Mit einer Lüge leben? - Patricia Vandenberg - E-Book

Mit einer Lüge leben? E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Seit sechs Wochen war Dr. Bernd Molden an der Behnisch-Klinik tätig, und nicht eine Stunde hatten Dieter und Jenny Behnisch bereuen müssen, dem jungen Arzt ohne viel praktische Erfahrung diese Chance gegeben zu haben. Bernd Molden brachte alles mit, was einen guten Arzt auszeichnete. Man konnte auch sagen, dass er für diesen Beruf geboren war. Erstaunlich war das nicht, wenn man seine Herkunft kannte, denn beide Eltern waren Ärzte gewesen, aber darüber sprach er nicht. Dafür gab es mancherlei Gründe. In seiner ruhigen, stets freundlichen Art, war er bei den Patienten sehr beliebt, obgleich er nicht viel redete. Aber er verstand es zuzuhören, und das war für einen Arzt oft noch wichtiger. Hilde Meissner zum Beispiel, erzählte ihm ihre ganze Lebensgeschichte, obgleich sie sonst auch nicht gerade mitteilsam war, aber Dr. Jenny Behnisch ahnte sehr bald, warum sie Bernd Molden solches Vertrauen entgegenbrachte. Hilde Meissner hatte vor vielen Jahren ihren Mann und ihren damals noch kleinen Sohn bei einem tragischen Unfall verloren, und ihr Sohn, der auch zufällig Bernd hieß, wäre jetzt ungefähr so alt wie Dr. Molden. Der war tief erschüttert, als Hilde Meissner ihm von diesem schrecklichen Unfall erzählte, dem sie hatte zuschauen müssen. »Es war in den Schweizer Bergen, Dr. Molden«, sagte Hilde Meissner leise. »Sie waren beim Skifahren gewesen, und ich wartete drunten im Tal auf sie, weil ich mir den Fuß verstaucht hatte. Wäre ich doch bei ihnen gewesen. Es gab einen Defekt. Niemand konnte später genau erklären, was eigentlich schuld war, aber die Gondel, mit der sie kommen

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Dr. Norden Bestseller – 225 –

Mit einer Lüge leben?

Patricia Vandenberg

Seit sechs Wochen war Dr. Bernd Molden an der Behnisch-Klinik tätig, und nicht eine Stunde hatten Dieter und Jenny Behnisch bereuen müssen, dem jungen Arzt ohne viel praktische Erfahrung diese Chance gegeben zu haben. Bernd Molden brachte alles mit, was einen guten Arzt auszeichnete. Man konnte auch sagen, dass er für diesen Beruf geboren war. Erstaunlich war das nicht, wenn man seine Herkunft kannte, denn beide Eltern waren Ärzte gewesen, aber darüber sprach er nicht. Dafür gab es mancherlei Gründe.

In seiner ruhigen, stets freundlichen Art, war er bei den Patienten sehr beliebt, obgleich er nicht viel redete. Aber er verstand es zuzuhören, und das war für einen Arzt oft noch wichtiger.

Hilde Meissner zum Beispiel, erzählte ihm ihre ganze Lebensgeschichte, obgleich sie sonst auch nicht gerade mitteilsam war, aber Dr. Jenny Behnisch ahnte sehr bald, warum sie Bernd Molden solches Vertrauen entgegenbrachte. Hilde Meissner hatte vor vielen Jahren ihren Mann und ihren damals noch kleinen Sohn bei einem tragischen Unfall verloren, und ihr Sohn, der auch zufällig Bernd hieß, wäre jetzt ungefähr so alt wie Dr. Molden.

Der war tief erschüttert, als Hilde Meissner ihm von diesem schrecklichen Unfall erzählte, dem sie hatte zuschauen müssen.

