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Die Karriere des Jeschua zum Sohn Gottes
Vor dem inneren Auge ersteht die Lebenswirklichkeit Jesu, wie sie tatsächlich gewesen sein könnte. Ein senibler und hoch begabter junger Jude, wach für die Welt, die ihn umgibt, zugleich verbunden und eingezwängt in der Familie, sehnsuchtsvoll und ängstlich, immer wieder ahnend, was er sein könnte, immer wieder zweifelnd - am Ende frei.
Der Roman erzählt in atmosphärisch dichten Szenen die Kindheit, Jugend und das junge Erwachsenenalter des Mannes aus Nazareth und füllt damit Lücken, die die Bibel ausspart.
So könnte es tatsächlich gewesen sein. Eingezwängt zwischen den Erwartungen der Mutter und dem überforderten Stiefvater, beschützt von seinem Freund Jonathan, versucht Jeschua Klarheit darüber zu bekommen, warum er so ganz anders als die anderen ist. Tief verwurzelt in den Traditionen seines Volkes, kommt er als Bauhandwerker in der aufstrebenden Stadt Sepphoris, nur wenige Kilometer von Nazareth entfernt gelegen, auch in Kontakt mit hellenistischer Kultur und entdeckt in sich die Begabung zu erzählen und zu heilen. Seine Mutter, von seiner Entwicklung enttäuscht, hält ihn für wahnsinnig geworden und will ihn zurück nach Nazareth holen.
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Seitenzahl: 307
Ein mühsam unterdrückter Schrei.
So fing alles an.
Wahrscheinlich schlang ihre Mutter die Arme um sich, was sie immer tat, wenn sie den Schmerz aus sich herauspressen wollte, Blut stieg ihr dann ins Gesicht als würde sie sich schämen, ihre Zehen verkrampften – ihre schönen geraden Zehen, um die sie alle Frauen des Dorfes beneideten.
Versündige dich nicht! Nicht den Gesprenkelten! So erhör doch mein Flehen!
Mirjam, die nah an die Fensteröffnung geschlichen war, spürte wie ihr Pulsschlag so laut wurde, als könne sie damit das ganze Dorf aufwecken. Sie war ganz Puls. Ein panischer Puls. Wie sehnte sie sich danach, dass ihre Mutter ihren Kopf in ihre Hände nähme und ihre Haare küsste.
Die Stimme ihres Vaters hatte etwas mühsam Beherrschtes, einen schwarzen Unterton: Ich werde zum Gespött des ganzen Dorfes, alle werden mich scheel anschauen. Und man wird dich scheel anschauen. Und den Gesprenkelten wird man auch scheel anschauen, weil er die Nähe unseres Töchterleins sucht, um sie herumscharwenzelt, sobald sie sich auf dem Markt mit ihrer Freundin blicken lässt.
In Mirjams linker Wade fing ein Nerv an zu zittern. Wie unzuverlässig ihr Leib seit Wochen war. Sie hörte, wie ihre Mutter versuchte den Vater zu besänftigen, der nach Luft rang, aber unbeirrbar war: Es zählte zu deinen Pflichten, sie im Alltag zu beschützen, Weib. Erinnere dich, wie ich dir ansagte, unser Täubchen möge nicht ohne dich nach draußen gehen! Der Engel wegen. Wer vermag es, unserem Täubchen in die Augen zu sehen, ohne daran Wohlgefallen zu empfinden? Auch den Himmlischen wird dieses so reine Antlitz nicht verborgen geblieben sein. Auch den Himmlischen nicht!
Jetzt konnte ihr Vater seine Stimme kaum mäßigen. Eine Röte flackerte über Mirjams Gesicht, eine Erinnerung an die zarte Berührung des Fremden überfiel sie. Sie kniff sich in den Oberarm, damit die Erinnerung verblasste. Gesegnet bist du unter den Frauen. Dieser Satz gehörte jetzt ihr. Den konnte ihr niemand mehr rauben.
Kurzatmig, den Tränen nahe, sprach jetzt ihr Vater: Meine Mirjam tanzte vor den Himmlischen auf dem Erdenrund und war ihnen angenehm. Wer von uns Sterblichen will es ihnen verdenken! Wessen Herz bleibt unberührt, dem unsere Mirjam einen scheuen Blick gönnt? Mein Täubchen, mein kleines, unschuldiges Täubchen. Auf dich mussten Engel aufmerken! Warum konnte ich nicht in deiner Nähe sein, warum gab ich dich in die schlechte Obhut deiner unverständigen Mutter? Wo warst du, Weib, als sie daselbst deines Schutzes bedurfte? Sag an, damit dich der Grimm meines Zornes nicht länger trifft!
Mirjam hörte ein leises Wimmern. Dann ein flehentliches Flüstern, das über den Erdboden zu ihr kroch: Aber der Gesprenkelte ist die Frucht eines Götzenanbeters. Er ist verflucht vom Mutterleibe an. Verrate unser Töchterchen nicht an den Gesprenkelten. Ich flehe dich an! Versündige dich nicht.
