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Südafrika, 1977. Ein riesiges Loch klafft im Boden der wüsten Einöde. Darin arbeiten unzählige Maschinen und Hände. Eine Diamantenmine. Doch in den Tiefen des Bergwerkes finden sich noch ganz andere Relikte… Als Henry Reston zu einem sensationellen Fund in die Mine gerufen wird, hat er keine Ahnung, was die Arbeiter dort wirklich zu Tage geschaufelt haben. Und während er noch mit seinen ganz eigenen Ängsten zu kämpfen hat, beginnt der Horror unter der Erde sich langsam zu verbreiten. Schon bald überfluten bluthungrige Untote die Mine und verwandeln den Forschungstrip in einen grauenhaften Alptraum, in dem er um nichts weniger als sein Leben kämpfen muss. Doch in der engen, nervenzerfressenden Dunkelheit wird sich für Reston schnell heraus stellen, dass die Untoten nicht das Schlimmste sind, dass er hier unten antreffen muss…
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Seitenzahl: 155
LUKAS VERING mit MARTEN MUNSONIUS
VORWARNZEIT
Roman
© 2012 by Lukas Vering mit Marten Munsonius
©, Cover 2012 by Steve Mayer
Die Website des Illustrators: stevemayer.magix.net
©,VIOLENT EARTH, Pilotband: Vorwarnzeit, Originaltreatment by Marten Munsonius
Exposé Lukas Vering
Violent Earth, created by Marten Munsonius, Serien-Treatments by Marten Munsonius, Antje Ippensen,Astrid Amadori und Lukas Vering
Ein CassiopeiaPress E-Book
©, der Digitalausgabe 2012 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)
www.AlfredBekker.de
1. digitale Auflage 2014 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956173028
Cover
Titel
Impressum
Südafrika, Juni 1977
1.
Der Himmel gelb wie Phosphor, die Wolken in Fetzen zerrissen, zerstreut über den elendig langen Horizont. Die Sonne geht nur langsam auf. Ihre Strahlen treffen auf blanke, spitze Metallstacheln. Sie glitzern wie Edelsteine. Und sie winden sich in endlosen Kreisen um einen meilenweiten Zaun. Er zieht sich durch eine karge Landschaft. Nicht viel mehr als wüster Staub, Hitze und Kälte und trauriges Unkraut.
Ein Beben.
Die Maschen des Zauns schwingen vor und zurück. Ein Wagen ist daran vorbeigebraust. Die Reifen werfen Staubwolken in die Luft. Sie türmen sich auf, fallen ineinander, zerfressen sich gegenseitig, bis sie auseinanderstreunen und gar keine Wolken mehr sind. Die einzelnen Partikel so weit von einander entfernt, dass sie den einstigen Zusammenhang gar nicht mehr spüren.
Der Wagen fährt weiter am Zaun entlang. So schnell, dass die Farben zu verwischen scheinen. Es wirkt, als stünde da eine solide Mauer mitten in der Einöde. Im Hintergrund immer noch der geplagte Himmel, gefoltert von dem unwirklichen Gelb und den zerfetzten Wolken, die wie zufällig verstreut wurden. Dann verringert sich das Tempo, die Reifen rollen langsamer, die Staubwolken die sie hinter sich ausspucken werden kleinlauter, verlieren ihren Antrieb, versiegen schließlich in ein bisschen aus trockenem Dreck, der über den Boden gefächert wird. Der Wagen hält an einem Kontrollpunkt. Ein weißes Gebäude aus solidem Stein, eine Tür, ein Fenster. Davor ein Mann mit schwerem Geschütz. Er wechselt strenge Worte mit dem Insassen des Fahrzeuges. Klammert die Finger um den Griff seines Maschinengewehres. Es sind sehnige Hände, mit an der Oberfläche liegenden Adern die erst zu Beginn des muskulösen Unterarms tiefer unter der Haut verschwinden. Der Mann wirkt selbstsicher. Er hat seinen Posten in Griff und vertraut auf die Unterstützung in seiner Hand. Es werden noch einige Worte gewechselt. Ein Ausweis wechselt den Besitzer. Schließlich befehligt er mit einer Geste zum Warten und verschwindet in dem kleinen Gebäude.
