Parker tritt der "Brille" auf die Zehen - Günter Dönges - E-Book

Parker tritt der "Brille" auf die Zehen E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Exzellent – das ist er im wahrsten Sinne des Wortes: einzigartig, schlagfertig und natürlich auch unangenehm schlagfähig. Wer ihn unterschätzt, hat schon verloren. Sein Regenschirm ist nicht nur sein Markenzeichen, sondern auch die beste Waffe der Welt. Seinem Charisma, Witz und Charme kann keiner widerstehen. Der exzellente Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! Josuah Parker bemerkte an diesem frühen Nachmittag auf den ersten Blick, daß noch einiges auf ihn zukommen würde. Lady Agatha Simpson bewegte sich über die geschwungene Freitreppe nach unten in die große Wohnhalle des Hauses. Der Auftritt einer regierenden Monarchin hätte kaum wirkungsvoller und dramatischer ausfallen können. Die ältere Dame strahlte Energie und Unternehmungslust aus. Nach dem Lunch war sie in ihr Studio gegangen und hatte ausgiebig meditiert, wie sie ihren Mittagsschlaf vornehm umschrieb. »Mister Parker«, rief sie ihrem Butler entgegen, »ich habe gerade meine heutige Bestrahlung überprüft.« »Konnten Mylady neue Erkenntnisse für den Tag gewinnen?« erkundigte sich Parker, der alterslos schien und dem Urbild eines englischen Butlers glich. »Nach meinem Horoskop wartet auf mich in der zweiten Tageshälfte eine besondere Überraschung, Mister Parker«, antwortete die passionierte Detektivin. »Die Sterne raten mir, auf Menschen zuzugehen, offen und ohne Vorurteil. Was meinen Sie dazu?« »Ein Rat, den Mylady grundsätzlich zu beherzigen belieben«, meinte Josuah Parker. »Vorurteile sind Mylady völlig fremd, wie die Vergangenheit lehrte.« »Das stimmt allerdings«, gab sie wohlwollend zurück. »Ich hasse Voreingenommenheit. Aber zurück zu meiner Tages-Bestrahlung, auf mich wartet eine besondere Überraschung.«

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Der exzellente Butler Parker – 28 –

Parker tritt der "Brille" auf die Zehen

Günter Dönges

Josuah Parker bemerkte an diesem frühen Nachmittag auf den ersten Blick, daß noch einiges auf ihn zukommen würde.

Lady Agatha Simpson bewegte sich über die geschwungene Freitreppe nach unten in die große Wohnhalle des Hauses. Der Auftritt einer regierenden Monarchin hätte kaum wirkungsvoller und dramatischer ausfallen können. Die ältere Dame strahlte Energie und Unternehmungslust aus. Nach dem Lunch war sie in ihr Studio gegangen und hatte ausgiebig meditiert, wie sie ihren Mittagsschlaf vornehm umschrieb.

»Mister Parker«, rief sie ihrem Butler entgegen, »ich habe gerade meine heutige Bestrahlung überprüft.«

»Konnten Mylady neue Erkenntnisse für den Tag gewinnen?« erkundigte sich Parker, der alterslos schien und dem Urbild eines englischen Butlers glich.

»Nach meinem Horoskop wartet auf mich in der zweiten Tageshälfte eine besondere Überraschung, Mister Parker«, antwortete die passionierte Detektivin. »Die Sterne raten mir, auf Menschen zuzugehen, offen und ohne Vorurteil. Was meinen Sie dazu?«

»Ein Rat, den Mylady grundsätzlich zu beherzigen belieben«, meinte Josuah Parker. »Vorurteile sind Mylady völlig fremd, wie die Vergangenheit lehrte.«

»Das stimmt allerdings«, gab sie wohlwollend zurück. »Ich hasse Voreingenommenheit. Aber zurück zu meiner Tages-Bestrahlung, auf mich wartet eine besondere Überraschung.«

Parker kannte das neue Steckenpferd seiner Herrin. Sie hatte sich mit Vehemenz der Astrologie verschrieben und ein entsprechendes Handbuch gekauft. In diesem war die sogenannte Bestrahlung der Gestirne für den jeweiligen Tag genau aufgeführt. Zusätzlich studierte die ältere Dame selbstverständlich noch die Horoskope in der Regenbogenpresse.

»Mylady planen eine Ausfahrt?« fragte Parker.

