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Dieses E-Book entspricht 248 Taschenbuchseiten ... Hildburghausen Anfang des 19. Jahrhunderts: Die zwanzigjährige Celina ist verzweifelt. Aufgrund finanzieller Probleme sowie der Spielsucht ihres Vaters muss sie sich - entgegen ihrer ursprünglichen Pläne - einen Ehemann suchen. Als Celina auf einem Ball von einem aufdringlichen Verehrer beinahe vergewaltigt wird, flieht sie in den Wald und stößt auf die mysteriöse Sophia. Sie und ihr Gefährte Morelle führen ein sehr zurückgezogenes Leben in einem Schloss und werden von den Leuten »Dunkelgraf« und »Dunkelgräfin« genannt. Trotz ihrer Skepsis tritt Celina eine Stelle als Gesellschafterin bei ihnen an und merkt ziemlich schnell, worauf sie sich eingelassen hat. Denn Sophia und Morelle führen sie schamlos in die Geheimnisse der Unterwerfung sowie der außergewöhnlichen Genüsse ein. Sie sind aber nicht die Einzigen, die ein Geheimnis hüten ... Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.
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Seitenzahl: 330
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Impressum:
Schloss der dunklen Leidenschaft | Erotischer SM-Roman
von Angelique Corse
Schon von Kindesbeinen an galt Angeliques größte Leidenschaft dem Schreiben. 2015 begann sie, unter verschiedenen Pseudonymen vielseitige Werke zu veröffentlichen. Mit „Sünde in Schwarz“ legt sie ihr Debüt im Erotik-Genre vor.Was für sie den Reiz an SM-Erotika ausmacht? „Der Kontrollverlust und die absolute Hingabe. Außerdem das Verruchte, Verbotene.“
Lektorat: Marie Gerlich
Originalausgabe
© 2019 by blue panther books, Hamburg
All rights reserved
Cover: © conrado @ shutterstock.com © ArtOfPhotos @ shutterstock.com © mRGB @ shutterstock.com
Umschlaggestaltung: MT Design
ISBN 9783862779772
www.blue-panther-books.de
Prolog
Als sie es wagte, zurückzuschauen, war der Himmel sepiafarben erleuchtet. Obwohl die Kutsche zweifellos schon einige Hundert Meter gefahren war, waren die Flammen, denen das imposante Anwesen zum Opfer fiel, immer noch sichtbar. Die triumphierenden Jubelschreie der Menschen dröhnten in ihren Ohren und schmerzten fast mehr als die Schläge, die sie hatte ertragen müssen.
Stumme Tränen rannen über ihre Wangen. Hier im Schutz der Wälder hatte sie ein Zuhause gefunden. Einen Ort, der nicht nur beiläufig so genannt wurde, sondern an dem ihre Seele sich wirklich heimisch fühlte.
Ihre Augen blickten durch die milchigen Glasfenster. Die Bäume huschten regelrecht an ihnen vorbei, schneller und schneller, als wollten sie dem Gefährt nachwinken.
Die junge Frau holte tief Luft. Obwohl die Bedrohung immer weiter hinter ihr zurückblieb, schlug ihr Herz ein paar Takte schneller. Wie in Trance starrte sie auf ihre Handflächen, an denen Rußspuren vom Feuer und das Blut eines Menschen klebten. Für niemanden sichtbar und trotzdem da.
Ein Schluchzen erstarb in ihrer Kehle, und jenes Zittern, geboren aus Schuldgefühlen und mentaler Belastung, ließ ihren schmalen Leib für einige kurze Augenblicke erbeben.
»Fürchte dich nicht!« Die melodiöse weibliche Stimme ließ sie zusammenzucken und gleichzeitig lächeln. Eine Hand im Samthandschuh legte sich in die ihre und die junge Frau wandte den Kopf nach rechts. Ihre Schönheit raubte ihr jedes Mal den Atem. Obwohl zweifellos menschlich, schien sie zeitlos und vor allem auf eine bestimmte Art und Weise unberührbar. Nicht einmal die Todesgefahr der letzten Stunden und ihre übereilte Flucht ins Ungewisse hatten ihr etwas anhaben können. Andere Frauen würden vor Missgunst die Nase rümpfen, doch sie empfand nur eine tiefe Zärtlichkeit. Und jede winzige Geste zeigte ihr, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte.
Wieder zog sie die Luft ein, ihre Gedanken drehten sich wie ein Wirbelsturm. Wie viel Zeit war vergangen, seit ihr Leben sich so radikal verändert hatte? Es schien fast, als hätte sie ihr altes Ich abgestreift wie die Schlange ihre Haut. Es hatte einige Mühe gekostet, die Fesseln der gesellschaftlichen Konventionen, in die sie hineingeboren und in denen sie aufgewachsen war, zu zerbrechen. Aber die Belohnung in Form von sexueller Wonne und unendlicher Freuden glich alles aus.
Bei den Eltern und ihrem auferlegten Zwangskorsett wäre sie auf Dauer unglücklich geworden. Sogar jetzt ließ die Vorstellung sie das Gesicht verziehen. Nun konnte sie Dinge tun, die bei Frauen aus Gründen der Schicklichkeit verpönt waren.
Doch zu welchem Preis? Wenn sie sich nicht entschieden hätte zu bleiben, hätten ihre Geliebten nicht alles verloren. Eisige Schuldgefühle stiegen empor und ließen ihre Augen feucht werden.
»Weine nicht.« Selbst in dieser Situation jagte seine Stimme ihr einen Schauer über den Rücken. »Es war nicht dein Fehler, hörst du?«
»Aber …« Ihr Protest war schwach – wie immer, wenn er mit ihr sprach oder sie auch nur anschaute. Es überraschte die junge Frau im Allgemeinen, dass ihre Geliebten angesichts der gefährlichen Lage so ruhig und gelassen blieben. Hatten sie keine Angst? Nein. Vermutlich gehörten Flucht und Verlust so sehr zu ihrem Leben, das sich eine Art Gewohnheit eingestellt hatte.
»Was ich dich fragen will«, setzte er an und schien sie mit seinem Blick regelrecht zu fesseln, »bereust du deinen Entschluss?«
Bestimmt schüttelte die junge Frau den Kopf. »Nein, ich bereue nichts.«
»Mach dir keine Sorgen. Wir schaffen das.«
Alle drei schmiegten sich aneinander.
