Regret - Magurno Nadine - E-Book

Regret E-Book

Magurno Nadine

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Beschreibung

Eine Nacht, die alles verändert... Was würdest du tun, wenn dein schlimmster Alptraum gleichzeitig deine grösste Schwäche wäre? Weil sie Annette, ihre beste Freundin, seit Tagen nicht erreichen kann, entschliesst sich Lou die Suche nach ihr selbst in die Hand zu nehmen. Zu ihrer grossen Erleichterung trifft sie Annette wohlbehalten in Denver wieder. Doch deren neuen Lebensumstände lassen sie zweifeln. Nicht nur Rin, ihr neuer Freund, weckt in Lou ihren Beschützerinstinkt. Als plötzlich Nate, Anns Stiefbruder, auftaucht, gerät ihre Welt aus den Fugen. Denn sie verbindet eine Vergangenheit mit Nate, die sie lieber aus ihrem Leben streichen würde. Wird Lou ihre Zweifel beseitigen und Ann mit gutem Gewissen bei Rin zurücklassen können? Und was ist mit Nate? Was ist damals passiert? Warum hasst Lou ihn so sehr? Und warum kann sie trotzdem nicht aufhören ihn zu lieben?

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Für alle, die jemals etwas in ihrem Leben bereut haben

Liebe Leser/innen

Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Um jedoch nicht zu viel von der Geschichte zu verraten, findet ihr diese am Ende des Buches.

Ich wünsche viel Spass beim Leseerlebnis.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Lou

Denver, Colorado

Nate

Lou

Nate

Lou

Nate

Lou

Nate

Ein paar Tage später

Lou

Nate

Lou

Nate

Lou

Nate

Lou

Nate

Lou

Nate

Epilog

Mason

Prolog

Lou

Denver, Colorado

«Bitte hören Sie auf zu drängeln.» Die Flugbegleiterin versucht die aufgeregte Meute zu beruhigen, aber es gelingt ihr nur schwer. Sie tut mir leid. Aber scheisse nochmal, auch ich will endlich aus diesem verdammten Flugzeug aussteigen. Der Flug hatte Verspätung und ich musste in Utah geschlagene drei Stunden am Flughafen verbringen.

Als ob das nicht genug wäre, durften ich und die anderen Passagiere während nervenaufreibenden fünf Stunden Flug ein schreiendes Baby, drei Typen, die sich pausenlos übergeben haben und eine ältere Dame mit Blähungen ertragen. Ja, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass das hier wohl der schlimmste Flug in meiner bisherigen Laufbahn war. Und auf eine Wiederholung habe ich null Bock.

Während die Leute vor mir zur Tür drängeln und ich mich von meinem Hintermann nach vorne drücken lasse, gehe ich nochmal meine letzten Schritte durch.

Seit über einer Woche habe ich Annette, meine beste Freundin, nicht mehr erreicht. Jedes Mal, wenn ich sie angerufen habe, kam unverzüglich die Mailbox ran. Auch meine SMS hat sie weder gelesen noch beantwortet. Ich weiss, dass sie in Denver wegen ihrem Erbe und ihrem sturen Stiefbruder mehr als genug um die Ohren hat. Aber dass wir so lange keinen Kontakt haben, ist nicht normal. Und ich mag es, wenn es normal läuft. Als ich dann gestern Morgen aus der Zeitung vernommen habe, dass Trevor Jenkins, aka der psychopatische Schläger-Ex von Ann bei einem Einsatz der Polizei in Denver getötet wurde, hat mich nichts mehr aufgehalten. Der einzige Grund, warum sie hierher geflüchtet ist, war Trevor. Da der nicht mehr hier ist, muss sonst was vorgefallen sein, wenn sie nicht mehr erreichbar ist. Kurzerhand habe ich meinen Flug nach Kapstadt, der eigentlich morgen Nachmittag gehen sollte, zwei Wochen nach hinten verschoben. Meine Agentur war, milde ausgedrückt, nicht gerade erfreut. Aber da ich in dem, was ich tue, verdammt nochmal die Beste bin, haben sie natürlich nachgegeben.

Ich schiebe mir die Brille auf der Nase zurecht. Die Flugbegleiterin bedankt sich bei uns, dass wir mit ihrer Gesellschaft geflogen sind und hofft auf ein nächstes Mal. Scheisse nein! Ich weiss, sie kann nichts dafür und sie sieht genauso abgenervt aus wie wir alle, aber bevor ich nochmal einen Fuss in eines dieser Flugzeuge setze, werde ich mir eher einen Privatjet chartern. Ob der wohl mit dem Spesenkonto beglichen werden kann? Wäre mal eine Idee. Ich schenke ihr beim Vorbeigehen ein mitfühlendes Lächeln und atme laut aus, als ich den Flur zum Gate betrete. Freiheit! Endlich! Mit schnellen Schritten bahne ich mir meinen Weg durch die anderen Passagiere und laufe dabei sogar im Zick-Zack. Es gibt keinen Grund noch länger hier zu sein. Ich habe eine Mission und die muss jetzt in Angriff genommen werden. Ich trete in die überfüllte Halle und suche nach der Gepäckausgabe, welche Gott sei Dank nur ein paar Meter weiter entfernt ist. Als meine beiden schwarzen Samsonite Koffer endlich zum Vorschein kommen, greife ich mir beide gleichzeitig und rolle mit ihnen davon. Die Sonne ist bereits hoch am Himmel, da es kurz vor Mittag ist, aber ich habe vorgesorgt und mir ein sommerliches Outfit, trotz Klimaanlage im Flugzeug, angezogen.

Shorts und ein Shirt. Dazu meine Flip-Flops und die Haare sind nach oben gebunden. Passt. Mit erhobener Hand rufe ich mir ein Taxi.

«Hallo schöne Frau.», grüsst mich der Fahrer und lächelt mich etwas schief an. Seine Augen wandern über meine nackten Beine und ich rolle mit den Augen. Wenn er mein Typ wäre, dann wäre ich vielleicht darauf angesprungen, aber der hier könnte mein Vater sein.

