Öffne mir dein Herz - Toni Waidacher - E-Book

Öffne mir dein Herz E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Ohne anzuklopfen riss Richard Schönig die Tür der Polizeidienststelle auf, mit drei langen Schritten stand er mitten im Raum. Max Trenker und Lena Egginger, die an ihren Schreibtischen saßen und arbeiteten, starrten den Eintretenden an. »Ich will eine Anzeige erstatten!«, keifte er mit einer Stimme, die einige Nuancen zu schrill klang, was seine Erregung verriet. Max atmete zuerst einmal durch, wechselte mit seiner hübschen Kollegin einen vielsagenden Blick, dann wandte er sich wieder dem Besucher zu: »Bei uns in St. Johann klopft man an, ehe man einen Raum betritt, und dann wartet man ab, bis man hereingebeten wird. Und dann sagt man zum Beispiel grüß Gott oder guten Tag. Hat Ihnen das niemand beigebracht?« Zuletzt war Max' Stimme scharf geworden. Er, der Polizist, hatte ein Herz für jeden Menschen, und zwar ohne Ansehen der Person. Er konnte aber auch bissig und sarkastisch sein, wenn ihm jemand auf eine Art wie dieser Mann kam. Richards Augen flackerten, seine Mundwinkel zuckten, seine Hände öffneten und schlossen sich. Max hielt den strengen, unduldsamen Blick unverwandt auf ihn gerichtet, und Richard, der begriff, dass er wohl doch ein wenig zu forsch aufgetreten war, verspürte unvermittelt Unbehagen. Er wich dem Blick des Polizisten aus und murmelte: »Entschuldigen S' bitte, aber ich bin total aufgeregt. Meine Frau hat meinen Sohn entführt. Er war in der Klinik und ist heut' entlassen worden. Der Oberarzt der Kinderstation hat mich in Kenntnis gesetzt. Aber als ich in der Klinik eintraf, waren meine Frau und der Bub fort. In der Pension Stubler hab' ich erfahren, dass sie St. Johann verlassen haben, um ihren Urlaub sonst wo fortzusetzen.«

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Der Bergpfarrer – 489 –

Öffne mir dein Herz

Hat Heikes neue Liebe eine Zukunft?

Toni Waidacher

Ohne anzuklopfen riss Richard Schönig die Tür der Polizeidienststelle auf, mit drei langen Schritten stand er mitten im Raum. Max Trenker und Lena Egginger, die an ihren Schreibtischen saßen und arbeiteten, starrten den Eintretenden an. »Ich will eine Anzeige erstatten!«, keifte er mit einer Stimme, die einige Nuancen zu schrill klang, was seine Erregung verriet.

Max atmete zuerst einmal durch, wechselte mit seiner hübschen Kollegin einen vielsagenden Blick, dann wandte er sich wieder dem Besucher zu: »Bei uns in St. Johann klopft man an, ehe man einen Raum betritt, und dann wartet man ab, bis man hereingebeten wird. Und dann sagt man zum Beispiel grüß Gott oder guten Tag. Hat Ihnen das niemand beigebracht?«

Zuletzt war Max‘ Stimme scharf geworden. Er, der Polizist, hatte ein Herz für jeden Menschen, und zwar ohne Ansehen der Person. Er konnte aber auch bissig und sarkastisch sein, wenn ihm jemand auf eine Art wie dieser Mann kam.

Richards Augen flackerten, seine Mundwinkel zuckten, seine Hände öffneten und schlossen sich. Max hielt den strengen, unduldsamen Blick unverwandt auf ihn gerichtet, und Richard, der begriff, dass er wohl doch ein wenig zu forsch aufgetreten war, verspürte unvermittelt Unbehagen. Er wich dem Blick des Polizisten aus und murmelte: »Entschuldigen S‘ bitte, aber ich bin total aufgeregt. Meine Frau hat meinen Sohn entführt. Er war in der Klinik und ist heut‘ entlassen worden. Der Oberarzt der Kinderstation hat mich in Kenntnis gesetzt. Aber als ich in der Klinik eintraf, waren meine Frau und der Bub fort. In der Pension Stubler hab‘ ich erfahren, dass sie St. Johann verlassen haben, um ihren Urlaub sonst wo fortzusetzen.«

Max Trenker, der während der Woche fürs Mittagessen Gast bei seinem Bruder, dem Gemeindepfarrer, war, ahnte, wen er vor sich hatte. Sebastian und er hatten während des Essens in den vergangenen Tagen des Öfteren über Heike Schönig und ihren Sohn Fabian gesprochen, und in diesem Zusammenhang natürlich auch über Richard Schönig, der einen kleinen Unfall seines Sohnes zum Anlass nehmen wollte, seine Frau beim Jugendamt wegen Kindeswohlgefährdung anzuschwärzen, um vielleicht sogar das alleinige Sorgerecht für Fabian zu erhalten.

