Sehnsucht, die nie vergeht - Toni Waidacher - E-Book

Sehnsucht, die nie vergeht E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Sebastian Trenker schraubte den Verschluß seiner Thermoskanne zu und steckte den Becher darüber. Dann verstaute er die Kanne im Rucksack und schnallte ihn sich über. Eine gute halbe Stunde hatte der Geistliche Rast gemacht, doch jetzt wurde es Zeit weiterzuwandern, wenn er bis zum Mittag das Ziel seiner Bergtour, die Kandererhütte, erreichen wollte. Wie immer hatte seine Haushälterin ihm reichlich Proviant mitgegeben, eigentlich zuviel für eine Person. Allerdings hatte Sebastian die Erfahrung gemacht, daß es hier oben, in der freien Natur, besonders gut schmeckte. Bestimmt lag es an der guten Bergluft, daß der Wanderer einen so großen Appetit entwickelte und kaum Brote wieder mit herunterbrachte. Indes hatte die Fürsorge seiner Haushälterin einen bestimmten Hintergrund. Sophie Tappert, die Perle des Pfarrhauses, hatte nämlich immer fürchterliche Angst, Hochwürden könnte sich auf einer seiner Touren verirren oder gar verunglücken, dann sollte er wenigstens nicht verhungern, bis Hilfe kam. Allerdings war diese Sorge völlig unbegründet. Sebastian Trenker kannte sich in den Bergen aus wie kein Zweiter. Schon in frühester Jugend hatte er als Bergführer gearbeitet und sich damit das Geld für das Studium verdient. So nannten ihn die Leute nicht von ungefähr liebevoll den ›Bergpfarrer‹. Für den guten Hirten von St. Johann gab es nichts Schöneres, als in seiner Freizeit auf Tour zu gehen, denn hier oben fühlte er sich seinem Herrgott ganz besonders nahe, und nicht selten begegnete ihm ein Mensch, dessen Schicksal nach Hilfe rief. Diese Hilferufe blieben nicht ungehört. Die ihm eigene unkonventionelle Art, auf die Menschen zuzugehen, machte es den Leuten leicht, ihm sein Herz zu öffnen, und Sebastian hatte für die Nöte seiner Mitmenschen stets ein offenes Ohr. Probleme wurden angepackt, denn eine Lösung gab es für den Bergpfarrer immer. Nachdem es eine Weile her war, daß Sebastian sich zu einer Tour aufmachen konnte, hatte es an diesem Morgen endlich geklappt. In aller Herrgottsfrühe hatte er das Pfarrhaus verlassen und war über den Höllenbruch und der Hohen Riest aufgestiegen. Noch lag das Dorf im Schlaf, und nur auf den umliegenden Höfen erwachte das Leben, als Sebastian, angetan in Wanderkleidung und festem Schuhwerk, losmarschierte.

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Der Bergpfarrer – 355 –

Sehnsucht, die nie vergeht

… auch wenn dich dein Herz in die Fremde zieht

Toni Waidacher

Sebastian Trenker schraubte den Verschluß seiner Thermoskanne zu und steckte den Becher darüber. Dann verstaute er die Kanne im Rucksack und schnallte ihn sich über.

Eine gute halbe Stunde hatte der Geistliche Rast gemacht, doch jetzt wurde es Zeit weiterzuwandern, wenn er bis zum Mittag das Ziel seiner Bergtour, die Kandererhütte, erreichen wollte. Wie immer hatte seine Haushälterin ihm reichlich Proviant mitgegeben, eigentlich zuviel für eine Person. Allerdings hatte Sebastian die Erfahrung gemacht, daß es hier oben, in der freien Natur, besonders gut schmeckte. Bestimmt lag es an der guten Bergluft, daß der Wanderer einen so großen Appetit entwickelte und kaum Brote wieder mit herunterbrachte. Indes hatte die Fürsorge seiner Haushälterin einen bestimmten Hintergrund. Sophie Tappert, die Perle des Pfarrhauses, hatte nämlich immer fürchterliche Angst, Hochwürden könnte sich auf einer seiner Touren verirren oder gar verunglücken, dann sollte er wenigstens nicht verhungern, bis Hilfe kam. Allerdings war diese Sorge völlig unbegründet. Sebastian Trenker kannte sich in den Bergen aus wie kein Zweiter. Schon in frühester Jugend hatte er als Bergführer gearbeitet und sich damit das Geld für das Studium verdient. So nannten ihn die Leute nicht von ungefähr liebevoll den ›Bergpfarrer‹.

