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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Der Bus aus der Kreisstadt hielt gegenüber vom Hotel. An diesem Morgen hatte er nur einen einzigen Fahrgast an Bord. Ein junges Madel, noch keine zwanzig Jahre alt, stieg aus und schaute sich neugierig um. Die rechte Hand hielt den Griff eines kleinen, abgewetzten Koffers aus braunem Leder umklammert. Die schlanke Gestalt wirkte irgendwie verloren, als sie so alleine am Straßenrand stand, während der Bus schon wieder abfuhr. Das Madel trug eine dunkle Hose und flache Schuhe. Über dem Pulli hing eine Strickjacke. Angesichts der warmen Temperatur hatte die Reisende sich entschlossen, sie nicht anzuziehen. Nach rechts und links schauend überquerte sie die Straße und betrat den kleinen Bäckerladen auf der anderen Seite. »Grüß Gott«, sagte die Verkäuferin freundlich und sah die vermeintliche Kundin fragend an. »Was darf's denn sein, bitt' schön?« Lena zog einen Zettel aus ihrer Hosentasche. »Können S' mir bitt' schön sagen, wie ich von hier zum Inzingerhof komm'?« fragte sie. Liesl Reitler überlegte. »Du liebe Zeit, da bin ich wirklich überfragt. Wissen S', ich bin nämlich gar net von hier. Ich wohn' in der Stadt und komm' nur zweimal die Woche zur Aushilfe her. Aber ich frag' mal in der Backstube nach.«
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Seitenzahl: 107
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Der Bus aus der Kreisstadt hielt gegenüber vom Hotel. An diesem Morgen hatte er nur einen einzigen Fahrgast an Bord. Ein junges Madel, noch keine zwanzig Jahre alt, stieg aus und schaute sich neugierig um. Die rechte Hand hielt den Griff eines kleinen, abgewetzten Koffers aus braunem Leder umklammert. Die schlanke Gestalt wirkte irgendwie verloren, als sie so alleine am Straßenrand stand, während der Bus schon wieder abfuhr.
Das Madel trug eine dunkle Hose und flache Schuhe. Über dem Pulli hing eine Strickjacke. Angesichts der warmen Temperatur hatte die Reisende sich entschlossen, sie nicht anzuziehen.
Nach rechts und links schauend überquerte sie die Straße und betrat den kleinen Bäckerladen auf der anderen Seite.
»Grüß Gott«, sagte die Verkäuferin freundlich und sah die vermeintliche Kundin fragend an. »Was darf’s denn sein, bitt’ schön?«
Lena zog einen Zettel aus ihrer Hosentasche.
»Können S’ mir bitt’ schön sagen, wie ich von hier zum Inzingerhof komm’?« fragte sie.
Liesl Reitler überlegte.
»Du liebe Zeit, da bin ich wirklich überfragt. Wissen S’, ich bin nämlich gar net von hier. Ich wohn’ in der Stadt und komm’ nur zweimal die Woche zur Aushilfe her. Aber ich frag’ mal in der Backstube nach.«
Die Verkäuferin verschwand durch eine Tür hinter dem Tresen. Einen Moment war Lena alleine, dann klingelte die kleine Glocke über der Eingangstür, als diese geöffnet wurde.
Ein junger Polizeibeamter war eingetreten. Er lächelte freundlich, als er grüßte. Im selben Augenblick erschien auch Liesl Reitler wieder.
»Ach, Herr Trenker, gut, daß Sie da sind. Kennen S’ vielleicht den Weg zum Inzingerhof? Die junge Dame da möchte gern hin.«
»Zum Wolferl wollen S’? Freilich kann ich Ihnen sagen, wie S’ da hinkommen.«
Max schaute auf den Koffer in ihrer Hand.
»Sind S’ etwa zu Fuß?«
Lena nickte.
Der Polizist verzog das Gesicht.
»Da haben S’ aber einen schönen Marsch vor sich«, meinte er. »Eine gute Stunde müssen S’ schon rechnen.«
Lena holte tief Luft.
»So weit ist’s noch?«
Max Trenker lächelte wieder.
»Wissen S’ was? Die Frau Reitler gibt mir schnell zwei Brezeln, und dann fahr’ ich Sie hin«, schlug er vor.
Das Madel war von diesem Angebot überrascht und freute sich darüber.
Fünf Minuten später saßen sie in dem Streifenwagen und fuhren aus St. Johann hinaus.
