Projektarbeit im Kindergarten - Martin R. Textor - E-Book

Projektarbeit im Kindergarten E-Book

Martin R. Textor

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Beschreibung

Nach der Analyse von Charakteristika heutiger Kindheit wird aufgezeigt, wie durch Projekte Selbsttätigkeit, entdeckendes Lernen, Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit und Lebensnähe in die Kindertageseinrichtungen zurückgeholt werden können. Dann wird der Verlauf eines Projekts - also Planung, Durchführung und Nachbereitung - "idealtypisch" beschrieben. Im Hauptteil des Buches verdeutlichen Praxisberichte das ganze weite Spektrum der Möglichkeiten, in denen sich Projektarbeit in Kindertageseinrichtungen entfalten kann. Die beschriebenen Projekte erleichtern es Kindern, sich ihre natürliche, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umwelt zu erschließen. Die Kinder machen Naturerfahrungen im Wald, lernen Abläufe in der Landwirtschaft kennen, legen Gartenbeete an, bauen Hühnerställe, erkunden die Einrichtungen der Kirchengemeinde, erforschen den Ortsteil, beschäftigen sich mit der Heimatgeschichte, gewinnen einen Eindruck vom Leben in verschiedenen Epochen, besuchen Museen, Redaktionen und Verlage, beschäftigen sich mit den Berufen ihrer Eltern, erfahren Grundzüge des Wirtschaftslebens, kommen in Kontakt mit Senioren, "reisen" in fremde Welten und werden mit anderen Kulturen konfrontiert.

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Inhalt

Einführung

Grundlagen der Projektarbeit

1.1 Kindheit heute

1.2 Ziele und Prinzipien von Projektarbeit

1.3 Geschichte der Projektarbeit

1.4 Vorbereitung von Projekten

1.5 Durchführung und Auswertung

1.6 Rechtsfragen

Praxis der Projektarbeit

2.1 Naturerlebnisse

2.2 Landwirtschaft und Gartenbau

2.3 Erkundung der Gemeinde

2.4 Auf den Spuren der Vergangenheit

2.5 Kultur und Medien

2.6 Wirtschaft und Arbeitswelt

2.7 Die Lebenswelt von Senioren

2.8 Andere Länder – andere Sitten

Schlusswort

Literatur

Autor

Einführung

Das Wort „Projekt“ kommt aus dem Lateinischen, von „proiectum“ – „das nach vorn Geworfene“, der Entwurf, das Vorhaben. Im Kindergarten- und Kindertagesstättenbereich bezeichnen wir mit diesem Begriff ein geplantes, längerfristiges, konkretes Lernunternehmen, das unter einer bestimmten Thematik steht, längere Zeit dauert (mindestens einige Tage, die aber nicht direkt aufeinander folgen müssen) und eine größere Gruppe von Kindern und Erwachsenen beansprucht. Ausgehend von einer Idee, einem Problem, einer Fragestellung oder einer Interessenbekundung entwickeln die Beteiligten diese Projektinitiative zu einem sinnvollen Betätigungsfeld für alle weiter, indem sie Ziele setzen, verschiedene Aktivitäten planen und durchführen sowie schließlich prüfen, ob sie die angestrebten Ziele erreicht haben. Manche Projekte dauern Wochen oder gar Monate und wecken aufgrund von Ausstellungen, Vorführungen oder Zeitungsberichten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.

Im ersten Teil des vorliegenden Buches werden wir zunächst verdeutlichen, dass die Projektarbeit in Kindertageseinrichtungen aufgrund der heutigen Lebensbedingungen immer wichtiger wird: Beispielsweise werden Kinder aus der Erwachsenenwelt ausgegliedert und verbringen den größten Teil des Tages in „kindgerechten“, nach pädagogischen Gesichtspunkten gestalteten Räumen („Institutionenkindheit“, „Verinselung“). Die Wirklichkeit wird ihnen aus „zweiter“ (durch Erzieher/innen) oder „dritter Hand“ (durch Fernsehen/Computer, „Medienkindheit“) vermittelt. Erfahrungsmöglichkeiten werden aufgrund der „Entsinnlichung kindlichen Lebens“ immer einseitiger, viele Natur-, Körper- und Selbsterfahrungen werden aufgrund der Urbanisierung, Verkehrsgefährdung und ständigen Beaufsichtigung immer seltener gemacht.

