Pilze: Kriminalgeschichten - Thomas Berscheid - E-Book

Pilze: Kriminalgeschichten E-Book

Thomas Berscheid

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Beschreibung

Hartmut Thoenissen sucht im Wald bei Wachtendonk nach Pilzen. Doch statt Entspannung findet er zwischen Blättern und Pilzen eine Leiche, die bis auf das Skelett abgemagert ist. Etwas macht ihn stutzig: Die Leiche trägt eine Kette mit einem Amulett. Und dieses Schmuckstück trug die Nachbarin um den Hals, bei der er Entspannung von der eigenen Frau suchte und die seit Monaten nicht mehr da ist. Wenig später schließt er einen Pakt mit ihrem Mann... Tobias Wulf hat in der letzten Nacht hat er nicht gesoffen, fühlt sich aber wie nach zehn Runden auf dem Schützenfest. Um so mieser wird seine Laune, als Kommissar Weber ihm eröffnet, dass sein Geselle in der letzten Nacht aus dem Leben geschieden ist. Und das auf sehr blutige Art und Weise. Genau einen Monat später findet Weber einen weiteren Angestellten von Wulf an der Niers. Ein Verdacht keimt in ihm auf: treibt etwa ein Werwolf in Grefrath sein Unwesen?

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Thomas Berscheid

Pilze

Kriminalgeschichten

Berscheid Verlag

Berscheid Verlag

Pilze

von Thomas Berscheid

Der Autor im Internet: www.thomweb.de

Impressum

Texte: © 2024 Copyright by Thomas Berscheid

Umschlaggestaltung: Irma Berscheid-Kimeridze

unter Verwendung von Design und KI-Bild von Canva

Verantwortlich für den Inhalt: Berscheid Verlag, Köln

Anschrift:

Thomas Berscheid

Johannes-Albers-Str. 10

50767 Köln

[email protected]

Veröffentlicht über tolino media

Pilze

Hartmut Thoenissen streifte durch das Unterholz des Waldes neben der Blauen Lagune in Wachtendonk. Der Sommer war heiß und trocken gewesen, keine gute Zeit für die Pilzernte im Herbst.

Das hier war seine kleine Flucht, sein Refugium, in das er sich zurückziehen konnte. Und heute war wieder so ein Tag, an dem er dies brauchte.

„Wann bringst du endlich die Klospülung in Ordnung?“ Elses laut herausgebrochene Worte klangen wie ein Echo aus einer fernen, grausamen Welt in seinen Ohren. Sie hatte es nicht an dem Hinweis fehlen lassen, dass Nachbar Küppers viel mehr im Haus mache als Thoenissen. Hier, in diesem Wald, hatte er Ruhe vor Else.

Die Wege zur belgischen Kaserne waren bei den Pilzsammlern aus Grefrath und Wachtendonk beliebt, und sie hatten alles abgegrast. Thoenissen ging weit in den trockenen Forst hinein, in die Teile des Waldes, in die andere nicht kamen, wo sich Fuchs und Hase sprichwörtlich gute Nacht sagten. Die abgefallenen trockenen Zweige knackten unter seinen Stiefeln mit der derben Kunststoffsohle, alleine die Pilze versteckten sich. Ein Stockschwamm war der erste, der den Weg in seinen Bastkorb fand.

Ein kleiner Hügel von Blättern erregte seine Aufmerksamkeit. Hier könnte sich Feuchtigkeit gehalten haben, hier könnten Champignons wachsen, die nur darauf warteten, dass er sie mit nach Hause brachte. Er deckte einen ausgetrockneten Ast beiseite, etwas Weißes schimmerte unter den Blättern hindurch. Bestimmt ein besonders großer Bovist, dachte sich Thoenissen.

Die Zahnreihen eines menschlichen Schädels grinsten ihn an. Thoenissen schluckte, sein Schnitzel vom Mittag machte sich auf den Weg zum Kopf, entschied sich aber dann dazu, doch im Magen zu bleiben. Er nahm vorsorglich ein Tempo aus der Innentasche seines Parka aus alten Bundesewehrbeständen in Oedt. In der Stille des herbstlichen Waldes hörte er sein Herz laut klopfen. Er deckte weitere Äste ab, der ganze Körper lag hier, kein Stück Fleisch war mehr erhalten, die Tiere des Waldes und die Fliegen hatten ein Festmahl gehalten.

„Wer macht so etwas?“ fragte sich Thoenissen und ging neben der skelettierten Leiche in die Knie. Wie lange mochte dieser Mensch hier schon gelegen haben? Und wer mochte das sein?