»Ich will net neugierig sein«, meinte der Beamte. »Aber was wollen S’ denn dort? Eine Magd hat der Wolferl doch. Sind S’ vielleicht mit ihm verwandt?«
»Er ist mein Onkel«, antwortete das Madel. »Ich heiß’ Lena Marie Mühlbauer. Meine Mutter ist eine geborene Inzinger.«
Max sah sie von der Seite her an.
»Doch net etwa die Maria?«
»Das ist meine Mutter.«
»Ja, und da holt dich der Onkel net einmal vom Bus ab?« Max war ganz plötzlich zum Du übergegangen. So alt schien ihm das Madel noch net, als daß er es hätte siezen müssen.
»Er weiß gar net, daß ich komm’. Ich kenn’ ihn net einmal…«
Sie hatten das Dorf längst hinter sich gelassen und fuhren die Bergstraße hinauf, die von St. Johann zum Fuß des Koglers führte, wo der Bauernhof stand.
»Hm, da wird er ja ziemlich überrascht sein, der Wolferl. Wie geht’s denn der Maria?«
»Meine Mutter ist tot. Sie starb vor zehn Jahren.«
»Das tut mir leid«, sagte Max mitfühlend. »Und dein Vater? Weiß er überhaupt, daß du hier bist?«
Dem Polizeibeamten war plötzlich der Verdacht gekommen, das Madel könne von zu Hause ausgerissen sein.
»Mein Vater ist noch länger tot«, antwortete Lena. »Ich kenn’ ihn nur noch von Bildern.«
Max hielt es für besser zu schweigen und keine weiteren Fragen zu stellen. Er bedauerte das arme Madel, das in seinem jungen Leben offenbar schon viel Leid erfahren mußte.
»Gleich sind wir da«, sagte er nach einer Weile, als es nur noch wenige Minuten bis zum Inzingerhof waren.
»Würden S’ mich bitt’ schön gleich hier aussteigen lassen?« bat seine Begleiterin. »Ich möchte noch ein paar Schritte laufen.«
Max hielt an. Lena stieg aus und nahm dankbar ihren Koffer entgegen, den der freundliche Polizist ihr von der Rückbank reichte.
»Alles Gute«, rief er noch, dann wendete er den Streifenwagen und fuhr zurück.
Das Madel stand einen Moment unschlüssig und schaute sich um. Rechts und links ging es noch höher hinauf, weit oben schien der Gipfel des Koglers im Himmel zu verschwinden.
»Wenn du mir jetzt zuschaust, Mama, dann drück’ mir die Daumen«, sagte Lena Marie Mühlbauer leise und nahm den Koffer auf.
Dann ging sie weiter, bis sie den Hof ihres Onkels erreichte. Ihr Herz klopfte vor Aufregung, und ihr Mund war ganz trocken, als sie das alte Bauernhaus vor sich sah. Eben ging ein älterer Mann über den Hof und verschwand in der Scheune.
Ob er das war?
Lena schaute sich um. So hatte sie sich ihn immer vorgestellt, den Bauernhof, auf dem ihre Mutter geboren und aufgewachsen war. Es war alles da, das Haus, die Scheune und Ställe, ein Gatter, hinter dem sich Schweine tummelten und drüben, auf der Weide, standen Kühe und dösten in der Sonne.
»Ob da wohl auch ein Platz für mich ist?« fragte sie sich in Gedanken und schritt langsam weiter. Der Mann, von dem sie annahm, daß es ihr Onkel sei, war in die Scheune gegangen. Lena stellte den Koffer vor dem gro-ßen Tor ab und trat ein. Es roch nach Heu und Maschinen. Irgendwo in einer Ecke hantierte jemand. Langsam ging Lena weiter. Und dann sah sie ihn.
Über ein landwirtschaftliches Gerät gebeugt, hämmerte der Mann auf ein Eisenteil ein. Schwer atmend legte er schließlich den Hammer weg und drehte sich um. Überrascht schaute er auf das junge Madel.
»Ja? Bitt’ schön?« fragte er.
*
Im Pfarrhaus konnte Max Trenker an diesem Mittag mit einer kleinen Sensation aufwarten. Pünktlich zur Essenszeit saß er in der Küche, wo die Woche über gegessen wurde.
»Du glaubst net, wer heut’ in Sankt Johann angekommen ist«, sagte er zu seinem Bruder.
Sebastian blickte ihn fragend an.