»Es war in den Schweizer Bergen, Dr. Molden«, sagte Hilde Meissner leise. »Sie waren beim Skifahren gewesen, und ich wartete drunten im Tal auf sie, weil ich mir den Fuß verstaucht hatte. Wäre ich doch bei ihnen gewesen. Es gab einen Defekt. Niemand konnte später genau erklären, was eigentlich schuld war, aber die Gondel, mit der sie kommen sollten, stürzte ab. Es ist jetzt fünfundzwanzig Jahre her, aber ich vergesse dieses Entsetzen nie. Ich träume davon, ich erwache von meinem Angstschrei und kann nicht mehr schlafen. Ich weiß nicht, warum ich noch nicht in einer Irrenanstalt gelandet bin. Und so viele Operationen habe ich durchmachen müssen, und alle habe ich überlebt. Warum nur? Warum lässt Gott mich nicht sterben?«

Darauf wusste Bernd Molden keine Antwort, so leid ihm diese Frau auch tat, und als Arzt wusste er, dass sie tatsächlich dem Tode oft schon nahe gewesen war.

Hilde Meissner bekam nie Besuch. Sie hatte keine Angehörigen mehr, das hatte Bernd Molden auch von ihr erfahren. Sie war reich. Sie hatte schon viel Geld mit in die Ehe gebracht, und auch ihr Mann war sehr begütert gewesen. Und nach dem Tode ihres Mannes und ihres einzigen Kindes hatte sie in der Arbeit Ablenkung und wohl auch Trost gesucht und den Elektrogroßhandel noch gewinnträchtiger gemacht, als er je gewesen war. Hilde Meissner interessierte sich nicht für Besitz und Geld. Sie war eine früh gealterte, vom Leid geprägte Frau und wünschte sich nur, auch bald mit ihrem Mann und ihrem Kind in der Ewigkeit vereint zu sein. Doch jetzt hatte sie einem jungen Mann alle mütterliche ungenutzte Güte entgegengebracht, und Bernd Molden ahnte nicht, welche Folgen dies noch für ihn haben sollte. Für ihn war sie eine todkranke Patientin, deren Tage gezählt waren. Er wusste es. Er kannte alle Untersuchungsergebnisse und die Diagnose, die Dr. Dieter Behnisch und seine Frau Jenny mit ihm besprochen hatten. Hilde Meissner litt an Magenkrebs im letzten Stadium.

»Sie ist ein Mensch, dem man wirklich ein glücklicheres Leben vergönnt hätte«, hatte Jenny Behnisch gesagt. »Aber für sie wird der Tod als Freund kommen, lang ersehnt. Nehmen Sie sich Zeit für sie, wenn es möglich ist, Bernd. Ich weiß, wie sehr sie Sie mag.«

»Sie denkt an ihren Sohn, immer wieder an ihren Sohn. Wie ungerecht doch das Schicksal sein kann.«

Damit wusste Jenny Behnisch in diesem Augenblick wenig anzufangen, zumindest was diese Bemerkung Bernd Moldens betraf. Gewiss hatte sie das Schicksal auch schon ungerecht empfinden gelernt, aber sie wusste auch, dass Bernd Molden eine sehr enge Beziehung zu seiner Mutter hatte.

Aber ihn mochten nicht nur die mütterlichen Frauen, es gab auch jüngere und sogar ganz junge, die voller Ungeduld nach dem jungen Arzt Dr. Molden Ausschau hielten, obgleich dieser nun wirklich nicht auf Wirkung aus war.

Aber eines Tages wurde Benita Popp eingeliefert, die Tochter des berühmten Filmregisseurs Anselm Popp, und über Benitas bevorstehende Heirat mit dem nicht minder bekannten Opernsänger Peter Nolan war schon genug in den Zeitungen berichtet worden.

Aber nun war es so, dass Peter Nolan den schweren Unfall verursacht hatte, bei dem Benita schreckliche Verletzungen davontrug, während er selbst mit einem Schock davonkam, der sich allerdings auf seine Stimme auswirkte.

