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David Murphy kämpft gegen die Dämonen der Dämmerung.
In der Gegend von Atlanta/Georgia geschehen seit längerer Zeit geheimnisvolle Ritualmorde. DER FROSTIGE MANN und seine finstere Familie üben in der kleinen Stadt Rovers Hill eine blutige Schreckensherrschaft aus. Sie verehren die »Dämonen der Dämmerung«, unfassbare Geschöpfe aus einer anderen Dimension, die den Weg in unsere Welt suchen – und wenn sie ihn gefunden haben, wird die Erde in Chaos und Tod versinken. David Murphy verfolgt die Spur des FROSTIGEN MANNES – sie führt in eine tödliche Falle.
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Alfred Wallon & Marten Munsonius
Jenseits der Finsternis
Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung
Horror-Roman
Neuausgabe
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © Steve Mayer nach Motiven, 2023
Korrektorat: Bärenklau Exklusiv
Die englischsprachige Ausgabe erschien unter dem Titel – BEYOND THE DARKNESS
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Jenseits der Finsternis
Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung
Das Buch des Wissens
1. Kapitel – Erwachen
2. Kapitel – Route Sixty-Five
3. Kapitel – Atlanta – im Frühwinter vor neun Jahren
4. Kapitel – Ein Mann ohne Vergangenheit?
5. Kapitel – Das Motel
6. Kapitel – Das Haus auf dem Hügel
7. Kapitel – Pathologie
8. Kapitel – Ein Mann namens Hellmark
9. Kapitel – Das Treffen
10. Kapitel – Einsturzgefahr …
11. Kapitel – Nicht nur eine alte Munitionsfabrik
Epilog
Weitere Murphy-Bände sind lieferbar oder befinden sich in Vorbereitung
David Murphy gegen die Dämonen der Dämmerung.
In der Gegend von Atlanta/Georgia geschehen seit längerer Zeit geheimnisvolle Ritualmorde. DER FROSTIGE MANN und seine finstere Familie üben in der kleinen Stadt Rovers Hill eine blutige Schreckensherrschaft aus. Sie verehren die »Dämonen der Dämmerung«, unfassbare Geschöpfe aus einer anderen Dimension, die den Weg in unsere Welt suchen – und wenn sie ihn gefunden haben, wird die Erde in Chaos und Tod versinken. David Murphy verfolgt die Spur des FROSTIGEN MANNES – sie führt in eine tödliche Falle.
***
Es beunruhigte ihn sehr, dass er schon seit einigen Tagen nichts mehr von David Murphy gehört hatte. Dr. Barry Reeves erschien es wie vor einer halben Ewigkeit, seit er den Mann zum letzten Mal gesehen hatte, und der schließlich dafür sorgte, dass ab diesem Zeitpunkt nichts mehr so war wie es Barry Reeves einst geglaubt hatte.
Barry Reeves war Dozent für Psychologie an der Universität von Atlanta und galt dort auch als Experte für Grenzwissenschaften (solche die nicht unbedingt offiziell gelehrt wurden). Unter seinen Kollegen und bei den ordentlichen Professoren galt er als verschrobener Einzelgänger, der sich viel zu viel mit kuriosen Schriften und Büchern beschäftigte, über die man nur hinter vorgehaltener Hand munkelte. Nur seinem guten Ruf als Psychologiedozent hatte er es zu verdanken, dass sich die Kollegen nicht beim Dekan der Universität über ihn beschwerten – denn Dr. Reeves erwähnte auch in seinen »normalen« Vorlesungen des Öfteren Dinge, die sich jenseits des menschlichen Verstandes befanden. Die meisten Studenten lächelten heimlich darüber, weil sie Reeves verschrobene Natur kannten – aber es gab auch einige unter ihnen, bei denen seine Worte auf ein echtes Interesse und Nachdenklichkeit über die Natur der Dinge zugleich stießen.
Draußen ging die Sonne allmählich unter, und die Neonreklamen der zahlreichen Geschäfte erhellten jetzt das Straßenbild. Die Nacht erwachte allmählich zum Leben – mit ihren zahlreichen Restaurants, Bars und Kneipen, die ihre Vorzüge mit grellbunten Neonschriften herausstellten. Atlanta war aber auch eine Stadt voller Gegensätze – und es gab Orte, die die Touristen nie zu sehen bekamen. Weil es dort viel zu gefährlich für sie war, denn die Schattenseiten und die gaukelnden Werbeflächen der heilen Welt waren wie Mosaike aneinandergekettet – und nicht jeder fühlt sich im Dschungel der großen Metropolen heimisch.
Dr. Barry Reeves lebte zwar schon seit mehr als fünfzehn Jahren in der Metropole Atlanta, aber auch er kannte die »schlimmen« Stadtbezirke nur vom Hörensagen – eben das, was man im Nachrichtenkanal sah oder in den Zeitungen las. Rassenkrawalle, Drogenschmuggel, Prostitution, Hehlerei und Bandenkriege zwischen rivalisierenden Jugendgangs, wo bereits wegen eines falschen Gesichtsausdrucks gekillt wurde. In dieser Hinsicht machte auch Atlanta im Vergleich zu anderen größeren Städten Amerikas keine Ausnahme – bis auf eine: in Atlanta residierte immer noch der Ku-Klux-Klan, eine rassistische Vereinigung verwirrter Narren, die auch nach hundert Jahren ihres Bestehens nichts dazugelernt hatten. Sie glaubten an ein »weißes und sauberes« Amerika und verachteten all das, was keine weiße Haut hatte. Sie besaßen noch heute einflussreiche Stellungen in Wirtschaft und Politik, und deshalb hatten die Behörden auch nichts unternommen. Weil es immer irgendwo jemanden gab, der seine schützende Hand über den Klan hielt!