Nach der Analyse solcher Charakteristika heutiger Kindheit werden wir aufzeigen, wie durch Projekte Selbsttätigkeit, entdeckendes Lernen, Ganzheitlichkeit, Lebensnähe, Handlungs- und Gemeinwesenorientierung in die Kindertageseinrichtungen zurückgeholt werden können. Anhand eines kurzen historischen Abrisses, der für die 2013 erschienene Auflage dieses Buches überarbeitet und erweitert wurde, werden wir darstellen, dass die Projektmethode bereits eine lange Geschichte hat. Dann werden wir den Verlauf eines Projekts – also Planung, Durchführung und Nachbereitung – „idealtypisch“ beschreiben. Schließlich wird noch auf einige Rechtsfragen, insbesondere zur Aufsichtspflicht, eingegangen werden.

Im zweiten Teil des Buches verdeutlichen Praxisberichte das ganze weite Spektrum der Möglichkeiten, in denen sich Projektarbeit in Kindertageseinrichtungen entfalten kann. Die beschriebenen Projekte erleichtern es Kindern, sich ihre natürliche, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umwelt zu erschließen. Die Kinder machen Naturerfahrungen im Wald, lernen Abläufe in der Landwirtschaft kennen, legen Gartenbeete an, bauen Hühnerställe, erkunden die Einrichtungen der Kirchengemeinde, erforschen den Ortsteil, beschäftigen sich mit der Heimatgeschichte, gewinnen einen Eindruck vom Leben in verschiedenen Epochen, besuchen Museen, Redaktionen und Verlage, beschäftigen sich mit den Berufen ihrer Eltern, erfahren Grundzüge des Wirtschaftslebens, kommen in Kontakt mit Senioren, „reisen“ in fremde Welten und werden mit anderen Kulturen konfrontiert.

Schon diese Beispiele zeigen, dass Kinder im Rahmen der Projekte mit verschiedenen Gruppen von Menschen in Berührung kommen – mit Handwerkern, Geschäftsleuten, Pfarrern, Politikern, Künstlern, Senioren, Museumspädagogen, Ausländern usw. Die Erkundung der Erwachsenenwelt und des Nahraumes führt zur Erweiterung des kindlichen Horizonts. Es kommt zu neuen Lernerfahrungen – nicht nur im kognitiven Bereich, sondern auch in der Sozial- und Persönlichkeitsentwicklung. Selbsttätigkeit und Eigenständigkeit werden gefördert. Wenn die Kinder an der Planung der Projekte beteiligt werden, kommt es auch zu einer Demokratisierung der Kindertageseinrichtungen. Schließlich erlaubt die Projektmethode die aktive Mitarbeit von Eltern und anderen Erwachsenen. Diese können in die Projekte eingebunden werden und auf diese Weise den Kindergarten-,,Alltag“ kennen lernen. Projekte erzeugen bei Eltern nicht nur Begeisterung, sondern führen oft auch zu einer generellen Anerkennung und Unterstützung der vom Kindergartenpersonal geleisteten Arbeit.

Schon diese kurze Einführung zeigt die große Bedeutung der Projektarbeit für Kindergarten und Hort auf. Jede Tagesstätte sollte im Verlauf eines Jahres zumindest einige Projekte durchführen. Dieses Buch bietet hierzu eine Fülle von Anregungen und nachahmenswerten Beispielen. Theorie und Praxis werden gleichermaßen berücksichtigt. Sie können das Buch von vorne bis hinten lesen; es ist aber ebenso möglich, mit den Praxisbeispielen des zweiten Kapitels einzusteigen, um dann zum theoretischen ersten Teil überzugehen.