Die Finger des Fahrers trommeln ungeduldig auf das Lenkrad ein. Seine weiße Haut schimmert gelblich, hat er doch das groteske Himmelsschauspiel direkt im Blickfeld. Einen Moment lang schweift sein Blick über die weite Landschaft. In der Ferne, kaum erkennbar, sieht er die Schlieren aufsteigender Hitze, die die Sicht verschwimmen lassen. Da sind auch blinkende Lichter und aufragende Schattenumrisse. Ungetüme mit langen Hälsen und blitzenden Augen. Und inmitten dessen sieht er eine vage Ahnung des großen Lochs. Ein gieriger Schlund, hinein in die Untiefen, in die Dunkelheit.
Ein Räuspern. Der Fahrer wendet den Kopf wieder zum Seitenfenster.
Der andere Mann steht wieder am Auto, hält ihm einen Papierwisch entgegen, wartet, dass er endlich reagiert. Er schnappt mit der Hand danach, als wäre es belanglos. All diese Sicherheitsmaßnahmen. In einer Welt, in der zuerst geschossen und dann gefragt wird. Er nickt mit einer knappen, fast unfreundlichen Geste. Mit der anderen Hand drückt er den Schaltknüppel nach vorn.
Die Reifen drehen wieder durch, die Staubwolke verschluckt den Mann und sein Maschinengewehr erbarmungslos. Der Wagen braust davon. Hinein in die wüste Leere. Dem gierigen, in krankem Gelb getauchten Horizont entgegen.
Der Wagen nähert sich schnell dem Ziel. Der Fahrer schien keine Zeit vergeuden zu wollen. Nun ist der Eindruck der Ungetüme mit ihren langen Hälsen und blitzenden Augen zerfallen. Es sind Fördertürme; Kräne; Wachposten. Blinkende Warnleuchten. Die Hitzeschlieren kann der Fahrer nun auf seiner Haut spüren. Er hat das Seitenfenster nicht wieder hochgekurbelt. Spürt, wie sie den Schweiß aus den Poren treiben, wie sie unbarmherzig unter die Kleidung kriechen. Dampfwolken schießen auch aus Schornsteinen. Rauch flieht Richtung Himmel. Vermischt sich mit dem kränklichem Gelb. Laute Geräusche drängen sich in seine Gehörgänge. Er sieht andere Menschen, andere Fahrzeuge. Flache Gebäude, die sich eng aneinander scharen. Sie wirken wie hingeklatscht in eine Landschaft aus Staub und Hitze.
Er hält an. Hinter sich legt sich rasch die aufgewirbelte Staubwolke. Der passierte Kontrollposten flirrt in der unbarmherzigen Hitze. Der weissgetünschte Stein scheint Hitzwellen an seine Umgebung abzugeben. Das winzige Fenster wirkt wie ein erblindetes, dunkles Auge ohne Augenlid.
Als er aussteigt, knirscht Sand und Dreck unter den schweren Gummisohlen seiner Schuhe. Die Luft ist stickig und heiß. Jeder Atemzug bedeutet nun, dass er etwas von diesem Ort in sich eindringen lässt. Er schreitet rasch voran. Kein kühlender Luftzug kommt aus der Wüste. Er geht vorbei an Geräten, Baggern, Metallgestängen, all diesen Dinge, von denen er nicht weiß, welche Aufgabe sie im einzelnen erfüllen. Vorbei an Menschen, deren Gesichter er nicht kennt. Einige tragen Westen in neongelber Warnfarbe.
Andere, in größerer Entfernung kann er nur schwer ausmachen, da ihre dunklen Gesichter mit dem felsigen Hintergrund verschwimmen zu scheinen.
Er schmeckt Staub auf seiner Zunge und als er die Kiefer bewegt, knirscht es zwischen seinen Zähnen. Er spuckt aus. Sein Hals fühlt sich trocken an. Er bleibt keinen Moment stehen, geht immer weiter. Er nähert sich dem großen Schlund. Es ist beinah so, als würde ein Sog davon ausgehen. Sie alle können es spüren, er sieht es in ihren Augen. Nur ein kurzer Blick genügt um auszumachen, dass sie dieselbe unheimliche Anziehungskraft spüren. Als wären da flüsternde Stimmen, die ihn locken würden. Oder ein Luftstrom, der ihn hinein saugen würde. Oder magnetische Kräfte. Vielleicht sind es aber nur die Diamanten, mit all ihren unheimlichen Versprechungen.
