Sklavenmarkt Europa - Michael Jürgs - E-Book

Sklavenmarkt Europa E-Book

Michael Jürgs

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Beschreibung

Verkauft, versklavt, zur Prostitution gezwungen.

Menschenhandel ist die moderne Form der Sklaverei und eine so grausame Geschichte wie einst die des Sklavenhandels. Frauen, Männer, Kinder werden von kriminellen Vereinigungen versklavt in Prostitution und Zwangsarbeit, verkauft als Haussklaven und an Bettlerbanden, ausgebeutet mit Dumpinglöhnen und ausgeschlachtet im internationalen Organhandel. In Europa beträgt der geschätzte jährliche Umsatz des organisierten Verbrechens mit der Ware Mensch 15 Milliarden Euro.
Michael Jürgs reiste auf die Dunkelfelder des Verbrechens, war bei Razzien und Strategiesitzungen dabei und befragte bei Europol, Bundespolizei, UNO, Frontex und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen die Frauen und Männer, die den Kampf gegen die Gesetzlosen im Namen des Gesetzes bestreiten.

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MICHAEL JÜRGS

Sklavenmarkt Europa

Das Milliardengeschäft mit der Ware Mensch

C. Bertelsmann

1. Auflage

© 2014 by C. Bertelsmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: buxdesign, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-12436-6

www.cbertelsmann.de

Inhalt

KAPITEL 1 Rohstoff Mensch: Leidtragende

KAPITEL 2 Global Player: Menschenhändler

KAPITEL 3 Im Einsatz: »Operation Scheich«

KAPITEL 4 Grenzfälle: Ware Frau

KAPITEL 5 Fluchtburgen: Kein schöner Land in dieser Zeit

KAPITEL 6 Organhandel: Wie Armut ausgeschlachtet wird

KAPITEL 7 Frauenpower: Das Netz der Helferinnen

KAPITEL 8 Politik & Moral: Ach, Europa!

ANHANG

Bibliografie

Weitere Quellen (Auswahl)

REGISTER

»Menschenhandel ist die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch die Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder anderer Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaften oder die Entnahme von Organen.«

Aus dem am 15. November 2000 in Palermo beschlossenen Protokoll gegen die »Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg« und dem Artikel zur »Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels« (Palermo-Konvention) der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität

KAPITEL 1Rohstoff Mensch: Leidtragende

Als Gott in berechtigtem Zorn Adam und Eva aus dem Paradies verbannte, weil sie trotz seines Verbots Früchte vom Baum der Erkenntnis gepflückt hatten, gab ER ihnen bekanntlich eine gewichtige Erblast mit auf den Weg. Der Sündenfall, die Stunde null in der Menschheitsgeschichte, belastete fortan ihre Nachkommen. Seitdem lauert das Böse als beispielsweise Unterdrückung, Vergewaltigung, Ausrottung im beispielhaft Guten wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Menschen unterjochen oder ermorden einander, wann und wo auch immer auf der Welt.

Edward O. Wilson, der Begründer der Soziobiologie, der ein ganzes Forscherleben lang die biologischen Grundlagen sozialen Verhaltens untersuchte, erachtet als Wissenschaftler naturgemäß weder Gottes Gnade noch Teufels Werk, weder Gottes Zorn noch Satans Verführung als wesentlich für Gut und Böse. »Ist der Mensch von Natur aus gut, wird aber von der Macht des Bösen verdorben? Oder ist er vielmehr von Natur aus verschlagen und nur durch die Macht des Guten zu retten?« Beides treffe zu, meint er, was zu dem Schluss führe, dass es dabei auch bleiben wird, jetzt und immerdar, falls es nicht gelinge, die Gene zu verändern. «Denn das menschliche Dilemma wurde in unserer Evolution festgelegt und ist mithin ein unveränderlicher Teil der menschlichen Natur.«

Versklavung von Besiegten war selbstverständlich für die Siegreichen ungeschriebenes Recht der Herrschenden, bis dereinst in der amerikanischen Verfassung Menschenrechte festgeschrieben wurden. Ägypter hielten sich Sklaven. Perser hielten sich Sklaven. Griechen hielten sich Sklaven. Wikinger hielten sich Sklaven. Auf den Äckern. In den Häusern. In den Betten. In den Schlachten. Sklavenhaltung war im Römischen Reich sogar eine tragende Säule des Systems, ohne die das Imperium lange vor seinem tatsächlichen Untergang untergegangen wäre. Ein Drittel der Bevölkerung, erbeutet in siegreichen Feldzügen, diente als Sklaven den anderen zwei Dritteln.

Die ausgebeutete Minderheit wagte zwar gelegentlich einen Aufstand gegen die Mehrheit, etwa den historischen unter der Führung von Spartacus, verfilmt von Hollywood rund zweitausend Jahre später. Aber die Aufrührer bezahlten ihren Freiheitsdrang mit dem Leben und wurden entlang der römischen Heerstraßen zur Abschreckung ans Kreuz genagelt.

Vae victis, wehe den Besiegten: Seit den Kriegen der Antike war ihnen bewusst, was bei einer Niederlage drohte – die Sklaverei. Sie hätten umgekehrt im Fall eines Sieges ihre Feinde nicht anders behandelt. In Friedenszeiten erfüllten Begehrlichkeiten und Bedürfnisse der Sklavenhalter für Haus, Hof oder Harem die Sklavenhändler. Ihr Geschäft blühte. Kein anderes Gewerbe garantierte so große Gewinne bei so geringem Risiko wie das mit der Ware Mensch. Über die damaligen Umsätze und Gewinnspannen existieren logischerweise keine Aufzeichnungen. Daran hat sich nichts geändert.

Denn auch in der Neuzeit gibt es nur Vermutungen über Renditen im Dunkelfeld Menschenhandel. Aber die Bewertungen auf der Grundlage von kriminalpolizeilichen Statistiken aus Staaten oder Regionen, die hauptsächlich den Markt beliefern, und Preisen, die dort erzielt werden, wo die Nachfrage am größten ist, sind wohl nahe an der Realität. Im »Global Report 2012« des in Wien unter dem Dach der UNO ansässigen United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) wird von einem »exorbitanten« Geschäftsmodell gesprochen. Die Polizeibehörden der an der UNODC-Studie beteiligten 137 Länder schätzen, dass auf dem Wachstumsmarkt »Mensch« weltweit pro Jahr ungefähr 30 Milliarden Dollar verdient werden. Darin enthalten sind Gewinne aus freiwilliger wie aus erzwungener Prostitution, Erlöse aus freiwilligen wie aus erzwungenen Arbeitsleistungen, aus Kinder- wie aus Organhandel, aus dem Handel mit Haussklaven und Scheinehen wie aus dem Geschäftszweig Menschenschmuggel der Schleuserbanden.

Die Schätzungen für die Gesamterträge aller kriminellen Organisationen in der Freihandelszone Europa liegen bei rund fünfzehn Milliarden Dollar jährlich, und damit nur noch knapp hinter den Gewinnen aus dem Drogenhandel. Die Ursachen für diesen Boom sind leicht auszumachen und auch einfach erklärbar: An Rauschgift oder gefälschten Arzneimitteln verdienen zwar in der Kette vom Produzenten zum Endabnehmer verschiedene kriminelle Zwischenhändler, aber irgendwann ist die Ware konsumiert, also verbraucht. Die Ware Mensch dagegen garantiert Mehrwert. Frauen zum Beispiel lassen sich immer wieder von einem Land ins nächste verschieben, von einem Bordell ins nächste. Menschenhandel ist deshalb für das internationale Verbrecherkartell der Geschäftszweig mit dem größten Potenzial, bei garantiert zweistelligen Renditen.

Investitionskosten beim Erwerb der Frauen, Mädchen, Männer, Kinder in deren Heimatländern sind »Peanuts«, um einen legendären Begriff aus der legalen Wirtschaft zu bemühen, die Risiken wegen stetiger Nachfrage in Europa gering. Nachdem ab 2009 Länder wie Spanien, Griechenland, Portugal aufgrund der selbst verschuldeten Rezession als Abnehmer für billige Arbeitskräfte in der Landwirtschaft oder auf dem Bau ausfielen, erschlossen sich die Händler der organisierten Kriminalität (OK) neue Märkte in der Türkei, in der Schweiz, in Skandinavien.

In diesem Dunkelfeld sind die Grenzen zwischen Schmuggel und Handel, Flucht und Schleusung fließend, aber es geht dabei gar nicht immer um Mehrwert. Sondern um mehr. Taliban und Al Qaida setzen für Selbstmordattentate Kinder ein, die sie deren Familien abgekauft haben, somalische Terroristen betreiben Sklavenhandel, um dadurch Geld für Waffen und Trainingslager zu verdienen. Als ich davon in einer UN-Studie las, hielt ich es für ein nicht beweisbares, aber erschreckend möglich klingendes Gerücht. Doch wie ich später bei Gesprächen mit Ermittlern erfuhr, entspricht es der Wahrheit.