Nicht versäumen möchte ich, mich an dieser Stelle bei Sylvia Maria Fenzl, Gabi Gietinger, Bernadette Heiß, Claudia Matheisl, Gretel Michelfeit und Carmen Wagner zu bedanken, die viele Projektbeschreibungen für dieses Buch beisteuerten. Frau Helga Kudies gebührt Dank für das Schreiben des Manuskripts.

1. Grundlagen der Projektarbeit

1.1 Kindheit heute

Die pädagogische Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Projektarbeit werden deutlich, wenn wir uns mit den Charakteristika der heutigen (Klein-) Kindheit beschäftigen. So können wir feststellen, dass Kinder einen zahlenmäßig immer kleiner werdenden Teil unserer Bevölkerung bilden. Sie werden zunehmend marginalisiert, als Minderheit an den Rand der Gesellschaft gedrängt. In zahlreichen Bereichen wie im Wohnungs- und Städtebau oder im Straßenverkehr ist eine strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber Kindern zu beobachten.

Für unser Thema ist aber wichtiger, dass diese Marginalisierung mit einer Ausgliederung von Kindern aus der Erwachsenenwelt bzw. aus Zentren des Alltagslebens verbunden ist. Kinder werden in altershomogene oder einige wenige Jahrgänge umfassende Gruppen aufgeteilt und in Sonderumwelten betreut. Kaufmann (1990, S. 106) erklärt: „Charakteristisch für diese Sonderumwelten ist, dass sie von Erwachsenen organisiert sind, dass der Gestaltungsraum der Kinder also von vornherein mit den Intentionen der Erwachsenen interferiert. Insoweit es sich um organisierte Betreuungseinrichtungen handelt, haben zudem mehr oder weniger professionalisierte hauptamtliche Betreuungspersonen das Sagen.“

Zu diesen Sonderumwelten gehören Krippe, Kindergarten, Hort und Schule, sodass man auch von Institutionenkindheit sprechen kann. Da viele Eltern aber die Entwicklung ihrer Kinder ganzheitlich fördern wollen und meinen, dass dies in Kindertages- und Bildungseinrichtungen nicht geschehe, melden sie ihre Kinder zusätzlich in Sport- und Schwimmvereinen, Musik- und Ballettschulen an. Kinder verbringen somit immer mehr Zeit in kindgemäßen Räumen, in denen sie die Erfahrung einer kontinuierlichen Überwachung durch Erwachsene machen. Das trifft übrigens auch auf die Familie zu, da kleinere Kinder immer mehr Zeit in der Wohnung (im Kinderzimmer) verbringen, weil sie aufgrund der Verkehrsgefährdung oder der Bedrohung durch sexuellen Missbrauch nicht mehr nach draußen dürfen bzw. können.

Die meisten Sonderumwelten sind pädagogisch besetzt, d.h., die Erwachsenen treten Kindern mit einer Unterweisungsabsicht gegenüber. Je nach den Zielen der jeweiligen Institution sind sie nur an bestimmten Aspekten der kindlichen Existenz wie der Sozialentwicklung, der Beherrschung einer Sportart oder eines Musikinstrumentes interessiert. Durch die von ihnen geplanten Programme und Aktivitäten prägen sie die bei ihnen verbrachten Stunden. Damit haben Kinder immer weniger Möglichkeiten, zwanglos, selbstbestimmt, spontan und kreativ zu handeln, ihren eigenen Interessen zu folgen und momentane Bedürfnisse zu befriedigen.