Für den guten Hirten von St. Johann gab es nichts Schöneres, als in seiner Freizeit auf Tour zu gehen, denn hier oben fühlte er sich seinem Herrgott ganz besonders nahe, und nicht selten begegnete ihm ein Mensch, dessen Schicksal nach Hilfe rief.

Diese Hilferufe blieben nicht ungehört. Die ihm eigene unkonventionelle Art, auf die Menschen zuzugehen, machte es den Leuten leicht, ihm sein Herz zu öffnen, und Sebastian hatte für die Nöte seiner Mitmenschen stets ein offenes Ohr. Probleme wurden angepackt, denn eine Lösung gab es für den Bergpfarrer immer.

Nachdem es eine Weile her war, daß Sebastian sich zu einer Tour aufmachen konnte, hatte es an diesem Morgen endlich geklappt. In aller Herrgottsfrühe hatte er das Pfarrhaus verlassen und war über den Höllenbruch und der Hohen Riest aufgestiegen. Noch lag das Dorf im Schlaf, und nur auf den umliegenden Höfen erwachte das Leben, als Sebastian, angetan in Wanderkleidung und festem Schuhwerk, losmarschierte. Ein paar Wochen waren schon vergangen, seit er den alten Franz Thurecker besucht hatte, der auf der Kandereralm lebte und dort die Almwirtschaft und Käserei betrieb. Beinahe das ganze Jahr über blieb der Senner in seiner Hütte und kam nur für die kurze Zeit des Almabtriebs und des Winters ins Tal. Der Bergkäse, den der Senn herstellte, genoß einen legendären Ruf, und die Leute kamen von nah und fern, um beim Thurecker-Franz einzukaufen und zünftig zu essen. Manchmal, wenn der Andrang so groß war, daß der Senner ihn nicht mehr alleine bewältigen konnte, krempelte sich Pfarrer Trenker auch schon mal die Ärmel hoch, wenn er gerade oben auf der Hütte war, und half dabei, die Wünsche der hungrigen und durstigen Wanderer zu erfüllen.

Der Geistliche war gespannt, was Franz heute wohl seinen Gästen zu essen anbot. Bestimmt würden auf der Sonnenterrasse alle Plätze belegt sein. Es war Hochsommer, und in St. Johann gab es kaum noch ein freies Bett im Hotel oder einer der Pensionen.

Während Sebastian weiter hinaufstieg, die Almhütte lag beinahe zweitausend Meter hoch, schaute er sich immer wieder um. Es war einfach nur wunderschön hier oben.

Über ihm kreiste ein Steinadler, und in einiger Entfernung sah er ein paar Gemsen geschickt über die Felsen springen. Es war erstaunlich, daß die Tiere bei dem Tempo nicht abstürzten.

Inzwischen war die Sonne vollends aufgegangen, und ihre Strahlen waren schon recht heiß. Sebastian zog seine Windjacke aus und band sie sich um die Hüfte, nur den Hut behielt er auf. Der Geistliche schritt kräftig aus. Vor ihm beschrieb der Pfad eine Kurve, dahinter kam eine Senke, die er durchqueren mußte, um auf der anderen Seite wieder hinaufzusteigen. Eigentlich war es nicht der Weg, den er sonst nahm, aber irgendwie war es ihm heute in den Sinn gekommen, hier entlangzugehen.

Als der Bergpfarrer vor der Senke stand, stutzte er. Ungefähr dreihundert Meter vor ihm stand eine alte Hütte. Sie war Teil der Mooslacheralm, die dem Bauern Josef Anderer gehörte. Sie war uralt und längst nicht mehr in Betrieb. Der Besitzer hatte vergeblich nach einem Senner gesucht und, als er niemanden fand, der diese Arbeit übernehmen wollte, seine Kühe im Tal gelassen. Die Hütte stand seit Jahren leer und verfiel zusehends.

Ein Umstand, der Sebastian Trenker besonders ärgerte. Schon oft hatte er mit dem Bauern gesprochen und ihn gebeten, die Sennerhütte wieder instand zu setzen, doch jedesmal war er auf taube Ohren gestoßen.

Um so erstaunter war er jetzt, als er sah, daß aus dem Schornstein der schindelgedeckten Hütte Rauch quoll.

