Nadine – das Findelkind - Patricia Vandenberg - E-Book

Nadine – das Findelkind E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dem Taxifahrer trat der Schweiß auf die Stirn, als die Frau auf dem Rücksitz einen schrillen Schrei ausstieß. Er trat auf die Bremse. »Was ist los?« fragte er rauh und grimmig, denn es behagte ihm gar nicht, diese Schwangere zu befördern. »Fahren Sie weiter, zur nächsten Klinik, schnell«, stöhnte die Frau. Dr. Leitner, dachte Rudi Bechler, denn in dessen Klinik hatte seine Frau Rosi vor vier Wochen auch ihr Kind zur Welt gebracht, und da war es auch Ruckzuck gegangen. Er hatte die Aufregung noch nicht vergessen. Da hatte er auch gemeint, das Kind würde unterwegs zur Welt kommen. Und nun schien ihm das wieder zu passieren. »Sind Sie denn in keiner Klinik angemeldet?« fragte er trotzdem. »Nein, ich bin nur auf der Durchreise. So beeilen Sie sich doch.« Und er beeilte sich. Es war fast zehn Uhr abends und wenig Verkehr, das war ein Glück. Er atmete erleichtert auf, als die Leitner-Klinik erreicht war. »Was macht es?« fragte die Frau keuchend.

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Dr. Norden Bestseller – 287–

Nadine – das Findelkind

Patricia Vandenberg

Dem Taxifahrer trat der Schweiß auf die Stirn, als die Frau auf dem Rücksitz einen schrillen Schrei ausstieß. Er trat auf die Bremse.

»Was ist los?« fragte er rauh und grimmig, denn es behagte ihm gar nicht, diese Schwangere zu befördern.

»Fahren Sie weiter, zur nächsten Klinik, schnell«, stöhnte die Frau.

Dr. Leitner, dachte Rudi Bechler, denn in dessen Klinik hatte seine Frau Rosi vor vier Wochen auch ihr Kind zur Welt gebracht, und da war es auch Ruckzuck gegangen. Er hatte die Aufregung noch nicht vergessen. Da hatte er auch gemeint, das Kind würde unterwegs zur Welt kommen. Und nun schien ihm das wieder zu passieren.

»Sind Sie denn in keiner Klinik angemeldet?« fragte er trotzdem.

»Nein, ich bin nur auf der Durchreise. So beeilen Sie sich doch.«

Und er beeilte sich. Es war fast zehn Uhr abends und wenig Verkehr, das war ein Glück. Er atmete erleichtert auf, als die Leitner-Klinik erreicht war.

»Was macht es?« fragte die Frau keuchend.

»Lassen Sie nur«, erwiderte er rasch, denn er wollte froh sein, wenn sie schnell aus dem Wagen kam.

Sie hatte nicht mal eine Handtasche dabei, das nahm er noch wahr, aber das sollte ihm egal sein. Sie war schon in der Halle verschwunden.

Dort kam eine Schwester angelaufen und sah, daß höchste Eile geboten war. Da wurde nicht erst viel gefragt. Die junge Frau wurde in den Kreißsaal gebracht. Dr. Leitner wurde gerufen.

Schwester Lisa entkleidete die werdende Mutter. Schwester Hanna war mit einem Block gekommen.

»Ihr Name bitte?« fragte sie.

»Maria Lange.«

»Verheiratet?«

»Ja«, ein lautes Stöhnen folgte.

Dr. Leitner trat ein. »Das können wir später machen«, sagte er zu Schwester Hanna. »Alles bereit?«

Schwester Lisa nickte. Die Preßwehen setzten ein. Die junge Frau schrie schrill auf, und dann war das Kind schon da.

»Es ist ein Mädchen«, sagte Dr. Leitner, »ein gesundes Mädchen. Herzlichen Glückwunsch.«

»Das ist gut, das ist sehr gut«, flüsterte die Fremde. »Danke. Ich bin so erschöpft.«

»Jetzt können Sie gleich schlafen.«

»Es kam so überraschend. Kann ich morgen alles regeln?«

»Das können Sie«, sagte Dr. Leitner.