»Wie sollte es sonst zu überraschenden Begegnungen kommen, Mister Parker?« erwiderte sie munter. »Man darf den Sternen schließlich nicht alles überlassen.«

»Haben Mylady sich bereits für ein bestimmtes Ziel entschieden?«

»Aber nein, Mister Parker.« Sie lächelte fast mitleidig. »Das wiederum werden die Gestirne entscheiden. Ich werde mich treiben lassen. Ich denke, ich sollte in einer Viertelstunde fahren.«

»Mylady prüften bereits das Tages-Horoskop in der Zeitung?« Der Butler präsentierte eine Seite, die er bereits vorsorglich aufgeschlagen hatte.

»Nun, was erwartet mich?«

»Laut Horoskop wird Mylady geraten, einen Tag der Ruhe und Besinnung zu pflegen.«

»Lächerlich«, mokierte sie sich umgehend. »Sie werden unter dem falschen Sternzeichen nachgelesen haben, Mister Parker.«

»Zudem raten die Gestirne den betreffenden Personen, unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen.«

»Ein guter Rat«, erklärte sie. »Ich neige ja ohnehin nicht dazu, Streit zu suchen.«

»Eine Feststellung, Mylady, wie sie kaum treffender sein könnte.« Josuah Parker unterschlug bewußt sein Wissen, das aus dem Alltag stammte. Die ältere Dame nutzte – wie die Erfahrung lehrte – jede sich bietende Möglichkeit, in erreichbare Fettnäpfchen zu treten. Sie war geradezu berüchtigt für ihre ungenierte Offenheit. Sie sagte stets das, was sie gerade dachte, ob es nun opportun war oder nicht.

Lady Agatha war mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, verfügte über enormen Reichtum und leistete sich jede Extravaganz. Auf der anderen Seite aber konnte sie von schottischer Sparsamkeit sein. Sie war eine exzentrische Dame, die lustvoll ihren sehr persönlichen Weg durch das Leben nahm.

Bevor Agatha Simpson sich weiter zu ihrem Horoskop äußern konnte, meldete sich das Telefon. Parker begab sich würdevoll an den Apparat und nannte seinen Namen. Lady Agatha, die die Wohnhalle inzwischen erreicht hatte, griff nach dem Raumverstärker und schaltete ihn ein.

»Hier Pickett«, meldete sich eine bekannte Stimme. »Mister Parker, ich habe gerade eine wichtige Nachricht in der Szene aufgeschnappt. Die ›Brille‹ soll aus dem Untersuchungsgefängnis geflüchtet sein. Mehr weiß ich natürlich noch nicht, aber ich werde am Ball bleiben.«

»Und ich erst«, warf Lady Agatha laut und mit kämpferischem Nachdruck ein. »Aber wer ist eigentlich diese ›Brille‹?«

*

Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums, wie Parkers privater Wagen genannt wurde. Dabei handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das einen bereits recht betagten Eindruck machte. Das Äußere täuschte darüber hinweg, daß dieses Gefährt unter dem eckigen Aufbau modernste Technik verbarg. Eingeweihte nannten den Wagen nicht von ungefähr eine Trickkiste auf Rädern.

Parker hatte Mylady bereits ins Bild gesetzt, was die ›Brille‹ betraf. Dieser Mann war ein führender Rauschgifthändler, der vor etwa zwei Monaten von Scotland Yard festgenommen worden war. Er galt als der Chef eines Drogen-Rings, der Europa mit Heroin und Kokain überschwemmte.

»Ich denke gerade an den guten McWarden«, ließ Lady Agatha sich vernehmen. »Sehr erstaunlich, daß er sich noch nicht mit mir in Verbindung gesetzt hat, nicht wahr?«

»Chief-Superintendent McWarden dürfte momentan unter starkem Streß stehen, Mylady. Er wird sich mit Sicherheit bald melden.«

»Und ich werde ihm wieder mal aus der Patsche helfen«, sagte sie. »Ohne mich ist der Mann doch völlig hilflos.«

»Mylady wollen sich mit der sogenannten Brille befassen?«

»Selbstverständlich, Mister Parker« antwortete sie. »Solchen Kriminellen muß man das Handwerk legen. Ich hoffe, Sie wissen bereits, wo ich den Hebel ansetzen kann.«

»Mylady denken sicher an ungewöhnliche Kontakte, die sich dem Wissen der Behörden entziehen.«

»Richtig«, bestätigte sie umgehend und nickte wohlwollend. »Ich hasse ausgetretene Pfade, Mister Parker. Und wie sieht solch ein erster Kontakt aus?«

»Es gibt einen Mister Hale Corvey, Mylady, der eine Art Nachrichtendienst für Zuchthäuser und Gefängnisse unterhält. Mister Corvey betreibt darüber hinaus den Versand von Spezialitäten aller Art in die erwähnten Anstalten und vermittelt zudem auch noch Anwälte.«

»Und das betreibt er unter den Augen der Behörden?« wunderte sich Lady Agatha nachhaltig.