Ihr Vater räusperte sich, schaffte Platz und verstaute seinen Schmerz.
Es wird viel Unnützes geredet, Weib. Ich will dir die wahre Geschichte erzählen, damit du wieder aufrecht gehen kannst und dem Gesprenkelten fürderhin mehr Recht widerfahren lässt.
Mirjam schlug jetzt auch die Arme um sich. Eine heftige Erinnerung an die Umarmung des Fremden durchfuhr sie. Schnell ließ sie ihre Arme wieder sinken.
Gesegnet bist du unter den Frauen.
Ihr Vater hob an zu erzählen: Höre, Weib, Eliezer, der Vater des Gesprenkelten, war ein oft zu Späßen aufgelegter Schafhirte, der sich mit meinem Vater die kargen Weiden teilte. Kam er zu Besuch, dann konnten wir Jungen es gar nicht erwarten, bis er endlich anhob zu erzählen. Er war prall mit Geschichten gefüllt. So fett wie sein Wanst, so triefend vor Fett war seine Erzählstimme, die alle in den Bann schlug. Ich entsinne mich aber, wie er einmal ganz verstört bei uns erschien, seltsam missgelaunt und missmutig. Nichts erinnerte an den Geschichtenerzähler Eliezer. Er habe, einer kleinen Wette mit einem anderen Schafhirt wegen, den alten Hirtentrick nachgestellt, den einst Jakob so klug eingesetzt hatte. Du erinnerst doch die Geschichte, wie Jakob, fern von zu Hause, seinem Onkel Laban, der ihn hintergangen hatte, das Versprechen abrang, alle gesprenkelten Schafe aus einer reinweißen Herde sollten künftig ihm gehören?
Mirjam nickte, so wie wahrscheinlich auch ihre Mutter nickte. Wer kannte diese Jakob-Geschichten nicht! Mit ihrem Leib ging eine kleine Verwandlung vor, nur in ihrer linken Handfläche zuckte ganz vereinzelt noch ein Nerv, ihr Leib kam durch die Erzählstimme ihres Vaters langsam zur Ruhe.
Also, so hob der Vater wieder an, Jakob, groß ist der Ruhm dieses Mannes, wandte einen Trick an, nahm Äste von Pappeln, schälte weiße Streifen, legte die gestreiften Äste in die Tränken, und wenn dann die Tiere zum Trinken kamen, wo sie sich mit Vorliebe begatteten, dann warfen diese reinweißen Muttertiere später gesprenkelte Lämmer. Welch köstlicher Trick!
Mirjam hörte, wie ihr Vater kurz auflachte, dann schnell das Lachen kassierte: Dieser Eliezer also wollte den Hirtentrick nachstellen und wettete auf den Allmächtigen, aber wie er es auch anpackte, es misslang ihm. Er nahm Pappeln, probierte Haselsträucher, nichts glückte. Er verlor also die Wette, zahlte seine Wettschulden, übergab seinen besten Widder an den anderen Schäfer, der heimlich fremden Göttern opferte. Eliezer, der trickreiche Eliezer, schien am Höchsten zu zweifeln. Ein anderer in unserer Runde, der fromme Naphtal, gab ihm, vielleicht zum Scherz, wer kann es wissen, den Rat, den Allmächtigen noch einmal zu prüfen. Er möge doch eine gestreifte Pappelstange am Rande seiner Schlafstatt platzieren und darauf starren, wenn er seiner Frau beiwohne, dann werde er wahrlich die Macht des Allmächtigen erleben. Wir hielten uns die Seiten vor Lachen. Oft kreiste an diesem Abend der Weinbecher. Am Ende der Nacht war auch der Lautenspieler zu betrunken, um noch aufzuspielen.
Mirjam rückte mit dem Ohr noch näher an die Fensteröffnung, weil ihr Vater gluckste und dabei Silben verschluckte.
Erneut räusperte sich ihr Vater: Wir hatten die Geschichte bereits vergessen, bis wir am Tag der Beschneidung des jüngsten Sprosses des Eliezer dieses gesprenkelten Knaben ansichtig wurden, ein am ganzen Körper mit weißen Flecken geschecktes Menschenkind. Der Allmächtige hatte sein Urteil gesprochen. Nie kam darauf in geselliger Runde jemals die Rede. Naphtal wurde ein frommer Einsiedler, mein Vater löschte die Geschichte aus seinem Gedächtnis, Eliezer aber verstummte, schenkte seinem Sohn nie den Segen, schämte sich ob seines Aussehens, verstarb im nächsten Frühjahr. Wir aber gewöhnten uns an den Gescheckten. Und auch ich schwieg, wenn wieder einmal die Rede ging, der Gescheckte büße mit seinem Aussehen für die Sünden, die er bereits im Mutterleib begangen habe. Die Weiber erzählten sich, als Ungeborener habe der Gesprenkelte gegen den Bauch getreten, wenn seine Mutter in Kana an einem heidnischen Heiligtum vorbeiging, als wolle er sich dort verneigen. Weibergeschwätz. Woher sollten auch die törichten Weiber wissen, welche Bewandtnis sein Aussehen hatte? Höre, Weib: Ist der Gescheckte nicht vielmehr ein Zeichen dafür, dass dem Allmächtigen alles möglich ist und wir seinen Namen nicht unnütz im Munde führen sollen? Ist der Gesprenkelte nicht Unterpfand für die große Macht des Höchsten? Und ist der Gesprenkelte vom Allmächtigen vielleicht sogar einzig dazu geschaffen worden unsere, deine und auch meine Schmach zu lindern?
