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Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Die beiden sind echte Identifikationsfiguren. Dieses klare Konzept mit seinen beiden Helden hat die zu Tränen rührende Romanserie auf ihren Erfolgsweg gebracht. "Uff!" Barbara Wirthner stellte zwei schwere Einkaufstaschen vor ihrer Wohnungstür ab. Um die Tür aufzuschließen, brauchte sie wenigstens eine freie Hand. Umständlich holte sie ihr Schlüsselbund hervor und öffnete die Tür. "Hallo, Mami!" Vor Barbara stand Robin, ihr zehnjähriger Sohn. "Du bist schon da?", fragte sie erstaunt. "Wolltest du nicht eine Radtour mit deinem neuen Freund machen?" Robin half ihr, die schweren Taschen in die Küche zu tragen. "Doch", erzählte er dabei. "Aber Kai durfte nicht. Seine neue Mutter ist krank. Deswegen musste er in seinem Zimmer bleiben."
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Seitenzahl: 149
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»Uff!« Barbara Wirthner stellte zwei schwere Einkaufstaschen vor ihrer Wohnungstür ab. Um die Tür aufzuschließen, brauchte sie wenigstens eine freie Hand. Umständlich holte sie ihr Schlüsselbund hervor und öffnete die Tür.
»Hallo, Mami!«
Vor Barbara stand Robin, ihr zehnjähriger Sohn.
»Du bist schon da?«, fragte sie erstaunt. »Wolltest du nicht eine Radtour mit deinem neuen Freund machen?«
Robin half ihr, die schweren Taschen in die Küche zu tragen. »Doch«, erzählte er dabei. »Aber Kai durfte nicht. Seine neue Mutter ist krank. Deswegen musste er in seinem Zimmer bleiben.«
Barbaras noch junges Gesicht drückte Zweifel aus. »Bei dem schönen Wetter? Wenn ich krank wäre, würde ich mich freuen, wenn du dich in der frischen Luft austoben würdest. Egal, ob ich nun im Bett läge oder nicht.«
»Ja, duuu …« Robin steckte seine Nase neugierig in die Taschen, um zu prüfen, was seine Mami zum Sonntag eingekauft hatte. »Du bist ja schon mopsfidel. Aber die Mutter von Kai leidet immer schrecklich.«
»Was hat sie denn?« Barbara stellte zwei Flaschen Milch in den Schrank und holte eine Flasche Cognac aus der Tasche.
Robin betrachtete interessiert die Cognacflasche, antwortete aber doch: »Sie hat gar nichts. Sie kriegt ein Kind. Das ist alles.« Dann schob er den Cognac auf dem Tisch hin und her und meinte: »Du kriegst wohl wieder Besuch von Peter Knoll, nicht wahr? Der trinkt doch immer so viel. Erst vorgestern hast du eine neue Flasche Cognac gekauft. Ist die schon wieder leer?«
Eine feine Röte überzog Barbaras Wangen. Abrupt griff sie nach der Flasche, um sie ins Wohnzimmer zu tragen. Sie tat so, als habe sie die Bemerkung ihres Sohnes nicht gehört. Als sie jedoch das Wohnzimmer betrat, stolperte sie fast über den Staubsauger. Gerührt blieb sie vor dem Hindernis stehen. Robin hatte schon begonnen, die Wohnung zu putzen. Wie lieb von ihm. Und auf dem Tisch stand ein frischer Tulpenstrauß.
»Robin«, rief Barbara glücklich, »du hast ja richtig gearbeitet!«
Er war still zu ihr getreten. Verlegen steckte er seine Hände in die Hosentaschen. Unter seinem vollen mittelbraunen Haar, das ihm immer in die Stirn fiel, blickten seine dunklen Augen sie ruhig an.
»Ich kann dir schon gut helfen, Mami. Es macht mir keine Mühe. Und wenn ich größer bin, werde ich auch Auto fahren. Dann brauchst du Peter Knoll nicht mehr.«
Barbara musste schlucken. Sie wusste schon lange, dass Robin ihren Freund Peter nicht recht leiden konnte. Aber dass er ihn so wenig mochte, hätte sie nicht geahnt.
»Was hast du gegen Peter, Robin? Er ist doch immer nett zu dir.«
Robin zog einen Flunsch. »Nett schon, aber …«
»Aber?«
»Nichts, Mami.«
Langsam drehte sich Robin um und ging zurück in die Küche.