Die Erkenntnisse basieren auf Ermittlungen, Opferaussagen, Festnahmen, Anklagen, Prozessen in den Ländern, in denen die Ware Menschen erbeutet, und in den Ländern, in denen ausgebeutet wird. Diese Informationen, die UNODC sammelt, erlauben Hochrechnungen, die den tatsächlichen Verhältnissen ziemlich nahe kommen dürften. Demzufolge sind zwischen 55 und 60 Prozent aller Opfer des weltweiten Menschenhandels noch nicht volljährige Mädchen und junge Frauen. Durchschnittliche Einnahmen der »Besitzer« pro Körper: 65000 Dollar. »Durchschnittlich« ist ein Annäherungswert. In der Statistik schlagen sich sowohl die regionalen Preise für sexuelle Dienstleitungen in den Ursprungsländern nieder als auch die horrenden Gewinne, die in den Bordellen Westeuropas mit Prostitution erwirtschaftet werden.

Es folgen in der Auflistung mit einem Anteil von 27 Prozent Kinder unter 14 Jahren, ausgebeutet als Arbeitssklaven in Asien oder Afrika oder verkauft an Pädokriminelle, die aus entwickelten Ländern in Entwicklungsländer Südostasiens oder Osteuropas kommen und sich dort bedienen.

Sexual Exploitation, sexuelle Ausbeutung, ist also ein sicherer Wachstumsmarkt. Jedes Jahr wachsen ihm neue Kunden nach, jedes Jahr erlangt neue Ware Marktreife. Darf man darüber so, in der Sprache eines Finanzanalysten, eines Aktienhändlers, eines Bankberaters, schreiben?

Vermutlich nicht.

Doch Zynismus schützt mitunter vor Verzweiflung.

58 Prozent des im Menschenhandel erzielten Gewinns werden auf dem internationalen Sexmarkt erzielt. Dahinter rangieren Erlöse aus Zwangsarbeit, wozu auch wie Sklaven gehaltene Dienstboten in besseren Kreisen gerechnet werden, mit 36 Prozent – seit der weltweiten Finanzkrise ab 2007/2008 hat sich deren Zahl verdoppelt –, dann folgen fürs Betteln und für Diebstahl von ihren Sippschaften an Banden verkaufte Kinder mit einem Marktanteil von 1,5 Prozent.

Am Ende der Skala steht ein Fragezeichen, denn genaue Zahlen über den ebenfalls zum globalen kriminellen Dunkelfeld zählenden Organhandel gibt es nicht. Dass hier ein Schwarzmarkt existiert, bezweifelt zwar niemand, aber die Käufer schweigen. Und die Verkäufer, entlohnt für ihre Niere, reden selbst dann nicht, wenn die Spätfolgen der meist verpfuschten Operationen am eigenen Leib ihr Leben zerstören, das sie mit dem Verkauf eines ihrer Organe eigentlich verbessern wollten.

Einzelne Fälle, in denen gezielt Menschen gejagt, getötet und dann je nach bestellter Einzelware ausgeschlachtet wurden, sind laut UNODC aus sechzehn Ländern bekannt. Jagdreviere der Kriminellen sollen seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien auch Flüchtlingslager in Jordanien, Ägypten, der Türkei sein. Aber ich war lange skeptisch, ob sich solche Horrorszenarien durch seriöse Recherchen würden belegen lassen.

Bis ich eines Schlechteren belehrt wurde.

»Wie ermittelt man eigentlich Gewinne im Menschenhandel?«, fragte ich einen Polizeioffizier in England. Die Lieferanten veröffentlichen ja keine Bilanzen oder geben gar Steuererklärungen ab. Auf den Fakten, die wir kennen, sagte er, basieren unsere Hochrechnungen. Eine junge Frau aus beispielsweise Moldawien, Weißrussland, Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine, wobei diese Länder nicht eben zufällig von ihm genannt wurden, wird auf einem illegalen Sklavenmarkt in zum Beispiel Athen, Istanbul, Moskau für 1500 Euro versteigert. Auch diese Städte zählt er nicht von ungefähr, sondern von daher auf. Je attraktiver ein Mädchen ist, desto teurer lässt es sich dann – und jeder Zwischenhändler verdient beim Weiterverkauf – an Bordelle in Europa oder in den Golfstaaten, in Japan oder in Südkorea vermarkten.

Er wusste von Fällen, in denen Prostituierte, freiwillig tätig oder zu sexuellen Dienstleistungen durch Gewalt gezwungen, bis zu 150000 oder sogar 200000 Euro erwirtschaftet haben. Abzüglich laufender Kosten wie Logis, Essen, Trinken, Drogen, Kleidung, Transport verbleiben ihren Besitzern 60 bis 70 Prozent der Summen steuerfrei, den Frauen jene oben bereits erwähnten Peanuts oder am Ende nichts. Sie sind nicht nur körperlich beschädigt, sondern unheilbar seelisch gebrochen, wenn sie mal »entsorgt« werden.

Die Mädchen werden rücksichtslos ausgebeutet, und falls sie sich wehren, falls sie mehr als die lächerlichen paar Euro verlangen, die ihnen vielleicht bleiben, so lange missbraucht, bis sie jeglichen Widerstand aufgeben. Sobald sie nach Einschätzung ihrer Besitzer im Bordellbetrieb verbraucht sind, per Flatrate nicht mehr an die Männer zu bringen, werden sie entweder auf die unterste Stufe des Sexmarktes abgeschoben, die Straßenstriche in einem der Länder, aus denen sie einst voller Hoffnung auf ein besseres Leben aufgebrochen sind. Oder aber in die Freiheit entlassen, die sie sich selten leisten können, weil sie von dem, was sie angeschafft haben, kaum etwas abbekommen haben.

Laufend »Frischfleisch« zu liefern für Bordelle und Laufhäuser in Europa, ist allenfalls ein logistisches Problem der Menschenhändler. Sie rekrutieren ihren Nachschub, der unerschöpflich scheint, direkt in den armen Ländern Osteuropas oder Afrikas oder Asiens. Die Frauen sind rechtlos, schutzlos, hoffnungslos ihren Besitzern ausgeliefert. Ihre Ausbeutung ist ein sicheres Investment. Kein Wunder also, dass der Menschenhandel dominiert wird von international tätigen, straff organisierten kriminellen Vereinigungen. Der Spur des Geldes bis zur Quelle zu folgen ist die einzige Chance der Ermittler, die eigentlichen Drahtzieher zu erwischen. Das wissen die Kriminellen auch. Und unternehmen deshalb alles, diese Spur zu löschen, indem sie versuchen, ihre illegalen Einkünfte weißzuwaschen in der legalen Wirtschaft.

Bis zum 19. Jahrhundert wurde Menschenhandel international betrieben von so genannten Guten, die selbstverständlich geachtet waren. In der Jetztzeit wird der Handel beherrscht von so bezeichneten Bösen, die selbstverständlich geächtet werden. Millionen Menschen befinden sich zwar in einem sklavenähnlichen Arbeitsverhältnis, aber viele sind dazu gezwungen durch die hoffnungslose wirtschaftliche Situation und die Lebensumstände in ihrer Heimat und lassen sich deshalb freiwillig ausbeuten. Sie werden dabei von ihren »Arbeitgebern« nicht als Menschen be-, sondern gehandelt.

Internationale Organisationen wie ILO (International Labour Organisation) oder UNODC, Behörden wie EUROPOL, die deutsche Bundespolizei oder das amerikanische FBI schätzen, dass – alle Arten von Ausbeutung mitgerechnet – zwanzig Millionen Menschen nicht »über ihr Leben frei« bestimmen können. Entweder wie in Nordkorea, in China, im Sudan, in Somalia von den Herrschenden unterdrückt oder von kriminellen Netzwerken als Arbeitskräfte an die Landwirtschaft, an Schlachthöfe, auf Großbaustellen in Golfstaaten, als Hauspersonal nach Nordamerika, Kanada und Westeuropa oder im sexuell-industriellen Komplex von Prostitution und Pornografie verkauft. Frauen und Kinder sind die begehrteste Ware im Supermarkt Mensch. Die am meisten leidtragenden Menschen.

Im ursprünglichen transatlantischen Sklavenhandel zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert, als Portugal, Spanien, die Niederlande, Frankreich und der Marktführer England den Handel dominierten, dürften es insgesamt etwa zwölf Millionen Menschen gewesen sein, die aus Afrika in die Sklaverei verschleppt wurden. Viele Dörfer des Kontinents waren entvölkert. Die männliche Bevölkerung wurde verkauft in den überseeischen Kolonien der Großmächte, Frauen als Sexsklavinnen verschleppt, ihre Kinder getötet oder ebenfalls zur Arbeit gezwungen.