Sie wurde versorgt und das Kind ebenfalls. Es wog sechs Pfund, hatte einen schwarzen Haarschopf und war ein hübsches Baby.

»Das ist ja noch mal gutgegangen«, sagte Dr. Leitner.

»Die Frau war noch nie hier«, erklärte Schwester Hanna.

»Wie gut, daß sie dennoch hergefunden hat.«

»Ein Taxi hat sie gebracht. Sie hat nicht mal eine Tasche dabei.«

»Ja, manchmal geht es so rasch«, sagte Dr. Leitner lächelnd. »Ein

niedliches Baby, sie wird froh

sein.«

»Ich habe noch keine vollständigen Personalien«, sagte Schwester Hanna. »Keine Angaben über die Krankenkasse, kein Wohnsitz.«

»Wir haben doch Zeit«, meinte Dr. Leitner nachsichtig. »Freuen wir uns, daß alles so gut und glatt gegangen ist.«

Schwester Hanna meinte für sich, daß der Chef manchmal doch ein bißchen zu gutmütig wäre, aber so war er nun mal. Und eigentlich konnte ja auch niemand ahnen, welche Aufregungen diese Patientin noch verursachen würde.

*

Am nächsten Morgen war Maria Lange putzmunter. Als Schwester Lisa ins Zimmer kam, es war ein Zweibettzimmer, doch das andere Bett sollte erst an diesem oder am nächsten Tag belegt werden, stand sie schon vor dem Spiegel.

»Guten Morgen«, sagte Schwester Lisa überrascht.

»Wünsche ich Ihnen auch«, erwidere Maria Lange, und Lisa stellte einen leichten Akzent bei ihr fest, der ihr nach Französisch klang.

»Sie sind aber fit«, stellte Lisa anerkennend fest.

»Kinderkriegen ist doch keine Krankheit«, bekam sie zur Antwort. »Ich habe festgestellt, daß ich meine Handtasche wohl im Taxi liegen ließ, das beunruhigt mich. Ich muß mich erkundigen, wer mich gefahren hat. Und mein Gepäck ist noch am Bahnhof.«

»Wollten Sie jemanden besuchen?« fragte Lisa freundlich.

»Ich wollte mich nach einer Freundin erkundigen, aber ich weiß nicht, wie sie jetzt heißt. Sie hat erst kürzlich geheiratet. Ihre Adresse habe ich aufgeschrieben, aber die ist leider auch in meiner Handtasche.«

Es klang alles sehr glaubwürdig, denn in den Wehen vergaß man wirklich alles, Lisa wußte das, und die Handtasche konnte auch im Wagen irgendwohin gerutscht sein, daß es der Fahrer noch gar nicht bemerkt hatte. Lisa bewunderte die Gelassenheit der jungen Frau. Sie war charmant, nicht besonders hübsch zu nennen, da sie ziemlich kleine und enge Augen hatte, aber ihr Lächeln war unwiderstehlich.

»Hoffentlich bekommen Sie die Tasche wieder«, sagte Lisa.

»Das hoffe ich auch, aber wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm. Mein Mann wird kommen. Er hat noch in Köln zu tun, aber wir wollten uns hier treffen. Eigentlich sollte das Baby erst in zehn Tagen kommen, und er wollte dabei sein, aber anscheinend hat sich mein Arzt geirrt mit dem Termin. Oder ich auch«, fügte sie lachend hinzu. »Die Hauptsache ist, daß Nadine gesund ist. Ich habe gehofft, daß es ein Mädchen wird.«

Sie redete lebhaft und anscheinend völlig unbefangen. Lisa hatte es noch nicht erlebt, daß eine Patientin einige Stunden nach der Geburt, es waren ja noch nicht mal ganz zwölf Stunden vergangen, sich so benahm, als sei nichts gewesen, und sie war auch nicht so behäbig wie die meisten jungen Mütter kurz nach der Niederkunft. Wenn Lisa nicht dabei gewesen wäre, hätte sie nicht für möglich gehalten, daß diese Frau das Kind selbst zur Welt gebracht hatte.