»Mister Hale Corvey steht einem Verein vor, der sich mit der Betreuung von rechtmäßig verurteilten Gesetzesbrechern befaßt, Mylady.«

»McWarden kennt natürlich diesen Verein, wie?« sorgte sie sich.

»Mit letzter Sicherheit, Mylady«, gab der Butler zurück. »Mister McWarden weiß allerdings auch, daß Mister Corvey niemals auch nur eine Andeutung machen würde, was die Flucht der ›Brille‹ angeht.«

»Sie glauben, daß dieses Subjekt etwas weiß, Mister Parker?«

»Dies sollten Mylady als völlig sicher unterstellen. Vorgänge, die zu einer Flucht aus dem Untersuchungsgefängnis führen, sind hausintern nicht zu tarnen oder gar zu unterschlagen.«

»Ich werde diesem Corbett nachdrücklich auf den Zahn fühlen.« Mylady konnte sich keine Namen merken.

»Mister Hale Corvey«, korrigierte Parker in seiner bekannt höflichen und diskreten Art.

»Wie auch immer.« Ihre Stimme klang ein wenig ärgerlich. »Klammern Sie sich nicht an Kleinigkeiten, Mister Parker, das führt zu nichts. Wo finde ich diesen Verein?«

»In Stepney, Mylady«, erwiderte der Butler. »Man ist bereits auf dem Weg dorthin.«

»Sehr schön.« Sie nickte zustimmend. »Es würde mich nicht wundern, wenn ich diese ›Brille‹ bei ihm finden würde, Mister Parker.«

»Myladys Nachmittags-Bestrahlung läßt einen gewissen Optimismus zu.«

»Daran dachte auch ich gerade«, sagte sie nachdenklich. »Ich werde schließlich eine überraschende Begegnung haben. Und ich weiß, daß es dazu kommen wird. Wieso nennt man dieses bewußte Subjekt eigentlich ›Brille‹, Mister Parker?«

»Weil es ungemein kurzsichtig ist, Mylady, wie in den Zeitungen stand. Es bedarf daher einer dickglasigen Brille.«

»Dann müßte das Subjekt ja leicht zu finden sein«, gab sie optimistisch zurück. »Ohne Brille dürfte dieser Mann doch hilflos sein.«

»Ein Hinweis, Mylady, den man sich unbedingt einprägen sollte.«

»Oder hat der betreffende Kriminelle vielleicht bereits die Insel verlassen?« sorgte sie sich plötzlich.

»Auch damit sollte man durchaus rechnen, Mylady.«

»Natürlich ist er noch hier«, meinte sie anschließend. »Er weiß doch genau, daß die Polizei sämtliche Flug- und Schiffshäfen gesperrt hat.«

»Dennoch sollte es durchaus möglich sein, die Insel zu verlassen«, deutete der Butler an. »Es gibt der Möglichkeiten viele, wenn meine Wenigkeit sich so ausdrücken darf.«

»Er ist noch hier«, wiederholte sie mit Nachdruck, »so etwas spüre ich.«

»Mister John Ronnars ist selbstverständlich klar, daß man international nach ihm suchen wird, Mylady.«

»Wer ist John Ronnars?« fragte sie verdutzt.

»Die erwähnte ›Brille‹, Mylady«, erläuterte Parker und war ein wenig verdutzt darüber, daß die ältere Dame den Namen richtig wiederholt hatte. So etwas kam überaus selten vor.

*

Der junge Mann im Vorzimmer von Hale Corvey gab sich sehr arrogant und ungeduldig zugleich.