Und ich frage mich automatisch, ob er wohl Kinder in meinem Alter hat. Bäh! Widerlich! Damit er nicht auch noch aussteigt und mir zur Hand gehen will, hieve ich beide Koffer schnellstmöglich in den Kofferraum und setze mich, zu seiner offensichtlichen Enttäuschung, auf die Rückbank. Den Zettel mit der Adresse, den Annette mir vor ihrer Abreise in die Hand gedrückt hat, hole ich jetzt aus meiner Handtasche raus und rattere ihm die Buchstaben runter. «Los geht’s!», ruft der Fahrer euphorisch und gibt die Daten in sein Navi ein. Er schlängelt sich in den Verkehr ein und ich kann den Kloss in meinem Magen spüren. Es gefällt mir nicht, dass ich nicht weiss, was mich erwartet. Oder was mit Annette los ist. Grosser Gott, ich hoffe nicht, dass ihr was zugestossen ist. Keine Ahnung, was ich dann machen würde. Wenn dieser verdammte Trevor ihr was angetan hat, dann fackle ich hier alles nieder.

In meiner Kindheit und auch während meiner Teenagerjahre hatte ich nicht allzu viele Freunde. Ich war zwar beliebt, aber wahre Freundschaft habe ich erst durch Annette kennengelernt. Während unserer gemeinsamen Kurse am College haben wir uns angefreundet und sind seither unzertrennlich. Wie Pech und Schwefel. Sie ist wohl die kleine Schwester, die ich nie hatte. Ich bin Einzelkind. Meine Eltern haben mich adoptiert, als ich gerade mal zwei Jahre alt war.

Meine leiblichen Eltern habe ich nie kennengelernt und habe auch kein Interesse das zu ändern. Andrea und Jack Bennett haben mir ein wunderbares Zuhause geschenkt und mir alles gegeben, was ich in meinem Leben gebraucht habe. Auch sie leben in Riverside und ich besuche sie, wann immer ich kann. Da ich wegen meines Jobs als Fotografin viel unterwegs bin, kommen die Besuche leider nicht allzu häufig vor. Ich muss das dringend mal ändern. Aber zuerst gehe ich auf die Suche nach der verschollenen Annette Clifford. Die Fahrt zu der von mir angegebenen Adresse dauert gerade mal eine knappe halbe Stunde und ich bin überrascht, als mir der Fahrer das Ende unserer Fahrt ankündigt. Immer wieder hat er versucht mich in ein Gespräch zu verwickeln. Als ich ihm dann erzählt habe, dass ich hier meinen Verlobten besuche, hat er endlich die Klappe gehalten.

Männer! Jedes Mal das Gleiche. Ich drücke ihm das Fahrgeld in die Hand, hole meine Koffer raus und warte, bis er davongerauscht ist.

In der Einfahrt steht mein Pick Up. Was mich ein bisschen erleichtert ausatmen lässt. Einen Autounfall hatte sie also nicht. Diese Option kann ich somit abhaken. Das Haus vor mir weist zwei Stockwerke auf.

Das Erdgeschoss und das darüber. Es ist nicht zu modern, aber auch nicht gerade aus der Jahrhundertwende. Es ist weiss gestrichen und die Pflanzen in der Einfahrt und am Haus sind sehr gepflegt. Neben dem Pick Up befindet sich noch eine Garage, die jedoch zu ist und keinen Blick ins Innere gewährt. Zwar hat mir Ann mehrmals versprochen ein paar Bilder von ihrem Stiefbruder zu schicken, aber leider kam nie was bei mir an. Und da meine Neugierde einfach viel zu gross ist, kann ich es kaum erwarten zu entdecken, was sich hinter der grossen Haustüre befindet. Die Koffer ziehe ich hinter mir her und klopfe an die Türe. Zu meiner Überraschung geht sie von allein auf. Okay Lou, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem du einfach verschwinden solltest.

Naja,…ich war noch nie ein Fan von Dingen, die ich hätte tun sollen.

Ich war und werde wohl immer ein Rebell bleiben. Deshalb stosse ich das Holz einfach auf und betrete mit hämmerndem Herzen das Innere des Hauses. Genau wie erwartet, ist das Foyer sehr modern eingerichtet. Alles in strahlendem Weiss und Schwarz. Modern Art Bilder und ein kleines Tischchen mitten im Raum. In der Schale darauf befinden sich mehrere Schlüssel, zwei Portemonnaies und…Kondome…eine Menge Kondome. Meine Güte. Bin ich vielleicht in einem Puff gelandet? Ist Anns Bruder ein verdammter Zuhälter und hat hier seine Kommandozentrale, oder was? Ich habe nichts gegen Sex. Ich liebe Sex. Je mehr desto besser, aber dass…naja, da komme sogar ich an meine Grenze. Ich schiebe meine Koffer zur Seite und lasse sie an der Wand gelehnt stehen. Zuerst muss ich mir mal ein Bild verschaffen.

Auf leisen Sohlen gehe ich weiter in den Raum und lande dann in einem genauso modernen Wohnzimmer. Sofas, Tische und Sessel wurden gegen die Wände geschoben. Zwar ist niemand zu sehen, aber die leeren Becher und Alkoholflaschen weisen darauf hin, dass gestern Nacht wohl eine Party geschmissen wurde. «Hallo?», rufe ich ins Haus und zu meiner Verwunderung erhalte ich sogar eine Antwort. «Küche!», schreit eine männliche Stimme und ich folge ihr durch eine grosse Schwingtüre. Was ich dann zu Gesicht bekomme, lässt mich das erste Mal in meinem Leben an meinem Verstand zweifeln. Ich habe alles erwartet. Eine Orgie auf der Kücheninsel.

Ann, die tot am Boden liegt oder die Addams Family, die am Frühstückstisch hockt. Ja, alles habe ich erwartet. Nicht aber, dass Mason Davenport, Frontsänger der Rockband Revolution oben ohne in der Küche steht und sich gerade einen Kaffee eingiesst. Oh mein Gott. Er sieht zum Anbeten gut aus. Zwar stehen seine Haare wirr vom Kopf ab und ich glaube, er ist noch nicht vollständig wach, aber ich schwöre, sowas Heisses habe ich selten zu Gesicht bekommen.

Was tut er hier?

«Ähm Hi.», begrüsse ich ihn etwas scheu und erschrecke wegen meiner plötzlich piepsigen Stimme. Was zum Teufel? «Na aber hallo.», meint er mit seiner mehr als tiefen und kratzigen Stimme. Ich liebe die Songs von ihm und seiner Band. Habe sie rauf und runter gehört. Ich meine, wer kennt sie nicht. Sie sind im Moment wohl die angesagteste Rockband Amerikas. Oder sogar der ganzen Welt. Keine Ahnung. Mason schlürft an seinem Kaffee und schenkt mir ein so schiefes Lächeln, dass mein Höschen auf der Stelle feucht wird.