Kapitel 1
Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Normalerweise hätte Celina sich für ein derartiges Verhalten geschämt, aber heute Abend war sie schlicht zu wütend, um solche Empfindungen zuzulassen. Ihr Schmuck erfuhr dieselbe Behandlung. Obwohl es sich dabei um teure Erbstücke ihrer Urgroßmutter handelte, riss sie die Kette und den Ring unsanft von Hals und Finger und warf alles in die nächstbeste Ecke. Ob der Schmuck dadurch kaputtginge oder nicht, spielte für Celina im Augenblick keine Rolle. Ihre Sinne waren einzig und allein von Zorn beherrscht. Halb ausgezogen setzte sie sich auf ihr Bett, ballte die Hände zu Fäusten und schlug auf die Matratze ein.
Wie konnten ihre Eltern nur so etwas Hinterlistiges tun? Sie schüttelte erbost den Kopf. Ihr Verhalten reichte weit über ihren persönlichen Horizont hinaus und war mit Intelligenz nicht zu verstehen. Vielleicht brauchte man dafür eher Stumpfsinn, Abgebrühtheit oder auch Gier. Selbstverständlich wusste sie, dass es mit dem Geld ihrer Familie nicht zum Besten stand, obwohl darüber so gut wie möglich geschwiegen wurde. Aber Celina war kein kleines Mädchen mehr, sondern eine junge Frau von zwanzig Jahren und nebenbei mit Scharfsinn gesegnet. Es war schwierig, ihrer Neugierde auszuweichen oder sie mit undurchsichtigen Erklärungen abzuspeisen, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter.
Celinas Wut schwoll erneut an. Sie presste die Lippen zusammen, um sich zu beruhigen, was jedoch nur begrenzt half. Warum zum Teufel sollte Celina sich für ihre Eltern oder vielmehr für die Sünden ihres Vaters opfern? Schließlich war es nicht ihre Schuld, dass sich die Weltordnung in den dreißig Jahren seit der Französischen Revolution grundlegend verändert hatte.
Die Hoffnung wohlhabender Familien, dass nach dem »kurzen Sturm« wieder alles seinen gewohnten Gang gehen würde, hatte sich nicht erfüllt. Im Gegenteil – die einfachen Leute bekamen Rechte, die sie verbissen und notfalls mit juristischer Gewalt durchsetzten. Für die reichen Familienclans, von denen sich nicht wenige noch immer als Stellvertreter Gottes auf Erden sahen, war es keine einfache Situation. Sie hatten ihren Status verloren und würden ihn in diesem Leben nicht mehr zurückerhalten.
Nur einige wenige, die Celina insgeheim bewunderte, trugen die neuartige Lage mit Fassung und versuchten, durch Gespräche Kompromisse mit ihren Arbeitern und Bauern zu finden. Was nicht selten funktionierte. Andere wiederum – und dafür war ihr Vater ein hervorragendes Beispiel – zerbrachen an der vermeintlichen Bürde, nicht länger Herrscher zu sein, und suchten Ablenkung in allen möglichen Dingen.
Alvin von Großmut hatte, zum Verdruss von Celina und ihrer Mutter, das Glücksspiel gewählt und war diesem mehr und mehr verfallen. Alle Versuche, ihn durch Gespräche oder Argumente zur Vernunft zu bringen, scheiterten kläglich und endeten oft in erbittertem Streit. Manchmal beschlich Celina auch der Verdacht, dass ihr Vater die Mutter schlug, wenn er zu tief ins Weinglas geschaut hatte. Bei Celina selbst hatte er Derartiges zum Glück noch nicht versucht.
Celina hasste ihn aus tiefstem Herzen dafür, dass er sich einem fatalen Laster hingab und infolgedessen die ganze Familie tyrannisierte. Vor allem jedoch, weil er das durch Erbschaft und geschickte Anlagen mühsam zusammengesparte Vermögen, das ihnen in diesen unsicheren Zeiten noch einen gewissen Wohlstand sicherte, nach und nach verschwenderisch ausgab. Wie Sand rieselte es zwischen seinen Fingern hindurch und Alvin von Großmut tat nichts, um das drohende Unglück abzuwenden. Celina ballte die Hände zu Fäusten. Sie konnte sich noch sehr gut an jenen Augenblick erinnern, an dem ihre Mutter mit sorgenvollem Gesicht in ihr Zimmer gekommen war.
Normalerweise mochte Celina es nicht, wenn jemand ohne Warnung ihr kleines Reich betrat, auch weil sie gerade noch eines der verbotenen Bücher hatte verstecken können. Doch ein kurzer Blick in die Augen ihrer Mutter hatte ausgereicht, um zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Obwohl sie erst fünfundvierzig Jahre alt war, hatte Caroline von Großmut schwerfällig wie eine alte Frau in einem der Sessel Platz genommen.
Celina musterte ihre Mutter unruhig. Täuschte sie sich oder bildeten sich erste Fältchen um die blaugrauen Augen? Normalerweise strotzte sie vor Kraft und Lebensfreude. Warum hatte dieser Zustand sich so schlagartig geändert? Was war geschehen?
Caroline schien die Gedanken ihrer Tochter zu hören und räusperte sich, ehe sie Celina bat, sich ihr gegenüberzusetzen. Celina gehorchte mechanisch, die Spannung ließ ihr den Atem stocken. Zum ersten Mal erzählte Caroline ihr die ganze bittere Wahrheit, ohne Ausflüchte oder Verharmlosung.
»Dein Vater hat nahezu unser gesamtes Vermögen verspielt. Unsere Familie steht kurz vor dem Ruin.«
Celina fühlte sich, als würde ihr jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Ruin? Ihre alteingesessene Familie bankrott? Das konnte nicht sein. Die Ländereien und zahlreichen Erbstücke waren selbst heutzutage fast unbezahlbar. Wie war das möglich? Was hatte Alvin getan?
»Spielsucht ist schlimmer als der Teufel in Person und weitaus zerstörerischer.« Caroline hob den Kopf, ihre Augen schienen seltsam leer. »Dein Vater hat es geschafft, fast unseren gesamten Besitz zu verkaufen oder zu verpfänden, selbst die kostbaren Juwelen unserer Vorfahren. Jene hat er wahrscheinlich unter Wert angeboten, sonst hätte sie niemand gekauft – alles, was an frühere Zeiten oder an die Aristokratie erinnert, ist doch eher ein Makel.«
Celina erstarrte. Niemals hätte sie gedacht, dass die Spielsucht des Vaters so schlimm war. Natürlich bekam Celina mit, dass Alvin oft gereizt und übellaunig war, auch zeichneten sich die ersten Spuren des Alkoholgenusses ab. Doch wer rechnete mit so etwas? Sie zwang sich, ruhig sitzen zu bleiben und ihrer Mutter zu lauschen, obwohl ein Teil von ihr zum Vater laufen und ihn schütteln wollte.