»Ohne Anmeldung ist da kaum was zu machen«, sagte er herablassend, nachdem Parker in Lady Simpsons Namen um ein Gespräch mit dem Vereinsleiter gebeten hatte. Dieser junge Mann saß in einem modern eingerichteten Büro vor einem Personal-Computer und tat sehr beschäftigt. Nach seiner Auskunft schien er die beiden Besucher bereits wieder vergessen zu haben. Er fühlte sich hinter der Trenn-Barriere sehr sicher und unangreifbar.

»Würden Sie dennoch freundlicherweise nachfragen?« bat Parker in seiner bekannt höflichen Art.

»Sie sehen doch, daß ich im Moment beschäftigt bin«, herrschte ihn der junge Mann gereizt an, ohne auch nur hochzublicken. Er blätterte in einer Akte und ließ sich dabei nicht stören.

»Dann werde ich mir selbst helfen«, schaltete Lady Agatha sich ein.

»Tun Sie das«, gab der Ahnungslose zurück. Eine Sekunde später zuckte er zusammen. Lady Agatha vertrieb sich bereits die Zeit und benutzte dazu erst mal einen schweren Aschenbecher, den sie gezielt zu Boden fallen ließ. Anschließend befaßte sie sich mit einer an sich billigen Blumenvase und brachte sie schwungvoll mit der Wand in Berührung. Die Wand widerstand, die Vase hingegen ging zu Bruch, was nicht ohne Lärm erfolgte.

»Was ist denn das?«

Der junge Mann sprang auf und bückte sich blitzschnell, als Mylady ihn mit einem Ablagekorb aus Plastik bedachte, der auf dem schmalen Tresen stand. Dieser Behälter mit Inhalt, segelte über den jungen Mann hinweg und fegte dann über den Arbeitstisch. Dabei stieß er an eine Schale, die mit Heftklammern gefüllt war.

Lady Agatha hatte inzwischen die Trennklappe des Tresens hochgenommen und marschierte zu einer Tür, hinter der wohl der Vereinsgründer zu vermuten war. Der junge Mann warf sich der Eindringenden entgegen und wollte sie stoppen.

Er hätte es besser nicht getan ...

Agatha Simpson klatschte ihm ihren perlenbestickten Pompadour auf die nicht klein geratene Brust und veranlaßte ihn auf diese Weise, wieder im Sessel Platz zu nehmen. Sie hatte allerdings derart schwungvoll pariert, daß der junge Mann mitsamt dem Möbel zu Boden ging.

»Mit Ihrer Erlaubnis.« Parker zeigte sich ungemein hilfsbereit und half dem Gemaßregelten hoch. Bei dieser Gelegenheit klopfte der Butler ihn äußerst geschickt nach Waffen ab und fand, wie er vermutet hatte, eine Pistole. Sie verschwand rasch zwischen den schwarz behandschuhten Händen des Butlers und landete in einer der Taschen des Covercoats, den Parker trug.

Lady Agatha hatte bereits die Tür geöffnet und marschierte energisch in Richtung eines mittelgroßen, rundlichen Mannes, dessen Kahlkopf wie ein kleiner Mond strahlte.

»Sind Sie dieser Vereinsleiter?« herrschte sie ihn an.

»Hale Corvey«, kam die verblüffte Antwort. »Sind Sie angemeldet?«

»Sie haben die große Ehre und den Vorzug, Mylady einige Fragen beantworten zu dürfen, Mister Corvey, die sich auf einen gewissen Mister John Ronnars beziehen.«

»Ehre und Vorzug?« Hale Corvey war längst aufgestanden und blickte ein wenig zu auffällig über Parkers Schulter hinweg zur Tür. Der Butler deutete diesen Blick durchaus richtig. Nicht umsonst hielt er seinen Universal-Regenschirm mit der linken Hand in die Waagerechte. Die Spitze wies nach hinten.

Und sie traf den jungen Mann, der sich gerade anschickte, mit einem Stock zuzuschlagen. Der Getroffene brüllte auf, faßte nach seiner Magenpartie, wo ihn die Schirmspitze getroffen hatte, knickte ein und kniete im Zeitlupentempo nieder.

»Meine Wenigkeit bedauert ungemein das kleine Mißgeschick«, entschuldigte sich Parker, während er sich gemessen umwandte. »Atmen Sie möglichst tief durch. In schätzungsweise fünf Minuten werden Sie sich mit Sicherheit bedeutend wohler fühlen als zum gegenwärtigen Zeitpunkt.«

*

»Das ist alles ein schreckliches Mißverständnis«, entschuldigte sich Hale Corvey umgehend. »Sie ahnen ja nicht, mit welchen Besuchern wir es hier oft zu tun haben. Da ist eine gewisse Reserve schon durchaus angebracht.«

»Von welchen Besuchern sprechen Sie, junger Mann?« fragte Agatha Simpson und spielte bereits mit einer Plastikflasche, in der sich flüssiger Klebstoff befand.

