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"Was willst Du eigentlich wirklich?" Diese Frage stellen sich unsere Männer immer noch zu wenig. Eingezwängt in private, gesellschaftliche und politische Vorgaben, sollen sie ihren Mann stehen, aber weiblich handeln. Agieren sie männlich, werden sie in eine Schublade gesteckt. Handeln sie weiblich, sind sie keine Männer mehr. Der Mann steht zwischen diesen Ansprüchen und vergisst allzu häufig, was er selber will. Dieses Buch versucht zu beleuchten, wie dieses Missverhältnis entstanden ist und welchen Ausweg es geben kann.
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Seitenzahl: 96
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Wo sich Staub ansammelt, ist wenigstens Frieden (Genazino 2016)
Ich bin ein Mann.
Ich habe Gefühle.
Ich bin stark.
Ich sorge für meine Familie.
Ich funktioniere als Eiche im Unwetter.
Ich will auch mal ängstlich sein und weinen dürfen.
Ich will auch mal meine Gedanken für mich haben.
Ich will meine Stille behalten.
Hinführung zum Thema
Veränderung beginnt mit der Entscheidung
Mein Stille-Experiment
Was ist Ruhe?
Meine Definitionen von Stille
Mit Stift und Papier
Die Geschwindigkeit der Zeit
Was bedeutet die Stille für den Mann?
Blockaden
Der Mann in der vorindustriellen Zeit
Der Mann nach der industriellen Revolution
Konsequenzen aus der Geschichte
Die Unruhe des Mannes heute
Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung
Angst
Rückzug zu sich – aber wohin?
Hinführung zur Stille
Meine Höhle für den Rückzug
Stille spüren
Die Verbindung zwischen Stille und Gefühl
Du trägst es in dir – dein inneres Kind treffen
Die Sprache des inneren Kindes erkennen
Gespräche mit dem Kind
Die innere Ruhe finden. Was gewinnen wir?
Das Kind am Beispiel der Trauer
Zusammenleben mit dem inneren Kind und einer Beziehung
Fazit
…und meine Handschrift?
Übung zur Ruhe
Literatur
Die Medien berichten nur zu gern von herausragenden Persönlichkeiten. Eher selten schreiben sie über unbedeutende Menschen wie den Angestellten von nebenan. Oft wird er auf eine Zahl in einer Statistik reduziert. Dort taucht er als Kostenfaktor oder Beitragszahler für eine Krankenkasse auf. Dass er eine eigene Identität hat und in seinem privaten Umfeld auch eine geachtete Persönlichkeit ist, darüber sprechen die Medien nicht. Es scheint für die Gesellschaft uninteressant zu sein. Aber diese Menschen sind die Bevölkerung, die menschliche Masse der Bundesbürger. Sie sind diejenigen, die die eigentliche Arbeit leisten: Pfleger in Krankenhäusern, Arbeiter im Stahlbereich, im Häuserbau, am Band der Autobauer, als Polizisten, LKW-Fahrer oder Landwirte, als Beamte in den Verwaltungen der Kommunen oder in den Restaurants der Republik.
Die sogenannten VIPs, die meisten davon nur auf Zeit, sind wie Lichter am Himmel, die schnell verglühen. Oft werden sie nach der Zeit der Berühmtheit wieder zu „Normalos“. Nur wenige bleiben Prominente, schaffen es dauerhaft, in den Medien präsent zu bleiben. Die „Normalos“ können sich deren Eskapaden anschauen oder an ihren Dienstleistungen erfreuen, aber ihre Realität ist das nicht. Viele wünschen sich vielleicht, auch so zu sein. Aber in Wirklichkeit führen die meisten Menschen ein einfacheres Leben, weit weg von Kameras, Illustrierten und Werbung. Das ist kein Eingeständnis einer Niederlage, sondern die Spiegelung unseres Lebens. Und es ist gut so.
Ich schreibe das Buch vor allem für „normale“ Männer, aber auch für die Frauen dieser Männer. Meist sind es die Frauen, die Gedankenimpulse zu Hause setzen, weil sie in aller Regel mehr mit ihren Emotionen in der Familie sind, als dies bei den Männern der Fall ist. Auch bei meinen Veranstaltungen zum Thema „Männertrauer“ sitzen überwiegend Frauen im Publikum.
Beim Thema Männertrauer lag der Anteil von Männern, die meine Veranstaltungen zum Thema Sterben, Tod und Trauer besuchen, in den Jahren 2011 bis 2017 bei ca. 5% (ca. 5100 Besucher).