Schönig hatte vor einigen Monaten die Familie verlassen und war zu seiner Geliebten nach Deggendorf gezogen. Als ihn Heike wegen Fabians Unfall in Kenntnis gesetzt hatte, war er sofort nach St. Johann gekommen und hatte Heike und den Buben eingeschüchtert; aber auch bei einigen anderen Leuten, wie Dr. Oswald Urbach, dem Oberarzt der Kinderstation, sowie dem Pfarrer, hatte er durch sein herrisches Auftreten für Fassungslosigkeit und Unverständnis gesorgt.

»Versteh‘ ich Sie richtig?«, fragte Max Trenker, der sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. »Ihre Frau hat zusammen mit Ihrem Sohn St. Johann verlassen, um den Urlaub an irgendeinem anderen Ort fortzusetzen. Sie jedoch hat man nicht in Kenntnis gesetzt. Haben Sie sich mit Ihrer Frau vielleicht gestritten?« Max stellte sich unwissend.

»Ich lebe von meiner Frau getrennt«, erwiderte Richard. Dann erzählte er von dem Unfall seines Sohnes, der sich die Schulter angebrochen hatte, und von seiner Absicht, sich um das alleinige Sorgerecht zu bemühen. »Meine Frau hat den Buben entführt«, endete er. »Und das will ich anzeigen. Sie müssen unverzüglich nach meiner Frau fahnden, und sobald Sie ihren derzeitigen Aufenthalt ermittelt haben, ist es Ihre Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass man ihr das Kind wegnimmt und es an mich übergibt.«

»Wo ist der Wohnsitz Ihrer Frau?«, fragte Max. »Außerdem brauche ich Ihren Namen, den Ihrer Frau und den Ihres Sohnes.«

Richard nannte alle gewünschten Namen und die Adresse in Straubing, bei der Heike und Fabian gemeldet waren.

»Haben Sie schon versucht, sie unter dieser Anschrift zu erreichen?«, mischte sich nun Lena Egginger ein. Sie war vor einiger Zeit von Garmisch nach St. Johann geschickt worden, um Max bei seiner Arbeit zu unterstützen. »Sie haben doch sicher die Telefonnummer Ihrer Frau«, fügte Lena hinzu.

»Ich hab‘ weiter gar nichts unternommen«, antwortete Richard. »Dafür sind doch Sie da.« Jetzt wurde er wieder laut: »Tun Sie was!«, schrie er. »Machen Sie meine Frau und den Buben ausfindig und nehmen Sie ihr sofort das Kind weg. Es gehört in meine Obhut. Mit dieser Aktion hat Heike endgültig das Recht verspielt, für den Buben zu sorgen!«

»Ich werd‘ jetzt Ihre Anzeige aufnehmen, Herr Schönig«, erklärte Max in sachlichem, ruhigem Ton, »und dann werde ich zuerst mal versuchen, Ihre Frau telefonisch zu erreichen. Dazu müssen Sie mir ihre Mobiltelefonnummer geben. Sie können sich die Anzeige in aller Ruhe durchlesen und sie dann unterschreiben. Von dem Moment an, an dem Sie Ihren Namen daruntergesetzt haben, übernehmen wir. Ich denke, wir verstehen uns.«

Richards Miene hatte sich verkniffen. »Ich hoff‘, Sie nehmen meine Anzeige ernst genug, Herr Trenker. Wenn net, werd‘ ich mich net scheuen, mich an Ihre vorgesetzte Dienststelle in Garmisch zu wenden.«

»Keine Sorge, Herr Schönig. Die Sach‘ geht ihren Gang. Geben Sie mir noch Ihre derzeitige Adresse und Ihre Telefonnummer bekannt, damit ich Sie auf dem Laufenden halten kann. Zunächst einmal werde ich allerdings feststellen müssen, ob Sie überhaupt berechtigt sind, über den Aufenthaltsort Ihres Sohnes zu entscheiden. Ich spreche vom Aufenthaltsbestimmungsrecht, das nur Eltern ausüben können, die auch das Sorgerecht besitzen.«

»Das teile ich mir mit meiner Frau!«, schnarrte Richard.

»Haben S‘ einen entsprechenden Beschluss dabei?«, fragte Max. »Wenn ja, dann zeigen S‘ ihn mir.«

»Den hab‘ ich natürlich net dabei«, murmelte Richard ein wenig kleinlauter.