Gütiger Himmel! Ich presse die Schenkel zusammen und stütze mich mit den Unterarmen auf der Kücheninsel ab, damit er nicht merkt, wie verdammt nervös mich seine Anwesenheit macht. «Hey.

Ähm…ich suche jemanden.», fange ich an und lächle ihn an. «Und?

Bist du fündig geworden?» Seine Frage klingt mehr als zweideutig und lässt mich einmal leer schlucken. Wie gerne würde ich jetzt einfach JA! schreien, aber ich bin ja nicht wegen ihm hier, sondern wegen Ann. «Ich suche Annette Clifford. Kennst du sie?» Seine Augen weiten sich bei ihrem Namen und er zieht die Augenbrauen zusammen. «Ja, ich kenne sie. Ann wohnt hier. Und wer bist du?», will er dann wissen und meine Handflächen werden schweissnass.

Wie macht er das bloss? Kurz muss ich mich räuspern. «Ich bin ihre beste Freundin und wollte sie gerne besuchen.» Dass er in der Gegenwart von Ann spricht, lässt mich hoffen, dass sie noch lebt und nicht in irgendeinem Fluss ertränkt wurde.

Mason leert seine Tasse in einem Zug und ich beobachte währenddessen sein Muskelspiel. Sein trainierter Oberkörper ist voller Tattoos und kein Gramm Fett ist zu sehen. Gott, dieser Mann ist eine Offenbarung. Ich meine, ich habe schon des Öfteren Fotos von ihm gesehen und während seinen Auftritten ist er auch meist oben ohne, aber das alles live zu sehen, ist ein ganz anderes Level von sexy Fantasien. Wahnsinn. «Ich hol sie.», sagt er dann. Mir ist heiss und meine Brillengläser laufen leicht an. Schnell reibe ich mit den Fingern darüber und räuspere mich. «Danke.» Gott, ich sollte mich jetzt echt mal zusammenreissen. Mason stellt die leere Tasse in die Spüle und kommt auf mich zu. Mein Herz hämmert und das Blut rauscht in einem Affenzahn durch meine Adern. Ich glaube, meine Wangen fangen sogar an zu glühen. «Gerne Sugar. Was immer du willst.», haucht er mir entgegen und streift dabei meinen Oberarm.

Als er endlich durch die Türe verschwunden ist, stosse ich laut den Atem aus. Alter! Mason Davenport! OH MEIN GOTT! Ich bringe Ann um. Warum zum Geier hat sie mir nichts davon erzählt? Warum verheimlicht sie sowas? Der jungen Dame muss ich wohl mehr als nur auf den Zahn fühlen. Sie hat mir so einiges zu erklären.

«Lou?», höre ich plötzlich ihre Stimme und die Erleichterung, die mich gerade überflutet, ist mehr als nur willkommen. Sie lebt, und ich werde sie gleich umbringen. Dieses Luder. «Hier!», rufe ich zurück und wende mich der Türe zu, durch die Mason vorhin verschwunden ist. Kurz darauf geht sie auf und meine beste Freundin erscheint…angezogen…nein, umhüllt mit einem Bettlaken. Oha! Doch die Verwirrung über ihren Auftritt macht schnell der Freude Platz, die mich überkommt, als ich ihn ihr Gesicht sehe. Sie sieht verschlafen, aber happy aus. Trotzdem will ich es ihr nicht zu leicht machen.

Meine Hände stemme ich in die Hüften und funkle sie an: «Eine Woche! Eine ganze Woche habe ich nichts von dir gehört. Und jetzt komme ich hier an, sehe dass du mit Mason fucking Davenport zusammenlebst und ich weiss nicht mal was davon.» Anns Gesichtsausdruck ist einfach zu köstlich. Ich kann nicht mehr und muss lachen: «Komm her Süsse. Ich habe dich vermisst.» Meine Arme breiten sich aus und das ist wohl der Startschuss für Ann. Sie hechtet auf mich zu und im letzten Moment, bevor sie mit ihrer Nase auf dem Boden landet, treffen wir uns in der Mitte und krallen uns aneinander fest. Gott, ich habe sie wirklich sowas von vermisst. Der Duft ihrer Haare steigt mir in die Nase und ich fühle mich augenblicklich, als wäre ich zu Hause. Ich werde sie nie wieder loslassen.

Hinter uns erklingt ein Räuspern und wir fahren erschrocken auseinander. Im Türrahmen stehen Mason und ein zweiter, genauso heisser Typ mit dunklen Haaren. Gibt es die hier wie Sand am Meer?

Jetzt kann ich auch die vielen Kondome verstehen. Bei einer solchen Auswahl kann man ja gar nicht anders, als es die ganze Zeit zu tun.

Ann löst sich von mir und dreht sich zu den beiden um. «Lou. Das sind Rin Miller und Mason Davenport.», stellt sie mir die zwei vor und ich erwidere ihr Lächeln. Obwohl das von Rin doch eher an Ann gerichtet ist. Aha. «Mase, Rin, das ist meine beste Freundin Lou Bennett.» Dieser Rin löst sich vom Türrahmen und kommt in grossen Schritten auf mich zu. Er trägt Jogginghosen und ein Shirt, aber seine Figur ist auch so zu erkennen. Und die steht Masons in nichts nach.

«Freut mich, dich endlich kennenzulernen. Ich habe dir vieles zu verdanken.» Er schüttelt mir die Hand und verwirrt mich mir seiner Aussage komplett. Was habe ich den jetzt verpasst? Aber auch Ann zieht die Augenbrauen zusammen. «Bei Gelegenheit erzähle ich dir alles.», meint Rin weiter und lässt dann den Weg frei für Mase. «Hey Sugar, wie geht’s?» Er zwinkert mir zu und ich muss tatsächlich kichern. «Hi.» Oh bitte Gott mach den Boden auf und verschluck mich. Wie peinlich. Zu meiner Überraschung schüttelt er mir zwar kurz die Hand, haucht dann aber einen zarten Kuss auf den Handrücken. Mein Mund klappt auf und mein Körper bebt. Fuck!

«Sehr heiss.», raunt Mase und lässt mich nicht mehr aus den Augen.

Genau wie ich ihn.

«Ist wer wach?», ruft jemand aus dem Wohnzimmer und löst mich aus dem Bann, der zwischen Mason und mir gerade aufgebaut wurde. «Küche.», antwortet Rin laut und Mason gesellt sich zu ihm.

