Sasel, Geschichte eines Außenlagers - Harald Birgfeld - E-Book

Sasel, Geschichte eines Außenlagers E-Book

Harald Birgfeld

0,0
5,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im vorliegenden Band wird auf 140 Seiten in Anlehnung an Geschichte eines Außenlagers KZ Sasel der Hamburger Behörde für Schule, 1982, nacherzählt, was sich im KZ Sasel in den letzten Kriegsjahren ereignet hat. Es ist wichtig, insbesondere der Jugend, immer wieder darüber zu berichten. Nichts davon darf in Vergessenheit geraten! Das Vers-Epos scheint eine dauerhafte Fassung zu sein. Der vorliegende Band ist im Laufe von Jahren mit vielen Gesprächen, Recherchen und Rückfragen entstanden. 2014 war die erste scheinbar endgültige Fassung fertig, dann hat der Autor aber Überarbeitungen und vor allen Dingen lektorische Korrekturen vorgenommen. Jetzt, 2020, möchte der Autor den Text der Öffentlichkeit endgültig vorstellen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 113

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALTSVERZEICHNIS

Erster Tag

Frau U., die Lehrerin

Sie leben in Ansorge

Am Zaun kommt man nicht weiter

Frau B. erzählt

Ganz benommen steht die Jugend

Von Frau K., die mischt sich ein

Voller Angst und Sorge war Frau I.

Herr N. erinnert sich genau

Nun erreicht die Jugend ein Gespräch

Den Steinen

Von Frau D. erhielt man einen Brief

Nach dem Lager

Die Steine

Dieses ist das Bild

Die Jugend steht am Zaun

Die Jugend war nun aufmerksam geworden

Es kommt nun eine Frau

Es war ein Tag

Heute ist der zweite Tag

Interview mit dem Paar F.

Es kommt ein Jugendlicher

Das Ende dieses Krieges

Unter denen auf der andren Seite

Von Herrn N. erfuhren die

Die Jugendlichen kennen heute

Von einem, der zusammenfassen möchte

Nun Frau E.

Die Jugendlichen hatten sich

Frau U. ist eine Lehrerin

Frau U. ist sehr bewegt

Es entbrennt nun eine Diskussion

Die Jugendlichen und die anderen

Der dritte Tag beginnt

Das war aus den Erinnerungen des Herrn D.

Es geht nun um den Spruch der Steine

Aus einem andren Protokoll

Ein andres Schriftstück

Hier in Sasel

Ein Ehepaar berichtete

Es gibt ein Protokoll

Nun kommen noch zwei Protokolle

So berichtet auch Herr J.

So vergeht der dritte Tag

Heute ist der vierte Tag

Erstes Anti-, erstes Nicht-Nichtprotokoll

Zweites Anti-, zweites Nicht-Nichtprotokoll

Drittes Anti-, drittes Nicht-Nichtprotokoll

Viertes Anti-, viertes Nicht-Nichtprotokoll

Fünftes Anti-, fünftes Nicht-Nichtprotokoll

Sechstes Anti-, sechstes Nicht-Nichtprotokoll

Allen wurde neu die Bergstedt- Totenliste vorgelesen

Erstes Überprotokoll

Zweites Überprotokoll

Drittes Überprotokoll

Viertes Überprotokoll

Fünftes Überprotokoll

Sechstes Überprotokoll

Siebtes Überprotokoll

Achtes Überprotokoll

Neuntes Überprotokoll

Letztes Überprotokoll

Der vierte Tag

Der zweite Brief kommt von Herrn X.

Der dritte Brief stammt von dem Propst H.P.

Die Jugendlichen sind nun aufgerufen

Mit den Gesprächen

Fünfter Tag

Das Ghetto

Getrennt von der Familie

Frau I. fährt fort

Plötzlich wurde Lodz

Sie verließen schnell den „Raum der Säuberung"

Morgens breitete sich Panik aus

Frau I. kam in ein andres Lager

In Sasel angekommen

Hamburg wurde ausgebombt

Einmal übersahen die Bewacher etwas

Eines Tages kam ein Arzt in Uniform

Die Schalen der Kartoffeln aus dem Lager

Frau I. weiß wenig über Selektionen

Die Bevölkerung

Sechster Tag

Am siebten Tag beginnt das Heute wieder

Weitere Veröffentlichungen

Erster Tag

Frau U., die Lehrerin

Steht auch am Zaun,

Und die Gespräche gehen durcheinander,

Sie berichtet aus der Zeit,

Das ist die Zeit, von der wird hier berichtet,

Als die tausend Jahre

Sich schon zu dem Ende neigten,

Und das tiefe Schwarz

Der Winzigpunkte schwarzer Hemden,

Die einst ineinander liefen,

Sich im Raster wieder aufzulösen schienen,

„Damals“, sagt sie, „hatte ich die Wahl

Und hatte keine Wahl

Und hatte längst gewählt

Und war ein junges Mädchen,

Das versteckte seine Reize ordentlich,

Und meine Wahl galt nicht,

Und eine andre Wahl in meinem Herzen

Durfte ich nicht einmal mit dem Mund berühren.

