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Die erste umfassende Darstellung der Arbeit des BKA
Die Jäger des Bösen – die Mitarbeiter des Bundeskriminalamts und ihre Kollegen bei EUROPOL und Scotland Yard – kommen aus allen Berufen. Um das moderne Verbrechen zu besiegen, braucht es nicht nur Ermittler, Zielfahnder, Mobile Einsatzkommandos, sondern Techniker, Wissenschaftler, Psychologen. Im 21. Jahrhundert ist die Organisierte Kriminalität sowohl in der realen Welt als auch in der virtuellen des Internet zu einem globalen Geschäft geworden. Die Kriminellen haben aufgerüstet, aber ebenso die Polizei. Michael Jürgs recherchierte innerhalb und außerhalb des BKA den Wandel von der verstaubten Behörde zur Schaltstelle nationaler und internationaler Ermittlungsarbeit, studierte bei Scotland Yard, wie Verbrechen geographisch erfasst und als »Landkarten des Verbrechens« gestaltet werden, und erfuhr bei EUROPOL, wie Terrorismus, Waffenhandel und Menschenschmuggel über alle Grenzen hinweg bekämpft werden.
Michael Jürgs erhielt als erster Sachbuchautor Zugang ins Innere der Behörde und Einblick in die internationale Form der Verbrechensbekämpfung. Er ist einer der bekanntesten investigativen Journalisten.
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Seitenzahl: 488
Das Böse, das sie jagen, ist nur fassbar in seinen Taten und wird verkörpert durch Täter. Denn das Böse an sich ist nicht zu fassen. Gläubige Menschen haben eine Vorstellung vom Bösen. Haben sogar einen Namen dafür: Satan, Luzifer, Teufel. Agnostiker denken eher an konkrete und damit greifbare Personen aus der Geschichte, an Menschen wie Cesare Borgia, Hitler, Stalin, Pol Pot. Trotz allen Abscheus geht von ihnen häufig aus, was sie einst zu Idolen machte: die Faszination des Bösen. Ihre willigen Helfer verkörpern die »Banalität des Bösen«. So definierte in einer berühmt gewordenen Analyse Hannah Arendt die Taten des Massenmörders Adolf Eichmann, eines scheinbar ganz gewöhnlichen durchschnittlichen Deutschen. Im Dritten Reich bestimmte das Böse die Moral der Herrschenden. Also war es die herrschende Moral. Das Böse ist der dem Guten entgegengesetzte Seinsbereich, der als Ursprung von Leid, Unglück und Zerstörung angesehen wird. So steht es im Lexikon der Philosophie. Mit einer solchen Definition können Richter nichts anfangen, wenn es um die Bestrafung der Bösen geht. Unmoral ist kein Fall für Justiz und Polizei. Erst unmoralische Taten werden zu Unrecht und damit strafbar.
Die Frauen und Männer vom Bundeskriminalamt, von EUROPOL, von Scotland Yard, von der Generalbundesanwaltschaft sprechen deshalb nicht vom Bösen an sich, das sie verfolgen im Namen der Gesetze. Sondern von Tätern, die Böses begangen haben – Mord, Bombenanschläge, Betrug, Vergewaltigung, Waffen-und Rauschgifthandel, Kindesmissbrauch. Die wollen sie im Auftrag des Rechtsstaats, dem sie verpflichtet sind, einer gerechten Strafe zuführen und indirekt den Opfern Genugtuung widerfahren lassen. Das entspricht dem allgemeinen Bedürfnis der Menschen, weshalb sie am Ende von Thrillern und Kriminalromanen das Gute siegen sehen wollen. Vergeltung, Sühne, Rache sind urmenschliche Bedürfnisse. Auch im wahren Leben. Aber auch die sogenannten Guten sind gegen das Böse nicht immun. Es lauert auch in ihnen. Bricht jedoch nie aus.
Hoffentlich.
Dass die Gerechtigkeit siegen möge durch das, was er tut, erklärte mir ein BKA-Fahnder in Sachen Terrorismus, der aktuell bedrohlichsten Verkörperung des Bösen in Gestalt von Selbstmordattentätern, Bombenlegern, Auftragskillern, sei nicht das, was ihn täglich motivierte. Er habe einen Auftrag zu erfüllen im Namen der Gesellschaft, des Rechtsstaats und gehe deshalb nur seinem Beruf nach. Gegen Täter professionell so zu ermitteln, dass die Beweise für eine Verurteilung reichen. Damit verdient er seinen Lebensunterhalt. Sagt er.
Mit einer biblischen Formulierung, dass es um den ewigen Kampf des Guten gegen das Böse gehe, dürfe man ihre Arbeit nicht umschreiben, protestiert auch bei Scotland Yard eine Frau, die zwar qua Funktion zu den Guten gehört, aber das, was sie tut, nicht überhöht als Kampf gegen die Bösen betrachtet, sondern schlicht als Ausübung ihres Berufs, als Handwerk. Jemand muss es tun, am besten jene, die dafür geschult wurden so wie sie. Amateure, und seien sie auch noch so guten Willens, noch so engagiert für eine bessere Welt, kann man in dem Geschäft nicht brauchen. Ein kühler Politiker macht klar, dass die Beamten des Bundeskriminalamtes ebenso wenig wie die von EUROPOL jagdbares Wild im Visier hätten, in dem Fall: Kriminelle. Es gilt, die Kriminalität zu bekämpfen. Die ist das Böse. Der Feind. Nicht die Kriminellen.
Also muss bei der Beschreibung des Bösen eine Welt geschildert werden, die aus den Fugen geraten ist – und täglich aus den Fugen gerät –, weil »jemand sie bewusst zerstört hat«. So definiert Hans-Ludwig Kröber, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Charité an der Freien Universität Berlin, Gutachter in Hunderten von Strafprozessen gegen aus welchen Gründen auch immer kriminell gewordene Bürger, das Böse an sich. »Wenn man es getan hat, gibt es kein Zurück mehr, man steht jenseits der Gesellschaft.« Für den Menschen, der die Tat erlebt hat, ist sie als Erlebnis erst recht unauslöschbar. Die Opfer sind fürs Leben gezeichnet. Deshalb sollen die nicht unbestraft davonkommen – egal, wie lange es auch dauert, sie zu fassen –, die ihnen das angetan haben. Ist das nicht doch die eigentliche Motivation der Jäger des Bösen?
Meine Ermittlungen beginnen auf der übernächsten Seite.
Auf den ersten Blick gleichen die Gebäude denen einer großen Firma, irgendwo in Deutschland. Nichts Besonderes fällt ins Auge. Die meisten Männer und Frauen, die am Haupteingang durch die Drehtür gehen oder in ihren Autos warten, bis das stählerne Tor zur Seite gleitet, sehen so unauffällig aus wie andere, die morgens auf dem Weg zur Arbeit sind, irgendwo in Deutschland.
Dass diese Firma jedoch eine besondere Firma sein muss, fällt ebenfalls beim ersten Blick ins Auge. An allen Eingängen ist sie durch Stahltore und Schranken gesichert, die sich nur von innen öffnen lassen, außerdem ist das Firmengelände geschützt von einem hohen Zaun, den alle paar Meter Überwachungskameras zieren. Was sie Tag und Nacht aufzeichnen, wird sorgfältig geprüft von den für die innere Sicherheit Verantwortlichen der Firma. Die Mitarbeiter besitzen zwar spezielle Firmenausweise, aber das ist in anderen Großbetrieben nicht anders. Im Gegensatz zu denen sollen sie hier die ihren sichtbar tragen, am besten stets baumeln lassen vor ihrer Brust. Wer keine Legitimation mit integriertem fälschungssicheren Chip besitzt, muss draußen vor dem Tor bleiben, bis die dort registrierten Angaben mit den irgendwo innerhalb der Firma gespeicherten verglichen worden sind und übereinstimmen. Erst wenn ein grünes Licht signalisiert, dass alles seine Ordnung hat, bekommen Besucher einen amtlichen Passepartout, einen Gastausweis, den sichtbar zu tragen ihnen nachdrücklich auferlegt wird.
Beim Warten auf Einlass fällt die Besetzung der Pförtnerlogen auf. Die Uniformierten sind nicht wie viele Berufskollegen in anderen Firmen dickbäuchig gemütlich, sondern austrainiert und bewaffnet. Neugierig frage ich nach einem Gerät, das scheinbar vergessen von der hauseigenen Putzkolonne an einer Wand lehnt und aussieht wie ein Besen, der in einem Spiegel endet statt in einer Bürste. Was es mit dem seltsamen Ding auf sich hat, erschließt sich per Eigenrecherche jedoch schnell von selbst. Mit dem unauffällig wirkenden Apparat können die Torwächter bei Bedarf prüfen, ob unter einem wartenden Auto ein kleiner Sender blinkt oder gar Tickendes lauert, das da nicht hingehört, etwa eine kleine Bombe.
