Sie liebt mich, sie liebt mich nicht … - Toni Waidacher - E-Book

Sie liebt mich, sie liebt mich nicht … E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer Sebastian Trenker hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Wundervolle, Familienromane die die Herzen aller höherschlagen lassen. Es war an einem Samstag im Juni, gegen zehn Uhr, als der Postbote einen Brief in den Briefkasten von Julia Nickl warf. Kurze Zeit später schaute Julia nach, ob sie oder ihr Lebensgefährte Post erhalten hatten. Julia, eine hübsche Frau von zweiunddreißig Jahren, war mitten in der Hausarbeit und entsprechend leger gekleidet; Jeans, T-Shirt, Hausschuhe. Die langen, dunklen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war alleine zu Hause. Julia nahm den Brief heraus. Er war an sie adressiert. Sie drehte ihn um und las den Absender. Ihre Tante Sonja Niedermeyer, die in St. Johann lebte, hatte den Brief geschrieben. Julia lächelte. ›Tante Sonja gehört zu der kleinen Minderheit, die noch Briefe verschickt‹, dachte sie amüsiert, riss das Kuvert auf, nahm den Brief heraus und las, ihr Lächeln schwand. Die Tante, die ältere Schwester von Julias Mutter, teilte ihr mit, dass sie nach massiven Herzbeschwerden im Krankenhaus liege. Sie werde wohl mindestens zwei Wochen dort bleiben müssen und ihre drei Hunde, vier Katzen sowie einige Hühner müssten versorgt werden. Im Moment erledige dies eine Nachbarin, aber über einen längeren Zeitraum wollte Tante Sonja dieser das nicht zumuten. Nun fragte die Tante an, ob sie nicht für die Zeit ihres Krankenhausaufenthalts nach St. Johann kommen könne, um ihre Tiere zu versorgen und ihr Haus zu hüten. Julia begann an ihrer Unterlippe zu nagen. Ihre Hand, die den Brief hielt, war nach unten gesunken. Es war nicht so einfach, alles stehen und liegen zu lassen, um nach St.

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Der Bergpfarrer Extra – 20 –

Sie liebt mich, sie liebt mich nicht …

Ein Herz fängt an, zu träumen

Toni Waidacher

Es war an einem Samstag im Juni, gegen zehn Uhr, als der Postbote einen Brief in den Briefkasten von Julia Nickl warf.

Kurze Zeit später schaute Julia nach, ob sie oder ihr Lebensgefährte Post erhalten hatten. Julia, eine hübsche Frau von zweiunddreißig Jahren, war mitten in der Hausarbeit und entsprechend leger gekleidet; Jeans, T-Shirt, Hausschuhe. Die langen, dunklen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war alleine zu Hause. Simon, ihr Lebensgefährte, war schon am frühen Morgen mit einigen Kumpeln an den Ammersee zum Angeln gefahren …

Julia nahm den Brief heraus. Er war an sie adressiert. Sie drehte ihn um und las den Absender. Ihre Tante Sonja Niedermeyer, die in St. Johann lebte, hatte den Brief geschrieben. Julia lächelte. ›Tante Sonja gehört zu der kleinen Minderheit, die noch Briefe verschickt‹, dachte sie amüsiert, riss das Kuvert auf, nahm den Brief heraus und las, ihr Lächeln schwand.

Die Tante, die ältere Schwester von Julias Mutter, teilte ihr mit, dass sie nach massiven Herzbeschwerden im Krankenhaus liege. Sie werde wohl mindestens zwei Wochen dort bleiben müssen und ihre drei Hunde, vier Katzen sowie einige Hühner müssten versorgt werden. Im Moment erledige dies eine Nachbarin, aber über einen längeren Zeitraum wollte Tante Sonja dieser das nicht zumuten. Nun fragte die Tante an, ob sie nicht für die Zeit ihres Krankenhausaufenthalts nach St. Johann kommen könne, um ihre Tiere zu versorgen und ihr Haus zu hüten.