Ich war noch im Studium,

Da fragte mich ein Schwarzhemd mit dem Rutenbündel,

Und es war sehr freundlich,

Und es war ein Mann.

Ich hatte oft von dem Versteck

In seinem Arm gehört

Und wählte aus der Wahl, die er mir gab:

Die war das Kettenwerk der Munitionsfabrik

Am Bahnhof Ochsenzoll,

Um Kriegseinsatz zu leisten,

Und ich brauchte so nicht in den Krieg,

Und andrerseits als Schaffnerin

Auf einer Straßenbahn,

Die hatte keinen Bunker,

Und ich würde meine Angst spazieren fahren.

Und ich ging mit anderen in die Fabrik,

Dort hatte man die Angst vor uns,

Weil wir noch gar nichts wussten,

Und man lehrte uns

Die Hände zu gebrauchen,

Und das, was wir selber hätten lehren können,

Zu vergessen,

Und wir lernten schnell

Und produzierten endlich

Hülsen für Granaten".

Andrerseits vom Zaun

Erinnert sich die Jugend nicht.

Sie wurde nie getötet,

Nie befreit,

Sie wurde nie beraubt,

Beplündert mit Gesetz und Ordnung,

Und man wird noch viel, viel schreiben müssen,

Um am Ende nichts zu schreiben,

Weil man's dann versteht

Und endlich kennenlernt

Und das Erkennen lernt.

Frau U. berichtet später über diese Angelegenheit,

Die sie betraf,

Noch ganz ausführlich,

Und es ist nicht nur die Angelegenheit,

Die sie betraf.

Sie leben in Ansorge

Und in einem Garten,

Der erlaubt nur junge Menschen,

Lebten fast in einem Paradies,

Wenn sie nicht wüssten, was hier vorher war.

Auch haben sie es nicht gelernt

Sich gegenseitig zu vermissen,

Weil sie, gänzlich ohne alle Sorgen,

Niemals umeinander Sorge hatten finden können,

Ja, sie möchten sich vermissen lernen.

Und ihr Heim liegt mitten in der grünen Landschaft,

Die ist gar nicht grün für sie,

Weil sie das tote Grau des Grauens

Überhaupt nicht kennen,

Und sie leben in dem Alstertal

Und gehen an den Gartenzaun

Und horchen auf die Steine

Und auf die Gespräche dieser Steine,

Die befinden sich noch

In dem ersten Echo,

Sind noch nicht so alt,

Man kann sie gut vernehmen,

Und die jungen Menschen schreiben alles in der Eile auf,

Die kommt nun fast zu spät

Und rettet doch noch alles,

Was sich schon auf das Vergessen werden vorbereitete.

Die Hast von damals taucht vor ihnen auf,

Und wo sie stehen,

Stand zuvor ein Lager,

Das war aufgestanden

Und zerfallen bis auf einen Rest

Und einen Stein, der wurd' behauen

Und ist nass von immer neuen Tränen,

Und er ist so grau,

Dass man das Grün um ihn herum erkennen kann.

Das alles steht am Zaun von Sasel,

Darin liegt das Alstertal,

Das ist nichts weiter als Geschichte,

Die man vor dem Untergang

Noch schnell befragt,

Und so viel weiß man noch genau,

Das Grau, von dem sie sprachen,

Wird sich schrecklich

Mit dem Rot vermischen,

Dass man auf das Grün,

Um dessentwillen man mit Steinen spricht,

Wird kaum noch hoffen können.

Die, die leben

Und die überlebten

Werden an den Zaun gerufen und befragt.

Sie geben gleich als erstes

Eine Totenliste ab,

Die haben sie in Bergstedt

Unter einem Stein gefunden,

Und sie wird lebendig

Ohne einen Gruß zu übermitteln.

Keiner kann sich dem Bericht entziehen,

Keiner der dort spricht

Vermag mit seinem wahren Namen

Wahre Namen aufzusagen,

Und man kürzt sie alle ab.