Männer waren damals im Gegensatz zu den heutigen Marktverhältnissen die begehrteste Beute der Menschenhändler, weil die Besitzer der Zuckerrohr- und Baumwollfelder, der Bergwerke und Goldminen vorrangig Arbeitskräfte brauchten. Und aufgrund der Sterberaten unter ihren Sklaven, bedingt durch unmenschliche Behandlung, laufend neue Lieferungen. Die Lebenserwartung der Versklavten war halb so hoch wie die der weißen Herrenrasse. In Brasilien allein wurden bis Ende des 19. Jahrhunderts vier Millionen Afrikaner als Sklaven ausgebeutet und ihre Frauen und Kinder als Dienstboten in den Haushalten der Plantagenbesitzer mitunter fast wie Menschen behandelt.

Kleines Glück im großen Unglück aber gab es nur selten. Die Käufer dagegen hielten es für ihr selbstverständliches Recht – und daran halten sich ihre kriminellen Nachkommen auch heute –, zur Durchsetzung ihrer Macht nötigenfalls Prügel, Vergewaltigung, Totschlag einzusetzen. Einige geglückte Aufstände entlaufener Sklaven, die dann ihre eroberten Freiräume eine Zeit lang zu behaupten vermochten, wie zum Beispiel in Kolumbien, Haiti oder Brasilien, sind die Ausnahmen. Die dortigen Maroons, abgeleitet vom spanischen Cimarrón, was soviel bedeutet wie »wild«, »ungezähmt«, waren tatsächlich wild. Ihre blutige Rache an denen, die ihnen Ungeheuerliches angetan hatten, gleichfalls ungeheuerlich.

Schon während der wochenlangen Transporte von Afrika nach Süd- oder Nordamerika, in die Karibik oder auf Handelsplätze in Europa, wo schwarzes Dienstpersonal bei den Reichen so begehrt war wie in besseren Kreisen heute, lag die als normal geltende Sterberate bei ungefähr 15 Prozent. Das heißt in harten Zahlen: anderthalb Millionen Tote in vier Jahrhunderten, zumeist entsorgt als Namenlose im Meer. Registriert sind bis zum Verbot des Sklavenhandels 27000 Schiffe – 12000 von ihnen unter britischer Flagge –, beladen mit Männern, Frauen, Kindern. Wenn sie im Bestimmungsland angeboten wurden, auf den Märkten wie Vieh gefesselt aufgereiht, prüften Kunden handgreiflich wie bei Kühen, Schafen, Pferden, ob die Ware auch in passablem Zustand war, bevor sie ein Gebot abgaben. Familien wurden meistens gnadenlos aufgeteilt und an unterschiedliche Besitzer verkauft.

Gerechtigkeit im Himmel oder gar auf Erden sind biblische Verheißungen, aber die wurden oder werden im wahren Leben selten erfüllt. Mein ist die Rache, spricht quasi tröstend im 5. Buch Mose der Herr, und wer ihm das glaubt, wird selig. Außer im Alten Testament gibt es aber keine Belege dafür, dass ER seinen Worten Taten folgen ließ.

Beweisbar dagegen ist, dass sowohl in der Vergangenheit die Täter ungeschoren davonkamen als auch in der Neuzeit die meisten einer Freiheitsstrafe entgehen. Befreiend wäre also deshalb der Glaube an Gottes Racheversprechen. Befriedigend die Vorstellung, dass alle, die einst der irdischen Gerechtigkeit entgingen, weil Verbrechen gegen die Menschheit als rechtens galten, und alle, die heute für Recht und Gesetz nicht greifbar sind, in der Hölle büßen müssten. Zum Beispiel bis zum Jüngsten Tag im Salzstock von Asse, wo in hunderttausend undichten Fässern Teuflisches verrottet, zwischengelagert werden.

Die Hoffnung auf höllische Qualen der Täter aber ist so oder so kein wirklicher Trost, nur ein naiv-frommer Wunsch. Entspricht jedoch oft dem der Opfer nach göttlicher Gerechtigkeit im Jenseits. Mahommah G. Baquaqua zum Beispiel, Mitte des 19. Jahrhunderts aus Afrika verschleppt, nach Brasilien transportiert, von Rio de Janeiro Richtung Nordamerika verschifft, im Hafen von New York in die Freiheit gesprungen und ans rettende Ufer geschwommen, verglich in einer damals protokollierten Aussage die Zustände auf den Sklavenschiffen mit denen, die seinem kindlichen Glauben entsprechend in der Hölle herrschen mussten: »In der ganzen Schöpfung kann ich mir nur einen einzigen Ort vorstellen, der noch schrecklicher ist als ein Sklavenschiff«, und fügte voller Hoffnung hinzu: »An diesem Ort werden sich eines Tages alle Sklavenhändler wiederfinden.«

Falls es jenseits von Eden allerdings ein solches Religionen und Rassen und Generationen übergreifendes ewiges Reich des Bösen geben sollte, dürfte es sich um eine Höhle riesigen Ausmaßes handeln.

Sklavenhandel einst war Menschenhandel, und Menschenhandel heute ist Sklavenhandel. Geändert haben sich die Mittel und die Methoden und gewandelt die Absatzmärkte. Menschenhändler des 21. Jahrhunderts sind global tätig, aber das waren ihre Vorgänger in den Grenzen der damals bekannten Welt auch. Kriminelle Organisationen nutzen für ihre Geschäfte die neueste Technik, so wie auch in den Jahrhunderten zuvor die Sklavenhändler den Fortschritt nutzten. Heute sind es offene Grenzen und Handys und das Internet, einst waren es Kanonen und Segelschiffe. Damals wie heute wurden die Hilfsmittel eingesetzt zu dem gleichen Zweck: reich zu werden durch Ausbeutung des Menschen.

Die heutige Definition der EU-Kommission trifft im Prinzip auch auf die Verbrechen von damals zu: »Menschenhandel ist Rekrutierung, Transport, Transfer, Beherbergung oder Empfang von Personen durch die Androhung von Gewalt oder den Machtmissbrauch zum Zweck der Ausbeutung.«

Sklaven- von Menschenhandel im Wesen zu unterscheiden, würde also die frühere moralische Rechtfertigung des Sklavenhandels, es handle sich bei »Negern« um Tieren ähnliche Wilde, die von der weißen Rasse entsprechend behandelt werden dürften, nachträglich legitimieren und damit die Täter von einst freisprechen. Dass Sklaven keine Menschen sind, wie Vieh auf die Weide getrieben und vor dem Transport mit Brandzeichen ihres Besitzers markiert wurden, zum Beispiel mit RAC, Royal African Company, entsprach den Gepflogenheiten des Marktes. Sonst hätte man entlaufenes Vieh nicht wiederfinden können, lautete die Begründung für den Fall, dass es einzelnen Sklaven gelang, auszubrechen und zu entfliehen. Heutige Sklavenhändler, russische, rumänische, bulgarische, albanische, türkische Banden, verpassen ihren Opfern Tattoos auf Brust und Oberarmen, um der kriminellen Konkurrenz im Menschenhandel zu signalisieren: Hände weg, ist fremdes Eigentum.

David Hume, der berühmte schottische Jurist und Historiker, gefeiert als bedeutender Philosoph der Aufklärung, vertrat der herrschenden Moral entsprechend zugleich auch Volkes Stimme. In seinem legendären Essay über den Charakter der Nationen (Of National Characters) behauptete er, dass »Neger von Natur aus den Weißen« unterlegen seien, keine Kultur, keine Wissenschaft, keinen Erfindungsgeist besitzen würden und dass in manchen Kolonien wie Jamaika ein Mann schon deshalb als genial gilt, weil er den Wortschatz eines Papageis habe. Heute würde er öffentlich als Rassist gebrandmarkt und von seiner Universität fristlos entlassen.

Zweifellos ein Fortschritt.

Eine Spurensuche in dunkler Vergangenheit ist im Unterschied zu Recherchen in Dunkelfeldern der Jetztzeit ungefährlich. Schandtaten weißer Händler aus Europa, die vierhundert Jahre lang mit der Ware Mensch Geschäfte machten und reich wurden, sind dokumentiert und ebenso zweifelsfrei nachweisbar wie die Versklavung im Land der Freien, in God’s own country, den Vereinigten Staaten von Amerika. Es hat vom Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs 1865 an fast genau hundert Jahre gedauert, bis 1964 durch Lyndon B. Johnsons Civil Rights und die Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre die Sklaverei nicht nur geächtet, sondern deren Verbot vor Gericht durch- und in der Praxis konsequent umgesetzt wurde.