Frauen wollen mehr über ihre Männer erfahren. Sie geben sich nicht damit zufrieden, so wie es zu Hause ist. Eine Beziehung zweier Menschen ist nie fertig. Ständig entwickelt sie sich weiter, kommen neue Bedingungen und Faktoren hinzu, tauchen Ideen auf und wird klar, was gut ist und was nicht. Ergänzend zum hier vorgestellten Thema empfiehlt es sich, Eckart Hammer (2014): „Männer altern anders“ zu lesen. Das Leben ist ein großer Fluss und wir können entscheiden, wie wir im Strom schwimmen wollen. Uns allen gemeinsam ist, dass wir irgendwann an sein Ende kommen. Aber den Weg dorthin können wir beeinflussen.
Mein Buch richtet sich letztlich an beide Geschlechter. Mir geht es darum, dass der Mann es schafft, sich aus seinem Hamsterrad zu befreien, dass mehr Ruhe in sein Leben einkehrt und er dadurch gesünder und entspannter leben kann, nicht irgendwann ausbrennt, weil die beruflichen Bedingungen ihn in den Burnout oder in die Depression treiben. Das Herausnehmen aus dem Rad, hinein in die Ruhe, die er erfährt, führen dann dazu, dass man(n) sortierter und klarer Dinge betrachten und entscheiden kann.
Die Veränderung beginnt mit der Entscheidung.
Dieses Etwas-verändern-Wollen hat etwas damit zu tun, die Verantwortung für sich zu übernehmen. Vielleicht haben Sie gerade deshalb dieses Buch gekauft. Die Verantwortung für den eigenen Weg kann man auf Niemandem übertragen. Dafür sind wir immer selbst verantwortlich, heute, damals und auch in Zukunft.
Jahrelang habe ich nur in Druckbuchstaben geschrieben, oft nutzte ich die Tastatur meines Computers. Druckbuchstaben erschienen mir erwachsener. Ich wollte kein kleiner Junge mehr sein. Schreibschrift ist etwas für Kinder. Jetzt suche ich mit Hilfe meiner vergessenen Schrift dieses Gefühl aus der Jugend: Eine Zeit, in der es kaum Verpflichtungen gab. In der wir hinausgingen und einfach spielten oder die Wälder durchstreiften, in der wir in der Grundschule Unterricht bei Herrn Möller hatten, diesem blassen, weichen Lehrer, der von seinen Schülern nicht ernst genommen wurde, weil er nur „Schönschrift“ unterrichtete. In seinen Stunden saßen wir mit der Schiefertafel und weißen Kreidestiften und malten Buchstaben. Daran erinnere ich mich jetzt.
Ich möchte anders schreiben, als ich es bei meinen bisherigen Büchern getan habe. Dafür verabschiede ich mich vorübergehen von den Druckbuchstaben. Ich beginne dieses Experiment in meinem Hochsitz in meinem Garten. Ein Buch zur Stille soll es werden. Ein Buch zu dem, was ich in mir höre. Dafür verzichte ich im ersten Arbeitsprozess auf die Druckbuchstaben und technische Geräte. Ich schreibe mit der Hand. – Meine Hand schmerzt schon nach diesen wenigen Worten. Sie ist diese Form des Schreibens nicht mehr gewöhnt.
Ich betrachte das Ergebnis: Meine Schrift hat sich verändert. Sie wirkt nicht mehr so klar und sicher. Sie kommt mir zittriger, unsicherer vor. Wenn ich das Geschriebene lese, muss ich den ganzen Satz lesen, um ihn zu verstehen. Meine Schrift ist unleserlich geworden. Einzelne Wörter wirken wie moderne Kunst. Schwünge und Bögen verschwimmen zu eckigen, hölzernen Hieroglyphen. Ist dieses Schriftbild ein Synonym für mein „Drumherumreden“, das Nicht-mehr-klar-benennen-Wollen? Fehlt mir Ruhe und Zeit zum Gestalten der Buchstaben und Wörter?
Meine Hand ist eigentümlich steif, als ob sie sich gegen diese Schreibweise sperren würde. Ich deute es so: Der Erwachsene hat Angst davor, wieder Kind zu sein. Was sollen denn die Leute denken! Ich erinnere mich an Georg, meinen Nachbarsfreund von der anderen Straßenseite, der immer eine so tolle Schreibschrift hatte. Eine Schrift wie gemalt. So wie er schrieb, war er auch, strukturiert, klar in seinen Äußerungen. Wenn er schrieb, hatte das etwas Meditatives. Man wurde ruhig dabei, nur beim Zusehen. Ich konnte das nie.
Ich werde mich für dieses Projekt disziplinieren müssen, damit ich es durchhalten kann und vielleicht wird am Ende meine Handschrift besser lesbar sein. Immerhin liegen jetzt die Jahrzehnte der Druckbuchstaben hinter mir. Ob es etwas in mir verändert? Jetzt stehe ich am Anfang meines Projektes und versuche nicht schon das Ende vorauszuplanen.
