Marcella, die schöne Verführerin - Patricia Vandenberg - E-Book

Marcella, die schöne Verführerin E-Book

Patricia Vandenberg

0,0

Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. In einem zauberhaften Abendkleid aus taubenblauem Chiffon drehte sich Fee Norden vor dem Spiegel. Sie konnte mit ihrem Aussehen zufrieden sein, aber Fee war sehr kritisch, wenn sie einmal wieder nach langer Zeit mit ihrem Mann in die Oper gehen konnte. »Mami is aber schön«, staunte der kleine Danny, der seine attraktive Mutter zum ersten Mal in seinem jungen Leben in einem so schönen Abendkleid sah. »Wunderschön«, sagte auch Daniel bewundernd. »Ihr Schmeichler«, lächelte Fee. Danny hatte zuerst geschmollt, als Fee ihm erzählte, dass sie an diesem Abend mit dem Papi in die Oper gehen würde. Was Oper war, verstand er ohnehin nicht, aber seine Mami in diesem wunderschönen Kleid und sein Papi im Smoking beeindruckten ihn tief. Also musste die Oper etwas besonders Interessantes sein. Für Fee und Daniel Norden war es in zweierlei Hinsicht ein besonderes Ereignis. Einmal deshalb, weil sie schon ein ganzes Jahr nicht mehr zu einem solchen Genuss gekommen waren, sondern sich immer mit Schallplatten begnügen mussten, zum andern, weil Holger Brandström, der große Star dieses Opernabends, ihnen die Karten geschickt hatte. Daniel hatte ihn vor zwei Jahren erfolgreich behandelt, als er an einer schweren Erkältung litt und fürchtete, ein für ihn sehr wichtiges Gastspiel absagen zu müssen, das dann ein Riesenerfolg geworden war. Holger Brandström hatte nicht vergessen, was Daniel für ihn getan hatte. Mit einem liebenswürdigen Handschreiben und einem entzückenden Blumengesteck für Fee hatte er die Karten geschickt. Fee hatte sich dann gleich das Abendkleid gekauft und gebangt, dass bei Daniel mal wieder etwas dazwischenkommen könnte. Aber diese Sorge war ausnahmsweise überflüssig gewesen. Der vielbeschäftigte Dr. Norden freute sich jetzt auch auf den bevorstehenden Genuss.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 149

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dr. Norden Aktuell – 9 –

Marcella, die schöne Verführerin

Patricia Vandenberg

In einem zauberhaften Abendkleid aus taubenblauem Chiffon drehte sich Fee Norden vor dem Spiegel. Sie konnte mit ihrem Aussehen zufrieden sein, aber Fee war sehr kritisch, wenn sie einmal wieder nach langer Zeit mit ihrem Mann in die Oper gehen konnte.

»Mami is aber schön«, staunte der kleine Danny, der seine attraktive Mutter zum ersten Mal in seinem jungen Leben in einem so schönen Abendkleid sah.

»Wunderschön«, sagte auch Daniel bewundernd.

»Ihr Schmeichler«, lächelte Fee.

Danny hatte zuerst geschmollt, als Fee ihm erzählte, dass sie an diesem Abend mit dem Papi in die Oper gehen würde. Was Oper war, verstand er ohnehin nicht, aber seine Mami in diesem wunderschönen Kleid und sein Papi im Smoking beeindruckten ihn tief. Also musste die Oper etwas besonders Interessantes sein.

Für Fee und Daniel Norden war es in zweierlei Hinsicht ein besonderes Ereignis. Einmal deshalb, weil sie schon ein ganzes Jahr nicht mehr zu einem solchen Genuss gekommen waren, sondern sich immer mit Schallplatten begnügen mussten, zum andern, weil Holger Brandström, der große Star dieses Opernabends, ihnen die Karten geschickt hatte.

Daniel hatte ihn vor zwei Jahren erfolgreich behandelt, als er an einer schweren Erkältung litt und fürchtete, ein für ihn sehr wichtiges Gastspiel absagen zu müssen, das dann ein Riesenerfolg geworden war. Holger Brandström hatte nicht vergessen, was Daniel für ihn getan hatte.