Die Geschichte der Sklaverei, des Sklavenhandels und der Sklavenhalter in Nordamerika ist bestens erforscht und belegt, Schicksale der Geknechteten und Ermordeten sind beschrieben und verfilmt, von Harriet Beecher Stowes Millionenbestseller Onkel Toms Hütte1852 bis zu Quentin Tarantinos blutigem Film Django Unchained2012, vom legendären gescheiterten Aufstand des Sklaven Nat Turner gegen die Unterdrücker bis zur Fernsehserie Roots nach Alex Haleys Roman. Im Amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 kämpften die fünfzehn Sklavenstaaten der Konföderation im Süden gegen die Union im Norden, wo Sklaverei verboten war. Etwa vier Millionen »Unfreie« lebten in den Südstaaten, als die Auseinandersetzungen mit den Nordstaaten begannen, an deren Ende 750000 Soldaten und Zivilisten ihr Leben verloren hatten, weiße wie schwarze.

Angeblich hat der damalige US-Präsident Abraham Lincoln im Weißen Haus Harriet Beecher Stowe mit dem Satz begrüßt, so sehe also die kleine Frau aus, die den großen Krieg ausgelöst habe. Aber vielleicht ist es auch nur eine passend erfundene Anekdote, denn Onkel Toms Hütte hat in der amerikanischen Öffentlichkeit erwiesenermaßen mehr ausgelöst als alle Appelle und Aktionen der sogenannten Abolitionisten (abgeleitet von engl. abolition Abschaffung) gegen die Sklaverei. Ihr Buch war eine Art Kampfschrift gegen das Verbrechen namens Sklaverei. Und weil der Roman so viele Menschen bewegte, weil er eine so große Wirkung in der Öffentlichkeit entfaltete, könnte es durchaus stimmen, dass Lincoln die literarische Pfarrerstochter mit genau diesem Satz willkommen hieß.

Mit nur einer Stimme Mehrheit hatte er die entscheidende Abstimmung im Kongress gewonnen, wonach im 13. Zusatzartikel zur Verfassung Sklaverei und Zwangsarbeit grundsätzlich verboten wurden, bindend für all seine Nachfolger im Präsidentenamt. Dass damals ausgerechnet die progressiven Republikaner gegen die reaktionären Demokraten standen, scheint heutzutage, da die Republikaner alle sozialliberalen Gesetzesvorhaben der Demokraten und ihres Präsidenten Barack Obama torpedieren, kaum vorstellbar.

Doch genau so war es. Zur historischen Wahrheit gehört, dass es bereits Ende des 18. Jahrhunderts rund 700000 Sklaven in den Südstaaten gab und ihre Besitzer auf die Angebote der Sklavenhändler, frische »Ware« aus Afrika zu liefern, nicht mehr angewiesen waren. Die Nachkommen der Verschleppten, in dem Land geboren, in dem ihre Eltern und Großeltern unterdrückt wurden, schufteten für ihre weißen Herren, denn diese hatten sich quasi ihren eigenen Sklavenmarkt herangezüchtet. Auf dem bedienten sie sich je nach Bedarf. Gnadenlos. Rücksichtslos.

So brutal, wie einst die ersten Sklaven vom afrikanischen Kontinent verschleppt und verkauft wurden, so brutal wurden nun ihre Kinder und Kindeskinder gehandelt und ausgebeutet. Stückpreis für »starke Arbeitskräfte«: ungefähr 1000 Dollar (entspricht heute etwa 12000 Dollar). Die wurden »gepflegt«, indem sie Hütten bekamen zum Wohnen sowie Kleidung und Essen. Lohn gab es nicht, denn lohnen mussten sich Sklaven durch lange Arbeitszeiten auf den Feldern ausschließlich für ihre Herren. Die Investition sollte sich amortisieren. Je besser man die Sklaven behandelte, desto mehr Gewinn ließ sich durch Ausbeutung oder beim Weiterverkauf erzielen.

Bei den Versteigerungen auf den Sklavenmärkten des Südens gab es zuvor, ganz so wie es üblich war bei Viehauktionen, eine jeweils in der örtlichen Zeitung veröffentlichte Preisliste, damit jedermann das Mindestgebot wusste. »One Piece Negro Man named Sam«, etwa 26 Jahre alt, mitsamt seiner Frau Daphne war für 250 Dollar zu haben, also heute etwa 3000 Dollar, die beiden »Negerkinder« Aggy (girl) und Nat (boy) zusammen bereits für 60.

Doch auch was im Namen Allahs geschah, ist ein verschleierter Völkermord – so der Titel eines Buches des senegalesischen Anthropologen Tidiane N’Diaye –, weil der muslimische Sklavenhandel mehr Opfer gefordert haben soll als die geschätzt zwölf Millionen Afrikaner, die von den Kolonialmächten Portugal, Spanien, Frankreich, Niederlande und England versklavt wurden. Die Dunkelziffer beim von Arabern beherrschten Sklavenhandel, der lange vor dem der Europäer im 7. Jahrhundert begann, ist nach Überzeugung aller damit befassten Historiker noch höher. Damals starben viele Opfer schon beim Transport durch die Sahara, bevor sie überhaupt die Küstenhäfen erreichten. Sie marschierten in langen Kolonnen, Holzgabel um den Hals, durch Eisenketten miteinander verbunden, angetrieben von ihren Peinigern, die auf Kamelen neben ihnen ritten. Wer Peitschenhiebe und Strapazen und Durst und Hunger nicht überstand – was vor allem viele Kinder betraf –, blieb sterbend in der Wüste zurück. Eine Beute für Geier und Hyänen.

Über diesen Menschenhandel existieren kaum Dokumente oder gar Statistiken Die wenigen erhaltenen jedoch, schreibt N’Diaye, belegen Schauriges: »Der Vormarsch der Araber wurde für die schwarzen Völker zu einer regelrechten Überlebensfrage. Millionen Afrikaner wurden überfallen, niedergemetzelt, gefangen genommen oder kastriert und unter unmenschlichen Bedingungen karawanenweise quer durch die Sahara oder über den Seeweg in die araboislamische Welt deportiert.« Die Geschichte der Araber, die jahrhundertelang den afrikanischen Kontinent südlich der Sahara plünderten, Koran in der einen, Messer in der anderen Hand, sei geprägt von »erbarmungslosen Grausamkeiten«.

Die meisten Afrikaner, verschleppt aus ihren westafrikanischen Dörfern oder direkt von Häuptlingen und Stammesfürsten an arabische Sklavenhändler verkauft, starben bereits auf dem sechswöchigen Fußmarsch nach Nordafrika. Tote blieben am Wegesrand liegen. Männliche Sklaven, junge wie alte, hatten aber selbst am Ziel, auf den Sklavenmärkten an der Küste – etwa in Daressalam im heutigen Tansania oder in Mombasa im heutigen Kenia –, von wo aus sie an Kunden in Persien, Indien, dem Osmanischen Reich verschifft wurden, nur geringe Überlebenschancen. Bei den systematischen öffentlichen Kastrationen verbluteten vier von fünf Opfern. Entmannung vor Ablieferung an Endabnehmer war eine USP (Unique Selling Proposition) des Geschäftsmodells. Die Sklaven sollten in der Gefangenschaft keine Kinder zeugen können.

Kastration war zwingend vorgeschrieben für die als Haremswächter vorgesehenen künftigen Eunuchen, oft aber auch für Zwangsarbeiter auf den Feldern. Weshalb es auch in arabischen Ländern bis heute keine nennenswerte »schwarze Diaspora« mit möglichen Nachkommen einstiger Sklaven gibt wie in der Karibik, in Lateinamerika, sogar in Indien. Zweite Unique Selling Proposition der unter dem Deckmantel des Korans tätigen kriminellen Vereinigungen war die Islamisierung. Treueschwüre auf die Gebote des Propheten retteten zunächst einmal das Leben der Überfallenen, denn Mohammed hatte im Koran die Versklavung von Muslimen verboten. Wer sich weigerte, Muslim zu werden, wurde sofort getötet oder verschleppt. Ähnlich handelten später auch die Christen im Namen ihres Herrn.

Da es in der islamischen Welt nie eine Kulturrevolution wie die Aufklärung gab, blieb dieses finstere Kapitel der eigenen Geschichte unaufgeklärt. Die Hölle sind auch hier stets die anderen. Heute hat das Böse für Afrikaner und Araber einen Namen, auf den sie sich, eigene Schuld totschweigend, geeinigt haben. Es heißt Europa, es heißt Amerika. Schuldig sind beide zwar zweifellos. Aber diejenigen Nachkommen von Adam und Eva, die sich auf den berühmten Propheten berufen, eben auch.