Während die beiden die nächste Ladung Kaffee zubereiten, ziehe ich Ann zur Seite. «Oh mein Gott, du musst mir alles erzählen. Wer ist dieser Rin? Und warum wohnst du mit einem der grössten Rockstars aller Zeiten zusammen?», flüstere ich, damit die beiden mich nicht hören. Anns Wangen werden rot und sie lächelt schelmisch. Aha, da geht wohl was. «Ich…ähm, naja das war so…», versucht sie einen Anfang, doch leider kommt sie nicht weit. Plötzlich scheint etwas oder jemand hinter mir ihre volle Aufmerksamkeit zu fordern. Ihre Augen werden gross. Was ist?

«Siana?»

Bähm! Ein Wort. Eine Frage. Eine Stimme. Und ich bin gerade wieder in der Hölle gelandet. Das ist jetzt nicht wahr, oder? Das kann nicht sein. Nicht nach all den Jahren. Langsam, weil ich befürchte, gleich einen Herzinfarkt zu kriegen, drehe ich mich in Richtung der Türe um.

Als mich zwei eisblaue Augen treffen, bleibt mein Herz einfach stehen. Ich schwöre, es schlägt einfach nicht mehr. Sein Gesicht, seine scheiss blauen Augen, sein Mund, der offen steht und seine Brust. Seine Brust, die nackt ist…nackt und fehlerlos…makellos…scheisse nein! «Nate?» hauche ich leise und bin mir nicht sicher, ob ich wirklich etwas gesagt habe. Seine Augen weiten sich und als mein Gehirn die Tatsache verarbeitet hat, dass ich meinem grössten Albtraum gerade gegenüberstehe, kann ich einen aufgebrachten Schrei gerade noch runterschlucken.

Die Hölle in meinem Leben hat einen Namen. Nate. Und er steht gerade vor mir.

Nate

Entweder habe ich gestern zu viel getrunken und arbeite immer noch an einem Nachbrand oder es müssen die verdammten Drogen sein.

Gestern war das Koks ziemlich gut und ich habe mir eine Line mehr gegönnt als üblich. Oder es ist die Mischung aus beidem. Und dann noch der Schlafmangel, weil mich die zwei Ladies, die ich gerade nach Draussen begleitet habe, fast die ganze Nacht wachgehalten haben.

Das muss es sein. Der Mix aus allen dreien. Denn eine andere Erklärung gibt es nicht. Oder ich habe Halluzinationen. Wäre auch eine Option. Denn, dass Siana jetzt plötzlich in meiner Küche steht, kann nicht der Realität entsprechen. Siana. Auch nach all den Jahren verschlägt mir ihr Anblick immer noch die Sprache. Was tut sie hier?

Und warum starrt mich Ann so komisch an?

Rin und Mase stehen an der Kaffeemaschine und beobachten uns, als ob gerade der Vorspann für einen neuen Actionfilm laufen würde.

Doch ich ignoriere sie. Zuerst muss ich wissen, was hier genau abgeht. «Siana, was machst du hier?», frage ich und gehe einen Schritt auf sie zu. Doch leider scheine ich gerade einen riesigen Fehler zu machen. Wie ein verschrecktes Huhn macht sie einen Schritt zur Seite und rempelt dabei Ann an. Was zur Hölle soll das? Statt mir zu antworten, flüstert sie Ann, die genauso verwirrt zu sein scheint, wie wir alle, etwas ins Ohr und geht dann direkt an mir vorbei zur Terrassentür. Der Luftzug, der mich trifft, als sie nach draussen geht, lässt den Rest meiner Müdigkeit verschwinden. «Nate?», Anns fragender Blick trifft meinen und ich ziehe die Schultern nach oben.

«Keine Ahnung.», sage ich dann und sehe in die Richtung, in der Siana verschwunden ist. Ann zieht ihr Bettlaken zurecht und folgt Siana nach draussen. «Kennst du sie?», fragt mich Rin und löst mich damit aus meiner Erstarrung. Ich nicke leicht und gehe zu meinen besten Freunden rüber.

Auch nach dem zweiten Kaffee kann ich mich immer noch nicht davon erholen, dass sie tatsächlich bei mir zu Hause ist. Ich meine, ich habe lange Zeit immer noch gehofft, aber die Chance, dass ich sie je wiedersehen würde, war gering. Wenn nicht sogar unmöglich. Und jetzt? Jetzt sitzt sie draussen auf meiner Terrasse und quatscht mit meiner fast Stiefschwester, als ob sie die besten Freundinnen wären.

Was soll das? «Woher kennt Ann sie?», frage ich Rin und sehe zu ihm rüber. Nachdem ich mir meinen Kaffee eingegossen hatte, griff er sich den Hocker daneben und hat mich seither nicht mehr aus den Augen gelassen. «Die Frage ist wohl eher, woher kennst du sie?» Rin grinst verklemmt und ich möchte ihm gerade mehr als nur gerne meine Faust ins Gesicht schlagen. Er nervt. Und seit er offiziell mit Ann zusammen ist, noch mehr. «Ich habe sie mal auf einer Party kennengelernt.», unbeeindruckt zucke ich mit den Schultern. «Das wars.», spiele ich unser Zusammentreffen herunter und hoffe, dass er es dabei belässt. Aber ich habe nicht mit Mason gerechnet. «Also ist sie kein rotes Tuch?», will er wissen und seine Augen huschen zwischen mir und der Terrassentür hin und her. Wenn er so weiter macht, kriegt er noch einen Schlaganfall. «Rotes Tuch?», frage ich verwirrt zurück und auch Rin wendet jetzt endlich den Blick von mir ab und starrt zu Mase rüber. «Das musst du erklären.» Unser Rockstar zuckt, wie ich vorhin, mit den Schultern. «Ist doch einfach.

Wenn eine Frau ein rotes Tuch ist, dann darf ein Kumpel sie nicht angraben. Ich meine, ich würde es verstehen, wenn du nicht willst, dass ich…» Ich muss ihn unterbrechen. «Wow wow wow, warte mal.

Rotes Tuch? Nicht angraben? Ich war nie mit ihr zusammen. Naja, okay wir hatten unseren Moment, aber das wars. Ich will nichts von ihr.» Genau. Noch mehr lügen geht wohl nicht.

