Ozean von Nektar - Geshe Kelsang Gyatso - E-Book

Ozean von Nektar E-Book

Geshe Kelsang Gyatso

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Beschreibung

Ozean von Nektar vom Ehrwürdigen Geshe Kelsang Gyatso Rinpoche ist die erste vollständige Erklärung von Chandrakirtis Leitfaden zum Mittleren Weg auf Deutsch: Eine klassische Schrift des Mahayana, die bis heute als hauptsächliche Präsentation von Buddhas tiefgründiger Sicht der Leerheit betrachtet wird, der endgültigen Natur der Wirklichkeit. Der Autor enthüllt der modernen Welt mit äußerster Klarheit ihre tiefgründige Bedeutung, mit einer maßgeblichen Übersetzung und einem Zeilenkommentar. Er führt uns auf den Stufen des Bodhisattvaweges zur Erleuchtung. Dieses Buch ist ein unentbehrlicher Leitfaden für jene, die Buddhas Lehren, wie die Dinge tatsächlich existieren, verstehen möchten.

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Seitenzahl: 758

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Ehrwürdige Geshe Kelsang Gyatso Rinpoche ist ein vollkommen verwirklichter Meditationsmeister und international anerkannter Lehrer des Buddhismus, der den Weg für die Einführung des modernen Buddhismus in unsere heutige Gesellschaft ebnete. Er ist der Autor von 23 hochangesehenen Büchern, die die alte Weisheit des Buddhismus in vollkommener Weise in unsere moderne Welt übertragen. Des Weiteren ist er der Gründer von über 1200 Zentren und Gruppen des Kadampa Buddhismus auf der ganzen Welt.

Mehr unter www.tharpa.com

Empfohlene Reihenfolge, in der die Bücher des Ehrwürdigen Geshe Kelsang Gyatso Rinpoche studiert oder gelesen werden sollten:

Wie wir unser Leben verwandeln

Wie wir den Geist verstehen

Freudvoller Weg

Der Spiegel des Dharma mit Ergänzungen

Das neue Herz der Weisheit

Moderner Buddhismus

Tantrische Ebenen und Pfade

Führer ins Dakiniland

Essenz des Vajrayana

Die mündlichen Anleitungen des Mahamudra

Große Schatzkammer der Verdienste

Acht Schritte zum Glück – Neuausgabe

Einführung in den Buddhismus

Wie wir unsere menschlichen Probleme lösen

Sinnvoll zu betrachten

Das Bodhisattva Gelübde

Allumfassendes Mitgefühl

Das neue Meditationshandbuch

Sinnvoll leben, freudvoll sterben

Ozean von Nektar

Herzjuwel

Das klare Licht der Glückseligkeit

Mahamudra Tantra

Dieses Buch wurde unter der Schirmherrschaft des

Internationalen Tempelprojekts der NKT-IKBU

veröffentlicht und der Verkaufserlös ist

durch diesen Fonds für das Wohl der Allgemeinheit bestimmt.

Eingetragen unter VR 33517 B.

EHRWÜRDIGER GESHE KELSANG GYATSO RINPOCHE

Ozean von Nektar

DIE WAHRE NATUR ALLER DINGE

Originaltitel: Ocean of Nectar

1. Auflage 2022

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Reproduktion ist unzulässig, außer zur Verwendung kurzer Passagen für privates Studium, Forschung und Buchbesprechungen.

Herausgeber:

Tharpa Verlag Deutschland, ein Teil des

Dipankara Kadampa Meditationszentrum e.V. (VR 33517 B)

Chausseestraße 108

10115 Berlin

Der Tharpa Verlag hat überall auf der Welt Niederlassungen und Tharpa Bücher werden in den gängigsten Sprachen veröffentlicht. Kontaktadressen siehe hier

© Ehrwürdiger Geshe Kelsang Gyatso Rinpoche und Neue Kadampa Tradition - Internationale Union des Kadampa Buddhismus 2022

Satz: Tharpa Verlag Deutschland

Druck: PieReg Druckcenter Berlin GmbH

ISBN 978-3-947058-41-9

ISBN ePub 978-3-947058-42-6

ISBN Kindle 978-3-947058-43-3

Inhalt
Abbildungen
Danksagung
Einleitung
Ein Lobpreis des Mitgefühls
Ebenen und Pfade
Sehr freudvoll
Leerheit und Befreiung
Die Vollkommenheit des Gebens
Makellos
Leuchtend
Strahlend
Schwer zu überwinden
Sich nähernd
Das Objekt der Verneinung identifizieren
Erzeugung aus Selbst widerlegen
Erzeugung aus anderem widerlegen
Die zwei Wahrheiten
Die guten Eigenschaften dieser Widerlegung
Das Chittamatra System widerlegen
Die Bedeutung dieser Widerlegung
Die Selbstlosigkeit von Personen
Die Unterteilungen der Leerheit
Weit gegangen
Die drei reinen Ebenen
Die guten Eigenschaften der zehn Ebenen
Resultierende Ebenen
Widmung
Anhang I: Der Urtext: Leitfaden zum Mittleren Weg
Anhang II: Die zusammengefasste Bedeutung des Kommentars
Anhang III: Eine kurze Zusammenfassung buddhistischer Lehrsätze
Anhang IV: Befreiendes Gebet
Anhang V: Gebete für die Meditation
Glossar
Bibliographie
Studienprogramme des Kadampa Buddhismus
Tharpa Niederlassungen weltweit
So finden Sie Ihr nächstgelegenes Kadampa Meditationszentrum

Abbildungen

Buddha Shakyamuni

Maitreya

Asanga

Vasubandhu

Manjushri

Nagarjuna

Chandrakirti

Vajradhara

Tilopa

Naropa

Atisha

Dromtönpa

Geshe Potowa

Je Tsongkhapa

Jampel Gyatso

Khädrubje

Je Phabongkhapa

Vajradhara Trijang Rinpoche

Ehrwürdiger Geshe Kelsang Gyatso Rinpoche

Danksagung

Dieses Buch, Ozean von Nektar, ist der erste maßgebliche Kommentar im Westen zu Chandrakirtis Leitfaden zum Mittleren Weg, einem Klassiker des Mahayana, der bis zum heutigen Tag als wichtigster Text über Leerheit, die endgültige Natur der Wirklichkeit, betrachtet wird.

Wir danken dem Ehrwürdigen Geshe Kelsang Gyatso Rinpoche aus tiefstem Herzen dafür, dass er mit unerschöpflicher Entschlossenheit, Mitgefühl und Weisheit einen solch klaren und vollständigen Kommentar verfasst und eine vollkommen neue und maßgebliche Übersetzung von Chandrakirtis Urtext erstellt hat.

Ebenso danken wir all den engagierten langjährigen Dharma Schülern, die während all der Jahre der Vorbereitung dem Autor unermüdlich dabei halfen, diesen tiefgründigen Text in ein klares und präzises Englisch zu übertragen, und die die endgültige Fassung des Manuskripts zur Veröffentlichung vorbereiteten.

Roy Tyson

Verwaltungsdirektor

Manjushri Kadampa

Meditationszentrum

Juli 1995

Einleitung

DER URSPRUNG DIESER ANLEITUNGEN

Buddha legte seine Lehren in drei Hauptstufen dar, die die «drei Drehungen des Dharma Rades» genannt werden. Er lehrte das erste Rad im Hirschpark bei Benares, das zweite auf dem Berg der versammelten Geier bei Rajagriha und das dritte bei Vaishali. Während der zweiten Drehung lehrte Buddha die Sutras der Vollkommenheit der Weisheit, in denen er all die Stufen des Pfades zur Erleuchtung enthüllte. Diese sind alle in den Stufen des tiefgründigen Pfades und den Stufen des weiten Pfades enthalten. Die Stufen des tiefgründigen Pfades beinhalten alle Weisheitsübungen, die zu einer direkten Verwirklichung von Leerheit und schlussendlich zum Wahrheitskörper eines Buddha führen. Die Stufen des weiten Pfades beinhalten alle Methodenübungen, von der anfänglichen Förderung von Mitgefühl bis zur letztendlichen Erlangung des Formkörpers eines Buddha.

Die Sutras der Vollkommenheit der Weisheit sind schwierig zu verstehen und Buddha selbst sagte voraus, dass nach seinem Tod große Gelehrte erscheinen würden, um ihre Bedeutung zu erklären. Wie von Buddha vorausgesagt, erschien vierhundert Jahre nach seinem Dahinscheiden der Beschützer Nagarjuna in dieser Welt. Unter Manjushris Anleitung verfasste er eine Anzahl von Werken, in denen er alle Stufen des tiefgründigen Pfades, die Buddha in den Sutras der Vollkommenheit der Weisheit gelehrt hatte, klar erläuterte. Zu diesen Werken zählen Grundlegende Weisheit des Mittleren Weges (oft einfach als Grundlegende Weisheit bezeichnet) und ihre vier Glieder – Sechzig Begründungen, Siebzig Leerheiten, Fein gewoben und Widerlegung von Einwänden. Etwa sechshundert Jahre später gab der Höhere Asanga unter Maitreyas Anleitung eine klare Erläuterung aller Stufen des weiten Pfades.

Von diesen beiden sind die Stufen des tiefgründigen Pfades schwieriger zu verstehen, weshalb Nagarjunas Werke so wichtig sind. Sie sind wie eine Schatzkammer, in der die kostbare Weisheit der Leerheit aufbewahrt wird. Doch um Zugang zu dieser Schatzkammer zu erhalten, bedarf es großer Weisheit. Leider hatte die Weisheit der Wesen dieser Welt abgenommen und deshalb war es so, als wäre diese kostbare Schatzkammer verschlossen. Um sie zu öffnen, verfasste Nagarjunas Hauptschüler Chandrakirti einen Kommentar mit dem Titel Leitfaden zum Mittleren Weg. Das ist ein herausragendes Buch, das die Stufen des tiefgründigen und weiten Pfades in der perfekten Weise erklärt, wie sie von Nagarjuna gelehrt wurden. Da aber die Weisheit der Wesen dieser Welt seither weiter abgenommen hat, finden wir es heutzutage schwierig, selbst diesen Text zu verstehen. Deshalb habe ich dieses Buch, Ozean von Nektar, vorbereitet. Ich hoffe, dass mithilfe dieses Kommentars viele Menschen in der Lage sein werden, den Leitfaden zum Mittleren Weg zu studieren und in die Praxis umzusetzen.

Beim Schreiben dieses Buches habe ich mich auf die Werke Je Tsongkhapas gestützt, insbesondere auf seinen Kommentar zum Leitfaden zum Mittleren Weg mit dem Titel Klare Erhellung der Absicht, eine ausführliche Erklärung der großen Abhandlung Leitfaden zum Mittleren Weg.