Mirjam fuhr mit ihrer Zunge über ihre gesprungenen Lippen. Der Gesprenkelte. Der Gesprenkelte würde es sein. Sie würde ihm gehören.
Höre, Weib, der Gesprenkelte muss unser Täubchen zum Weib erwählen, damit niemand die Scham unserer Familie aufdeckt. Ein schmaler Brautpreis wird den Argwohn mildern, warum er so plötzlich in der Gunst unserer Mirjam gestiegen ist. Beeilen wir uns, damit er schnell das Täubchen erkennt und die Schande von uns ferngehalten wird. Du aber trage künftig besser Sorge um unsere anderen Töchter.
Ihre Mutter?
Nur ein leises Murmeln war zu hören.
Mirjam nickte. Der Gescheckte würde ihr Mann werden. Aber was bedeutete das schon! Sie trug Jeschua unter ihrem Herzen.
Du bist gesegnet unter den Frauen, flüsterte Mirjam.
Du bist gesegnet unter den Frauen.
Sie hatte sich eine Rosenmalve ins Haar geflochten. So übermütig fühlte sie sich. Später würde sie eine kräftige Suppe kochen und die gesammelten Malvenblätter untermischen. Und etwas Zwergzichorie beifügen. Der Gesprenkelte mochte den leicht bitteren Geschmack. Vielleicht würde sie aus Koriander und Honig eine Nachspeise zubereiten, so süß wie Honigkuchen.
Manna, Weib, so muss das himmlische Manna unseren Vorfahren in der Wüste geschmeckt haben, wird der Gesprenkelte dann ausrufen, wird versuchen seinem Gesicht einen Ausdruck von Zufriedenheit zu entlocken, seine schweren Lider schließen und sich für Augenblicke in ein glückliches Kind zurück verwandeln.
Dieses Bild ließ Mirjam zum Weidenkorb eilen, in dem Jeschua schlief. Aber dann duckte sich die gute Laune weg. Jeschua lag in seinem Körbchen, hatte sich freigestrampelt, die Wickelbänder lagen am Fußende, er schlug die Augen auf, streckte seine Arme aus und lächelte sie an.
Jeschua, stammelte Mirjam, rieb sich über das Gesicht: Was tust du? Wie geschieht mir! Ich habe die Enden der Bänder doch ganz fest verknotet!
Sie öffnete ihre Arme, um ihn aufzunehmen, zögerte kurz, hob ihn dann hoch, legte seinen Kopf unter ihr Kinn und herzte ihn, als wolle sie ihn für alle künftigen Leiden, die die Welt für ihn bereit hielt, vorab trösten, und als würde sie selbst den Schmerz proben, den sie wegen dieses Knaben würde ertragen müssen.
Gestern noch war sie ihre Freundin Deborah um Rat angegangen, hatte ihr zugesehen, wie sie ihren Sohn, nachdem er gebadet worden war, die Wickelbänder anlegte, um Verkrümmungen vorzubeugen.
Deborah, die Schultern leicht schaukelnd, hatte mit verstellter Stimme gesagt: Der Allmächtige hat uns als seine Ebenbilder geschaffen, deshalb müssen wir Menschenkinder demütig, aber doch aufrecht gehen, und dürfen nicht wie die Tiere mit dem Kopf am Erdboden verbleiben.
Dann hatte sich ihr Lächeln durch ihr Gesicht gearbeitet, Mirjam hatte auf die starken Oberzähne gestarrt, als müsse sie den Text dort ablesen: Wir wollen doch starke und gerade Söhne aufziehen. Mein Elias ist offenbar falsch gewickelt worden, oft läuft er krumm wie eine Zeder, die sich ächzend im Nordwind biegt.
Mein Gesprenkelter gleicht einem gescheckten Jakob-Lamm, aber er ist wenigstens lotrecht.
Mirjam umarmte Deborah. Deborah rieb ihr den Rücken, legte ihr dann beide Hände auf die Schulter: Gib acht, du darfst die Wickelbänder nicht zu stark festzurren, sonst läuft dein Jeschua wohlmöglich noch blau an, erntet blaue Flecken und wird der blau Gesprenkelte. Ein Gesprenkelter im Dorf reicht hin.
Mirjam spreizte ihre Zehen in ihren Sandalen, so kräftig schüttelte sie das Lachen: Und wie prüfst du die Festigkeit der Wickelbänder?