Fünf Jahre. Es ist fünf Jahre her, als ich sie das erste und letzte Mal gesehen habe. «Es ist Jahre her, als wir mal was hatten. Ist für mich abgeschlossen.» Gott, meine Worte klingen so klar, dass ich sie beinahe selbst glaube. Drüber hinweg. Seit Jahren vergleiche ich jede Frau, jede Bekanntschaft, jede Bettgeschichte mit Siana. Sie war für mich mehr. Mehr als Annette. Fuck! Damit die Jungs nicht merken, dass meine Finger zittern, hole ich eine Kippe aus der Packung, die Mase vorhin geholt hat und zünde sie mir an. Der Rauch wabert durch den Raum und das Nikotin verteilt seine Wirkung in meinem Körper. Zwar nicht die Erleichterung, die ich mit dem Koks kriege, aber für den Augenblick reicht es. «Bist du sicher?», will es Mase nochmal genau wissen und ich glaube langsam, dass sie es beide heute auf einen Faustschlag abgesehen haben. Sind sie lebensmüde, oder was? «Klar. Warum auch nicht. Bedien dich.» Wie das klingt. Als ob Siana verdammtes Frischfleisch wäre und ich es auch noch anpreisen würde. Obwohl…genau so hat sie ja mich damals behandelt. Ich verstehe es bis heute nicht.

Er klopf zweimal auf den Tisch und steht dann auf. «Ich geh kurz pissen.» Welch faszinierende Information. Als er aus der Küche geht, schiele ich zu Rin rüber und bin nicht überrascht, dass er mich mit grossen braunen Augen anstarrt. «Was?», blaffe ich genervt und rolle mit den Augen. Meine Finger fahren durch die Haare und ich überlege, ob ich heute noch zum Frisör gehen soll. Strähnen landen mir wieder im Gesicht und ich wische sie genervt von meinem Gesicht ab. «Du bist nervös.», bemerkt Rin und grinst mich wieder an. Was soll dieses Scheiss Grinsen denn? Kann er das nicht sein lassen? «Keine Ahnung, was du meinst.» Ich ziehe an der Kippe und drücke sie dann im Aschenbecher aus. Es muss was Stärkeres her.

Bald. «Ich mach mich vom Acker.», entscheide ich und will die Kaffeetasse in die Spüle stellen, als er mir seine Hand auf den Unterarm legt. Ach, komm schon! «Was hat es mit dieser Siana auf sich?» Er deutet mit dem Kinn nach draussen. «Sie ist Anns beste Freundin und wenn hier bald ein Drama stattfinden soll, dann möchte ich es vorher wissen.» Beste Freundin? Woher? Ach Mann!

Schnaubend lasse ich mich wieder sinken und sehe zu ihm rüber.

«Kein Wort zu Mase. Und vor allem nicht zu Ann.», beschwöre ich ihn und als er nickt, fange ich an zu erzählen.

«Es war vor etwa fünf Jahren. Troy, einer der Anwälte in der Kanzlei, hat eine Einladung zu einer Rooftop Party bekommen. Du weisst schon, eine Party in einem Hochhaus mit Terrasse.» Rin nickt und ich bin froh, dass ich nicht noch mehr erklären muss. «Naja, er kannte die Gastgeber nicht wirklich und deshalb hat er mich überredet mitzugehen. Wir gingen also an diesem Abend zur Party und was soll ich sagen, es war cool, aber hat mich nicht gerade aus den Latschen gehauen. Es waren viele Leute vor Ort und die Stimmung war toll.

Ausgelassen.» Troy und ich sind damals in Anzughose und offenem Hemd aufkreuzt. Die Ladies haben uns nur so hinterher gehechelt.

Das reinste Muschi Paradies. «Nach ein paar Drinks hatte Troy sich genügend Mut angetrunken, um sich bei den Ladies umzusehen. Ich dagegen konnte mich nicht wirklich festlegen. Die Party war okay, genauso die Musik. Aber was die Frauen anging, war ich mehr als unsicher. Irgendwas hat mich an diesem Abend zurückgehalten. Ich wusste nur nicht was.» Resigniert lasse ich den Blick ins Leere schweifen. Darüber zu reden, lässt meine Stimmung in den Keller sinken. «Siana?», fragt Rin und ich wende ihm wieder meinen Blick zu. «Ja. Wahrscheinlich war es sie, die mich zurückgehalten hat. Noch bevor ich sie überhaupt zu Gesicht bekommen habe.» Ich lehne mich nach vorne und lege meine Arme auf die kühle Platte der Insel. «Nach einer Weile hatte ich nicht mehr wirklich Lust auf die Party. Als ich mich dann auf die Suche nach Troy gemacht habe, um ihm meinen Abgang anzukündigen, rempelte ich aus Versehen jemanden an. Es war wie in einem Film. Aus einem bescheuerten Wir lieben uns auf immer und ewig und auch wenn ich impotent werde, bleibst du an meiner Seite Teenie Kacke Film.» Ja, genau so denke ich über Liebesfilme. Total unnötige Zeitverschwendung meiner sonst auch beschränkten Lebenszeit auf dieser wunderbaren Erde. Punkt.

«Egal. Auf jeden Fall fiel dabei ihr Drink zu Boden und wir haben uns gleichzeitig danach gebückt. So unbeholfen wie damals, habe ich mich noch nie angestellt. Ihre blauen Augen trafen meine und ich glaube, damals habe ich wirklich gedacht, dass ich niemals in meinem Leben etwas Schöneres als sie gesehen habe.» Rin hängt an meinen Lippen und ich bin dankbar, dass er mich nicht unterbricht oder irgendeinen dummen Spruch von sich gibt. Sonst müsste ich mir das mit der Faust im Gesicht nochmal überlegen.

Ich zünde eine weitere Kippe an. «Als Entschuldigung habe ich ihr natürlich einen neuen Drink besorgt und wir sind dabei ins Gespräch gekommen. Wir waren auf einer Wellenlänge. Redeten über Gott und die Welt und je länger der Abend dauerte, desto weniger wollte ich von dort weg. Von ihr weg.» Verständnisvoll nickt Rin. «Ich kann dich verstehen Bro. So geht es mir mit Annette. Die Liebe fragt nicht, wo sie hinmuss. Sie findet ihr Ziel auch so.» Oha! Warte mal! «Alter ich habe nichts von Liebe gesagt.», abwehrend hebe ich die Hände in die Luft. «Ich fand sie heiss, faszinierend ja. Aber ich war nicht verliebt. Bin es nicht. Keine Ahnung, wie man Liebe überhaupt buchstabiert. Also lass die Scheisse.» Die Kippe raucht sich mittlerweile von selbst und ich drücke sie zur anderen. «Wir haben uns einfach gut verstanden und ja, irgendwann nach einem weiteren Drink kamen wir uns näher. Zuerst war es nur ein Kuss, dann mehr und mehr.» Puh, wenn ich daran denke, wie sich Siana unter ihrem Kleid angefühlt hat, dann werde ich auf der Stelle wieder hart. Sie sah aus wie eine Göttin. Ihre blonde Mähne verteilte sich über ihre nackten Schultern. Ihre kleinen festen Titten und ihr perfekter Körper waren in ein pinkes Minikleid gehüllt. Sie war der Wahnsinn. Ist es immer noch. Sogar die Brille, die sie jetzt trägt, lässt ihre Schönheit nur noch mehr strahlen. Gott, ich höre mich wie ein verdammter Schnulzensänger an. Ich muss sofort damit aufhören.