Dr. Reeves selbst gehörte zu der Sorte introvertierter Gelehrter, die am glücklichsten waren, wenn man sie ganz zufrieden über dem Mief alter Bücher arbeiten ließ. Er hatte die Fünfzig schon weit überschritten, war noch immer ledig und lebte bescheiden in einer geräumigen Wohnung am Stadtrand, in deren Räumen sich die Folianten in den Wandregalen stapelten. Dr. Reeves besaß eine recht umfangreiche Sammlung verschiedener Themen im grenzwissenschaftlichen Bereich – es war ihm sogar gelungen, in alten sumerischen Schriftrollen Hinweise auf das sagenhafte Buch NECRONOMICON zu finden – ein Buch, von dem niemand so recht wusste, ob es existierte, da es heute als eine Erfindung dem Schriftsteller Howard Philllips Lovecraft zugeschrieben wird.
Durch seine privaten Nachforschungen war er eines Tages auch auf Insiderwissen des Ku-Klux-Klans gestoßen. In alten Zeitungsarchiven hatte er so lange gestöbert, bis er etwas gefunden hatte, was ihn noch stutzig machte. Später stöberte er sogar Zeitzeugen auf. Da war die Rede von geheimnisvollen Umtrieben eines so genannten Inneren Kreises von Atlanta, einer Art Geheimbund innerhalb des Ku-Klux-Klans.
Dr. Reeves fand das alles sehr eigenartig. Keiner der alten Männer und Frauen, die er interviewt hatte, äußerte sich klar und deutlich zu lang zurückliegenden Vorkommnissen. Niemand rückte frei mit möglichen Fakten heraus.
Er musste sich alle möglichen Ausreden anhören, wie zum Beispiel: Wissen Sie Mr. Reeves, mein Alter macht mir zu schaffen.
Oder: Ich leide unter einer seltenen Abart der Alzheimerschen Krankheit, hatte eine Frau gesagt, die in Verbindung mit einigen höchst spektakulären Fällen von Lynchjustiz in den dreißiger Jahren stand. Ihre Augen leuchteten dabei ein wenig. Bist’n oberschlauer kleiner Scheißer, sagten sie aus. Sie wissen schon, Mr. Doctor Reeves! Sie machen mich nervös – aber es ist besser, nichts zu sagen, nicht einmal nach sechzig Jahren!
Dr. Reeves bemerkte die kleinen Unterschiede sofort, ob jemand nichts sagen wollte, oder nichts mehr wusste und er nahm sich vor, mehr darüber herauszufinden, viel mehr – die Wahrheit! Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt machte er dann die Bekanntschaft eines Mannes namens David Murphy, der ihn zwischen zwei Vorlesungen an der Universität aufgesucht hatte und unbedingt mit ihm sprechen wollte. Dr. Reeves war zunächst ziemlich misstrauisch gewesen, denn der kräftige Mann mit den rotblonden Haaren und dem dichten Vollbart kam ihm ziemlich merkwürdig vor – aber er schien sehr genau über alles Bescheid zu wissen, womit sich Dr. Reeves beschäftigte. Als wenn er oder jemand anderes ihn schon länger heimlich beobachtet hatte.
Der Psychologiedozent hatte seine Skepsis nicht sofort abgelegt, aber der sonderbare Mann erinnerte ihn an seinen älteren Bruder. Dr. Reeves dachte nicht mehr oft an Harry, der im Vietnamkrieg gefallen war, als er selbst noch als nicht mehr ganz junger Student in den Protestmärschen fernab des wirklichen Kriegsgeschehens mitgewirkt hatte. Harry war acht Jahre älter und würde heute bereits sein Ruhedasein nach einem harten Erwerbsleben genießen können. Dr. Reeves konnte sich noch genau an die letzte Begegnung mit seinem älteren Bruder erinnern, kurz bevor es in den Krieg ging, in den Hügel 234, der heute noch nur ein 15 Meter tiefer Krater ist. Böse, Böse hatte sein Bruder zum Scherz gesagt, und Dr. Reeves war sich nicht sicher, genau diesen Satz aus dem Mund des rotblonden Mannes gehört zu haben.
Überhaupt erinnerte der fremde Mann in vielen Punkten an die Art seines Bruders, und schließlich nach einigen längeren Gesprächen hatte er seine Skepsis dann aber endgültig abgelegt.
