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Ludwig van Normayenn wird geachtet und doch gefürchtet. Als Seelenfänger verfügt er über die Gabe, dunkle Seelen zu erkennen, die noch nicht bereit sind, das Reich der Sterblichen zu verlassen. Oft ist er die letzte Hoffnung der Menschen, die von den Ausgeburten des Dunkels heimgesucht werden. Auf der Jagd nach den ruhelosen Seelen zieht er von Fürstentum zu Fürstentum – doch auf seiner Reise erwarten ihn Feinde, die noch schrecklicher und gefährlicher sind, als er sich vorzustellen vermag ... Mit dem großartigen Auftakt seiner neuen Serie »Die Chroniken der Seelenfänger« beweist Alexey Pehov einmal mehr, dass er zu den besten Fantasy-Autoren unserer Zeit gehört.
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Übersetzung aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann
ISBN 978-3-492-97355-7
November 2016
© 2010 Alexey Pehov
Die russische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Straž« bei AL'FA KNIGA, Moskau.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
Covergestaltung und -motiv: www.buerosued.de
Karte: Vladimir Bondar nach einer Vorlage von Alexey Pehov
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
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Über das Roggenfeld lief nicht eine einzige Krähe, was mich jedoch nicht erstaunte. Nicht bei der Vogelscheuche. Wäre ich eine Krähe mit auch nur einem Funken Verstand, dann wäre ich beim Anblick einer solchen Schreckensfigur bestimmt bis zum Fürstentum Leserberg geflogen. Und die ganze Zeit hätte ich vor Entsetzen lauthals gekrächzt.
Denn diese Vogelscheuche strahlte etwas aus.
Ob das am Ende gar keine gewöhnliche Vogelscheuche war, sondern ein belebter Gegenstand? Ein Animatus?
Hatte ich womöglich keine Vogelscheuche, sondern einen Vogelscheuch vor mir?
Das Ungetüm steckte in einer löchrigen Soldatenuniform aus der Zeit Fürst Georgs und war auf einen Stock gepfropft. Das Gesicht verschattete ein breitkrempiger Strohhut. Ein alter, unzählige Male geflickter Sack war mit wer weiß was für Zeug gestopft und bildete den Kopf, der allerdings wie aufgeblasen und viel zu groß für den Körper wirkte. Jemand hatte mit schwarzer Farbe einen Mund auf den Sack gemalt. Dieser griente hinterhältig über das ganze Gesicht und brachte jeden Betrachter dazu, über die geistige Verfassung des Herrn Vogelschreck nachzudenken.
»Dieses Grinsen – falls man es denn überhaupt als solches bezeichnen kann – jagt dir ja eine Gänsehaut über den Rücken«, bemerkte Apostel.
Da ich ihm nicht antwortete, sondern lediglich gereizt mit der Schulter zuckte, verkniff er sich jede weitere Bemerkung. Wenn mich etwas beschäftigte, dann die Sichel, die der Vogelschreck in der rechten Hand hielt. Sie war mit einem seltsamen bräunlichen Belag überzogen, möglicherweise Rost, möglicherweise aber auch etwas ganz anderes. Das genau herauszufinden hatte ich freilich nicht die Absicht. Schon allein deshalb nicht, weil ich mich bei dem Grinsen nicht gewundert hätte, wenn über dem ganzen Roggenfeld die Knochen irgendeiner armen Menschenseele verteilt wären. Wusste ich denn, was diesem Vogelschreck so alles in den Sinn kam, sobald des Nachts, wenn der Mond diese Gegend in sein Licht tauchte, ein einsamer Wanderer auf der Landstraße auftauchte?
Ich warf einen letzten abschätzenden Blick auf das Biest und seine Sichel. Etwas ging von dieser Strohpuppe aus. Etwas Bedrohliches, aber auch noch etwas anderes …
»Gut, wenn ich tagein, tagaus, bei Wind, Regen und Schnee an diesem gottverlassenen Ort stehen müsste, würde ich meinem Schicksal vermutlich auch grollen«, murmelte ich in Richtung des Vogelscheuchs. »Mittlerweile hängt es dir wahrscheinlich zum Hals raus, Krähen zu verjagen. Warum schließt du dich also nicht unserer kleinen Gemeinschaft an? Viel Abwechslung verspreche ich dir zwar nicht, aber besser, als sich auf einem Roggenfeld zu langweilen, dürfte es allemal werden.«
Als Apostel meine Worte hörte, brach er in schallendes Gelächter aus. Nach einer Weile beruhigte er sich und wischte sich das Blut ab, das ihm unablässig aus der aufgeschlagenen Schläfe strömte.