Julia begann an ihrer Unterlippe zu nagen. Ihre Hand, die den Brief hielt, war nach unten gesunken. Es war nicht so einfach, alles stehen und liegen zu lassen, um nach St. Johann zu fahren, um dort für zwei Wochen oder noch länger zu bleiben. Sie war bei der Stadtverwaltung Weilheim beschäftigt, und am Montagmorgen musste sie dort wieder ihren Dienst antreten.

Außerdem war da noch Simon, ihr Lebensgefährte.

Julia ging zurück in die Wohnung, setzte sich ins Wohnzimmer und überlegte. Zum letzten Mal war sie zu Weihnachten in St. Johann gewesen. Das war fast ein halbes Jahr her. Eine Art Heimweh befiel Julia. Sie war in dem kleinen Bergdorf in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen aufgewachsen, ihre Eltern lagen auf dem Friedhof dort begraben.

Zu Tante Sonja hatte sie immer ein gutes Verhältnis gehabt. Sonja war nie verheiratet gewesen und hatte auch keine Kinder. Sie war ihre einzige nähere Verwandte. Nun war die Tante, sie ging auf die dreiundsiebzig zu, krank und auf Hilfe angewiesen.

Die Zweiunddreißigjährige ging in den Flur, wo auf einem Board das Telefon stand, und rief Ihren Lebensgefährten an.

»Was ist denn?«, meldete er sich grußlos und ziemlich unwirsch.

Julias Miene verschloss sich und ihre braunen Augen schienen sich noch mehr zu verdunkeln. Wieder einmal sagte sie sich, dass ihre Beziehung sich sehr verändert hatte. Durfte sie ihn nicht stören, wenn er mit seinen Kumpeln unterwegs war? In dieser Sekunde entschloss sie sich, dem Ruf der Tante zu folgen und nach St. Johann zu fahren. Sie sagte kühl: »Ich muss für einige Zeit nach St. Johann. Die Tante ist krank geworden und liegt im Krankenhaus. Ihre Haustiere müssen versorgt werden. Ich werd’ gleich losfahren und schätze, dass ich zwei Wochen, möglicherweise auch länger, bleiben muss.«

»Du musst doch am Montag in die Arbeit«, war Simons einziger, nüchterner Kommentar. Ihm schien ihre Abwesenheit egal zu sein.

»Ich werd’ Montagfrüh anrufen und zunächst einmal zwei Wochen Urlaub beantragen. Es ist kaum anzunehmen, dass man mir den Urlaub ablehnt. Schließlich handelt es sich um einen Notfall.«

»Dann bist du also gar nicht da, wenn ich heut’ Abend heimkomm’?«, fragte Simon.

»Nein. Aber du hast ja meine Handynummer. Falls es dich interessiert, ob ich in St. Johann gut angekommen bin, kannst du ja mal nachfragen.«

»Warum so spitz, Julia? Bist du sauer? Weshalb denn? Ich … Himmel – ein Fisch! Ich muss aufhören, Julia! Einer hat angebissen, ich muss ihn herausholen …«

Die Leitung war tot. Simon hatte die Verbindung einfach unterbrochen, ohne jeden Abschiedsgruß. Julia starrte auf die Wand, indes ihre Hand mit dem Hörer langsam nach unten sank. ›Ein Fisch! Einer hat angebissen …‹. Es klang wie Hohn in ihren Ohren.

Sie stellte den Hörer in die Ladestation zurück und ging gedankenverloren ins kleine Gästezimmer, in dem auch ein kleiner Schreibtisch mit einem Laptop darauf stand.

Julia wusste nicht, ob sie enttäuscht oder sauer sein sollte. Simon hatte nicht einmal gefragt, weshalb die Tante im Krankenhaus lag. Der Fisch an der Angel war wichtiger gewesen. Ihre Gedanken schweiften zurück in eine Zeit, in der Simon und sie unzertrennlich gewesen waren, in der er ihr alle Wünsche von den Augen ablesen wollte.

