schwebte und gleichzeitig einen ungeheuren Druck auszuhalten hatte, als ob Zentnergewichte auf seinem Körper lagerten.

Sein Blickfeld veränderte sich. Eben noch sah er die Regalwand vollgepfropft mit alten, modrig riechenden Büchern schräg von unten, jetzt sah er sie mit einem Mal direkt vor sich! Wie kam das zustande?

Ein Stöhnen entrann seinen Lippen, als er erkannte, dass er nicht mehr auf dem Boden lag und von dort aus Richtung Wand blickte, sondern sich auf dem Krankenlager des Alten befand!

Aber das war ja gar nicht sein Körper, der hier im Bett lag! Es war Ronald Martins schwacher, alter, ausgemergelter Körper, und Joe Octlan befand sich darin!

Er riss die Augen auf. Aber es bereitete ihm Mühe. Kraftlos lag er auf dem Bett und nahm aus matten Augen wahr, wie sich ein Mann vom Boden erhob.

Es war sein Körper, aber er war nicht mehr in diesem Leib zu Hause!

Grauen schnürte ihm die Kehle zu. Er hätte gern etwas gesagt, aber er merkte, wie ihn seine Kräfte verließen, wie sie einfach vergingen, als ob Sand durch Finger rinne.

»Der Tausch ist perfekt!«, vernahm er klar und kraftvoll seine eigene Stimme, und es kam ihm vor, als lausche er einer Bandaufnahme, die er besprochen hatte. »Die zweite Stufe meines Daseins im Dienst der göttlichen Rha-Ta-N'my, der zukünftigen Herrscherin des Universums, hat damit begonnen, Joe Octlan! Oder soll ich lieber sagen: Ronald Martin? Denn der bist du jetzt, und ich bin Joe Octlan. An diese Rolle werde ich mich sicher schnell gewöhnen. Dein Geist, Joe Octlan, stirbt mit meinem Körper. Du kannst ihn nicht aus dem Gefängnis herauslösen, in das ich ihn statt meiner versetzt habe. Dein Körper aber, lebt mit meinem Geist weiter. Ist das nicht wunderbar? Im deinem Körper Octlans wird mein Geist weiterexistieren und deine Arbeit fortführen. Joe Octlan wird seine Arbeit weiterführen. In zahllosen Filmen hat er Unheil und Gespenstisches gezeigt. Hat die Tore zum Reich des Grauens nur spaltweit geöffnet. Nun wird ein Joe Octlan kommen, der die Tore weit aufklappen lässt. Die Katastrophen, die in den Filmen nur gespielt waren, sie werden Wirklichkeit werden! Im Namen Rha-Ta-N'mys, die meine Herrin ist ...«

Die letzten Worte hörte der Sterbende schon nicht mehr. Sein Kopf fiel auf die Seite, seine Augen blickten starr. Ronald Martins Körper war tot, und mit ihm war der darin gefangene Geist des Regisseurs zugrunde gegangen.