Weil es lange vor der Invasion des Schwarzen Kontinents durch Europäer im 16. Jahrhundert bereits eine blutige Spur des innerafrikanischen Sklavenhandels gab, mussten sich Engländer, Portugiesen, Spanier, Holländer, Franzosen – und selbst Dänen, die vom heutigen Glückstadt an der deutschen Nordseeküste aus lossegelten – die Hände selten selbst blutig machen. Das erledigten die einheimischen Sklavenhalter. Darunter waren Pol-Pot-ähnliche Monster wie der König von Mteza, der laut Überlieferung schon mal ein paar hundert Sklaven an seinem Hof köpfen ließ, weil es ihm langweilig geworden war. Solche Gräuel waren dennoch die Ausnahmen. Dagegen gibt es für die von Arabern und Europäern begangenen Grausamkeiten im transatlantischen Sklavenhandel zahlreiche Beispiele.

Europäische Menschenhändler tauschten in Westafrika vor Ort ihre mitgebrachten Waffen, Stoffe, Glasperlen, Schnapsfässer gegen die »Ware« Sklaven ein, transportierten diese zu ihren Geschäftspartnern in der Karibik und in Südamerika, erhielten von denen, was deren Zwangsarbeiter auf Plantagen und Feldern erwirtschaftet hatten – also Tabak, Zucker, Baumwolle –, brachten diese Ladung zurück nach Europa und verkauften sie dort meistbietend. Unter damals als ehrbar geltenden Kaufleuten wurde dieses Modell des Welthandels als Triangel bezeichnet, als Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika, Karibik/Südamerika. Trotz des auf See naturgemäß vorhandenen Risikos, dass die Schiffe mitsamt der Ladung Mensch untergehen konnten, versprach die Strategie im Normalfall dank Gottes gütiger Fügung und günstiger Winde gewaltige Gewinne.

Bau und Ausrüstung eines Segelschiffs kosteten etwa 10000 Pfund, was heute etwa 550000 britischen Pfund entspricht. Aufgebracht nicht allein von vermögenden Reedern und reichen Kaufleuten, sondern oft auch von einem Anlegerkonsortium, zu dem Tischler, Bäcker, Metzger, Schuster als »Kleinaktionäre« gehörten. Ein Schiff hielt etwa zehn Jahre, schaffte dreißig bis vierzig Atlantiküberquerungen, bevor es abgewrackt werden musste.

Statt Glasperlen und Schnaps verlangten die auf den Geschmack gekommenen Verkäufer, darunter Häuptlinge und Könige aus dem Inneren Afrikas, die ihre Leibeigenen verscherbelten, zunehmend feine Tücher oder Gewehre fürs gegenseitige Abschlachten. Dennoch blieb es für die Händler aus Portugal, Spanien, Frankreich, Holland und England ein einträgliches Geschäft. John Cole und Kompagnons aus Liverpool, die den Bau der »African« finanziert hatten, amortisierten zum Beispiel im September 1794 bei »Sales of 268 Negro Slaves« in Jamaika bereits mit einer einzigen Ladung fast ihre gesamten Investitionen.

Die Abrechnung eines britischen Schiffskapitäns namens Thomas Trader, unterschrieben unter dem Vorbehalt möglicher Irrtümer vom Hafenmeister in Kingston, entspricht der im Warenhandel üblichen. Mit dem Unterschied, dass es sich bei der Ware hier um Menschen handelte. Aufgelistet sind: 112 Männer, 30 Frauen, 85 Knaben, 41 Mädchen. Gesamterlös bei der Versteigerung: 9082 Pfund. Abzüglich 951 Pfund als Heuer für Kapitän und Besatzung, Verpflegung, Einfuhrsteuer in Kingston usw. verblieben für die Eigner exakt 8130 Pfund.

Verglichen damit geht es beim Trafficking in Human Beings, abgekürzt THB, wie Menschenhandel in der internationalen polizeilichen Umgangssprache heute genannt wird, nachgerade menschlich zu. Zwar werfen immer wieder Menschenschmuggler ihre Fracht über Bord, wenn sie auf dem Weg von Afrika nach Spanien oder Italien von der Küstenwache entdeckt werden. Zwar gehen immer wieder überladene Schiffe im Meer unter, wobei sich die Schleuser rechtzeitig auf ihren eigenen schnellen Booten in Sicherheit bringen. Aber damit sich die Geschäfte auch auszahlen, werden beim grenzüberschreitenden Handel, zu Lande, zu Wasser, in der Luft, Menschen so behandelt, dass sie möglichst lange Rendite bringen. Tote sind tote Ware.

Für heutige Generationen, erst recht für die Generation Facebook, wird große Geschichte am besten nachvollziehbar durch kleine Geschichten über einzelne Menschen. In Liverpool, für den Sklavenhandel der wichtigste europäische Umschlagplatz, über den 75 Prozent der Geschäfte abgewickelt wurden, wobei von den geschätzt rund 1,5 Millionen Verschleppten etwa 150000 auf der Reise von oder zur Hafenstadt im Nordwesten Englands starben, sind ihre Geschichten erlebbar in einem Backsteingebäude am Albert Dock. »WE ARE SETTING THE TRUTH FREE« steht am National Museum zwischen von Ketten befreiten Fäusten in riesigen schwarzen Lettern auf gelbem Untergrund. Im International Slavery Museum im dritten Stock werden die Lebensläufe derer verlesen, die einst in Ketten lagen und von Liverpool aus übers Meer in die Sklaverei transportiert oder die hier ausgespuckt wurden, um verkauft zu werden. Ihr Schicksal belegt, wodurch die Stadt einst reich und mächtig wurde – durch Menschenhandel.

Liverpool erblühte zur Metropole des Sklavenhandels, übertrumpfte die beiden Hafenstädte Bristol und London und dominierte mit rund fünftausend Sklaventransporten auch die auf dem Kontinent – Amsterdam und Rotterdam in den Niederlanden, Nantes und Bordeaux in Frankreich, Lissabon und Porto in Portugal, Barcelona und Cádiz in Spanien.

Liverpools unrühmliche Geschichte begann beim Auslaufen der »Liverpool Merchant« am 3. Oktober 1699. Ziel war zunächst Nordafrika, wo für die anfangs üblichen Glasperlen, Stoffe und Schnapsfässer 220 Männer und Frauen eingetauscht und zur Arbeit auf einer Zuckerrohrplantage nach Barbados transportiert wurden, das im Lauf des folgenden Jahrhunderts wie Jamaika, Grenada, Trinidad oder die Bermudas zu den westindischen Kolonien des British Empire gehörte. Pro Mensch gab es an Bord nicht mal einen halben Quadratmeter Platz. Gehandelt wurde zum Stückpreis. Ein »Stück« Mann im besten Alter zwischen 30 und 35 erbrachte den »Merchant«-Besitzern etwa 18 Pfund. In den folgenden Jahrzehnten stiegen die »Stückpreise Mensch«, bis am Ende des offiziellen Sklavenhandelszeitalters fast 90 Pfund verlangt werden konnten. Die Nachfrage aus den westindischen Kolonien und denen der Krone in Nordamerika machte die Verkäufer reich, Skrupel kannten die gottesfürchtigen Christen nicht. Wer die Bedingungen während der wochenlangen Überfahrt bei Wasser und Brot nicht aushielt und starb, wurde einfach über Bord gekippt. Manchmal wurden Männer, Frauen, Kinder von der Crew auch lebend den Haien vorgeworfen – nur so zum Zeitvertreib.

Die anfangs siebzehnköpfige Crew der »Zong« zum Beispiel, unterwegs im Auftrag eines Syndikats ehrbarer Kaufleute, ertränkte 122 Afrikaner von den 442 an Bord zusammengepferchten Sklaven im Meer. Die genaue Zahl ist deshalb bekannt, weil die später eine wesentliche Rolle bei einer Gerichtsverhandlung spielen sollte. Grund für die Aktion, sagten zwei Matrosen aus, deren Aussagen im International Slavery Museum dokumentiert sind, sei akuter Wassermangel gewesen. Es habe einfach nicht für alle gereicht. Der Verbrauch musste reduziert werden, um die Heimat zu erreichen. Zudem lag das Schiff mit seiner menschlichen Ware vor der Karibikinsel Saint Thomas auf Grund.