»Du wirst es mir bestimmt gleich erzählen.«
»Lena Marie Mühlbauer.«
»Ach! Und wer ist die Dame? Eine von deinen Verflossenen, die ich noch net kenn’?«
Der Geistliche spielte damit auf Max’ früheren Ruf als Herzensbrecher an. Der fesche Polizist, der immer dabei war, wenn es irgendwo eine Gaudi gab, war allerdings seit ein paar Monaten in festen Händen. Seit er die Bekanntschaft einer attraktiven Journalistin gemacht hatte, schaute er keine anderen Madeln mehr an.
Max überging die Bemer-
kung seines Bruders und schaute den Bergpfarrer triumphierend an.
»Lena Marie Mühlbauer ist die Nichte vom Inzinger-Wolfgang.«
Jetzt war Sebastian wirklich erstaunt.
»Was, etwa die Tochter von der Maria?«
»Genau die.«
Während seine Haushälterin das Essen auftrug, lehnte sich der Geistliche zurück.
»Wie lang’ ist die Geschichte denn schon her?« sinnierte er laut.
Er sah den Bruder an.
»Ist sie allein gekommen? Ohne Maria?«
»Maria ist vor zehn Jahren gestorben«, erklärte Max. »Der Vater soll schon länger tot sein. Das Madel sagt, es kenne ihn nur noch von Bildern.«
Er bediente sich aus den Schüsseln. Sophie Tappert hatte heute herzhafte Krautwickel auf den Tisch gebracht. In der Sauce schwammen noch kleine Stük-
ke von dem durchwachsenen Speck, mit dem sie den gefüllten Kohl angebraten hatte.
»Die Kleine scheint bisher net viel Glück in ihrem Leben gehabt zu haben«, fuhr Max Trenker fort. »Das, was sie am Leib trägt, ist wahrscheinlich so ziemlich alles, was sie besitzt. Der Koffer ist so klein, da passen keine Reichtümer hinein.«
»Das war eine sehr schlimme Geschichte damals«, meinte Sebastian. »Wenn ich mich erinner’, dann ist die Maria bei Nacht und Nebel fortgelaufen. Allerdings weiß niemand, worum es da eigentlich gegangen ist. So recht hat der Wolfgang nie mit der Sprache herausrücken wollen.«
Sein Bruder bediente sich ein zweites Mal. Wer den gertenschlanken Polizisten nicht kannte, wunderte sich, welche Mengen er verdrücken konnte, ohne auch nur ein Gramm überflüssiges Fett anzusetzen.
»Die Wickel sind wieder mal köstlich«, lobte er die Kochkünste der Haushälterin.
Max’ Dienstwohnung lag über dem Polizeirevier, zum Essen kam er jedoch immer ins Pfarrhaus hinüber. Sebastian glaubte, daß sein Bruder nur deshalb noch nicht in den Hafen der Ehe eingelaufen war, weil er nicht auf das gute Essen verzichten wollte, das Sophie Tappert immer wieder zauberte.
»Da wird der Wolfgang aber schön geschaut haben, als das Madel so plötzlich vor ihm stand«, vermutete der Bergpfarrer. »Hoffen wir nur, daß es gutgeht mit den beiden.«
Max Trenker schmunzelte.
»Ach, wenn net, dann wirst’ dich doch sicher der Sache annehmen«, meinte er augenzwinkernd.
»Natürlich werd’ ich das«, antwortete Sebastian. »Vielleicht kommt jetzt ein bissel Licht in das Dunkel, und der Wolfgang spricht endlich darüber, was damals eigentlich geschehen ist.«
Zum Nachtisch gab es einen Obstsalat mit gehackten Nüs-
sen und Schlagsahne. Natürlich nahm Max eine doppelte Por-tion. Er verabschiedete sich nach dem Essen und ging wieder zum Revier hinüber.
Sebastian trank noch in Ruhe einen Kaffee und dachte darüber nach, was diese Neuigkeit, die sein Bruder mitgebracht hatte, wohl bedeutete.
Auf jeden Fall wollte er in den nächsten Tagen dem Inzingerhof einen Besuch abstatten und das neue Mitgleid der Pfarrgemeinde begrüßen.
Er ging zumindest davon aus, daß Lena Marie Mühlbauer auf dem Hof ihres Onkels bleiben würde. Daß das Schicksal mitunter allerdings auch die Fäden anders sponn, wußte indes niemand so gut wie Sebastian Trenker selbst. Zu viele menschliche Schicksale waren ihm im Laufe der Jahre, seit er Seelsorger war, schon begegnet, und so manches Mal hatte der Bergpfarrer eingreifen müssen.