Barbara war nachdenklich stehen geblieben. Sie hielt noch immer die eben erstandene Cognacflasche in der Hand. Ja, Peter Knoll trank gern einen kräftigen Schluck. Und das sogar täglich. Aber sie konnte es ihm nicht übelnehmen. Sein hervorragendes Aussehen, sein umwerfender Charme und seine etwas leichtfertige Art bezauberten sie immer wieder. Außerdem hatte sie gelernt, die kleinen Fehler eines Mannes stillschweigend zu ertragen. Peters Hang zu alkoholischen Getränken rechnete sie auch dazu, denn irgendwann vor vielen Jahren hatte sie begriffen, dass man nicht alles im Leben haben konnte.
Was nützte ihr denn ihr gutes Aussehen, ihre heitere Art und ihr Beruf, der ihr so viel Spaß machte, wenn sie jeden Abend allein in der Wohnung saß? Sie liebte Robin über alles. Niemals hatte sie sich in den letzten zehn Jahren darüber beklagt, dass sie ihren Sohn allein aufziehen musste. Aber auch Robin wurde älter. Er besuchte jetzt im ersten Jahr das Gymnasium und hatte neue Freunde gefunden. Eines Tages würde er sie ganz verlassen. Sollte sie dann tatsächlich mutterseelenallein bleiben?
Ein stürmisches Klingeln holte Barbara in die Gegenwart zurück. Schnell stellte sie die Cognacflasche fort und eilte zur Tür. Kai Platen stand vor ihr, als sie öffnete. Das war der Junge, an den Robin sich seit einem halben Jahr besonders eng angeschlossen hatte.
Barbara musste immer lächeln, wenn Kai vor ihr stand. Obwohl er etwas größer und kräftiger war als ihr Sohn, glich er ihm, als wäre er sein älterer Bruder. Auch Kai hatte ein aufgewecktes Gesicht. Es war nicht schwer zu erraten, dass er es – genau wie Robin – faustdick hinter den Ohren hatte.
»Nun, Kai?« Barbara hielt ihm freundlich die Tür auf. »Wird es doch noch etwas mit der Radtour? Ist es nicht schon zu spät?«
Er nickte wie ein Alter. »Ja, aber ich wollte Robin zum Fußballspielen abholen. Bei uns im Garten ist es ja auch ganz schön.«
»Wird euer Lärm nicht deine Mutter stören?«
»Sie ist nicht meine Mutter, Frau Withner. Sie ist meine Stiefmutter«, antwortete er schroff.
»Also gut, deine Stiefmutter«, berichtigte Barbara sich. »Aber der Lärm bleibt doch der gleiche, egal, wie du sie nennst. Nicht wahr? Robin hat mir erzählt, dass sie sich nicht wohlfühlt.«
»I wo«, erklärte Kai und sah sich nach seinem Freund um, »jetzt ist sie schon wieder ganz obenauf und probiert Kleider an. Wie immer.«
Barbara unterdrückte ein Lächeln. Es werden wohl Umstandskleider sein, dachte sie im Stillen.
Gleich darauf war sie allein. Die beiden Jungen waren abgezogen, um im Garten der großen Platen-Villa zu trainieren, wie sie es nannten.
Der Samstagnachmittag bestand für die junge Direktrice Barbara Wirthner allwöchentlich aus eifriger Hausarbeit, denn an den anderen Tagen der Woche war sie viel zu müde dazu. Außerdem musste sie sich nach Geschäftsschluss immer noch um Robin, seine Schulaufgaben, um das Essen und um die anderen kleinen Dinge kümmern, die das Leben einer ledigen Mutter so mit sich brachte. Manchmal fiel ihr das schwer. So auch an diesem Tag. Aber da sie Peter erwartete und sich auf ihn freute, überwand sie ihre Müdigkeit und setzte die Arbeit fort, die Robin begonnen hatte.
Als Barbara das Zimmer ihres Sohnes säuberte, stieß der Staubsauger gegen einen harten Gegenstand unter Robins Bett. Dann ertönte ein merkwürdig gluckerndes Geräusch.
Barbara stellte den Staubsauger ab und bückte sich. Gebannt starrte sie auf die Flasche, die unter dem Bett hervortrudelte. Als sie sie in die Hand nahm, setzte ihr Herzschlag aus. Auf dem Etikett prangte ihr in schön verzierten Buchstaben das Wort ›GIN‹ entgegen.