Einmal jährlich veranstaltet die Firma einen »Tag der offenen Tür«, bei dem sich Tausende Mitbürger bei Würstchen vom Grill, kühlen Getränken und den Auftritten einer firmeneigenen Band frei auf dem Gelände tummeln dürfen. Doch die Türen, hinter denen selbstverständlich auch an so einem Tag gearbeitet wird, bleiben dem Volk verschlossen. Die Aktivitäten des Unternehmens sind nur dann erfolgreich, wenn sie vor der Öffentlichkeit verborgen stattfinden. Deshalb steht die Firma auch nicht wie andere unter A bis Z gelistet auf den allseits bekannten gelben Seiten. Ihre Aufträge bekommt sie vom Staat. Deshalb braucht sie auch keine Werbung wie andere Unternehmen, die sich öffentlich vermarkten müssen. Ihre Kernzielgruppe scheut gleichfalls die Öffentlichkeit. Aus anderen Gründen. Die Klientel will vermeiden, auf Einladungslisten zu geraten, die von der Geschäftsleitung in schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht werden und auf der ihre liebsten Kunden aufgelistet sind.
Willkommen beim BKA. Willkommen beim Bundeskriminalamt. So heißt die Firma. So steht es auf dem Firmenschild am Eingang. Tatsächlich willkommen? Nicht wirklich. Aber weil die Eingabe meines Namens im großen Fahndungscomputer namens INPOL nichts Verdächtiges ergeben hat, bekomme ich einen Passierschein, zu tragen deutlich sichtbar für jedermann. Ich darf mit meinen Ermittlungen vor Ort beginnen. Selbstverständlich nicht auf eigene Faust per Rundgang, sondern partout in ständiger Begleitung. Wertfrei betrachtet, sage ich zu meinem Betreuer, der mich am Tor in Empfang nimmt und in den nächsten Tagen fürsorglich begleiten wird, sind unsere Berufe ähnlich, so was wie Verwandte ersten Grades. Bei beiden sind die Voraussetzung fürs Gelingen genaue Recherchen.
An deren Anfang stand verpackt in viele Wörter das Wort »Nein«. Als ich mich aus zunächst weiter Ferne dem Bundeskriminalamt näherte mit der Absicht, Nachhaltiges über die Firma zu erfahren, insbesondere mehr als das, was sie in ihren jährlichen Geschäftsberichten veröffentlicht, wurde ich freundlich, aber bestimmt mit Sperrfeuer überzogen. Nachhaltiges wollte ich, ihnen Nachträgliches fürchteten sie. Die Begründung in der Absage jedenfalls passte zur Firmenphilosophie: Zu viel Öffentlichkeit wirke sich schädlich auf den Betrieb aus. Für die von mir gewünschten zeitaufwendigen Gespräche, unabdingbare Basis für ein Buch über die kriminellen Gefechtslagen der Nation und darüber, wie sich das Bundeskriminalamt in der Gegenwart und in der Zukunft auf die einstellt, habe angesichts der gewaltigen laufenden Aufgaben, ersichtlich aus Lageberichten zur Kriminalität, leider niemand Zeit. Beileibe nicht, weil man etwas zu verbergen habe – na gut, zugegeben, doch einiges, aber selbst dies aus dem einzigen Grund, sich keine Blöße zu geben, die dem Gegner helfen könne –, sondern weil die Beamten ungestört ihre Pflicht erfüllen müssten. Die BKA-Manpower von 5103 Beschäftigten, wobei »Manpower« in Anbetracht einer Frauenquote von 37,2 Prozent die falsche Bezeichnung ist, werde für Wesentlicheres gebraucht als dafür, mir die modernen Methoden der Verbrechensbekämpfung vorzuführen und zu erklären. Je weniger die von der anderen Seite über die Methoden des Bundeskriminalamtes wüssten, desto besser sei es für das Gemeinwohl.
Woraus ich schließe, dass die vom Bundeskriminalamt offiziell beschriebenen Techniken für den Einsatz gegen Kriminelle nicht unbedingt die sein müssen, die aktuell im Einsatz sind. Oder dass die gedruckten Erfolgsberichte als taktische Waffe gegen die Zielgruppe eingesetzt werden, um sie zu entmutigen. Ein Beispiel aus der Praxis könnte allerdings die Verunsicherungstheorie stützen: Auf der Suche nach Cannabisplantagen unter unauffällig wirkenden deutschen Dächern wurden Hubschrauber mit Wärmebildkameras eingesetzt, die normalerweise nur bei der Suche nach Vermissten oder Entführten zum Einsatz kommen. Denn für die Aufzucht der begehrten Hänflinge, die bis zur Ernte Tag und Nacht bestrahlt werden müssen von starken Lampen, ist Wärme unverzichtbar.
Das wussten natürlich auch Rauschgiftfahnder. Sobald die Bundespolizisten oben einen Wärmeausschlag registrierten, gaben sie den ermittelten Standort nach unten an die Kollegen der Landeskriminalämter durch, und die fuhren dann sowohl Ernte als auch Erntehelfer in die polizeilichen Scheunen ein. Als sich diese Taktik bei den Pflanzern herumsprach, reagierten viele ökologisch korrekt und investierten Teile ihres Gewinns in energiesparende Maßnahmen, damit ihre Produktionsstätten von oben betrachtet wieder wie beliebige Bauernhöfe mit Stallungen wirkten. Logisch also, dass sich die Polizei daraufhin ebenfalls was Neues einfallen ließ, und logisch, dass die bisherige Taktik erst dann nicht mehr als top secret behandelt wurde, als die Gegner sie durchschaut hatten.
Die stetige Suche nach dem besten Handwerkszeug ist nicht nur beim Kampf gegen Rauschgift erstes Gebot. Offiziell umschrieben dergestalt, dass angesichts neuer Formen der Kriminalität sowie »neuer Täter- und Tatstrukturen«, basierend auf den neuen Technologien in Wirtschaft und Gesellschaft, die »kriminalpolizeiliche Zentralstelle Bundeskriminalamt flexibel auf die sich ändernde Kriminalitätslage« reagieren müsse. Mit ähnlicher Logik, aber mit einem anderen Ziel, könnte ich die naiv verwegene These aufstellen, dass umgekehrt gerade in Kenntnis der Fähigkeiten des BKA Kriminelle darauf eher verzichten würden, dessen Methoden am eigenen Leib näher kennenzulernen. Schön wär’s. Widerspricht aber allen Erfahrungen und der Wirklichkeit sowieso: Wer Angst und Schrecken verbreiten will, schreckt nicht vor einem Verbrechen zurück, nur weil er Angst hat vor den Folgen.
Jörg Ziercke, 2004 zum Präsidenten des Bundeskriminalamtes ernannt, bedauerte zutiefst, mein Anliegen abschlägig bescheiden zu müssen – »… trotz des von Ihnen gewählten interessanten Ansatzes ist es uns leider insbesondere aus Kapazitätsgründen nicht möglich, externe Buchprojekte dieses Umfangs zu unterstützen« – , zeichnete seinen Brief mit freundlichen Grüßen und der Bitte um Verständnis. Die interessanten Aktivitäten der Firma, etwa konkrete Fälle von verdeckten Ermittlungen, von innovativen Methoden der Zielfahnder oder von ausgefuchsten Programmen zur Bekämpfung der Internetkriminalität, sind das, was anderswo Firmengeheimnisse heißt. Und die wären wertlos, sobald die Konkurrenz sie kennen würde. Wie zum Trost wurde ich auf die Homepage des Bundeskriminalamtes verwiesen. Was da steht, dürfe jeder wissen. Eben.
Das Misstrauen, gewachsen über viele Jahre, nicht immer unbegründet, gegen die Spezies Journalist sitzt tief. Jede Anfrage, die über das hinausgeht, was das Bundeskriminalamt freiwillig verlauten lässt, wird als Angriff auf die Festung verdächtigt. Umgekehrt könnten Journalisten, unter denen es gute und schlechte gibt wie unter Polizisten auch, nicht von ungefähr auf die Idee kommen, dieser automatische Abwehrreflex der Staatsdiener sei in Wahrheit ein subtiler Angriff auf die Pressefreiheit. Ein BKA-Kriminaldirektor, dem nach vierzig Berufsjahren nichts allzu Menschliches mehr fremd ist, erklärt mir, dass der Konflikt in der Natur der Sache liege: Die einen wollen Öffentlichkeit möglichst nur dann, wenn sie Erfolge zu vermelden haben, die anderen wittern hinter jedem Nein aus der Festung einen Skandal, den zu enthüllen ihre Pflicht sei.
Meiner Pflicht wiederum bewusst, die man auch Berufsethos nennen könnte, teilte ich dem BKA-Präsidenten, der nach dem Abitur seine Polizeilaufbahn begann und geprägt ist von dem, was er dort an Erfahrungen gewonnen hat, mit ebenfalls freundlichen Grüßen mit, ich würde seine Absage als professionelle Herausforderung betrachten und deshalb auch ohne den Segen des Hauses BKA mit den Recherchen für meine Operation Buch beginnen. Nach langem Zögern und kontroversen Vorgesprächen wurde mir dann doch ein Tor zur Festung geöffnet.
Sie steht auf dem Geisberg, laut Stadtchronik der BKA—Heimat Wiesbaden einst Galgenberg genannt – was sowohl von den heutigen Bewohnern als auch von Chronisten bezweifelt wird –, weil angeblich in brutalstmöglichen früheren Jahrhunderten Mörder oder Diebe da aufgehängt worden sein sollen. Dieses für doppeldeutige Annäherungen ans Thema passende historische Detail ist also leider nicht beweiskräftig, es könnte sich auch um eine Legende handeln. Ein professioneller Ermittler würde deshalb nachhaken, statt das als Fakt abzuhaken. Unstrittig dagegen ist, dass heute vom Geisberg aus Kriminelle gejagt, über nationale Grenzen hinweg, und, sobald sie gestellt sind, selbstverständlich nicht einem Henker, sondern der Justiz übergeben werden.