Mit einem liebenswürdigen Handschreiben und einem entzückenden Blumengesteck für Fee hatte er die Karten geschickt. Fee hatte sich dann gleich das Abendkleid gekauft und gebangt, dass bei Daniel mal wieder etwas dazwischenkommen könnte. Aber diese Sorge war ausnahmsweise überflüssig gewesen.

Der vielbeschäftigte Dr. Norden freute sich jetzt auch auf den bevorstehenden Genuss.

»La Boheme« war eine Oper nach seinem Geschmack, und voller Spannung war er auch, wie Holger Brandström die Rolle des Rudolf interpretieren würde.

»Jetzt müssen wir aber starten«, sagte Daniel zu Fee. »Es wird viel Verkehr sein.«

»Schau bitte noch mal nach, ob der Verschluss von der Kette richtig zu ist«, bat sie.

Es war eine sehr wertvolle Kette aus schimmernden rosa Perlen. Ein Erbstück von Daniels Mutter. Selten genug hatte Fee Gelegenheit, sie zu tragen. Sie war auch immer schrecklich in Sorge, sie verlieren zu können.

Aber der Verschluss konnte nicht so leicht aufgehen. Daniel legte seiner Frau das Hermelincape um die schönen Schultern, sein Weihnachtsgeschenk für Fee, und das kostbarste, das er ihr bisher gemacht hatte.

Auch Lenni war voller Bewunderung. Sie hatte Danny, der nun doch weinerlich den Mund verzog, auf den Arm genommen. Fee Norden war wirklich eine hinreißend schöne Frau, schön vor allem deshalb, weil sie so natürlich und voller Anmut war, und weil sie sich noch von Herzen freuen konnte.

Danny bekam noch einen Kuss, Lenni einen lieben Blick, dann raffte Fee ihr Kleid zusammen, damit sie nicht darüber stolperte, so ungewohnt war es für sie, ein langes Kleid zu tragen. Es dauerte auch ein bisschen, bis sie sich richtig hingesetzt hatte.

Daniel lachte. »Wenn es knautscht, bringst du es zurück.«

»Worauf du dich verlassen kannst. Teuer genug war es.«

»Lass es dich nicht reuen, Liebes«, meinte er, »du siehst zauberhaft aus, und außerdem bist du sowieso eine sehr sparsame Frau.«

Verschwenderisch war Fee wirklich nicht, und das war auch das erste teure Kleid, das sie sich seit der Geburt des kleinen Felix gekauft hatte, der Lenni jetzt zu schaffen machte.

Er merkte, dass seine Mami nicht da war, und der sonst so brave Kleine schrie wie am Spieß.

»Na so was«, sagte Danny, »willst du wohl still sein? Kann Mami nicht mal mit Papi ausgehen?«

Er fühlte sich als der Große, der Überlegene, und der Kleine sah ihn staunend und verstummend an.

Gut, dass Fee es nicht mehr mitbekommen hatte, wie Felix weinte. Oper hin, Oper her, sie wäre doch wieder weich geworden und geblieben, obgleich Lenni wahrhaftig zuverlässig war.

»Werd’ ich Mami morgen aber sagen, dass Flick auf den großen Danny hört«, sagte Danny stolz.

»Sag lieber nichts«, meinte Lenni. »Sie gehen ja so selten aus.« Ganz träumerisch war ihr Blick noch immer. Ein so schönes Paar gab es ihrer Ansicht nach weit und breit nicht, und so liebe Menschen dazu. Lenni war unsagbar glücklich, hier eine neue Heimat gefunden zu haben. Felix schlief wieder ein. Danny war sehr brav und sang sich selbst in den Schlaf.

Indessen betraten Daniel und Fee Norden das Opernhaus, und auch hier folgten ihnen bewundernde Blicke, denn ein so attraktives Paar sah man wahrhaftig selten.

Obwohl sie sich so selten in der Öffentlichkeit zeigten, wurden sie jedoch auch hier erkannt.

»Hallo, Dr. Norden«, sagte eine tiefe Männerstimme. Fee vernahm, wie Daniel seufzte. Robert Werland, ein bekannter Regisseur, stand vor ihnen.

Er war ein interessanter Mann, nahe der Fünfzig, mit tiefgebräuntem Gesicht und eisgrauem Haar. Er verschlang Fee mit seinen dunklen dämonischen Augen, und das gefiel Daniel nun gar nicht.