Ich nehme einen Löffel und fahre behutsam mit dem Stiel unter die Wickelbänder. Mein Jonathan ballt dann immer die Fäustchen und gickert und gluckst, dass es eine Freude ist ihm zuzuschauen. Wenn dein Jeschua sich frei strampelt, dann hast du ihn vielleicht nicht straff genug gewickelt. Oder binde in der nächsten Nacht einen festen Knoten. Den kann auch dein Jeschua nicht überlisten.
Doch. Ihr Jeschua konnte offenbar auch einen Knoten überlisten. Mirjam prüfte die Wickelbänder. Sie waren unbeschädigt, sahen wie unbenutzt aus. Sie legte, um sich selbst zu beruhigen, Jeschua an die Brust, genoss nur fahrig das Gefühl, wenn er die Milch aus ihr heraussaugte. Sie hatte offenbar fette Milch, denn Jeschua meldete sich in den Nächten nie. Sogar der Gesprenkelte hatte einen Satz gesagt, den man als Lob deuten konnte. Und Milchschorf, mit dem Jonathan zu kämpfen hatte, entdeckte Mirjam an keiner Stelle seines Kopfes. Leise sang sie Jeschua ein Lied vor, wiegte ihn minutenlang. Dann legte sie ihn wieder in sein Körbchen, küsste ihn auf die Stirn, warf sich einen Schleier um und rannte zu ihrer Freundin.
Noch bevor Mirjam etwas sagen konnte, erkannte Deborah den Schrecken in ihrem Gesicht. Sie wartete, bis sich Mirjams Atem beruhigte, entriss ihr dann die ersten Wörter. Knoten. Jeschua. Wickelbänder. Grau die Worte. Mit beinahe unmerklichen Lippenbewegungen presste sie hervor: Ich tauge nicht als Mutter.
Dabei schaute sie an Deborahs Gesicht vorbei und senkte den Blick.
Deborah hob mit zwei Fingern langsam Mirjams Kinn: Was schämst du dich, meine Freundin, ich kenne keine Mutter, mich eingeschlossen, die so innig mit ihrem eigenen Sohn verkehrt. Die Farbe deiner Mutterliebe ist um so viel kräftiger als bei uns Gewöhnlichen. Komm, wir werden den kleinen Jeschua überlisten.
Deborah zog Mirjam lachend nach draußen, sie passierten auf halbem Weg den Gesprenkelten, der ihnen kopfschüttelnd nachblickte.
Nadel und Faden, Mirjam!
Leicht verschwitzt stand Deborah vor dem Weidenkörbchen.
Mirjam spürte, wie die mühsam erkämpfte Fassung ins Wanken geriet. Nadel und Faden? Stets beneidete sie die Ordnung, die Deborah in ihrem Haus hielt. Drei Körbe musste sie durchwühlen, bis sie endlich Nadel und Faden fand. Sie nahm sich in diesem Augenblick vor, eine noch bessere Mutter zu werden und noch sorgfältiger den Haushalt zu führen.
Hier, hier hast du Nadel und Faden.
Dann legten sie gemeinsam Jeschua die Wickelbänder an, prüften mit einem Löffelstiel die Festigkeit der Bänder. Auch Jeschua gickerte und gluckste und ballte die Fäustchen. Mit gedämpfter Stimme sagte Deborah: Jetzt werden wir die Enden der Bänder vernähen, so wie wir es immer bei einem Leichnam machen.
Mirjam erschrak über das Wort Leichnam sichtbar, traute sich aber nicht etwas einzuwenden. Ihr Magen verkrampfte sich augenblicklich. Sie nickte nur.
Fertig. Morgen in der Frühe werden wir wissen, ob dein Sohn sich auch aus diesen vernähten Binden zu befreien versteht. Sollte das der Fall sein, dann müssen wir den Rabbi um Rat angehen, dann ist dein Sohn Jeschua anders als unsere Söhne.
Ein plötzlicher Reizhusten überfiel Mirjam und zerstörte jeden vernünftigen Satz, den sie eigentlich hätte sagen wollen. Kurzatmig verabschiedete sie Deborah. Mirjams Nerven hielten es kaum aus, so ersehnte sie den nächsten Morgen. Sie kämpfte sich durch das Kochen, immer nach Jeschua schielend, strich den Nachtisch, tastete sich durch die Gespräche mit dem Gesprenkelten, der mit einem Freund einen neuen Bauauftrag gefeiert hatte, ließ auch das Körbchen nicht aus dem Blick als der Gesprenkelte sie verwohnte, blieb wach, nachdem der Gesprenkelte schon nach dem ersten Krächzen eingeschlafen war. Sie setzte sich neben das Körbchen und hielt mit aller Kraft Wache. Stunde um Stunde behütete sie den Schlaf ihres Erstgeborenen. Dann glaubte sie zu spüren, wie jemand ihr ganz sacht Fingerspitzen auf die Augenlider legte. Ein leichter Geruch nach Rossminze, der ihr wunderbar vertraut erschien.