Die Liebe war dem Alltag gewichen. Sie lebten zwar unter einem Dach, aber ihre innige Zweisamkeit war zu einer reinen Zweckgemeinschaft geworden. Simon schien jegliches Interesse an ihr verloren haben. Er fuhr lieber mit einigen Kumpeln oder Kollegen zum Angeln an irgendeinen Fluss oder See …

Manchmal tat sein Desinteresse, wie eben jetzt, ihr weh. Und Julia fragte sich immer öfter, warum sie nicht längst die Konsequenzen gezogen und sich von Simon getrennt hatte. Die Hoffnung, dass er sich ändern und alles wieder so wie früher werden würde, sollte sie wohl endgültig aufgegeben. Und die Gefühle, die sie mal für ihn empfunden hatte, waren, wenn sie ehrlich war, auch erkaltet.

Julia setzte sich an den Computer und suchte die Telefonnummer der Bergklinik in St. Johann heraus. Dann rief sie an, sie bat, mit dem Zimmer ihrer Tante verbunden zu werden.

»Frau Niedermeyer hat Telefon und TV nicht gebucht«, erhielt Julia Bescheid. »Ich verbinde Sie mal mit der Station. Einen Augenblick bitte …«

»Danke.«

Es dauerte ein wenig, dann meldete sich eine Schwester. Julia bat, ihre Tante sprechen zu dürfen.

Die Krankenschwester sagte: »Sie können nur über mein Telefon mit ihr sprechen. Ich muss es allerdings zu ihr aufs Zimmer bringen. Wenn Sie sich ein bissel gedulden.«

»Gerne«, erwiderte Julia.

Es dauerte nur eine halbe Minute, dann meldete sich die Tante mit schwacher Stimme: »Julia, bist du’s?«

»Ja, Tante. Grüß dich. Ich hab’ deinen Brief erhalten. Wie geht's dir – und weshalb musstest du ins Krankenhaus?«

»Eine bakterielle Entzündung des Herzmuskels. Der Arzt meint, damit ist net zu spaßen. Es geht mir gar net gut. Wie schaut’s denn aus? Kannst du für ein paar Tage herkommen?«

»Ich zieh’ mich nur um, pack’ ein paar Klamotten und was man sonst so braucht zusammen und fahr dann gleich los, Tante. In spätestens zwei Stunden sehen wir uns. Darf ich dich was fragen, Tante?«

»Frag’, Madel.«

»Wann schaffst du dir endlich ein Handy an? Und warum hast du das Telefon in deinem Zimmer net gebucht? Kommt’s dir wirklich auf die paar Euro an? Du bist ganz schlecht zu erreichen, und den Schwestern bereitest du nur Umstände, wenn du net direkt angerufen werden kannst.«

»Mit dem neumodischen Zeug, wie einem Handy, kenn’ ich mich net aus«, antwortete Sonja. »Das Telefon hab’ ich net gebucht, weil ich’s net brauch’. Das Geld kann ich mir sparen. Du hast mich ja erreicht.«

Julia schwankte zwischen Seufzen und Lächeln. »Ist schon in Ordnung, Tante. Bis bald!« Sie legte auf. Tante Sonjas Sparsamkeit war fast schon sprichwörtlich. Abgesehen davon war sie ein liebenswerter Mensch und sie freute sich schon auf sie. Und sie freute sich auf St. Johann.

*

Julia erreichte Garmisch-Partenkirchen und fuhr von dort aus Richtung St. Johann.

Auf der Passhöhe angekommen, steuerte sie den Parkplatz bei dem Aussichtspunkt an, stellte den Wagen ab und stieg aus.

Sie atmete tief durch. ›Heimatluft!‹, schoss es ihr durch den Kopf und ein etwas wehmütiges Lächeln verzauberte ihr schmales, sonnengebräuntes Gesicht, das durch seine Gleichmäßigkeit bestach.

Es war nur ein halbes Jahr her, seit sie zum letzten Mal hier war, sie aber hatte das Gefühl, eine Ewigkeit nicht mehr zu Hause gewesen zu sein.

Sie ging zu der großen, natürlichen Bergkanzel, die mit einem eisernen Geländer gesichert war, hinter dem es wohl an die zweihundert Meter fast senkrecht nach unten ging. Bei dem Geländer angelangt, ließ sie den Blick ins Wachnertal schweifen.

