Seeland - Alex Gfeller - E-Book

Seeland E-Book

Alex Gfeller

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Beschreibung

Band 1: Biel (deutsch) Volume 2: Bienne (français) Band 3: Seeland (deutsch) Volume 4: Le Seeland (français) Band 5: Frienisberg (deutsch) Volume 6: Le Frienisberg (français) Band 7: Jura (deutsch) Volume 8: Le Jura (français)

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Ich gedenke Akiwa Hofman.1

1 Akiwa Hofmann, 1919-1943, aus Visna Apsa, Tschechoslowakei, Hutmacher, im KZ ermordet.

Es gibt erst mal die berüchtigte Schere im Kopf, selbst dann, wenn man sie zu ignorieren oder zu umgehen versucht, denn es gibt viele Bereiche, die man ohne Zweifel ganz bewusst von sich selber fernhalten will. Ich gebe es zu: Eine Menge Themen lasse ich erst mal allein deshalb weg, weil sie mich nicht interessieren, weil sie mich ganz einfach anöden oder weil ich gar keine Lust habe, selbige zu formulieren. Auch Geld, Zahlen und Beträge geben mir natürlich immer zu schaffen, das Rauchen, die Gesundheit ganz allgemein, die politischen Prozesse, das ganze Weltgeschehen, meine Haltung zu Fragen der Politik, der Kultur, der Geschichte und der Entwicklung der Gesellschaft, nur um einige Beispiele zu nennen, und trotzdem würde es mich langweilen, diese Bereiche hier des Langen und Breiten schriftlich auseinanderdröseln zu müssen und breit auszuwalzen. Wozu denn?

Natürlich verfolge ich das politische Geschehen; das muss man ja tun, auch wenn es einen richtig anödet, aber schließlich hört man sich ja auch täglich die offizielle Wetterprognose an, ohne dass man sagen könnte, man interessiere sich ganz besonders für Meteorologie. Man kann nicht für oder gegen das Wetter sein; und so ist es auch mit dem Weltgeschehen.

Und noch eine Heimlichkeit, diesmal eine sensationelle: Sollte das mit dem Schreiben nicht mehr klappen, ist es mir auch egal. Das mag komisch klingen: Mein ganzes Leben lang habe ich geschrieben, und ich überlege mir auch heute noch viel zum Schreiben; in den nächsten zehn Jahren werde ich voraussichtlich auf Teufel komm raus schreiben, aber niemand wird mich dazu bringen, mich jemals wieder vor diesen beschissenen Verlagen zu erniedrigen. Ich habe mein Soll an Erniedrigungen erfüllt und bereits hinter mir. Wenn also tatsächlich niemand meine Schreibe haben will: Bitte sehr.

Doch ich habe diese Bestätigung nicht mehr nötig; ich kenne zudem das korrupte Literaturgeschäft, und ich weiß, wie schnell sich erfolgreiche Schriftsteller nach dem Wind drehen müssen; ich kenne nicht wenige richtige Kriecher und Arschlecker unter ihnen, recht bedeutende Leute zumal, wenn man so will, immerhin Cervelatprominenz, die oft zu den laufenden Ereignissen befragt wird, weil man weiß, dass man mit ihnen keinen Ärger kriegen wird, aber allesamt unterirdische Schleimscheißer, Stiefellecker, Klinkenputzer und – was das Wichtigste ist – politisch völlig unbedeutend. Zu denen will ich gewiss nicht gehören.

Mir macht es übrigens überhaupt nichts mehr aus, sollten meine Manuskripte abgelehnt werden, denn dies bedeutet überhaupt nichts. Früher brach für mich jeweils eine Welt zusammen, doch heute werde ich nur noch mit den Achseln zucken, die Manuskripte an den nächsten Verlag schicken und mich dem nächsten Text zuwenden, fertig. Mit mir gibt es keine wohlfeile Lösungen mehr.