(Spätestens als Murphy ihn in einen Teil dessen eingeweiht hatte, weswegen er selbst nach Atlanta gekommen war – und er hatte ihm etwas anvertraut, das Reeves so lange bei sich behalten sollte, bis er hier seinen Job erledigt hatte.) Was das genau war, darüber hatte Murphy Dr. Reeves im Unklaren gelassen. Er hatte ihn jedoch inständig darum gebeten, das Buch unverzüglich dem Orden vom weißen Lichte zu übergeben, wenn er von seiner Mission nicht mehr zurückkehrte. Dr. Reeves wunderte sich umso mehr darüber, als Murphy ihm eröffnete, dass man dort über die privaten Forschungen von Dr. Reeves sehr gut informiert und deshalb schon seit längerer Zeit auf ihn aufmerksam geworden sei.
Seit Dr. Reeves dieses Buch zuhause hatte, schien sich irgendetwas geändert zu haben – aber er konnte nicht genau beschreiben, was das war. Natürlich war er neugierig, was wohl in dem Buch geschrieben stand – aber es befand sich in einer verschlossenen Kassette. Murphy hatte ihm den Schlüssel dafür ebenfalls ausgehändigt – er konnte sie also öffnen.
Aber ein unbestimmbares Gefühl hatte ihn schon mehrmals davon abgehalten, den Schlüssel zu nehmen und die Kassette zu öffnen
(Vielleicht weil dieses Gefühl ihm sagte, dass es besser war, wenn er nichts Genaues über diesen Teil der Abmachung wusste …)
Trotzdem schien dieses geheimnisvolle Buch selbst etwas damit zu tun zu haben, dass er unmittelbar nach dem Verschwinden dieses David Murphy eine wachsende Nervosität in sich spürte – als wenn ihn jemand still und heimlich beobachtete. Und das war ein Gefühl, das neu war für Dr. Barry Reeves. Weil es ihn zusehends beunruhigte.
Angefangen hatte es mit ganz simplen Dingen – neugierige Blicke eines Mannes auf dem Parkplatz beim Einkauf im Supermarkt vorgestern. Denselben Mann hatte Dr. Reeves dann wieder im Drugstore getroffen, wo er sich immer seine Kopfschmerztabletten holte. Auch das konnte einer von vielen Zufällen gewesen sein – aber irgendwie glaubte der Psychologiedozent später nicht mehr daran, denn er hatte den betreffenden Mann im dunklen Trenchcoat nur ganz kurz angesehen (und diese elenden, kalten Augen hatten ihn bis ins Tiefste seiner Seele erschauern lassen). Ob er die Polizei anrufen und denen das melden sollte? Aber vielleicht stimmte das alles ja gar nicht, und er machte sich mit seinen – vielleicht – haltlosen Verdächtigungen nur lächerlich? Und Beweise für seine Mutmaßungen hatte er auch keine.
Dr. Reeves hatte immer wieder darüber nachgegrübelt – auch jetzt an diesem späten Nachmittag, als er in seinem Arbeitszimmer saß und seine Vorlesung für den nächsten Tag vorbereitete. Es war ein trüber und grauer Tag – eigentlich gerade ideal dafür, zuhause zu bleiben.
Plötzlich klingelte das Telefon, zerriss die Stille in der Wohnung so unerwartet, dass Dr. Reeves zusammenzuckte. Kopfschüttelnd erhob er sich von seinem Schreibtisch und ging hinüber ins Wohnzimmer, wo das Telefon auf einer kleinen Anrichte stand. Er hob den Hörer ab und meldete sich dann mit seinem Namen.
»Sie haben etwas, was uns interessiert, Dr. Reeves«, hörte er eine leise, aber dennoch sehr klar zu vernehmende Stimme. »Sie sollten sich besser davon trennen, bevor es zu spät ist …«
»Wer ist da?«, fragte der Psychologiedozent, der es auf den Tod nicht leiden konnte, wenn jemand am Telefon anonym blieb. Es gab immer solche Spinner, die sich einen Spaß daraus machten, hart arbeitende Leute einfach zu stören und ihnen dann nervtötende dumme Fragen zu stellen.
»Jemand, der es gut mit Ihnen meint, Dr. Reeves«, fuhr die Stimme nun fort. »Trennen Sie sich besser von dem Buch – und zwar noch heute. Es ist besser für Sie, sonst … geht es Ihnen vielleicht wie Ihren Bruder?!«
»Jetzt reicht es aber!«, unterbrach Dr. Reeves den unbekannten Anrufer erschrocken mitten im nächsten Satz – allerdings etwas zu heftig. »Ich kenne dieses Buch nicht, von dem Sie mir andauernd etwas erzählen wollen – und im Übrigen interessiert es mich nicht im Geringsten. Bitte lassen Sie mich in Ruhe – ich habe noch jede Menge zu arbeiten!«
Er knallte den Hörer förmlich auf die Gabel und fühlte gleichzeitig, wie sich sein Herzschlag aus unerklärlichen Gründen weiter beschleunigte. Von einer seltsamen Ahnung getrieben, eilte er plötzlich zum Fenster, schob den Vorhang beiseite und blickte hinunter auf die Hauptstraße des Stadtviertels, die direkt unterhalb vorbeiführte. Er sah die Telefonzelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite, aus der gerade ein Mann herauskam. Mit vor Überraschung größer werdenden Augen sah er, dass es derselbe Mann war, der ihm schon vorgestern mehrmals begegnet war!