»Nett, dass wir uns mal wieder sehen«, sagte Robert Werland. »Ich bin gerade aus Afrika zurück.«

Daniel fand ihn geschwätzig, andere fanden ihn charmant. Loswerden konnten sie ihn nicht so schnell.

Aber manches, was er da temperamentvoll erzählte, war nicht uninteressant. Zum Beispiel, dass er morgen Trauzeuge bei Holger Brandström und Marcella Massimo sein würde.

Dann aber wurde er abgelenkt. »Oh, da ist sie ja«, rief er aus und eilte auf eine extravagante schwarzhaarige Frau zu!

»Machen wir uns aus dem Staub«, raunte Daniel seiner Frau zu, aber so leicht konnte man einem Robert Werland nicht entkommen, und Marcella Massimo zeigte sich entzückt, Dr. Norden und Fee kennenzulernen.

So ganz entzückt schien Marcella von Fee jedoch nicht zu sein. Ihre grünen Nixenaugen flimmerten, als sie die bezaubernde Fee musterte, doch Daniel betrachtete sie wohlwollend und mit einem lockenden Lächeln. Zu einer Unterhaltung war keine Zeit mehr. Es läutete.

»Gott sei Dank«, flüsterte Daniel. »Die ist ja männermordend.«

Fee warf ihm einen schrägen Blick zu. »Und wenn Blicke vernichten könnten, wäre ich jetzt verschwunden«, sagte sie.

Sie war nicht eitel, aber sie hatte sehr rasch begriffen, dass Marcella zu jenen gehörte, denen es nicht gefiel, wenn andere Frauen mit ihr konkurrieren konnten.

»Sie passt überhaupt nicht zu Brandström«, sagte Daniel nachdenklich, als sie auf ihren Plätzen angelangt waren. »Wie mag er nur an sie geraten sein?«

»Seine Sache«, sagte Fee. »Die Plätze sind sehr gut.« Sie hatte überhaupt nichts übrig für Frauen, die ihre Haut so zu Markte trugen.

Marcella und Werland hatten in einer Loge Platz genommen, für fast jeden sichtbar. Sie tuschelten miteinander, Marcella lachte. Man konnte es hören.

»Sehr fein ist sie auch nicht gerade«, spottete Daniel.

Die Lichter gingen aus, der Vorhang hob sich, sie wurden von den Tönen der Musik eingefangen, die von einem Orchester gespielt wurde, das sich in bester Form befand.

Beide liebten sie Musik, und sie dachten nicht an Marcella. Sie lauschten dann der schönen, sehr geschulten Stimme Holger Brandströms, doch da sie beide ein sehr feines Gehör hatten, bemerkten sie manche Unsicherheit und sahen sich mehrmals verwundert an.

Der erste Akt war zu Ende, der Beifall war groß, aber hinter Daniel und Fee war ein Raunen.

»Ich habe ihn schon besser gehört«, sagte jemand.

»Vielleicht ist er mit seinen Gedanken schon in den Flitterwochen«, sagte eine andere Stimme. »Schau nur, was Marcella wieder für eine Schau abreißt.«

Wieder sahen sich Fee und Daniel an. »Ich dachte, wir wären vielleicht zu kritisch«, sagte Fee leise, »aber andere scheinen es auch zu sein.«

»Und dabei noch voller Schadenfreude«, bemerkte Daniel. »Aber er hatte doch Riesenerfolge.«

Im zweiten Akt kam es dann zu dem Debakel. Ein paar Töne brachte Holger Brandström noch hervor, aber die klangen schon blechern. Er warf einen verzweifelten Blick zur Loge empor, dann stand er eine Sekunde erstarrt und stumm da, und danach flüchtete er von der Bühne.

»Guter Gott«, murmelte Daniel. »Ich muss mich um ihn kümmern, Fee.«

Es herrschte eine begreifliche Unruhe. So hatte sich Fee den Opernabend allerdings nicht vorgestellt. Sie folgte ihrem Mann zu den Garderoben. Daniel kannte sich hier gut aus. Als ganz junger Arzt hatte er hier öfter Bereitschaftsdienst gehabt.

Fee wollte lieber draußen warten. Es gab ein gewaltiges Durcheinander. Die Vorstellung musste unterbrochen werden. Es wurde erregt diskutiert.