»Also weiß ich net, ob Sie überhaupt das Recht haben, in irgendeiner Weise das Sorgerecht für Ihren Sohn auszuüben. Erst wenn das abgeklärt ist, werd‘ ich Ihre Anzeige bearbeiten können.«

»Rufen S‘ beim Jugendamt in Straubing an«, bellte Richard. »Dort wird man es Ihnen bestätigen.«

»Sie müssen mir meine Arbeit net erklären, Herr Schönig«, versetzte Max kühl. »Und jetzt bitte ich Sie, zu warten, bis ich die Anzeige geschrieben habe, und mir eventuelle Fragen, die sich noch ergeben, zu beantworten.« Max wies auf einen Stuhl neben seinem Schreibtisch. »Sie können sich auch gern setzen, Herr Schönig.«

Richard ließ sich auf den Stuhl fallen und stieß genervt die Luft durch die Nase aus.

Max ließ sich nicht beirren. In aller Ruhe tippte er die Anzeige und stellte hin und wieder eine Frage. Schließlich druckte er die Niederschrift aus und legte sie vor Richard hin. »Lesen Sie’s durch«, forderte Max den Mann auf. »Wenn Ihnen was net passt, dann sagen S‘ es mir, ansonsten brauchen S‘ das Protokoll nur zu unterschreiben. Ich werd‘ dann die nötigen Schritte einleiten. Zunächst aber werd‘ ich Ihre Berechtigung klären müssen.«

»Lästiger Bürokratismus«, grummelte Richard vor sich hin, nahm das Blatt Papier und las aufmerksam durch, was Max niedergeschrieben hatte.

Max und Lena schauten sich bedeutungsvoll an. Jeder von ihnen konnte vom Gesicht des anderen ablesen, wie er über Richard Schönigs Auftritt dachte.

*

Als die Glocke der Pfarrkirche von St. Johann die zwölfte Tagesstunde anläutete, parkte Max Trenker seinen Dienstwagen vor dem Pfarrplatz, stieg aus und steuerte die Haustür des Pfarrhauses an.

Sophie Tappert, die ihn durch das Küchenfenster heranmarschieren sah, ging zur Haustür und öffnete sie. »Habe die Ehre, Frau Tappert«, grüßte Max und nahm seine Dienstmütze ab.

Sophie lächelte, erwiderte seinen Gruß, vollführte eine einladende Handbewegung und gab die Tür frei, indem sie zur Seite trat. »Hereinspaziert, Max«, sagte sie. »Ich wett‘ mit Ihnen, dass Sie’s heut‘ net erschnuppern, was ich Ihnen und Ihrem Herrn Bruder kreieren werd‘.«

Max grinste. »Hoffentlich ists net was, das ich net kenn‘«, erwiderte er. »Sie wissen doch: Was der Bauer net kennt, das isst er auch net.«

»Ich hab’s schon mal gekocht, allerdings net oft. Dass ich es das letzte Mal auf den Tisch gebracht hab‘, ist ein gutes Jahr her.«

Max hatte den Flur betreten und schnupperte in die Luft. »Es riecht verheißungsvoll«, gab er zu verstehen. »Könnt‘ was Gebratenes sein. Ich bin mir aber net sicher.« Er legte seine Mütze auf die Hutablage der Garderobe und begann, seine Uniformjacke aufzuknöpfen.

»Dann lassen S‘ sich überraschen«, sagte Sophie. »Gehen S‘ nur schon ins Esszimmer. Ihr Bruder sitzt noch am PC, wird aber auch gleich erscheinen.«

Max hatte die Jacke ausgezogen und hängte sie an einen Haken der Garderobe. »Jetzt weiß ich’s«, stieß er hervor. »Es ist eine Lasagne. Stimmt’s?«

Erwartungsvoll musterte er das mütterlich-gutmütige Gesicht der Haushälterin. Sophie verdrehte die Augen. »Stimmt«, antwortete sie ein bisschen enttäuscht. »Sie haben eine Nase wie – wie …« Ihr schien kein passender Vergleich einzufallen.

»… ein Trüffelschwein«, half ihr Max auf die Sprünge. Seine Augen funkelten belustigt.

»Ja, das ist treffend ausgedrückt«, versetzte Sophie. »Ich hoff‘, Sie mögen Italienisch.«

»Lasagne ess‘ ich für mein Leben gern«, erklärte Max und ging zur Esszimmertür. »Ich mag aber auch Pizza, Pasta und alles, was die Italiener noch so auf den Tisch bringen«, sagte er über die Schulter.