»Wir haben Glück«, fuhr ihre Mutter fort, obwohl sie Celinas Anspannung bemerkte. »Unsere Dienerschaft ist verschwiegen und absolut loyal. Deswegen ist unser guter Name bis jetzt von Schande verschont geblieben …« Caroline stockte und musterte ihre Tochter. »Er ist die einzige Karte, die wir noch ausspielen können.«
Celina schaute zu Boden. Sie ahnte, was das bedeutete. »Was meinst du damit?«, erkundigte sie sich in der Hoffnung auf einen Irrtum.
»Du musst so schnell wie möglich heiraten, Celina. Eine Verbindung mit einem wohlhabenden Mann ist der einzige Ausweg.«
Celina lief ein Schauer über den Rücken. Sie hatte schon befürchtet, dass so etwas kommen würde. Trotz allen fortschrittlichen Denkens war Heirat für eine Frau nach wie vor die beste Möglichkeit, sich ein finanzielles Auskommen zu sichern – besonders wenn die Familie in Schwierigkeiten steckte.
Man munkelte zunehmend, dass Celina als alte Jungfer enden würde, da sie in ihrem »fortgeschrittenen Alter« noch immer keinen Heiratsantrag bekommen hatte. Zwar tat die Mutter ihr Bestes, um das abwehrende Getuschel von Celina fernzuhalten, doch die Worte, die sie durch Zufall hörte, reichten vollkommen aus. Ärgerlich war nur, dass es Celina untersagt war, sich verbal zu wehren. Frauen hatten zu schweigen, besonders in ihren gehobenen Kreisen. Celina grub ihre Zähne in die Lippen, bis das Blut hervorquoll. Sie brauchte eine Weile, um das Gesagte zu verdauen.
Eigentlich hatte sie gehofft, dass der Kelch namens Ehe noch einige Zeit an ihr vorüberziehen würde. Nicht, dass Celina etwas gegen einen Mann an ihrer Seite gehabt hätte. Nur sollte diese Verbindung auf Augenhöhe stattfinden und nicht in ein Unterordnungsverhältnis münden, wie es derzeit als selbstverständlich angesehen wurde. Beim Gedanken daran, unter dem Pantoffel ihres Gatten zu stehen und von diesem getreten zu werden, sträubte sich alles in ihr. Außerdem müsste sie sich dann mit Sicherheit von ihren geliebten Büchern trennen. Doch nun gab es wohl keine andere Möglichkeit.
Celina schluckte. Sie brauchte eine Weile, um den Blick ihrer Mutter zu erwidern. Ihrer Tochter gegenüber diese Bitte zu äußern, hatte Caroline sichtlich Überwindung gekostet, zumal ihr Celinas Einstellung zum Thema Ehemann bekannt war.
»Reicht das Geld noch für eine entsprechende Garderobe?«, fragte sie beiläufig, um nicht zu schweigen. »Wenn ich Bälle besuchen soll, kann ich nicht jeden Abend dasselbe Kleid tragen.«
»Glücklicherweise gibt es Strümpfe«, sagte Caroline und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Sie sind nicht nur angenehm zu tragen, sondern auch gut dafür, um Dinge zu verstecken. In ihnen habe ich heimlich Geld gespart.«
Celina lächelte, doch der Aufruhr in ihrem Innern ließ sich nicht beruhigen.
***
Zwei Tage später machten Caroline und sie sich auf den Weg zur Schneiderin, während der Vater daheim wieder einmal seine Pflichten verschlief. Gewaltsam hatte Celina den Impuls unterdrücken müssen, ihm eine Ohrfeige zu geben. Nur Alvin und seine Schwäche waren an allem schuld. Für gewöhnlich liebte Celina es, neue Kleider zu kaufen, den unbekannten Stoff auf ihrer Haut zu spüren. Doch diesmal hatte es einen fahlen Beigeschmack. Ihr Leben befand sich im Wandel und würde schon bald nicht mehr dasselbe sein.
***
Am nächsten Abend fand der erste Ball der Saison statt. Celina hoffte, man würde ihr den emotionalen Zwiespalt nicht allzu deutlich anmerken. Vor Kurzem hatte sie gelesen, dass jeder Mensch seine Empfindungen bis zu einem bestimmten Grad nach außen trage – bewusst oder unbewusst. Soweit Celina das beurteilen konnte, war das bei ihr aber nicht der Fall.
Im Gegenteil: Als sie den Saal betrat, folgten ihr einige verwunderte, aber auch neidische Blicke und ihre Tanzkarte war innerhalb von einer Stunde voll. Woran das lag, konnte Celina nicht sagen. Zweifelsohne war sie eine strahlende Erscheinung. Das neue Kleid aus blauem Samt betonte ihre zierliche Figur und harmonierte außerdem perfekt mit ihren roten Haaren. Jene empfand Celina eher als Makel, auch weil es ihr den Beinamen »Hexe« eingebracht hatte. Ihr Verstand spottete heimlich darüber. Aberglaube schien selbst in diesen Tagen noch eine Rolle zu spielen.
Bis zum Schluss hatte Celina sich erfolglos gegen das Korsett gesträubt. Sie hasste das Gefühl, eingeengt zu sein und unter Atemnot zu leiden. Aber Caroline hatte sich in diesem Punkt unerwartet energisch gezeigt.
»Du willst doch einen Ehemann finden, oder nicht?«, hatte sie gefragt und dabei die Schnüre immer enger gezogen, sodass Celina fast die Luft wegblieb. »Also musst du zeigen, was dein Körper zu bieten hat. Oder glaubst du, die Männer legen Wert auf Intelligenz und Rhetorik? Nein. Zuallererst sehen sie dein äußeres Erscheinungsbild und das muss für unsere Zwecke perfekt sein. Außerdem sind Frauen nicht zum Denken geschaffen. Sie sollen heiraten, ihrem Mann den Haushalt führen und ihm Kinder gebären. Das ist die Aufgabe der Frau.«
Celina verzog bei dieser absurden These das Gesicht. Sie konnte einfach nicht glauben, dass Mädchen dafür geboren wurden, um früher oder später als Milchkuh für ihre Babys zu enden. Es musste doch noch etwas anderes geben.
Nur mit Mühe schaffte Celina es, diesen Gedanken aus ihrem Kopf zu verdrängen. Sie war hier, um nach einem reichen Ehemann Ausschau zu halten, der ihre Familie vor der Schande bewahren konnte. Celina straffte die Schultern und schritt entschlossen in Richtung des Buffets. Ein Glas Champagner würde ihr guttun.
