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"Yvette de L'Amour, das verführerische Stimmwunder aus Paris, verzaubert Sie auch heute Abend wieder mit ihrer sensationellen Vorstellung im Golden Branch Saloon!"
Der Ausrufer des Saloons von Gushole weist auf ein buntes Plakat, das eine atemberaubend schöne Frau in einem Flitterkostüm zeigt.
John Morgan, der Boss der Skull-Ranch, und sein Cowboy Brazos stehen unschlüssig vor dem Eingang des bekannten Etablissements. Die Männer aus dem Bluegrass Valley ahnen nicht, dass die schöne Yvette als Lockvogel für eine Banditenbande arbeitet. Und John Morgan soll ihr nächstes Opfer werden ...
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Seitenzahl: 143
Cover
Impressum
Lockvogel
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Faba / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0588-2
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Lockvogel
von Hal Warner
»Nur herein, Gentlemen!«, schreit der Ausrufer vor dem Golden Branch Saloon. »Kommen Sie und erleben Sie Yvette de L'Amour, die schönste Frau westlich des Mississippi! Sie müssen sie einfach gesehen haben! Yvette de L'Amour, das Stimmwunder aus Frankreich! Durch sie werden Greise wieder jung und Tote wieder munter! Das ist keine Übertreibung! Ich hab' mit eigenen Augen einen Mann gesehen, der ihretwegen seine Beerdigung versäumt hat! Yvette de L'Amour, die beste Sängerin aller Zeiten! Kommen Sie und hören Sie ihr zu! Jetzt haben Sie die einzigartige Gelegenheit ...«
Brazos, der bullige Cowboy, der mit John Morgan nach Gushole kam, um hier einige Fleischrinder zu verkaufen, stößt dem Rancher in die Rippen. »Na, Boss, was meinen Sie?«, fragt er unternehmungslustig. »Sollten wir uns dieses Frauenzimmer nicht ansehen?«
Sie sind vor dem hell erleuchteten Saloon unwillkürlich stehengeblieben. Animiert vom Geschrei des Anpreisers und einem bunten Plakat, das seitlich vom Eingang befestigt ist und eine schöne junge Frau in Lebensgröße zeigt.
»Die Sache ist bestimmt ein Reinfall«, brummt John Morgan. »Die verkaufen dir hier einen bunten Hund als erstklassiges Rennpferd. Außerdem ist es schon spät.«
»Aber so spät auch wieder nicht«, meint der Hüne. »Auf eine halbe Stunde kommt es sicher nicht an. Im Übrigen muss das wirklich ein Prachtweib sein. Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was der Kerl da sagt...«
»... ist das für mich noch lange kein Grund, gleich da reinzulaufen«, unterbricht ihn der Rancher. »Wir müssen auf die Skull zurück, Brazos.«
Doch der Cowboy lässt nicht locker.
»Nur einen Blick durch die Tür, Boss«, bettelt er. »Ich möchte diese Frau wenigstens gesehen haben.«
John Morgan atmet seufzend aus. »Na schön, sieh sie dir an. Sonst glaubst du ja noch in zehn Jahren, dass du was versäumt hast. In längstens zwei Minuten bist du aber wieder da! Ich warte hier inzwischen.«
»Okay, Boss!«
Brazos läuft zum Eingang, der dicht von Männern umlagert ist. Er ist zwar recht groß und kann daher über ihre Köpfe hinwegblicken, vermag aber dennoch nicht genug zu sehen. So schiebt er die Männer mit seinen Pranken beiseite und ist schon im nächsten Moment in dem Saloon verschwunden.
John Morgan wartet. Natürlich weiß er, dass Brazos in zwei Minuten nicht zurück sein wird. Er richtete sich aus Erfahrung auf eine etwas längere Wartezeit ein.
Als aber schon zehn Minuten vergangen sind und der Cowboy noch immer nicht zurück ist, gibt der Rancher ein ungehaltenes Knurren von sich. Entschlossen, den Mann zu holen, wendet er sich um und betritt nun ebenfalls den Golden Branch Saloon.
Er hat Mühe, sich Eintritt zu verschaffen. Das Lokal ist gerammelt voll, und die schwitzenden Kellner haben alle Mühe, den vielen Bestellungen nachzukommen und einen Weg durch das Menschengewimmel zu finden.
Brazos ist nirgends zu sehen. Der Bursche ist in der Menge untergetaucht.
Dafür sieht John Morgan die junge Frau, derentwegen die Miner aus den umliegenden Bergen sich hier gegenseitig auf die Zehen treten. Und auch er ist, wie er zugeben muss, von Yvette de L'Amour angenehm überrascht.