So allgemein formuliert kann das selbstverständlich nicht hier stehen bleiben. Zuständigkeiten müssen erklärt werden. Das geht nicht ohne ein paar spracharme Sätze, weil Begriffe verwendet werden müssen aus der Amtssprache. Das Folgende liest sich deshalb etwas sperrig: Grundsätzlich werden in Deutschland Polizeiverbände geteilt in Schutz- und Kriminalpolizei, beauftragt mit nicht vergleichbaren Aufgaben, obwohl beide zur Gattung Polizei gehören. Kriminalbeamte sind verpflichtet, nach einem Verbrechen die Ermittlungen zu übernehmen und bei einem sich ergebenden dringenden Verdacht den mutmaßlichen Täter zu suchen. Herrin des Verfahrens ist stets die Staatsanwaltschaft. Weshalb die Vorschriften der Strafprozessordnung gelten. Präventive Gefahrenabwehr jedoch zählt nicht zu Pflichten und Aufgaben der Strafverfolgungsbehörden. Die Schutzpolizei dagegen muss nicht auf eine Erlaubnis der Justiz warten, um Gefahren abzuwehren für einzelne Bürger oder für die Allgemeinheit. Sie ist von sich aus tätig. Gültig sind die Polizeigesetze der einzelnen Bundesländer, Dienstherren sind deren Innenminister bzw. die Polizeipräsidenten.
Irgendwo dazwischen steht das Bundeskriminalamt. Die Gefahrenabwehr ist Ländersache, aber bei der Sicherung der obersten Bundesorgane, sowohl was deren Dienstsitze betrifft als auch die Wohnsitze ihrer Vertreter, werden BKA-Beamte wie Schutzpolizisten eingesetzt. Als Kriminalisten wiederum dürfen sie nicht alles tun, wofür sie gut ausgebildet wurden. Denn natürlich können sie das alles auch, und einiges davon besser als andere – observieren, ermitteln, fahnden, zugreifen. Nur bei international organisierten Delikten – Waffen- und Munitionshandel, Sprengstoff, Falschgeld, Rauschgift – ist seit 1973 originär das BKA zuständig, und auch nur dann, falls es für deutsche Bezüge notwendig ist, im Ausland mit den Ermittlungen zu beginnen. Da können schließlich nicht die Kriminalbeamten aus den einzelnen Bundesländern eingesetzt werden.
Eine sogenannte Expertenkommission unter dem Vorsitz des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Eckart Werthebach hat Ende 2010 für den Bundesinnenminister eine neue »Sicherheitsarchitektur« vorgeschlagen. Bundespolizei und Bundeskriminalamt sollen demnach in einer Superbehörde vereinigt, das Zollkriminalamt aber autark bleiben. Als in Wiesbaden die zunächst einsetzende Schockstarre nachließ – angeblich hat BKA—Chef Jörg Ziercke das ganze Kommissionspapier erst etwa eine Stunde vor der Bekanntgabe im Ereigniskanal Phoenix bekommen –, bezogen die Gegner des Umbaus Stellung und Stellungen. Zwar versicherte Thomas de Maizière sofort, »um überflüssige Unruhe zu vermeiden«, dass die Standorte der Sicherheitsbehörden erhalten bleiben sollten und dass kein deutsches FBI geplant sei. Unklar blieb, ob es mal wieder eine weitere Bundesoberbehörde geben soll, unter deren Dach dann vier Säulen die sogenannte »Sicherheitsarchitektur« stützen, oder ob eine Generaldirektion im Ministerium in Berlin reicht.
De Maizière betonte, entschlossen zu sein, die Vorschläge der Kommission zu verwirklichen. Das dürfte eher schwierig werden. Einzelne Bundesländer kündigten bereits Widerstand an, Kompetenzkonflikte und mangelnde Kooperation ließen sich eher auf dem kleinen Dienstweg lösen und verbessern als im Aufbau einer neuen Organisation. Zusammenwachsen könne nur, was zusammengehört. BKA und Bundespolizei (früher Bundesgrenzschutz) gehörten nun mal nicht zusammen. Sie seien getrennt aufgewachsen. Eine Vereinigung würde gegen die Verfassung verstoßen. Um die zu ändern, braucht es bekanntlich Zweidrittelmehrheiten im Parlament. Illusorisch bei den derzeitigen Kräfteverhältnissen im Bundestag. Außerdem wäre eine Zusammenlegung nicht nur unlogisch, sondern würde auch das Gefüge des BKA auflösen, die Erfüllung seiner Aufgaben komplizieren und die bewährten Verbindungen zu Landeskriminalämtern, zu EUROPOL und zu Interpol kappen.
Ex-BKA-Präsident Horst Herold: »Eine Zusammenlegung von BKA und Bundespolizei macht nur dann Sinn, wenn die Aufgaben der beiden erfolgreichen Behörden sich entweder ganz oder zu einem beträchtlichen Anteil überschneiden würden oder ihre Tätigkeiten sich wechselseitig bedingen. Unterschiedlicher in Aufgaben, Kompetenzen, Auftreten und Ausbildung aber können zwei Polizeibehörden nicht sein. Eine Fusion würde beide Behörden nur mit einer neuen Hierarchiestufe überwölben, ohne dass ein fachlicher Mehrwert entstünde.« Ende Januar 2011 schien sich die Redewendung zu bewahrheiten, wonach der Berg (Werthebach) zwar gekreißt hatte – aber nur eine Maus gebar.
BKA-Beamte sind Sammler – obwohl viele von ihnen zu gern Jäger wären –, denn nach wie vor ist Gerechtigkeit zu fördern per Zugriff auf die Bösen eine der wesentlichen Motivationen dafür, Polizist werden zu wollen. Erst im Laufe der Jahre haben sie gelernt, dass es auf Erden nur selten gerecht zugeht. Erfahrung macht eben nicht nur klug, sondern gelassen. Hauptaufgabe des Bundeskriminalamtes ist es nämlich, alle Informationen aus beiden Polizeibereichen zu sammeln, sowohl aus der Gefahrenabwehr stammende als auch die aus der Strafverfolgung. Welche Befugnisse daraus erwachsen für den Firmensitz in Wiesbaden, ist unklar und nie genau definiert worden. Darüber klagten und klagen seit dem Amtsantritt des Sozialdemokraten Horst Herold 1971 alle Präsidenten des Amtes, unabhängig davon, zu welcher politischen Partei oder Richtung sie gehörten oder gerechnet wurden.
Da es sich um eine dem Bundesinnenministerium »nachgeordnete Behörde« handelt, wie das im Amtsdeutsch heißt, herrscht beim Bundeskriminalamt die in allen Ämtern übliche hierarchische Grundordnung. Es gibt eine Amtsleitung mit einem Präsidenten und seinen beiden Stellvertretern, verantwortlich für den Jahresetat in Höhe von knapp 390 Millionen Euro. Es gibt neun große Abteilungen, denen entsprechende Fachreferate zugeteilt sind. Die sind besetzt mit Beamtinnen und Beamten höchst unterschiedlicher Fähigkeiten, ausgerichtet auf das jeweils von ihnen zu beackernde Feld der Kriminalität, und weil es viele Felder gibt, braucht es viele geschulte Landschaftspfleger, aber auch Verwaltungsfachleute, Justiziare, Techniker, Wissenschaftler, Dolmetscher. Insbesondere die müssen sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen. Sie arbeiten in einer Wachstumsbranche – der Telefonüberwachung von verdächtigen Kriminellen europaweit. Da kann nur ermittelt werden, wenn zuvor einer übersetzt hat, was da auf Rumänisch, Serbisch, Kroatisch, Russisch, Bulgarisch gesprochen wurde. Seit der Eiserne Vorhang, der West- und Osteuropa trennte, Geschichte ist, reicht es nicht mehr, Italienisch, Spanisch, Französisch, Niederländisch, Englisch zu verstehen.
Das Bundeskriminalamt könnte so gut wie alle Berufe brauchen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Sogar Investmentbanker wären nützlich, engagiert auf Zeit, weil die von betrügerischen Finanztransaktionen dank ihres Insiderwissens mehr verstehen als jeder andere und damit bei Ermittlungen gegen international tätige Wirtschaftskriminelle die idealen Partner für die BKA-Beamten wären. Falls sie wegen besserer Verdienstmöglichkeiten wieder wechseln in ihre ursprüngliche Branche, könnten sie fallweise eingesetzt werden als BKA—Beamte »honoris causa«, deren Hinweise ihren ehemaligen Kollegen in Wiesbaden die Arbeit erleichtern.
Ebenso wichtig sind Berufsberater innerhalb des Amtes. Ein Referatsleiter muss nicht nur die Arbeit seiner Untergebenen koordinieren, wie irgendein Abteilungsleiter in irgendeiner Firma das tut, er muss nicht nur Anstöße für Ermittlungen geben, sondern auch bei der jährlichen Leistungsbeurteilung den Mitarbeitern die Wahrheit ins Gesicht sagen darüber, ob sie im Rückblick eher gut oder öfter schlecht waren, und in der von der Amtsleitung vorgeschriebenen Befähigkeitsbeurteilung schriftlich begründen, worin eine Kommissarin oder ein Kommissar besonders stark ist und auf welchen Gebieten eher nicht.