Und mehr noch – beinahe glaubte Sebastian zu träumen, denn auf der Wiese dahinter sah er Kühe stehen, ein Hund lief zwischen ihnen hin und her, und die Hütte sah aus, als wenn jemand sie renoviert hätte.

Der Bergpfarrer schaute ein zweites Mal und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Das gibt’s doch gar net«, murmelte er und schritt erwartungsvoll den Pfad hinunter.

Im selben Augenblick sah er eine Gestalt aus der Tür treten, in der Hand ein Beil.

*

»Grüß Gott«, nickte Sebastian dem jungen Mann zu, der einen prüfenden Blick auf den Wanderer warf, während er das Beil in einen Baumstumpf schlug, der ihm zum Holzhacken diente.

Der Geistliche hatte die Hütte erreicht.

»Ich hab’ ja gar net gewußt, daß die Mooslacherhütte wieder bewohnt ist.«

Der Mann, er mochte Anfang Dreißig sein, erwiderte den Gruß. Er war groß und von schlanker Gestalt. Das sympathische Gesicht wurde von einem Dreitagebart verdeckt. Die hellen Augen strahlten freundlich.

»So lang’ ist’s auch noch gar net her, daß ich hier oben eingezogen bin«, antwortete er. »Natürlich mit Genehmigung des Bauern.«

Den letzten Satz schien er extra zu betonen, als wolle er darauf hinweisen, daß er nichts Verbotenes tat.

»Na, das freut mich aber, daß der Anderer endlich zu der Einsicht gekommen ist, daß es schad’ wär, die Hütte weiter verkommen zu lassen.«

Sebastian reichte dem jungen Mann die Hand.

»Mein Name ist Trenker«, stellte er sich vor. »Ich bin der Pfarrer von Sankt Johann.«

»Markus Brenner«, erwiderte der andere und schaute ihn überrascht an. »Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Hochwürden.«

Dem Geistlichen war die Reaktion nicht entgangen, allerdings war sie ihm auch nicht fremd. Jeder, der ihn nicht kannte, machte ein erstauntes Gesicht, wenn er erfuhr, daß es sich bei dem sportlichen und agilen Mann, dessen Gesicht von vielen Aufenthalten in der Sonne stets leicht gebräunt war, um einen Priester handelte. Dem landläufigen Bild, das die Leute von einem Mann Gottes hatten, entsprach Sebastian Trenker nun wirklich nicht.

Markus Brenner deutete auf die Hütte.

»Ich hab’ sie zufällig entdeckt«, erzählte er, »und mir gesagt, daß das hier ein idealer Ort wäre, um in Ruhe und ein bissel Abgeschiedenheit zu leben.«

Er stieß einen leisen Pfiff aus, und der Hund kam herangelaufen. Der junge Mann strich dem Tier über den Kopf.

»Rocco gehört dem Andererbauern«, fuhr er fort. »Er hilft mir dabei, die Kühe zu hüten.«

Sebastian war immer noch erstaunt.

»Auf alles wär’ ich gefaßt gewesen«, meinte er. »Aber net darauf, daß hier wieder jemand lebt. Um so mehr freut es mich. Die Hütte war ja wirklich schon ein Schandfleck.«

Er betrachtete das Dach, das neu gedeckt war, und die Bretter, die in die Seitenwände eingezogen waren.

»Haben S’ das etwa alles alleine gemacht?« fragte er.

Markus zuckte die Schulter.

»Es blieb mir nix anderes übrig«, antwortete er. »Der Bauer wollt’s so. Es hat ein ziemliches Stück Arbeit gekostet, ihn überhaupt zu überreden, daß er mir die Hütte überläßt. Ihm war’s wohl wichtig, daß es ihn nix kostet. Erst als ich erklärt hatte, daß ich keinen Lohn von ihm will, war er einverstanden.«

»Ja«, lachte der Geistliche auf, »das sieht dem Josef ähnlich. Ich red’ seit Jahr und Tag auf ihn ein, daß er die Hütte endlich renovieren oder abreißen soll. Aber bin immer auf taube Ohren gestoßen. Erst jetzt, wo er jemanden hat, der ihm die Arbeit abnimmt, und das noch ohne Bezahlung, da tut sich hier endlich was.«

»Ich bin’s zufrieden«, meinte der junge Mann. »Das bissel Kühehüten und Melken ist ja keine wirkliche tagesfüllende Arbeit. Und das Käsen geht besser, als ich’s mir vorgestellt hab’.«

Er deutete auf eine Bank, die vor der Hütte stand.