Als sie mit dem ersten Hahnschrei erschrocken erwachte, fiel ihr erster Blick auf Jeschua, der in seinem Körbchen mit den gelösten Wickelbändern glücklich spielte.
Jeschua hatte sich frei gestrampelt. Hatte den Leichensack aufgetrennt. Hatte Deborah und ihr eine Lehre erteilt.
Mirjam nahm die Wickelbänder. Ein Hauch von Rossminze. Sie nickte, stand auf, machte Feuer, übergab die Wickelbänder den Flammen.
Als am Morgen Deborah erschien, hatte Mirjam eine Ausrede ersonnen: Auch Jeschua wird, das zeigt diese Nacht, ein lotrechter Mensch werden. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Mein Jeschua ist wie alle anderen Kinder auch. Den Rabbi müssen wir also nicht behelligen.
Mehr sagte sie nicht, um nicht gegen das Gebot der Lüge zu verstoßen.
Lotrecht. Sie nahm Deborah in den Arm.
Alles in schöner Ordnung!
Sie glaubte fest daran.
Alles in Ordnung.
Endlich Ordnung in allen Körben.
Den Brotofen geputzt.
Die Schilfmatte ausgebessert.
Alle Räume gefegt.
Die Lampen mit Öl aufgefüllt.
Das Fußwaschbecken gereinigt.
Jetzt noch die Truhe.
Ein heftiger Drang zu weinen packte Mirjam, als sie in der äußersten Ecke ihrer großen Truhe ein kleines Leinsäckchen entdeckte. Ihre Finger ertasteten einen Armreif, Glasperlen, einen Ring mit einer Gemme. Alle Energie floh aus ihrem Körper, sie sank neben der Truhe auf ihre Knie, fühlte ein scharfes Stechen in ihren Nieren.
Vater, stammelte sie.
Wer durfte solch einen Vater sein eigen nennen! Wie oft hatte sie auf seinem Schoß gesessen, wenn ihr Vater von seinen Geschäften zurückkam: Schau doch, Weib, wie kräftig die Augen unser Mirjam leuchten, wie das Auge eines teuren Metalls. An dich, Kind, muss der Dichter gedacht haben, als er schrieb: Dein Haar ist wie eine Ziegenherde, die vom Gileadgebirge herabstürmt.
Dann hatte er sie gestreichelt, auf den Schenkeln geschaukelt und geherzt, bis die Mutter zum Essen rief. Ihr Vater kitzelte sie noch einmal ganz ausgelassen, als sei der Ruf gar nicht an sein Ohr gedrungen, küsste sie mit hochrotem Kopf, denn das Toben forderte seinen Tribut, dann hockten sie sich zum Essen hin. Sofort kehrten die Sorgen in sein Gesicht zurück.
Häufig brachte er ihr Glasperlen von seinen Reisen mit, einmal sogar einen Armreif, den ihre Mutter ihr verbot zu tragen, sichtbar erzürnt, sie sei zu jung, Menschen seien missliebig, mit dem Armreif herausgeputzt wirke sie aufreizend wie eine Hure, die sich schamlos den Blicken darbiete. Offenbar sei ein böser Geist in ihren Vater gefahren, der ihn veranlasse solch verderbliche Geschenke mitzubringen. Es sei besser, ihr Vater würde sich ein Auge ausreißen, als auf diesem Weg fortzufahren: Der Allmächtige gebe, dass er künftig seinen unreinen Mund geschlossen hält und das falsche Lob wegsperrt. Und du, Tochter, verschließe du künftig deine Ohren, wenn ein böser Dämon deinen Vater heimsucht. Schätze dich glücklich, dass ich so acht auf dich gebe! Mäßige also deinen Mutwillen!
Mirjam, sie erinnerte sich genau, hatte die Worte ihrer Mutter damals nicht richtig deuten können, hatte sich gefügt, sich ein Leinsäckchen genäht und den Armreif und die Glasperlen darin verwahrt.
Noch immer lag das Leinsäckchen auf ihrem Schoß. Als ihr Zeigefinger die Gemme ertastete, drängten sich andere Bilder nach vorn.
Als einmal ihre Mutter einen der seltenen Besuche bei einer Schwägerin in Bethsaida machte und sie mit ihrem Vater allein war, fielen alle Nöte von ihm ab, er summte ausgelassen ein Lied, hörte gar nicht auf sie zu schaukeln und zu kitzeln, küsste sie auf die Augen, biss ihr in die Ohrläppchen, nannte sie auserkoren aus den Menschenkindern, steckte ihr sogar einen Ring mit einer Gemme an den Finger, hieß sie vor ihm zu tanzen, damit er sich entspanne, und sie hatte sich gedreht und gedreht, war ausgelassen dem Schwung ihres Körpers gefolgt, ihr Vater hatte hörbar geschnauft und laut gerufen: Es freut sich mein Herz, es jauchzt meine Leber, dann war er ganz plötzlich aufgestanden und war mit schnellen Schritten in den Innenhof verschwunden und zur Latrine geeilt. Sie aber hatte den Ring geküsst, dann in ihrem Leinsäckchen verschwinden lassen.