Die Beurteilungen von Fähigkeiten und die Beurteilungen von erbrachten Leistungen stehen grundsätzlich auf unterschiedlichen Blättern. Falls ein Kripobeamter mit seinen Fähigkeiten falsch eingesetzt ist, erbringt er zwar keine Leistung, aber das sagt noch lange nichts aus über seine schlummernden oder bisher nicht richtig eingesetzten Talente. Kaum versetzt von Referat X in Referat Y, wo diese Fähigkeiten besser genutzt werden, wird seine Leistung erblühen. Ein Polizist kann außergewöhnlich befähigt und gleichzeitig extrem leistungsschwach sein oder umgekehrt. Wer im operativen Einsatz nicht als besonders begabt auffällt, ist eventuell ideal für die Organisation solcher Einsätze vom Schreibtisch aus, und wer sich an dem bisher langweilte, könnte stattdessen draußen bei einer Observierung oder beim Personenschutz seine Qualitäten entfalten. Aber das ist keine besonders überraschende Erkenntnis, das gilt für alle anderen Berufe auch.
Beim Vorgespräch über eine zweigeteilte Beurteilung, erklärt mir ein BKA-Beamter, müsse der Vorgesetzte also darauf hinweisen, dass dies keine Bewertung einer Person ist, sondern ein Abgleich der Fähigkeiten und der Leistung, gemessen am Anforderungsprofil für bestimmte Aufgaben. Nötig ist dafür ein besonderes Fingerspitzengefühl, das man von einem BKA-Abteilungsleiter eigentlich nicht erwartet und das denen deshalb so schwer zu vermitteln ist. Zu den notwendigen Befähigungen des urteilenden Vorgesetzten gehört auch, zur Selbsthinterfragung fähig zu sein. Mache ich in meinem Job das zu mir Passende, das für mich Richtige, oder erledige ich nur meine Pflichten? Selbstkritik gehöre, sagt mir ein Referatsleiter, grundsätzlich nicht zu den hervorstechenden Fähigkeiten der Polizei. Davon hatte ich auch schon gehört. Aber auch hier gilt wieder: Sie ist unter Journalisten ebenfalls nicht so verbreitet.
Nach diesem Grundkurs im Grundsätzlichen, nach diesem ersten Schritt zum besseren Verständnis der Firma an sich steht vor meinen weiteren Ermittlungen vor Ort zunächst die Frage nach der Struktur des BKA. Wie sieht die aus? Wer macht hier was? Was verbirgt sich hinter bestimmten Abkürzungen? Bezeichnungen wie INPOL oder POLIS oder IDKO oder KT oder KI oder AFIS sind für die Beamten und Angestellten wohl ja nicht nur ihre interne Kommunikation erleichternde Kürzel oder bürokratischer Umgangssprache geschuldet, sondern auch Teil des Systems, das Aushäusige übersetzend ordnen müssen, um überhaupt einen Zugang zu finden. Sie sind im übertragenen Sinne der erste Wall in der Festungsanlage.
AFIS zum Beispiel lässt sich nach einer Entschlüsselung, bei der mir mein Begleiter hilfreich zur Seite springt, leicht erklären, denn AFIS ist schlicht die Abkürzung für »Automatisiertes Fingerabdruck-Identifizierungssystem«, und was damit gemeint sein kann, versteht jeder geübte Tatort-Zuschauer. Per Fingerabdruck lässt sich bekanntlich feststellen, ob ein Verdächtiger am Tatort war, und falls er seinen Abdruck auch noch auf der benutzten Waffe hinterlassen hat, wird er ein Fall für den Staatsanwalt. Andererseits können Verdächtige, nachdem ihre Abdrücke digital in Wiesbaden bei AFIS eingescannt wurden, in Minutenschnelle als unschuldig entlastet werden.
Die Methode nennt man Daktyloskopie, und die Experten, die Vergleiche auf einer AFIS-Station anstellen, sind Daktyloskopen. Hundertvierzig von ihnen gibt es beim Bundeskriminalamt. Alle ihnen zwecks Prüfung übermittelten Fingerabdrücke werden in einer Datei gesammelt, rund vierzigtausend kommen pro Monat hinzu, insgesamt sind es 3,2 Millionen. Bei Übereinstimmung eines neuen Fingerabdrucks mit dem, was gespeichert ist, gilt die Person als identifiziert. Aufbewahrt werden die Abdrücke, die Daten, je nach Delikt und den Bestimmungen des Datenschutzes, etwa zehn Jahre, danach wird gelöscht, soweit es sich nicht um Taten wie Mord handelt, für die keine Verjährungsfrist gilt. Zur sogenannten erkennungsdienstlichen Behandlung gehören nicht nur Fingerabdrücke, sondern auch Fotos. Früher gesammelt in Kriminalakten. Derzeitiger Stand, aber der ändert sich bei jeder neuen Einsendung, bei jeder Löschung: rund drei Millionen Lichtbilder von rund zwei Millionen Verdächtigen und ebenso vielen Personenbeschreibungen. Die ruhen alle im Informationssystem der Polizei.
AFIS identifiziert mittels elektronischer Abgleichung der gespeicherten, per Zahlencode anonymisierten Fingerabdrucke oder Tatortspuren mit denen, die neu eintreffen; jährlich sind das die von etwa achtundzwanzigtausend Verdächtigen. Zur Sammlung gehören auch Abdrucke von Handflächen, die ähnlich beweiskräftig sind wie Fingerabdrücke. Rund fünfhunderttausend davon sind gespeichert. Auch in den modernen Zeiten der genetischen Fingerabdrücke, der forensischen Molekularbiologie mittels DNA sind die klassischen Methoden der Daktyloskopie unersetzlich. Eineiige Zwillinge zum Beispiel haben zwar die gleiche DNA, aber verschiedene Fingerabdrücke.
Die für die Struktur des Amtes wichtigsten Abkürzungen, die neun Kinder der großen Mutter BKA, heißen IK und SO, ZD und KT, ZV und IT, KI und ST und SG. Um sie zu verstehen, müssen sie einzeln erkundet werden. Bei manchen reicht ein kurzer Blick, bei anderen müssen Ermittlungen vertieft werden.
IK ist die Abteilung Internationale Koordinierung, und genau das umschreibt ihre Aufgabe. Zwar soll das Bundeskriminalamt laut Gesetzestext hauptsächlich die »Polizeien des Bundes und der Länder bei der Verhütung und Verfolgung von Straftaten« unterstützen, doch ist das BKA auch das nationale Zentralbüro der Bundesrepublik für Interpol in Lyon – abgeleitet von »Internationale kriminalpolizeiliche Organisation«, kurz auch IKPO genannt –, für EUROPOL, das europäische Polizeiamt in Den Haag und unter dem Namen »SIRENE Deutschland« zudem die Anlaufstelle für polizeiliche Anfragen aus jenen inzwischen fünfundzwanzig europäischen Staaten, die sich dem Abkommen von Schengen zur Abschaffung der Grenzkontrollen angeschlossen haben, initiiert und vereinbart einst von Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland und Luxemburg. SIRENE steht für »Supplementary Information Request at the National Entry«.
In der IK werden zudem alle Auslandseinsätze koordiniert. Die entsprechende Strategie lautet in der polizeilichen Terminologie »Vorverlagerung«, und der zufolge ist es sinnvoll, die Kriminalität in bestimmten Fällen wie Rauschgifthandel dort zu bekämpfen, wo sie ihren Ursprung hat, statt abzuwarten, bis die Drogen nach Deutschland kommen. Ein klassischer Fall von Gefahrenabwehr. Die vom Bundeskriminalamt entsandten Beamten sind deshalb im Ausland eine Art von Schutzpolizei, weil sie in den Anbauländern des marktüblichen Rauschgifts zum Schutz der deutschen Heimat mit technischer Ausstattung und kriminalistischer Ausbildung helfen. Verbindungsbeamte des BKA sind in fünfzig Ländern eingesetzt, insbesondere da, wo sich die apokalyptischen Reiter Rauschgifthandel, Menschenhandel, Terrorismus auf ihre Reise nach Europa machen. Nach zwei, drei Jahren kommen die meisten zurück in die Zentrale nach Wiesbaden oder in die Zweigstellen Meckenheim und Berlin, reich an Erfahrungen und ausgestattet mit einem unbezahlbaren Schatz von persönlichen Beziehungen, die dann von Fall zu Fall per direkten Kontakt hilfreich eingesetzt werden.