»Darf ich telefonieren?« fragte Maria Lange.

»Natürlich dürfen Sie das, aber wollen Sie nicht zuerst frühstücken?«

»O ja, das möchte ich gern. Ich habe einen großen Hunger. Ich glaube, ich habe seit gestern morgen nichts gegessen.« Sie lachte wieder. »Aber der Figur scheint es zu bekommen.«

Dr. Leitner wünschte sich mehr solche Patientinnen. Er war angetan von dieser Maria Lange, als er seine Morgenvisite machte. Ihr Telefongespräch hatte sie da schon geführt.

Sie war in bester Laune, schwärmte von ihrer Tochter, und als Hanna ihr weitere Fragen stellte, vor allem nach der Krankenkasse, erwiderte Maria Lange, daß ihr Mann mit dem Mittagsflugzeug käme, und daß er alles regeln würde. Über Versicherungen wüßte sie überhaupt nicht Bescheid. Als ihren Wohnsitz gab sie Gent an.

»Aber wir sind selten dort«, erklärte sie mit einem melancholischen Lächeln. »Mein Mann ist Verkaufsrepräsentant von Rastalko. Sie kennen Rastalko?«

Hanna kannte Rastalko nicht, aber Maria sagte leichthin, daß dies Computer wären, und sie würde davon gar nichts verstehen.

Sie hatte eine ganz besondere Art, auch in Hanna aufkommende Zweifel zu vertreiben. Schließlich fand man auch schon gar nichts dabei, als sie sich am frühen Nachmittag angekleidet hatte und erklärte, daß sie gern Sauerstoff atmen wolle, da sie es noch nie in einer Klinik ausgehalten hätte, und sie wollte schon Ausschau nach ihrem Mann halten.

Hanna hatte ihren freien Nachmittag. Lisa war auf der Station, und Dr. Leitner war im OP, weil eine operative Entbindung nötig war.

Maria Lange verließ die Leitner-Klinik freundlich lächelnd und ward nicht mehr gesehen.

Gemerkt wurde es erst, als die Säuglingsschwester Gerda das Baby zum Stillen bringen wollte.

Lisa fiel aus allen Wolken. Dr. Leitner runzelte vorerst nur die Stirn.

»Nach Kindbettpsychose sieht mir das aber nicht aus«, meinte er mit gekünstelter Ruhe. »Aber warten wir erst mal ab.«

Hanna wurde dann aber doch gerufen, und sie erklärte, daß sie gleich mißtrauisch gewesen sei.

»Aber schlau hat sie es angefangen«, stellte sie nachdenklich fest. »War wieder eine Kindesaussetzung.«

»Warten wir es doch ab«, sagte Dr. Leitner wieder.

»Sie hat nichts hinterlassen«, sagte Lisa kleinlaut.

»Und das Kind, ist das nichts?« fragte Dr. Leitner. »Sie hat nicht den Eindruck gemacht, als sei sie verzweifelt.«

*

Das war die Frau, die sich Maria Lange genannt hatte, auch nicht. Sie saß schon längst in einem schnellen Wagen neben einem dunkelhaarigen Mann. Sie kicherte.

»Es hat doch alles vorzüglich geklappt«, sagte sie in französischer Sprache. »Der Stein kommt ins Rollen. Jetzt bist du am Zug, Raoul.«

»Hast du den Brief eingeworfen?« fragte er.

»Natürlich, was denkst du. Sie werden ihn morgen haben. Und dann kommen einige Leute ins Schwitzen.«

Ein frivoles Lächeln lag um ihren Mund, und sie sah gefährlich aus.