Ausgerechnet jetzt blickte er hinauf zum Fenster seiner Wohnung und sah Dr. Reeves natürlich. Es schien, als wenn er ihm freundlich zulächelte, aber mit seiner rechten Hand vollführte er dabei eine kurze horizontale Bewegung an seiner Kehle entlang. Eine Geste, die eindeutig war, und Dr. Reeves wurde bleich, verschwand rasch vom Fenster. Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn, und sein Herz begann zu rasen. Der Psychologiedozent spürte einen schmerzhaften Druck in seiner Brust und begab sich deshalb rasch ins Bad, wo er aus dem Arzneimittelschrank eine Tablette holte und sie mit Wasser hinunterspülte. Augenblicke später senkte sich wieder der Herzschlag – Dr. Reeves war stark anfällig gegen plötzliche Aufregung, weil sein Herz nicht mehr das Gesündeste war. Er wusste das, ebenso wie die Tatsache, dass er sich irgendwann operieren lassen musste, wenn er nicht dem Risiko eines plötzlichen Herztodes ausgesetzt sein wollte.
Erst als sich Dr. Reeves wieder besser fühlte, wagte er es erneut zum Fenster zu gehen und einen Blick hinauszuwerfen. Von dem Mann war jetzt aber weit und breit nichts mehr zu sehen – als habe es ihn und seine bedrohliche Geste nie gegeben.
Und wieder klingelte jetzt das Telefon. Dr. Reeves zuckte so sehr zusammen, dass er beinahe erschrocken aufgeschrien hätte. Dann aber nahm er all seinen Mut zusammen, ging mit grimmiger Miene hinüber zum Telefon und nahm den Hörer ab.
»Verdammt noch mal, lassen Sie mich endlich in Ruhe!«, rief er zornig in die Sprechmuschel. »Ich habe dieses Buch nicht, und es interessiert mich auch nicht. Wenn Sie mich noch einmal belästigen, dann werde ich die Polizei rufen und …«
»Dr. Reeves – mein Gott, was ist denn los mit Ihnen?«, erkannte der Psychologiedozent dann die vertraute Stimme seiner Sekretärin Anne Rivers. »Ist etwas … ist etwas passiert?«
»Nein, nein«, lenkte Dr. Reeves sofort ab und bemühte sich, ganz ruhig zu bleiben (obwohl es in ihm ganz anders aussah). »Was ist denn, Anne? Gibt es etwas Wichtiges?«
»Entschuldigen Sie die Störung, Dr. Reeves«, sagte seine Sekretärin daraufhin. »Aber es ist nur … Sie haben im Vorlesungsraum Notizen liegen lassen, und ich dachte mir eben, dass Sie sie heute noch brauchen – wegen der Vorlesung morgen …«
»Anne, ich wüsste nicht, was ich ohne Sie tun sollte«, erwiderte Dr. Reeves daraufhin. In der Tat hatte er schon nach diesen Aufzeichnungen in der ganzen Wohnung gesucht, sie aber dennoch nicht gefunden. Kein Wunder – denn sie waren ja in der Universität geblieben. »Ich komme gleich vorbei und hole sie mir noch ab. Könnten Sie solange noch auf mich warten? Ich weiß, dass Sie gleich Feierabend haben. Aber ich nehme mir ein Taxi. Es wird nicht lange dauern …«
»Natürlich warte ich auf Sie, Dr. Reeves«, meinte Anne Rivers.
»Ich weiß das zu schätzen, Anne«, sagte der Psychologiedozent daraufhin. »Vielleicht könnten Sie mir ja noch einen Gefallen tun und im Tresor etwas für mich aufbewahren. Ich bringe es mit – hier bei mir zuhause … Es sind wichtige Aufzeichnungen, verstehen Sie?«
Anne versicherte ihm, dass das überhaupt kein Problem sei (auch wenn in ihrer Stimme ein wenig Neugier anklang, was das denn für wichtige Unterlagen sein mochten …), und das stellte Dr. Reeves doch sehr zufrieden. Er beendete das Gespräch, legte den Hörer auf und holte dann die Kassette, die er in seinem Schreibtisch verstaut hatte. Er packte sie in seine abgewetzte Ledertasche, griff nach Hut und Mantel und verließ dann seine Wohnung – natürlich nicht, ohne vorher nochmals einen prüfenden Blick aus dem Fenster zu werfen. Er sah zu beiden Seiten der Straße hinunter, konnte aber nirgendwo etwas Verdächtiges bemerken.
Dr. Reeves öffnete daraufhin die Tür und trat hinaus ins Treppenhaus. Er verschloss die Wohnung und ging nach draußen auf die Straße. Er war froh, dass er nicht lange zu warten brauchte, bis ein Taxi in die Straße einbog. Sofort hob er die linke Hand, um dem Taxi ein Zeichen zu geben. Der Fahrer hatte das sofort bemerkt und stoppte das Taxi nur wenige Schritte vor ihm. Dr. Reeves öffnete die hintere Wagentür und stieg dann ein.
»Zur Universität«, sagte er mit ungeduldiger Stimme zu dem Fahrer, der ihm den Rücken zukehrte. »Und beeilen Sie sich bitte.«
Der Mann am Steuer des Taxis nickte nur, betätigte die Zeitschaltuhr und gab Gas. Während er losfuhr, drehte sich Dr. Reeves nochmals um, sah zurück zu seiner Wohnung.