Sie sieht in ihrem weinroten, weit ausgeschnittenen Kleid atemberaubend schön aus. Blondes, seidig schimmerndes Haar fällt in dichten Strähnen auf ihre Schultern herab. Ihre weißen Zähne blitzen. Sie singt gerade eines ihrer frechen Lieder und schlägt dazu in die Saiten ihrer Gitarre.
Ihre Stimme ist gut. Ihre Figur noch besser. Yvette ist mittelgroß und voll von einem schäumenden Temperament. Alles an ihr bebt und bewegt sich. Die weichen Rundungen ihres schlanken Körpers ziehen die Blicke der Männer an wie ein Magnet. Sie singt mit einer erstaunlichen Sicherheit. Wenn sie zwischendurch Atem holt, hebt sich ihr Busen auf eine so herausfordernde Art, dass ihren Bewunderern jedes Mal die Luft wegbleibt.
Als Podium dient ihr ein Tisch, der hoch genug ist, um darauf von jedermann im Saloon gesehen zu werden. Auf ihm steht – nein, bewegt sie sich mit vibrierenden Gliedern.
Dem Besitzer der Skull-Ranch ist klar, dass er Brazos in dem Getümmel nicht so rasch wird finden können. Und genauso schwierig wird es dann wohl sein, ihn von hier wegzubringen.
Leise fluchend schiebt er sich zur Theke und kann dort einen Stehplatz ergattern.
Auch Will Bender, der Sheriff von Gushole, steht am Tresen. Die beiden Männer kennen sich und nicken sich zu.
John Morgan bestellt sich einen Whisky. Das Glas in der Hand, lehnt er sich gegen die Messingstange des Tresens, trinkt und mustert auf seine kritische Art die Frau, die zurzeit die Sensation von Gushole ist.
Der Sheriff steht neben ihm. Sie sind eingekeilt von Männern, die teils mit dämlich wirkenden, teils verklärten Gesichtern auf die schöne Sängerin starren und hingerissen ihrer musikalischen Darbietung lauschen. Gar mancher Bursche hat den Mund offenstehen.
»Gar nicht übel, die Kleine«, meint nun der Sheriff. »Wenn ich nur wüsste, was sie hier will.«
»Das fragen Sie noch?«, brummt John Morgan. »Sie sehen doch, was sie hier macht. Sie verdreht allem, was hier Hosen anhat, auf raffinierte Weise den Kopf!«
Er dreht sich demonstrativ um, trinkt seinen Whisky aus und stellt das Glas hart auf die Theke.
»Noch einen!«, ruft er Dan Shottle zu.
Der Saloonbesitzer nimmt eine Flasche und schenkt nach. Als er das gefüllte Glas vor den Rancher hinschiebt, zieht der eine Münze aus der Tasche und legt sie aufs Thekenblech. Der Salooner steckt sie dankend ein.
»Moment mal!«, ruft Morgan. »Ich bekomm noch was raus!«
»Wieso?«, fragt Shottle. »Sie haben mir doch einen Dollar gegeben.«
»Eben. Sie schulden mir daher fünfzig Cents.«
»Nein, es stimmt schon. Zwei Whisky kosten genau einen Dollar.«
»Was? Ihre Preise sind aber ganz schön gesalzen!«
»Dafür biete ich auch etwas«, verteidigt sich der Salooner.
»Sie meinen damit wohl diese Sängerin, was?« John Morgan greift nach seinem Glas und weist mit dem Kopf über die Schulter. »Die kommt Sie bestimmt nicht billig, schätze ich. Aber dafür können Sie sich nach jeder Sperrstunde die Hände reiben, was?«
»Ja, in der Kasse klingelt es«, gibt Shottle zufrieden zu.
»Bei mir klingelt auch was«, sagt Will Bender, nachdem sich der Salooner einem anderen Gast zugewandt hat. »Hier oben.«
»Was soll das heißen?« Der Rancher blickt forschend auf Bender, der sich kurz auf die Stirn getippt hat.
Ehe der Sheriff antworten kann, bricht ohrenbetäubendes Gejohle und Händeklatschen los. Yvette de L'Amour hat ihr Lied beendet, und das Publikum spendet nun begeistert Beifall. Sie verneigt sich lächelnd und kündigt eine kurze Pause an.
Mehrere Männer wollen daraufhin nach vorn stürmen, um ihr von der improvisierten Bühne zu helfen. Doch ein besonders kräftig gebauter Mann hält sie mit seinen muskulösen Armen zurück und verschafft sich damit das Vorrecht.