Wenige Minuten später perlte das leicht bittere Getränk ihre Kehle hinunter und Celina spürte, wie ihre Steifheit langsam, aber sicher verschwand. Erstmals an diesem Abend huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Vielleicht würde es doch ganz aufregend werden. Ohne Scheu erwiderte Celina die Blicke der zahlreichen Männer, welche an ihr vorübergingen. Es gab ältere, an deren Schläfen bereits die ersten weißen Strähnen glänzten, und jüngere, die kaum älter sein konnten als sie selbst.
Merkwürdigerweise blieben die Augen der älteren immer einige Wimpernschläge länger an ihr hängen, wobei sie offensichtlich vorwiegend auf ihren Busen starrten. Schamesröte durchzog Celinas Wangen und sie verfluchte ihre Mutter für den Zwang, das Korsett tragen zu müssen. Nicht nur, dass Celina es verabscheute, es spiegelte auch genau das wider, was sie eben nicht sein wollte. Sie atmete, so gut es ging. Stumm vor sich hin zu fluchen hatte wenig Sinn, sie musste das Beste aus der Situation machen.
In einer Pause zwischen Handküssen und Kopfnicken griff Celina eilig nach ihrer Tanzkarte. Hoffentlich war diese nicht von alten Säcken beherrscht, in diesem Fall würde sie sofort gehen. Schon die Vorstellung möglicher vermeintlich zufälliger Berührungen ließ sie erschauern. Doch es waren, soweit Celina erkennen konnte, überwiegend junge Männer, die um das Vergnügen buhlten, mit ihr tanzen zu dürfen.
Ein erleichterter Seufzer glitt über ihre Lippen. Die erste negative Hürde auf dem Heiratsmarkt schien erfolgreich überwunden. Denn so heikel und ausweglos ihre Lage auch war – Celina zog ein Leben in Armut einer Ehe mit einem dreißig Jahre älteren Mann vor. Auch wenn sie das Caroline niemals sagen würde. Doch in so einer Verbindung wäre sie niemals mehr als eine mit Ehering geschmückte Hure, einzig und allein dafür zuständig, das verstaubte Bett ihres Mannes zu wärmen.
Die Musiker spielten zum Tanz und Celina erhob sich vom Diwan. Kaum hatte sie das getan, war sie von sechs jungen Männern umringt, die ihr Recht auf einen Tanz einfordern wollten. Celina reichte ihnen willig die mit Spitze bedeckte Hand, obwohl ihr Lächeln nur zum Teil echt war. Ihre Partner waren attraktiv, nach der neuesten Mode gekleidet und von gepflegter Erscheinung. Trotzdem hatte Celina das Gefühl, als würde jeder Einzelne von ihnen sie auf ihr Erscheinungsbild und insbesondere auf ihre hervorgehobene Weiblichkeit reduzieren. Natürlich versuchten sie aus Höflichkeit, den Blick auf ihre Augen oder ihr schmales Gesicht zu richten. Doch Celina spürte, dass die Augen ihrer Gegenüber wie aus einem inneren Zwang heraus immer wieder zu ihrem Dekolleté schweiften. Ebenso waren die Griffe um ihre Taille fester als nötig.
Celina konnte sich lebhaft vorstellen, dass die Herren gern anderes tun würden, als sich nur im Takt der Musik zu bewegen. Obwohl sie nicht prüde war und über eine Menge theoretisches Wissen diesbezüglich verfügte, spürte Celina ein starkes Unbehagen. Trotz der tadellosen Fassade machten diese Männer den Eindruck, als würden sie sie am liebsten sofort ins Bett holen oder schlimmer noch in der nächsten unbeobachteten Ecke verführen. Keiner setzte sich zu ihr oder versuchte, eine Unterhaltung zu beginnen, obwohl ihr Interesse offensichtlich war.
Nach dem gefühlt hundertsten Mal hatte Celina genug. Erschöpft ließ sie sich in die mit Satin bezogenen Kissen sinken und spielte gedankenverloren mit einer Haarsträhne. Verzweifelt versuchte sie, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Zwar hatte Celina gewusst, dass bei einer schnellen Verlobung körperliche Reize eine große Rolle spielten, aber dass die Männer sie ansahen wie ein Stück Fleisch, welches man ohne nachzudenken billig erwerben konnte, ging entschieden zu weit.
Celina ballte die Hände zu Fäusten und rief sich selbst zur Ordnung. Ihre schlechte Situation erforderte bedingungslose Anpassung. Sie musste einen Ehemann finden, um jeden Preis. So unauffällig wie möglich tupfte Celina sich die Schweißperlen von der Stirn und versuchte, ruhig zu bleiben.
Plötzlich fuhr Celina wie vom Blitz getroffen zusammen. Sie spürte einen intensiven Blick auf sich. Doch dieser Blick fühlte sich anders an als die übrigen an diesem Abend. Sie spürte Finsternis, Gier, aber auch eine gewisse Erhabenheit. Sie schluckte. Ihre Nackenhaare stellten sich reflexartig auf, als spürten sie ihre Angst. Wer beobachtete sie? Und wo befand sich derjenige? Obwohl Celina gezwungen war, ihre Haltung unverändert beizubehalten, ließ sie ihren Blick so unauffällig wie möglich durch den weiträumigen Saal wandern. Alles, was sie sah, waren Öllichter, Kerzen und Fackeln, die alles in ein leicht gebrochenes Licht tauchten. Nebenbei schwirrten die zahlreichen Gäste angeregt umher, junge Dandys und Männer jedes Alters. Erstere tanzten und schwatzten, während Letztere sich bevorzugt dem Genuss von Brandy und Zigarren widmeten.
Wenn sie nicht gerade auf Brüste starren, dachte sie zynisch.
Celinas Herzschlag beruhigte sich ein wenig, doch eine gewisse Unruhe blieb. War das Ganze vielleicht nur Einbildung?
Auf einmal hatte Celina das Gefühl, als stünde der Beobachter direkt hinter ihr. Sein kalter Atem streifte ihren Rücken. Gleich würde er sie von hinten packen. Blut schoss in Celinas Wangen und alles in ihr schrie danach, sich umzudrehen. Aber sie wagte es nicht – aus Furcht, sich lächerlich zu machen. Schließlich war es nicht einmal sicher, ob dieser Fremde überhaupt existierte.
Celina räusperte sich und griff hinter sich nach ihrem Jäckchen. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Mit schnellen Schritten flüchtete sie aus dem Ballsaal, ohne nach links oder rechts zu schauen. Die Angst jedoch blieb, sogar dann, als die Mietkutsche sie wohlbehalten ins Elternhaus gebracht hatte.