Eine spürbare Erleichterung ergriff ihn, als sich ihm durch das Rückfenster des Taxis nach wie vor das vertraute Bild der ihm seit vielen Jahren bekannten Straße bot. Nirgendwo war etwas Auffälliges zu bemerken, und der verdächtige Mann, der ihn angerufen und kurz darauf bedroht hatte, war auch nicht zu sehen.
Allmählich wich die Spannung von Dr. Reeves, und er sah nach vorn zu dem Taxifahrer, der an der Johnson Avenue nach rechts abbog und sich dann in den Freeway 57 einfädelte.
»Zur Universität geht´s aber links ab«, kritisierte der Psychologiedozent den Fahrer. »Mister, ich habe es sehr eilig …«
»Ein Stau weiter vorn, Sir«, erwiderte der Taxifahrer knapp, ohne sich zu ihm umzudrehen. »Ich hab’s eben über Funk von der Zentrale erfahren, bevor Sie eingestiegen sind. Deshalb dieser Umweg – aber keine Sorge. Sie werden ganz pünktlich ankommen …«
Diese Aussage stellte Dr. Reeves zufrieden, aber nur so lange, bis das Taxi eine knappe Viertelstunde später den Freeway 57 verließ und in Richtung südliche Außenbezirke der Stadt fuhr. Aber die Universität lag doch weiter westlich! Was in aller Welt war denn nur mit dem Taxifahrer los? Ein Neuling, der sich offensichtlich in dieser gewaltigen Metropole erst einmal zurechtfinden musste – und das ging wahrscheinlich auf Dr. Reeves Kosten. Unmutsfalten bildeten sich auf seiner Stirn, als er sich erneut an den Taxifahrer wandte.
»Sie kennen sich hier wohl nicht aus, wie?«, fragte er ihn in tadelndem Ton. »Ich will zur Universität – das habe ich Ihnen schon einmal gesagt. Und die liegt westlich des Freeways, den Sie gerade verlassen haben.«
»Ich kenne eine Abkürzung«, murmelte der Fahrer. »Kostet Sie garantiert nicht mehr – verlassen Sie sich drauf …«
Erneut bog er von der Hauptstraße ab und näherte sich immer mehr den Randbezirken von Atlanta – ausgerechnet dem Stadtviertel, das Dr. Reeves eigentlich niemals von nahe sehen wollte. Er registrierte den Müll auf den Straßen, blickte auf verkommene Fassaden alter Häuser, wo vor den Türen große Mülltonnen standen – und direkt davor spielten Kinder, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, in dieser Umgebung aufzuwachsen.
»Halten Sie an … ich will aussteigen!«, wandte sich Dr. Reeves an den Taxifahrer. »Fahren Sie rechts ran, aber sofort!« Sein ungutes Gefühl wurde jetzt stärker – vor allen Dingen deshalb, weil der Taxifahrer auf einmal stocktaub zu sein schien und gar nicht auf Dr. Reeves Anweisungen reagierte.
»Zum Teufel – was soll das?«, fuhr ihn der Psychologiedozent an. »Sitzen Sie auf den Ohren? Ich habe Ihnen gesagt, dass ich aussteigen möchte!«
Anstelle einer Antwort betätigte der Taxifahrer blitzschnell einen Knopf unterhalb seines Armaturenbrettes, und plötzlich schnappten sämtliche Türschlösser des Taxis zu. Sekundenbruchteile später wandte der Mann am Steuer des Taxis ihm kurz den Kopf zu, sodass Dr. Reeves einen Teil seines Gesichtes sehen konnte.
»Es ist noch zu früh zum Aussteigen, Dr. Reeves«, sagte der Mann mit gefährlich leiser Stimme. »Den Zeitpunkt bestimmen nicht mehr Sie, sondern wir!«
Ein eisiger Schock durchfuhr den Psychologiedozenten, als er in das Gesicht des Mannes blickte, den er vom Fenster aus gesehen hatte. Panik stieg in ihm auf, und er rüttelte verzweifelt an der Tür des Wagens.
»Geben Sie sich keine Mühe, Dr. Reeves«, versuchte ihn der Taxifahrer von seinem Tun abzuraten. »Sie kommen nicht raus – nicht jetzt und nicht hier. Genießen Sie doch einfach den Ausblick auf die wunderschöne Gegend. Ich bin sicher, Sie waren noch nicht oft hier, oder?« Ein höhnisches Lachen kam über seine Lippen, das Dr. Reeves erschauern ließ.