DIE HERAUSRAGENDEN EIGENSCHAFTEN DES AUTORS

Bevor wir den Leitfaden selbst betrachten, ist es hilfreich, einen Blick auf die Biografie des Autors zu werfen. Chandrakirti wurde etwa tausend Jahre nach Buddhas Dahinscheiden in der Gegend von Salona in Südindien in eine Brahmanenfamilie geboren. Seine Eltern erkannten bald, dass er ein ungewöhnliches Kind war, und befragten ein Orakel über seine Zukunft. Das Orakel sagte voraus, dass er ein großer buddhistischer Gelehrter und Yogi werden würde. Inspiriert durch diese Voraussage sandten Chandrakirtis Eltern ihren Sohn zur Klosteruniversität Nalanda, wo ihn der Abt Chandranatha als Mönch ordinierte und ihm den Namen Chandrakirti gab. Während er in Nalanda war, studierte Chandrakirti bei Nagarjuna, der ihm viele Unterweisungen über die Sutras und Tantras gab. Er war Nagarjunas letzter und hauptsächlicher Schüler, und Nagarjuna sagte über ihn:

Ich gab meine letztgültigen Unterweisungen über Nichterzeugung meinem letzten Schüler Chandrakirti.

Chandrakirti war in allen Bereichen der Lehren bewandert und erwarb sich schnell einen hervorragenden Ruf als Gelehrter und Lehrer. Er war ein gewissenhafter Schüler, der sich Tag und Nacht gemäß den Anleitungen seines Lehrers schulte. Infolgedessen entwickelte er eine besondere meditative Konzentration und viele außergewöhnliche Kräfte. Eines Tages entschied sein Abt, dass es hilfreich wäre, wenn Chandrakirti den anderen Mönchen seine meditativen Kräfte und seine geistige Freiheit demonstriert. Aus diesem Grund ernannte er Chandrakirti zum Lagerverwalter des Klosters, eine Stellung, in der er die große Verantwortung hatte, sich um die Kühe und Büffel zu kümmern, die das Kloster hielt, um sich mit Milchprodukten zu versorgen. Doch Chandrakirti lehnte es ab, Milch von den Tieren zu nehmen, denn er hatte das Gefühl, dass man sie den Jungtieren lassen sollte, und so ließ er sie in den umliegenden Hügeln frei umherschweifen. Trotzdem gelang es ihm, die Mönche im Überfluss mit Milchprodukten zu versorgen!

Eines Tages wurden Chandrakirti und sein Helfer Suryakirti vor den Abt und die versammelten Mönche geladen und gebeten zu erklären, wie sie es schafften, einen solchen Überfluss an Nahrung zu liefern, während die Tiere unbeaufsichtigt auf den Hügeln weideten. Zur großen Freude der ganzen Versammlung erklärte Suryakirti, dass Chandrakirti eine Kuh an eine Wand gemalt hatte und die ganze Milch, die benötigt wurde, aus diesem Bild zog:

Der glorreiche Chandrakirti versorgt und nährt die Mönche auf perfekte Weise,

Indem er Milch aus Bildern von Kühen zieht!

Während er in Nalanda studierte, debattierte Chandrakirti oft mit einem Mitschüler namens Chandragomin, der ein Laienpraktizierender war. Obwohl sie beide große Gelehrte und hochgeachtete Lehrer waren, vertraten sie konventionell gesehen unterschiedliche philosophische Sichtweisen. Chandragomin vertrat die Chittamatra Sicht und Chandrakirti die Madhyamika-Prasangika Sicht. Manchmal war es für Chandragomin schwierig, die scharfsinnigen Fragen Chandrakirtis zu beantworten, und er bat darum, die Frage am nächsten Tag beantworten zu dürfen. Dann zog er sich in sein Zimmer zurück und sprach direkt mit Avalokiteshvara, der ihm die richtigen Antworten gab. Chandrakirti nahm an, dass Chandragomin sich mit anderen Chittamatrin Lehrern beriet. Er hatte keine Ahnung, dass Chandragomin direkt von Avalokiteshvara Hilfe bekam. Eines Tages stellte Chandrakirti eine besonders schwierige Frage, die Chandragomin nicht beantworten konnte. Chandragomin sagte: «Ich werde dir die Antwort morgen geben.» Chandrakirti fragte: «Wie kannst du morgen etwas beantworten, das du heute nicht beantworten kannst?», und Chandragomin erwiderte: «Ich werde heute Nacht Avalokiteshvara fragen und dir morgen die Antwort geben. Wenn ich morgen nicht antworten kann, gewinnst du die Debatte.» In dieser Nacht schlich Chandrakirti zu Chandragomins Zimmer und spähte durch das Fenster. Zu seinem Erstaunen sah er, dass Chandragomin direkt mit einer Manifestation Avalokiteshvaras sprach! Chandragomin stellte Fragen und Avalokiteshvara gab geduldig Antworten. Chandrakirti war von Ehrfurcht erfüllt und entwickelte sofort den Wunsch, Avalokiteshvara direkt zu begegnen. Er eilte in Chandragomins Zimmer, doch sobald er eintrat, verschwand die Gottheit.

Mit der Sehnsucht, Avalokiteshvara direkt zu treffen, wie Chandragomin es getan hatte, kehrte er in sein Zimmer zurück und übte tagelang immer wieder den Yoga von Buddha Avalokiteshvara. Nach einer Weile hatte er in seinen Träumen Visionen von Avalokiteshvara. Dadurch ermutigt übte er noch ernsthafter und bat Avalokiteshvara von ganzem Herzen, ihm direkt zu erscheinen. Eines Tages manifestierte sich Avalokiteshvara dann vor ihm. Chandrakirti war hocherfreut. «Jetzt kann ich anderen wirklich helfen», sagte er zu Avalokiteshvara. «Bitte setz Dich auf meine Schultern, damit ich Dich allen anderen in der Stadt zeigen kann.» Avalokiteshvara antwortete, dass Chandrakirti ihn zwar sehen könne, dass dies jedoch nicht für andere gelte. Doch Chandrakirti bat ihn weiterhin eindringlich, sodass Avalokiteshvara schließlich einwilligte. Chandrakirti nahm Avalokiteshvara auf seine Schultern, rannte durch die Stadt und rief allen zu herbeizukommen, um seinen spirituellen Meister zu sehen und sich vor ihm zu verbeugen. Wie Avalokiteshvara vorausgesagt hatte, sah niemand etwas, abgesehen von einer Person mit schweren karmischen Verdunkelungen, die Chandrakirti mit einem toten Hund auf den Schultern sah, und einer Weinverkäuferin, die Avalokiteshvaras rechten Fuß sah. Doch selbst durch diese kleine Vision erlangte die Frau sofort eine Verwirklichung von höherer Konzentration und einen sehr friedvollen Geist.

Ein anderes Ereignis, das Chandrakirtis außergewöhnliche Erlangungen veranschaulicht, fand während eines Krieges statt, der als «Dhuruka» Krieg bekannt ist und in der Gegend des Nalanda Klosters geführt wurde. Als sich die Kämpfe dem Kloster näherten, fürchteten sich die Ortsansässigen und gewöhnlichen Mönche und flehten die Gelehrten und Yogis an, die Kämpfe zu beenden. Doch die Lage war so gefährlich, dass sich niemand von ihnen imstande fühlte zu helfen. Als die Leute der Verzweiflung nahe waren, flog plötzlich ein Vogel aus dem Herzen der Beschützerstatue des Klosters zu Chandrakirtis Haus. Sie betrachteten dies als Zeichen und baten Chandrakirti ihnen zu helfen. Chandrakirti entsprach ihrer Bitte und trug ihnen auf, einen Löwen aus Stein anzufertigen und ihn fünfzehn Meilen nördlich des Klosters in Richtung des Kampfes aufzustellen. Die Buddhisten unter ihnen ermutigte er, zu Buddha zu beten, und die Nichtbuddhisten, zu Ishvara zu beten. Wenn die Schlacht in Sichtweite sei, sollten sie dem Löwen zurufen sie zu retten.

Schon bald tauchten Soldaten am Horizont auf und die Menschen begannen nach dem Löwen zu rufen, doch der bewegte sich nicht. Mit wankender Zuversicht begannen sie an Chandrakirtis Fähigkeiten zu zweifeln; einige warfen ihm sogar vor, sie zu täuschen. Chandrakirti sprach ihnen Mut zu und machte sich mit einem großen Stock aus Sandelholz auf den Weg zum Löwen. Er schlug dem Löwen dreimal auf den Kopf und zum Erstaunen aller erwachte er zum Leben! Der Löwe stürzte sich ins Schlachtgetümmel und alle Soldaten flohen in Panik. Kein einziger Soldat wurde getötet oder verletzt, doch der Krieg war vorbei und es kehrte Frieden in der Gegend ein. Aus Dankbarkeit verfasste der König später folgenden Lobpreis auf Chandrakirti:

Durch die Kraft des glorreichen Chandrakirti 

Erwachte der mächtige Steinlöwe zum Leben

Und beendete den Dhuruka Krieg,

Ohne dass auch nur ein einziger Mensch zu Schaden kam.

Es gibt viele andere Geschichten, die die bemerkenswerten Kräfte veranschaulichen, die Chandrakirti durch seine meditative Konzentration erwarb. Vielleicht fällt es uns im Augenblick schwer, uns solche Kräfte auch nur vorzustellen, doch wenn wir aufrichtig darüber nachdenken, werden wir verstehen, dass Yogis wie Chandrakirti viele besondere Kräfte haben, die sie im richtigen Moment zeigen.

Manjushri sagte zu Je Tsongkhapa, dass sich Chandrakirti aus dem östlichen Buddhaland manifestiert habe, um den Wesen dieser Welt zu helfen. Chandrakirti hat uns in vielerlei Hinsicht geholfen, doch sein größter Beitrag war, die Werke Nagarjunas zu erläutern, insbesondere seine Lehren über die tiefgründige Sicht des mittleren Weges und den Pfad des Geheimen Mantra. Durch diese Erklärungen können wir die letztendliche Bedeutung der Lehren Buddhas verwirklichen.

Chandrakirti verfasste viele Bücher, von denen die meisten Kommentare zu Buddhas Sutras und Tantras sowie den Werken Nagarjunas sind. Sein berühmtestes Werk ist Leitfaden zum Mittleren Weg. In diesem Werk und dem dazugehörigen Selbstkommentar beleuchtet Chandrakirti klar alle Stufen des tiefgründigen und weiten Pfades, die in den Sutras der Vollkommenheit der Weisheit enthüllt werden. Er schrieb außerdem einen weiteren Kommentar zu Nagarjunas Grundlegende Weisheit namens Klare Worte sowie einen Kommentar zum Wurzeltantra von Guhyasamaja namens Klare Lampe. Diese zwei unvergleichbaren Werke sind unter buddhistischen Gelehrten und Lehrern sehr bekannt. Ein altes Sprichwort besagt:

Am Himmel gibt es die Sonne und den Mond und auf der Erde gibt es die zwei Klaren.