Es ist Brazos. Niemand wagt zu protestieren, als er sich entschlossen dem Tisch nähert, auf dem die Sängerin steht. Man fürchtet wohl seine harten Fäuste.
»Brazos!«, entfährt es Yvette, als sie den Hünen erblickt. Sie errötet unter der geschickt aufgetragenen Schminke.
»Hallo, Nelly!«, sagt er grinsend. »Freut mich, dass du mich wiedererkennst.«
Sie kann nicht verhindern, dass er sie mit seinen schwieligen Pranken um die Taille packt, vom Tisch hebt und im Kreis herumwirbelt. Dann stellt er sie zu Boden, schiebt sie ein Stück von sich und betrachtet sie bewundernd.
»Du bist inzwischen noch schöner geworden«, sagt er. »Wirklich, Nelly. Was hältst du davon, wenn wir zur Feier unseres Wiedersehens etwas trinken?«
Sie hat ihre anfängliche Verwirrung schnell überwunden. Nun wirkt sie wieder gelassen, fast überlegen.
»Einverstanden«, entgegnet sie lächelnd. »Aber sag um Himmels willen nicht mehr Nelly zu mir. Du hast doch sicher gelesen, wie ich mich jetzt nenne?«
»Das Plakat vor der Tür. Ja, das ist mir sofort in die Augen gefallen«, erwidert der bullige Cowboy. »Also gut, du heißt jetzt Yvette. Ich werde mir Mühe geben, mich daran zu gewöhnen.«
Sie setzten sich an den Tisch, auf dem Yvette gesungen hat. Brazos winkt einen Kellner herbei.
»Möchtest du ein Bier?«, erkundigt sich der Cowboy. »Oder vielleicht einen Himbeerbrandy?«
»Ich trinke nur französischen Cognac«, erklärt Yvette etwas großspurig.
»Nur französischen...« Brazos bricht ab und macht ein erstauntes Gesicht.
»Ist dir das zu teuer?«
»Nein – nein...«, stottert er. »Natürlich nicht.«
Er trägt dem Kellner auf, Yvettes Wunsch zu erfüllen. Für sich selbst bestellt er vorsichtshalber einen Whisky, weil er an Dan Shottles horrende Preise denken muss.
Das Mädchen mustert ihn mit einem spöttischen Zug um den Mund. Yvette ist achtundzwanzig, sieht aber um einige Jahre jünger aus. Sie hat feurige Augen, und ihr dunkelblondes Haar besitzt einen rötlichen Schimmer. Sie ist natürlich keine Französin, kann aber durchaus für eine solche gehalten werden. Immerhin hatte sie einen frankokanadischen Großvater, einen Fallensteller, der mit einer Indianerin verheiratet war. Aus dieser Richtung stammt auch ihr Mischblut, das sie wegen ihrer hohen, leicht vorstehenden Wangenknochen und ihrer dunkel schattierten Haut nicht verleugnen kann. Doch gerade diese Dinge machen bei ihr den besonderen Reiz aus.
Brazos hat ihr Verhalten ein wenig irritiert.
»Zigarette?«, fragte er, um die aufgekommene Gespanntheit zu überbrücken.
»Das Zeug, das du rauchst, könnte meiner Stimme schaden«, lehnt sie ab. »Nein, danke.«
»Oh entschuldige«, murmelt Brazos. »Ich hatte wieder vergessen, dass aus dir eine richtige Lady geworden ist. Da stellt man natürlich höhere Ansprüche. Du hast offenbar eine Riesenkarriere gemacht.«
Sie zuckt die Schultern.
»Und wie steht es mit dir? Du hast doch auch mal große Pläne gehabt.«
»Du meinst, eine eigene Ranch?«
»Ganz recht. Davon hast du früher ständig gesprochen. Aber ich möchte fast wetten, du hast dein Ziel nicht erreicht.«
»Erraten«, meint Brazos und kratzt sich verlegen am Kinn. Dann fährt er fort: »Weißt du, das ist ein Kapitel für sich. Vieles hätte anders kommen können, wäre nicht dieser verdammte Krieg gekommen.«
»Aber inzwischen ist er längst wieder vorbei. Da müsstest du doch Gelegenheit gehabt haben, dich nach einem eigenen Besitz umzusehen. Besteht wenigstens die Aussicht, dass du deinen Wunschtraum bald verwirklichen kannst?«
»Hm«, sagt Brazos nur, denn der Kellner kommt nun an den Tisch und stellt die verlangten Getränke darauf.