Lärm und Gestank verdrängen die Gedanken. Er schreitet voran. Passiert einen Trupp Arbeiter. Sie schwatzen in ihrer fremden Sprache. Jemand brüllt. Sie verschwinden. Auf ihrem Weg hinab.
Nun kann er den Rand schon sehen. Sein Herz beginnt schneller zu schlagen. Die Aufregung prickelt in seinem Nacken, lässt den Schweiß kalt werden. Er hält den Atem an. Sein Fuß berührt den Abgrund. Vorsichtig beugt er sich vor. Und riskiert einen Blick.
Viele Hundert Meter geht es in die Tiefe. Bis hinab zum Grund in die schwarze Dunkelheit führt das Loch. Das spärliche, unnatürliche Tageslicht zeichnet die Ränder scharf nach. Wie breite Stufen führen die Abschüsse hinab. Der Durchmesser ist riesig, es fällt ihm schwer die andere Seite des Loches auszumachen. Der senkrechte Fall hinein in die Tiefe wird ihm unheimlich. Er hatte den anderen nicht geglaubt, als sie davon erzählt hatten. Von dem geheimen Ort, an dem der Reichtum in der Dunkelheit wartet. „An dem unzählige schwarze Hände Stunde für Stunde graben und schuften“. Und das alles für ein kleines Stück durchsichtigen Glücks. Ein Lächeln breitet sich dabei über sein Gesicht aus. Er erinnert sich an die Worte, die die anderen über den Bartresen geflüstert hatten „Oh, wunderbare Welt. In der ein einziger kleiner Stein selbst den ärmsten weißen Schlucker auf ewig reich machen kann“ und beginnt zu lachen.
2.
Tief unten, in den verborgenen Eingeweiden des Loches, verloren zwischen den endlosen Windungen der schmalen, spärlich beleuchteten Gänge, die man brutal in den Stein gehauen hat. Unzählige Seitenarme, die ein fast unüberschaubares Labyrinth in die Erde getrieben haben. Hastige Schritte flattern durch die Stille, zwei Schattenumrisse ziehen sich über die schroffen Steinwände.
„Sh …“
Die Geräusche verebben. Aus der Ferne dringt das Rumoren der Maschinen, das Brüllen der Aufseher, das Schreien des Steines, wenn sich die Bohrmeissel in ihn hinein getrieben werden. Und dazwischen, fast versteckt, die Laute fremder Schritte. Zielstrebige, feste Schritte. Weiße Schritte.
Die zwei schwarzen Arbeiter wechseln bedeutungsvolle Blicke. Dann huschen sie lautlos in die Schatten eines schmalen, unbeleuchteten Ganges. Sie pressen sich dicht an die rohe Wand, halten die Luft an. Die fremden Schritte kommen näher. Werden immer bedrohlicher. Mit den scharfen Steinkanten im Rücken und dem letzten Rest Sauerstoff in den Lungen fokussieren sie die beleuchtete Stelle auf dem Hauptgang.
Ein Schatten zieht vorbei. Kein Atemzug, keine Bewegung. Die Männer warten noch einen endlosen Moment lang. Wie auf einem geheimen lautlosen Befehl strecken sie zur gleichen Zeit ihre Köpfe vor.
Über ihnen knirscht einer der Stützbalken.
Beide reißen die Köpfe erschrocken zurück. Die Herzen rasen wie wild. Sie fürchten, dass man ihr aufgeregtes Pochen durch die Tunnel schallen hört. Einer der beiden Männer hebt die Hand hoch, eine Geste, die zum Warten auffordert, aber dabei auch etwas flehentliches an sich hat.
Die Schritte entfernen sich immer weiter. Verhallen und verlieren sich hinter den nächsten Ecken und Biegungen. Schon bald hat das Loch sie verschluckt. Die Beiden verlassen ihr Versteck und eilen weiter ihres Weges. Sie setzen ihre Schritte bewusst, denn sie wissen, wie sie lautlos voran schreiten können. Sie wissen, wie der Fuß den Stein berühren muss um kein Echo zu werfen. Sie schießen Blicke nach rechts und links, sie finden die Zeichen, die ihnen den Weg deuten. Kerben im Stein. Risse im Boden. Das flackernde Licht.