Dann sah er das Amulett. Vielleicht hatte der Mörder es übersehen oder vergessen, als er die Leiche hier liegen gelassen hatte. Die goldene Kette lag um die Halswirbel, ein zartes Geflecht, das den Hals einer Frau geschmückt hatte. Der Frau, die nun bis auf die Knochen abgemagert vor ihm lag.

Er nahm das Amulett in die Hand. Ein blauer Käfer mit einer Widmung auf der Rückseite.

***

Mit seiner geringen Ausbeute auf dem Rücksitz seines Passat fuhr Thoenissen die kurvenreiche Strecke nach Vinkrath, langsam, denn die Stoßdämpfer litten seit langem unter Altersschwäche. Die Sonne schien kurz vor ihrem Untergang in Streifen geschnitten durch die Reihen der Bäume, deren Blätter sich mit den unterschiedlichsten Farbtönen zwischen Gelb, Rot und Braun schmückten. Der Widerschein des rot leuchtenden Balls über dem Horizont beflügelte seine Gedanken. Vielleicht hatte er gerade die zündende Idee gehabt, sein Leben mit einem Schlag zu ändern.

„Ist das alles?“ war die erste Frage, die er von Else hörte.

„Zu trocken“, antwortete Thoenissen und legte den Autoschlüssel in dem Schälchen unter der Garderobe neben dem Telefon ab.

„Ich bin noch zu Küppers 'rüber!“ rief er Else zu, die sich gerade mit der Auffaltung der Trockentücher beschäftigte.

„Hartmut!“ sagte Küppers. „Was treibt dich in meine armselige Hütte?“

„Ein Gespräch unter Männern“, antwortete Thoenissen.

Er kam in die Diele des Fertighauses, von denen in Vinkrath in den 1970er Jahren ganze Reihen aus dem Boden gewachsen waren, mit Ausblick auf die Kaserne. Küppers bat Thoenissen ins Wohnzimmer. „Ein Bier?“ fragte er.

„Gern“, antwortete Thoenissen kurz und nahm auf dem Ledersofa Platz. Auf dem Wohnzimmertisch stapelten sich Fernsehzeitschriften, Automagazine und die Sport-BILD. Das Goldene Blatt suchte man vergebens. Auch eine Decke hatte seit langem nicht mehr auf dem Tisch gelegen. Sein Blick fiel auf die Vitrine neben dem Fernseher, in der Küppers seine Pistolen gelagert hatte. Darauf standen die Pokale aus seiner goldenen Zeit als Sportschütze. Genug Waffen, um das Haus gegen eine Horde anstürmender russischer Soldaten in der Stärke einer Kompanie verteidigen zu können.

„Hast du noch etwas von Mia gehört?“ fragte Thoenissen.

„Die Polizei sagt, sie sucht noch“, antwortete Küppers. „Ist ja auch schon mehr als ein Jahr her, dass sie weg ist. Das letzte Mal haben sie mir gesagt, dass sie vielleicht nie mehr wiederkommt. Und die Versicherung wartet erstmals ab.“

Thoenissen griff wortlos in die Tasche seines Parka. Er nahm das blaue Amulett heraus, führte es an dem goldenen Kettchen über den Wohnzimmertisch und ließ es langsam und bedächtig neben dem Modell der Viper auf das blanke Holz des Tisches gleiten. Ohne Küppers auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Küppers umfasste seiner Flasche Diebels so fest, dass die Knochen seines Handrückens weiß hervortraten. Seine Augen blieben wie versteinert auf dem blauen Deckel hängen.

„Sie wird nie mehr kommen“, sagte Thoenissen langsam und bedächtig, die Augen auf Küppers gerichtet. „Ich will dir ein Geschäft vorschlagen.“

***

„Du willst nicht mitkommen?“ fragte Else. „Die ganze Nachbarschaft fährt zum Minigolf. Nur der Herr Thoenissen ziert sich.“

„Ich hasse Minigolf“, antwortete Thoenissen. „Erik bringt dich hin.“

Else drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging zu dem BMW von Erik Küppers mit Sportfahrwerk und Viersener Kennzeichen. Die Beifahrertür klappte mit einem satten Ploppen zu, das sein Passat seit Jahren nicht mehr machte. Der Sportauspuff röhrte, als Küppers den Sechszylinder hochdrehte.