»Du meinst, daß es wirklich über die Bühne geht?« fragte Raoul.

»Aber sicher, Brüderchen, du bekommst deine Nadine, und ich bin das Baby los. Ist doch ein glänzender Einfall gewesen, das Baby Nadine zu nennen.«

»Ein Junge mit Namen Claude wäre mir lieber«, sagte Raoul anzüglich.

»Zuviel darfst du auch nicht von mir verlangen«, entgegnete sie. »Ich bin wirklich für jeden Spaß zu haben, noch dazu, wenn er Geld bringt, aber mich neun Monate dafür zu quälen, war ein bißchen viel.«

»Aber du bist großartig. Du machst auch aus einer Niederlage noch etwas.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Carlos werde ich es auch noch heimzahlen«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor.

Raoul schwieg. Manchmal war ihm seine Schwester unheimlich, und jetzt erst recht. Aber sie war kaltblütiger und schlauer als er. Es gelang ihr immer wieder, ihn von ihren Plänen zu überzeugen und ihn einzuspannen, aber leider waren diese hochfliegenden Pläne nicht immer von Erfolg gekrönt, wie es sich hinsichtlich des Vater dieses Kindes erwiesen hatte. Aber diesmal hatte scheinbar alles geklappt.

»Wie fühlst du dich?« fragte er, als sie in Schweigen verfiel.

»Die Begleiterscheinungen sind nicht angenehm«, gab sie zu, »und die Milch werde ich abpumpen müssen, aber Maria wird mir helfen. Wir müssen ihr nur sagen, daß das Kind zu früh gekommen und gestorben ist.«

»Du wirst es ihr sagen. Ich komme nicht mit«, erklärte er energisch. »Schließlich muß ich auch Geld verdienen, Rita. Es flattert nicht aus deinen rosaroten Wolken herab.«

Sie warf ihm einen giftigen Blick zu. »Du wirst es noch erwarten können, aber ich denke, daß es für dich nur um Nadine geht.«

»So ist es auch, schließlich muß ich ihr auch etwas bieten können, wenn sie zu mir zurückkehrt.«

Rita musterte ihren Bruder skeptisch. »Weißt du, Raoul, manchmal denke ich, du hast dir diese Romanze nur eingebildet«, sagte sie.

»Du redest wie ihr Vater, aber der will sie ja nur zwingen, Beauvais zu heiraten.«

»Du hast doch aber schon lange nichts mehr von ihr gehört, wenn ich mich recht erinnere.«

»Ich habe es dir doch gesagt, daß ihr Vater sie versteckt hält, und was willst du überhaupt. Du hast es doch selbst auf Beauvais abgesehen«, fuhr er sie gereizt an.

»Also streiten brauchen wir jetzt nicht«, sagte sie kühl, »das können wir am wenigsten gebrauchen, mein Lieber. Behalte einen kühlen Kopf.«

Sie waren an der Grenze zum Elsaß angelangt. Raoul reichte die Pässe aus dem Fenster, und sie konnten passieren. Er atmete auf.

»Denkst du, sie sind hinter mir her?« lachte sie auf. »Sie wissen doch nicht mal meinen Namen. Mon dieu, werden die dumm geschaut haben, als das Zimmer leer war. Und die Schwester Hanna kann schauen, wer die Rechnung bezahlt.«

Darum ging es für Dr. Hans Georg Leitner allerdings am allerwenigsten. Es war eine Entbindung ohne großen Aufwand gewesen und ohne beträchtlichen Zeitverlust, und das Baby würde hier nicht verhungern. Er fragte sich nur, was eine Frau bewegen konnte, so herzlos zu handeln und ihr Kind zurückzulassen. Aber die Statistiken bewiesen, daß es genug solcher Frauen gab.

Als Dr. Daniel Norden an diesem Abend heimkam, es war wieder einmal ziemlich spät, erfuhr er die Neuigkeit von seiner Frau Fee.