Es spricht Frau I., Herr X., Frau H.,

Und Bilder die man machen möchte,

Werden nicht belichtet,

Das ist schrecklich wahr,

Weil eine wahre Sonne ihnen,

Nach nun fünfzig Jahren

Der Geburt der Schwarzhelmtyrannei,

Noch nicht zu scheinen scheint.

Von keiner Seite wirft man einen Stein,

Es steht ja auch der Zaun dazwischen,

Und die einen sind zu jung,

Die anderen vielleicht zu müde,

Und das Steine werfen, sieht man ein,

Trifft ausnahmslos die Falschen,

Und sich selbst bewirft man nicht,

Und Spiegel stellte keiner auf.

Die jungen Leute haben eine Amtsperson,

Die übersetzt die Steingespräche,

Das ist aus Liszkowski in die Gegenwart.

Und sie diktiert aus den Gesprächen

Von dem Tage der Geburt,

Die war vor fünfzig Jahren.

Die Geburt war eine Sonnenfinsternis,

Die fing mit einer Sonnwendfeier an

Und ließ die Feuerräder von den Bergen laufen.

Damals staunten viele über diese Wende.

Wenige von ihnen waren später

Noch als Zeugen zu befragen

Wie Herr X., Frau I., Frau H.

Die gaben auch nur von dem Ende

Den Bericht.

Vor fünfzig Jahren hatten die,

Die in der Krippe lagen,

Sich als Wunder der Natur allein gezeugt,

Allein aus sich heraus geboren,

Sich allein genährt,

Dann in der Folge rascher Dieberei

Die Brüste junger Mütter andrer Kinder

Ausgetrunken und sie, wenn die Mütter schrien,

Gezwungen sie zu säugen,

Bis zu deren Tod,

Und tranken auch die Muttermilch,

Wenn sie nicht mehr zu trinken war.

Sie wählten sich alleine aus

Und hatten sich ein Zeichen ausgewählt,

Das war die Axt,

Die trugen sie versteckt im Rutenbündel,

Das entdeckten die, die auf sie trafen,

Viel zu spät.

Die anderen entdeckten nichts

Und sahen nicht in das Versteck.

Die Ausgewählten kamen schon bekleidet auf die Welt

Und trugen unter ihrer Haut

Die schwarzen Hemden,

Als ein Fruchtbarkeitssymbol,

Das legten sie nie ab,

Das war ein Panzer, der das Überleben

Garantieren sollte,

Und der die Verbreitung sicherte,

Und ihren Fortbestand.

Den planten sie sofort

Auf über tausend Jahre.

Am Zaun kommt man nicht weiter,

Und man fragt nun in die Steine.

Steine kann man nicht befragen,

Und man muss auf die Gespräche lauschen,

Die sie miteinander führen,

Und für Steine, die hier liegen,

Gibt es neben ihren Urgesprächen,

Auch die frischen Narben.

Für den Stein sind tausend Jahre gar nichts,

Und sie lachten,

Als sie von den schwarzen Hemden hörten,

Die an tausend Jahre dachten.

Aus den Steinen nimmt die Jugend den Bericht,

Den muss sie von den Urgesprächen trennen

Und dann übersetzen lassen,

Und er wird verlesen:

„Wir, die Steine, lagen nahe beieinander,

Und wir lagen an dem Türeingang der Villa,

Und wir hörten alles.

In der Villa lebten neben den Bewachern

Auch die schwarzen Hemden,

Die mit eignen Schwarzhemdfrauen schliefen.

Über den Bewachern wohnten ihre Wachen

Und drei Könige, Herr P., Herr T., Herr T.,

Und täglich zogen sie zu den Baracken

Hinter einem Stacheldraht,

Ein Aufenthalt für fünf mal hundert Frauen,

Um sich abzulösen.

Und die Insassinnen dort

Belebten, nicht bewohnten,

Und bestarben sechs Baracken.

Einmal lag auf einem Stein, auf uns,

Ein Schwarzpapier,

Das kam von dem Kommando Neuengamme,

Und die Insassinnen, hätten Heime zu errichten,

Heime für die Not,

Die breitete sich aus,

Und Arbeit in der Ziegelei zu machen

Und die Trümmer zu beseitigen;

Sie selbst, so schrieb man,

Seien in dem Falle ihres Todes zu beseitigen,

Und die Bevölkerung,

Die lebte gar nicht weit entfernt,

Sei streng von ihnen abzuschnüren,

Und man drohte ihr und ihnen

Harte Strafen an.