Ich räuspere mich. «Als wir es uns dann auf einem der Sofas bequem gemacht und uns gegenseitig in Stimmung gebracht haben.», umschreibe ich die Tatsache, dass meine Finger tief in ihrer Muschi vergraben waren und sie mit ihrer kleinen Faust meinen Schwanz gepumpt hat. Es war sowas von heiss mit ihr. Mein mitgebrachtes Sakko lag über unserem Schoss und wir waren vor neugierigen Blicken geschützt. Doch die Gefahr, dass uns jemand zuschauen oder erwischen könnte, hat uns beide nur noch mehr eingeheizt. Bis…tja, bis sie die Notbremse gezogen hat. «Plötzlich war sie komisch und hat mich von sich weggestossen. Sie meinte ihr sei übel und sie müsse kurz aufs Klo.» Heute kann ich darüber lachen, aber damals hat es mich aus der Bahn geworfen. «Das Gefühl, dass ich etwas falsch gemacht habe, hat mich fast zerfressen. Nachdem sie nach einer Weile nicht zurückkam, ging ich ihr nach. Vor der Toilette standen mehrere Frauen und als die Türe aufging, kam jemand anderes raus. Sie war weg.» Ich schüttle den Kopf. Noch heute weiss ich nicht, was damals falsch gelaufen ist. «Ich habe die Frauen gefragt und ihnen Sianas Aussehen beschrieben, aber sie konnten sich nicht an sie erinnern. Bis ein Typ meinte, dass er sie vorhin bei der Haustüre gesehen hat. Sie sei gegangen.» Die ganze Zeit über hat Rin geschweigen. «Und das wars?», fragt er dann ungläubig.

«Ja, das wars. Sie war weg und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie finden konnte. Die Gastgeber kannten keine Siana, die als Model arbeitete. Und auch im Internet habe ich sie nicht gefunden. Weder Facebook noch Instagram noch sonst irgendeine Social Media Seite hat mir irgendwas von ihr preisgegeben. Sie war weg. Weg aus meinem Leben. Einfach so.» Ich schnippe mit den Fingern. Gott, das hört sich alles so verflucht traurig und kaputt an. Der beste Stoff für ein Drama. «Und jetzt ist sie hier.» Rin deutet nach draussen. Ja, jetzt ist sie hier. «Warum?», frage ich wohl eher zu mir selbst, doch Rin gibt mir eine Antwort. «So wie es scheint kennen sie und Ann sich schon seit Jahren. Und jetzt ist sie zu Besuch.»

Seit Jahren? Weiss Annette vielleicht von mir? Hat Siana ihr vielleicht erzählt was damals gelaufen ist? Fuck! Zu viele Fragen. Das wird mir alles ein bisschen zu viel. «Was rätst du mir?», wende ich mich wieder meinem Freund zu, der gerade aufgestanden ist, um sich noch einen Kaffee zu holen. «Keine Ahnung Mann. Ich meine, ich kenne sie nicht und kann die Sache zwischen euch nicht einschätzen. Du sagst, da sei nichts. Du seist drüber hinweg und überlässt sogar Mase das Zepter.» Sein Blick schweift zu mir. «Wenn du wissen willst, was damals war und sie dir was bedeutet, dann kämpfe darum.» Seine Worte brennen sich in meinen Kopf, in mein Herz. Könnte es ein uns geben? Gab es das überhaupt mal? «Doch wenn deine Worte wahr sind, und daran zweifle ich gerade extrem, und du nichts für sie empfindest, dann rate ich dir, gib sie frei. Lass sie und die Partynacht hinter dir. Gib Mase, was er begehrt.» Ts, Mase begehrt jede Schönheit mit langen Beinen. Aber egal. Rin hat recht. Es gibt Schwarz oder Weiss, kein Zwischengang. Kein Grau. Entweder, oder.

Fuck! Wenn das doch alles so einfach wäre, müsste ich mir jetzt nicht zum gefühlt hundertsten Mal die Haare raufen.

Lou

Die Wasseroberfläche glitzert im Schein der Sonne. Ich ziehe mir die Flip-Flops von den Füssen und setze mich an den Pool Rand, damit ich die Füsse in das kühle Nass tunken kann. Nach diesem nervtötenden Flug, diesem mehr als unerwarteten Wiedersehen mit Nate, habe ich eine kleine Abkühlung mehr als nötig. «Mh, tut das gut.», stöhne ich und lege meine Hände nach hinten, um mich abzustützen. Mein Kopf in den Nacken gelegt, geniesse ich für einen kurzen Moment die Stille, die mich umgibt. Ein paar Vögel zwitschern, das Wasser plätschert leicht gegen meine Beine. Herrlich.

Hinter mir raschelt es und als ich mein rechtes Auge einen spaltbreit öffne, entdecke ich Ann, wie sie ihr überdimensionales Bettlaken zusammenrafft und es sich auf einen der Liegestühle bequem macht.

Sie achtet peinlich genau darauf, dass ich nicht etwas zu sehen kriege, von dem wir beide wissen, dass ich es auch habe, nur in einer anderen Ausführung. «Du machst dich lächerlich.», sage ich ihr irgendwann und lächle sie amüsiert an. Ann lacht auf. «Ich weiss, aber irgendwie ist es mir peinlich, dass du mich so siehst. Ich meine, wir haben uns seit Wochen nicht gesehen und jetzt stehe ich da und trage nur das hier.» Mit einer Handbewegung zeigt sie auf den weissen Stoff. «Naja, es hätte schlimmer sein können. Du hättest nackt sein oder in einem Einhorn Kostüm auftauchen können. Das hätte mich dann an deiner psychischen Gesundheit zweifeln lassen.

Kein Erwachsener trägt ein Einhorn Kostüm verdammt.» Ich bringe sie zum Lachen und auch ich kann mein Grinsen nicht verstecken. Es ist schön sie wieder zu haben.