Marcella Massimo rauschte an Fee vorbei. Hektische rote Flecken zeichneten sich auf ihren Wangen ab. Das kurze, modisch geschnittene Haar war verwirrt, so als hätte sie es gerauft. Ein schlanker dunkelhaariger Mann kam ihr, ebenfalls sehr erregt aussehend, entgegen.

»So eine Blamage«, sagte Marcella schrill. »Was ist überhaupt los?«

»Holger bringt kein Wort mehr hervor«, erwiderte der Mann. Fee konnte es deutlich hören. »Es scheint eine Stimmbandlähmung zu sein.«

»Das hat mir gerade noch gefehlt. Fatale Situation. Ich könnte platzen.«

Kein Wort des Mitgefühls. Oberflächlich und egoistisch ist sie, ging es Fee durch den Sinn. Ihr tat Holger Brandström leid.

Daniel auch, denn diesmal konnte er ihm nicht rasch helfen. Verzweifelt sah ihn Holger an. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Sein gut geschnittenes Gesicht war zerquält. Sagen konnte er nichts. Immer wieder fasste er sich an die Kehle, als wolle er die Töne herauspressen, aber es wurde nur ein klägliches Krächzen, und seine Hand zitterte so stark, dass er auch nicht aufschreiben konnte, ob er Schmerzen hatte.

Marcella kam jetzt herein. Da zuckte Holger zusammen. »Tun Sie doch endlich etwas«, fauchte sie Dr. Norden an.

»Tut mir leid für Herrn Brandström«, erwiderte Daniel, »aber im Augenblick kann ich nichts tun.«

Holger streckte seine Hand nach Marcella aus, aber sie nahm es nicht zur Kenntnis.

»Unter diesen Voraussetzungen muss unsere Hochzeit natürlich abgesagt werden«, erklärte sie.

Dr. Norden fuhr herum. »Wenn Sie sonst nichts zu sagen haben, ist es besser, Sie verschwinden hier«, entfuhr es ihm. Es war unhöflich, er wusste es, aber in solchen Momenten vergaß er alle Formen.

Marcella starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Ja, ich bin hier wohl überflüssig«, sagte sie herablassend. »Und Sie sind ein Stoffel.«

Daniel nahm es hin. Holger hatte die Augen geschlossen. Er sah unsagbar deprimiert aus. Man konnte ihn jetzt nicht sich selbst überlassen.

»Ich bringe Sie zu Professor Renk. Sind Sie einverstanden, Herr Brandström?«, fragte Daniel.

Holger bewegte verneinend den Kopf. »Doch nicht ins Hotel. Sie brauchen Ruhe«, sagte Daniel. »Würden Sie mit zu uns kommen?«

Jetzt sah der Sänger ihn dankbar an und nickte zögernd.

Daniel holte den Wagen und fuhr zum Notausgang. Dort konnte Holger dann einsteigen, ohne neugierigen Blicken ausgesetzt zu sein. Fee hatte sich auch schon eingefunden. Sie stellte keine Fragen. Was Daniel entschied, fand sie richtig. Sie bedauerte diesen Mann zutiefst. Vielleicht war an diesem Abend eine große Karriere jäh beendet worden, eine Karriere, für die er viele persönliche Opfer gebracht hatte, denn Holger Brandström hatte keinerlei finanziellen Rückhalt gehabt, das wusste sie.

Die einstmals sehr berühmte Kammersängerin Maria Dohm hatte ihm die Gesangsstunden zwar fast geschenkt, aber viel mehr hatte sie für ihren Schützling auch nicht tun können, denn sie gehörte zu jenen, die schnell vergessen worden waren, als sie nicht mehr auf der Bühne stehen konnte wegen eines schmerzhaften Hüftleidens.

Wie schnell war der Ruhm erloschen, aber wie schlimm musste das erst sein, wenn man noch so jung war wie Holger Brandström! Und hinzu kam noch, dass er von der Frau im Stich gelassen worden war, die er am nächsten Tag heiraten wollte.

*

Auch Maria Dohm hatte dieses Debakel miterlebt. In einer der hintersten Reihen hatte sie neben einem jungen Mädchen gesessen. Teure Plätze konnten sich beide nicht leisten.