Kinder wechseln fortwährend zwischen der Familie und den Sonderumwelten. Aber auch Besuche bei Freunden erfolgen zumeist nur noch nach Verabredung. So wird das Leben von Kindern durch Termine und die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungs-, Freizeit- und Bildungseinrichtungen – also durch Zeitpläne – bestimmt; bei der Nutzung vieler Angebote ist der Tagesablauf zerstückelt. Die Eltern kleinerer Kinder organisieren das außerfamiliale Programm und transportieren sie zu der jeweiligen Institution. Die Wege werden zumeist mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt, sodass die zwischen den Aufenthaltsorten der Kinder liegenden Räume nur noch vorüberrauschen, sich letztlich verflüchtigen und erlebnisarm sind. Die Kinder wechseln von der „Wohninsel“ zur „Kindergarten-“ oder „Rollschuhbahninsel“; die übrigen Räume – zumeist die Lebensbereiche der Erwachsenen – bleiben unerforscht. Welches Ihrer Kinder hat wirklich das Dorf oder den Stadtteil erkundet, in dem es wohnt oder die Kindertageseinrichtung besucht? Welches kennt die örtlichen Geschäfte und Betriebe, Kirchen und Museen, Friedhöfe und Parks? Welches Kind hat einen Eindruck von der Arbeitswelt seiner Eltern gewonnen? Welches weiß, wo sich Polizei, Feuerwehr, Kläranlage und Mülldeponie befinden und was deren Funktionen sind?

Durch die Verinselung werden die Erfahrungsmöglichkeiten stark eingeschränkt, bleiben Kindern viele Bereiche der räumlichen Umgebung und der Erwachsenenwelt unbekannt. Für sie wird es immer schwerer, sich die Wirklichkeit anzueignen, zumal diese immer komplexer und undurchschaubarer wird. Damit ist eine gänzlich andere Situation als z.B. noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gegeben, als Kinder ihre Wohnumgebung in mit zunehmendem Alter immer größer werdenden Radien selbständig erforschten. Früher spielten Kinder unbeaufsichtigt im Wald, an Bächen und auf Wiesen, tollten auf der Straße und dem Hof herum und maßen ihre Kräfte aneinander. So ganz nebenbei beobachteten sie das Verhalten von Tieren und Vögeln, lernten Bäume und Pflanzen kennen und registrierten die jahreszeitlich bedingten Veränderungen der Natur. Da sie auf dem Hof oder im Garten mithelfen mussten, kannten sie Getreide-, Gemüse- und Obstsorten sowie die verschiedenen Anbaumethoden. Oft waren sie für die Versorgung von Hühnern, Brieftauben, Stallhasen und anderen Tieren zuständig. Die Kinder spielten und arbeiteten mit denselben Werkstoffen wie Erwachsene, ahmten Arbeitsvorgänge ihrer Eltern nach, stellten viele Gegenstände selbst her und mussten Aufgaben im Haushalt, im Geschäft oder in der Werkstatt übernehmen. Spiel- und Arbeitstätigkeit gingen ineinander über; die Kinder wuchsen „automatisch“ in die Erwachsenenwelt hinein.

Heute haben Kinder nur selten Gelegenheit zum unbeaufsichtigten Spiel in der Natur, zum Herumtoben und zu spontanen Kontakten mit anderen Kindern – die wenigsten Stadtkinder finden in der Nähe unbebaute Grundstücke oder naturbelassene Flächen vor, aber auch Kinder in Landgemeinden dürfen oft die nächste Wohnumgebung nicht verlassen. Spielplätze sind kein Ersatz, da sie zumeist weder ansprechend noch altersgerecht sind. Wälder, Gewässer, landwirtschaftlich genutzte Flächen, Nutztiere und Bauerngärten werden häufig nur noch im Vorbeifahren wahrgenommen. Hinzu kommt, dass es heute auch an Möglichkeiten zur Entwicklung motorischer Kompetenzen und handwerklicher Fertigkeiten mangelt, da Kinder nur noch selten in die planvolle Herstellung von Gegenständen eingebunden werden, mit Werkzeug umgehen dürfen oder Aufgaben von ihren Eltern übertragen bekommen. Außerdem sind viele Haushaltsfunktionen aufgrund des Erwerbs technischer Geräte sowie des Waren- und Dienstleistungsangebots unnötig geworden. Eine spielerische Vorbereitung auf spätere Tätigkeitsbereiche Erwachsener erfolgt kaum noch.