Es stand jedenfalls fest, dass Peter Nolan am meisten sich selbst bedauerte, und Benitas Mutter, Ines Popp, war in allem Unglück froh, dass er in eine andere Klinik gebracht worden war.

Dass Benita in die Behnisch-Klinik gebracht worden war, war dem Umstand zu verdanken, dass auch Dr. Norden zu der Unfallstelle gerufen worden war, und er kannte Benita. Peter Nolan war zu diesem Zeitpunkt schon auf schnellstem Wege zum Kreiskrankenhaus gebracht worden, aber Benita konnte man erst mit Hilfe der Feuerwehr aus dem demolierten Wagen befreien.

Der zweite Wagen, der in diesen Unfall verwickelt gewesen war, wurde von einer Frau mittleren Alters gesteuert, die ebenfalls in die Behnisch-Klinik gebracht wurde. Auch sie war schwer verletzt, aber ihren Namen wusste man noch nicht. Als Dr. Molden diesen dann erfuhr, wurde er blass, und zum ersten Mal sah ihn Dr. Behnisch fassungslos und verwirrt.

»Madlen Börring, ist Ihnen diese Frau bekannt, Bernd?«, fragte er.

»Der Name, nur der Name«, erwiderte Bernd. »Mein Gott, warum muss sie ausgerechnet hierherkommen!«

»Was erregt Sie so?«, fragte Dieter Behnisch.

»Ich kann das nicht mit ein paar Worten erklären. Es ist eine lange, schon sehr alte Geschichte, aber ich fühle mich nicht in der Lage, dieser Frau ärztliche Hilfe zuteil werden zu lassen, Chef. Sie können mich sofort entlassen durch diese Weigerung.«

»Wir werden schon einen Weg finden, Bernd«, sagte Dr. Behnisch ruhig. »Wir werden uns zu gegebener Zeit aussprechen, und vorerst brauchen Sie sich um diese Patientin nicht zu kümmern. Vielleicht wünscht sie auch, in eine andere Klinik verlegt zu werden.«

Doch dazu war Madlen Börring vorerst gar nicht in der Lage. Sie war genauso bewusstlos wie Benita Popp, obgleich ihre Verletzungen nicht so schwer waren wie die von Benita, und Dr. Norden bangte mit den Behnischs um das Leben dieses bezaubernden Mädchens.

Als Dr. Norden die Behnisch-Klinik verließ, kam Ines Popp, Benitas Mutter. Sie war herbeigerufen worden. Sie war eine vollendete Dame, vom Scheitel bis zur Sohle, selbst jetzt, da man ihr die innere Erregung anmerken konnte. Ihr feines schmales Gesicht, das noch immer schön zu nennen war, hatte einen schmerzlichen Ausdruck.

Dr. Norden umschloss ihre schmale Hand mit beruhigendem Griff, aber diese Hand war eiskalt und zitterte.

»Sie wird doch leben«, stammelte sie. »Mein Kind muss leben! Sie ist doch alles, was ich habe.«

Solche Worte hatte er nicht erwartet. Die Ehe der Popps galt als glücklich, und Anselm Popp machte nicht durch Affären von sich reden.

»Wir können augenblicklich noch gar nichts sagen, gnädige Frau«, rang er sich ab. »Benita wird operiert. Sie können sich darauf verlassen, dass Dr. Behnisch und seine Frau alles tun werden, um Benitas Leben zu erhalten.«

In ihren Augen war ein trostloser Ausdruck. »Diese Raserei«, flüsterte sie. »Damit kann man sich doch wirklich nichts beweisen, aber es geht ihnen nichts schnell genug. So traurig alles auch ist, ich hoffe nur, dass wenigstens diese Heirat nicht zustande kommt.«

Vielleicht hatte sie es gar nicht sagen wollen. Ein Zucken lief über ihr Gesicht.

»Kann ich Benita sehen?«, fragte sie hastig.