Immer noch ängstlich zog sie sich in ihr Zimmer zurück. Was würde Caroline dazu sagen, dass Celina den Ball so überstürzt und ohne Gruß verlassen hatte? Die junge Frau kannte ihre Mutter gut genug, um zu wissen, dass diese ihr keine Vorwürfe machen würde. Aber die Enttäuschung in ihrem Blick zu sehen, war fast noch schlimmer, auch weil die Zeit erbarmungslos davonflog. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie viel Geld Alvin verspielt hatte, während seine Tochter alles versuchte, um die Familie zu beschützen.
Celina stieß einen langen Seufzer aus und kniete sich auf ihr einfaches Bett. Träumerisch wanderte ihr Blick hinaus zum Mond, dessen silbernes Licht ihr Gesicht streichelte. Schon früh hatte sie sich gewünscht, so frei zu sein wie er. Die Menschen zu beobachten, um die Welt zu reisen und dabei vielleicht Wissen zu erlangen, das noch niemand besaß. Celina blinzelte die aufsteigenden Tränen fort und hoffte, dass ihre Träume nicht unwiderruflich der Vergangenheit gehörten.
Du belügst dich selbst, schallte die Vernunft durch ihren Kopf. Das Leben als Ehefrau endet mit dem Tod. Es sei denn, er macht dich zur Witwe.
Energisch versuchte Celina, ihre Gedanken auf etwas anderes zu richten, und erinnerte sich unwillkürlich an den beschämenden, sonderbaren Vorfall im Ballsaal. Jenes Gefühl jagte noch immer eine Gänsehaut über ihren Körper. An eine Einbildung glaubte sie mittlerweile nicht mehr. Jemand hatte sie beobachtet, dessen war Celina sich ganz sicher.
Doch es hatte sich nicht schmierig und vulgär angefühlt wie bei den anderen Männern des Abends, sondern finster, geheimnisvoll und verführerisch. Diese Tatsache löste, wie Celina erst jetzt spürte, ein starkes Prickeln in ihr aus. Etwas Derartiges kannte sie nicht, höchstens vielleicht von ihren nächtlichen Streifzügen in die Bibliothek und vom Genuss verbotener Bücher.
Wild schüttelte Celina den Kopf. Aber es war zu spät. Wie von selbst lehnte ihr Oberkörper sich nach vorn, sodass ihre Brüste kurzzeitig das Fensterbrett streiften. Obwohl diese noch immer durch das eng geschnürte Korsett verhüllt waren, richteten die Nippel sich sofort auf und entlockten ihr einen Seufzer. Ohne es richtig zu merken, leckte Celina sich über die Lippen und ihre Hände begannen, an den Außenseiten ihrer Oberschenkel entlangzustreichen.
Mit jeder einzelnen Bewegung kehrten Celinas Gedanken zu dem Unbekannten zurück. Wer er wohl war? Da sie sein Gesicht nicht kannte, hatte ihre Fantasie freien Lauf. Lange, schwarze Haare, ovales, leicht kantiges Gesicht. Seine Augen konnte sie nicht erkennen, da er hinter ihr auf dem Bett kniete. Sein kühler Atem glitt über ihren Rücken, während eine Hand nach ihrer Schulter griff.
»Du wolltest heute Abend fliehen.« Die männlich tiefe, lockende Traumstimme ließ Celina zusammenzucken. Es war das Angenehmste, was sie seit langer Zeit gehört hatte. »Aber es wird dir nicht gelingen.«
Eine Gänsehaut rieselte über Celinas Körper, während das Trugbild mit kräftiger Hand über die Schnürung rieb, ohne diese jedoch zu öffnen. Sie stieß einen unwilligen Laut aus, was ihn auflachen ließ.
»Du möchtest aus deinem Gefängnis heraus, nicht wahr?«
Celina nickte stockend und vergaß beinahe, dass sich außer ihr selbst niemand im Zimmer befand.
»Nun, es liegt allein in deiner Hand, dich daraus zu befreien.«
Ein flüchtiger Kuss berührte ihren Nacken. Wie von Sinnen versuchte Celina, ihre Brüste herauszuheben, doch die massiven Stäbe hinderten sie daran. Mit jeder Bewegung schienen sie sich noch tiefer in ihre Haut zu drücken. Ärgerlich ballte Celina die Hände zu Fäusten und griff nach den Vorderhaken, um diese zu öffnen.
Caroline würde einen Schreikrampf bekommen, dachte sie, zumal das Kleidungsstück dabei zerbrechen könnte.
Aber Celina kümmerte sich nicht darum. Befreit stieß sie die Luft aus und sah zu, wie ihre Brüste wie reife Äpfel in ihre ursprüngliche Position zurückfielen. Sofort nahm Celina sie, streichelte sanft über weiche, etwas kühle Haut, fasste anschließend die Brustwarzen, um sie erneut zu stimulieren. In Sekundenschnelle verhärteten sie sich, wurden sensibler und die Haut darum kräuselte sich. Celina fokussierte ihre Gedanken auf den Unbekannten und für einen Moment waren es nicht ihre, sondern seine Hände, die das Feuer immer mehr entfachten. Selbst die Kälte in ihrem Zimmer spürte Celina nicht mehr. Sie strich sich über die Arme, erkundete jeden Zentimeter ihres Körpers und knetete ihre Pobacken. Einen Wimpernschlag zögerte Celina. Sie gierte nach mehr, doch war es richtig?
»Tue es.« Der Befehl aus den Tiefen ihrer Fantasie traf sie wie ein Schlag, der sie aufstöhnen ließ. »In einsamer Lust, so lange es dem eigenen Vergnügen dient.«
Celina wusste zwar nicht, was er damit meinte, gab sich selbst jedoch winzige Klapse und streckte ihren Po unbewusst nach hinten. Das Jauchzen in ihrer Kehle unterdrückte sie gerade noch rechtzeitig. Nicht auszudenken, wenn ihre Mutter sie erwischte.
Celina spreizte die Beine so weit wie möglich auseinander. Eine kurzweilige Pause verschaffte nur der Luftzug, der geradewegs auf ihre erhitzten Schamlippen fiel. Sie spürte die einzelnen Tröpfchen, welche in den rötlichen Locken ihrer Schamlippen warteten. Celina teilte ihre Schamlippen, benetzte den Zeigefinger mit jener farblosen Flüssigkeit, welche die Innenseiten überzogen hatte, und rieb über ihre geschwollene Klit.
Ein leichter Schmerz durchfuhr sie, die flüchtigen Berührungen reichten bei Weitem nicht aus, um sie wirklich zu befriedigen.