»Woll’n wir uns net setzen?« schlug Markus Brenner vor. »Ich hab’ drinnen noch Kaffee auf dem Herd steh’n, möchten S’ vielleicht eine Tasse?«

Sebastian nickte. Es war zwar noch nicht so lange her, daß er seine Frühstückspause gemacht hatte, aber die Entdeckung, daß die Mooslacherhütte wieder bewohnt war, schien ihm so sensationell, daß er gerne mehr darüber erfahren wollte.

Besonders auch über den Bewohner, da Markus Brenner alles andere als ein Senner war, sah man ihm auf den ersten Blick an, und der Bergpfarrer hatte ein besonderes Gespür dafür, wenn jemand seine wahre Identität zu verbergen schien.

Markus war in die Hütte gegangen und kam kurze Zeit später mit zwei Kaffeebechern wieder heraus, von denen er einen dem Besucher reichte.

»Sie stammen aber net aus der Gegend«, stellte Sebastian nach dem ersten Schluck fest.

»Nein«, antwortete sein Gastgeber. »Meine Heimat ist das Allgäu. Ich bin in Kempten groß geworden, mein Va… – also, die Familie ist dort zu Haus’.«

Dem Seelsorger schien es, als habe Markus Brenner etwas anderes sagen wollen, es sich im letzten Moment dann aber anders überlegt. Und beinahe sah es so aus, als husche ein dunkler Zug über das Gesicht des jungen Mannes.

Allerdings ging Sebastian darüber hinweg.

»Kempten? Eine sehr schöne Stadt«, meinte er statt dessen und trank einen Schluck Kaffee. »Allerdings ist’s schon Jahre her, daß ich dort gewesen bin.«

Sie plauderten eine Weile über das Leben auf einer Sennerhütte, und der Geistliche erzählte von dem Alten auf der Kandereralm, den er noch besuchen wollte. Schließlich stand er auf und verabschiedete sich. Dabei überlegte er, ob er diesem Mann schon einmal begegnet war. Sebastian war irgendwie überzeugt, Markus Brenner von früher her zu kennen. Allerdings wollte ihm nicht einfallen, wann und wo das gewesen war.

»Wenn Ihnen mal danach ist, dann kommen S’ mich doch im Tal drunten besuchen«, lud er Markus ein.

»Das mach’ ich vielleicht sogar einmal«, nickte der lächelnd. »Allerdings wird’s mit der Zeit ein bissel knapp. Hier gibt’s ja immer was zu tun.«

»Ich mein’ auch nur, falls Sie mal etwas auf dem Herzen haben, Markus, oder einen Rat brauchen.«

»Danke, Hochwürden«, nickte der Senner. »Und wenn’s Sie mal wieder hierher verschlägt, sind S’ herzlich willkommen.«

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, und dann wanderte der Bergpfarrer weiter.

War es Zufall, daß er heute morgen diesen Weg gewählt hatte? Oder Eingebung, ein Wink des Schicksals?

Die Tatsache, daß die Mooslacherhütte wieder bewohnt war, war schon erstaunlich genug. Daß es aber ein junger Mann war, der sich hierher zurückgezogen hatte, das schien Sebastian Trenker sehr bemerkenswert. Vor allem aber, daß er ihm nicht unbekannt schien…

Natürlich konnte er nach dieser recht kurzen Unterhaltung kein abschließendes Urteil über Markus Brenner fällen, doch er war sicher, daß es einen bestimmten Grund geben mußte, daß dieser die Einsamkeit der Berge gewählt hatte. Unter der scheinbar sorglosen Oberfläche schlummerte etwas, das dem jungen Burschen Kummer machte. Das spürte Sebastian instinktiv, und er war sicher, nicht zum letzten Mal Markus Brenner besucht zu haben.