Wenn niemand herausgeben will, was ich schreibe, wenn das niemand drucken kann, verkaufen will oder herausgeben darf: Warum sollte ausgerechnet ich mich deswegen grämen müssen? Das ist ja nicht mein Problem; mich geht das gar nichts an. Denn es ist so: Wenn ich schreibe, tue ich dies aus einem unstillbaren Drang oder aus einem unstillbaren Bedürfnis heraus, wie man will, aber auch aus reiner Neugier; ich will sehen, was entsteht. Entsteht etwas Gutes, bin ich zufrieden, schaffe ich es nicht, dann bin ich zwar enttäuscht, doch macht mir dies auch nichts mehr aus. Ich stehe auf dem Standpunkt: Ich schreibe vorwiegend für meinen Bedarf, denn das ist meine persönliche Unentbehrlichkeit. Allein deshalb ist es mir völlig egal, ob ich damit etwas verdiene – oder nicht. Mich ficht das nicht an.

Will jemand das Resultat sehen oder sogar teilen, bitte sehr! Wenn nicht: egal. Mich kratzt es nicht. Ich kümmere mich nicht mehr darum; das ist nicht mehr mein Thema. Ich bin ja nicht zuständig für die literarischen Umtriebe, die sowieso lächerlich sind in diesem Land, in Opportunien, noch für das kulturelle Geschehen oder die politische Kontrolle desselben. Bald wird es kaum noch etwas geben, das mich wirklich kratzt. Meine einzige Hingebung gehört meiner Familie; alles andere ist Quatsch.

Ich will der unkooperativste Typ werden, den man sich überhaupt vorstellen kann.

Ich denke oft an neue Geschichten, an neue Projekte, an neue Aufgaben und an neue Pläne, und ich habe bereits erste Sätze in rauen Mengen im Kopf. Das bedeutet, dass ich mich bald wieder mit dem Schreiben abgeben werde, ohne dass ich es bereits so richtig haben will und machen kann. Aber ich drehe diese ersten Sätze spielerisch um und denke dabei bereits an weitergehende Szenarien. Ich schleiche mich an die Geschichten heran.

Das ist ein gutes Zeichen; meist dauert das so lange, bis ich es nicht mehr aushalte und explosionsartig mit dem Schreiben beginne. Wenn dieses Gefühl anhält, werde ich schon im Sommer richtig geladen sein, schätze ich. Ich glaube nämlich, dass dies genau die Art ist, mit der ich schon immer an die Geschichten herangegangen bin. Ich habe sie so lange umschlichen, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe und mit Schreiben beginnen musste.

Ich kann mir zudem durchaus vorstellen, dass ich, wenn mir nichts Neues mehr einfallen will, einfach auf die alten, auf die bereits bestehenden Geschichten zurückgreife, die aus diesem oder jenem Grund damals nicht zum Zuge gekommen und liegen geblieben waren, oder Geschichten, die damals am falschen Ort oder zum falschen Zeitpunkt dran waren, oder Geschichten, die damals an die falschen Leute geraten waren. All dies ist durchaus möglich, denn an Geschichten mangelt es mir nicht. Ich habe noch nie im Leben vor einem leeren Blatt Papier gesessen ohne zu wissen, was ich schreiben soll. Das berühmte „leere Blatt“ kommt ja nur in Schriftstellermärchen vor, vermute ich zumindest, in Märchen für sehr einfache Gemüter – und bei Peter Bichsel.

So komme ich auf Anhieb auf vier Geschichten, die mich zumindest für die nächsten vier Jahre eindecken würden, wenn ich so sagen darf: Die momentan am meisten präsente Geschichte ist diejenige vom Toten im Hauseingang in der Untergasse, das ist damals die Flugplatz-Worben-Geschichte gewesen, der Untergasse-Krimi. Aber es geht auch ohne Flugplatz, wenn mir scheint, der bringe es heute nicht mehr als Aufhänger. Es ist eine typische Erste-Satz-Geschichte, eine Erste-Szene-Geschichte, eigentlich ein eher seltener Fall bei mir, immerhin ein vielversprechender Anfang jedenfalls, der es bestimmt lohnen würde, weitergeschrieben zu werden. Ich müsste mich dazu nur erst konditionieren können wollen, nur das, sonst nichts.

Dahinter steckt die Überlegung, dass ich nicht mehr Geschichten schreiben will, die erst viele Recherchen verlangen und erfordern. Es würde mich anöden, auf den kleinen Flugplatz zu gehen und zu recherchieren. Oder doch? Das kann ich jetzt noch nicht sagen; ich müsste zunächst mal wissen, wie die Geschichte sich im Schreiben überhaupt erst entwickeln würde.