In dem Moment trat Sebastian aus seinem Büro. »Gibts eigentlich was, das du net magst?«, fragte er lächelnd. »Grüaß di, Bruderherz.«

»Servus, Sebastian.« Max war unter der Tür stehen geblieben. »Die Kochkünste deiner Haushälterin sind einfach unschlagbar«, kommentierte er die Äußerung seines Bruders. »Von dem, was sie je auf den Tisch gebracht hat, war nix drunter, das mir net geschmeckt hätt‘.«

»Danke«, sagte Sophie, »das fass‘ ich als Kompliment auf.«

»Das wars auch«, gab Max zu verstehen, dann verschwand er im Esszimmer, und Sebastian folgte ihm.

Kaum dass sie saßen, brachte Sophie schon das Essen. Sie schaufelte jedem der Brüder ein großes Stück der appetitlich duftenden Lasagne auf den Teller und wünschte einen guten Appetit.

Nach einigen Bissen sagte Max: »Weißt du eigentlich, dass Heike Schönig mit ihrem Sohn spurlos verschwunden ist?«

Sebastian schaute seinen Bruder verblüfft an. »Verschwunden?«, echote er. »Der Bub sollt‘ doch heut‘ aus der Klinik entlassen werden.«

»Er wurde entlassen«, bestätigte Max. »Dr. Urbach hat den Vater verständigt, als der aber nach etwa einer Stunde in der Klinik ankam, waren Heike und der Bub schon weg. Er hat sich sofort zur Pension Stubler begeben, wo ihm die Ria erklärt hat, dass Frau Schönig am Morgen mit Sack und Pack die Pension verlassen hat, mit der Bemerkung, ihren Urlaub anderswo fortzusetzen, weil sie in St. Johann net zur Ruhe kommen würd‘.«

»Donnerwetter!«, entfuhr es dem Bergpfarrer.

»Richard Schönig springt im Quadrat«, präzisierte Max. »Er ist sofort in die Polizeiwache gerast und hat seine Frau wegen Kindesentführung angezeigt. – Der hat vielleicht eine Art an sich«, sagte Max nach einer kurzen Pause. »Mit dem möcht‘ ich nix zu tun haben – weder im Guten noch im Bösen.«

»Er hat sich auch im Krankenhaus aufgeführt wie der Elefant im Porzellanladen«, gab Sebastian zu verstehen. »Ich hab‘ aber nix mehr gehört«, fuhr er fort, »weder von der Frau Schönig noch von Dr. Urbach noch von der Ria. Mir ist allerdings bekannt, dass sich der Arzt und die Frau Schönig ziemlich gut verstehen. Ich will sagen, sie haben sich ineinander verliebt. Von Dr. Urbach weiß ich es definitiv. Ich hab‘ ihm den Rat gegeben, net allzu lang damit zu warten, es ihr ganz einfach zu sagen.«

»Ich hab‘ versucht, Frau Schönig telefonisch zu erreichen«, sagte Max. »Vergeblich. Sie hat ihr Handy ausgeschaltet. Einige Male hab‘ ich auch ihre Festnetznummer in Straubing angewählt, doch es hat sich niemand gemeldet.«

»Ist ihr Verhalten überhaupt dazu angetan, polizeiliche Ermittlungen durchzuführen?«, fragte Sebastian.

»Ich muss dem Vorwurf des Herrn Schönig nachgehen, der lautet, dass seine getrennt lebende Frau das gemeinsame Kind an einen unbekannten Ort gebracht hat, um es dem Kindesvater zu entziehen. Er verfügt immerhin über das Sorgerecht – zusammen mit der Mutter natürlich. Es gibt im Bürgerlichen Gesetzbuch die sogenannte Wohlverhaltensklausel, die von Mutter und Vater fordert, alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert.«

»Aber in diesem Fall von Kindesentführung zu sprechen ist doch wohl ein kleines bissel übertrieben«, äußerte Sebastian seine Meinung. »Die Mutter, also Frau Schönig, kann mit dem Kind doch ihren Urlaub verbringen, wo sie will. Sie muss doch ihren getrennt lebenden Mann net fragen.«

»Ganz so einfach ist es nicht, es gibt eine Reihe juristischer Feinheiten zu beachten«, erklärte Max. »Es wär‘ jedenfalls alles einfacher, wenn die Frau Schönig jemandem verraten hätt‘, wohin sie sich mit dem Kind wendet. Rein theoretisch könnt‘ sie sich, nachdem ihr Mann mit dem Jugendamt und dem Entzug des Sorgerechts gedroht hat, mit dem Kind ins Ausland abgesetzt haben. Das wär‘ eine Straftat, und man müsst‘ in der Tat von Entführung sprechen.«

»Ich werd‘ nachher mal mit Dr. Urbach reden«, sagte Sebastian. »Er hat Frau Schönig vorgestern und gestern zu einem gemütlichen Abend eingeladen, und ich schließ net aus, dass sich die beiden nähergekommen sind.«

»Du meinst, dass er Frau Schönig dazu ermuntert hat, sich mit dem Buben abzusetzen?«, fragte Max und schob sich ein Stück Lasagne in den Mund.