Hinter SO verbirgt sich die Abteilung Schwere und Organisierte Kriminalität. Die tritt an gegen die richtig gefährlichen Jungs auf der internationalen Szene. Klingt nach einem Job für harte Männer. Aber an Helden besteht kein Bedarf. Einzelgänger wie Al Pacino und Gene Hackman und Clint Eastwood arbeiten in Hollywood, nicht in Wiesbaden. Bei SO sind die BKA-Spezialisten in die Gruppen eins bis fünf unterteilt, in jeder einzelnen Gruppe verzweigt sich das weite Feld dieser Art von Kriminalität in Dutzende von Referaten. Jedes einzelne von denen zu schildern ist eher eine Aufgabe für Seminar- oder Diplomarbeiten, damit man an Polizeihochschulen gute Noten bekommt – Stichwort »Befähigkeitsnachweis!« –, worauf ich jedoch keinen Wert lege. Aber einzelne aus den Gruppen SO 1 bis SO 5 besser kennenzulernen erleichtert die Orientierung in der Festung und wird mir bei meinen weiteren Ermittlungen helfen. SO 1 zum Beispiel. Da geht es um Waffenhandel, Sprengstoff, Mord, dort wird auch nach Vermissten oder der Identität von Toten geforscht, die mit der Bitte um Amtshilfe von den einzelnen Landeskriminalämtern nach Wiesbaden gemeldet werden.
Extrem schwierig und meist erfolglos ist die Suche nach vergrabenen Leichen in unwegsamen Waldgebieten. Mit Wärmekameras kommt man da nicht weiter. Deshalb haben sogar absurd anmutende Vorschläge eine Chance. Im Vogelpark von Walsrode fand im Sommer 2010 ein so verrückt klingendes Experiment im Auftrag des Landeskriminalamtes Niedersachsen statt. Aasvögel von der Spezies Truthahngeier besitzen die besondere Eigenschaft, selbst aus tausend Meter Höhe zu riechen, was auf und unter der Erde verscharrt ist, und sei es auch nur eine tote Maus. Warum weiß der Geier, wo die Leiche liegt? Weil er nur dank dieser Eigenschaft überleben kann. Für ihre Suche nach Nahrung sind die zwei Kilo leichten fliegenden Leichenspürhunde auf ihren Geruchssinn angewiesen. In Niedersachsen wurde das Pilotprojekt mit einem von Tiertrainern abgerichteten Geier gestartet. Man taufte ihn auf den Namen Sherlock und stattet ihn bei seinen ersten Testflügen mit einem GPS-Sender aus. Ein tierisches Aas, eingewickelt in einen Stoffrest, in den Monate zuvor eine menschliche Leiche verpackt worden war, wurde tief im Boden vergraben. Sherlock setzte zielsicher an zum Sturzflug.
Statt eines lebendigen fliegenden Zielfahnders, was auf Dauer zu aufwendig werden dürfte, ließen sich bei Suchaktionen auch Drohnen einsetzen, wie sie beim ISAF-Einsatz in Afghanistan oder im Irak verwendet werden, um Terroristen aufzuspüren. Dagegen gibt es nicht nur politische Vorbehalte, sondern nach wie vor auch Berührungsängste zwischen Polizei und Militär. Was wegen der Erfahrungen aus der deutschen Geschichte nicht nur verständlich ist, sondern selbstverständlich. SO 2 kümmert sich um Rauschgiftkriminalität, sortiert nach Art der Drogen und deren Herkunft. SO 3 hat Wirtschaftsdelikte wie Korruption, Geldwäsche, Betrug im Portfolio. Wortkarg wird mein ständiger Begleiter während der Ermittlungen, als es beispielsweise um die Referate SO 53 und SO 54 geht. In denen sind verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen, landläufig V-Männer genannt, angesiedelt. Würde er mir über deren Arbeit Konkretes erzählen, könnten sie ihre Bemühungen einstellen. Das leuchtet mir ein.
Zur ZD, Zentrale Kriminalpolizeiliche Dienste, gehören neben den klassischen Daktyloskopen die Experten für den genetischen Fingerabdruck. Sie haben Zugriff auf die DNA-Analyse-Datei; in deren Bestand befinden sich, Tendenz steigend, rund siebenhunderfünfzigtauend Datensätze, gemeinsam angelegt im Verbund von Landeskriminalämtern und Bundeskriminalamt. Alle gesammelten Dateien sind kodiert. Neu eintreffende Spuren, etwa zehntausend pro Monat, werden ähnlich wie bei den klassischen Fingerabdruckblättern mit vorhandenen verglichen und, sobald es eine Übereinstimmung gibt, erneut kodiert. Alles Weitere ist dann die Aufgabe von Vollzugsbeamten in den Landeskriminalämtern, die allein können die Kodierung einem bestimmten Namen zuordnen, im besten Fall dem eines Täters. Die Aufklärungsquote ist hoch, denn jeder dritte Vergleich ergibt einen Treffer.
Der Chef des Kriminaldauerdienstes, KDD, gleichfalls zu den Zentralen Kriminalpolizeilichen Diensten zählend, wird mir später nicht nur erklären, was er und seine Leute tun, sondern vor allem, was sie ganz bestimmt nie tun. Alle wären längst suspendiert worden, wenn sie sich in der Wirklichkeit so aufführten wie manche ihrer Kollegen im Fernsehen. Offiziell erfahre ich nichts über Training und Methoden der Zielfahnder, weil das ein Firmengeheimnis ist, dafür aber vieles über Fachreferate für Spreng-und Branddelikte, Manches über das in der Firmenniederlassung Meckenheim ansässige Mobile Einsatzkommando MEK oder die Identifizierungskommission, die IDKO, Hintergründiges über die never ending story der Suche nach den letzten noch auf freiem Fuß befindlichen Mitgliedern der Rote Armee Fraktion.
Auch IDKO gehört zu den Zentralen Kriminalpolizeilichen Diensten. Bei einem Einsatz für IDKO werden Experten aus verschiedenen Abteilungen zusammengerufen. Ihre Arbeit wird bei ZD 37 koordiniert. Dort lagert jederzeit alles, was sie brauchen. Gerät, Schutzanzüge, Masken, Instrumente. Zwar sind alle stets einsatzbereit, aber sie machen in Zeiten, in denen nichts passiert, wofür sie ausgebildet wurden, Dienst in anderen Abteilungen. Zu IDKO gehören jene BKA-Beamten, die bei Katastrophen wie dem Tsunami vom Dezember 2004 auftauchen, erkennbar an ihren weißen Schutzanzügen vor Ort, wo es bei Unglücken, Attentaten, Katastrophen im Ausland deutsche Opfer gibt und die zu identifizieren dann ihre Aufgabe ist. Sie geben mit ihrer Arbeit den Toten ihre Identität zurück, schenken ihnen wenigstens einen Namen, der auf dem Grabstein stehen kann. Sie erweisen ihnen die letzte Ehre, denn sie stellen anhand vorhandener Restkörperspuren und mittels DNA fest, um wessen Leiche es sich handelt.
Es werden ausnahmslos Freiwillige für diesen Knochenjob aktiviert. Sie müssen eine starke psychische wie auch physische Konstitution haben, um das auszuhalten. Langzeitwirkungen sind inbegriffen. Einer von ihnen, höre ich, hat noch immer, wenn er einen durch eine Klimaanlage gekühlten Raum betrifft, und sei es auch nur ein Supermarkt, automatisch den Geruch von notwendigerweise einst in Kühlräumen gelagerten menschlichen Überresten, etwa nach einem Flugzeugabsturz in den Tropen, in der Nase.
Die nächste BKA-Tochter ZV, Abteilung Zentral- und Verwaltungsfragen, interessiert mich weniger, weil deren Tätigkeit der in allen Firmen gleicht, was im Prinzip auch für den Sohn IT, Abteilung Informationstechnik, gilt. Aber nur im Prinzip. Denn wenn aus anderen Referaten gefragt wird nach einer neuen Software für ihre Hardware namens Ermittlungen, beginnt der Einsatz der Experten von IT. Mir gefällt am besten das Referat IT 09, das »Querschnittsaufgaben für die Standorte Berlin und Meckenheim« wahrzunehmen hat. Klingt schön langweilig, ist aber eher das Gegenteil, denn in Berlin und Meckenheim amtieren Staatsschützer und Experten vom Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), und wenn die einen Querschnitt wollen, dann ist es sicher keiner der weiblichen Bevölkerung des Münchner Stadtteils Solln und auch keiner der Torfstecher von Ostfriesland und auch keiner von Seeanemonen. Dann geht es ans und ums Eingemachte.
ST residiert in der Firmenniederlassung Meckenheim, einer BKA-Außenstelle in der Nähe von Bonn. ST bedeutet »Polizeilicher Staatsschutz«. Die Paul-Dickopf-Straße, Heimat der Staatsschützer, ist keine gute Adresse, obwohl sie zum Betrieb passend nach einem ehemaligen BKA—Präsidenten benannt ist. Der gehört wegen seiner Vergangenheit eigentlich nicht in einen Walk of Fame des BKA. Andererseits könnte man die Adresse auch dahingehend interpretieren, dass sich das BKA indirekt zu allen Kapiteln seiner Geschichte bekennt. Denn Paul Dickopf, von 1965 bis 1971 an der Spitze des BKA, war zwar im Dritten Reich schon ein überzeugter Staatsdiener, aber in den Anfangsjahren des BKA galt das als normaler Zustand in vielen Referaten – leidenschaftlicher Nazi gewesen zu sein.