«Willst du mir erzählen, was das mit Nate soll? Woher kennst du ihn? Und warum nennt er dich Siana?», bohrt sie schon nach ein paar Minuten nach und ich atme hörbar aus. Ich wende meinen Blick von ihr ab, denn wenn ich lüge, dann kann ich ihr dabei nicht in die Augen sehen. «Es ist nichts. Wir haben uns vor ein paar Jahren bei einem Shooting getroffen. Haben geflirtet. Mehr nicht. Keine Ahnung, warum er mich so nennt. Vielleicht kann er sich nicht an meinen Namen erinnern.», wiegle ich alles ab, was mich mit Nate verbindet.

Mehr…es war nie mehr…oder? Nie, wirklich nie hätte ich ihn hier erwartet. «Ist er dein Stiefbruder?», will ich von Ann wissen, weil ich mir nur noch das vorstellen kann. Ich meine, dass Rin nicht ihr Bruder ist, ist wohl mehr als klar. So wie sich die beiden vorhin mit den Augen gegenseitig fast ausgezogen haben, fällt er definitiv raus. Und dass Mason Davenport eine Schwester hat, wäre sicher bereits überall in den Medien erschienen. Bleibt also nur noch Nate. Oder es laufen hier noch mehr Typen herum, die ich noch nicht zu Gesicht bekommen habe. Oh Mann, wenn sie mir doch schon vorher mal ein Bild geschickt hätte, dann…ja, was dann? Wäre ich weggeblieben oder wäre ich trotz allem wieder nach Denver gereist. Wie vor fünf Jahren? Das war im Nachhinein der grösste Fehler, den ich je hätte machen können. Ich verfluche mich tagtäglich dafür, dass ich auf dieser Party war und Nate in die Arme gelaufen bin. Gott, nicht mal seinen Nachnamen kannte ich und ich hatte meine Hand an seinem Schwanz. Seinem mehr als aussergewöhnlich grossen Schwanz…ach scheisse! Wenn ich könnte, würde ich jede einzelne Sekunde mit ihm in meinem Kopf auslöschen. Aber dieses Glück will mir einfach nicht zu Teil kommen. Ein Königreich für eine Amnesie. Shit!

Ann massiert sich sichtlich verkrampft die Finger und es knackst sogar ein paar Mal. «Ann?» Langsam macht sie mir Angst. Was hat sie hier alles getrieben? «Naja, er war nie wirklich mein Stiefbruder. Ich meine unsere Eltern waren nie verheiratet oder so. Verstehst du?» Warum ist sie jetzt plötzlich so verunsichert? Ich nicke. «Klar. Also bist du und Rin, seid ihr ein Paar?», frage ich weiter und versuche das Thema Nate für den Moment zur Seite zu schieben. Meine Kleine wird rot und sie beisst sich verklemmt auf die Unterlippe.

Diese Geste sagt wohl mehr als tausend Worte. «Ist es so offensichtlich?» Ihre Stimme ist so leise, dass ich sie kaum verstehe.

Gütiger Himmel, sie hat sich einen waschechten Adonis an die Muschi geklebt und stellt sich an die wie die Jungfrau Maria. Komm aus dir raus Girl. «Ihr habt euch vorhin dort in der Küche.» Mit dem Finger zeige ich nach drinnen. «Mit den Augen blickgevögelt. Wenn ihr allein gewesen wärt, dann hättet ihr es wahrscheinlich noch auf der Kücheninsel getrieben.» Sie sagt nichts dazu. Beisst sich weiterhin auf die Lippe und blickt sich nervös um. Warte mal… «Ahhh, du Luder.», schreie ich auf und halte mir sofort die Hand vor den Mund.

Muss ja nicht jeder in hundert Meilen Entfernung wissen, dass meine beste Freundin ein kleines Sexmonster ist. «Ihr habt es auf der Kücheninsel getrieben?», frage ich nochmal lachend nach, bis sie wortlos und mit knallrotem Kopf nickt. «Oh Gott, hoffentlich habt ihr danach sauber gemacht.», gebe ich zu bedenken und schüttle mich leicht, wenn ich an all die Flüssigkeiten denke, die sich dort versammelt haben könnten. «Halt die Klappe.», ärgert sie sich und ich schmunzle. «Da lässt man dich mal ein paar Wochen allein und schon mutierst du zu einer notgeilen Sexmaschine. Miss Clifford ich glaube wir müssen ein paar Worte miteinander wechseln.» Annette lacht wieder und es ist so ein schönes Geräusch, dass ich es mir jeden Tag anhören möchte.

«Heisst das, dass du nicht zurück nach Utah kommst?», frage ich und wir werden automatisch ernster. Dass Ann ihren Job verloren hat, hat sie mir bereits erzählt und ich könnte Roger dafür immer noch an den Eiern an irgendeinem Mast aufhängen. Er ist so ein verlogenes Stück Scheisse. Nur weil er bei ihr wortwörtlich nichts versenken konnte, spielt er die beleidigte Leberwurst und zerstört ihre Karriere. Typisch Mann. Wenn sie keinen Treffer landen können, bist du völlig uninteressant. Und genau deshalb habe ich keinen Bock auf irgendwas Festes. Alle Männer sind nur für eines gut…damit sie es dir richtig gut besorgen und dann wieder abhauen können. Für mehr ist ein Mann nicht geschaffen. Sie sind schwanzgesteuerte Arschlöcher.

Allen voran Nate Royce. Ja, den Nachnamen habe ich auf der Türklingel gesehen. Ich hasse ihn wie die Pest. Aber scheiss drauf, scheiss auf ihn. Es geht hier nicht um mich, sondern um Annette. Die ich gerade an einen solchen Schwanzträger verliere. Ich gönne es ihr von Herzen, wenn sie sich verliebt hat und die Welt für einen Moment mit einer rosa Brille sieht. Aber auch hier wird die Realität irgendwann zuschlagen und sie wieder herunterholen. Und es wird verdammt schmerzhaft sein, wenn es so weit ist.

«Nein, ich werde nicht nach Utah zurückkommen.», eröffnet sie mir dann die bittere Wahrheit, die ich eigentlich nicht hören wollte. Mein Hirn fängt an zu arbeiten und ich stelle mir mein Leben ohne meine beste Freundin vor, die ich jederzeit besuchen kann. Die ich jeden Tag sehe oder höre. Sie wird meilenweit von mir entfernt leben. Gott, wann bin ich denn so sentimental geworden? Es geht gar nicht anders, ich kann meine Tränen nicht zurückhalten. Warm lösen sie sich aus meinen Augenwinkeln und laufen mir die Wangen herunter.