Zunächst ließ man am 29. November 178154 Frauen und Kinder ertrinken, deren verzweifelte Schreie – auch dies durch Aussagen belegt – die Mannschaft nicht weiter störten. An den folgenden Tagen jagte die Crew so lange Männer über Bord, bis das Schiff wieder flott war und lossegeln konnte. Nach der Rückkehr in Liverpool wurden nicht etwa Kapitän Luke Collingwood und die Eigner der »Zong« verklagt, sondern die Versicherung, weil sie sich weigerte, die laut Vertrag festgeschriebene Schadenssumme von 8000 Pfund bei Verlust der Ware auszubezahlen. Die Jury entschied zugunsten der Sklavenhändler, weil es ihrer Überzeugung nach keinen Unterschied mache, ob man kranke Tiere über Bord werfe oder kranke »Neger«, wenn es darum ging, das eigene weiße Leben zu retten. Auch die Berufung der Versicherung, der es aber ausschließlich um ihr Geld ging und nicht etwa um den kaltblütigen Mord an 122 Menschen, gegen diese Entscheidung scheiterte.

Immerhin bestärkten der Fall und das Urteil die Abolitionisten im Kampf gegen den staatlich sanktionierten Menschenhandel, bis es ihnen 1807 gelang, dass Sklavenhandel in England per Gesetz verboten wurde – Jahrzehnte früher als in anderen Ländern. Aber mit dem Verbot in den eigenen Kolonien in Amerika ließ sich die Regierung noch Zeit bis 1833. Die Besitzer der Sklaven bekamen nach dem Slavery Abolition Act, dem Gesetz zur Aufhebung der Sklaverei, eine Entschädigung von insgesamt zwanzig Millionen Pfund (umgerechnet heute etwa eine Milliarde Pfund), weil ihnen mit der Abschaffung schließlich ja ihr Eigentum verloren ging. Die Sklaven erhielten nichts. Nur ihre Freiheit. Wenigstens wurde auf Befehl der Regierung das Verbot rigoros durchgesetzt. Ein »Westafrika-Geschwader« der Royal Navy jagte fortan Sklavenhändler und brachte deren Schiffe auf. Insgesamt sollen bei diesen Aktionen 150000 Sklaven befreit worden sein, bevor sie verkauft werden konnten.

Von einem der letzten Sklavenhändler, der sich nicht um das Verbot scherte, berichtet Hugh Thomas in seinem Standardwerk The Slave Trade: Noch 1850 brachte der zum Marquis ernannte spanische Sklavenhändler Julian Zulueta auf Dampfschiffen, beladen mit jetzt schon tausend Mann pro Transport, seine im heutigen Angola erworbene »Ware« auf seine Zuckerrohrplantagen nach Kuba. Weil er sie dort bei Kräften und lebend brauchte, ließ er sie vor der Überfahrt impfen und, weil der Spanier zudem ein gottesfürchtiger Katholik war, auch taufen. Damit sie im Todesfall nicht als Heiden vor Gott treten mussten.

Gegenüber dem International Slavery Museum, auf der anderen Seite der Mündung des Mersey, im historischen Teil der Hafenstadt an der Irischen See, wo Liverpudlians ihre Fußballvereine FC Everton und FC Liverpool singend in die Schlachten gegen die neureichen Klubs aus London und Manchester schicken, haben die Beatles eine kleine Straße so besungen, dass sie unsterblich wurde: Penny Lane. Weltweit kann eine Generation, die einst glaubte, »forever young« zu sein, auch im Alter noch jede Strophe auswendig mitsingen: »Penny Lane is in my ears and in my eyes / A four of fish and finger pies / In summer meanwhile back.«

»Penny« verewigt hier in einem Straßennamen nicht etwa die kleine Münze für den Alltag der kleinen Leute, den Bruchteil des Pfunds, das in Zeiten, da Britannia die Meere beherrschte, gültige Weltwährung war. Sondern einen der mal reichsten Sklavenhändler der Stadt. James Penny, der ebenfalls seit 1799 in jener von mir erträumten Hölle schmoren müsste, falls es nach dem Tod Gerechtigkeit geben sollte, war das angesehene Mitglied einer Vereinigung von Kaufleuten, die mit schwarzen Menschen handelten, als wäre dies ein ganz normales Warentermingeschäft. Selbstverständlich machte James Penny, wie seine Kompagnons, in kurzer Zeit ein Vermögen. Was als unternehmerische Leistung auf einem international umkämpften Markt anerkannt wurde.

Wenn auch nicht von allen: Als zum Beispiel ein – allerdings betrunkener – Schauspieler namens George Cook, dem kein Beifall zuteil geworden war, von der Bühne herab brüllte, er habe es nun weiß Gott nicht nötig, sich von einer Bande von Schurken beleidigen zu lassen, in deren höllischer Stadt »jeder Stein mit dem Blut eines Afrikaners« verarbeitet worden sei, buhten und pfiffen ihn die Bürger aus dem Saal.

James Penny wetterte im Namen aller Händler 1788 im britischen Oberhaus, als dort die erste Debatte über die Abschaffung des Sklavenhandels stattfand, gegen die Abolitionisten. An deren Spitze in der Society for Effecting the Abolition engagierte sich neben den Gründern Thomas Clarkson, Granville Sharp und William Wilberforce ein ebenso angesehener Bürger wie Penny, und auch der kam aus Liverpool, wie das Slavery Museum dokumentiert – William Roscoe. Als Abgeordneter der Stadt ins britische Parlament gewählt. Ein weltfremder Gutmensch im Namen Gottes, den die gottesfürchtigen Penny & Co. bislang fest auf ihrer Seite glaubten. Roscoe hatte jedoch mit seinem Programm als Abolitionist die Abgeordnetenwahl für sich entschieden. Offenbar war das Geschäft mit Menschen den wahlberechtigten besseren Kreisen der Hafenstadt peinlich geworden.

Nicht nur dort.

Von den 50000 Einwohnern der aufstrebenden Industriemetropole Manchester unterschrieben im Oktober 178710700 die Forderung, Sklavenhandel zu verbieten. Quäker schickten ihre besten Redner durchs Land, die vor vollen Kirchen gegen die Sklaverei anpredigten. Ihre Glaubensbrüder in ehemaligen britischen Kolonien, seit 1776 als Vereinigte Staaten von Amerika, Land der Freien, von England befreit, zum Beispiel in Philadelphia, wetterten ebenso gegen den »Negro Trade«. Sie handelten so, wie heutzutage Lobbyisten handeln würden, um ein Gesetz durchs Parlament zu bringen. Drohten mit den Stimmen ihrer Anhänger, die bei Wahlen entscheiden würden, wer von den Kandidaten ins britische Parlament einzieht und wer nicht. Mehr als siebenhundert Petitionen beschäftigten mal das Unterhaus. Gesteuert von den Quäkern, unterstützt von der Institution namens Times, gewannen die Gegner des Sklavenhandels die entscheidende Abstimmung im März 1807 schließlich mit einer deutlichen Mehrheit von 283 zu 16.

Für Penny waren Roscoe, Wilberforce, Sharp, Clarkson und ihre Anhänger nicht nur Gegner seiner Geschäfte und blind gegenüber den immensen Möglichkeiten, reich zu werden. Sondern, schlimmer noch, sogar Vaterlandsverräter, eine Gefahr fürs Königreich und dessen Stellung in der Welt, so etwas wie Agenten der mit England in Wirtschaft und Politik konkurrierenden großen Kolonialmächte. Bei Sklaventransporten mit den ersteigerten Männern, Frauen, Kindern von Afrika zu den westindischen Kolonien, so meinte der ehrbare Kaufmann James Penny bei einer Anhörung, habe er nur jeden zwölften der »Passagiere« verloren. Die Quote hielt er für angemessen. Andere Händler hätten höhere Verlustzahlen.

Die »anderen« waren Franzosen, Niederländer, Spanier, Portugiesen. Schlagkräftiger als die Beschreibung seines fürsorglichen Handels mit der wertvollen Ware erschien Penny das Argument, dass dem durch den Sklavenhandel erreichten rasanten Aufstieg von Liverpool, dessen Rat er angehörte, zu einer der reichsten Städte des Königreichs bei einem entsprechenden Gesetz ein ebenso rasanter Absturz in die Bedeutungslosigkeit folgen würde. Dass sich die anderen, also die auf dem Kontinent, darüber ins Fäustchen lachen würden.

Sklavenhandel funktionierte nach Gesetzen der Marktwirtschaft. Die Nachfrage bestimmte das Angebot, und günstige Angebote erhöhten die Nachfrage. Eine Ankündigung im Williamson Liverpool Adviser aus dem Jahr 1756 lockte potenzielle Kunden für eine Versteigerung verschiedenster Waren pünktlich um 13 Uhr mit der Vielfalt der Angebote: »Zwölf Fässchen mit Feigenschnaps, zwei Kisten mit Cidre in Flaschen, sechs Sack Mehl, drei männliche Neger, zwei weibliche Neger, zwei Negerknaben und ein Negermädchen«.