Thoenissen schloss die Haustür hinter sich. Endlich ein ruhiges Wochenende, ohne die Kinder, ein paar Stunden ohne die Ehefrau, vielleicht aber auch das erste einer ganzen Reihe von Wochenenden, an denen er seine Nerven schonen konnte. Eine Insel der Ruhe, wie er sie sich immer gewünscht hatte, nun da die Kinder aus dem Haus waren.

Er ging in den Garten, es war wieder an der Zeit, die Blätter zusammen zu fegen und auf den Kompost zu bringen. Der Winter kündigte sich an. Er musste den elektrischen Springbrunnen im Teich langsam winterfest machen und in den Keller bringen, bevor der erste Frost einsetzte. Und er musste etwas tun, um sich von den schwarzen Gedanken abzulenken, die in seinem Kopf herum spukten.

Die Sonne ging, kein wärmender Strahl mehr tastete auf Grefrath herum, Thoenissen begann es in seinem Fleecepullover kühl zu werden. Er stellte den Rechen in die Garage und ging in das angenehm warme Haus. Im Bad nahm er den Deckel des Spülkastens ab. Er zog an dem Schwimmer, der sich nur widerwillig nach oben bewegen wollte. Verkalkt. Er goss Essig in den Spülkasten.

Im Garten schalteten sich die Lampen automatisch ein und tauchten den Cotoneaster in ein fahles Licht. Thoenissen zippte sich durch das abendliche Fernsehprogramm, bei Günter Jauch fand er ein paar Fragen zum Mitraten. Und wäre schon bei 4.000 Euro gescheitert.

Das Nachtmagazin kam. Else nicht. Thoenissen ging in die Küche, warf einen Blick auf das Haus von Küppers. Alles war dunkel. Kein Licht im Wohnzimmer, keines in der Küche, auch die Leuchte vor der Garage war dunkel. Thoenissen machte einen Schritt vor die Tür, die Garage war offen, Küppers war nicht nach Hause gekommen. Ein Nachbar führte seinen Hund aus, Thoenissen grüßte. Das Golfturnier war schon seit Stunden zu Ende, wie er aus dem Munde des angetrunkenen Herrchens erfuhr.

Thoenissen legte sich in das Ehebett, zog die Decke über sich, versuchte Schlaf zu finden. Da war sie wieder, diese feuchte Wärme zwischen der zarten Haut, dort, wo das Amulett gelegen hatte, wenn er seine Zunge über ihre Haut gleiten lies. In seinen Ohren hörte er das gurrende Stöhnen, das sie von sich gab, wenn er ihren Bauchnabel liebkoste. Er hörte das Echo ihres tiefen Atems, wenn er die festen Berge ihrer massiven Brüste geknetet hatte.

Er stand auf, mitten in der Nacht, als in Vinkrath die letzten Schwärmer im Schein der Säufersonne ihren Weg nach Hause suchten. Das Garagentor bei Küppers war immer noch nach oben geschoben.

***

„Warum dauert das so lange?“ fragte Thoenissen sich, als er die kurvige Strecke hinter Kloster Mariendonk in Richtung Blaue Lagune entlang steuerte. Ein dicker fahler Vollmond wies ihm den Weg, über der Niers stieg Nebel aus dem warmen Wasser empor und legte sich wie ein dämpfender Schleier über die Weiden entlang des Flusses.

An der Römerstraße herrschte eine gespenstische Ruhe, als Thoenissen die Tür seines Passat zugeschlagen hatte. Er stieß eine Wolke von Atem aus, die sofort zu Nebel kondensierte, sah sich um. Der Passat war das einzige Auto hier. Die Bäume des Forstes schienen wie große, schlanke Männer neben ihm zu stehen. Hier, an diesem Ort, sollte es geschehen. Er ging ins Unterholz.

Nicht weit entfernt von der Stelle, an der er Mias Schädel gefunden hatte, sah er sich um. Etwas helles schimmerte zwischen den Farnen hindurch. Die Äste knackten unter seinen Füßen, als er sich der Stelle näherte.

Else.

Küppers hatte es also tatsächlich getan. Er hatte Else umgebracht. Genauso, wie Thoenissen es mit ihm abgesprochen hatte, wie er den Handel eingefädelt hatte. Eine Last fiel von seinen Schultern. Endlich war er frei, frei von den ewigen Erniedrigungen, dem ewigen Gekeife, befreit von der Frage, warum er eigentlich dieser Frau sein Jawort gegeben und damit das Tor zur Ehehölle aufgestoßen hatte.