»Jetzt noch nicht. Ich weiß auch nicht, wie lange die Operation dauert. Sie können hier warten. Ich werde Schwester Irmgard Bescheid sagen, dass sie Ihnen einen Kaffee bringt.«

»Danke, das ist nicht nötig. Ich gehe auch lieber nach draußen. Ich brauche Luft.« Schon griff sie an ihre Kehle und rang nach Atem. Und dann schwanden ihr plötzlich die Sinne, und Dr. Norden musste nun hier auch noch als Arzt in Aktion treten.

Dr. Norden betrachtete die Bewusstlose. Er kannte sie ja nicht erst seit dieser Stunde, und er bemerkte, wie sehr sie abgebaut hatte, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Er konnte jetzt nicht feststellen, welches die Ursache war, dass sie auch so abgenommen hatte, aber eine gründliche Durchuntersuchung hielt er für angebracht. Gut, eine augenblickliche Schwäche, durch den Schock, die Erregung verursacht, mochte diese Ohnmacht ausgelöst haben, aber das war nicht mehr jene Ines Popp, die er schon Jahre kannte, schon seit dem Tage, als sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter das neue Haus in der Tulpenstraße bezogen hatte. Da hatte sich Ines nämlich eine Bänderzerrung zugezogen, als sie auf der feuchten Marmortreppe ausgerutscht war.

Sie war eine bezaubernde, anmutige Frau gewesen, und kein bisschen wehleidig. Und sie hatte ihren Mann und ihre Tochter beruhigt, die so um sie besorgt gewesen waren. Sollte sich das etwa geändert haben? Nein, zwischen Mutter und Tochter gewiss nicht, oder sollte da durch Peter Nolan ein Konflikt entstanden sein? Ines Popps Bemerkung ging Dr. Norden nicht aus dem Sinn, diese Bemerkung, dass nun wenigstens diese Heirat nicht zustande kommen würde.

Von Peter Nolan wusste Dr. Norden nur, dass er ein viel umschwärmter und schon sehr bekannter Tenor war.

Dr. Norden hatte auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Ines Popp kam zu sich, und er musste auch daran denken, dass nun in seiner Praxis schon einige Patienten warteten, die auch versorgt werden wollten.

»Geht es wieder?«, fragte er, als Ines die Augen aufschlug. »Ich habe Ihnen eine Injektion gegeben, die Ihren Kreislauf wieder mobilisiert, aber Sie sollten sich doch einmal gründlich untersuchen lassen, damit man genau feststellen kann, wo Mangelerscheinungen vorliegen.«

»Bébé ist wichtiger«, flüsterte sie.

»Kann ich Ihren Mann verständigen, Frau Popp?«

»Er ist doch in Rom«, erwiderte sie tonlos. »Bébé und Peter waren auch dort. Sie waren auf der Rückfahrt. Sie hätten ja fliegen können, aber nein, er muss sich wieder als Rennfahrer beweisen. Publicity, immer nur Publicity. Wir leben in einer seltsamen Welt, Dr. Norden.«

Dann kam Dr. Molden, und er sagte Ines, dass die größte Gefahr für ihre Tochter augenblicklich gebannt sei.

Dr. Norden verabschiedete sich und fuhr zu seiner Praxis. Dr. Molden kannte Ines Popp noch nicht. Obschon er den Namen Anselm Popp schon gehört hatte, brachte er ihn jetzt nicht in Zusammenhang mit dieser angstvollen Mutter, nicht mit dem Unfall. Aber er erfuhr es bald, wer die junge Patientin war, und zum zweiten Mal an diesem Tag war er konsterniert, als ihm gesagt wurde, dass Benita Popp mit Peter Nolan verlobt war. Peter Nolan und Madlen Börring, für ihn gab das keinen Zusammenhang, aber für ihn hatten beide Namen eine Bedeutung, und es beschäftigte ihn, welch merkwürdiger Zufall diese beiden Menschen in den Unfall verwickelt hatten, und Benita Popp dazu.