Mirjam lehnte den Kopf an die Wand. Zwei Tage, waren es zwei Tage oder ein Tag gewesen? Zwei, es waren zwei Tage später, ganz sicher, also zwei Tage später brach ihr Vater, den sie kaum mehr gesprochen hatte, zu einer längeren Reise auf. Ihre Mutter war noch nicht zurück. Sie legte sich den Armreif an, flocht sich Glasperlen in die Haare, streifte sich den Ring mit der Gemme über, nahm etwas Nardenöl aus der Alabasterflasche ihrer Mutter. Wie viel schöner erschien ihr der Dorfplatz, als sie ihn erreichte. Sie spürte, wie die Blicke der Männer sie abtasteten. Sie ging etwas schneller, senkte den Kopf. Wenn nur der Gesprenkelte mit dem sauren Atem sie unbehelligt ließ und sie nicht ansprach. Was der sich nur einbildete! Nein, sie war doch nicht dazu verurteilt, mit einem Gescheckten künftig das Lager zu teilen!
Sie hatte den Dorfplatz bereits beinahe ganz passiert, ihre Füße suchten den Weg zu ihrer Freundin, als sie eine hohe Stimme hörte: Du bist gesegnet. Zweimal drehte sie sich um ihre eigene Achse. Dann entdeckte sie einen Fremden, der sich am Eingang der Synagoge aufhielt. Ein seltsames Strahlen ging von ihm aus. Dieses Strahlen zog sie ganz sacht in seine Richtung. Sie hielt sich eine Hand schützend vor die Augen, als sie sich ihm näherte. Seine Haut schien weißer als Ziegenmilch zu sein. Du bist gesegnet! Er sagte es in einem seltsamen Tonfall, wie ein Römer, dessen Lippen sich an das Aramäische nur schwer gewöhnten. Als er zwei Schritte auf sie zuging, vernahm sie kein Geräusch wie bei einem römischen Soldaten, dessen Schuhsohlen mit Nägeln zusammengehalten wurden. Das fehlende Geräusch nahm ihr die Angst. Ein Geruch nach Rossminze hüllte sie ein. Sie sah, wie seine Hand ihre Hand nahm und sie in den Schatten des Badehauses führte.
Sei gegrüßt, du Anmutige, der Höchste ist mit dir. Fürchte dich nicht. Mächtiges wird mit dir geschehen.
Jetzt. Jetzt hatten seine Lippen das Aramäische erobert. Der Ton seiner Stimme erinnerte sie an Kinderlieder, überdeckte alle Geräusche des Dorfplatzes, das dumpfe Lachen und Gejohle der Männer, das Malmen und Schmatzen der Esel, das nervöse Kläffen eines Hundes. Sie schmiegte sich in den Singsang seiner Worte.
Du Anmutige, du Schönste unter den Menschenkindern, fasse Zutrauen, dann wirst du einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jeschua geben. Großes hat der Allmächtige mit dir und deinem Kind vor.
Wie weich und zärtlich seine linke Hand ihren Hals umfasst hielt! Hatte ihr Vater nicht ihren Hals als Turm aus Elfenbein gefeiert?
Du Anmutige bist auserkoren. Du bist gesegnet unter den Frauen!
Ich bin die Magd des Herrn, flüsterte sie, ihr wurde schwindelig und sie ließ sich in seine Arme fallen. Behutsam und leise summend legte der Fremde sie auf den Fußboden, der ihr weicher als ihre Bettstatt erschien.
Auserkoren! Ja. Wie fest und doch achtsam der Fremde sie umgriff und sich um sie sorgte. Sie schloss die Augen, überließ sich dem Geruch nach Minze. Sie glaubte ein ungewohntes, aber angenehmes Kitzeln und Schaben in sich zu spüren. Irgendetwas in ihr gerann, als würde Milch ausflocken. Das Schlafzimmer ihres Bauches schien ihr besucht.
Sie war die Magd des Herrn.
Als sie die Augen öffnete, war der Fremde verschwunden. Sie schaute sich suchend um. Nirgends. Die Geräusche des Dorfplatzes waren zurück. Sie spürte eine plötzliche Kälte an den Stellen, wo der Fremde sie berührt und umsorgt hatte. Vorsichtig stand sie auf, klopfte sich den Staub vom Rock, zog ihr Kopftuch tief ins Gesicht. Ihre Füße trugen sie. Trugen sie über den Dorfplatz. Trugen sie durch den Lärm. Trugen sie in ihres Vaters Haus.
Noch immer saß Mirjam neben der Truhe. Als das hüpfende Gefühl in ihrem Innern damals allen Zweifel beiseite räumte, war sie zu ihrem Vater gegangen: Ein Engel hat mich besucht.