Die Aneignung der natürlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Umwelt durch Beobachtung und Selbsttätigkeit wird somit immer schwerer möglich. Gudjons (1994, S. 13) ergänzt: „Die reichhaltigen – nicht nur sozialen – Erfahrungsmöglichkeiten haben sich damit erheblich reduziert. Nimmt man dann noch den Ersatz des Brotbackens durch ‚Aufbackbrötchen‘, den Ersatz der Konservierungstechniken durch Tiefkühltruhe und das Wegfallen von Feuermachen und Kohleschleppen durch die vollautomatische Zentralheizung u.a.m. hinzu, dann zeigt sich sehr rasch, in welchem Maß diese Entwicklung – nicht nur in der Großstadt – zum Verlust von anregender sinnlich-unmittelbarer Erfahrung im tätigen Umgang mit Dingen und Menschen geführt hat.“

Hier wird deutlich, dass es zunehmend zu einer Entsinnlichung kindlichen Lebens kommt und dass Kleinkinder viele Gegenstände und Prozesse aufgrund der technischen Entwicklung nicht mehr durchschauen können. Sie können weder mit den Sinnen erfasst noch handelnd ausprobiert und damit verstanden werden. Die heutigen Lebensbedingungen von Kindern reduzieren die Bandbreite und Vielfalt der Erfahrungen.

Eigentätigkeit, sinnvolles Spielen und soziale Kontakte werden auch durch den Medienkonsum beeinträchtigt. Im Durchschnitt verbringen (Klein-) Kinder mehrere Stunden pro Tag vor dem Bildschirm, wobei die Sehdauer bei fehlender Nachmittagsbetreuung und großstädtischen Wohnformen besonders lang ist – wie auch dann, wenn der Fernseher von den Eltern als „Babysitter“ missbraucht wird. So kann man berechtigterweise von einer Medienkindheit sprechen. In einer schier unendlichen Fülle flüchtiger Bilder und Töne werden die Kinder mit allen menschlichen Lebensbereichen, Verhaltensformen und Kulturen konfrontiert: „Ein heutiges Kind kennt durch das Fernsehen bereits die ganze Welt, ehe es alleine eine Straße überqueren kann“ (Barthelmes/Sander 1988, S. 383).

Insbesondere Kleinkinder halten auch alles für wahr, was auf dem Bildschirm abläuft, obwohl es sich nur um geplante, veränderbare Abbilder einer vorhandenen oder konstruierten Welt handelt. So meint Herz (1994, S. 353): „Das Wasser, das im Fernsehen fließt, ist nicht nass. Die Blume, die im Fernsehen gezeigt wird, duftet (noch) nicht. Das Blut, das umfangreich spritzt, geht nicht wirklich unter die Haut. Das Bild von der Wirklichkeit, das durch das Fernsehen vermittelt wird, blendet Sinneserfahrungen aus, die auch den Menschen zum Menschen machen. Gerade Stadtkinder wachsen mit reduziertem Sinnesleben auf.“ Anstatt mit den eigenen Sinnen und im handelnden Umgang mit der Umwelt Lernerfahrungen zu machen, lernen Kinder also die Wirklichkeit „aus zweiter Hand“ kennen. Intellekt und Artikulationsfähigkeit werden beim Fernsehen kaum stimuliert, die soziale und die motorische Entwicklung nicht gefördert, Fantasie und Kreativität nicht angesprochen.

Auch viele Spielsachen beeinträchtigen Selbsttätigkeit und Erfindungsgabe. So ist immer häufiger das Spielerlebnis bereits vorprogrammiert: Puppen weinen, sprechen und laufen, Autos werden fernbedient, Konsolenspiele lassen nur bestimmte Aktionen zu – das Spielen wird auf die Bedienung von Schaltern und Tastaturen reduziert. Aufgrund der engen Verzahnung von Kinderfernsehsendungen und Kinder-Warenmärkten tauchen auch immer mehr populäre Fernsehstars und Zeichentrickfilmhelden als Plastikfiguren (nebst Zubehör) auf. Hier beschränkt sich das Spiel oft auf das Nachstellen von Filmszenen. Dieses Spielzeug wird nur noch konsumiert – wie Fernsehsendungen, Musik-CDs und die in Kindertagesstätten, Vereinen und Freizeiteinrichtungen von Fachleuten entwickelten Spielprogramme oder die Süßigkeiten, mit denen Eltern ihr schlechtes Gewissen beruhigen, wenn sie wieder einmal zu wenig Zeit für ihre Kinder hatten. Kindliche Aktivität zeigt sich somit heute vor allem im Konsum.