Darüber hinaus schrieb Chandrakirti Kommentare zu Nagarjunas Sechzig Begründungen und Siebzig Leerheiten sowie einen Kommentar zu Aryadevas Vierhundert. Zu seinen anderen Werken gehören die Siebzig Verse über Zuflucht, Unterscheidung der fünf Anhäufungen, eine Sadhana mit dem Titel Klare Verwirklichung von Guhyasamaja, eine Sadhana von Vajrasattva und Lobpreisungen an Tara.

Der eigentliche Kommentar zum Leitfaden zum Mittleren Weg wird unter drei Hauptüberschriften dargelegt:

1. Die Bedeutung des Titels

2. Die Ehrerbietung der Übersetzer

3. Die Bedeutung des Textes

DIE BEDEUTUNG DES TITELS

Der Leitfaden zum Mittleren Weg wurde auf Sanskrit mit dem Titel Madhyamakavatara verfasst. Später wurde er als Uma la jugpa ins Tibetische übersetzt. Jetzt wurde er als Leitfaden zum Mittleren Weg ins Deutsche übersetzt. Was ist mit dem «Mittleren Weg» gemeint, der im Titel erwähnt wird? Grundsätzlich bezieht sich der Ausdruck «mittlerer Weg» auf alles, was frei von den zwei Extremen der Existenz und Nichtexistenz ist, und genauer gesagt auf endgültige Wahrheit, Leerheit. In diesem Zusammenhang jedoch bezieht er sich insbesondere auf Nagarjunas Text Grundlegende Weisheit des Mittleren Weges, der so genannt wird, weil sein Hauptthema tiefgründige Leerheit ist. Wenn Chandrakirti dieses Werk zitiert, bezeichnet er es oft einfach als «Mittlerer Weg». Als er den Leitfaden als Kommentar zu Grundlegende Weisheit verfasste, gab er ihm deshalb den Titel Leitfaden zum Mittleren Weg. Während sich der Begriff «mittlerer Weg» im Titel von Nagarjunas Buch also auf Leerheit bezieht, bezieht er sich im Titel von Chandrakirtis Buch auf Grundlegende Weisheit. Der Leitfaden zum Mittleren Weg dient somit als Leitfaden für diejenigen, die die Bedeutung von Grundlegende Weisheit des Mittleren Weges umsetzen wollen.

Der Begriff Leitfaden im Titel hat ebenfalls eine große Bedeutung, da das Werk sowohl als Leitfaden für die Stufen des tiefgründigen Pfades als auch für die Stufen des weiten Pfades dient. In ersterem Sinne führt uns der Leitfaden zum Mittleren Weg zu einem Verständnis der Bedeutung der tiefgründigen Leerheit, wie sie in Grundlegende Weisheit erklärt wird. Zuvor hatten bereits einige andere Schüler Nagarjunas, wie Bhavaviveka, Kommentare zu Grundlegende Weisheit vom Standpunkt der Lehrsätze der Madhyamika-Svatantrika geschrieben. Im Leitfaden zum Mittleren Weg widerlegt Chandrakirti diese Auslegung in schlüssiger Weise und legt die außergewöhnliche Madhyamika-Prasangika Sicht als tiefgründigste Sicht fest. Er bietet ferner eine ausführliche Widerlegung der Lehrsätze der Chittamatra Schule und zeigt, dass es ebenfalls unangebracht ist, Grundlegende Weisheit vom Standpunkt dieser Lehrsätze auszulegen. Wenn wir uns auf den Leitfaden zum Mittleren Weg verlassen, werden wir daher die außergewöhnliche Sicht der Madhyamika-Prasangika Schule verwirklichen und als Folge davon wird unsere Praxis der Leerheit derjenigen von Praktizierenden anderer Lehrsätze überlegen sein. In dieser Weise dient der Leitfaden zum Mittleren Weg als Leitfaden zu den Stufen des tiefgründigen Pfades.

Wie dient der Leitfaden zum Mittleren Weg als Leitfaden zu den Stufen des weiten Pfades? Nagarjuna erklärte die Stufen des weiten Pfades in Werken wie Kostbare Girlande und Handbuch der Sutras. Chandrakirti griff diese Erläuterungen auf und fügte sie dem Leitfaden hinzu. Wir finden daher im Leitfaden nicht nur eine fehlerfreie Darstellung der tiefgründigsten Sicht der Leerheit, sondern auch eine klare Erläuterung der Stufen des weiten Pfades. Zu diesen gehören die drei Dharmas gewöhnlicher Mahayanisten, die zehn Ebenen höherer Bodhisattvas und die resultierenden Ebenen der Buddhaschaft. Dies ist die Art und Weise, wie der Leitfaden zum Mittleren Weg als Leitfaden zu den Stufen des weiten Pfades dient.

Nagarjuna lehrte die Stufen des weiten Pfades in Grundlegende Weisheit nicht ausdrücklich, was jedoch nicht heißt, dass es kein Mahayana Text ist. Grundlegende Weisheit gibt eine ausführliche Präsentation der Selbstlosigkeit von Phänomenen, unter Verwendung vieler unterschiedlicher Formen der Begründung, und derartige Präsentationen sind nur für Mahayana Schüler gedacht. Deshalb ist Grundlegende Weisheit ein Mahayana Text. Würden wir uns aber einzig auf Grundlegende Weisheit verlassen, könnten wir nur die Stufen des tiefgründigen Pfades üben. Verlassen wir uns jedoch auf den Leitfaden zum Mittleren Weg, können wir die Vereinigung des weiten und tiefgründigen Pfades üben.

Verstehen wir klar, wie der Leitfaden ein Leitfaden zu Grundlegende Weisheit ist, werden wir die Bedeutung seines Titels verstehen, Leitfaden zum Mittleren Weg.

DIE EHRERBIETUNG DER ÜBERSETZER

Ehrerbietung an den jugendlichen Manjushri

Die tibetischen Übersetzer des Leitfaden zum Mittleren Weg, wie Patsab Nyimadrak, fügten zu Beginn des Textes eine Ehrerbietung an den jugendlichen Manjushri ein. Der Hauptzweck einer Ehrerbietung des Übersetzers ist es, Hindernisse zu beseitigen und zu gewährleisten, dass die Übersetzung vollendet wird. Doch daneben hat sie auch die Funktion zu zeigen, zu welcher Klasse von Schriften der Text gehört.

Traditionell werden buddhistische Schriften danach eingeteilt, welche der drei höheren Schulungen sie betonen: Schulung in höherer moralischer Disziplin, Schulung in höherer Konzentration oder Schulung in höherer Weisheit. Ein Text, der im Wesentlichen die Schulung in höherer moralischer Disziplin betont, gehört zur Gruppe der Vinaya, oder Disziplin. Ein Text, der im Wesentlichen die Schulung in höherer Konzentration betont, gehört zur Gruppe der Sutras, oder Lehrreden. Und ein Text, der hauptsächlich die Schulung in höherer Weisheit betont, gehört zur Gruppe des Abhidharma, oder der Phänomenologie. Texten, die zur Gruppe der Vinaya gehören, ist eine Ehrerbietung an den Allwissenden vorangestellt. Texten, die zur Gruppe der Sutras gehören, ist eine Ehrerbietung an die Buddhas und Bodhisattvas vorangestellt. Und Texten, die zur Gruppe des Abhidharma gehören, ist eine Ehrerbietung an den jugendlichen Manjushri vorangestellt. Da diesem Text eine Ehrerbietung an den jugendlichen Manjushri vorangestellt ist, wissen wir, dass er zur Gruppe des Abhidharma gehört, dass er vor allem die Schulung in höherer Weisheit betont und dass sein Hauptthema tiefgründige Leerheit ist.

Ein Lobpreis des Mitgefühls

DIE BEDEUTUNG DES TEXTES

Die Bedeutung des Textes wird unter vier Überschriften erklärt:

1. Der Ausdruck der Verehrung, das Mittel, um die Abhandlung zu verfassen

2. Der eigentliche Textkörper der Abhandlung

3. Wie die Abhandlung verfasst wurde

4. Die Verdienste widmen, die durch das Verfassen der Abhandlung erschaffen wurden

DER AUSDRUCK DER VEREHRUNG, DAS MITTEL, UM DIE ABHANDLUNG ZU VERFASSEN

Es ist üblich, einen Text mit einem Ausdruck der Verehrung zu beginnen, indem man den Buddhas, Bodhisattvas, Alleinigen Verwirklichern und Hörern Ehrerbietung erweist. Chandrakirti preist diese heiligen Wesen jedoch nicht direkt, sondern beginnt, indem er den Geist des großen Mitgefühls preist. Er will damit zeigen, dass großes Mitgefühl die Ursache all dieser heiligen Wesen ist.

Der Ausdruck der Verehrung hat zwei Teile, die unter den folgenden beiden Überschriften erklärt werden:

1. Großes Mitgefühl preisen, ohne seine Arten zu unterscheiden

2. Eine Ehrerbietung an das große Mitgefühl mit Unterscheidung seiner Arten

GROSSES MITGEFÜHL PREISEN, OHNE SEINE ARTEN ZU UNTERSCHEIDEN

Dies hat zwei Teile:

1. Zeigen, dass großes Mitgefühl die Hauptursache eines Bodhisattva ist

2. Zeigen, dass großes Mitgefühl der Ursprung der anderen beiden Ursachen eines Bodhisattva ist

ZEIGEN, DASS GROSSES MITGEFÜHL DIE HAUPTURSACHE EINES BODHISATTVA IST

Der Urtext beginnt:

[I.1] Hörer und mittlere Buddhas (Alleinige Verwirklicher) werden aus Buddhas geboren, den machtvollen Fähigen,

Buddhas werden aus Bodhisattvas geboren,

Und der Geist des Mitgefühls, die Weisheit der Nichtdualität

Und Bodhichitta sind die Ursachen für die Söhne der Eroberer.