Wie schön wären jetzt zusätzliche Hände oder auch ein Gegenstand.
Celina wusste nicht, woher dieser Gedanke kam, und errötete bis in die Haarspitzen. Von irgendwoher erklang das schelmische Lachen ihres Traumbildes. Doch für einen Abbruch des lustgetränkten Spieles war es zu spät. Ihre Erregung stieg, die Hitze verschlang sie regelrecht. Ihre Bewegungen wurden schneller, heftiger, ungestümer … und dann endlich entlud sich ihre Lust im Höhepunkt.
Minutenlang blieb Celina regungslos auf dem Bett liegen. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bis ihr Herzschlag sich wieder normalisierte. Das verführerische Trugbild und ihre eigene Lust verschwanden viel zu schnell. Mit diesem bittersüßen Gefühl schlief Celina ein.
Kapitel 2
Am folgenden Morgen war die Stimmung noch immer düster. Nicht nur, dass das Dienstmädchen Celina unsanft aus ihren Träumen riss, es stand auch noch eine unerwartete Einladung auf dem Tagesplan. Die junge Frau verdrehte die Augen, während sie pflichtschuldig ihre Morgentoilette machte. Es war nicht so, dass Celina etwas gegen Besuche einzuwenden hatte, zumal es sich bei dem heutigen um ihre Kinderfreundin Anne mit Familie handelte. Doch sie wollte einfach ihre Ruhe haben und mit niemandem reden.
Die Ereignisse des gestrigen Abends und besonders jene heiße Fantasie hingen Celina noch immer nach. Außerdem plagten sie heftige Kopfschmerzen, die beim Gedanken an Besuch sowie das noch ausstehende Gespräch mit ihrer Mutter merklich schlimmer wurden.
»So ein Mist.« Widerstrebend ließ Celina den Metallkamm durch ihre Haare gleiten. Der unruhige Schlaf hatte es deutlich verknotet und sie würde eine großzügige Menge Puder benötigen, um die dunklen Ringe unter ihren Augen zu verbergen. Gemäß dem Zeitgeist war starkes Make-up in ihrem Elternhaus verpönt, aber in diesem Fall würde sie eine Ausnahme machen. Ein Hauch von Rouge auf ihren Wangen sorgte ein paar Minuten später dafür, dass Celina sich wieder wie ein lebendiger Mensch fühlte, obwohl die Gedanken nicht schwiegen.
Im Gegenteil, ohne Unterlass rasten sie durch ihren Kopf und kreisten um die Frage, wie sie Caroline das plötzliche Verschwinden vom Ball erklären sollte. Gerüchte diesbezüglich hatten mit Sicherheit schon die Runde gemacht. Zuerst war Celina versucht gewesen, irgendeine Ausrede zu erfinden – vorübergehende Unpässlichkeiten waren nicht selten. Doch wie sie ihre Mutter einschätzte, würde diese sich akribisch genau beim Gastgeber erkundigen und es gab ausreichend Zeugen, die ihre Version widerlegen konnten. Welche Dame tanzte mit mehr als fünf Männern, wenn sie sich nicht wohlfühlte?
Celina nagte an ihrer Lippe. Dann musste eben die Wahrheit auf den Tisch, doch jene war noch absurder als die Krankheitsgeschichte. Celina hatte den Ball wie eine Diebin auf der Flucht verlassen, weil sie das Gefühl gehabt hatte, jemand würde sie gierig anstarren.
Rückblickend war das Ganze fast lächerlich, denn Celina hatte den Beobachter weder gesehen noch gab es irgendwelche Anhaltspunkte, dass er überhaupt existierte. Den Restverdacht einer überspannten Fantasie gab es nach wie vor. Sie schaute zu Boden. Wenn der Beobachter tatsächlich nur ein Produkt ihrer Einbildung gewesen war …
Celina konnte sich die Enttäuschung ihrer Mutter lebhaft vorstellen. Zwar würde Caroline gemäß ihrer Natur nicht laut oder gar ausfallend werden, aber die stummen Vorwürfe in ihrem Blick schmerzten fast mehr als ein handfester Streit.
Nur knapp unterdrückte Celina den Impuls, sich die frisch gekämmten Haare zu raufen. Auch weil sie sich bei dem flüchtigen Wunsch ertappte, der Fremde möge wirklich existieren.
Ein dünner Schweißfilm legte sich auf ihre Arme. Was zum Teufel dachte sie da? Sie hatte beileibe keine Zeit, nach einem Traumbild Ausschau zu halten. Die Rettung ihrer Familie stand an erster Stelle.
Zu Celinas Verdruss schlug ihr Herz sofort ein paar Takte schneller und ehe sie sich versah, fuhren ihre Hände erneut über die nackten Oberschenkel. Das weiße Leibchen, das sie heute anstelle eines Korsetts trug, bedeckte nur knapp ihren wohlgeformten Po. Celina zog die Luft ein, sie sollte das nicht tun … nein.
Doch ihr Körper schien anderer Meinung zu sein. Wie ferngesteuert erreichten ihre Hände die Innenseiten ihrer Schenkel und wagten es sogar, leicht zu kratzen. Jener dezente Schmerz entlockte Celina ein Stöhnen, obwohl die Vernunft nicht zögerte, sie über die Unmoral ihres Tuns zu belehren. Erbost schob Celina sie zur Seite und stellte sich stattdessen den Fremden vor.
Wieder stand dieser hinter ihr, betrachtete gönnerhaft ihre leicht unterwürfige Haltung, die durch die Reflexion im Spiegel noch verstärkt wurde.
»Na? Gefällt es dir, deine eigene Zuschauerin zu sein?« In seiner Stimme schwang eine gewisse Belustigung mit.
Celina hingegen hatte das Gefühl, als würde eine Flammenzunge durch ihre Adern rasen, auch wenn sie sich in Grund und Boden schämte und sich alles in ihr sträubte. Ja, es gefiel ihr, sich selbst zu betrachten, während ihr Körper sich verbotenen Fantasien hingab. Der Anblick ihrer erhitzten Haut, der erwartungsvoll zuckenden Brüste und ihrer feuchten Scham, die nach Befreiung lechzte.
»Das habe ich mir gedacht.« Celina konnte das schelmische Grinsen ihres Traumbildes regelrecht sehen.
Ohne die geringste Scheu streichelte er ihre Pobacken und kniff zwischendurch neckisch in das empfindliche Fleisch, woraufhin Celina leise quiekte.
»Hör … auf«, brachte sie stockend hervor und versuchte, sich ihm zu entziehen.