1.2 Ziele und Prinzipien von Projektarbeit

Eine zeitgemäße Pädagogik reagiert auf die im vorausgegangenen Kapitel skizzierten Charakteristika von Kindheit

wie Ausgliederung aus der Erwachsenenwelt, Verinselung, Leben in Sonderumwelten und mangelnder Naturerfahrung: mit den Prinzipien der

Lebensnähe,

der

Öffnung

von Kindertageseinrichtungen zu ihrem Umfeld hin und der

Regionalisierung,

wie pädagogischer Besetzung, Verlust von Erfahrung, Entsinnlichung und Prägung durch (Medien-) Konsum: mit den Prinzipien der

Handlungsorientierung,

des

Erfahrungslernens,

der

Selbsttätigkeit

und des

entdeckenden Lernens,

wie der Komplexität und Undurchschaubarkeit der Wirklichkeit: mit dem Prinzip des

exemplarischen Lernens,

wie der Fremdbestimmung und den fehlenden Sozialkontakten: mit den Prinzipien der

Kindorientierung

und

Mitbestimmung,

wie dem Verlust an Fantasie und Kreativität sowie der zu geringen Förderung der Artikulationsfähigkeit und der Motorik: mit den Prinzipien der

ganzheitlichen Kompetenzförderung

und der

Offenheit der Methoden.

Diese pädagogischen Prinzipien lassen sich gerade durch Projektarbeit sehr gut realisieren. Sie sollen nun auf den folgenden Seiten detailliert beschrieben werden.

Bitte halten Sie einen Moment im Lesen inne und fragen Sie sich: Wie lebensnah sind die Stunden, die Kinder in „meiner“ Kindertageseinrichtung verbringen? Inwieweit können sie in dieser Zeit die natürliche, soziale und kulturelle Wirklichkeit kennen lernen? Sind die Lernerfahrungen eher einseitig und realitätsfern oder vielfältig und realitätsnah? Und in Abwandlung eines Sprichworts: Lernen die Kinder für den Kindergarten oder für das Leben?

Lebensnähe

Durch Projektarbeit wird die Distanz zwischen dem „pädagogischen Schutzraum“ der Kindertageseinrichtung und der Welt vermindert. Beim Befolgen des Prinzips der Lebensnähe werden die konkrete Wirklichkeit, die Umwelt, der Erwachsenenalltag zum „Lehrer“ der Kinder. Durch die Begegnung mit Lernsituationen und die Erschließung von Erfahrungsräumen im Umfeld der Kindertagesstätte werden die Kinder auf das Leben in der Erwachsenenwelt vorbereitet, erfahren sie Hilfe zur Lebensbewältigung. Projekte konfrontieren Kinder mit real gegebenen Sachlagen und Problemen, die die Lebenswelt in ihrer Vielfalt erfahrbar machen.

Öffnung

Lebensnähe kann in der pädagogischen Arbeit somit nur erreicht werden, wenn es zu einer Öffnung der Kindertageseinrichtungen hin zur Natur und zum Gemeinwesen kommt. Plakativ könnte man sagen: „Macht den Kindergarten auf, lasst die Kinder heraus ins Leben.“ Hopf (1988, S. 23) meint zur Gemeinwesenorientierung: „Der Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass die Nachbarschaft und der Ortsteil, in dem Familien ihr Zuhause haben, wesentliche Sozialisationsfaktoren für Kinder darstellen. Denn der Stadtteil und die Gemeinde bilden den unmittelbaren Erfahrungshorizont, und Kinder im Vorschulalter sind an ständiger Erweiterung des ‚Horizontes‘ interessiert; sie wollen ihre weitere räumliche und soziale Nachbarschaft entdecken und erobern. Dort befindet sich eine Fülle von Anschauungsmaterial und liegt der Mittelpunkt für soziale Bezüge, die ein Kind über den engeren Kreis der Familie hinaus aufnimmt. Die lokale Umwelt als Sozialisationsfaktor gewinnt eine kaum zu überschätzende Funktion für die Identitätsentwicklung des Kleinkindes.“