Sie haben mich erwischt, mein Gott!, fuhr es durch sein Hirn. Ich Narr habe mich auf Dinge eingelassen, von denen ich besser die Finger hätte lassen sollen. Sie wollen das Buch – es geht um das Buch von diesem David Murphy. Ich habe es doch nur in Verwahrung, dachte er feige, und jetzt bin ich dran …
Das Taxi durchquerte einige unansehnliche Seitenstraßen und entfernte sich so immer mehr von den »sicheren« Routen. Hier erstreckte sich ein ganz anderes Atlanta, ein Stadtbild, über das der Bürgermeister jedes Mal schwieg, wenn er Touristen in die Stadt locken wollte. Hier war das Zuhause all derjenigen, die die übrige Gesellschaft mitleidlos aufs Abstellgleis geschoben hatte. Kinderreiche Familien, bei denen weder Vater noch Mutter Arbeit hatten und nicht wussten, von was sie leben sollten. Huren und Zuhälter, die ihr Quartier in billigen Stundenhotels aufgeschlagen hatten. Alkoholiker, die auch tagsüber bewusstlos am Straßenrand lagen und manchmal von Straßengangs »aufgemischt« wurden …
»Was … was wollen Sie eigentlich von mir?«, versuchte es Dr. Reeves erneut. »Hören Sie, wir können doch in Ruhe über alles reden. Bringen Sie mich zur Universität – es wird ganz sicher Ihr Schaden nicht sein. Ich zahle Ihnen einen guten Fahrpreis und …«
»Es gibt Dinge im Leben, die man nicht mit Geld bezahlen kann, Dr. Reeves«, fiel ihm der unheimliche Mann mit dem fettigen Haar ins Wort. »Dinge wie die, die Sie in Ihrer Aktentasche haben, und die Sie gerade so krampfhaft festhalten. Glauben Sie wirklich, wir wüssten nicht, dass Sie es haben?«
Natürlich wissen sie es wurde es Dr. Reeves schlagartig klar. Sie haben mich wahrscheinlich schon lange beobachtet, jede Kleinigkeit haben sie mitbekommen. Ich hätte diesen Murphy nie kennenlernen dürfen!
Der Taxifahrer sagte jetzt gar nichts mehr, sondern konzentrierte sich stattdessen voll und ganz auf die Straße. Dr. Reeves sah nur die hämisch aufleuchtenden Augen im Rückspiegel, und in diesem Moment zerbrach etwas in ihm. Er sah nicht mehr die überquellenden Mülltonnen am Straßenrand, registrierte auch nicht mehr, wie die Wohnblocks immer heruntergekommener wirkten. Erst als das Taxi abrupt zum Stehen kam, hob er den Kopf und sah dann das alte Gebäude, das etwas abseits von den anderen stand. In der ganzen Straße schien niemand mehr zu wohnen – und wenn doch, dann ließ sich zumindest jetzt niemand mehr blicken.
Zwei Männer in schwarzen Mänteln schienen die Ankunft des Taxis bereits sehnsüchtig erwartet zu haben, denn sobald die Reifen zum Stehen kamen, eilten sie aus dem Haus. Sekunden später wurde die hintere Tür des Taxis aufgerissen (nachdem der Fahrer die Verriegelung durch Knopfdruck wieder gelöst hatte – ausgerechnet diese Einzelheit fiel Dr. Reeves jetzt sofort auf), und die beiden Männer zerrten den Wissenschaftler aus dem Wagen.
Dr. Reeves versuchte sich zwar schwach zu wehren, aber gegen die Kräfte der beiden Männer (sie haben so kalte Augen, die mich an die sterblichen Überreste meines gefallenen Bruders erinnern!!) kam er einfach nicht an. Sie zerrten ihn hinüber ins Haus, verschwanden schon kurz darauf im Inneren des Hauses, in dem es irgendwie alt und vermodert roch. So als wenn schon seit vielen Jahren die einstigen Bewohner diesem heruntergekommenen Gebäude den Rücken gekehrt hatten, und sich nur noch die Ratten und ihre Scheiße ein Stelldichein gaben.
Ab und zu erhielt er einen schmerzhaften Stoß in den Rücken, wenn er nicht schnell genug ging. Der Taxifahrer folgte ihnen – und er hatte die Aktentasche des Psychologiedozenten bei sich, hielt sie fest in seinen Händen, als handele es sich um einen großen Schatz. Vielleicht war es das ja auch – aber wahrscheinlich würde Dr. Reeves nie erfahren, warum genau diese Männer an dem geheimnisvollen Buch so sehr interessiert waren. Denn er fühlte nur noch nackte Todesangst, die seinen ganzen Körper erfasste und ihn frösteln ließ.
Sie erreichten schließlich über schmale Stufen den Keller, öffneten einen Vorhang, der in einen weiteren Raum führte, der nur von brennenden Fackeln erhellt war. Dr. Reeves sah die dort versammelten Gestalten in schwarzen Kutten, die alle die Köpfe gesenkt hatten und sich teilnahmslos verhielten. Raunende Worte kamen über ihre Lippen, die auf Dr. Reeves irgendwie abstoßend wirkten – ohne dass er genau erklären konnte, warum das so war.
Jemand trat ihm von hinten plötzlich heftig in die Beine. Dr. Reeves schrie auf und stürzte zu Boden. Das kam so plötzlich, dass er Mühe hatte, sich wieder aufzurappeln. Als er dann den Kopf hob, sah er die vermummte Gestalt am anderen Ende des Raumes. Der Taxifahrer ging auf sie zu und händigte ihr die Aktentasche von Dr. Reeves aus. Der Psychologiedozent sah, wie sich gichtige alte Hände an der Tasche zu schaffen machten, und kurz darauf hielten sie dann das Buch hoch.