Thoenissen strich das Kleid glatt, das Else am Abend angezogen hatte. Es war sein Teil des Auftrags, dafür zu sorgen, dass die Leiche nicht so bald gefunden würde. Er musste sie zudecken, Äste und Blätter gab es genug in diesem Wald. Sie lag lang hingestreckt auf dem Bauch, den Rücken ihres dunkelroten Abendkleides bedeckt mit einer beigen Strickjacke, in ihrem Tod so unschuldig und sanft wie eine schlafende Schönheit. Eine seltsame Faszination ging von dieser Leiche aus, dachte Thoenissen.

Das Klicken einer Spannfeder weckte ihn aus den Betrachtungen. Er wandte sich blitzartig um, blickte in den Lauf der Sportwaffe von Küppers, die am Nachmittag noch in der Vitrine gehangen hatte.

„Woher kanntest du eigentlich das Amulett?“ fragte Küppers. „Mia hat es immer im BH versteckt. Sag es mir.“

„Willst du mich auch umbringen?“ fragte Thoenissen zurück.

„Die Fragen stelle ich“, antwortete Küppers. „Woher?“

„Wenn ihr kegeln wart“, antwortete Thoenissen, die Waffe auf die Stirn gerichtet. „Jedes zweite Wochenende. Und du hast es niemals gemerkt.“

„Das glaubst du“, lachte Küppers auf.

„Du merkst gar nichts“, sagte Else. „Kegeln. Von wegen.“

„Ihr habt...“ fragte Thoenissen, den Mund weit offen stehend.

Else stand auf, strich sich die modrigen Blätter vom Abendkleid.

„Weißt du, Hartmut“, sagte Küppers, „vielleicht haben wir beide den gleichen Fehler gemacht. Du hättest Mia heiraten sollen und ich Else. Dann wären die Richtigen zusammen gekommen.“

„Warum hast du Mia umgebracht?“ fragte Thoenissen.

„Sie hatte das mit Else mitbekommen“, antwortete Küppers, „sie wollte alles, das Haus, den Wagen, die Aktien. Nicht mit mir.“

„Hast du sie hier erschossen?“ fragte Thoenissen weiter. „Oder haben wir das nicht gehört?“

„Ein fester Griff um den Hals“, gab Küppers zurück. „Drei Minuten Todeskampf. Dann war diese ganze Hölle vorbei.“

In der Ferne fuhr ein Wagen vorbei, ein paar Jugendliche nach einer späten Party an der Blauen Lagune.

„Es ist alles deine Schuld“, redete Else ihn an. „Ich hätte wissen müssen, was für ein Versager du bist. Und dass du mir den Tod an den Hals wünschst.“

„Wer ist hier...“ wollte Thoenissen antworten.

Doch er kam nicht bis zum Ende des Satzes. Küppers hatte ihm einen Gurt über den Kopf geworfen, straffte das Band um den Hals und zog zu. Thoenissen versuchte die Finger unter den Gurt zu legen, doch dieser lag zu eng an und schnürte ihm die Luft ab. Er japste, doch aus seinem Mund kam kein Laut mehr, nur ein erstickendes Röcheln. Else sah ihm in die Augen, die nicht mehr fassen konnten, was sie da sahen. Thoenissen merkte, wie die Kraft des Lebens aus seinem Körper wich. Dann wurde alles schwarz vor seinen Augen.

***

Der Himmel musste ein sehr irdischer Platz sein, dachte Thoenissen, als seine Seele nach dem Tod in das ewige Reich einging. Oder vielleicht war dieser Platz auch die Hölle. Er schlotterte am ganzen Körper. Nein, die Hölle konnte das nicht sein, dachte er, dafür war es zu kalt. Er wandte den Kopf zur Seite. Er lag zwischen Bäumen, ein Zweig vor seiner Nase. Ein Sonnenstrahl hatte das gelichtete Blätterdach durchbrochen und kitzelte ihn an der Wange. Dann fiel ihm ein, dass er gestern gestorben war. Nicht freiwillig.

Thoenissen richtete sich auf, schob die Äste beiseite, die ihn zugedeckt hatten. Er drehte den Kopf, ein Schmerz am Hals erinnerte ihn daran, dass Küppers ihn letzte Nacht erwürgt hatte. Etwas war schief gelaufen. Er lebte noch. Er stand auf, klopfte sich nun seinerseits die vor sich hin modernden Blätter von seinem Parka und stapfte durch die abgefallenen Blätter zur Römerstraße. Zurück auf dem Asphalt sah er sich um, hier war niemand, der ihm helfen konnte.