Wir können vier Arten von heiligen Wesen unterscheiden: Hörer, Alleinige Verwirklicher, Bodhisattvas und Buddhas. Die ersten beiden sind Hinayanisten und die beiden anderen sind Mahayanisten. Hinayanisten sind durch den Wunsch motiviert, für sich allein Befreiung aus Samsara zu erlangen, während Mahayanisten durch den Wunsch motiviert sind, volle Erleuchtung zum Wohle aller Lebewesen zu erlangen. In diesem Vers erklärt Chandrakirti, wie Hörer Feindzerstörer und Alleinige Verwirklicher Feindzerstörer aus Buddhas entstehen, die ihrerseits aus Bodhisattvas entstehen. Dann erklärt er die drei Hauptursachen eines Bodhisattva und zeigt, wie von diesen der Geist des großen Mitgefühls die ursprüngliche Ursache ist. Diese Erklärungen werden nun ausführlich unter drei Überschriften dargelegt:

1. Wie Hörer und Alleinige Verwirklicher aus Buddhas geboren werden

2. Wie Buddhas aus Bodhisattvas geboren werden

3. Die drei Hauptursachen eines Bodhisattva

WIE HÖRER UND ALLEINIGE VERWIRKLICHER AUS BUDDHAS GEBOREN WERDEN

Ein Hörer ist ein Praktizierender, der in den Hinayanapfad eingetreten ist, richtigen Unterweisungen zuhört und durch Meditation über ihre Bedeutung eine kleine Erleuchtung, oder bloße Befreiung, erlangt. Nachdem er eine kleine Erleuchtung erlangt hat, lässt er oder sie andere diese Tatsache hören, indem er verkündet: «Ich habe genauso praktiziert, wie ich es gehört habe. Von nun an wird es für mich keine weitere Wiedergeburt in Samsara geben.» Das Sanskritwort für Hörer, Sravaka, bedeutet auch «Hörer-Verkünder». In diesem Sinne ist ein Hörer jemand, der Buddhas Mahayana Lehren hört und sie anderen, die Erleuchtung suchen, verkündet, ohne sie selbst zu üben. Dies zeigt, dass das bloße Hören von Mahayana Lehren und ihre Weitergabe an andere uns nicht zu Mahayanisten macht, da sogar Hörer dies tun. Darüber hinaus können wir uns ohne die Motivation der Entsagung nicht einmal Hörer nennen!

Um Befreiung aus Samsara zu erlangen, muss ein Hörer fünf spirituelle Pfade beschreiten: die Hörerpfade der Ansammlung, der Vorbereitung, des Sehens, der Meditation und des Nicht-mehr-Lernens. Tritt ein Hörer in den Hörerpfad des Sehens ein, wird er oder sie zu einem Hörer-Höheren. Es gibt acht Ebenen von Hörer-Höheren: Sich-Nähernde an die Erlangung eines In-den-Strom-Eintretenden, Verweilende in der Erlangung eines In-den-Strom-Eintretenden, Sich-Nähernde an die Erlangung eines Einmal-Wiederkehrenden, Verweilende in der Erlangung eines Einmal-Wiederkehrenden, Sich-Nähernde an die Erlangung eines Niemals-Wiederkehrenden, Verweilende in der Erlangung eines Niemals-Wiederkehrenden, Sich-Nähernde an die Erlangung eines Feindzerstörers und Verweilende in der Erlangung eines Feindzerstörers.

Wenn ein Hörer Leerheit direkt verwirklicht, erlangt er oder sie den Hörerpfad des Sehens und wird ein Sich-Nähernder an die Erlangung eines In-den-Strom-Eintretenden. In derselben Meditationssitzung wird er ein Verweilender in der Erlangung eines In-den-Strom-Eintretenden, der alle intellektuell gebildeten Verblendungen aufgegeben hat. Wenn er das direkte Gegenmittel gegen groß-große angeborene Verblendungen erlangt, wird er ein Sich-Nähernder an die Erlangung eines Einmal-Wiederkehrenden und wenn er die ersten sechs Ebenen der Verblendungen des Begierdebereichs aufgegeben hat, von groß-groß bis klein-mittel, wird er ein Verweilender in der Erlangung eines Einmal-Wiederkehrenden. Dieser Name weist darauf hin, dass er, würde er auf dieser Stufe sterben, ein weiteres Mal in den Begierdebereich zurückkehren müsste. Wenn er beginnt hauptsächlich die letzten drei Ebenen der Verblendungen des Begierdebereichs aufzugeben, von groß-klein bis klein-klein, wird er ein Sich-Nähernder an die Erlangung eines Niemals-Wiederkehrenden und wenn er die Verblendungen aufgegeben hat, wird er ein Verweilender in der Erlangung eines Niemals-Wiederkehrenden. Dieser Name weist darauf hin, dass er nie wieder im Begierdebereich wiedergeboren wird. Wenn er beginnt hauptsächlich die Verblendungen des Formbereichs und formlosen Bereichs aufzugeben, wird er ein Sich-Nähernder an die Erlangung eines Feindzerstörers. Wenn er diese Verblendungen zusammen mit ihren Samen aufgegeben hat, wird er ein Verweilender in der Erlangung eines Feindzerstörers und erlangt den Hörerpfad des Nicht-mehr-Lernens und eine kleine Erleuchtung. Der Madhyamika-Svatantrika Schule zufolge kann ein Sich-Nähernder an die Erlangung eines In-den-Strom-Eintretenden entweder auf dem Pfad der Vorbereitung oder auf dem Pfad des Sehens sein, doch der Madhyamika-Prasangika Schule zufolge muss er ein höheres Wesen sein.

Alleinige Verwirklicher, oder Alleinige Eroberer, sind Hörern in vielerlei Hinsicht überlegen, Mahayanisten aber unterlegen. Während Hörer nur danach streben, den Leiden Samsaras zu entfliehen, versuchen Alleinige Verwirklicher ihr ganzes Potenzial zu verwirklichen, indem sie Buddhaschaft erlangen. Doch anders als Mahayanisten möchten sie Buddhaschaft nur zu ihrem eigenen Wohl und nicht zum Wohle aller Lebewesen erlangen. Diese Motivation ermöglicht ihnen eine höhere Erleuchtung zu erlangen als die, die von Hörern erlangt wird, aber sie ermöglicht ihnen nicht, die große Erleuchtung des Mahayana zu erlangen.

Im Allgemeinen haben Alleinige Verwirklicher durch die Kraft ihrer Praxis in früheren Leben eine größere Weisheit als Hörer, aber weniger Weisheit als Mahayanisten. Zum Beispiel erzeugen Hörer Entsagung für Samsara, indem sie über die vier edlen Wahrheiten nachdenken, Alleinige Verwirklicher hingegen erzeugen Entsagung, indem sie über die zwölf in abhängiger Beziehung stehenden Glieder nachdenken. Es gibt die Geschichte eines Alleinigen Verwirklichers, der auf einen Friedhof ging, wo er ein paar Menschenknochen sah. Er fragte sich: «Woher kommen diese Knochen?», und verstand, dass sie vom Tod kamen. Dann fragte er: «Woher kommt Tod?», und verstand, dass Geburt die Ursache des Todes ist. Durch weitere Kontemplation verstand er, dass Geburt durch Existenz verursacht wird, das zehnte in abhängiger Beziehung stehende Glied, dass Existenz durch Festhalten verursacht wird, Festhalten durch Verlangen und so weiter bis zurück zur Ursprungsursache Unwissenheit. In dieser Weise verstand er, dass er Unwissenheit aufgeben muss, um Samsara, dem Kreislauf der zwölf in abhängiger Beziehung stehenden Glieder, zu entfliehen. Er verstand außerdem, dass all diesen Dingen inhärente Existenz fehlt, da die Knochen vom Tod abhängen, Tod von Geburt und so weiter. In dieser Weise verwirklichte er Leerheit. Diese Geschichte zeigt, wie Alleinige Verwirklicher durch die Kraft ihrer Weisheit alltägliche Erfahrungen nutzen, um ihr Gewahrsein von abhängiger Beziehung und Leerheit zu vertiefen.

Als Folge ihres Studiums und ihrer Praxis in früheren Leben haben Alleinige Verwirklicher ganz natürlich ein tiefes Verständnis der fünf Anhäufungen, der achtzehn Elemente, der zwölf Quellen, der zwölf in abhängiger Beziehung stehenden Glieder, der vier edlen Wahrheiten und der zwei Wahrheiten sowie von Handlungen und ihren Auswirkungen. Sie führen ein sehr reines und diszipliniertes Leben, leben allein und gehen nicht öfter nach draußen als nötig. Sie üben sehr gewissenhaft das Einschränken der Sinnestore und versuchen alle ablenkenden Tätigkeiten zu meiden. Sie sprechen nicht gern viel, da das ablenkend sein kann. Deshalb verwenden sie häufig Gesten, Zeichen und so weiter, wenn sie unterrichten. Sie neigen dazu, eher an abgelegenen Orten zu leben statt in großen Dharma Gemeinschaften und unterrichten nur ausgewählte Schüler.

Wenn Alleinige Verwirklicher durch Meditation über die zwölf in abhängiger Beziehung stehenden Glieder spontane Entsagung entwickeln, treten sie in den Pfad der Ansammlung der Alleinigen Verwirklicher ein. In den Schriften heißt es, dass sie auf diesem Pfad Verdienste für hundert Äonen ansammeln, doch das bedeutet, dass sie so viele Verdienste ansammeln, wie ein gewöhnliches Wesen in hundert Äonen ansammeln würde. Nach der Vollendung des Pfades der Ansammlung versuchen sie die übrigen Pfade in einem Leben zu vollenden: die Pfade der Vorbereitung, des Sehens, der Meditation und des Nichtmehr-Lernens der Alleinigen Verwirklicher.

Durch die Kraft ihrer höheren Weisheit geben Alleinige Verwirklicher die Verblendungen des Begierdebereichs, des Formbereichs und des formlosen Bereichs gleichzeitig auf. Wenn sie also die groß-großen Verblendungen des Begierdebereichs aufgeben, geben sie gleichzeitig die groß-großen Verblendungen des Formbereichs und formlosen Bereichs auf und so weiter.

Manche Alleinige Verwirklicher beten, dass sie in ihrer letzten Wiedergeburt an einem Ort geboren werden, wo es keine Buddhas oder Hörer gibt. Da sie große Verdienste und große Weisheit besitzen und ihre Studien abgeschlossen haben, müssen sie sich in ihrer letzten Wiedergeburt nicht direkt auf einen spirituellen Meister verlassen. Im Allgemeinen ist es notwendig, sich zur Erlangung der Erleuchtung auf einen spirituellen Meister zu verlassen, und das gilt auch für Alleinige Verwirklicher. Doch es ist nicht notwendig, stets in der physischen Gegenwart eines spirituellen Meisters zu sein. Wenn wir die Unterweisungen unseres spirituellen Meisters gründlich verstanden haben, können wir uns in die Einsamkeit zurückziehen, um durch Meditation eine tiefe Erfahrung von ihnen zu erlangen. Deshalb ist die letzte Wiedergeburt eines Alleinigen Verwirklichers wie ein lebenslanges Einzelretreat. Die Schriften nennen solche Praktizierenden «nashornähnliche Alleinige Verwirklicher», denn genauso wie ein Nashorn allein lebt, verweilen diese Praktizierenden in ihrer letzten Wiedergeburt in spiritueller Einsamkeit. Wenn ein Alleiniger Verwirklicher den Pfad des Nicht-mehr-Lernens der Alleinigen Verwirklicher erlangt, wird er oder sie zu einem Alleinigen Verwirklicher Feindzerstörer und erlangt eine mittlere Erleuchtung.