Laute Freudenrufe drangen an seine Ohren, als die schwarzen Gestalten ihrer Genugtuung Luft machten, während sich Dr. Reeves mit jeder verstreichenden Sekunde immer unwohler fühlte. Er spürte die unsagbare Bedrohung, die über ihm hing. Es war der Tod, der in diesem Raum weilte und auf ein Opfer wartete – oder wahrscheinlich sogar noch etwas Schlimmeres.
»Bringt ihn zu mir!«, erklang nun die krächzende Stimme der vermummten Gestalt, und auf dieses Zeichen hin wurde Dr. Reeves von starken Händen hochgerissen und nach vorn geschleppt. Diese Hände hielten ihn auch weiterhin unerbittlich fest, als die drohende Gestalt nur noch wenige Inches von Dr. Reeves entfernt war.
Jetzt wandte diese Gestalt sich ihm zu, und das Licht der brennenden Fackeln erhellte ganz kurz ein unglaublich hässliches Gesicht, in dem zwei funkelnde Augen voller Hass leuchteten. Augen, die den Tod als Freund hatten …
»Du hast uns das Buch gebracht«, sagte die Stimme (es war die einer sehr alten Frau). »Du hättest es uns besser gleich geben sollen – jetzt ist es zu spät. Die HERREN werden sich über dieses Opfer freuen …«
Noch während die letzten Silben über ihre aufgesprungenen Lippen kamen, hatte sie aus ihrer Kutte auch schon ein blitzendes Messer gezückt und bohrte es direkt ins linke Auge des Psychologiedozenten. Ein heißer, grauenhafter Schmerz durchfuhr Dr. Reeves, und er schrie wie von Sinnen, während die übrigen Vermummten einen lauten, grausamen Choral anstimmten. Die Hohepriesterin riss die Klinge heraus – aber nur um sie sofort ins andere Auge von Dr. Reeves zu stechen. Erneut brüllte dieser auf, wurde beinahe wahnsinnig. Finsternis umgab ihn – und ein Meer von schier unerträglichen Schmerzen brandete an dem Felsen, der sich Hirn nannte.
Das war aber noch nichts im Vergleich zu dem, was jetzt mit ihm geschah – nämlich als sich das Messer in seine Brust bohrte. Die scharfe Klinge durchtrennte mühelos Haut und Knochen, zerschnitt die Lunge und arbeitete sich mit grauenhafter Präzision weiter vor bis zum zuckenden Herz. Dr. Reeves war längst blind, aber sein gepeinigtes Hirn registrierte noch genau den Schmerz.
Allerdings nur bis zu dem Moment, wo die Klinge das wie rasend pochende Herz fand und es dann berührte. Bereits in diesem Augenblick tauchte Dr. Reeves schmerzgepeinigte Seele ein in ein Meer von ewiger Finsternis.
Ma Hutchins dagegen hielt das dampfende, noch einen leicht rhythmischen Blutschwall vergießende Herz mit ihren blutigen Händen hoch, und der Chor ihrer dunklen Gefolgschaft erschallte in den höchsten Freudentönen. Der Innere Kreis hatte sich mit diesem Opfer geschlossen, und dazu war ihnen noch das Buch des Wissens in die Hände gefallen. Ein geradezu unglaublicher Moment des Triumphs! Die dunkle Seite wusste nun mehr über ihre erbitterten Gegner – und dieses Wissen würde sie auch gnadenlos einsetzen!
Er lag auf einem feuchten aber harten Boden, nur das Gras stützte ihn ein wenig. Mit glanzlosen Augen starrte er in den nächtlichen Himmel. Trotz der warmen Morgenluft im Juli war ihm kalt. Daran sind aber auch die zahlreichen Wunden und Schnitte schuld, die während der endlosen Stunden seiner Flucht und seinem Kampf mit dem … Er war nicht in der Lage, die Leere in seinem Kopf zu bannen.
Er hatte Schmerzen am ganzen Körper, und die Fleischwunde an seinem Bauch brannte wie Feuer. Er hustete in einem plötzlichen Anfall und spuckte ein wenig Blut, das metallisch schmeckte. Sein Atem ging stoßweise, aber er unterdrückte mutig ein lautes Keuchen, um nicht … um … verzweifelt wühlte er in seiner Erinnerung, um den Schrecken zu identifizieren.
Mein Name ist David Murphy, dachte er, und weitere Erinnerungsfetzen tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Scheint nur eine partielle Amnesie zu sein, stellte er befriedigt fest.
Er rutschte näher an den Stamm eines großen Baumes heran.
Er zog sich dort hoch und setzte sich in eine aufrechte Position. Ein jäh aufkommender Wind ließ ihn schaudern. Er musste jetzt aufpassen, dass der Hund, (welcher Hund, verdammt noch mal, dachte Murphy) ihn nicht wieder witterte.
Mit klammen Fingern nestelte er in seinen Jackentaschen, bis er eine sorgsam verschlossene Flasche mit fast weißem Sand herausholte und öffnete.
Ohne bewusst zu denken, kamen über seine gesprungenen und geplatzten Lippen leise gemurmelt, die Worte eines schützenden Zauberspruchs in einer unbekannten, längst vergessenen Sprache.