»Entlassene Strafgefangene«, fuhr Corvey hastig fort. »Viele glauben, sie hätten einen Anspruch auf Hilfe. Und wenn wir ihnen dann nicht helfen können, werden sie aggressiv und drohen.«

»Ganz im Gegensatz zu mir, junger Mann«, antwortete die ältere Dame und warf einen kurzen, forschenden Blick auf den Sekretär des Büros. Er hechelte noch, hatte sich aber inzwischen leicht erholt. Er saß auf einem Stuhl an der Tür und massierte sich vorsichtig die Magenpartie.

»Mylady interessiert sich für einen Mister John Ronnars, der auch die ›Brille‹ genannt wird.«

»Mylady ...? Moment mal, sind Sie Lady Simpson? Diese Lady Simpson?!«

»Wer sonst, junger Mann?« Sie lächelte erstaunlich freundlich und zeigte sich durchaus geschmeichelt.

»Das konnte mein Mitarbeiter nicht wissen. Dann sind Sie Butler Parker, oder?«

»Meine Wenigkeit möchte dies keineswegs in Abrede stellen.«

»Wir hatten noch nie das Vergnügen.« Corvey bemühte sich um Verbindlichkeit.

»Ob das für Sie ein Vergnügen wird, muß sich erst noch erweisen«, warf die ältere Dame grollend ein. »Sie kennen also die ›Brille‹?«

»Nicht persönlich, wirklich nicht. Ich habe nur von ihr gehört, Mylady.«

»Sie haben sie nicht betreut?« Parkers linke Augenbraue steilte ansatzweise nach oben.

»Aber nein, Mister Parker.« Hale Corvey schüttelte den Kopf. »John brauchte doch mich nicht! Der hat seine eigene Organisation. Soviel man eben so weiß, verstehen Sie?«

»Man sagt Ihnen nach, Mister Corvey, daß Sie über Ihren Hilfsverein erstaunlich gute Kontakte zu den Häftlingen haben.«

»Alles im Rahmen der Gesetze, Mister Parker.«

»Ihren Klienten blieb unentdeckt, daß Mister John Ronnars seine Zelle ohne Erlaubnis verlassen wollte?«

»Zu mir ist da überhaupt nichts durchgesickert«, behauptete Corvey.

»Danach hat mich übrigens schon die Polizei gefragt. Nein, von seinem geplanten Ausbruch wußte ich nichts, noch nicht mal andeutungsweise.«

»Natürlich wußten Sie Bescheid, junger Mann«, herrschte die passionierte Detektivin ihn an. »Und wahrscheinlich wissen Sie sogar, wo diese ›Brille‹ sich momentan versteckt hält.«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erklärte Corvey. »Ronnars würde ausgerechnet hierher zu mir kommen. Das sitzt einfach nicht drin. Sie wissen doch, über welche Organisation er verfügt. Er ist der absolute Boß und besitzt Möglichkeiten, die man sich einfach nicht vorstellen kann.«

»Mister John Ronnars ist also das, was man einen absoluten Boß zu nennen pflegt«, wiederholte Josuah Parker. »Wer gehört zu seinem engeren Kreis? Mylady würde einen entsprechenden Hinweis zu schätzen wissen.«

Hale Corvey hatte sich dem Butler zugewandt und sah nicht, wie Lady Agatha den flüssigen Klebstoff auf die Sitzfläche des Ledersessels drückte. Es handelte sich um jenes Sitzmöbel, das der Vereinsleiter vor einigen Minuten verlassen hatte.

»Ich hab’ keinen blassen Schimmer, wer Ronnars’ Stellvertreter sind«, erklärte Corvey. »Ich kann Ihnen da wirklich keinen Tip geben.«

»Und welche Person wäre dazu in der Lage, Mister Corvey?« fragte Parker.

»Ich kenne niemand«, schwindelte der Vereinsleiter, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. »Ich muß auf der ganzen Linie passen. Sie ahnen ja nicht, wie exklusiv die Organisation geleitet wird.«