Vom Rohstoff Mensch gab es ausreichend Material in Afrika. Die Quellen schienen unerschöpflich zu sein, und dementsprechend niedrig blieben die Marktpreise. Für Glasperlen, Gewehre und Tücher ließen sich Sippen und Familien eintauschen und dann, Kinder getrennt von den Eltern, je nach Gebot der sie prüfenden Zwischenhändler teuer weiterverkaufen. Die Gefangenen wurden deshalb vor einer Versteigerung gewaschen, geschoren, eingesalbt, ihr nacktes Fleisch wurde präsentiert, um Käufer anzulocken. Interessenten schauten ihnen in den Mund, kniffen sie in Schenkel und Arme, prüften so die Stärke der Muskeln.

Afrikanerinnen, die sich verweigerten, ließen ihre Besitzer zur Strafe an einen Ast hängen und auspeitschen. Männer, die Widerstand leisteten, bezahlten mit dem Leben. Andere Gefangene wurden unter Androhung, bei Verweigerung dieses Schicksal zu teilen, von den weißen Herren gezwungen, jene totzuschlagen. Ihre Skelette baumelten zur Abschreckung von Nachkommenden noch lange an den Bäumen.

Die heutigen Menschenhändler handeln in dieser Tradition, wenn sie vor den Augen anderer verschleppter Frauen ein Mädchen zur Strafe für einen Fluchtversuch in die Bewusstlosigkeit prügeln und es anschließend ohne Wasser und Nahrung in ein Kellerloch sperren. Solche Tribunale gab es auch während der Sklavenzeit. An den Methoden, Angst und Schrecken zu verbreiten, um alle Gedanken an Widerstand zu ersticken, hat sich im Prinzip nicht viel geändert. Eigentlich gar nichts.

Aktenkundig ist ein Verbrechen, das vor einigen Jahren passierte, im 21. Jahrhundert. Von der Abteilung Gewalttäter, die es in allen organisierten Banden gibt, wurde ein willkürlich ausgewähltes junges Mädchen zu Tode gefoltert, um den zum Zusehen gezwungenen Frauen zu demonstrieren, was ihnen droht, falls sie zu fliehen versuchen. Belegbar ist nur einziger solcher Fall. Unter den Strafverfolgern, die ich befragte, gibt sich aber niemand der wenigstens tröstlichen Illusion hin, dass es nur diesen einen Fall gegeben hat.

Beliebt bei den Plantagenbesitzern in der Karibik, später auch bei denen in den amerikanischen Südstaaten, war der blutige Zeitvertreib, die stärksten ihrer Sklaven mit bloßen Fäusten so lange gegeneinander kämpfen zu lassen, bis einer tot zu ihren Füßen lag. Der Besitzer des Siegers sammelte die Wetteinsätze ein.

Da geht es im heutigen Menschenhandel humaner zu.

Zwar ist die Prozedur bei Versteigerungen von Mädchen aus Osteuropa entwürdigend, auch sie müssen sich wie einst die Sklaven und Sklavinnen nackt ausziehen und sich begrapschen lassen, bevor sie in die Türkei und nach Serbien, nach Ungarn und Tschechien, nach Frankreich und Italien, nach Holland und Deutschland, in die Golfstaaten, nach Korea und Japan verkauft werden. Junge Frauen, die sich wehren, werden so lange vergewaltigt, bis ihr Widerstand gebrochen ist. Aber nicht umgebracht. Weil sie nur lebend nützlich sind.

Übrigens gab es auch ein kurzes deutsches Kapitel im historischen Sklavenhandel. Brandenburg-Preußen war von 1682 bis 1720 daran in Afrika beteiligt, wenn auch in Größe und Dimension nicht vergleichbar mit den Menschenhandelsnationen England, Holland, Spanien. Eine eigens gegründete Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie (BAC) hatte beim Geschäft knapp drei Jahrzehnte mitgemischt. Ausgangspunkt war der Hafen von Emden, Hauptumschlagplatz das Fort Groß Friedrichsburg im heutigen Ghana. Von dort waren 1683 die ersten »Mohren« nach Berlin gelangt, sie waren damit die ersten dunkelhäutigen Menschen auf brandenburgisch-preußischem Territorium. Friedrich Wilhelm I. hat 1720 das afrikanische Abenteuer beendet, wobei nach Schätzungen von Historikern von den rund 30000 zur dänischen Karibikinsel Saint Thomas transportierten Sklaven nur 18000 dort auch lebend ankamen.

Der Soldatenkönig verkaufte die afrikanischen Besitzungen und Forts für unter anderem »12 Negerknaben« an die Niederländisch-Westindische Compagnie. Die zwölf Afrikaner steckte er als Militärmusiker in seine Armee. Sie und weitere später verschleppte Afrikaner lebten in einer eigenen Kaserne in der heutigen Mohrenstraße – daher der Name – in Berlin-Mitte.

Die Briten übten nach der Parlamentsentscheidung gegen den Sklavenhandel Druck auf die anderen Nationen aus. Eher nicht aus moralischen Beweggründen, wie sie die aufrechten Abolitionisten verkörperten, sondern weil sie vielmehr wirtschaftliche Nachteile befürchteten. Denn der Sklavenhandel erbrachte nach wie vor hohe Renditen. Ihre Verwandten in den Vereinigten Staaten beschlossen zwar zeitgleich die Abschaffung, was aber, wie die Geschichte beweist, nur auf dem Papier stand.

Seit der Unabhängigkeitserklärung von 1776 gab es mit dem feierlichen Versprechen in der Verfassung, alle Menschen seien gleich und hätten ein unveräußerliches Recht auf the pursuit of happiness, eine bindende moralische Verpflichtung. Die Plantagenbesitzer im Süden der USA scherten sich jedoch den Teufel darum. Sklaven waren privates Eigentum, gingen den Staat deshalb nichts an. Konnten verkauft, vermietet oder gar vererbt werden. Wer ihren Leibeigenen zur Flucht in den sklavenfreien Norden verhalf, wurde angeklagt und verurteilt wegen Menschenraubs und hingerichtet, falls es sich nicht um weiße, sondern um schwarze Fluchthelfer handelte.

Dennoch schafften es Tausende, Sklavenhändlern und Kopfgeldjägern zu entkommen. Harriet Tubman, die einst entflohene Sklavin, heute auf Gedenktafeln als Heldin geehrt, organisierte damals Befreiungsaktionen und half bei der Flucht vieler Sklaven über die Grenze in den sicheren Norden. Sie wurde nie gefasst.

Das Königreich der Niederlande folgte bald dem Trend der Zeit, nachdem beim Wiener Kongress 1815 von allen europäischen Kolonialmächten feierlich das Ende des Sklavenhandels beschworen worden war. Frankreich wie auch Spanien und Portugal ließen sich mit der praktischen Umsetzung des Konferenzbeschlusses von Wien Zeit bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Brasilien, seit 1822 unabhängig, das mehr als alle anderen Länder die billige menschliche Ware für seine Plantagen brauchte, wehrte sich noch länger gegen das Verbot. Erst 1885 wurde dort ein entsprechendes Gesetz erlassen.

Seitdem existiert Sklavenhandel auf der Welt offiziell nicht mehr.

Aber Menschenhandel heute ist nichts anderes als Sklavenhandel in moderner Form. Ob albanische und serbische und tschetschenische Männerbanden brutaler mit jungen Frauen umgehen als die ukrainische und russische und türkische Mafia beim Verkauf von Mädchen bei Auktionen in Kiew und Moskau und Istanbul, ob chinesische Triaden mit Zwangsarbeitern mehr verdienen als die italienische Camorra mit Drogen und gefälschten Arzneimitteln, ob kriminelle Vereinigungen aus Bulgarien, Rumänien, Polen, Ungarn, Moldawien, Tschechien, Slowakei mit dem Verkauf von Haussklaven und Roma-Kindern höhere Renditen erzielen als die Syndikate in Nigeria, Ghana, Burkina Faso unter Mithilfe von Polizisten, Familienclans, Voodoo-Priestern mit »Frischfleisch« für Bordelle in Deutschland, Holland oder Italien, ist wesentlich für die Strategien der amerikanischen DEA (Drug Enforcement Administration) oder von EUROPOL, für die Einsatzkommandos der britischen National Crime Agency (früher SOCASerious Organised Crime Agency) oder die der Bundespolizei, für die Cyber Cops des Bundeskriminalamts oder die italienischen Mafiajäger von der Gruppo di Intervento Speciale. Aber die Opfer zahlten und zahlen mit geschundenen Körpern, gebrochenen Seelen und viele mit ihrem Leben.