Die Staatsschützer von ST 1 und ST 2 kümmern sich um Links- wie Rechtsextremisten und um terroristisch aktive Gruppen. Früher mal waren das die PKK und die IRA, heute sind es die nicht mehr in geschlossenen ethnischen Gruppen auftretenden politisch motivierten Gewalttäter, die hierzulande aktiv werden wollen oder schon geworden sind. ST 3 prüft aufgrund seiner bei verdeckten Ermittlungen oder durch V-Männer gesammelten Kenntnisse und Hinweise mögliche Gefährdungen durch Terroristen oder gewaltbereite Demonstranten bei Großveranstaltungen wie der Fußballweltmeisterschaft oder dem G8-Treffen in Heiligendamm, und zwar zu Luft, zu Erde, zu Wasser.
Dritte Dependance des BKA außer Wiesbaden und Meckenheim ist Berlin, wo die Abteilung Sicherheitsgruppe verankert ist. Bei der ist alles geheim, sogar der Standort in der Hauptstadt, was allerdings vor zwei Jahren informierte Autonome nicht daran hinderte, auf das entsprechende Gebäude nächtens ein paar Farbbeutel zu werfen. Die Personenschützer sollen laut BKA-Gesetz die Verfassungsorgane des Bundes schützen, vom Bundespräsidenten über Bundeskanzler und Minister bis hin zu gefährdeten Abgeordneten. Unter dem Titel »Politiker Stalking – Politiker als Opfer von Belästigungen« steht den Personenschützern für den Dienstgebrauch (VS) ein zweiundfünfzigseitiger »Leitfaden« für ihre Aufgaben zur Verfügung, in dem verschiedene Fälle aus dem »Zuständigkeitsbereich des Bundeskriminalamtes« samt Fallanalysen geschildert werden. Sie arbeiten immer als Team. Am wichtigsten ist die Arbeit eines Vorkommandos, wie das in ihrer Umgangssprache heißt, bei Staatsbesuchen. Genaue Ermittlungen im sogenannten Vorfeld sind die Voraussetzungen für ein Höchstmaß an Sicherheit.
Mit diesem Wissen könnte ich jetzt immerhin schon mal ein Organigramm des BKA aufzeichnen. Eine Kamera, in dem Fall verankert in meinem Kopf, hat sich von oben an die Festung herangezoomt, so ähnlich wie die zu Beginn des Filmklassikers Casablanca, hat einzelne Häuser und deren Bewohner identifiziert, aber was genau die machen und wie, ist noch nicht erkennbar.
Sobald beim Bundeskriminalamt die tägliche Arbeit beginnt, herrscht normale Geschäftigkeit wie in jeder anderen Behörde auch. In den Büros jedoch hängen keine röhrenden Hirsche auf Waldlichtungen, sondern Plaketten und Wimpel und Trophäen und Auszeichnungen, die ihre Bewohner von Dienstreisen ins nahe oder ferne Ausland mitgebracht haben. Die Internationale der Polizei tauscht nicht nur Erfahrungen aus bei ihren Kongressen oder gemeinsamen Einsätzen, sondern wie jeder anständige Verein Pokale und Urkunden. Auch aus der Kantine riecht es nicht anders als anderswo, und dass am Schwarzen Brett für Wochenendausflüge geworben wird oder für einen Fitnesskurs, fällt auch nicht aus dem firmenüblichen Rahmen. Flure und Etagen im Haupthaus W1 des BKA – die beiden anderen Wiesbadener Dependancen arbeiten in renovierten ehemaligen US-Kasernen und heißen W2 und W3 – sind so verwinkelt angelegt, dass sich dort nur ausgebildete Spürhunde zurechtfinden.
Das ist keine geschickte Taktik, um Eindringlinge zu verwirren, sondern beruht auf kreativen Einfällen der Architekten. Nicht ermittelt werden konnte, ob es für diesen Geniestreich lang anhaltenden Beifall gegeben hat. Was Raum lässt für interdisziplinäre Scherze. Ob jenseits der verwinkelten Zwischengeschosse in geheimen Leerräumen, die es nur in der Fantasie der Planer gab, ein paar Skelette von Beamten ruhen, weil sie da niemand vermutet? Da lacht sogar mein ernster Begleiter mal.
Um spezielle Verbrecher wirksam zu bekämpfen, braucht es Spezialisten. Die bewerben sich, sobald im polizeilichen Intranet freie Stellen ausgeschrieben werden. Juristen fangen nach dem Universitätsabschluss direkt beim BKA an, steigen im Laufe ihrer Karriere im höheren Dienst manchmal sogar ganz nach oben auf, doch parallel bildet das Bundeskriminalamt in einem dreijährigen Lehrgang seine künftigen »Top Guns« selbst aus. Abitur ist Voraussetzung, dann wird studiert – nicht ganz so wie an anderen Hochschulen, denn neben dem theoretischen Unterricht gehört intensives Training auf dem Schießstand dazu oder Übungen in der Kunst unauffälliger Observierung. Obligatorisch für eine Karriere im höheren Dienst ist die vor Ort in den sechzehn Bundesländern erworbene Praxis, ist die regelmäßige Teilnahme an Fortbildungslehrgängen, weil auch die von der anderen Seite sich in ihrem Metier laufend fortbilden, um auf dem neuesten Stand der Technik zu sein.
Die Hälfte der Firmenmitarbeiter sind ausgebildete Kriminalbeamte, bewährt in alltäglichen Ermittlungen und Fahndungen in Landeskriminalämtern, geschult in Polizeihochschulen. Ihr Stolz auf professionelle Leistungen ist berechtigt. In anderen Firmen würde man den Corporate Identity nennen. Aber ohne ihre Kollegen von der Wissenschaft wären sie nur halb so gut. Oder um es positiv zu sagen, getreu dem Eigenlob auf der Homepage des Amtes: »Die Labors des BKA sind auf dem neuesten technischen Stand der Wissenschaft. Ob physikalische, chemische oder biologische Verfahren, ob Tatwerkzeugspuren, Schusswaffenvergleiche oder Analysen von Stimme und Sprache: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes sind mit allen modernen Ermittlungsmethoden vertraut.«
Das stimmt. Deshalb sind die hoch qualifizierten Wissenschaftler in der Kriminaltechnik, der KT, im klassischen Sinne nur Dienstleister, aber ohne ihre Dienste könnten die Kriminalbeamten nicht das leisten, wozu sie verpflichtet sind qua Dienstvertrag. Technik im BKA dient dieser Sache, leistet also einen Beitrag zum Dauerauftrag, denen von der anderen Seite ihr Leben möglichst schwer zu machen oder sie mit dem, was sie angerichtet haben, nicht ungeschoren davonkommen zu lassen. Polizei sollte nicht etwa der Technik vorauslaufen; die wahre Kunst des Handwerks liegt darin, früh genug zu erkennen, welche Folgen Technikeinsatz für die Verbrechensbekämpfung hat.
Sei alles eine Frage der Kommunikation, winkt ein graubärtiger Mann ab, der mir unterm Dach einer Wohnung in Berlin gegenübersitzt, die Politik müsse sagen, was sie will und was sie bereit ist auszugeben. Er ist im Ruhestand, oder wie das bei Beamten heißt: Er ist pensioniert. Doch Max-Peter Ratzel, nach einer steilen Karriere im BKA anschließend von 2005 bis 2009 Direktor von EUROPOL in Den Haag, ist erst einundsechzig und noch lange nicht ausgebrannt. Er wirkt sprungbereit. Bei jedem Summen seines Handys, das vor uns zwischen Kaffeetasse und Kuchenstück liegt, könnte es sein, dass er unser Gespräch abbrechen muss, weil ihn endlich wieder eine Pflicht ruft, denn seit seiner Pensionierung ist er international gefragt als Berater für Sicherheitsfragen. Doch ich habe Glück. Sie ruft nicht.
In den USA hat die Coastguard schnelle Speedboote wie die Drogendealer, manchmal bessere, weil sie die besten Modelle der Gangster bei Festnahmen für den Staat konfisziert und künftig bei ihren Einsätzen selbst benutzt. Für die Nutzung von sichergestelltem Tätermaterial fehlt in Deutschland die rechtliche Basis. Speedboote braucht das BKA zudem eher selten. Was insgesamt die Polizei jedoch benötigt, ist bestmögliche technische Ausrüstung, egal ob Boot, Hubschrauber, Auto, Computer. Sonst wird sie im Wettlauf gegen die anderen da draußen immer zweiter Sieger bleiben. Falls ihre Gegner ein Speedboot fahren und sie bekommt keines, wird sie die nicht mehr einholen können, und es steigt automatisch die Anzahl der Delikte an. »Falls die Gesellschaft und die Politik und die Medien bereit sind, das hinzunehmen, dann muss auch ich das hinnehmen, denn ich bin Polizist und Diener des Staates«, so Ratzel. Aber im Fall wachsender Kriminalität wäre dann ein anschwellender Bocksgesang, dass die Polizei ihre Gegner nicht mehr einholen kann, nur Heuchelei.
In KT, der Kriminaltechnik, arbeiten in zwanzig verschiedenen Fachbereichen interdisziplinär nicht nur Naturwissenschaftler wie Chemiker, Physiker, Biologen, sondern auch Phonetiker, Linguisten, Schriftsachverständige. Insgesamt sind hier unter dreihundert Experten sechzig verschiedene Berufe versammelt. Um die jährlich mehr als zehntausend Aufträge zu bearbeiten, eingehend von Staatsanwaltschaften und Gerichten, von Landeskriminalämtern und anderen Abteilungen des Bundeskriminalamtes, vor allem den Tatortgruppen, braucht das hauseigene Institut die bestmöglichen technischen Einrichtungen, braucht für Gutachten zum Vergleich Materialsammlungen aller Art, von Schusswaffen bis Rauschgift, von gefälschten Urkunden bis Sprengstoff, von DNA-Proben bis zu Werkstoffen.