Da Alleinige Verwirklicher Hörern überlegen, Mahayanisten aber unterlegen sind, nennt Chandrakirti sie «mittlere Buddhas». Hier bezieht sich der Begriff «Buddha» nicht auf ein vollerleuchtetes Wesen, da vollerleuchtete Wesen nicht in klein, mittel oder groß unterteilt werden können. Das Sanskritwort «Buddha» hat viele Bedeutungen und obwohl es sich sonst auf erleuchtete Wesen bezieht, bedeutet es in diesem Zusammenhang «Verwirklicher» und meint einen Verwirklicher der Leerheit. Im Allgemeinen gibt es drei Ebenen, auf denen Leerheit verwirklicht werden kann: eine kleine, eine mittlere und eine große. Diejenigen, die eine kleine Verwirklichung der Leerheit erlangen, sind kleine Verwirklicher, oder Hörer. Diejenigen, die eine mittlere Verwirklichung erlangen, sind mittlere Verwirklicher, oder Alleinige Verwirklicher. Und diejenigen, die eine große Verwirklichung erlangen, sind große Verwirklicher, oder Mahayanisten.

Wenn Buddhas in dieser Welt erscheinen, geben sie vollkommene Unterweisungen über die tiefgründige abhängige Beziehung. Hörer und Alleinige Verwirklicher hören diesen Unterweisungen zu, denken über die Bedeutung des Gehörten nach und meditieren über die Bedeutung, über die sie nachgedacht haben. Durch diese Meditation erlangen sie Befreiung aus Samsara und werden Feindzerstörer. Sogar Alleinige Verwirklicher, die ihr letztes Leben in Einsamkeit verbringen, werden in Abhängigkeit von der Rede der Buddhas, die sie in früheren Leben gehört haben, zu Feindzerstörern. Somit ist die Bedeutung der ersten Zeile des Urtextes, dass Hörer und Alleinige Verwirklicher in Abhängigkeit von der Rede der Buddhas zu Feindzerstörern werden. Im Urtext heißt es «machtvolle Fähige», was ein Beiname für Buddhas ist.

WIE BUDDHAS AUS BODHISATTVAS GEBOREN WERDEN

Wenn Hörer Feindzerstörer und Alleinige Verwirklicher Feindzerstörer aus Buddhas geboren werden, aus welchen Ursachen entstehen dann Buddhas? Chandrakirti gibt die Antwort in der zweiten Zeile, in der er erklärt, dass Buddhas aus Bodhisattvas geboren werden. Bodhisattvas sind sowohl substanzielle Ursachen als auch beitragende Ursachen für Buddhas. Um Erleuchtung zu erlangen, muss ein Mahayana Praktizierender zuerst ein Bodhisattva werden, indem er eine spontane Verwirklichung von Bodhichitta erlangt. Indem er oder sie dann alle Stufen der Bodhisattva Schulung vollendet, wird er oder sie schließlich ein Buddha werden. In diesem Sinne wird ein Buddha aus dem Bodhisattva seines eigenen früheren Kontinuums geboren, der seine substanzielle Ursache ist.

Während sich der Bodhisattva auf den Mahayanapfaden schult, verlässt er sich auf die Unterweisungen anderer Bodhisattvas. Indem er diese Unterweisungen in die Praxis umsetzt, durchschreitet er oder sie die Mahayanapfade der Ansammlung, der Vorbereitung, des Sehens und der Meditation und erlangt schließlich den Mahayanapfad des Nicht-mehr-Lernens, oder Buddhaschaft. In diesem Sinne wird ein Buddha aus der Rede der Bodhisattvas anderer Kontinuen geboren, die seine beitragenden Ursachen sind.

DIE DREI HAUPTURSACHEN EINES BODHISATTVA

Wenn Hörer Feindzerstörer und Alleinige Verwirklicher Feindzerstörer aus Buddhas geboren werden und Buddhas aus Bodhisattvas, aus welchen Ursachen entstehen dann Bodhisattvas? In den letzten zwei Zeilen des ersten Verses erklärt Chandrakirti, dass es drei Hauptursachen für Bodhisattvas gibt: den Geist des großen Mitgefühls, die Weisheit der Nichtdualität verbunden mit Bodhichitta und Bodhichitta. Manchmal werden diese drei Geistesarten die «drei Dharmas des Ausdrucks der Verehrung» genannt. In diesem Zusammenhang bedeutet der Begriff «Verehrung», dass gewöhnliche Bodhisattvas zu höheren Bodhisattvas werden, indem sie diese drei Dharmas zu ihrer Hauptpraxis machen. Daraus können wir verstehen, dass diese Anleitung zu den drei Dharmas im Ausdruck der Verehrung sowohl die Ursachen eines Bodhisattva erklärt als auch die Ebenen und Pfade gewöhnlicher Bodhisattvas enthüllt: die Mahayanapfade der Ansammlung und Vorbereitung. Chandrakirti sagt, dass innerhalb der drei Dharmas Mitgefühl die Grundlage der anderen beiden ist. Deshalb ist es hilfreich, sie in umgekehrter Reihenfolge zu untersuchen.

Bodhichitta ist ein spontaner Wunsch, volle Erleuchtung zum Wohle aller Lebewesen zu erlangen. Dieser besondere Geist entsteht nicht natürlich, sondern muss mit Bemühen über lange Zeit kultiviert werden. Durch die Kraft starker Vertrautheit entsteht er schließlich natürlich, ohne Bemühen und bleibt bestehen. Dieser beständige, spontane Geist ist der eigentliche Bodhichitta. Sobald wir ihn erzeugen, betreten wir den Mahayanapfad und werden ein Bodhisattva. Deshalb wird Bodhichitta «das Tor zum Mahayana» genannt.

Einwand Wenn wir ein Bodhisattva werden, sobald wir Bodhichitta erzeugen, wie kann Bodhichitta dann eine Ursache für einen Bodhisattva sein? Eine Ursache muss doch sicher ihrer Auswirkung vorausgehen und nicht gleichzeitig mit ihr auftreten?

Antwort Hier gibt es keinen Widerspruch, weil Chandrakirti sich auf künstlichen, oder kultivierten, Bodhichitta bezieht, und nicht auf den eigentlichen Geist des Bodhichitta. Bevor ein Mahayana Praktizierender den eigentlichen, spontanen Bodhichitta erzeugt und ein Bodhisattva wird, wird er für lange Zeit den starken Wunsch kultivieren, ein Buddha zum Wohle aller Lebewesen zu werden. Dieser erzeugte Geist wird «Bodhichitta» genannt, ist aber kein eigentlicher Bodhichitta. Der eigentliche Bodhichitta ist zwangsläufig ein spontaner Geist, der ohne Bemühen entsteht. Im Sutra von jenen mit höherer Absicht erbeten sagt Buddha, dass der erzeugte Geist wie die Rinde eines Zuckerrohrs ist, doch der spontane Geist wie das Mark. Die Rinde eines Zuckerrohrs schmeckt süß, doch sie ist nicht so süß wie das Mark. In gleicher Weise ist erzeugter Bodhichitta wirksam, wenn es darum geht, uns in Richtung Erleuchtung zu lenken, doch er ist nicht so wirksam wie der spontane Geist.

Die zweite Ursache, die Weisheit der Nichtdualität, ist die Weisheit, die Leerheit verwirklicht. Sie wird so genannt, weil sie frei von den zwei Extremen ist: dem Extrem der Existenz und dem Extrem der Nichtexistenz. Sowohl Hinayana als auch Mahayana Praktizierende erzeugen die Weisheit der Nichtdualität, aber sie ist nur dann eine Ursache für einen Bodhisattva, wenn sie sich im Kontinuum eines Praktizierenden der Mahayana Überlieferungslinie befindet. In diesem Fall wird sie als «Weisheit der Nichtdualität verbunden mit Bodhichitta» bezeichnet.

Frage Wenn die Weisheit der Nichtdualität eine Ursache für einen Bodhisattva ist, bedeutet dies, dass wir Leerheit verwirklichen müssen, bevor wir Bodhichitta erzeugen können?

Antwort Nein. Es gibt Praktizierende, die Leerheit erst verwirklichen, nachdem sie Bodhichitta erzeugt haben und Bodhisattvas geworden sind. Diejenigen mit scharfsinnigen Fähigkeiten aber verwirklichen Leerheit zuerst, und es sind diese Bodhisattvas, die Buddha in den Sutras der Vollkommenheit der Weisheit unterwies. Indem Chandrakirti sagt, dass die Weisheit der Nichtdualität eine Ursache für einen Bodhisattva ist, weist er darauf hin, dass sich auch der Leitfaden hauptsächlich an Praktizierende mit scharfsinnigen Fähigkeiten richtet.

Die zwei vorherigen Ursachen entstehen aus dem Geist des großen Mitgefühls, denn ohne großes Mitgefühl ist es unmöglich, Bodhichitta oder die Weisheit der Nichtdualität verbunden mit Bodhichitta, zu entwickeln. Deshalb sagt Chandrakirti, dass großes Mitgefühl der Ursprung der anderen beiden Ursachen ist.

Zusammenfassend können wir vier Arten von höheren Wesen identifizieren: Hörer-Höhere, Alleinige Verwirklicher-Höhere, Bodhisattva-Höhere und Buddha-Höhere. Hörer-Höhere und Alleinige Verwirklicher-Höhere entstehen aus Buddha-Höheren, Buddha-Höhere entstehen aus Bodhisattva-Höheren, Bodhisattva-Höhere entstehen aus Bodhichitta und der Weisheit der Nichtdualität verbunden mit Bodhichitta, und diese zwei Geistesarten entstehen aus dem Geist des großen Mitgefühls. Deshalb ist großes Mitgefühl der Ursprung aller spirituellen Pfade und aller höheren Wesen. Um dies zu betonen und um zu zeigen, dass die Meditation über Mitgefühl die essenzielle Praxis ist, preist Chandrakirti direkt den Geist des großen Mitgefühls statt Hörer, Alleinigen Verwirklicher, Bodhisattvas und Buddhas.

Da großes Mitgefühl so wichtig ist, müssen wir verstehen, was es ist und wie es erzeugt wird. Mitgefühl ist ein tugendhafter Geist, der wünscht, dass andere frei von Leiden sind. Wir alle haben etwas Mitgefühl, aber das Mitgefühl für unsere Freunde und Verwandten ist oft mit Anhaftung vermischt und aus diesem Grunde nicht rein. Die Schriften warnen uns davor, Anhaftung mit Mitgefühl zu verwechseln. Reines Mitgefühl ist nicht mit Anhaftung vermischt.