Hilde Meissner vermisste Bernd, der an diesem Tag keine Zeit hatte, sich zu ihr zu setzen. Sie fragte Schwester Irmgard, was denn los sei, und die erzählte ihr auch sofort von dem Unfall.

»Die kleine Popp«, sagte Frau Meissner beklommen, »ein reizendes Mädchen, zu schade für diesen Nolan. Aber mir steht es nicht zu, solche Gedanken zu äußern.«

Und Bernd Molden ging nicht darauf ein, als Schwester Irmgard ihm dies wiedergab. Schwester Irmgard interessierte sich nicht für Musik, las allerdings gern die Klatschspalten der Boulevardblätter und Illustrierten, und so war sie auch informiert, dass Peter Nolan ein vielumschwärmter Mann war. Für seinen Zustand interessierte sich Dr. Molden allerdings auch.

*

Seltsamerweise hatte Peter Nolan keine besonders schweren Verletzungen davongetragen, obgleich er nicht angeschnallt gewesen war. Doch gerade in diesem Fall mochte das von Vorteil für ihn gewesen sein, da er aus dem Wagen herausgeschleudert wurde, bevor er auf den anderen mit voller Wucht aufprallte. Zuerst hatte er nämlich eine Leitplanke gestreift, und dann hatte er auch noch das Glück gehabt, auf weichen Waldboden zu fallen.

Seine Stimme wollte ihm nicht gehorchen, als er erklärte, dass er sich an nichts erinnern könnte, und er schien sich sogar daran nicht zu erinnern, dass Benita neben ihm gesessen hatte. Dass er nicht auftreten konnte, bereitete allerdings nicht ihm allein Sorgen. Es musste Ersatz für ihn beschafft werden, und das war auch für Peter Nolan bitter, da er nicht wusste, wie die Versicherung reagieren würde, falls der Unfall ihm allein in die Schuhe geschoben würde. Vorerst hüllte er sich in Schweigen und beteuerte nur immer wieder, dass er sich an nichts erinnern könnte.

Benita konnte nichts sagen. Sie lag in tiefer Bewusstlosigkeit. Madlen Börring dagegen war zu sich gekommen, und sie sagte auch erst einmal, dass sie sich an nichts erinnern könne. Als ihr dann gesagt wurde, dass der Unfallverursacher wahrscheinlich Peter Nolan gewesen sei, horchte sie auf.

»Der Opernsänger?«, fragte sie. »Tatsächlich? Das tut mir leid.«

Dr. Behnisch fand diese Reaktion merkwürdig, aber er äußerte sich nicht dazu. Es konnte ja auch sein, dass bei dieser Patientin auch eine Verwirrung vorlag.

Madlen Börring war für ihn ein unbeschriebenes Blatt. Eine Frau von vierzig Jahren, sehr attraktiv und vor allem sehr gepflegt. Sie war ziemlich groß, schlank, hatte kastanienbraunes Haar und graugrüne Augen, einen sinnlichen Mund und sehr schöne Zähne, die allerdings Jackettkronen ihre Ebenmäßigkeit zu verdanken hatten. Sie verlangte ein Einzelzimmer, aber das konnte man ihr nicht bieten, da die Klinik zu diesem Zeitpunkt überbelegt war, und in Anbetracht der besonderen Umstände, die Dr. Molden angedeutet hatte, hoffte Dr. Behnisch dann auch, dass sich Madlen Börring für eine andere Klinik entscheiden würde, aber das tat sie nicht, und noch hatte Dr. Behnisch keine Ahnung, dass diese Frau vorher den Namen Dr. Molden gehört hatte.