Ihr Weg führt sie tief hinein in das Tunnelsystem. Die Gänge und Pfade fressen sich rund um das Loch. Sie kennen es noch aus den Erzählungen ihrer Eltern. Einst war es ein Vulkan, ein heiliger Berg, den man fürchtete und mied. Sie sagten, dass Böses von hier ausgehe. Das es einst hier versank, in die Dunkelheit des Loches gestürzt wurde und dort auf ewig verbannt sei. Doch die Geschichten gerieten in Vergessenheit. Vieles wurde vergessen. Fremde Männer kamen und zogen Zäune durch die Landschaft. Sie bohrten Tunnel um das Loch herum. Sie beraubten den Vulkan seiner Schätze. Sie ließen Blut fließen für die winzigen, durchsichtigen Steine.
Sie haben all das lebendige Metall hergebracht, das seine seltsamen Kiefer in den Berg rammt. Das hinein bohrt und gräbt und beißt. Und sie wollen nicht aufhören. Sie wollen immer noch mehr. Sie werden weiter graben, bis das Loch sie und ihre Gier verschluckt.
„Hier.“, sagt einer der schwarzen Arbeiter. Er zeigt in einen dunklen Seitengang, so schmal, dass man die Schultern zur Seite drehen muss, um hinein zu passen. Einen Augenblick lang schauen sie in die gähnenden Schatten. Sie wirken wie ein aufgerissenes Maul. Ein schwaches, fast nicht wahrnehmbares Glimmen. Eiterschwären in der Dunkelheit.
„Nein …“, haucht der Andere. Er schüttelt den Kopf. Er spürt die kalte Luft, die aus dem Gang strömt. Die ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Er hört das Wispern und Flüstern längst vergessener Schrecken.
„Komm …“, weist der Andere ihn an. „Komm endlich“, drängt er weiter und in seiner Stimme klingt ein leises Zittern mit. Trotzig geht er aber voraus.
„Warte.“ Doch der andere hört nicht. Will nichts mehr hören, kein Zögern, kein Verzagen mehr. Also folgt er ihm endlich. Die Gänsehaut wird stärker. Der unsichtbare Schrecken gräbt sich mit nadelscharfen Bissen in seine Magengrube.
Am Ende des schmalen, dunklen Ganges erreichen sie eine Art Höhle. Sie ist klein, sie können gerade so nebeneinander stehen.
„Wo ist es?“ Kein Echo. Nur Abermillionen Tonnen Gestein um sie herum.
Als Antwort knipst der Andere seine Taschenlampe an. Der Lichtkegel fällt auf den Boden und erleuchtet einen Haufen seltsamer, brauner Knochen.
„Das?“
„Ja …“
Die beiden gehen auf die Knie und betrachten die Knochen voller Ehrfurcht. Der Eine haucht unhörbare Worte. Er scheint zu beten. Seine Augen verdrehen sich, die Augenlider werden zusammengekniffen bis nur noch das Weisse zu sehen ist.
„Was ist es?“
„Die Knochen …“
Der Andere streckt die Hand danach aus.
Die Luft riecht abgestanden und schal. Seine Finger nähern sich dem Haufen. Er spürt etwas Seltsames an seinen Fingerkuppen. Ein Kribbeln, wie von einem elektrischen Gegenstand. Erschrocken reißt er die Hand zurück. Sieht seinen Begleiter mit panischem Blick an. In dem dunklen Gesicht wirken die aufgerissenen Augen wie runde perlweisse Knöpfe und Mittendrin ein kleines schwarzes Zentrum.
„Ja. Ich weiß …“, murmelt dieser. „Wir müssen sie fortbringen.“
„Nein!“, protestiert er. „Nein, nicht anfassen!“
Der Andere nickt mit grimmiger Bestimmtheit.
„Wir haben keine Wahl.