»Was willst du mit diesem Schreckgespenst, Ludwig?«, fragte er.
»Das wird sich noch zeigen.«
Apostel schnaubte höchst theatralisch und fingerte am blutigen Kragen seiner Soutane. Weiß war der schon lange Zeit nicht mehr. Immerhin versuchte er nicht, mir den Vorschlag wieder auszureden.
»Also?«, wandte ich mich erneut an den Vogelscheuch. »Wie lautet deine Entscheidung?«
Der Herr Vogelschreck ließ mich jedoch nicht einmal wissen, ob er mich überhaupt verstanden hatte. Regungslos stand er im Wind, der ihm einige unter dem Strohhut hervorlugende Haarsträhnen zerzauste und die Roggenähren auf dem Feld niederdrückte.
»Na, wie du meinst«, sagte ich und nahm meine Tasche an mich. »Solltest du es dir noch anders überlegen, kannst du ja nachkommen.«
Daraufhin setzte ich meinen Weg fort. Apostel folgte mir, dabei das Gebet Anima Christi vor sich hin singend, dem er eine Melodie unterlegte, die er sich aus Solia, diesem ketzerischen Land, geliehen hatte. Das war typisch! Nicht einmal im Fürstentum Vitil – in dieser Hinsicht noch schlimmer als Solia – fand man einen größeren Gotteslästerer. In früheren Jahren hätten ihn die Hunde des Herrn mit Freuden auf den Scheiterhaufen geschickt, doch die Zeiten, da ihm diese Schergen der Inquisition etwas anhaben konnten, waren mittlerweile vorbei. Apostel durfte sich schadlos über seine Glaubensbrüder in den schwarzen Soutanen lustig machen.
Als die Straße abbog, sah ich mich noch einmal um. Der Vogelscheuch stand nach wie vor an seinem angestammten Platz.
»Vielleicht gefällt es ihm ja, Krähen zu verjagen«, murmelte Apostel.
»Kann schon sein. Aber ein Versuch schadet ja nie.«
So wanderten wir an Feldern vorbei, auf denen die Ernte längst hätte eingefahren werden müssen. Überhaupt schien in dieser Gegend schon seit Langem keine einzige Menschenseele mehr gewesen zu sein. Der Eindruck musste allerdings trügen, denn wer hätte sonst den Zaun am Straßenrand erneuert?
Schließlich erreichten wir eine Kreuzung. Von hier aus würde uns ein Weg nach Vion bringen, der drittgrößten Stadt im Fürstentum Vierwalden.
Die heiße Sommerluft roch nach einem von Osten heraufziehenden Gewitter. Schwalben schossen unermüdlich hin und her, Grashüpfer zirpten wie besessen. Mich berührte das Idyll allerdings nicht, und wenn ich mein lahmes Pferd nicht einem ominösen Herrn hätte verkaufen müssen, wäre meine Umgebung mir nicht einen Blick wert gewesen.
An der Wegmarkierung blieb ich stehen und spähte aus den Augenwinkeln zu Apostels hagerer Gestalt hinüber. Gerade als ich erwog, eine Rast einzulegen, rumpelte eine Kutsche heran. Innig dankte ich meinem Schicksal.
Nachdem ich den Kutscher für die Fahrt entlohnt hatte und die Pferde wieder losgetrabt waren, stieß ich freilich insgeheim einen Stoßseufzer der Erleichterung aus, dass die Fahrt weniger als eine Stunde dauern würde. So, wie die Kutsche durch die Schlaglöcher polterte, würden meine Knochen sich andernfalls in Staub verwandeln.
Mit mir nahmen noch drei weitere Reisende dieses fragwürdige Vergnügen auf sich. Zum Glück bot die Kutsche ausreichend Platz, sodass wir es auf den Ledersitzen recht bequem hatten. Apostel war nicht eingestiegen. Entweder saß er vorn auf dem Kutschbock oder er hatte beschlossen, weiterhin zu Fuß zu gehen. Um ihn machte ich mir jedoch keine Sorgen. Letzten Endes würde er zu mir zurückkehren, das wusste ich aus Erfahrung.
Neben mir saß eine ältere Dame mit verkniffenem Gesicht, die eine schwarze Haube trug. Sie bedachte mich mit einem Blick, in dem wenig Begeisterung lag, und presste mit ihrer faltigen Schildkrötenhand ihre Tasche an sich, als fürchtete sie, ich wollte sie ausrauben. Ich lächelte sie leutselig an, vermochte sie aber nicht für mich einzunehmen. Ein Herr, der zu Fuß über eine Landstraße zog, konnte ihr Vertrauen nun einmal nicht gewinnen.
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