Es brauchte lange, bis er zu seinem Passat zurückgefunden hatte. Doch der Passat war nicht mehr da. Thoenissen tastete nach seinem Schlüssel. Nicht mehr in der Tasche. Er suchte nach seiner Brieftasche. Auch weg. Sie mussten ihn gestern durchsucht haben, Else wusste ja genau, wo er seine Wertsachen unterbrachte. Er war auferstanden, aber das Leben war so hart wie zuvor.

Einer der Fahrer aus dem Kieswerk hatte Erbarmen, er nahm Thoenissen mit bis zur Mörtelstraße. Mit einer anderen Sicht der Welt ging Thoenissen bis zum Graben. Er kannte dieses Dorf, in dem er gebaut und die letzten 20 Jahre seines Lebens zugebracht hatte, in dem seine Kinder groß geworden waren. Doch an diesem Tag fühlte er sich merkwürdig frei, entlastet von der Bürde des Alltags, von den Sorgen um die Rückzahlung des Darlehens seiner Bausparkasse. Bestimmt, dachte Thoenissen sich, lag es daran, dass er jetzt tot war. Er fühlte sich, als hätte er Pilze genommen, künstliche, wie sein Sohn sie gerne aus Venlo holte.

Endlich erreichte er den Graben. Vor seinem Haus blieb er stehen. Der Passat stand in der Einfahrt. Else hatte ihn niemals in die Garage gesetzt. Bei Küppers war die Garage geschlossen. Ruhe im Nachbarhaus. Aber auch in seinem eigenen regte sich keine Seele. Sie mussten beide da sein. Lagen sie vielleicht jetzt in einem der Betten, tranken Sekt und machten wilde Liebe? Ein Gedanke geisterte durch sein Hirn, aber er war so weit weg, aus einem anderen Leben, er war nicht mehr von dieser Welt.

In dem Beet neben der Haustür hatte er diesen kleinen Kasten vergraben, in dem er den zweiten Haustürschlüssel deponiert hatte. Außer ihm wusste niemand davon, nicht einmal Else hatte er eingeweiht.

Leise schloss er die massive Holztür auf und öffnete. Ein Geruch nach Essen schlug ihm entgegen. Das Radio in der Küche gab leise Musik von sich. Mehr hörte er nicht. Else hatte nie vergessen, alle Geräte auszuschalten, wenn sie gegangen war. Er schaltete das Uhrenradio aus.

Else und Küppers hatten offensichtlich keine Zeit mehr gehabt, das Abendessen weg zu räumen, die Teller in die Spülmaschine zu stellen. Eines der Sektgläser, mit denen sie wohl auf Thoenissens Tod angestoßen hatten, stand noch halbvoll neben den Tellern. Das andere war umgekippt und hatte den Sekt über den Tisch bis zur Wand verteilt. Plötzlich musste alles sehr schnell gegangen sein.

Langsam schlich sich Thoenissen durch das Haus, dass er selbst aufgestellt hatte und in dem er jede Ecke kannte. Er tastete sich durch den Flur, vor zur Garderobe. Ein Schuh lag vor der Ecke. Der Schuh eines Mannes. Vorsichtig schlich Thoenissen sich in Richtung des Schuhs, fasste sich unwillkürlich an den Hals, an die Stelle, wo der Gurt gesessen hatte.

Küppers lag auf dem Bauch. Seine Hand lag auf der Garderobe, neben dem Telefon, dessen Hörer er aufnehmen wollte. Das Schälchen mit den Schlüsseln hatte er zu Boden gerissen. Doch irgendeine Macht hatte ihn daran gehindert, um Hilfe zu rufen.

Aus dem Bad gluckerte leise die Klospülung. Thoenissen warf einen Blick durch die Tür, erschrak und ging hinein. Else lag verkrümmt neben der Kloschüssel, zwei Finger der rechten Hand vor ihrem geöffneten Mund, so als wolle sie sich diese in den Mund stopfen. Sie hatte die Augen weit aufgerissen, aber sehen konnte sie nichts mehr.

Thoenissen ging zurück in die Küche. Mitten auf dem Tisch stand die Pfanne mit den gebratenen Pilzen, die er gestern aus dem Wald geholt hatte. Einen von ihnen hätte Thoenissen niemals freiwillig gegessen.

Dabei hatte Else Pilze nie gemocht.

Download zum Tod

Der Sprung

Jürgen Buttgereit starrte auf den Bildschirm und streifte die Asche von seiner Selbstgedrehten.

---ENDE DER LESEPROBE---