Barbara konnte es nicht glauben. Sie öffnete den Verschluss und roch an der Flasche. Tatsächlich, es gab keinen Zweifel. Robin hielt eine Flasche des starken Wacholderschnapses unter seinem Bett versteckt.
Die schlanke Frau erhob sich ungewöhnlich schwerfällig. Mit ihrem merkwürdigen Fund in der Hand setzte sie sich in den nächsten Sessel und starrte darauf, als hätte sie noch nie eine Flasche Gin gesehen.
Sie selbst hatte nichts von dem hochprozentigen Zeug im Haus. Peter Knoll liebte nur Whisky und Cognac. Woher hatte Robin die Flasche? Von einem Klassenkameraden? Von Kai Platen etwa? Oder bekam er zu viel Taschengeld, so dass er sich so teure Dinge selbst kaufen konnte?
Barbara wusste nicht, wie ihr geschah. Plötzlich legte sie die Flasche auf ihren Schoß, stützte ihre Arme darauf und begann zu weinen.
Jahrelang war alles gutgegangen mit Robin. Sie war so stolz gewesen, nicht auf die Hilfe eines Mannes angewiesen zu sein. Sie hatte es trotz des Kindes geschafft, eine gutbezahlte Position in einem Konfektionsbetrieb auszufüllen, hatte sich nebenher immer liebevoll und verantwortungsbewusst um Robin gekümmert. Aber nun? Begannen nun erst die wirklichen Schwierigkeiten? War Robin jetzt plötzlich doch den Gefahren der Großstadt ausgesetzt und brauchte eine strengere Hand?
Barbara atmete tief durch und schüttelte sich, als schäme sie sich. Eigentlich war Robin ein guter Junge, überlegte sie. Es war nicht nötig, nur wegen einer kleinen Erziehungsschwierigkeit nach einem geeigneten Vater für ihn Ausschau zu halten und sich wieder von einem Mann enttäuschen zu lassen.
Barbara erhob sich, trug die Flasche in die Küche und starrte aus dem kleinen Fenster in den düsteren Hinterhof. Ihre grau-grünen Augen wirkten traurig. Der einzige Mann, den sie lieben könnte, wäre Peter Knoll. Aber Robin konnte ihn nicht leiden. Und obwohl er diese Abneigung nicht begründen wollte, war es nicht die einzige Frage, die ungelöst im Raum stand. Denn auch Peter Knoll schien nicht geneigt zu sein, sich fest an sie zu binden. Barbara kannte ihn nun schon über ein halbes Jahr, aber noch nie hatte er auch nur eine Andeutung darüber gemacht, wie gern er ganz zu ihr gehören möchte.
Mit einem verärgerten Gesicht sah Barbara die Flasche an. Welcher Mann setzte sich auch freiwillig den Schwierigkeiten aus, die die Erziehung eines solchen Schlingels wie Robin mit sich brachte?
Wieder klingelte es. Diesmal schritt Barbara langsamer zur Tür. Die Flasche hatte sie flink hinter ihrem Rücken verborgen. Sie wusste, es konnte nur Robin sein.
»Also, die Stiefmutter von Kai ist eine richtige Nörgeltante, Mami«, begrüßte er sie aufgebracht. »Erst sollen wir im Garten spielen, dann rennt sie im Abendkleid zu uns auf den Rasen und schreit wie wild. Und mit den Armen gefuchtelt hat sie auch. Wie eine Furie.«
»Das tue ich auch gleich, Robin.« Barbara hatte ihren Sohn ausreden lassen, hielt ihm aber nun die Ginflasche vor die Nase. Ihr Gesicht war nicht nur fragend. Es war ebenso wütend wie das von Kais Stiefmutter, aber doch ein wenig lieber. So abstoßend wie diese Frau Platen konnte Barbara gar nicht sein.
»Ach, sooo«, gab Kai gedehnt zurück, »du hast die Flasche gefunden. Das macht doch nichts, Mami. Ich trinke jeden Abend einen kleinen Schluck. Kai tut das auch. Wegen seiner Stiefmutter. Sonst kann er nämlich nicht einschlafen.«
Barbara blieb die Luft weg. »Was soll das heißen?«, fuhr sie Robin an. »Kannst du vielleicht auch nicht einschlafen? Bin ich auch deine böse Stiefmutter, die im Abendkleid mit den Armen fuchtelt und wie wild schreit?«
Hilflos hob er die Achseln. »Nö. Eigentlich nicht, aber trotzdem … Es ist doch nichts dabei.« Seine dunklen Augen blickten sie unsicher an. »So was tun viele. Wenigstens ein bisschen …«
»Wer tut das?«, wollte sie wissen. Dabei stemmte sie ihre Fäuste auf die Hüften, so dass sie trotz ihres elegant schwingenden grünen Rockes wie eine furchteinflößende Erzieherin aussah.