In einem Zentrallabor von KT 1 bestaune ich einen Apparat, der einer Raumkapsel gleicht, vor sich hin summt und in der Anschaffung rund 800 000 Euro gekostet hat. Was dieser Magnetische Resonanzspektrometer leistet, kann kein anderer, ist allenfalls vergleichbar mit der neuesten Generation der von Medizinern für die Hirnforschung betriebenen Magnetresonanztomografen, und deshalb ist das Spektrometer so teuer. Es macht sich mittels Proben von sichergestellten Rauschgiften – Heroin, Kokain, Ecstasy usw. – ein Bild von Molekülen und davon, woraus die im Einzelnen bestehen. Ein besonders starker Magnet zwingt die in bestimmte physikalische Zustände. Danach notiert der auch nachts tätige Mitarbeiter, ohne auf den erst am nächsten Morgen eintreffenden Wissenschaftler zu warten, welche chemischen Strukturen in organischen Verbindungen der Drogen erkennbar waren, und gibt diese Erkenntnisse direkt weiter an die entsprechende Datenbank des BKA.
In der wiederum kann, ebenfalls elektronisch, abgeglichen werden, ob diese Muster schon in anderen Fällen auftauchten, und die Maschine gibt Laut, sobald ein Treffer erzielt wird. Der Chef des Labors fühlt sich nicht als chemischer Ermittler, sondern bezeichnet sich stolz als Wissenschaftler. Er identifiziert sich nicht wie ein Kriminalkommissar mit der Polizei. Doch dass gesellschaftlich sinnvoll ist, was er da betreibt, nämlich Sachbeweise zu produzieren, belastend oder entlastend, je nach Ergebnis, motiviert ihn eben doch mehr als die reine Forschung an irgendeinem Institut irgendwo.
In KT 2 geht es um Schusswaffentechnik, da ruht die Waffensammlung des BKA, in der achttausendfünfhundert verschiedene Waffen registriert sind. Für jede Waffe auf der Welt liegt hier ein Vergleichsmodell vor und erlaubt Spurenvergleiche mit gesicherter Tatortmunition. Während ich auf Revolver und Colts und Maschinenpistolen usw. blicke, mit und ohne Schalldämpfer, kühl schwarz oder verspielt vernickelt, in Regalen lagernd, die mich an die Aktenschränke der Birthler-Behörde erinnern, erklärt mir ein gelernter Büchsenmacher sein Arbeitsgebiet. Seine Profession ist so wichtig wie die aller anderen, weil aus jedem Fach ein Teil des Puzzles kommen kann, das später kluge Ermittler zu einem Bild zusammenfügen, aus dem dann schließlich das Gesicht eines Täters erwächst.
Die Wissenschaftler bejahen zwar den gesetzlichen Auftrag des Bundeskriminalamtes, für das sie arbeiten, aber sie alle legen Wert auf die Feststellung, zuallererst Chemiker zu sein oder Biologe oder Physiker oder Toxikologe oder Genetiker. Wesentlich ist ihre Pflicht, einwandfreie Ergebnisse zu liefern, mit denen die zuständigen Abteilungen weiterarbeiten bis zur Festnahme eines Täters, bis zu einem Prozess. Ihre Gutachten müssen vor Gericht allen Attacken der Strafverteidiger standhalten. Deshalb sind die Tätigkeiten der Ermittler an bestimmten Tatorten und die Forschungen der Kriminaltechniker im Labor auch organisatorisch voneinander abgegrenzt. Die Ergebnisse werden nach Abschluss aller Untersuchungen drinnen wie draußen aber selbstverständlich ausgetauscht.
In KT 3 zum Beispiel untersuchen Biologen anhand von Spuren, die am Tatort gefunden wurden, die DNA. Das sind Blutspuren, Speichelproben, Hautpartikelchen, Haare mit Wurzeln und ohne, »telogen« genannt, weil sie nicht mit der Wurzel ausgerissen wurden, sondern ausgefallen sind. Die telogenen Haare können nur ein einziges Mal untersucht werden, dann sind die Spuren vernichtet, es gibt nur eine einzige Chance, aus ihnen etwas herauszufiltern, was möglicherweise dann zu einem bislang unbekannten Täter führt. Und mit dem, was der hautnah bei seinem Opfer oder an einem Tatort oder auf einer Waffe zurückgelassen hat, winzigen Hautpartikelchen, lassen sich seit rund zehn Jahren dank des wissenschaftlichen Fortschritts erstaunliche Ergebnisse erzielen.
Unersetzlich ist die Methode des genetischen Fingerabdrucks für die diffizile Arbeit der IDKO bei Katastrophen oder Attentaten. Eingesetzt wird sie verstärkt bei längst als hoffnungslos abgelegten und ausermittelten Fällen. Denn Mord verjährt nicht. Jede so gelungene Überführung von Mördern auch Jahre nach der Tat ist ein kleiner Sieg der Gerechtigkeit. Die kühlen Beamten vom Bundeskriminalamt würden das nicht so hoch hängen und eher davon sprechen, dass jeder dank Molekulargenetik gelöste Fall sie befriedigt, weil es endlich ein Fall für den Staatsanwalt ist und eine Tat gesühnt werden kann. Schuld ohne Sühne geht ihnen gegen die Berufsehre. Der eingeweihte deutsche Fernsehzuschauer weiß zwar seit der amerikanischen Serie CSI Miami, dass manchmal Täter überführt werden, weil die Erde in den Rillen ihrer Schuhe mit der am Tatort übereinstimmt, staunt auch, dass eine bestimmte Blüte, die beim Mordopfer gefunden wurde, in genau dem Mangrovensumpf zu finden ist, der an das Haus des Verdächtigen grenzt, wodurch er dank CSI überführt werden kann, aber das ist eindeutig Fiktion. Oder etwa nicht?
Nein, ist es nicht. Aufklärung geschieht sogar mithilfe von Tieren. Denn auch diese Lebewesen haben eine persönliche DNA. Seit ein paar Jahren ist es möglich, anhand von Haarspuren nicht nur die Rasse eines Hundes oder einer Katze zu benennen, sondern das DNA-Profil eines ganz bestimmten Hundes, einer ganz bestimmten Katze zu erstellen. Falls dieser ganz bestimmte Hund oder diese ganz bestimmte Katze den Spuren zuzuordnen sind, die bei einem Tatverdächtigen gefunden wurden, dem bis dahin nichts nachzuweisen war, ist dies ein Sieg für die Polizei. Das dabei erforderliche Verfahren entspricht in etwa den bei Analysen menschlicher Spuren angewandten Methoden zur Bestimmung der DNA. Je mehr die Wissenschaftler, die besten Helfer des Bundeskriminalamtes, an neuen Methoden entdecken und testen, desto öfter erfüllt sich die trotzige Hoffnung aller Ermittler: Früher oder später kriegen wir sie alle.
Eine Kollegin der Humanbiologen aus KT, die sich wie die anderen auch auf eine Stellenanzeige des Bundeskriminalamtes beworben hat, ist promovierte Agrarwissenschaftlerin und macht das, was er an menschlichen Spuren untersucht, bei Pflanzen. Eine faszinierende Technik. Sie erzählt mir davon anhand eines konkreten Falles: Vor über zehn Jahren hatte ein Jogger im Wald unter einer Stieleiche eine tote Frau entdeckt und die Polizei alarmiert. Sie war ermordet worden. Der Ehemann geriet schnell in Verdacht. Er hatte mehrmals, wie Zeugen aussagten, wütende Drohungen gegen seine von ihm getrennt lebende Frau ausgestoßen, darunter auch die, dass er sie eines Tages totschlagen würde. An der Leiche wurden Spuren gefunden, die eindeutig von ihm stammten, aber die waren noch keine Beweise für einen Mord. Er wurde verhaftet, musste aber bald aus der U-Haft entlassen werden. Die Tat, begangen 1998, schien ungesühnt zu bleiben. Ein einziges Blatt hatten die Ermittler im Kofferraum des Verdächtigen gefunden, das Blatt einer Stieleiche, aber von dieser Art gibt es Zigtausende Exemplare in Deutschland. War also nicht beweiskräftig.