»Stell dir vor, in der Leitner-Klinik befindet sich ein Findelkind«, sagte Fee aufgeregt. »Nein, es ist kein richtiges Findelkind. Die Mutter hat entbunden und ist verschwunden. Claudia hat mich angerufen. Ihr ist bange, was es nun wieder für Ärger gibt. Erst dieser Fall mit der Totgeburt, für die Schorsch ja nun wirklich nicht verantwortlich gemacht werden kann, und nun das.«

»Manchmal kriegen Frauen solchen Koller und kehren anderntags reumütig zurück. Vielleicht hatte sie gerade Krach gehabt mit ihrem Mann, oder es gibt finanzielle Sorgen, Fee. Erklärungen gibt es da viele.«

»Wenn sie wiederkommt«, sagte Fee nachdenklich. »Aber sie soll mopsfidel gewesen sein. Schorsch ist ja wirklich zu gutgläubig. Schwester Hanna war gleich ein bißchen mißtrauisch.«

»Ich werde mich mal informieren, damit nicht gleich ein Krimi daraus gemacht wird«, sagte Daniel.

»Vielleicht ist es aber einer. Kindesaussetzung ist eine kriminelle Tat.«

»Okay, mein Schatz, aber jetzt habe ich Hunger, und ich möchte gern auch nach unseren Kindern schauen. Alles wohlauf?«

»Ich glaube, die Zwillinge brüten etwas aus«, sagte Fee. »Aber bei dem verrückten Wetter ist das ja kein Wunder. Gestern waren dreißig Grad, heute nicht mal zwanzig.«

»Aber es geht einem dabei bedeutend besser«, sagte Daniel.

Er ging zu den Kindern, aber sie schliefen jetzt alle, und die Zwillinge fühlten sich auch nicht heiß an.

Lenni hatte sein Essen aufgetragen. Sie hatte einen Schnupfen, aber das käme von den Brennesselblüten, meinte sie. Auf die hätte sie schon immer allergisch reagiert.

Lenni kümmerte sich nicht um solche Sachen. Ihre eigene Gesundheit war ihr nicht wichtig, solange sie keine Beschwerden hatte, die sie ans Bett gefesselt hätten, und das war in der ganzen Zeit, die sie nun schon im Hause Norden war, noch nie geschehen. Aber wenn den Kindern etwas fehlte, war Lenni auch nachts auf den Beinen.

In dieser Nacht regnete es in Strömen, aber der neue Tag begann mit strahlend blauem Himmel. Die frische Luft war herrlich, und Daniel machte noch zehn Minuten Dauerlauf barfuß im feuchten Gras.

Er ahnte noch nicht, welch arbeitsreichen Tag er vor sich hatte, aber er war es ja auch gewohnt, daß es manche Tage hoch herging.

Als er aus dem Haus ging, waren Danny und Felix schon auf dem Weg zur Schule, und Anneka nahm er ein Stück mit, weil der Kindergarten auf dem Wege lag. Die letzten Meter ging sie dann zu Fuß. Kindergarten durfte man ja nicht mehr zu ihr sagen, denn sie betonte stets, daß sie in die Vorschule gehe, aber ihren Eltern schmeckte der Gedanke gar nicht, daß sie nun auch bald ein Schulkind sein würde.

Die Zwillinge hatten noch geschlafen, aber dann waren sie so weinerlich, daß Fee sehr besorgt war. Nun, sie war Ärztin, und untersuchen konnte sie ihre Kinder selbst, da mußte nicht immer Daniel zu Rate gezogen werden.

Das Schlucken tat ihnen weh. Sie konnten jetzt auch schon manches sagen, und Jan erklärte, daß sein Hals steif sei. Tatsächlich lag er etwas schief.