«Oh Mann.», hauche ich und ziehe mir die Brille von der Nase, damit ich mir das Gesicht mit dem Handrücken trocken tupfen kann. Ann macht Anstalten aufzustehen und zu mir zu kommen, aber ich halte sie mit erhobener Hand auf. Wenn sie mich jetzt in die Arme nimmt und versucht mich zu trösten, dann brechen alle Dämme. Und die Blösse, dass ich hier heulend zusammenfalle, kann und will ich mir nicht geben. «Gib mir nur ein paar Minuten, damit ich das verdauen kann, ja? Damit habe ich nicht gerechnet, als ich hierher geflogen bin.», gebe ich zu und schniefe mit der Nase. Reizend. Ich wische die Make-Up Reste vom Gesicht und schiebe mir die Brille wieder zurück auf die Nase, wo sie hingehört. Tagsüber trage ich normalerwiese Kontaktlinsen, da ich sonst blind, wie ein Maulwurf wäre. Aber bei der Arbeit und wenn ich länger unterwegs bin, dann geht nichts über die beiden verstärkten Gläser, die meine Welt bunter machen. «Ich weiss. Es tut mir leid. Ich hätte mit dir reden und dir alles erzählen sollen.» Ja das hätte sie. Aber ich will ihr jetzt kein schlechtes Gewissen machen. Dafür bin ich noch weniger hergekommen. «Okay, lassen wir das für einen Moment so stehen und du erzählst mir einfach, was in den letzten Wochen hier alles los war.», schlage ich vor und versuche mich an einem Lächeln, welches wohl eher wie eine Grimasse aussieht.

Annette kennt mich schon so lange, dass sie die Unsicherheit und Enttäuschung wie eine Leuchtreklame von meiner Stirn ablesen kann.

Doch bin ich froh, dass sie für den Augenblick nicht näher darauf eingeht. «Okay Deal. Aber bevor ich dir von meiner Achterbahnfahrt hier erzähle, muss ich mich erst mal umziehen.» Sie sieht an sich herunter und ich grinse. Dass sie nur ein Bettlaken trägt, verrät mir wieder, was sie letzte Nacht oder gerade heute Morgen noch getrieben haben muss. Vorwurfsvoll schüttle ich den Kopf und schnalze mit der Zunge: «Und mir wirfts du immer vor, dass ich unersättlich bin. Halt dir mal den Spiegel vors Gesicht du kleines Playmate.» Wir grinsen beide, als ich aufstehe und sie an den Händen nach oben ziehe, damit ich sie fest in meine Arme nehmen kann.

«Danke, dass du da bist.», flüstert sie gegen meine Schulter und ich drücke sie noch fester. «Immer meine Süsse.» Und das ist nicht gelogen. Ich bin immer für sie da, egal wo sie sein mag. Ob in Utah oder hier in Colorado. Nichts würde mich von ihr abhalten. Nicht mal der Wichser Royce. Gott, der Gedanke, dass er sich nur ein paar Meter von mir entfernt befindet, lässt mich erschaudern und mir wird leicht übel. Den Kloss im Hals herunterschluckend, löse ich mich von ihr und schiebe ihr eine lose Haarsträhne hinters Ohr.

«Los komm. Zeig mir dein Zimmer und dann machen wir uns einen Mädels Tag.» Ich zwinkere und ihre Miene erhellt sich. Genau so will ich sie jeden Tag sehen. Dieser Rin scheint ihr gutzutun. Während der Zeit mit Trevor habe ich sie nie so strahlen sehen. Sieht aus, als würde er sie mehr als gut behandeln. Besser für ihn, den sonst bekäme er es mit mir zu tun.

Annette rafft die Enden des Lakens zusammen und wir gehen nebeneinander zurück in die Küche. Gibt es hier keinen anderen Zugang von der Terrasse ins Haus? Natürlich stehen die Jungs, naja, zwei davon, immer noch hier rum und tun so, als würden sie an ihrem Kaffee schlürfen. Rin trinkt ihn wirklich, aber bei Nate bin ich mir nicht so sicher. Stattdessen qualmt er eine Kippe und bläst den Rauch gegen die Decke. Warum zum Teufel nochmal muss er so verdammt gut aussehen? Seine blonden Haare sind immer noch verwuschelt, sein Kinn ist wie in Stein gemeisselt und sein Körper.

Gott, könnte ihm bitte jemand ein Shirt bringen? Hoffentlich läuft er nicht den ganzen Tag so rum, das wäre sehr kontraproduktiv für meine Mordgedanken ihm gegenüber. «Alles okay?», fragt Rin an Ann gewandt und legt seinen muskulösen Arm um ihre zierliche Gestalt. Sie schmiegt sich an seine Seite und ja, ich werde für einen kurzen Augenblick eifersüchtig. Genau das wollte ich auch für mich.

Ein Mann an meiner Seite, der mich liebt, wie ich nun mal bin, mit all meinen Ecken und Kanten. Der zu mir steht, wenn es hart auf hart kommt. Der mich so ansieht, wie es Rin gerade mit Ann macht. Sogar ich schmelze beinahe dahin, wenn ich den beiden zusehe. Ja, das wollte ich…vor Jahren…bevor Nate Royce in mein Leben getreten ist und es unweigerlich für immer zerstört hat.

Annette flüstert Rin was zu und ich wende meinen Blick ab, um ihnen diesen intimen Moment zu geben. Tja, statt dass ich einfach die Vase, die auf der Fensterbank steht, bestaune, sehe ich direkt in zwei eisblaue Augen. Nate starrt mich offen an und drückt dabei seine Kippe im Aschenbecher aus. Sieht aus, als hätte er heute Morgen schon ein paar Glimmstängel durch. Drei zähle ich inklusive diesem, der gerade noch dazu kommt. «Dir ist schon klar, dass dich der Scheiss irgendwann umbringen wird.», gebe ich zu bedenken und frage mich, welcher Teufel mich gerade geritten hat, dass ich mit ihm rede. Spinne ich jetzt völlig? Oder liegt es an der Luft hier in Denver?

Ist sie zu frisch? Oder hat Mister Royce sie mit Drogen bespickt?

Zuzutrauen wäre es ihm ja.

Sein überhebliches Grinsen lässt mir die Haare zu Berg stehen und zwischen meinen Beinen wird es verdammt heiss. Fuck! «Machst du dir etwa Sorgen um mich?», fragt er und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Himmel!