Bevor sie sie finden …“
„Wieso? Wir vergraben sie. Wir …“
„Sie müssen in das Loch.“
Er verstummt. Richtet den Blick wieder auf die Knochen. Ihre Form ist ungewöhnlich. Als wären sie verbogen. Und die Farbe stimmt nicht. Und dann ist da dieses seltsame Gefühl, dass sie ausstrahlen. Es kriecht ihm unter die Haut, wandert in seine Brust, schnürt ihm die Atemluft ab, es lässt seine Haare aufrecht stehen.
„Hier …“, der Andere zieht ein dickes Wolltuch aus einer Hosentasche und breitet es aus. Er wühlt ein weiteres Tuch hervor und benutzt es, um damit die Knochen zu berühren. Er hebt sie vorsichtig hoch, platziert sie auf dem anderen Tuch.
Er macht es ganz vorsichtig. Immer auf der Hut, der Strom könnte wieder durch seine Fingerspitzen zu fließen beginnen. Er hat schreckliche Angst, dass dieses unnatürliche Kribbeln durch seinen Körper wandern könnte und dann nach seinem Herzen greift.
Er reicht das erste Bündel an den anderen Mann.
Auch in seinem Gesicht steht namenloser Schrecken.
Er packt das andere Bündel und hebt es hoch.
„Gut. Los.“
Sie verlassen die kleine Höhle und hoffen nicht wieder herkommen zu müssen. Sie halten die Arme ausgestreckt vor sich, während sie sich zurück durch den schmalen Gang tasten. Staub rieselt von der Decke. Die schroffen Steinwände ecken an ihre Körper an.
„Da …“, murmelt der Eine, als er das elektrische Licht einer einzelnen nackten Glühbirne aufschimmern sieht. Gleich haben sie es geschafft. Er schiebt sich Stück für Stück weiter. Die Knochen scheinen ihm unheimlich schwer. Als würden sie an Gewicht gewinnen, damit er vornüber kippt. Sie wollen ihn zu Boden ziehen. Damit er auf sie fällt, damit sie sich durch seinen Schädel bohren, quer durch das Auge und am Hinterkopf wieder austreten können.
Er schüttelt den entsetzlichen Gedanken ab.
Und tritt endlich aus der engen Passage. Er seufzt erleichtert, wartet, bis sein Kollege folgt. Er dreht sich um.
Erschrocken lässt er das Bündel fallen.
„Was haben wir denn da?“, schneidet eine scharfe Stimme durch die abgestandeneLuft.
Er starrt den weißen Aufseher mit weit aufgerissenen Augen an. Ist sprachlos. Gelähmt. Ein Albtraum scheint den anderen ablösen zu wollen.
Kein Schatten – der Aufseher ist also doch noch einmal umgekehrt.
Dieser steht mitten im Gang, die Arme verschränkt, ein widerliches Lächeln im Mundwinkel parat. Er mustert den schwarzen Arbeiter, dann das Bündel, das er auf den Boden hat fallen lassen.
„Wolltet euch wohl bereichern, mh?“. Er macht einen Schritt auf ihn zu. Das hässliche Grinsen in seinem Gesicht wird breiter und breiter. Die Finger umschließen nun die Waffe, die er am Gürtel trägt. „Weißt du, Kaffer, du machst meinen ersten Tag gerade zu einem vollen Erfolg.“ Das selbstgefälliges Grinsen erlischt fast und breitet einer gefährlich aussenden dünnen Linie die seine zusammengepressen Lippen darstellen eine neue Bühne. „Erst vorhin stand ich an diesem riesigen Loch und habe mich gefragt, wann ich das erste Mal die Gelegenheit habe …“
Er steht nun ganz nah vor dem Arbeiter. Seine Augen wirken düster und noch gefährlicher wie sein schmaler Mund und die mahlenden Wangenknochen.
„Und du!“ stößt er scharf hervor. Plötzlich zückt er seine Waffe und zielt in die Schatten des schmalen Ganges. „Komm da raus!“
Langsame schlurfende Schritte. Dann schält sich der andere Arbeiter aus der Dunkelheit und tritt hinein in das künstliche Leuchten der Glühbirne. Der Aufseher schnaubt aufgeregt. „Mh, noch mehr davon …“ Er streckt die andere Hand aus „Los, her damit.“
Der Arbeiter schüttelt schweigend den Kopf, einen Ausdruck stummer Panik im Gesicht.