Aber der Fremde lachte nur und griff nach ihrer Hüfte, um eine Bewegung zu unterbinden. »Lüg mich nicht an«, raunte er und seine Hände strichen über ihre Wirbelsäule. »Dir gefällt, was ich tue, und du willst mehr … viel mehr.«
Celina presste die Lippen zusammen und schwieg. Sie hasste unangenehme Wahrheiten, doch ihr Trugbild hatte recht. Celina genoss dieses aus gesellschaftlicher Sicht abartige Spiel und hatte nichts dagegen, dass es noch weiterging.
Für den Bruchteil einer Sekunde liebkoste der Fremde ihre Wange. »Vertraue mir, ich kenne deine Seele.«
Viel zu schnell zog er die Hand zurück und Celina wimmerte protestierend.
»Was würdest du tun, wenn ich dein Leibchen noch ein Stück weiter nach oben schieben würde?« Sein Tonfall erinnerte sie an die Berührung von weichem Samt. »Danach würde ich zuerst deinen Rücken massieren, bis du dich entspannst. Anschließend würden sich meine Hände um deine Brüste legen und sie so lange streicheln, bis deine Nippel hart wären wie Stein.«
Celina fühlte sich, als würde sie in ihrer eigenen Hitze ertrinken. Niemals zuvor hatte jemand mit ihr über solche Dinge gesprochen, geschweige denn eine Erfüllung in Aussicht gestellt. Und nun brachte jener Fremde, der lediglich in ihrem Kopf existierte, ihr Blut so in Wallung, dass sie bereit war, alles mit sich geschehen zu lassen.
Celina bebte. Ihr Körper schrie nach Erlösung, das spürte sie deutlich. Aber sollte sie wirklich?
Ein lautes Rufen von unten zerriss die Fantasie und Celina fuhr ruckartig zusammen. Wie viel Zeit war vergangen? Sie wusste es nicht. Eilig schlüpfte Celina in ihr Kleid und legte noch ein wenig mehr Puder auf, um die verräterische Röte im Gesicht zu verbergen. Ihre schmerzhaft pochende Klit ignorierte sie, so gut es ging. Doch das beklemmende und gleichzeitig so angenehme Gefühl blieb.
Wie ein junges Reh eilte Celina die Treppe hinunter und ging ins Speisezimmer, wo bereits alles für das Frühstück gerichtet war. Als sie die Türschwelle überschritt, fuhr ihr ein winziger Stich ins Herz. Beim Anblick der reichlich bestückten, aufwendig dekorierten Tafel würde niemand auf die Idee kommen, dass die Familie in Geldnot steckte.
Celina schluckte. Ihre Eltern taten wirklich alles, um den alten Glanz irgendwie aufrechtzuerhalten. Es gab verschiedene Sorten Brot und Wurst, außerdem Fisch und Käse sowie kunstvoll aufgetürmtes Obst. Sie zweifelte nicht daran, dass die Getränkeauswahl ähnlich vielfältig sein würde. Wahrscheinlich hatten ihre Eltern es sogar geschafft, Trinkschokolade zu organisieren – ein sehr teures und trotz wachsender Industrialisierung noch immer seltenes Vergnügen.
Auch ein Blick in den Garten vermochte ihre Stimmung nicht zu heben. Zwar wurde dieser nach wie vor optimal gepflegt, doch einem aufmerksamen Blick entging nicht, dass neben den prachtvollen Blumen auch Unkraut wucherte.
»Guten Morgen, meine liebe Tochter.« Celina erwiderte Carolines sanfte Umarmung und musterte sie.
Auch die Mutter hatte für ihre Verhältnisse ungewöhnlich viel Puder aufgetragen. War ihre Nacht ebenso schlaflos gewesen? Eine Welle von Schuldgefühlen übermannte Celina und es kostete sie einiges an Selbstbeherrschung, sich nichts anmerken zu lassen. Im Laufe des Tages würde sie ihre Verfehlung beichten, doch jetzt war der falsche Zeitpunkt. Schließlich konnten ihre Gäste jeden Augenblick eintreffen.
»Wo ist eigentlich Vater?« In Carolines Tonfall lag eine unüberhörbare Sorge und Celina schnitt eine Grimasse.
Dass Alvin unfähig wäre, seinen gesellschaftlichen Pflichten nachzukommen, hätte sie sich denken können. Vermutlich hatte er wieder die halbe Nacht am Spieltisch gesessen. Celina wurde leicht unruhig. Was, wenn ihm etwas zugestoßen war? Und wie sollte sie Anne und ihren Eltern seine Abwesenheit erklären? Die Steins waren zwar über die Generationen hinweg treue Freunde und Geschäftspartner, dennoch wussten sie nur wenig über die Tragödie.
Caroline zuckte mit den Schultern, ihre Mimik verriet pure Resignation. Celina schmerzte es, ihre Mutter so erschöpft und traurig zu sehen. In dem ehemals rotblonden Haar zeichneten sich immer mehr graue Strähnen ab. Ihr Kleid war aus alten Roben geschneidert, die sie vermutlich irgendwo auf dem Dachboden gefunden hatte. Zwar konnte niemand behaupten, dass Caroline dieses Handwerk nicht beherrschte, aber ihr Kleidungsstil war alles andere als modisch. Am liebsten hätte Celina sie in den Arm genommen und getröstet, doch dafür blieb keine Zeit.
Ihre Mutter eilte in den Keller, um dort nach Alvin zu suchen. Manchmal, wenn ihr Vater von allem und jedem genug hatte, verschanzte er sich dort, verloren in Erinnerungen an alte Zeiten.
Sie kommen niemals mehr zurück. Wann begreift er es endlich, dachte Celina säuerlich, ballte die Hand zur Faust und machte sich auf, um im oberen Stockwerk nach ihrem Vater zu suchen.
Irgendwo musste Alvin ja sein, wenn er nicht infolge eines Weinrausches in den Fluss gestürzt war. Celina ertappte sich dabei, dass der Gedanke sie nicht unbedingt traurig stimmte. Der Verlust wäre zwar schmerzhaft, aber dafür würden alle Sorgen verschwinden.
Kaum hatte Celina einen Fuß auf die Treppe gesetzt, vernahm sie schwere Schritte von oben, die die hölzernen Dielen knarren ließen. Erschrocken wich Celina zurück. Was war das? Ein Geist? Sie schimpfte sich selbst eine dumme Gans, zumal wenige Sekunden später Alvin vor ihr stand. Entgegen Carolines und Celinas Erwartung wirkte er – zumindest auf den ersten Blick – sauber und gepflegt. Die halblangen, dunkelblonden Haare waren gewaschen, frisiert und der Anzug mit kariertem Hemd und brauner Jacke zeigte keine sichtbaren Flecken, sondern wirkte lediglich ein bisschen zerknittert.