Reines Mitgefühl ist auch frei von Voreingenommenheit. Obwohl wir anfangs ganz natürlich Unterscheidungen treffen und für manche Mitgefühl haben, für andere aber nicht, müssen wir uns in Meditation schulen, um den Umfang unseres Mitgefühls so weit auszudehnen, dass es alle Lebewesen ohne Ausnahme umfasst. Doch selbst dann wird unser Mitgefühl nicht das große Mitgefühl des Mahayana sein, sofern es ein einfacher Wunsch bleibt, dass andere frei von Leiden sein mögen. Großes Mitgefühl ist der Wunsch, alle Lebewesen vor ihren Leiden zu beschützen. Dies ist der kostbarste Geist von allen und entsteht nur in denjenigen, die Teil der Mahayana Überlieferungslinie sind. Hinayanisten können allen Lebewesen wünschen, frei von Leiden zu sein, doch sie entwickeln nie den Wunsch, sie tatsächlich vor Leiden zu beschützen.

Wir können den Unterschied zwischen dem Hinayana Mitgefühl und dem Mahayana Mitgefühl verstehen, wenn wir folgende Analogie betrachten. Angenommen ein kleines Kind fällt in einen Fluss und droht zu ertrinken. Jeder, der das beobachtet, möchte natürlich, dass das Kind gerettet wird, doch er möchte das Kind nicht notwendigerweise selbst retten. Die Mutter des Kindes aber wünscht nicht nur, dass das Kind gerettet wird, sondern erzeugt unverzüglich den Entschluss, das Kind selbst zu retten. Hinayanisten sind wie die Zuschauer in dieser Analogie, denn sie möchten, dass alle Lebewesen frei von Leiden sind, doch sie möchten nicht selbst die Verantwortung dafür übernehmen, sie zu beschützen. Mahayanisten hingegen sind wie die Mutter, denn sie möchten nicht nur, dass alle Lebewesen frei von Leiden sind, sondern übernehmen auch persönliche Verantwortung, um sie zu beschützen.

Großes Mitgefühl ist ein edler Geist und diejenigen, die ihn haben, sind edle Wesen. Gewöhnlich verbinden wir Adel mit äußerem Status und Reichtum, doch der echte Adel sind diejenigen, die ihre nichttugendhaften Geistesarten überwunden und tugendhafte Geistesarten wie großes Mitgefühl kultiviert haben. Sehr oft haben diejenigen, die wir für bedeutend halten, wie Könige, politische Anführer, Geschäftsleute und Berühmtheiten, immer noch dieselben Einstellungen und Absichten wie gewöhnliche Menschen, und deshalb sind auch sie gewöhnlich. Tatsächlich ist es häufig so, dass Menschen, die reich oder berühmt werden, auch stärker durch Objekte der Verblendung abgelenkt werden und deshalb nehmen ihre nichttugendhaften Geistesarten zu und ihre tugendhaften Geistesarten ab. Unter dem Einfluss dieser nichttugendhaften Geistesarten begehen sie nichttugendhafte Handlungen und erleben in der Folge mehr Probleme und mehr Leiden.

Jeder Geist, der Probleme oder Leiden hervorruft, ist ein nichttugendhafter Geist und muss aufgegeben werden. Und jeder Geist, der zu Frieden und Glück führt, ist ein tugendhafter Geist und muss gefördert werden. Es ist völlig unmöglich, dass großes Mitgefühl zu Problemen oder Leiden führt. Mitgefühl ist im Gegenteil eine Ursache von Frieden und Glück, sowohl für uns selbst als auch für andere. Mitgefühl führt dazu, dass wir glücklich sind, denn sobald wir es erzeugt haben, sind unsere störenden Geistesarten wie Stolz, Neid, Wut und Anhaftung befriedet und unser Geist wird sehr friedvoll. Und es führt dazu, dass andere glücklich sind, denn wenn wir großes Mitgefühl haben, kümmern wir uns ganz natürlich um andere und versuchen ihnen zu helfen, wann immer wir können.

Um für jemanden reines Mitgefühl zu erzeugen, müssen wir zuerst zuneigungsvolle Liebe für ihn entwickeln und dann mit diesem Geist wiederholt über sein Leiden nachdenken. Empfinden wir Zuneigung für jemanden, dann empfinden wir ganz natürlich Mitgefühl für ihn, wenn wir uns seines Leidens gewahr werden. Daher erzeugen wir ganz natürlich Mitgefühl für unsere Freunde und Verwandten, finden es aber schwierig, die gleichen Gefühle für Fremde und Feinde zu erzeugen. Daraus können wir ersehen, dass wir uns zuerst in zuneigungsvoller Liebe für alle Lebewesen schulen müssen, wenn wir großes Mitgefühl für alle Lebewesen erzeugen wollen. Aus diesem Grund betrachten alle großen Meditierenden des Mahayana die Verwirklichung von zuneigungsvoller Liebe als grundlegend.

Es gibt traditionell zwei Methoden, um zuneigungsvolle Liebe zu entwickeln: Eine wurde von Shantideva gelehrt und die andere von Chandrakirti und Chandragomin. Diese werden ausführlich in den Büchern Freudvoller Weg, Sinnvoll zu betrachten und Allumfassendes Mitgefühl erklärt.

ZEIGEN, DASS GROSSES MITGEFÜHL DER URSPRUNG DER ANDEREN BEIDEN URSACHEN EINES BODHISATTVA IST

[I.2] Da für diese reiche Ernte der Eroberer

Mitgefühl selbst wie der Samen ist, wie Wasser für das Wachstum

Und wie eine Reife, die bleibt und lang anhaltende Freude bringt,

Preise ich Mitgefühl zu Beginn.

Wenn wir eine reichliche Ernte einbringen möchten, müssen wir zuerst die Saat aussäen, dann mit Wasser und so weiter für ihr Wachstum sorgen und schließlich zulassen, dass die Ernte zur vollen Reife gelangt. In dieser Weise werden die Früchte der Ernte für lange Zeit bleiben, um von vielen Menschen genossen zu werden. Wenn wir die Ernte der Buddhaschaft erlangen wollen, um zahllosen Lebewesen zu helfen, müssen wir uns in ähnlicher Weise zu Beginn unserer Schulung, während unserer Schulung und am Ende unserer Schulung auf großes Mitgefühl verlassen.

Zu Beginn unserer Schulung ist großes Mitgefühl wie der Samen, aus dem Bodhichitta wächst, und Bodhichitta ist wie der Spross, aus dem alle Verwirklichungen des Mahayanapfades wachsen. Wir werden diese Verwirklichungen allerdings nicht erlangen, wenn wir nicht zuerst großes Mitgefühl entwickeln, so wie wir keine Ernte einbringen können, wenn wir nicht zuerst die Saat aussäen.

Sobald Bodhichitta aus dem Samen des großen Mitgefühls gewachsen ist, betreten wir den Mahayanapfad und beginnen mit den Stufen der Bodhisattva Schulung. Bodhisattvas müssen sich sehr bemühen ihre Schulung in den sechs Vollkommenheiten abzuschließen und die zehn Ebenen zu vollenden, und um dieses Bemühen zu erzeugen, meditieren sie während ihrer gesamten Schulung über großes Mitgefühl. Wenn wir Pflanzen nicht regelmäßig bewässern, vertrocknen sie und tragen keine Früchte. Und wenn wir, sobald wir den Mahayana Pfad betreten haben, nicht fortwährend großes Mitgefühl erzeugen, besteht die Gefahr, dass unser Bodhichitta an Kraft verliert und keine vollkommenen Ergebnisse hervorbringt. Deshalb ist großes Mitgefühl während unserer Schulung wie Wasser, das das Wachstum aufrechterhält.

Selbst nachdem wir Buddhaschaft erlangt haben, müssen wir uns auf großes Mitgefühl verlassen. Ohne großes Mitgefühl würden wir nicht kontinuierlich zum Wohle anderer arbeiten und deshalb den Zweck der Erlangung der Buddhaschaft nicht erfüllen. Deshalb ist großes Mitgefühl am Ende unserer Schulung wie das Reifen der Ernte, das es zahllosen Wesen ermöglicht, die Früchte der Buddhaschaft für lange Zeit zu genießen.

Wenn wir äußere Früchte kultivieren, unterscheiden sich der Samen, das Wasser für das Wachstum und die Reife voneinander, doch im Falle des inneren, spirituellen Wachstums werden alle drei Funktionen von großem Mitgefühl erfüllt. Deshalb sagt Chandrakirti, dass Mitgefühl selbst wie der Samen ist, wie Wasser für das Wachstum und wie eine Reife, die bleibt und lang anhaltende Freude bringt. Da großes Mitgefühl so wichtig ist, beginnt Chandrakirti den Leitfaden weder damit, Hörer, Alleinige Verwirklicher, Bodhisattvas und Buddhas zu preisen, noch die beiden anderen Ursachen – Bodhichitta und die Weisheit der Nichtdualität –, sondern damit, direkt den Geist des großen Mitgefühls zu preisen, aus dem sie alle entstehen.

Was können wir aus diesem Vers lernen? In seinem Kommentar sagt Je Tsongkhapa, dass dieser Vers klar die Hauptpraxis der Mahayanisten aufzeigt: den Geist des großen Mitgefühls zu fördern. Möchten wir aufrichtige Mahayana Praktizierende sein, dann sollten wir uns diesen Rat zu Herzen nehmen und danach streben, diesen kostbaren Geist zu erzeugen. Danach sollten wir auf der Grundlage des großen Mitgefühls spontanen Bodhichitta erzeugen und damit fortfahren, alle Schulungen eines Bodhisattva zu vollenden, insbesondere die Vollkommenheit der Weisheit. In dieser Weise werden wir schließlich den vollkommenen Zustand der Buddhaschaft erlangen.

EINE EHRERBIETUNG AN DAS GROSSE MITGEFÜHL MIT UNTERSCHEIDUNG SEINER ARTEN

In den nächsten sechs Zeilen fährt Chandrakirti fort, großes Mitgefühl zu preisen, indem er drei verschiedene Arten unterscheidet: das Mitgefühl, das bloße Lebewesen beobachtet; das Mitgefühl, das Phänomene beobachtet; und das Mitgefühl, das das Nichtbeobachtbare beobachtet. Alle drei Arten von Mitgefühl beobachten Lebewesen und möchten sie vor Leiden beschützen. Der Unterschied ist, dass die erste Art bloße Lebewesen beobachtet, ohne ihre Unbeständigkeit oder Leerheit in Betracht zu ziehen. Die zweite Art beobachtet Lebewesen, die als unbeständig erkannt werden, und die dritte Art beobachtet Lebewesen, die als leer von inhärenter Existenz erkannt werden.

Das Mitgefühl, das Phänomene beobachtet, ist ein Mitgefühl, das von der Verwirklichung hervorgerufen und begleitet wird, dass alle Lebewesen unbeständig sind. Es wird so genannt, weil es Lebewesen beobachtet, die auf die unbeständigen Phänomene der fünf Anhäufungen zugeschrieben werden: die Anhäufungen der Form, des Gefühls, der Unterscheidung, der zusammensetzenden Faktoren und des Bewusstseins. Das Mitgefühl selbst verwirklicht nicht, dass Lebewesen unbeständig sind. Es beobachtet lediglich Lebewesen, die als unbeständig verwirklicht werden, und möchte sie vor Leiden beschützen.