Er wollte hinter das Geheimnis kommen, das den Bewohner der Hütte ganz offensichtlich umgab…

*

Nachdem der Besucher gegangen war, brachte Markus die beiden Kaffeebecher in die Hütte und machte sich daran, den Vorrat an Feuerholz aufzustocken. Hinter der Hütte war ein Anbau, davor lagen große Äste und abgesägte Baumstümpfe. Es war Schwerstarbeit gewesen, sie aus dem Tal heraufzuschaffen, auch wenn der Andererbauer sich in diesem Punkt gnädig gezeigt hatte und den Traktor und einen Knecht zur Verfügung stellte. Das Holz wurde dringend gebraucht. Zum einen zum Beheizen des Kessels, der in dem hinteren Raum stand, und in dem die Milch erhitzt wurde. Zum anderen aber auch, weil es am Abend schon recht kühl wurde. Markus liebte es, dann am warmen Ofen zu sitzen, Roccos Kopf in seinem Schoß, und in einem Buch zu lesen.

Mit kraftvollen Schlägen trieb er das Beil in das Holz und hackte es in kleine Scheite.

Dabei dachte er über den Besucher nach. Markus überlegte, warum ihm dieses Gesicht gleich so vertraut war.

Kannte er den Geistlichen?

Er hielt einen Moment inne. Natürlich kannte er ihn, plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Mehr als einmal hatte er in der Kirche gesessen – eine der schönsten, die er je gesehen hatte – und den Predigten gelauscht. Freilich war er damals sehr viel jünger gewesen. Kein Wunder also, daß er sich im ersten Moment des Wiedersehens nicht erinnerte. Es waren ja auch inzwischen beinahe zwanzig Jahre vergangen, da konnte man schon mal das eine oder andere Gesicht vergessen.

Nachdem gut zwei Stunden vergangen waren, lag ein großer Berg Holzscheite neben dem Hackklotz, und Markus schichtete die Holzscheite an der Hüttenwand auf. Hier lagerte das Feuerholz einigermaßen trocken.

Von einem Gebirgsbach hatte man schon vor langer Zeit eine Wasserleitung heruntergebaut, die die Hütte mit frischem Wasser versorgte. Ein riesiger ausgehöhlter Baumstamm diente als Wasserreservoir und Tränke für die Tiere. Markus hatte sein Hemd ausgezogen. Kräftige Arme kamen zum Vorschein, und ein starker Rücken beugte sich über das eiskalte Wasser. Der Senner steckte den Kopf hinein, tauchte ein paar Sekunden unter und kam prustend wieder hoch. Er schüttelte das Wasser aus den Haaren und trocknete sich mit dem Hemd ab. Dann hockte er sich neben den Baumstamm und ließ die Sonne auf seinen nackten Oberkörper scheinen.

Es hatte schon eine lange Zeit gedauert, bis er sich an das Leben hier oben gewöhnt hatte, und wenn er es recht überlegte, war die Gewöhnungsphase auch noch nicht richtig abgeschlossen. Dennoch hätte er mit keinem Menschen auf der Welt tauschen mögen. Hier schien sich sein Lebenstraum endlich erfüllt zu haben. Zwar war es nicht unbedingt sein Wunsch gewesen, Senner zu werden, dafür hatte er nicht studiert und promoviert. Nein, aber seine ganz persönliche Vorstellung von einem Leben im Einklang mit der Natur, der kam seinem Dasein als Bewohner einer Berghütte schon sehr nahe.

Hier konnte er nicht in den nächsten Supermarkt gehen und einkaufen. Ganz im Gegenteil – wollte er Milch trinken, mußte zuerst eine Kuh gemolken werden. Käse gab es auch erst nach harter Arbeit und sorgfältiger Pflege der reifenden Laiber.

Kaffee war der einzige Luxus, den er sich gönnte. Ansonsten ernährte sich Markus Brenner von dem, was Mutter Natur ihm schenkte und den wenigen Vorräten, die er mit heraufgebracht hatte.

Nie zuvor hatte ihm Wasser so gut geschmeckt, wie das des kristallklaren Gebirgsbaches, und Pilze und Beeren zu sammeln war für ihn eine Leidenschaft geworden. Wie oft hatte er in den vergangenen Tagen nur Brot und Butter gegessen. Das Brotbacken hatte er schnell gelernt, selbst die Kunst, mit den alten Gerätschaften aus der fetten Milch Butter herzustellen, hatte er sich ohne große Schwierigkeiten angeeignet.

Aber es war etwas anderes, als mit einem Einkaufswagen durch ein Geschäft zu schieben und die Sachen, die man benötigte, nur einzupacken.

Und – er brauchte sich nur rasieren, wenn ihm danach war!