Was Brazos an Geld bei sich hat, reicht gerade, um die Zeche zu bezahlen. Er verzieht keine Miene, als ihm der für seine Verhältnisse ziemlich hohe Betrag genannt wird, zumal ihn Yvette genau beobachtet.
»Auf deinen weiteren Erfolg!«, sagt er, als er ihr schließlich zuprostet.
Sie trinken.
Dann nimmt der bullige Cowboy wieder das Wort.
»Ich hab' hier niemanden gesehen, der so aussieht, als ob er zu dir gehört. Soll das heißen, dass du ohne männlichen Schutz...«
»So ist es. Aber ich komme allein sehr gut zurecht, falls du darauf hinauswillst.«
»Trotzdem, Nelly – ah, Yvette, ich finde, du gehst ein zu großes Risiko ein. Wenn man so schön ist wie du, braucht man doch jemanden, der einem all die Kerle vom Leibe hält. Außerdem kann ich nicht glauben, dass es keinen Mann gibt, der in deinem Leben eine besondere Rolle spielt.«
»Ach, lassen wir das.« Yvette winkt ab. »Reden wir lieber von dir. Was machst du überhaupt?«
»Ich arbeite für John Morgan, dem die Skull-Ranch gehört. Sie liegt ein paar Reitstunden südlich von hier, im Bluegrass Valley. Es ist ein prachtvoller Besitz.«
»Aber eben leider nicht dein eigener.«
»Kommt es so sehr darauf an?«
»Das hängt von der persönlichen Einstellung ab. Sag mal, wie viel bezahlt dir dein Boss?«
»Dreißig Dollar im Monat. Manchmal gibt es auch mehr. Warum fragst du?«
»Dreißig Dollar«, wiederholt Yvette geringschätzig. »Und dafür holst du diesem Morgan die Kastanien aus dem Feuer?«
»Mein Boss ist schwer in Ordnung«, brummt Brazos. »Ich bin sogar stolz darauf, in seiner Mannschaft zu sein. Es ist die beste weit und breit. Die Skull-Ranch ist meine neue Heimat geworden. Ich habe dort alles, was ich brauche. Nein, ich kann mich wirklich nicht beklagen. Und ich finde, es ist schön, wenn man zufrieden ist.«
»Deine Bescheidenheit ist erstaunlich«, entgegnet das Mädchen anzüglich lächelnd.
»Du bist also nicht meiner Meinung?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Mir imponieren jedenfalls nur Männer, die es zu etwas gebracht haben.«
»Das heißt also, dass ich dir nicht imponiere?«
»Lassen wir das Thema, ich will dich nicht kränken. Entschuldige mich jetzt. Mein Publikum wird schon ungeduldig.«
Sie lässt den Rest des teuren Cognacs achtlos stehen, erhebt sich und greift nach ihrer Gitarre, um eine neue Melodie anzustimmen.
Auf Brazos hat das Lied keinerlei Wirkung. Er ist ziemlich ernüchtert. Verärgert trinkt er seinen Whisky aus, doch den schalen Geschmack in seinem Mund wird er dadurch nicht los.
Dann erhebt er sich und schiebt sich durch die Menge zur Theke hinüber, wo ihm John Morgan und Sheriff Bender forschend entgegenblicken.
»Entschuldigen Sie, Boss«, brummt er. »Aber dieses Mädchen – es ist eine alte Bekannte von mir.«
»Sie kennen sie wirklich?«, fragt Bender überrascht.
»Ja, Sheriff.« Der aus Texas stammende Cowboy nickt. »Von früher. Ist aber schon eine gute Weile her.«
Will Bender und John Morgan wechseln einen raschen Blick.
»Sie hat sich nur äußerlich zu ihrem Vorteil verändert«, fährt Brazos brummig fort. »Ganz schön eingebildet ist sie geworden. Ein Wunder, dass sie sich mit mir überhaupt an einen Tisch gesetzt hat.«
»Sie haben sie also ziemlich gut gekannt?«, forscht Bender mit gedämpfter Stimme.
»Wie man's nimmt. Warum so neugierig, Sheriff?«
»Das hat einen besonderen Grund.« Bender stößt John Morgan leicht an. »Sagen Sie ihm, was ich will. Ich gehe inzwischen voraus.«
»Was sollen Sie mir sagen?«, fragt Brazos, als der Sheriff im Gewühl untergetaucht ist.
»Dass wir ihm unauffällig in sein Office folgen sollen. Es ist wegen deiner Bekannten.«
Die Tür knarrt, als John Morgan sie aufschiebt. Vor ihm und Brazos liegt das Office des Sheriffs, der bereits auf sie wartet.