Bei der Öffnung der Kindertageseinrichtungen geht es also darum, die Umgebung mit ihren naturnahen Flächen, Gebäuden, Institutionen, Geschäften, Unternehmen, Vereinen usw. zu Lernorten für Kinder zu machen. Die Vielzahl natürlicher, sozialer und kultureller Bestandteile des Nahraums werden im Rahmen von Projekten für unmittelbare Erfahrungen genützt. Zugleich werden Kinder mit Erwachsenen unterschiedlichen Alters, mit ihnen zuvor unbekannten Kindern, Jugendlichen und Senioren, mit Einheimischen und Ausländern, mit Nachbarn, Arbeitern, Angestellten, Beamten und Unternehmern konfrontiert, werden Barrieren zwischen den Generationen und Altersgruppen abgebaut. So machen die Kinder reichhaltige Lernerfahrungen mit anderen Menschen. Zugleich werden sie aus ihrer gesellschaftlichen Randexistenz herausgeführt – und die Kindertagesstätten betreiben scheinbar nebenbei „Öffentlichkeits“Arbeit und Kinderpolitik.

Regionalisierung

Die Öffnung zur natürlichen Umgebung und zum Gemeinwesen hin bedeutet zudem eine Regionalisierung des Lernens. Gleichsam als Gegenbewegung zu zentralistischen und vereinheitlichenden Tendenzen werden im Rahmen von Projekten die einzelne Gemeinde, das überschaubare örtliche Umfeld, die Lebenswelt der Kinder und ihrer Familien als Lernorte wieder entdeckt. Es wird erneut Wert darauf gelegt, dass Kinder ihre Heimat, die in ihrem Umkreis vorhandenen Probleme, die örtliche Geschichte und die Vielfalt der eigenen Kultur kennen lernen. Wie schon in dem vorstehenden Zitat von A. Hopf angesprochen, werden hiervon auch positive Folgen für die Identitätsentwicklung von Kindern erwartet.

Entdeckendes Lernen

Durch die Öffnung von Kindertageseinrichtungen zu ihrem Umfeld hin werden mehr Möglichkeiten für ein entdeckendes Lernen geschaffen. Die Kinder werden mit ihnen unbekannten Situationen und Fragestellungen konfrontiert, die ihre naturgegebene Neugierde und Entdeckerfreude auslösen. Manchmal muss aber auch zunächst ihre Motivation geweckt werden, indem sie zu dem jeweiligen Lerngegenstand im Gespräch hingeführt werden und ihnen der Reiz des Themas deutlich gemacht wird. Dann gehen die Kinder so weit wie möglich selbständig vor, sammeln und verarbeiten Informationen, stellen Vermutungen an, suchen nach Methoden zum Erfassen des Lerngegenstandes, gewinnen Einsicht in seine Strukturen und in Ursache-Wirkungs-Abfolgen („Aha“-Erlebnisse), experimentieren, bilden Begriffe und Kategorien, kommunizieren mit anderen, lösen auftretende Probleme und Konflikte. Je nach Thematik und Situation kann das entdeckende Lernen mit mehr oder weniger Anleitung durch Erzieher/innen und andere Erwachsene erfolgen. Auch kommen in der Regel alle Lerntypen zu ihrem Recht: Manche Kinder lernen am besten auditiv (durch Hören und Sprechen), andere visuell (durch Wahrnehmen und Beobachten), andere motorisch (durch Fühlen und Anfassen) oder abstrakt (durch Denken).