Das Lager",

Wussten diese Steine zu berichten,

„Nahm im späten Sommer, erstmals im

August des Jahres '44,

Und es war der letzte

Dieses Tausendjahrereiches,

Seine Menschen auf

Und war kein Arbeitslager,

Und im Wonnemonat Mai darauf,

Der konnte keinem mehr

Ein Wonnemonat sein

Und wurde doch zur Wonne dieser Tage,

Wieder abgerissen

Und dem Boden gleichgemacht.

In dieser Zeit errichteten die Insassinnen

Überall in Sasel kleine Plattenhäuser,

Davon steht noch heute eins".

Die Steine sprechen dann von einem Lageplan,

Den hätte man gezeichnet,

Und man fand ihn in den Protokollen,

Wo er durchgestrichen war.

Die Totenliste gab es nirgends in den Protokollen,

Und sie hatte fünfunddreißig Namen,

Und die Steine wissen nichts davon

Und sprechen sich nicht weiter aus.

Es gilt sich zu erinnern,

Ohne sich noch zu erinnern,

Und die Jugend weiß nicht,

Dass man das Vergessen wollen kann.

Man weiß nun von dem Lager,

Darin lagerte man Menschen in Baracken,

Und das Ende dieses Krieges stand bevor,

Das wusste keiner,

Und die meisten hofften es,

Und die in schwarzen Hemden

Fürchteten den Tag.

Frau B. erzählt,

Und sie berichtet viel.

Die Jugend fragt in ihr Gewissen,

Und sie spricht von ihrem Wissen,

Und was sie von allem wusste,

Und was die Bevölkerung gewusst,

Gesagt, getan hat.

Sie kennt sich noch gut in Einzelheiten aus

Und meint die Einzelheiten nicht,

Sie meint die Glieder einer schlimmen Kette.

Damals hatten sie dort draußen

Auf den Feldern Licht entdeckt,

Das war verboten

Und war hier erlaubt.

Man sprach davon mit vorgehaltner Hand.

Am Tage mussten Frauen, die von dorther kamen,

„Plattenbüttel" bauen,

Das war eine Unterkunft für Menschen,

Die nicht unterkamen.

Diese Frauen durften nicht dahin.

Ihr Mann, erzählt Frau B.,

Trug früher die Geschehen

Auf dem Friedhof Bergstedt's

In ein Grabbuch ein,

Nun spielte er nur noch die Orgel,

Und er fand ein langes großes Grab,

Das war frisch ausgehoben

Und mit Stroh gefüllt,

Darinnen lagen nackte Frauenleichen,

Und er wusste ihre Anzahl nicht,

Sie waren nur noch Haut und Knochen,

Und die Köpfe waren kahl geschoren,

Und das Grab lag an der Friedhofswand,

Das war die Wand zum Gasthof:

„Zu der Linde".

Und er dachte,

Was bleibt einem Menschen,

Wenn man ihm die Haare raubt.

Man sprach nun wieder in die Hand,

Dass davon eine wie die andren Jüdin wär',

Die wurden selbst der Ruhe

In dem Grab beraubt

Und später nächtlich wieder

Ausgegraben.

Für die Ruhelosen gab es keine Ruhe,

Und man hatte sie in einen Tod gejagt

Und jagte sie noch nach dem Tod

In einen neuen Tod

Und wieder aus dem Grab.

Man konnte ihren Weg nicht mehr

Verfolgen.

Ganz benommen steht die Jugend,

Und sie will es ja mit eignen Ohren hören,

Und Frau E. fällt hier ins Wort,

Sie weiß noch mehr.

Das Lager hatte unweit ihrer Gartengrenze

Seine Grenzen aufgepflockt,

Die Frauen waren aus Rumänien

Und aus Frankreich

Und sie waren strafgefangen,

Und sie hatte Äpfel in den Korb gelegt,

Dann in den Weg,

Und Brot im Busch versteckt.

Man hatte wenig heimlich mitgenommen,

Und nachher,

Als man die schwarzen Hemden

Auf der Leine sah

Und sich die Freude noch nicht traute,

Waren sieben von den Frauen

In ihr Haus gekommen,

Um sich zu bedanken,

Und sie gab danach noch Kleider ab,

Die waren weder schwarz, noch rot, noch braun,

Nur eines hatte sie für sich behalten,

Und es sprach sie eine an,

Die sprach die Sprache,

Und sie hatte ihre goldnen Zähne noch im Mund,

Sie sei Französin,

Und sie hätte in Paris,

In ihrer Heimat, ein Geschäft gehabt

Und schwor nun tausend Eide,

Ihr die Dankbarkeit zu zeigen,

Und sie hatte Wort gehalten