Unter Schmerzen beugte Murphy sich vor, und sorgfältig zog er ein dünnes Rinnsal von Sand wie eine Linie um seinen Körper. Seine Beschwörung war zu Ende, und er neigte seinen Oberkörper zurück an den Stamm des mächtigen Baumes, als ein schreckliches Heulen zu ihm hinüberdrang.
Bruno, zuckte es wie ein sengender Lichtblitz durch Murphys Kopf. Er begann unkontrolliert zu zittern. Na Murphy, kommt unser kleiner Feigling wieder zum Vorschein, fistelte tief in seinem Inneren eine Stimme, die Stimme eines anderen Murphy, die Stimme des Feiglings selbst, die in einem jeden Menschen steckt, egal, für wie schlau und unverwundbar er sich hält. Murphy schloss die Augen und versuchte an etwas anderes zu denken, doch die Stimme des Feiglings, sabbernd und voller boshafter Falschheit schallte in ihm, als sie weitersprach: Bruno, der Mörderhund, diese Bestie des bösen Hutchins hätte dich beinahe gekriegt. Deine ganzen Zauberformeln haben dir nichts genützt. Beinahe hätte er aus dir eine saftige, aber rohe Boulette gemacht, die er mit seinem gewaltig aufgerissenen Maul im ganzen Stück verschlungen hätte …
Murphy verspürte plötzlich den Drang zur Toilette zu gehen, doch er fühlte sich zu schwach dazu, seinen Hosenschlitz auch nur zu öffnen. Irgendwie verdrückte er es sich.
Die Stimme in seinem Inneren kam nicht wieder.
Murphy ignorierte die Schmerzen. Das Heulen des Hundes kam nicht wieder. Mit seinen schwachen Sinnen tastete er seine Umgebung ab. Keine magischen Aktivitäten. Nur der Schutzkreis und das lenkte den Hund ab. Murphy starrte auf die Uhr an seinem Handgelenk, doch seine Sehnerven spielten ihm einen Streich.
Er konnte die Ziffern schwach erkennen. 5:43 Uhr.
Murphys Gedanken begannen zu kreisen. Er musste sich irgendwohin zurückziehen, wo seine Wunden ausheilen konnten. Notfalls ging er auch in ein Hospital. Aber er wusste nicht einmal wo er war, noch, warum es ihn hierher verschlagen hatte, noch, wer seine Feinde waren. Was war in den letzten Stunden nur geschehen, dachte er verzweifelt. Doch die Erinnerung endete einige Tage bevor … Ja bevor, was?, fragte er sich. Irgendetwas war geschehen. Er marterte sein Hirn, doch die Erinnerung wollte sich jetzt nicht einstellen. Er tastete seinen Bauch ab, doch die Fleischwunde war scheinbar nur oberflächlich. Er konzentrierte sich auf einige magische Zaubersprüche, die den Heilprozess unterstützen.
Dieses Mal kam das Jaulen direkt von vorn. Murphy riss die Augen voller Entsetzen weit auf. Was war geschehen, dass er so unkontrollierte Angst vor einem Hund bekam?
Etwas packte mich, riss mich von den Beinen und schleuderte mich herum, sodass ich mit voller Wucht mit dem Kopf gegen etwas Hartes knallte und sofort das Bewusstsein verlor.
Großer Gott, Murphy, überschlug sich die Stimme des Feiglings in seiner Hirnrinde. Da lauert vor dir ein Hund geradewegs aus der Hölle, der auf den niedlichen Namen Bruno hört, und du liegst hier gemütlich im Gras und machst dir Sorgen um die letzten Stunden? Wenn du dich nicht bald aus dem Staub machst – und ich meine du solltest das sofort tun, dann kriegst du hier noch einen Herzanfall und gibst 'ne prima Mahlzeit für das Höllenbiest ab. Und wenn das Scheißvieh sprechen könnte, würde es sich danach satt und zufrieden rülpsend bei seinem Herrchen bedanken.
Murphy stöhnte unterdrückt, als er versuchte, sich trotz seiner Wunden aufzurichten. Der Schorf platzte wieder auf, und ein dünnes Blutrinnsal lief unangenehm warm über seinen Bauch.
Er war versucht, der Stimme in seinem Inneren nachzugeben, als er sich endlich wieder zusammenriss. Du bist nervös wie ein Fünfzehnjähriger vor seinem wichtigsten Examen. Was ist nur los mit dir, Murphy?, fragte er sich plötzlich ehrlich verwundert. So viele Gefahren die du überstanden hattest, so viele Niederlagen die du von den Dämonen der Dämmerung hattest einstecken müssen, aber niemals warst du so einer hilflosen Panik ausgesetzt gewesen wie jetzt. Das muss an meinem Gedächtnisverlust liegen, dachte er verzweifelt.
Murphy verspürte kurz den Drang, die Arme flehentlich hochzuwerfen und einen Gott, egal welchen, anzuflehen, ihn heil aus dieser Situation kommen zu lassen, als dieses fürchterliche Hundejaulen wieder einsetzte – nur diesmal ganz nah bei ihm – und Murphy wurde schlagartig ohnmächtig.