Es wurde von bewaldeten Bergen umgeben, dahinter erhob sich das Hochgebirge mit einigen Zweitausendern, deren Gipfel den blauen Himmel zu berühren schienen. Hier und dort zog eine Gruppe weißer Wolken, getrieben von einem trägen Wind, nach Osten. Manchmal wurden die Bergspitzen von diesen Wolkengebilden eingehüllt.

Die Sonne stand noch hoch im Zenit und die Luft über dem Tal schien zu flimmern. Winzig klein waren in der Ferne die Häuser St. Johanns auszumachen. Aussiedlerhöfe umgaben in einem weiten Umkreis die Gemeinde. Blühende Wiesen, Äcker und Felder wechselten sich ab.

Ein überwältigendes Glücksgefühl stürmte auf Julia ein, und sie fragte sich einen Moment lang, ob sie in Weilheim nicht einfach ihre Zelte abbrechen und nach St. Johann zurückkehren sollte. Das einzige, was sie noch an Weilheim band, war ihr Job bei der Stadt. Er war krisenfest und nicht schlecht bezahlt. Hier, in St. Johann, wäre ihre berufliche Zukunft ziemlich ungewiss.

Sie ließ die grandiose Aussicht auf das geliebte Wachnertal noch ein wenig auf sich wirken, verinnerlichte sie und für diese Zeit gelang es ihr sogar, das Bedrückende, mit dem sie Tag für Tag abends zu Bett ging und am Morgen wieder aufstand, aus ihrem Bewusstsein zu verbannen. Es hatte sogar einen Namen. Er lautete Simon Kaltenbacher.

Längst hatte Julia erkannt, dass es für sie beide keine Zukunft gab. Die Frage, warum sie noch immer bei ihm war, wurde immer drängender. Fand sie einfach nicht den Mut, sich freizumachen, sich auf eigene Beine zu stellen und ein neues Leben aufzubauen?

Lange Zeit stand Julia gedankenverloren auf dem Aussichtspunkt und schien in sich hineinzulauschen. Dumpf pochte das Herz in ihrer Brust. Es hatte einmal für Simon geschlagen. Ein klein wenig schlug es vielleicht immer noch für ihn. Sie seufzte und wandte sich ab. ›Das Leben ist kein Ponyhof‹, sagte sie sich. ›Augen zu und durch!‹

Sie fuhr weiter, die Passstraße schlängelte sich in engen Serpentinen ins Tal hinunter und die Fahrt ins Tal erforderte ihre ganze Konzentration. Schließlich war sie unten. Sie fuhr aber nicht nach St. Johann, sondern sofort zur Bergklinik auf der Nonnenhöhe.

Am Kiosk der Klinik kaufte sie einen schönen, bunten Blumenstrauß, dann erkundigte sie sich an der Rezeption, auf welcher Station und in welchem Zimmer sie ihre Tante finden würde, fuhr in die zweite Etage hinauf und klopfte wenig später an die Tür zu dem Krankenzimmer …

Sonja Niedermeyer lag in einem Zweibettzimmer. Die Frau im anderen Bett schlief. Julias Tante aber hatte den müden Blick auf die sich öffnende Tür gerichtet, als sie aber ihre Nichte erkannte, blitzte in ihren blassblauen Augen die Freude auf. »Da bist du ja, Julia«, sagte sie mit matter Stimme, die erahnen ließ, wie sehr sie die Herzmuskelentzündung geschwächt hatte.

Julia erschrak. Ihre Tante war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Bleich, mit tief in dunklen Höhlen liegenden Augen und eingefallenen Wangen lag sie da und versuchte zu lächeln.

Julia trat an das Bett heran und nahm die Hand ihrer Tante, die auf der Zudecke lag, beugte sich über sie und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Was machst du denn für Geschichten, Tante?«, murmelte sie und hielt die kraftlose Hand fest.

»Es wird schon wieder«, erwiderte die Tante leise und ein Lächeln zeigte sich auf ihren bleichen Lippen. »Unkraut vergeht net, Julia. Der Arzt meint auch, dass ich das wegsteck’. Mach dir keine Sorgen! Es geht mir in erster Linie darum, dass jemand da ist, der sich um meine Viecherl kümmert. Die Huber-Franzi versorgt sie zwar im Moment, aber die Hunde und Katzen sind die meiste Zeit des Tages allein im Haus, und das ist net gut. Drum hab’ ich dich gebeten …« Sonja brach erschöpft ab.