»Sie werden Mumps kriegen«, meinte Fee, als Lenni sie besorgt anschaute. »Sie haben ihn ja noch nicht gehabt.«

Aber dann kam Anneka wieder anmarschiert. »Wieso denn das?« fragte Fee. »Hattest du keine Lust, in den Kindergarten zu gehen?«

»Der Kindergarten ist geschlossen, und die Vorschule auch«, erklärte Anneka betont. »Da ist so eine ansteckende Krankheit ausgebrochen, die Kinder müssen in die Klinik. Ich weiß nicht genau, was es ist.«

Fee hatte das Wort Klinik gehört und schon war sie am Telefon und rief den Kindergarten an. Verdacht auf Meningitis, wurde ihr gesagt.

Da regte sich auch Fee auf. Ein steifer Hals konnte ein Symptom sein.

Sie rief Daniel in der Praxis an. Sie störte ihn nicht gern, aber in diesem Fall schien es ihr angebracht zu sein.

»Ich habe es schon gehört«, sagte er. »Reg dich nicht auf, Schatz. Ich komme nachher gleich heim und untersuche die beiden gründlich.«

Er wußte, daß Fee nicht sachlich blieb, wenn sie sich aufregte. Und Vorsicht war ja tatsächlich angebracht.

Er rief dann auch in der Kinderklinik an und erfuhr, daß tatsächlich sechs Fälle von infektiöser Meningitis eingeliefert waren. Die Rückenmarkpunktion war positiv gewesen.

Daniel Norden sah sich dadurch veranlaßt, nach dem nächsten Patienten sofort nach Hause zu fahren, aber auch bei gründlichster Untersuchung war bei den Zwillingen nichts weiter festzustellen, als daß sie leichtes Fieber hatten und Jan einen steifen Hals.

Fee sollte die beiden beobachten und die anderen drei vorsichtshalber von ihnen fernhalten, und mittags würden sie dann weitersehen.

Der Gedanke, ihre Kinder möglicherweise in die Klinik geben zu müssen, noch dazu in Quarantäne, konnte auch Fee in Panik versetzen.

Anneka nahm es nicht so ernst. »Jan ist zu lange im Planschbecken gewesen und hat sich nicht abgetrocknet«, erklärte sie. »Aber er hört ja nicht, wenn ich was sage.«

Natürlich konnte das auch der Grund sein, aber Fee nahm es nicht leicht, auch dann nicht, als Jolly schon wieder im Bett herumjodelte und überhaupt nicht verstehen konnte, daß Jan vor sich hin weinte.

Er bekam ein Zäpfchen und einen Halswickel mit Heilpaste, und dann schlief er ein, und Jolly wurde ins Spielzimmer gebracht. Aber sie wollte nicht begreifen, daß auch Anneka nicht mit mir spielte und begann auch zu räsonieren. Sie war es ja nicht gewohnt, allein zu sein. Die Mami und Lenni genügten da nicht, sie wollte Kinder um sich haben. Jolly war ein lustiges Kind, deshalb hatte sie ihren Kosenamen bekommen. Jetzt schrie sie nach Jan, denn getrennt waren sie noch nie gewesen.

»Wenn du schläfst, darfst du zu Jan«, sagte Fee. »Er ist krank und muß schlafen.«

»Jan Wehweh«, sagte Jolly mit ernster Miene, »Jolly nicht Wehweh. Jolly hat Hunger.«

Einen kranken Eindruck machte sie nicht und Jan mittags auch nicht mehr, nachdem er ein paar Stunden geschlafen hatte.

»Das scheint Gott sei Dank Fehlanzeige gewesen zu sein«, meinte Daniel, »aber wenn solche Epidemie um sich greift, muß man sehr wachsam sein.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, meinte Fee.

»Ich muß nach dem Essen schnell mal zu Schorsch. Da hat sich wieder was getan.«

»Ist die Frau zurück?« fragte Fee.

»Nein, es ist ein Brief gekommen, und jetzt scheint es Schorsch mulmig zu werden.«

Die Kinder murrten, weil der Papi wieder so schnell weg mußte, das gefiel ihnen gar nicht.