Ihr Vater hatte sie lange angesehen mit zitternden Augen, dann hatte er seinen Kopf in den Händen verborgen, dabei den Kopf geschüttelt, sie wieder angeschaut, mit Schmerz in der Stimme geflüstert: Mirjam, Mirjam, mein Töchterlein, mein Täubchen. Ich werde Sorge für dich tragen, jetzt, da die Kammern deines Leibes bewohnt sind.
Ihr Vater.
Ihr weiser Vater. Die Geburt seines Enkels hatte er nicht erleben dürfen, war auf einer Reise in das ferne Samaria an einem Stickhusten gestorben. Wenn er doch nur einmal in die Augen von Jeschua hätte blicken können! Nur ein einziges Mal! Und auch ihre Mutter war dem Vater noch vor der Regenzeit in den Scheol gefolgt. Auch ihre Mutter hatte sich nicht am Anblick von Jeschua wärmen dürfen.
Sie sprang plötzlich auf, wischte sich mit der Hand über die Brust als wolle sie das Gefühl der Umarmung abwischen. Dann bückte sie sich und versteckte das Leinsäckchen ganz unten in der Truhe.
Sie stand immer leicht gebückt, wenn sie mit Jeschua redete.
Als würde sie sich über Geschriebenes beugen.
Drei Mal atmete sie scharf ein. Das verschaffte ihr Befriedigung. Ihre Stimme, die im Alltag oft verengt wirkte, löste sich, gewann Weite. Vor Glück drückte sie ihre Fersen aneinander. Wenn sein Lächeln sie streifte, spürte sie eine angenehme Wärme.
Niemand wird dich aus meinem Herzen vertreiben, kleiner Jeschua. Sei unbesorgt. Der Allmächtige hat Großes mit dir vor, deshalb müssen sich alle Brüder, die nach dir kommen, nach dir richten! Du gehst voran!
Sie drückte erneut ihre Fersen aneinander, verdrängte den Schmerz der ersten Wehen. Jakobus würde sie ihren zweiten Sohn nennen. Ach, wenn er doch auch so zu lächeln lernte wie Jeschua.
Dieses Lächeln. Wie grob das Lachen ihres Vaters gewesen war. Und das oft zotige Lachen ihres Mannes. Deborah. Ihre Freundin. Die verstand auch zu lächeln. Ja. Aber es war ein Lächeln von unten. Sie zeigte dann ihre starken, geraden Oberzähne, von dort aus arbeitete sich das Lächeln nach oben, befeuchtete die kleinen Kanäle um die Augen, die dann dankbar und satt strahlten.
Ihr Jeschua lächelte von oben. Seine Augen überfluteten das ganze Gesicht. Er war ein Augenlächler. Kein Mundlächler.
Noch so ein Zeichen.
Jeschuas Bruder Jakobus verstand das Zeichen nicht, das der Gesprenkelte ihm gab.
Sein Bruder Jakobus.
Sein Bruder Jakobus trug seinen Rock, den er bis vor zwei Jahren noch selbst getragen hatte, die Wolle war an einigen Stellen ganz dünn geworden, und doch hing noch sein eigener Geruch darin, er roch sich selbst, wenn er neben seinem Bruder stand.
Der Blick seiner Mutter ruhte jetzt auf Jakobus. Seine Sehnsucht blieb ungestillt. Jeschua rang sich ein Lächeln ab, als sein Bruder vor Freude in die Hände klatschte und hüpfte. Der Rest seiner eigenen guten Laune hüpfte davon. Die Kontrolle über seine Hände entglitt ihm, zu einem Klatschen wollten die Hände sich nicht fügen. Sein Mund weigerte sich, in das Kreischen seines Bruders lauthals einzustimmen.
Seines Bruders linkes Augenlid, das im Alltag das Auge immer halb verschattete, war jetzt weit aufgerissen. Der verkrustete Schorf an seinem Unterarm schien ihn nicht länger zu stören.
Jeschuas Nasenflügel zuckten. Jetzt spürte er auch keine Kraft mehr, um ein schmales Lächeln zu verschenken. Seine Mutter stand neben ihm mit angewinkelten Armen, die leicht zitterten, aber heute zitterten sie vor Aufregung.
Jakobus, mein Kindchen, nun tu, was dein Vater dich zu tun heißt. Geh zu ihm, gib deinem Vater einen Schmatz und zeig uns allen, wie du dich freust.
So rief die Mutter. Und so hallte es in Jeschuas Kopf. Er würde jetzt gerne seine Hände in kaltes Wasser tauchen.
Der Gesprenkelte hatte noch immer die Hände auf dem Rücken verschränkt, wogte mit dem Oberkörper hin und her, drehte sich ganz leicht nach links. Jeschuas Körper bewegte sich leicht nach rechts um zu erspähen, welches Geschenk auf Jakobus wartete, rief dann seinen Körper zur Ordnung.
Jakobus, mein Söhnchen, nun rate doch, was ich hinter meinem Rücken vor dir verberge.