Am frühen Nachmittag verließ Sebastian das Pfarrhaus und fuhr nach Waldeck hinüber. Im dortigen Altenheim fand jeden Mittwoch ein bunter Nachmittag statt, an dem er immer teilnahm. Die Senioren freuten sich über sein Kommen, und zu klassischer Musik gab es Kaffee und Kuchen, oder irgend jemand trug kleine Gedichte vor und es wurde gesungen. Wer wollte, konnte natürlich die Beichte ablegen.
Der Besuch dort war eine liebgewordene Pflicht, der Sebastian gern nachkam.
*
»Grüß Gott«, sagte das Madel schüchtern zu dem Bauern. »Mein Name ist Lena Marie Mühlbauer.«
Wolfgang Inzinger sah sie interessiert an.
»Ja, und was kann ich für dich tun?«
»Ich… ich bin gekommen…, weil…«
Ihr Onkel sah sie von oben bis unten an. Irgendwie kam ihm das Gesicht bekannt vor, aber er wußte beim besten Willen nicht woher.
»Kennen wir uns?« fragte er.
»Ich bin deine Nichte«, sagte sie.
Der Bauer riß überrascht die Augen auf.
»Was bist’?«
»Deine Nichte, Onkel Wolfgang. Die Maria ist meine Mutter.«
Unwillkürlich griff sich Wolfgang Inzinger an die Brust, als ihm ein glühendheißer Blut-strom zum Herzen schoß. Für einen Moment schloß er die Augen. Dann öffnete er sie wieder.
»Ist… ist das wirklich wahr?« fragte er ungläubig.
Dabei wußte er die Antwort schon selber. Die Ähnlichkeit mit seiner Schwester war wirklich frappierend. Warum nur war sie ihm nicht gleich aufgefallen?
»So, die Tochter von der Maria bist’«, sagte er auf ihr Kopfnicken hin. »Wie geht’s denn meiner Schwester?«
»Mama ist tot.«
Wolfgang schluckte.
»Wo… woher kommst’ denn jetzt?«
»Aus dem Heim in Regensburg«, antwortete seine Nichte. »Da war ich seit Mamas Tod. Jetzt bin ich volljährig, und weil ich net gewußt hab’, wohin ich soll, da hab’ ich gedacht, ich könnt’ zu dir…«
»Und dein Vater? Lebt der auch net mehr?«
Das Madel schüttelte den Kopf.
In Wolfgangs Gehirn wirbelten die Gedanken durcheinander. Er wußte gar nicht, was er in diesen Sekunden alles dachte.
»Na, dann komm mal mit«, sagte er schließlich und deutete mit dem Kopf zum Scheunentor. »Wir geh’n erst einmal hinein. Du hast doch bestimmt Hunger. Die Resl, das ist die Magd, wird das Essen bald fertig haben.«
Lena nahm ihren Koffer auf.
»Ist das alles, was d’ hast?«
»Ja. Ein paar Sachen zum Anziehen, die Papiere aus dem Heim und einige persönliche Dinge. Fotos von Mama und Pa-pa, meine Geburtsurkunde.«
Sie betraten die Diele des Bauernhauses. In der Mitte stand ein großer Tisch, ringsum Stühle, ein alter Schrank an der Wand, über dem Treppenaufgang tickte eine Uhr. Zwischen Schrank und Wäschetruhe hingen Bilder, gemalte und fotografierte.
»Das sind deine Großeltern«, deutete der Bauer auf einen Rahmen, in dem das Foto eines Silberpaares steckte.
Er öffnete eine Tür.
»Hier geht’s in die Küche.«
Lena folgte ihm. Am Herd stand eine Frau und rührte in einem Suppentopf.
»Das Essen ist fertig«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
Sie hatte wohl nur den Bauern hereinkommen hören.
»Wir haben heut’ einen Esser mehr am Tisch«, erklärte Wolfgang Inzinger.
Die Magd drehte sich überrascht um. Ein freundliches Lächeln glitt über ihre Lippen, als sie das Madel betrachtete.
»Ja, wen haben wir denn da?« fragte Theresa Mooser.
»Das ist die Lena, meine Nichte.«
»Ach, überraschender Besuch.«
Die Magd reichte ihr die Hand.
»Ich bin die Resl. Schön, daß du da bist. Komm’, hock’ dich gleich an den Tisch.«
Es standen schon drei tiefe Teller dort.