Aber immer wieder erwische ich mich dabei, es zu wollen. Dabei wäre doch das Hier und Jetzt viel wichtiger. Eine Bekannte sagte mir: „Denk nicht so weit voraus, dann sind wir schon alle tot.“ Und irgendwie hat sie Recht damit. Wir können nicht in die Zukunft sehen.
Nun beginne ich also im Hier und Jetzt mit einem Stift und Papier. Mein Schreib-Arbeitszimmer ist ein Hochsitz, den mir meine Freundin und die Kinder gebaut haben. Ein Raum im Ausmaß von 1,5 m x 1,5 m. Das Zimmer steht auf vier Pfählen 1,5 m über dem Erdboden. Es hat vier Fenster, zwei seitlich und zwei frontal, und eine Tür. Das sind die offiziellen Öffnungen dieses Zimmers. Daneben gibt es unendlich viele weitere inoffizielle kleine Öffnungen im Holz. Es zieht von überall herein.
Im Innern gibt es einen kleinen Tisch, einen Gartenstuhl mit Decke und Polsterauflage gegen die Zugluft und ein kleines Regal. Und weil es von überall her zieht und sich dadurch der Staub der Umgebung hier trifft, hängt noch ein Besen an der Wand, damit ich den Staub wieder heraus fegen kann. Das Dach des Arbeitszimmers weist eine kleine Schräge nach vorne auf, damit das Wasser ablaufen kann. Von außen ist das Häuschen dunkel braun angestrichen worden. Den Anstrich haben die Kinder und ich übernommen. Das Zimmer leuchtete durch sein helles Holz in der Landschaft und fiel auf. Das wollte ich nicht. Nun ist es Dunkelbraun, unauffällig und wärmt sich schneller auf als ein helles. Ich möchte es mir beim Schreiben gemütlich machen, mich ein wenig selbst verwöhnen. Klingt komisch, wenn ein Mann das sagt, tut aber gut.
Ich hasse Streichen und ich hasse Bauen. Das ist eher männeruntypisch. Aber diese Rolle übernimmt meine Freundin gern! Dafür bin ich ihr sehr dankbar.
Mein Blick aus meinem Hochsitz geht über Wiesen und Felder in Richtung Bunde, ein kleines Städtchen im Rheiderland in Ostfriesland. Es sind ungefähr sechs Kilometer Luftlinie. Dazwischen unbebaute Wiesen, viel Wasser, Vögel, Kühe, Rehe und im Winter tausende Wildgänse, die hier die kalte Jahreszeit verbringen und grasen. Ab und an fährt ein Bauer mit seinem Traktor über die Wiesen, um Heu für seine Kühe im Stall zu mähen. Ansonsten Stille, Wind, Regen, Sonne und ich, der vor allem die Stille hören will, das Nichts in der Landschaft und in mir. Mein Ziel ist es ruhiger zu werden, ausgeglichen sagen die anderen und meinen damit, dass ich das schon wäre. Ich habe von mir allerdings einen anderen Eindruck, dem will ich jetzt nachgehen. Es gibt für mich einen anvisierten Punkt der heiteren Entspannung. Den will ich erreichen.
Begonnen hat alles am 8.9.16. Ich war es satt meine Musik zu hören, die ich schon hunderte Male hörte. Ich suchte Stille und fand Lärm. Mir war alles zu laut. Dabei fiel mir auf, dass es schwierig ist nichts zu hören oder sagen wir es anders, dass es schwierig ist, die Stille auszuhalten.
Nun sitze ich hier und beginne in diese Ruhe hinein zu schreiben, in Schreibschrift mit krakeligen Buchstaben. Alles dauert so lange. Das Tippen auf der Tastatur des Computers ist doch um einiges schneller und vor allem viel leserlicher. – Meine Güte, was habe ich für eine Sauklaue und wie wenig Geduld habe ich mit mir.
Ist das die Abwesenheit von Tönen und Geräuschen? Oder ist Ruhe viel mehr?
Ich versuche auf meinem Exilsitz Ruhe zu finden und höre Lärm. Unser Hund bellt, mein Sohn ruft nach mir, die Nachbarn feiern ein Gartenfest. Alles ist so laut. Ich kann keine Ruhe finden. Doch was suche ich eigentlich? Ist es die Abwesenheit von Lärm? Ich hole mir meine Schallschutzkopfhörer. Ich will mich vor dem Lärm schützen.
Nächster Versuch: Mit Kopfhörern auf den Ohren, will ich nochmal in die Ruhe eintauchen und merke, dass sie für mich etwas mit Natur zu tun hat. Die habe ich jetzt aber verbannt. Ich höre nur den eigenen Puls. Das ist mir zu wenig.