»Komm, Brenda«, sagte sie zu dem Mädchen, »die Vorstellung ist aus.«

Blicklos sahen die wunderschönen violetten Augen sie an. »Es ist so schrecklich, Tante Maria«, flüsterte sie.

»Ja, es ist schrecklich«, erwiderte die alte Dame heiser, »aber er wird damit fertig werden müssen.«

Brenda Dohm konnte nur mühsam die Tränen zurückhalten. Wie eine Marionette ging sie neben der alten Dame her, die einst selbst eine gefeierte Sopranistin gewesen war und heute von niemandem mehr beachtet wurde.

»Der Ruhm, nach dem wir trachten, den wir unsterblich achten, ist nur ein falscher Wahn«, sagte Maria Dohm tonlos. »Komm, Kind, wir fahren nach Hause.«

»Wie wird ihm jetzt zumute sein«, flüsterte Brenda.

»Ja, wer weiß. Ich bin nur gespannt, was diese Kanaille jetzt macht.«

Maria Dohm nahm kein Blatt vor den Mund. Mit ihrer Offenheit hatte sie sich auch früher schon manche Feinde geschaffen, aber sie konnte nicht heucheln. Sie war immer geradeheraus.

Brendas Vater war ihr jüngerer Bruder. Er besaß eine gut gehende Buchhandlung und ein hübsches Häuschen,

in dem auch Maria Aufnahme gefunden hatte. Wenigstens dies Glück hatte sie, nicht auch von den Angehörigen abgeschrieben worden zu sein. Im Gegenteil, Brenda hing mit zärtlicher Liebe und tiefer Verehrung an dieser großmütigen Frau, die lange Jahre schon Mutterstelle an ihr vertrat, und eine Mutter brauchte man immer, auch wenn man schon vierundzwanzig Jahre alt geworden war.

Brenda sah man ihr Alter nicht an. Sie war zierlich und sehr mädchenhaft, sehr scheu und zurückhaltend.

Sie hatte Holger kennengelernt, als er bei ihrer Tante Unterricht nahm. Damals war sie sechzehn gewesen und hatte eine schwärmerische Zuneigung zu dem gut aussehenden jungen Mann gefasst. Aber sie war viel zu schüchtern, um sich das auch anmerken zu lassen, und sie hatte auch später nicht die geringste Hoffnung, dass Holger, dem auch ihre Tante eine große Karriere voraussagte, ihre Zuneigung erwidern würde. Sie verschloss ihre erste Liebe, die auch die einzige geblieben war, in ihrem jungen Herzen und verfolgte seinen Aufstieg nur aus der Ferne.

Natürlich hatte sie gehört, dass Holger Marcella Massimo heiraten wollte, die als Soubrette mehr durch ihr Aussehen als durch ihre Stimme glänzte. Jedenfalls verstand sie es meisterhaft, sich in den Vordergrund zu spielen.

Männermordend, hatte Dr. Norden sie genannt, doch das wusste Brenda nicht. Kanaille wurde sie von Maria Dohm bezeichnet, und das gab Brenda einen Stich, denn selbstlos wünschte sie Holger Glück.

»Wirst du dich nach ihm erkundigen, Tante Maria?«, fragte sie auf dem Heimweg, den sie zu Fuß zurücklegten, obgleich das Gehen Maria schwerfiel.

»Warum sollte ich? Er hat mich aus seinem Gedächtnis gestrichen.«

»Vielleicht weiß er nicht, dass du zu uns gezogen bist«, sagte Brenda. Es war nur eine Vermutung, aber sie sollte sich bestätigen, als sie daheim ankamen.

Brendas Vater beschäftigte sich noch mit seinem Hobby, der Briefmarkensammlung.

»Was, ihr seid schon da?«, fragte er erstaunt aufblickend. »So spät kann es doch noch nicht sein.«

»Die Vorstellung wurde abgebrochen«, sagte Maria. »Holger konnte keinen Ton mehr herausbringen.«

»Das kommt davon, wenn man sich übernimmt«, sagte Albert Dohm. »Aber die jungen Leute können es ja nicht erwarten, berühmt zu werden. Übrigens sind da heute noch ein paar Briefe nachgeschickt worden. Ich habe ganz vergessen, dir die schon mittags mitzubringen, Maria. So langsam müsste es doch bekannt sein, dass du deine Adresse geändert hast.«

»Wen kümmert das schon«, sagte sie spöttisch.