»Ich will ihm nix unterstellen«, versetzte Sebastian. »Fakt ist, dass er für Frau Schönig sehr, sehr viel empfindet, dass er den Fabian ebenfalls in sein Herz geschlossen hat und dass Richard Schönig bei ihm vollkommen unten durch ist. Ich vermut‘, dass er mit Frau Schönig gestern Abend über die Zeit nach der Entlassung des Buben aus der Klinik gesprochen hat. Wie ich ihn einschätz‘, unternimmt er alles, um die Frau, in die er sich verliebt hat, vor ihrem wenig einfühlsamen Mann zu schützen.«

»Würdest du mir Bescheid sagen im Falle, dass du herausfindest, wo sich Frau Schönig mit dem Buben aufhält?«, fragte Max, der den Bissen geschluckt hatte.

»Wenn ich merk‘, dass der Arzt was weiß, werd‘ ich an seine Vernunft appellieren«, versicherte der Bergpfarrer. »Ich werd‘ ihm klarmachen, dass er weder Frau Schönig noch dem Buben einen Gefallen erweist, wenn er gegebenenfalls verschweigt, wo sich die beiden aufhalten.«

»Dann kann ich nur hoffen, dass sich deine Vermutung als zutreffend erweist und der Doktor mit dem Aufenthaltsort der beiden herausrückt«, sagte Max. »Damit wär‘ Richard Schönig der Wind aus den Segeln genommen und sein – hm, Amoklauf würd‘ sich als viel Lärm um nichts erweisen.«

»Er hat selbst ein gewaltiges Problem am Hals«, verriet Sebastian seinem Bruder. »Als er seiner Lebensgefährtin in Deggendorf von seiner Absicht erzählt hat, sich das alleinige Sorgerecht zu sichern und den Buben zu sich zu nehmen, hat sie ihm gesagt, dass sie keinesfalls gewillt sei, für ein ihr fremdes Kind die Mutter zu spielen. In seinem ersten Zorn hat Herr Schönig sogar zu verstehen gegeben, dass er seine Lebensgefährtin verlassen und sich eine eigene Wohnung nehmen würde.«

»Dann scheint es ihm wohl ziemlich ernst zu sein, was die Sorgerechtsauseinandersetzung mit seiner Frau angeht«, murmelte Max. »Ich frage mich, ob er es aus Liebe zu seinem Jungen macht, aus Sorge um ihn, weil er tatsächlich der Meinung ist, dass die Mutter das Kindeswohl gefährdet, oder ob er seiner getrennt lebenden Frau nur vor den Karren fahren will.«

»Nach dem Bild, das ich mir von Richard Schönig gemacht hab‘«, erklärte Sebastian, »ist es die reine Gehässigkeit, die ihn leitet. Dazu kommt ein hohes Maß an Sturheit und Egoismus.«

Max nickte beipflichtend. »Ein ähnliches Bild von ihm hat sich mir ebenfalls aufgedrängt«, erklärte er.

*

Die Lasagne auf den Tellern war verspeist, Max erhob sich und legte beide Hände gegen den Leib. »Ich glaub‘, ich hab‘ viel zu viel von der köstlichen Lasagne in mich hineingestopft. Mich zerreißt es gleich.«

»Weil du eben net weißt, wann es genug ist und du aufhören musst«, versetzte Sebastian grinsend. »Aber denk‘ dir nix, Bruder. Auch ich hab‘ das Gefühl, jeden Moment zu platzen.«

»Die Frau Tappert kocht einfach viel zu gut«, sagte Max und ging zur Tür. »Aber Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Das heißt im Klartext, dass der Genuss guter Speisen und Getränke dafür sorgt, dass es uns körperlich und seelisch an nichts fehlt. Warum sollte man das ohne besondere Not ändern?«

»Es gibt keinen Grund«, erklärte Sebastian, stemmte sich am Tisch in die Höhe und folgte seinem Bruder auf den Flur, wo dieser in seine Jacke schlüpfte und sich die Dienstmütze auf den Kopf stülpte.