Die Kollegen vom zuständigen Landeskriminalamt legten dennoch das Blatt in ihrer Asservatenkammer ab. Sechs Jahre später, 2004, wurden per Intranet die Beamten aller Landeskriminalämter darüber informiert, dass es dank neuer Erkenntnisse möglich sei, beim BKA selbst nur geringe pflanzliche oder tierische Spuren von Tatorten genetisch zu untersuchen. Woraufhin der damalige Mordermittler bei den Spezialisten in Wiesbaden anfragte, ob sie mit jenem Blatt aus dem Kofferraum jetzt mehr anfangen könnten als er damals. Konnten sie. Sie stellten fest, zu welchem Baum das Blatt gehörte. Es war genau der Baum, unter dem damals die Leiche der Frau gelegen hatte. 2006 wurde der Ehemann wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Den Spezialisten von KT 54 gelingt es, bei Aufnahmen von Erpressern oder Geiselnehmern bis auf dreißig Kilometer genau herauszuhören, aus welcher Gegend, aus welchem Ort der Sprecher stammt. Audiovisuelle Analysen der Videobotschaften von Osama bin Laden und seiner Helfer sind nicht mehr nur ein Fall für die CIA oder den MI5, sondern auch fürs Bundeskriminalamt, seit fanatische junge Deutsche im internationalen Terrorismus mitmischen und per audiovisueller Botschaft das Land bedrohen, in dem sie aufgewachsen sind. Ein anderer Experte, Astrophysiker, benutzt bei KT 16 mathematische Methoden, mit denen er sonst die Strukturen in Sternen erforscht hat, um auf Erden zu beweisen, wo bei Bränden wann was geschehen ist, und bei Bedarf hilft ihm der Kollege aus KT 16, weil der bestimmen kann, wo die Zünder gebaut wurden, die zur Explosion führten.
Weil die Fälschung von Arzneimitteln mehr Geld einbringt als der weltweite Rauschgifthandel – geschätzte siebzig Milliarden Dollar pro Jahr –, setzen Toxikologen im Amt Methoden und Erkenntnisse ein, auf die sie beim Aufbau der weltweit größten Ecstasy-Tablettensammlung gestoßen waren. Die Wissenschaftler beschäftigen sich nicht wie Rechtsmediziner mit Giften in Körpern, sondern mit denen in Feststoffen. Bei synthetischen Drogen, auch Designerdrogen genannt, wie Speed oder Ecstasy, können sie aufgrund der Zusammensetzung einer einzelnen Tablette sogar feststellen, aus welchem Labor die Droge stammt und in welchem Land sich das befindet. Bei im Internet angebotenen gefälschten Medikamenten aller Art oder Potenzmitteln wie Viagra ist das schwerer. Das kriminelle Dunkelfeld ist groß.
Wie groß, das lässt sich ahnen, sobald Zahlen aus dem Hellfeld auftauchen, wenn es zumindest für die Statistik einen Erfolg zu vermelden gibt: 2008 beschlagnahmten Zollbeamte bei einer von EUROPOL koordinierten Aktion vierunddreißig Millionen gefälschte Tabletten. Hauptsächlich wird mit Lifestyle-Produkten gehandelt – Appetitzügler oder Haarwuchsmittel, Potenz oder Muskelkraft steigernde Substanzen. Allen ist gemeinsam, dass sie weder geprüft noch gar zugelassen sind und teilweise tödliche Nebenwirkungen haben. Bei einer weltweiten Razzia in vierzig Ländern, zwei Jahre später in Deutschland durchgeführt vom Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern und der Zollfahndung, wurden Hunderte von Produzenten festgenommen und Tausende schädlicher Arzneimittel beschlagnahmt.
Solche spektakulären Erfolge der Polizei schrecken die Hersteller nicht ab, denn die Gewinnmargen sind riesig. Originale AIDS-Therapeutika kosten legal pro Packung bis zu zweitausend Dollar. Die Fälscher sind nicht nur gewöhnlich gut organisierte, global agierende Wirtschaftskriminelle, sondern auch gewöhnliche Mörder. Was der fabelhafte John Le Carré in seinem Roman »The Constant Gardener« (dt. »Der ewige Gärtner«) erzählt, ist zwar Fiktion, aber in seinen Details realistisch. Zum Beispiel starben trotz einer Impfung gegen Gehirnhautentzündung in Nigeria von fünfzigtausend Probanden zweitausendfünfhundert, weil das Serum aus reinem Wasser bestand, oder auf Haiti Hunderte von Kindern, weil ein Hustensaft mit einem giftigen Enteisungsmittel verdünnt worden war.
Die Wissenschaftler von KT beteiligen sich bei der Jagd nach den Kriminellen, verhehlen nicht, leicht angewidert, einen gewissen Respekt vor deren Können und sammeln, um jene zu erlegen, was die ermittelnden Beamten bei ihnen abliefern. Ihre Erkenntnisse teilen sie mit ausländischen Behörden. Vor allem die amerikanische Drug Enforcement Administration (DEA) lobt die Kollegen vom BKA dankbar als die Besten der Welt, was insofern erstaunlich ist, weil sich die Amerikaner ansonsten immer nur selbst für die Besten ihres Metiers halten. Aus den Ermittlungen selbst halten sich alle Spezialisten der Kriminaltechnik raus. Sie sind als Wissenschaftler neutral. Ob das, was sie herausfinden, einen Verdächtigen belastet oder entlastet, ist nicht wesentlich fürs Ergebnis. Es muss stimmen, was sie notiert haben. Schließlich geht es nicht um wertfreie Forschung, sondern im Zweifelsfall immer um ein menschliches Schicksal, um Haft oder Freiheit. Das gilt ebenso bei der Analyse von Schmauchspuren auf der Kleidung. Vereinfacht ausgedrückt setzt jeder Schuss mikroskopische Partikelchen frei, auch auf der Kleidung oder an den Händen des Schützen. Auf denen sind die Spuren nach ein paar Stunden und intensiver Reinigung unterm Wasserhahn nicht mehr existent, doch in den Kleidern stecken sie. Da setzt die Schmauchspurenanalyse an. Dabei muss sich jeder, also auch ich, der das alles genau wissen will und deshalb von den Fachleuten ihre Möglichkeiten vorgeführt bekommt, einer Prozedur unterwerfen wie auf der Intensivstation, wo ja alle Besucher, die von außen kommen, Schutzanzüge tragen. In Kliniken geht es darum, die Übertragung von Keimen zu verhindern, hier darum, Spuren zu vermeiden. Dadurch ist ausgeschlossen, Schmauchspuren zu kontaminieren. Andernfalls wäre das Ergebnis verfälscht und das wiederum ein Super-GAU, weil die Spur, die als Ergebnis vorliegt, eine selbst erzeugte ist.
Die Methoden in der Kriminaltechnik werden laufend verfeinert, je nach Stand der Forschung und der Technik. Alle zwei, drei Jahre braucht es neue Methoden, weil neue Module und neue Technik erforderlich sind, um den neuen Herausforderungen durch das Verbrechen wirksam begegnen zu können. »Spurenlose Tatorte gibt es nicht, es gibt nur die Latenz von Spuren. Aufgabe der Kriminaltechnik ist es, mit naturwissenschaftlichen Verfahren und Techniken diese Latenz zu beheben, Beweissubstanz herauszufiltern und gewonnene Schlussfolgerungen als Sachbeweis zu präsentieren«, hatte bereits vor vierzig Jahren Horst Herold, der damalige Chef des BKA, die Bedeutung der Kriminaltechnik, die bis zu seinem Amtsantritt keine Rolle spielte, definiert, und entsprechend hat er sie gefördert. Mit Erfolg. Bei den Prozessen gegen RAF-Mitglieder spielten nicht wie in fast allen anderen Mordverfahren Zeugen die entscheidende Rolle, sondern wissenschaftliche Beweise. Herold: »Die Verurteilungen stützten sich auf etwa eintausendfünfhundert kriminaltechnische Gutachten des BKA.«
Als das Bundeskriminalamt 1951 gegründet wurde, waren die bislang größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, Genozid und Krieg, zwar bekannt, aber die Täter nicht ermittelt. Das BKA beschränkte sich auf die sogenannten einfachen Verbrechen. Die Herstellung von Falschgeld zum Beispiel. Was im Vergleich zu den Massenmorden der Naziverbrecher eher kleinkriminelle Vergehen waren. Sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sechs Jahre nach der Befreiung Deutschlands war die Ballung von Macht im Berliner Reichskriminalpolizeiamt alias Reichssicherheitshauptamt noch in schlechter Erinnerung. Laut Gesetz vom 15. März 1951 sollte deshalb das BKA nicht in Eigenregie handeln, sondern vorrangig die Ermittlungen der Kriminalämter koordinieren. Erlaubt war nur, spezielle Ganoven wie Falschgeldproduzenten über die föderalen Grenzen der Republik hinaus zu verfolgen. Die Polizeihoheit der Länder blieb unangetastet, sie war gesetzlich verankert in der Verfassung. Die einschränkende und politisch gewollte Vorgabe hatte historische Gründe. Im Dritten Reich war die Kriminalpolizei degeneriert zu einem willfährigen Werkzeug der herrschenden Bande.
Aufgrund der kriminellen Fakten, einer real existierenden Bedrohung durch das Böse, sind diese Einschränkungen zu den Akten gelegt worden. Zwar wird das Bundeskriminalamt nach wie vor tätig, falls es von einem der sechzehn deutschen Landeskriminalämter um Hilfe und Kooperation gebeten wird, aber aufgrund der zusätzlichen Kompetenzen, die es durch die 1973 und 1997 und 2008 neu gefassten Gesetzestexte bekam, kann es nun sowohl in eigener Initiative als auch auf Anweisung des Generalbundesanwalts aktiv werden. Der Segen föderaler Vielfalt wird immer dann zum Fluch, wenn nebeneinander statt miteinander agiert wird. Was nicht den Schluss erlaubt, dass die Profis in den Landeskriminalämtern schlechter sind als die Profis in Wiesbaden. Denn es gibt keine Hierarchie der polizeilichen Qualität, es gibt nur
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