»Setzt euch!«, sagt Bender. Er weist auf zwei Stühle, die jenem gegenüberstehen, auf dem er selbst sitzt. Dazwischen steht der Schreibtisch.
Die beiden Männer nehmen Platz. Brazos legt seine riesigen Hände auf die Knie und schaut Will Bender erwartungsvoll an.
»Schießen Sie los, Sheriff!«, sagt er. »Worum handelt es sich?«
»Also, die Sache ist so«, beginnt Will Bender. »Ich habe Shottles Sängerin im Verdacht, dass sie mit einer Bande von gefährlichen Verbrechern zusammenarbeitet. Sie...«
»Was Sie nicht sagen!« Brazos fällt dem Sheriff ins Wort. »Nelly Ripley soll...«
Nun lässt Bender den Cowboy nicht ausreden. »Nelly Ripley?«, fragt er und zieht erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Das ist ihr bürgerlicher Name«, erklärt Brazos. »Wie sie mir aber gesagt hat, legt sie Wert darauf, dass man sie Madam de L'Amour nennt. Yvette de L'Amour, der berühmte Star!« Er lacht bitter auf. »Sie will hoch hinaus, hat für arme Schlucker nichts übrig. Aber, verdammt noch mal, Sie haben doch gerade gesagt, dass sie mit Banditen im Bunde sein soll!«
»Ja, Brazos.« Der Sheriff nickt. »Sie scheint einen miserablen Umgang zu haben. Trotz ihrer Hochnäsigkeit.«
Der Texaner fährt sich mit dem Handrücken über das klobige Kinn und lässt keinen Blick von Bender.
»Wie kommen Sie zu der Annahme, dass sie ein Doppelleben führt?«, fragt er gespannt.
»Weil überall dort, wo sie aufgetreten ist, bald eine Menge Geld oder Gold geraubt wurde. Zuletzt war das in Golden City so, und zuvor in Stagebreak und Hotdog City. Die Serie der Überfälle reißt einfach nicht ab.«
»Und damit soll das Mädchen zu tun haben? Nur, weil sie zur fraglichen Zeit in diesen Städten war? Das könnten doch Zufälle sein.«
»Nein, Zufälle sind es mit ziemlicher Sicherheit nicht. Die Lady ist nämlich immer höllisch schnell verduftet, wenn die Bande irgendwo zugeschlagen hatte. Es sollen fünf oder sechs Männer sein, möglicherweise auch mehr. Da sie bei ihren Verbrechen stets maskiert sind, konnte ihre Identität noch nicht festgestellt werden. Aber es sind mancherorts für kurze Zeit Fremde aufgetaucht, die man später mit den Überfällen in Zusammenhang brachte. Mit einigen von ihnen wurde die Sängerin mehrmals gesehen. Die Kerle können die Tipps für die Überfälle nur von ihr bekommen haben.«
»Dann muss sie aber selbst informiert gewesen sein. Ich meine, über Stellen, wo etwas zu holen war.«
»Ja.« Will Bender nickt abermals. »Sie hat sich ihr Wissen bei Männern verschafft, die wichtige Vertrauensposten haben. Durch sie lernte sie die örtlichen Verhältnisse und Gepflogenheiten kennen, die man wissen muss, um an die Beute heranzukommen. Ihren Opfern das Nötige aus der Nase zu ziehen, dürfte ihr bei ihrem Aussehen nicht schwergefallen sein. Hinterher hat sie das Erfahrene an die Banditen weitergegeben.«
»Ist das bewiesen?«, fragt Brazos.
Der Sheriff schüttelt den Kopf.
»Die Leute, die sich aushorchen ließen, hüten sich natürlich zuzugeben, dass sie diesem raffinierten Luder auf den Leim gegangen sind. Aber«, er tippt nun auf einen Brief, der geöffnet vor ihm auf dem Schreibtisch liegt, »ich habe hier ein Schreiben von Marshal Rockwell aus Golden City, in dem er mich auf das Mädchen aufmerksam macht. Rockwell wollte ihr bereits auf den Zahn fühlen, aber er brachte leider nicht genug Beweise zusammen, um gegen sie etwas unternehmen zu können. Aber er warnt mich vor ihr, weil er überzeugt ist, dass sie ihre Masche auch in Gushole abziehen will. Und dasselbe glaube auch ich.«
»Schön und gut«, brummt der Texaner. »Nehmen wir also an, dass alles stimmt, was Sie sagen. Aber was, zum Teufel, habe ich damit zu tun?«
»Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Meine Hilfe?« Der massige Cowboy blickt den Sheriff überrascht an.