Celina seufzte erleichtert. Sie hatte befürchtet, ihren Vater als Abbild eines Landstreichers vorzufinden. Nicht auszudenken, was dann geschehen wäre.
»Guten Morgen, Vater«, sprach sie so würdevoll wie möglich und deutete einen Knicks an.
Alvin schätzte es, wenn die übrigen Mitglieder des Hauses ihn nach wie vor als Oberhaupt sahen und entsprechend behandelten, obwohl er nur noch ein Schatten seiner selbst war. Das wurde bei näherem Hinsehen deutlich. Zwar hatte er es irgendwie geschafft, die gröbsten Spuren zu verdecken, aber die glasigen, grauen Augen sowie seine deutlich eingefallenen Wangen sprachen klare Worte. Celina schluckte, um den Schmerz ein wenig zu lindern.
»Guten Morgen.« Alvin lächelte und machte Anstalten, sie zu umarmen.
Zuerst wollte Celina reflexartig zurückweichen, auch weil eine bittere Fahne in ihr Gesicht stieg, besann sich jedoch eines Besseren. Jetzt einen Streit zu provozieren, wäre unklug.
»Du weißt, dass wir heute Besuch bekommen«, versuchte sie eine Unterhaltung.
»Natürlich weiß ich das«, schnitt Alvin ihr das Wort ab und in seinem Blick loderte Zorn. »Trotz allem bin ich noch nicht senil.«
Ach, wirklich nicht?, schoss es Celina durch den Kopf und sie schaute Alvin nach, der nun an ihr vorbeiging.
Um Punkt zehn Uhr verkündete ein Diener die Ankunft von Anne und ihrer Familie. Zum ersten Mal seit ihrem unkeuschen Tagtraum freute Celina sich aufrichtig. Sie kannte die Freundin bereits seit Kindertagen und ihre Verbindung hatte sich als unzerstörbar erwiesen, trotz aller Stürme und Eifersüchteleien in der Zeit des Heranwachsens. Auch Anne strahlte übers ganze Gesicht und zog Celina in eine herzliche Umarmung, die sofort erwidert wurde.
Zarter Fliedergeruch beruhigte Celinas angespannte Nerven und sie strich durch Annes blonde Haarpracht. Jene wies leichte Wellen auf und hatte ihr schon früh den Beinamen »Engel« eingebracht, wohingegen Celina mit Ausgrenzung zu kämpfen hatte. Aber Anne bewies schnell, dass ihr der Tratsch gleichgültig war, und stellte sich tapfer hinter ihre Freundin, wenn es zu schlimm wurde, obwohl sie nur wenig vor der heroischen Stärke eines Engels besaß. Im Gegenteil, sie war schüchtern, zurückhaltend und akzeptierte Regeln ohne Widerspruch. Aus diesem Grund war Celina nicht sicher, ob sie ihrer Freundin von ihrem Missgeschick auf dem Ball oder ihren erotischen Träumen erzählen sollte. Ihre Zweifel, ob Anne es verstehen würde, waren sicher berechtigt.
Energisch schob Celina den Gedanken zur Seite und setzte sich neben Anne an den Tisch. Als ihr Vater erschien, verdüsterte sich ihre Miene für einige Sekunden. Täuschte sie sich oder war der Weingeruch stärker geworden? Hoffentlich würde er sich benehmen und nicht beim kleinsten Anlass die Beherrschung verlieren.
Zunächst schienen Celinas Ängste unbegründet, man widmete sich dem köstlichen Essen und sprach über unverfängliche Themen wie Kleider, Schmuck oder die neuesten Nachrichten aus ihren Kreisen. Sie langweilte sich sogar ein bisschen und konnte nicht verhindern, dass ihre Gedanken sich dem Unbekannten widmeten. Celinas Hände zitterten, zumal ein Teil von ihr sich hartnäckig weigerte, an eine Illusion zu glauben.
»Das ist doch absurd«, murmelte sie so leise, dass es niemand hören konnte.
Ein lauter Knall und ein Ruck an der Tischplatte holten Celina aus ihren Grübeleien und ließen sie erschrocken zu ihrem Vater blicken.
Nein, flehte sie stumm. Bitte nicht.
Doch ein flüchtiger Blick reichte aus. Alvin hatte sich abrupt von seinem Stuhl erhoben und starrte Annes Vater an, als wäre dieser plötzlich zum Todfeind geworden. Der hagere Körper ihres Vaters war sichtlich angespannt und er machte Anstalten, sich auf sein Gegenüber zu stürzen. Der arme Mann hob abwehrend die Hände und seine fassungslose Miene verriet, dass er nicht wusste, wie ihm geschah.
»Wenn du noch einmal solchen Unfug redest, bist du in meinem Hause nicht mehr willkommen.« Alvins Tonfall ähnelte dem Zischen einer Schlange.
Celina verzog das Gesicht. Wahrscheinlich hatte Annes Vater eine unbedachte Äußerung bezüglich der politischen Lage gemacht. Allein deswegen würde ihr Vater so zornig werden. Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte im Speiseraum gespenstische Stille. Aus den Augenwinkeln beobachte Celina, wie Caroline langsam auf ihren Ehemann zuging und die Hand auf seine Schulter legte. Ihr Lächeln schien, als bestünde es aus Eis. Gleichzeitig wechselte sie einen Blick mit Annes Mutter, die stumm nickte.
»Anne, Celina. Geht in den Garten.«
Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch und die beiden gehorchten sofort, obwohl besonders Annes Mimik wie versteinert wirkte. Die Anspannung ließ erst nach, als die Freundinnen sich circa zehn Meter vom Haus entfernt auf den Rasen fallen ließen. Selbst Celina, welche die ganze Zeit über scheinbar gefasst gewesen war, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Auch Anne brauchte ein paar Minuten, bis sie sich beruhigte. Sie starrte ihre Freundin an.
»Was um alles in der Welt ist mit deinem Vater los? So habe ich ihn noch nie erlebt.«
Ich schon, ergänzte Celina in Gedanken und nagte unruhig an ihrer Lippe. Es war nicht einfach, darüber zu sprechen, und besonders Anne gegenüber hätte sie sich gewünscht, es niemals tun zu müssen. Nun atmete sie tief durch und erzählte ihrer Freundin, was in den letzten Wochen und Monaten geschehen war. Selbst ihre verzweifelte Suche nach einem Ehemann verschwieg Celina nicht, lediglich über das gestrige Erlebnis verlor sie kein Wort.