Madlen Börring war eine Frau, die nie zufrieden gewesen war in ihrem Leben, der nicht genügte, was sie besaß, und das war nicht wenig, wenn auch nicht immer auf solide Weise erworben. Sie schaute nur auf die Menschen, die mehr besaßen als sie und empfand nur Genugtuung, wenn sie mit Intrigen oder Sticheleien Erfolg hatte. Ja, da kannte sie keine Skrupel und keine Gewissensbisse. Sie war habgierig, und auch jetzt überlegte sie schon, wie sie aus diesem Unfall Kapital und Vorteile für sich schlagen konnte, und sie war entschlossen, möglichst lange in dieser Klinik zu bleiben, da sie den Namen Molden vernommen hatte.

Aber sie wollte jetzt noch keine Fragen stellen, da sie die Schwestern erst unter die Lupe nehmen wollte, um herauszufinden, welche wohl am mitteilsamsten sein würde. Und wenn es darauf ankam und zum Vorteil für sie sein konnte, verstand sie es auch, sich sehr freundlich und sogar rücksichtsvoll zu geben. Jedenfalls wurden keine Klagen über sie laut, und Dr. Behnisch fragte sich, was Bernd Molden gegen diese Frau haben könnte.

Hatte es da etwa mal eine Liaison gegeben? Das sollte es ja auch bei jungen Männern und bedeutend älteren Frauen geben. Aber Dr. Behnisch traute es Bernd Molden nicht zu. Der junge Arzt war so sensibel, so überaus zurückhaltend, dass man sich so etwas gar nicht vorstellen konnte.

Bernd befand sich in einem tiefen Zwiespalt. Sollte er seinem Chef erklären, welche tragische Bedeutung diese Frau für sein Leben hatte, oder sollte er lieber schweigen? Er rang sich dann aber doch dazu durch, Dr. Behnisch eine Erklärung abzugeben, und das sollte sich für die Zukunft als gut erweisen.

Eine knappe Viertelstunde blieb dazu Zeit, als in der Klinik wieder Ruhe eingekehrt war.

»Sie erwarten sicher eine Erklärung von mir, bezüglich meiner Bemerkung über diese Frau Börring«, begann Bernd stockend.

»Ich erwarte sie nicht, aber es freut mich, wenn Sie Vertrauen zu mir haben, Bernd. Ich bin immer für Offenheit, und es ist selbstverständlich, dass Diskretion gewahrt wird, wenn wir private Dinge erörtern.«

»Ich werde mich kurz fassen. Madlen Börring war die Sekretärin meines Vaters. Sie wissen ja, dass er Chefarzt in Berlin war. Meine Mutter hatte eine eigene Praxis. Sie waren beide beruflich sehr beansprucht, aber die Ehe verlief harmonisch, bis es die Börring verstanden hatte, meinen Vater zu umgarnen. Sie erklärte meiner Mutter eines Tages, dass sie ein Kind erwarte, und wenn mein Vater sie nicht heiraten würde, gäbe es einen Skandal. Die Ehe wurde geschieden, mein Vater heiratete diese Frau, aber sie bekam kein Kind. Mein Vater wollte zu meiner Mutter zurückkehren, aber sie war so tief getroffen, dass sie nein sagte. Wenig später stürzte mein Vater bei einer Bergtour ab, und diese Börring scheute sich nicht, meine Mutter zu bezichtigen, meinen Vater in den Tod getrieben zu haben. So, das wäre es. Meine Mutter hat das nie überwunden. Sie praktiziert zwar noch, aber in einem kleinen Ort im Allgäu, wo sie niemand kannte.«

»Und warum nennt sich diese Frau Börring und nicht Molden, wenn sie doch tatsächlich mit ihrem Vater verheiratet war?«

»Sie hat später wieder geheiratet. Ich weiß nicht, ob diese Ehe noch besteht.«

»Jedenfalls weiß ich jetzt Bescheid, was Sie betrifft, Bernd, und ich verstehe, dass Sie dieser Frau nicht begegnen wollen. Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«