„Was?“, bellt der Aufseher. In seinen Augen glitzert es noch gefährlicher. Das trübe Licht von der Birne unter dem Deckenbalken, scheint einen Funken in seinen Augen entzünden zu wollen.
Die Arbeiter kennen dieses Glitzern. Es sind die Diamanten, die sich in den gierigen Pupillen der Weißen spiegeln. Sie leuchten durch die meterdicken Gesteinswände und ihr Spiegelbild wird in der Habsucht ihrer Augen sichtbar. Brennt sich ein. Ein Zeichen das man nie wieder los wird.
Dann, plötzlich, beginnt der Arbeiter zu rennen. Er umklammert das Bündel. Der Andere will sich auf den Aufseher stürzen, doch dieser zückt in einer gnadenlosen Sekunde seine Waffe und schießt. Der ohrenbetäubende Knall lässt die Wände erschüttern. Das Echo beißt in die Ohren, wühlt sich rasend schnell durch Gehörgänge und foltert ohne Rücksicht Trommelfälle.
Der Arbeiter sackt leblos zusammen. Sein Körper fällt auf die Knochen. Er begräbt sie unter seinem toten Fleisch.
Der Aufseher blickt hoch, fokussiert den anderen Arbeiter, der sich entsetzt umgedreht hat. Er starrt den niedergesackten Körper fassungslos an. Dann schaut er auf. Sieht den Weißen, sieht, wie er die Waffe hebt. Panisch wirbelt er herum, das Bündel mit den Knochen fest umklammert, und rennt los.
Ein zweiter Schuss feuert durch den Gang.
Der Aufseher hat jeglichen Gesichtsausdruck verloren. Er hört fast nichts mehr und noch schlimmer ist es, das er auch nicht mehr denken kann.
Die Lautstärke zerreißt ihm beinah den Verstand. Der Aufseher krümmt sich zusammen, presst die Hände auf die Ohren. Ein Pfeifen bleibt zurück. Als er wieder aufschaut, sieht er noch, wie der schwarze Arbeiter zur Seite sackt und leblos auf den Boden prallt.
„Gottverdammt.“, raunt er. Als er mit dem Wagen hier her gefahren war, hatte er nicht gedacht, dass sich die erste Chance so schnell bieten würde. Und er hatte nicht geglaubt, dass er tatsächlich so weit dafür gehen würde. Aber wie weit sollte er nicht gehen? Für ein Leben wie die da oben?
Ja.
Er würde so leben wie die da oben …
Der Gedanke bringt das selbstsichere Lächeln zurück auf seine Lippen und verdrängt das aggressive Pfeifen auf den Ohren. Er macht einen Schritt vor. Unter dem Körper des ersten Arbeiters tritt eine Blutlache hervor. „Shit …“ Er hebt den Fuß und schiebt die Spitze seines schweren Gummistiefels unter den Leichnam. Mit einem Ruck rollt er ihn zur Seite.
„Diese gierigen Niggar …“, lacht er. Doch als er erkennt, dass da gar keine funkelnden und schimmernden Diamanten in dem Stoffbündel auf ihn warten, fällt ihm jeglicher Ausdruck aus dem Gesicht.
Einen Moment glotzt er voller Unverständnis.
„Was zum …?“, flucht er und schiebt die Knochen mit dem Lauf seiner Pistole auseinander. Nun klebt Blut an ihnen. „Scheiße, Scheiße.“, raunt der Aufseher.
Und zur Bekräftigung schiebt er noch ein drittes Mal das Wort Scheiße hinterher. In sein Gesicht kehrt endlich wieder etwas Farbe zurück.
Er geht in die Knie und hebt einen Knochen hoch. Er ist kalt. Und schwer. Er wendet ihn hin und her. Die Form ist seltsam, etwas stimmt damit nicht. Er lässt die Finger darüber gleiten, so dass er die Maserung in dem Material spüren kann. Er vergisst zu atmen, er kann den Blick nicht mehr davon abwenden. Seine Fingerkuppe gleitet über den Knochen bis hin zu einer Bruchstelle, von der spitze Zacken abstehen. Und ohne es zu registrieren streift er auch darüber.