Wesentliches jedoch unterscheidet den damaligen vom heutigen Handel mit der Ware Mensch. Die modernen Sklavenhändler werden als Verbrecher gejagt und nicht als ehrbare Kaufleute bewundert. Allerdings zu selten gefasst. Indizien und Spuren ihrer Verbrechen gibt es zwar, doch für eine Verurteilung vor einem ordentlichen Gericht brauchen die Ermittler vor allem Zeugen. Die sind dazu meist nicht bereit aus Angst um ihr eigenes Leben und um das ihrer Familien, die von den Tätern bedroht werden für den Fall, dass die Zeugen gegen sie selbst aussagen. Aus Angst aber auch vor Uniformierten. Denn in vielen Ländern, aus denen die Opfer einst voller Illusionen aufbrachen, sind korrupte Polizei und korrupte Justiz die besten – und von den Menschenhändlern bestens bezahlte – Helfer der kriminellen Organisationen.

Menschenhändler müssten wie internationale Terroristen bekämpft werden, mit allen erlaubten Mitteln, und angesichts der Not ihrer Opfer manchmal wohl auch mit den unerlaubten. Wenn es um Terrorismus geht, hat sich die internationale Gemeinschaft bis auf wenige Outlaws darauf verständigt, gesuchte Extremisten zu jagen und sie, tot oder lebendig, für immer aus dem Verkehr zu ziehen.

Gibt es eine vergleichbare gemeinsame Strategie gegen das Trafficking in Human Beings, gegen kriminelle Vereinigungen der Menschenhändler, organisiert wie global agierende Konzerne? Wer beherrscht den Markt Europa und den in Deutschland? Sind die Guten gut gerüstet, um wirksam die Bösen zu bekämpfen?

Das müsste sich ermitteln lassen.

KAPITEL 2Global Player: Menschenhändler

Der Amerikaner ist vom Department of Homeland Security in Washington zu EUROPOL in Den Haag zu seinen entfernten nahen Verwandten geschickt worden. Die Cousinen und Cousins tagen dort, um über Menschenhandel zu diskutieren. Ein krimineller Weltkonzern namens Trafficking in Human Beings bedroht die ganze Familie. Auf Basis von Analysen wollen sie beraten, wie nationale Erfahrungen sinnvoll in eine internationale Strategie eingebunden werden können. Was Strategie betrifft, sind die Gegner hoch motiviert und taktisch gerüstet auf dem neuesten Stand der Technik.

In den vergangenen Jahren musste deshalb EUROPOL seine Einsatzpläne stets nach überraschend neuen Schlachtordnungen der feindlichen Heerscharen aktualisieren. Die Globalisierung der legalen Wirtschaft eröffnet gleichermaßen kriminellen Organisationen weltweit Freihandelszonen für illegale Geschäfte. Selbstverständlich hatte EUROPOL-Direktor Rob Wainwright nicht von feindlichen Heeren gesprochen, als er mir das Lagebild gewisser Nationen in Europa aufzeichnete. Es ist aber tatsächlich ein Krieg gegen das Verbrechen, der unter Leitung des Briten koordiniert und parallel an vielen Grenzen, in vielen Dunkelfeldern und in vielen Ländern geführt wird, und Rob Wainwright ist sich der Verantwortung als Pionier in diesen Auseinandersetzungen bewusst.

Doch die Bezeichnung »Krieg« verbietet sich ihm schon wegen der blutigen Völkerkriege in der Geschichte Europas. »Kampf« lautet der adäquate Begriff. Die europäische Polizeibehörde hat in diesem Kampf eine entscheidende Rolle als die Spinne im Netz, in dem sich die Bösen verfangen sollen, weil EUROPOL alle wesentlichen kriminellen Vereinigungen auf dem Radarschirm und somit den besten Überblick hat, weil alle Erkenntnisse, Analysen, Namen, Spuren im hauseigenen Elektronenhirn oder den Gehirnen ihrer Spezialisten gespeichert sind.

Das organisierte Verbrechen gefährdet nicht nur die Staaten, aus denen die Ware Mensch stammt, weil die Starken und die Jungen freiwillig oder gezwungen das Land verlassen und eine Generation für den Aufbau einer Zivilgesellschaft ausfällt. Sondern auch die Transitländer, weil sich auf den Transportrouten eine gewinnträchtige Schattenwirtschaft im Untergrund etabliert hat. Und die bedroht dann die demokratische Kultur in Zielländern, weil Angst vor Kriminalität die bürgerliche Gesellschaft anfällig macht für die »Ausländer raus!«-Parolen fremdenfeindlicher Populisten.

Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Scheinehen, Haussklaven, Organhandel, Zwangsadoptionen: Trafficking in Human Beings beginnt nicht mehr wie zu Zeiten des Kalten Krieges, als Europa geteilt war und die Grenzen zwischen Ost und West todsicher bewacht wurden, in Afrika, in Asien oder in Lateinamerika, dominiert von nationalen ethnischen Gruppen. Die Insolvenz des Ostblocks, die Verschrottung des Eisernen Vorhangs, die Grenzen überschreitende Einheit Europas und insbesondere die Globalisierung der Wirtschaft verschafften auch den Gesetzlosen grenzenlose Freiheiten, neue Wachstumsmärkte und in denen internationale Kooperationen. Regionale Banden stiegen im Handel mit Drogen, Waffen, Menschen, gefälschten Arzneimitteln auf in die Weltliga der Kriminalität.

Es wuchs in kriminellen Organisationen zusammen, was sich zuvor im Kampf um Marktherrschaft bekriegt hatte, im Schattenreich der Bösen aber in seinen Zielen immer schon zusammengehörte. Ein Multi Crime Inc., die besonderen Fähigkeiten einzelner Syndikate zum Nutzen aller kriminellen Vereinigungen auf der ganzen Welt einsetzend: chinesische Triaden, japanische Yakuza, kolumbianische Drogenkartelle, italienische ’Ndrangheta, russische Mafiosi, deutsche Rockergangs, nigerianische Voodoo-Banden, türkische Graue Wölfe usw.

Weil sie ihre Kräfte konzentrieren, zum Beispiel auf den klassischen Handelsrouten des Rauschgifts auch Waffen und Menschen transportieren und diese wiederum als Drogenkuriere einsetzen, sind sie international nur dann wirksam zu bekämpfen, wenn die Strafverfolgungsbehörden ihre Kräfte und die Fähigkeiten ihrer Spezialisten ebenfalls global organisieren.

Deshalb ist eine Konferenz wie die heutige vergleichbar mit einem Brainstorming der Besten in einem Unternehmen, das auf dem Markt von Konkurrenten attackiert wird. Auch ein Begriff wie Crowdfunding würde als Zielvorgabe passen – Ideen der Besten zu sammeln, die dann in einem gemeinsamen Pilotprojekt umgesetzt werden. Der Amerikaner soll die Strategie der Europäer gegen Menschenhändler anhand konkreter Beispiele kennenlernen, denn das Heimatschutzministerium will mit neuen Informationen über Menschenschmuggler auch die CIA und das FBI füttern. Die Europäer wollen erfahren, was ihnen taktisch weiterhilft, denn Strategen des Gegners hatten auf neue Strategien gegen OK-Vereinigungen noch stets eine Antwort parat gehabt. Das belegen ihre steigenden Umsätze im Global Criminal Business.

Beispiel Italien: Den dortigen Markt beherrschen gemeinsam Albaner, Rumänen, Russen, Nigerianer und Chinesen. Die Triaden in der Organisation sind führend im Transport von chinesischen Arbeitern zu Sweatshops, Textilfabriken in der Toskana. Die menschenunwürdigen Zustände in den dort geschätzt 3700 Nähfabriken sind bekannt. Ungefähr 35000 chinesische Arbeitssklaven stellen dort, 18 Stunden am Tag bei einem Stundenlohn von einem Euro, Billigklamotten her. Ihre Besitzer verdienen Milliarden.

Aber es änderte sich nichts, bis im Dezember 2013 sieben Menschen, die in Gipskartons hausten, bei einem Brand in der Firma Teresa Moda in Prato ums Leben kamen. Aufgrund der öffentlichen Empörung versprach die Stadtpolizei, endlich durchzugreifen, und sogar die chinesische Konsulin in Florenz prangerte die Schande im Namen Chinas an. Triaden bieten ihre Spediteure auch im Frauenhandel an, wofür sie dann beim Schmuggel von Arbeitssklaven durch Albanien oder Rumänien auf die logistische Unterstützung der dort ansässigen Banden zählen dürfen. Im Hintergrund agierende Anführer organisieren die Lieferung von Männern oder Frauen vom Ursprungsland nach Italien.

Viele der übers Mittelmeer nach Europa geschmuggelten Frauen aus Schwarzafrika werden nach der Ankunft regelrecht versteigert. Wie Tiere auf dem Viehmarkt, wie ihre Vorfahren auf den Sklavenmärkten des 19