Das Mitgefühl, das das Nichtbeobachtbare beobachtet, ist ein Mitgefühl, das von der Verwirklichung hervorgerufen und begleitet wird, dass allen Lebewesen inhärente Existenz fehlt. Das Fehlen von inhärenter Existenz, oder Leerheit, wird «nichtbeobachtbar» genannt, weil es nicht von gewöhnlichen Geistesarten beobachtet werden kann. Auch hier verwirklicht das Mitgefühl selbst nicht, dass Lebewesen inhärente Existenz fehlt. Es beobachtet lediglich Lebewesen, die als leer von inhärenter Existenz verwirklicht werden, und möchte sie vor Leiden beschützen.

Diese unterschiedlichen Arten des Mitgefühls werden nun unter den zwei folgenden Überschriften erklärt:

1. Eine Ehrerbietung an das Mitgefühl, das bloße Lebewesen beobachtet

2. Eine Ehrerbietung an das Mitgefühl, das Phänomene und das Nichtbeobachtbare beobachtet

EINE EHRERBIETUNG AN DAS MITGEFÜHL, DAS BLOSSE LEBEWESEN BEOBACHTET

[I.3] Ich verbeuge mich vor diesem Mitgefühl für Lebewesen,

Die, indem sie sich zunächst «Ich» im Hinblick auf das Selbst vorstellen,

Dann «das gehört mir» denken und Anhaftung an Dinge erzeugen,

Ohne Selbstkontrolle sind wie die Drehungen eines Brunnens.

In diesem Vers zeigt Chandrakirti, wie man Mitgefühl in der Meditation entwickelt. Da diese Anleitungen sehr wichtig sind und genau verstanden werden müssen, werden sie ausführlich unter den folgenden vier Überschriften dargelegt:

1. Was Lebewesen in Samsara wandern lässt

2. Wie Lebewesen in Samsara wandern

3. Wie Lebewesen in Samsara Leiden erleben

4. Mitgefühl erzeugen, indem wir über diese Punkte nachdenken

WAS LEBEWESEN IN SAMSARA WANDERN LÄSST

Chandrakirti erklärt, dass die drei Hauptursachen für eine Wiedergeburt in Samsara die Sicht der vergänglichen Ansammlung, die sich Ich vorstellt, die Sicht der vergänglichen Ansammlung, die sich Mein vorstellt, und Anhaftung sind. Die Sicht der vergänglichen Ansammlung, die sich Ich vorstellt, ist eine Art des Festhaltens am Selbst von Personen, die das eigene Ich als ein inhärent existentes Ich festhält. In Abhängigkeit davon erzeugen wir die Sicht der vergänglichen Ansammlung, die sich in Bezug auf unseren Körper, unseren Besitz, unsere Verwandten und so weiter Mein vorstellt. Diese beiden Sichtweisen sind insofern gleich, als sie das eigene Ich beobachten und es sich als inhärent existent vorstellen, doch sie unterscheiden sich dadurch, dass die erste Sicht nur das Ich beobachtet, während die zweite Sicht sowohl Ich als auch Mein beobachtet. Diese Sichtweisen werden später ausführlicher erklärt. Vorerst genügt es zu wissen, dass die Sicht der vergänglichen Ansammlung, die sich Ich vorstellt, zuerst entsteht und dann die Sicht der vergänglichen Ansammlung entstehen lässt, die sich Mein vorstellt.

Aufgrund ihres starken Gefühls von Ich und Mein erzeugen Lebewesen Anhaftung an Dinge, die ihnen gefallen, und Hass auf Dinge, die ihnen nicht gefallen. Diese zwei Geistesarten führen ihrerseits zu allen anderen Verblendungen, wie Geiz, Neid und Stolz. Indem Lebewesen unter dem Einfluss dieser Verblendungen handeln, erschaffen sie das Karma, das die Ursache dafür ist, in Samsara wiedergeboren zu werden und Leiden zu erfahren.

WIE LEBEWESEN IN SAMSARA WANDERN

Lebewesen haben keine Kontrolle über ihre Wiedergeburten in Samsara. Hätten sie die Freiheit zu wählen, würden sie keine Wiedergeburten annehmen, in denen sie Elend wie Krankheit, Altern und Tod erleben müssten, sondern würden Wiedergeburten wählen, in denen sie ausschließlich Glück und Annehmlichkeiten erfahren. Niemand will leiden, doch alle leiden ohne Wahl. Niemand möchte Unzufriedenheit erleben, doch alle erleben sie ohne Wahl. Niemand möchte krank sein, doch alle werden krank ohne Wahl. Niemand möchte alt sein, doch alle altern ohne Wahl. Niemand möchte sterben, doch alle sterben ohne Wahl. Niemand möchte in Samsara wandern, doch alle tun es ohne Wahl.

Ungeachtet des Status, der Nationalität oder des Geschlechts müssen alle Lebewesen ohne Wahl leiden. Jede ihrer Wiedergeburten endet unvermeidlich in einem unkontrollierten Tod. Wie hoch sie im Laufe eines Lebens auch aufsteigen, am Ende fallen sie in niedere Zustände. Wie viel Besitz sie auch anhäufen, sie werden zwangsläufig alles verlieren. Alle Beziehungen, die sie eingehen, enden unvermeidlich in Trennung. Das Grausame an Samsara ist, dass Lebewesen in all diesen Dingen nicht die geringste Wahl haben. Selbst wenn wir nur über diesen einen Punkt intensiv nachdenken, werden wir ein starkes Mitgefühl für alle Lebewesen entwickeln. Wenn wir zusätzlich über die spezifischen Leiden nachdenken, die sie ständig erfahren, wird unser Mitgefühl sogar noch stärker werden.

Vielleicht fragen wir uns, warum wir über Leiden nachdenken müssen. Der Grund dafür ist, dass die Meditation über Leiden der einzige Weg ist, eine Motivation zu erzeugen, die uns auf spirituelle Pfade führt. Durch wiederholte Meditation über unser eigenes Leiden entwickeln wir den starken Wunsch, Samsara zu entfliehen. Dieser Wunsch ist Entsagung, das Tor zu allen spirituellen Pfaden. Wenn wir anschließend über die Leiden anderer nachdenken, entwickeln wir ganz natürlich Mitgefühl, das Tor zu allen Mahayanapfaden.

Um uns zu helfen, über die Leiden anderer nachzudenken, verwendet Chandrakirti den Mechanismus eines Brunnens als Analogie. Das Elend der Lebewesen in Samsara hat in sechs Punkten Ähnlichkeit mit dem Mechanismus eines Brunnens:

(1) So wie ein Eimer mit einem Seil an der Winde festgebunden ist, sind Lebewesen durch Verblendung und Karma an Samsara gebunden.

(2) So wie eine Winde von dem, der sie bedient, gezwungen wird sich zu drehen, werden Lebewesen durch ihren unfriedlichen und ungezähmten Geist gezwungen in Samsara zu wandern.

(3) So wie auf eine Drehung der Winde sofort die nächste folgt, folgt auch auf eine Wiedergeburt in Samsara sofort die nächste.

(4) So wie ein Eimer mühelos auf den Grund eines Brunnens fällt, aber nur mit großer Mühe wieder nach oben gezogen wird, wandern auch Lebewesen mit Leichtigkeit in niedere Wiedergeburten, steigen aber nur unter großen Schwierigkeiten wieder aus ihnen auf.

(5) So wie es bei einer sich schnell drehenden Winde schwierig ist festzustellen, wo eine Drehung endet und die nächste beginnt, ist es auch bei den Lebewesen, die in Samsara wandern, unmöglich zu sagen, was als Erstes kommt: Verblendungen, Handlungen oder Auswirkungen. Lebewesen wandern in Abhängigkeit von den zwölf in abhängiger Beziehung stehenden Gliedern in Samsara. Drei dieser Glieder sind Verblendungen, zwei sind Handlungen und sieben sind Auswirkungen. Die drei Verblendungen sind: in abhängiger Beziehung stehende Unwissenheit, in abhängiger Beziehung stehendes Verlangen und in abhängiger Beziehung stehendes Festhalten. Die zwei Handlungen sind: in abhängiger Beziehung stehende zusammensetzende Handlungen und in abhängiger Beziehung stehende Existenz. Die sieben Auswirkungen sind: in abhängiger Beziehung stehendes Bewusstsein, in abhängiger Beziehung stehender Name und Form, in abhängiger Beziehung stehende sechs Quellen, in abhängiger Beziehung stehender Kontakt, in abhängiger Beziehung stehendes Gefühl, in abhängiger Beziehung stehende Geburt und in abhängiger Beziehung stehendes Altern und Tod. Die drei Verblendungen führen zu den zwei Handlungen, die die sieben Auswirkungen hervorbringen, die ihrerseits zu den drei Verblendungen führen und so weiter. Auf diese Weise drehen sich die zwölf Glieder unaufhörlich und es ist unmöglich zu sagen, welches das erste ist. Vielleicht haben wir zum Beispiel das Gefühl, dass die Verblendung Unwissenheit das erste sein muss, doch Unwissenheit kann es nur geben, wenn es Geburt gegeben hat, Geburt kann es nur geben, wenn es Handlung gegeben hat, Handlung kann es nur geben, wenn es Unwissenheit gegeben hat, und so weiter.

WIE LEBEWESEN IN SAMSARA LEIDEN ERLEBEN

(6) Lebewesen wandern in ganz ähnlicher Weise in Samsara, wie ein Eimer sich in einem Brunnen auf und ab bewegt. Während ein Eimer immer wieder auf den Grund des Brunnens fällt und wieder hochgezogen wird, schaukelt er unkontrolliert hin und her und wird an den Brunnenwänden zerschlagen, verbeult und zerkratzt. In gleicher Weise werden Lebewesen, während sie unkontrolliert vom höchsten Himmel zur tiefsten Hölle wandern, ständig von den drei Leiden, den sechs Leiden und so weiter übel zugerichtet. Diese verschiedenen Arten von Leiden werden ausführlich im Buch Freudvoller Weg erklärt.

MITGEFÜHL ERZEUGEN, INDEM WIR ÜBER DIESE PUNKTE NACHDENKEN

Wenn wir mithilfe der sechs Punkte der Analogie wiederholt über diesen Vers meditieren, werden wir sehen, wie alle Lebewesen ohne Kontrolle in Samsara wandern, durch die zwölf in abhängiger Beziehung stehenden Glieder gefesselt und fortwährend von den verschiedenen Arten des Leidens übel zugerichtet. In dieser Weise werden wir schrittweise die erste Art des Mitgefühls erzeugen: das Mitgefühl, das bloße Lebewesen beobachtet. Weil dieser Geist so kostbar ist, erweist Chandrakirti ihm Ehrerbietung, indem er sagt: «Ich verbeuge mich vor diesem Mitgefühl».