»Das krieg’ ich schon hin«, versicherte Julia schnell. »Ich werd’ schon dafür sorgen, dass deine Hunde, Katzen und Hühner net vereinsamen.« Sie versuchte etwas gute Laune zu vermitteln. »Und ich besuch dich auch jeden Tag, dann wird dir die Zeit im Krankenhaus net so lang.«

»Du bist ein gutes Madel, Julia. Aber das hab’ ich ja schon immer gewusst. Ein schöner Strauß, den du mir mitgebracht hast. Ich werd’ nachher eine der Schwestern bitten, ihn in eine Vase zu tun.«

Jetzt ließ Julia die Hand der Tante los, legte den Blumenstrauß auf den Nachttisch und setzte sich auf die Bettkante. »Wo hast du dir denn die Bakterien eingefangen, die zu der Herzmuskelentzündung geführt haben?«, erkundigte sie sich.

»Das ist schwer zu sagen. Gemerkt hab’ ich’s, weil ich bei der geringsten Anstrengung plötzlich kaum noch Luft bekommen hab’, außerdem war da immer dieses Druckgefühl in der Brust – und das Herzrasen. Ja mei, Madel, ich bin halt nimmer die Jüngste, und die Zipperlein melden sich immer öfter. Was hat denn der Simon gesagt, weil ich dich gebeten hab’, herzukommen? Er wird gewiss net erbaut gewesen sein, muss er doch in der nächsten Zeit für sich selber sorgen.«

Ein Schatten schien über Julias Gesicht zu huschen. »Der ist heut’ Morgen mit einigen Freunden zum Angeln gefahren und kommt erst am Abend wieder heim. Ich hab’ ihm telefonisch Bescheid gesagt. Er meint, er kommt zurecht, wenn ich ein paar Tag’ net zu Haus’ bin.«

Sonjas Blick tastete sich über Julias Gesicht und versuchte darin zu lesen. »Du klingt net gerade glücklich, Madel. Läuft’s net so gut mit dir und dem Simon?«

Julia versuchte dem forschenden Blick ihrer Tante standzuhalten, doch sie schaffte es nicht. Sie spürte Verlegenheit und schaute weg. »Der Alltag«, murmelte sie und atmete durch. »Das ist wohl in jeder Beziehung so. Irgendwann brennt das Feuer nimmer so heiß wie am Anfang. Damit muss man leben.«

»Ja, das stimmt«, pflichtete Sonja ihrer Nichte bei. »Der Lack blättert ab und der Himmel hängt irgendwann nimmer voller Geigen. Das ist der Lauf des Lebens, Madel. Damit muss man sich abfinden und versuchen, das Beste draus zu machen.«

»Das ist wohl so«, sagte Julia. »Aber der Simon und ich kriegen das schon auf die Reihe. Ich freu’ mich jedenfalls, dass ich dir helfen kann, Tante. Am Montag werd’ ich telefonisch Urlaub für die nächsten zwei Wochen beantragen. Der Genehmigung dürft’ nix im Weg stehen. Du musst dir also wegen deiner Tiere net die geringsten Sorgen machen.«

Die Tür ging auf und eine Krankenschwester schaute herein, sie sagte: »Ah, Sie haben Besuch, Frau Niedermeyer.« Die Schwester nickte Julia freundlich zu, dann wandte sie sich wieder an die Patientin und sagte: »Machen S’ sich bitte fertig, Frau Niedermeyer, Sie werden in zehn Minuten zu einer Untersuchung abgeholt.«

»Danke, Schwester Martha«, erwiderte die Kranke. »Ich hätt’ eine Bitte, Schwester. Könnten S’ mir für diesen herrlichen Blumenstrauß eine Vase mit Wasser bringen?«

»Aber natürlich, Frau Niedermeyer.« Die freundliche Schwester Martha schloss die Tür.

»Ich werd’ dann gleich mal zu deinem Haus fahren, Tante«, sagte Julia.