Aber ganz vergessen schien sie doch nicht zu sein, denn zwei Briefe kamen von alten Verehrern, und dann war da noch einer, von Holger Brandström. Nur ein paar Zeilen, aber beigefügt auch ein paar Platzkarten für den heutigen Opernabend.

Liebe Maria, schrieb er, ich hoffe, Du wirst kommen, und wir werden uns nach der Vorstellung sehen. In Anhänglichkeit, Dein Holger.

Nun war sie doch gerührt, und Brendas Gesichtchen wurde noch trauriger.

»Nun zerfließt mal nicht«, sagte Albert Dohm. »Du warst auch manchmal indisponiert, Maria. Es wird schon wieder werden.« Er war ja gutmütig, hatte in der rauen Schale einen weichen Kern. Und er nahm immer Zuflucht zu einem etwas bärbeißigen Humor.

»Dann wird er ja morgen nicht mal das Jawort auf dem Standesamt sagen können.«

»Diese eitle Ziege wird damit bestimmt auch warten, bis er wieder der strahlende Held ist«, sagte Maria. »Aufgemandelt war sie wie zu einem Musical. Zu wünschen wäre dem Holger ja, wenn ihm nun Augen und Ohren aufgehen.«

»Trinken wir noch ein Glaserl Wein«, schlug Albert Dohm vor, seiner Tochter einen nachdenklichen Blick zuwerfend. »Brenda sieht ja aus wie ein verschrecktes Hühnchen.«

*

Die Nordens waren mit ihrem Gast inzwischen auch daheim angelangt, und Lenni war auch verwundert, dass sie sobald kamen. Sie hatte sich auf eine ziemlich lange Nacht vorbereitet.

Fee erklärte ihr, was es mit dem Besuch auf sich hatte und bat Lenni, das Gästezimmer herzurichten.

Viel brauchte da nicht gemacht zu werden, denn es war immer bereit.

Fee setzte Wasser für einen Tee auf.

Ob der Holger helfen würde, wagte sie zu bezweifeln, aber schaden konnte er auf keinen Fall. Dass es sich nicht nur um eine Indisposition handelte, war ihr klar. Schließlich war sie auch Ärztin, aber hier musste ein Facharzt zugezogen werden.

Holger war immer noch apathisch, was ja auch verständlich war. Der Schock saß ihm in den Gliedern. Daniel hatte ihm in den Hals geschaut, aber nichts feststellen können. Eine Entzündung des sichtbaren Bereiches lag nicht vor. Holger mühte sich wieder verzweifelt, etwas zu sagen, aber nur unartikulierte Laute kamen aus seiner Kehle.

»Sie brauchen jetzt erst einmal Ruhe«, sagte Daniel, »und morgen werden wir Professor Renk hinzuziehen.«

Fee brachte den Tee. Daniel wollte lieber ein Bier. Nun war Holger auch fähig, ein paar Worte zu schreiben. »Ich bin ihnen unendlich dankbar«, lauteten sie.

Daniel führte ihn dann, nachdem er den Tee getrunken hatte, zum Gästezimmer und gab ihm auch noch Beruhigungstropfen.

»Ich stehe vor einem Rätsel«, sagte er dann zu Fee, die ihr Kleid bereits abgelegt hatte. »Schade drum«, meinte Daniel.

»Was meinst du?«, fragte Fee irritiert.

»Schade um das zauberhafte Kleid. Wer weiß, wann du es wieder mal tragen kannst.«

Er wollte sie und sich ablenken, aber das gelang ihm nicht.

»Wenn man ihm doch helfen könnte«, sagte Fee.

»Renk wird schon Rat wissen.«

»Zaubern kann niemand.«

»Aber manchmal beheben sich solche Störungen von selbst.«

»Ich denke nur darüber nach, ob er nicht dauernd unter diesem Schock leiden wird. Selbst wenn er wieder singen könnte, wird er womöglich immer mit der Angst auf der Bühne stehen, dass ihm das wieder passieren könnte, und darunter leidet dann auch das Selbstvertrauen.«