EINE EHRERBIETUNG AN DAS MITGEFÜHL, DAS PHÄNOMENE UND DAS NICHTBEOBACHTBARE BEOBACHTET

[I.4ab] Lebewesen werden als vergänglich und leer von inhärenter Existenz gesehen,

Wie ein Mond in sich kräuselndem Wasser.

Da Lebewesen unbeständig sind, sind sie vergänglich wie der Mond, der in sich kräuselndem Wasser gespiegelt wird, und da sie leer von inhärenter Existenz sind, gleicht ihre Natur einer Spiegelung. Wie bereits erklärt ist das Mitgefühl, das von einem Geist aufrechterhalten wird, der erkennt, dass Lebewesen unbeständig sind, das Mitgefühl, das Phänomene beobachtet. Und das Mitgefühl, das von einem Geist aufrechterhalten wird, der erkennt, dass Lebewesen leer von inhärenter Existenz sind, ist das Mitgefühl, das das Nichtbeobachtbare beobachtet.

Alle drei Arten von Mitgefühl – das Mitgefühl, das bloße Lebewesen beobachtet, das Mitgefühl, das Phänomene beobachtet, und das Mitgefühl, das das Nichtbeobachtbare beobachtet – können Ursachen eines Bodhisattva sein, da Mahayana Schüler mit scharfsinnigen Fähigkeiten sowohl Unbeständigkeit als auch Leerheit verwirklichen, bevor sie Bodhichitta erzeugen und Bodhisattvas werden.

Ebenen und Pfade

DER EIGENTLICHE TEXTKÖRPER DER ABHANDLUNG

Der Hauptteil des Leitfaden ist eine Präsentation der Ebenen und Pfade höherer Mahayanisten. In diesem Zusammenhang bedeutet «Ebene» «spirituelle Ebene» und «Pfad» «spiritueller Pfad». Spirituelle Ebene und spiritueller Pfad sind Synonyme. Eine spirituelle Ebene ist definiert als eine klare Verwirklichung, die als Grundlage vieler guter Eigenschaften dient. Die Definition von spiritueller Pfad ist ein erhabenes Gewahrsein, das mit spontaner Entsagung verbunden ist.

Wie bereits erklärt ist Entsagung ein starker Wunsch, Samsara zu entfliehen. Um Entsagung zu entwickeln, meditieren wir immer wieder über die Fehler Samsaras und erzeugen den starken Wunsch zu entfliehen. Zuerst müssen wir uns sehr bemühen Entsagung zu erzeugen, doch durch die Kraft der Vertrautheit wird sie schließlich spontan ohne jegliches Bemühen entstehen. Wenn wir diesen spontanen Geist der Entsagung erzeugen, werden alle unsere spirituellen Verwirklichungen zu spirituellen Pfaden.

Wie die Definition impliziert, werden spirituelle Ebenen so genannt, weil sie als Grundlage für die Entwicklung weiterer guter Eigenschaften dienen, genauso wie der äußere Boden als Grundlage für das Wachstum von Ernten und so weiter dient. So ist zum Beispiel die spirituelle Ebene des Pfades der Ansammlung die Grundlage für alle guten Eigenschaften des Pfades der Vorbereitung, die spirituelle Ebene des Pfades der Vorbereitung die Grundlage für alle guten Eigenschaften des Pfades des Sehens und so weiter.

Es gibt zwei Arten von Ebenen: Hinayana Ebenen und Mahayana Ebenen. Die fünf Hinayanapfade und die fünf Mahayanapfade sind alle Ebenen. In beiden Fällen sind die Pfade der Ansammlung und der Vorbereitung gewöhnliche Ebenen und die Pfade des Sehens, der Meditation und des Nicht-mehr-Lernens sind höhere Ebenen. Der Mahayanapfad der Ansammlung ist definiert als die Verwirklichung eines Bodhisattva, der in erster Linie eine Ansammlung von Verdiensten anhäuft, die eine Methode ist, um den Mahayanapfad der Vorbereitung zu erlangen. Der Mahayanapfad der Vorbereitung ist definiert als die Verwirklichung eines Bodhisattva, der höheres Sehen, das Leerheit beobachtet, erlangt hat, die als Vorbereitung dient, um den Mahayanapfad des Sehens zu erlangen. Der Mahayanapfad des Sehens ist definiert als die Verwirklichung eines Bodhisattva, der Leerheit direkt sieht, die eine Methode ist, um den Mahayanapfad der Meditation zu erlangen. Der Mahayanapfad der Meditation ist definiert als die Verwirklichung eines höheren Bodhisattva, der angeborenes An-wahr-Festhalten durch die Praxis der Meditation aufgibt oder bereits aufgegeben hat. Der Mahayanapfad des Nicht-mehr-Lernens ist definiert als eine endgültige Verwirklichung, die die zwei Behinderungen vollständig aufgegeben hat. Wie oben erklärt gibt Chandrakirti eine kurze Beschreibung der gewöhnlichen Mahayana Ebenen, wenn er die drei Dharmas des Ausdrucks der Verehrung erläutert. Im Rest des Leitfaden werden hauptsächlich Mahayana Ebenen und insbesondere höhere Mahayana Ebenen erläutert.

Es gibt zwei Arten von höheren Mahayana Ebenen: ursächliche Ebenen und resultierende Ebenen. Ursächliche Ebenen sind Ebenen, die zur Erlangung der Buddhaschaft führen, und resultierende Ebenen sind eigentliche Buddha Ebenen. Die höheren Mahayana Ebenen werden nun unter den folgenden zwei Überschriften ausführlich dargelegt:

1. Eine Darlegung der ursächlichen Ebenen

2. Eine Darlegung der resultierenden Ebenen

EINE DARLEGUNG DER URSÄCHLICHEN EBENEN

Es gibt zwei Arten von ursächlichen Ebenen: konventionelle ursächliche Ebenen und endgültige ursächliche Ebenen. Von diesen erklärt der Leitfaden zum Mittleren Weg hauptsächlich die letzteren. Die Definition einer endgültigen ursächlichen Ebene ist ein nichtverunreinigter Geist eines höheren Bodhisattva in einsgerichtetem meditativem Gleichgewicht über Leerheit, der durch großes Mitgefühl aufrechterhalten wird. In seinem Selbstkommentar erklärt Chandrakirti, dass nichtverunreinigte Geistesarten Geistesarten sind, die weder von der Unwissenheit des An-wahr-Festhaltens noch von deren Prägungen verschmutzt sind. Diese Erklärung entspricht der Madhyamika-Prasangika Sicht und unterscheidet sich deutlich von der Erklärung, die Vertreter niederer buddhistischer Lehrsätze geben. Dem Madhyamika-Prasangika System zufolge existieren nichtverunreinigte Geistesarten nur in Buddhas und in anderen höheren Wesen in meditativem Gleichgewicht über Leerheit. Gewöhnliche Wesen haben niemals nichtverunreinigte Geistesarten, da ihre Geistesarten alle entweder durch die Unwissenheit des An-wahr-Festhaltens oder deren Prägungen verschmutzt sind. Alles, was dem Geist eines gewöhnlichen Wesens erscheint, erscheint als wahrhaft existent.

Sowohl Hinayana- als auch Mahayana-Höhere haben nichtverunreinigte Geistesarten, doch im Falle der Hinayanisten sind diese Geistesarten keine endgültigen Ebenen, da sie nicht von großem Mitgefühl aufrechterhalten werden. Das erhabene Gewahrsein des meditativen Gleichgewichts eines höheren Bodhisattva in einsgerichteter Meditation über Leerheit ist jedoch sowohl ein nichtverunreinigter Geist als auch eine endgültige Ebene. Endgültige Ebene, endgültiger Bodhichitta und endgültige Geisterzeugung sind Synonyme.

Sobald sich ein höherer Bodhisattva aus der Meditation erhebt und Handlungen der nachfolgenden Erlangung ausführt, sind alle seine oder ihre Geistesarten verunreinigte Geistesarten und deshalb keine endgültigen Ebenen mehr. Das liegt daran, dass in allen Wesen außer in Buddhas alle Geistesarten der nachfolgenden Erlangung entweder durch die Unwissenheit des An-wahr-Festhaltens oder deren Prägungen verschmutzt sind. Wenn ein Bodhisattva die achte Ebene erreicht, gibt er das An-wahr-Festhalten vollständig auf, doch seine Geistesarten der nachfolgenden Erlangung sind weiterhin von den Prägungen des An-wahr-Festhaltens verunreinigt. Diese lassen Phänomene als wahrhaft existent erscheinen, obwohl der Bodhisattva diesen Erscheinungen nicht mehr zustimmt. Diese Prägungen, die als «Behinderungen zur Allwissenheit» bekannt sind, werden nicht aufgegeben, bis Buddhaschaft erlangt wird. Das heißt, nur ein Buddha ist vollkommen frei von verunreinigten Geistesarten. Ein Buddha stellt sich Phänomene nie als wahrhaft existent vor und sie erscheinen ihm oder ihr auch nie so, als wären sie es.

Es gibt zehn endgültige ursächliche Ebenen, die bekannt sind als Sehr freudvoll, Makellos, Leuchtend, Strahlend, Schwer zu überwinden, Sich nähernd, Weit gegangen, Unbeweglich, Gute Intelligenz und Wolke des Dharma. Da alle diese endgültigen Ebenen erhabene Gewahrseinsarten eines meditativen Gleichgewichts sind, die mit Leerheit vermischt sind, können sie im Hinblick auf ihre Natur nicht unterschieden werden. Wenn zum Beispiel zehn Vögel am Himmel fliegen, dann hinterlassen sie nur leeren Raum und deshalb können die einzelnen Spuren nicht unterschieden werden. Die zehn Ebenen können aber im Hinblick auf ihre guten Eigenschaften, Kräfte, überragenden Vollkommenheiten und Arten der Wiedergeburt unterschieden werden. Diese werden unten ausführlich erklärt.

Die zehn Ebenen werden nun unter den folgenden zwei Überschriften dargelegt:

1. Eine Darlegung der einzelnen Ebenen

2. Die guten Eigenschaften der zehn Ebenen

EINE DARLEGUNG DER EINZELNEN EBENEN

Dies hat zehn Teile:

1. Die erste Ebene, Sehr freudvoll

2. Die zweite Ebene, Makellos

3. Die dritte Ebene, Leuchtend

4. Die vierte Ebene, Strahlend

5. Die fünfte Ebene, Schwer zu überwinden

6. Die sechste Ebene, Sich nähernd

7. Die siebte Ebene, Weit gegangen

8. Die achte Ebene, Unbeweglich