Ein Singsang in der Stimme des Gesprenkelten, den Jeschua nur kannte, wenn der Gesprenkelte sich zu einem Ziegenschmaus hinhockte. Genau an der Stelle, an dem der Schorf seines Bruders blühte, juckte es jetzt Jeschua. Er boxte sich vorsichtig in die Nieren, um vom Jucken abzulenken.
Jakobus lief kreischend zu seinem Vater, wollte hinter seinem Rücken nachsehen, aber der Gesprenkelte drehte sich langsam. Jetzt erkannte Jeschua das Geschenk. Seine Kniekehlen fingen plötzlich an zu schwitzen. Ein Räderesel! Der Gesprenkelte hatte einen Esel geschnitzt und auf ein Brett mit Rädern geschraubt!
Hier, mein Söhnchen, dein Anblick, wie du so früh auf eigenen Beinen rennst, viel früher als alle anderen hier im Dorf, erfreut mein Herz und erquickt mich. Nimm und behüte das Geschenk deines Vaters getreulich wie einen Augapfel.
So feierlich die Stimme des Gesprenkelten, als würde er seinen Segen austeilen.
Ganz vorsichtig stellte Jakobus den Räderesel auf den Fußboden, wankte etwas, seine Mutter führte vor Schreck die Handfläche zum Mund, dann nahm er das Tau und zog ganz langsam den Räderesel hinter sich her. Seine Mutter applaudierte mit hochrotem Gesicht. Der Gesprenkelte strich sich über den Magen, schloss kurz die Augen.
Sieben Mal ging Jakobus mit seinem Räderesel im Kreis herum, stolperte nicht ein einziges Mal, aber die Mauern, die Jeschua umschlossen, fielen nicht. In seiner Lunge sammelte sich die Luft für einen Jubel, aber seine Kehle blieb zugeschnürt.
Als alle bereits schliefen, kroch Jeschua sehr leise zur Schlafstatt seines Bruders. Direkt neben seinem Kopf stand der Räderesel. Jeschua nahm ihn vorsichtig in die Hände. Daumen und Zeigefinger umfassten eine Achse und prüften die Festigkeit. Sie widerstand ohne Schaden dem kräftigen Druck.
Der Gesprenkelte hatte tadelose Arbeit geleistet.
Gute Arbeit.
Seine Augen waren eigensinnig.
Sie ließen sich nicht gängeln.
Kein Raum in der Herberge.
Am liebsten wäre er in den eine Elle tiefer liegenden Vorraum geschlichen, hätte sich zur Ziege, den Hühnern und dem Esel in die Futterkrippe gelegt. Dort wäre er in Sicherheit gewesen.
Er glitt wieder und wieder aus dem Schlaf heraus.
Und seine Augen tasteten immer wieder die zwei Schatten ab, die sich übereinander schoben.
Scharfe Atemstöße des Gesprenkelten zerschnitten den Raum. Sein eigener Atem war wehrlos. Er roch den vergorenen Wein, den der Gesprenkelte mit jedem Atemstoß sehr freigiebig verteilte. Ein Würgen ließ sich nur mit aller Kraft unterdrücken.
Du verstehst zu feilschen, hatte seine Mutter an diesem Abend gesagt, so ein herrlich weicher Stoff, und dieses leise Lob machte den Gesprenkelten wehrlos. Prompt rührte sich sein Fleisch, nachdem seine Mutter die drei Öllämpchen im Raum gelöscht hatte.
Feilschen.
Kein Seufzen. Kein Krächzen. Ja. Es war ein leises Feilschen. Wie auf dem Marktplatz.
Eine Kordel, die achtlos zur Seite gelegt wurde. Das Raffen von Stoff. Guter, satt blau gefärbter Wollstoff mit breiter Bordüre. Für einen Spottpreis auf dem Markt erstanden.
Du verstehst zu feilschen. Wie angenehm weich der Stoff ist.
Er glaubte das Gewicht des Gesprenkelten auf sich zu spüren. Das Gewicht zerquetschte beinahe sein Fleisch. Er wälzte sich mit aller Macht auf die andere Seite, schob die Bilder angeekelt von sich.
Weiche von mir.
Wieder dieses Feilschen, das jetzt an seinem Rücken abprallte.
Du verstehst zu feilschen.
Du verstehst zu feilschen.
Du verstehst zu feilschen.
Seine Ohren sollten dieses Feilschen nicht in sich aufnehmen. Er verschloss mit beiden Zeigefingern seine Ohreingänge.
Jeschua glaubte eine Hand auf seinem Rücken zu spüren, die ihn tätschelte. Deshalb drehte er sich noch einmal um. Er biss sich auf die Zunge, um sich abzulenken.
Aber seine Augen waren eigensinnig. Sie konnten vom Schattenspiel nicht lassen.
Und das wurden die Brüder Jeschuas: Jakobus, Judas, Joseph, Simon.
Und das wurden die Schwestern Jeschuas: Esther, Michal, Atalja.
Keines der Kinder war an irgendeiner Stelle am Körper gesprenkelt.
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1. Auflage
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eISBN 978-3-641-08178-2
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