Selbsttätigkeit

Umfelderkundung, entdeckendes Lernen und eigenständiges Sammeln von Erfahrungen im Kontext der Projektarbeit verweisen auf die Prinzipien der Selbsttätigkeit und Handlungsorientierung. Diese berücksichtigen, dass (Klein-) Kinder neugierige, rastlose, aktive Wesen sind, die gerne (eigenen) Fragen nachspüren, etwas selbst machen und Dinge ausprobieren wollen. Selbsttätigkeit erhält die Motivation, sich mit einem Gegenstand, einem Problem oder einer Situation längerfristig auseinander zu setzen. Sie hat den Vorzug der Anschaulichkeit und Konkretheit. Abläufe von der Planung über die Durchführung bis hin zur Bewertung von Vorhaben werden deutlich, die Erfahrung des Entstehungsprozesses fördert das Verstehen, die Folgen des eigenen Tuns werden wahrgenommen, und daraufhin kann die eigene Vorgehensweise reflektiert werden. Selbsttätigkeit ist eine sehr befriedigende Art des Lernens, da Kinder durch sie Primärerfahrungen sammeln, Probleme lösen und Leistungen erbringen, für die sie in der Regel die Anerkennung anderer Kinder, der Erzieher/innen oder der Eltern erfahren. Dadurch werden die Lernmotivation und die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen gefördert.

Handlungsorientierung

Handlungsorientierung bedeutet, dass sich die Kinder im tätigen Umgang mit Gegenständen, in ihren sozialen Rollen und auf der symbolisch-geistigen Ebene als handelnde Subjekte erfahren und bewähren. Person und Umwelt werden in einer dialektischen Beziehung stehend gesehen: Sie sind keine getrennten Gegebenheiten, sie werden vielmehr durch die Handlung miteinander verknüpft. Durch das Handeln werden nicht nur Teile oder Aspekte der Umwelt manipuliert, sondern auch das Individuum verändert sich, indem es z.B. Erkenntnisse und Kompetenzen erwirbt oder sich selbst besser kennen lernt. Im Handeln können sich Kinder in ihrer Ganzheit einbringen. Ihre Aktivitäten orientieren sich an den sachlichen Erfordernissen der Aufgabe. Sie lernen durch die Auseinandersetzung mit der Welt bzw. durch die Beteiligung an einer gemeinsamen Tätigkeit.

Erfahrungslernen

Durch die Öffnung von Kindertageseinrichtungen, das entdeckende Lernen und die Handlungsorientierung wird es Kindern ermöglicht, im Rahmen von Projekten viele Erfahrungen „aus erster Hand“ zu sammeln. Insbesondere Kleinkinder, die noch sehr sinnlich orientiert sind und sich die Welt aus ihren Wahrnehmungen erschließen, lernen am besten durch Beobachtungen und selbst gemachte Erfahrungen. Bei deren Verarbeitung sind sie aber oft auf die Hilfe von Erwachsenen angewiesen. Erfahrungslernen ist besonders dann sehr produktiv, wenn Erzieher/innen immer wieder mit den Kindern über die in einem bestimmten Bereich gesammelten Erfahrungen sprechen und herauszufinden versuchen, welche Vorstellungen auf dieser Grundlage entwickelt wurden.

Wie wir aus der Psychologie wissen, bekommen Kinder erst allmählich ein realistisches Verständnis von der sie umgebenden Welt. Es kommt also darauf an, ihnen Erfahrungen zu vermitteln, durch die sie primitivere Vorstellungen hinterfragen und durch neue Konzeptionen ersetzen können. Neue Erfahrungen können also Denkvorgänge stimulieren, wobei Erzieher/innen und andere Kinder diesen Prozess durch Fragen nach dem Was, Wie oder Warum fördern können – aber auch dadurch, dass sie auf Unterschiede zwischen ihren eigenen Vorstellungen und denjenigen des jeweiligen Kindes verweisen. Dieses wird auf solche Weise motiviert, über seine Denkweise nachzudenken und wirklichkeitsgetreuere Konzeptionen zu entwickeln.

Exemplarisches Lernen