»Die …, die auf der Schule. Von denen hat Kai das ja auch gelernt.«
»Hm.« Das war alles, was Barbara hervorbrachte. Sie ging in die Küche und goss den Gin in den Abfluss. Sie musste die ganze Sache überdenken. Sie wollte nicht zu streng sein, um ihren Sohn nicht in eine Trotzhaltung zu zwingen.
»Wenn das dein Freund Peter sähe«, bemerkte Robin mit einem Blick auf den Schnaps, der gluckernd verschwand. »Dem würden die Augen tränen.« Er lehnte sich gegen den Pfosten der Küchentür und sah lässig zu, wie sein ganzes Taschengeld dahinfloss.
»Wieso?« Barbara sah ihren frechen Sohn verdutzt an.
»Na ja, der gießt sich doch auch sehr gern einen hinter die Binde. Viel mehr als ich. Aber ihm bezahlst du die Flasche ja auch.«
Barbara bemühte sich um Haltung. Das passierte ihr selten, denn zu ihrem heiteren Wesen und ihrer burschikosen Art gehörte auch eine selbstverständliche damenhafte Disziplin. Nun jedoch war sie erschüttert. Sie fühlte sich elend, so elend, dass sie am liebsten geweint hätte.
*
Einer der ersten lauen Frühlingstage ging dem Ende zu. Noch jetzt am frühen Abend lag ein wohltuend milder Hauch der erwärmten Luft in den Straßen. Es roch nach frischem Grün und feuchter Erde.
Barbara Wirthner hatte das Fenster des Wohnzimmers geöffnet und sah melancholisch in die Dämmerung. Sie hatte Robin früh zu Bett geschickt, um von Anfang an mit Peter Knoll allein sein zu können. Ihr Sohn sollte auch gar nicht auf die Idee kommen, an ihrem abendlichen Spaziergang teilzunehmen, denn Barbara musste unbedingt jemanden um Rat fragen. Peter sollte an den Schwierigkeiten teilnehmen, die sie seit diesem Tag auf sich zukommen sah. Behauptete er nicht immer, sie sei der einzige Mensch, mit dem er alles teilen könnte?
Es klingelte. Barbara eilte zur Tür. Im Vorbeigehen prüfte sie den Sitz ihrer modischen Kurzhaarfrisur, ordnete ihre sportliche Bluse und schob die Schnalle ihres Gürtels an den rechten Platz. Dann erst öffnete sie.
Peter strahlte sie an. Sein braun gebranntes Gesicht, sein Lächeln zeugten von hervorragender Laune. Barbara war auch diesmal wieder überrascht, wie gut und ausgeruht er aussah.
Liebevoll lächelte sie ihn an und sagte: »Ich habe den ganzen Tag gearbeitet, Peter. Lass uns ein wenig an die frische Luft gehen. Der Frühling ist da. Wir wollen ihn genießen.«
Peter Knoll beugte sich über sie und küsste sie flüchtig. Der Duft, der von ihm ausging, war herb und beunruhigend.
»Spazieren gehen«, stieß er leise und belustigt hervor und streifte mit seinen Lippen ihre Wange, »das ist etwas für ältere Semester. Ich habe mich so auf einen guten Cognac bei dir gefreut. Außerdem«, fügte er wichtigtuerisch hinzu, »will ich mir später einen Film im Fernsehen anschauen. Über die neuesten Motorjachten.«
»Motorjachten?« Barbara konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen. Was war die erste köstliche Frühlingsluft gegen eine Motorjacht, die sie doch niemals benutzen würde?
»Ja, Barbara.« Peter Knoll zog sein Lederjackett aus und hing es an den Garderobenhaken. Der hellblaue Pullover, den er darunter trug, brachte seine sportliche Figur perfekt zur Geltung. Er umarmte Barbara, führte sie ins Wohnzimmer, nahm im Vorbeigehen zwei Cognacschwenker aus dem Schrank und goss sich ein, als wäre er in dieser Wohnung von Geburt an zu Hause. Dann ließ er sich auf die weiche goldgelbe Couch fallen und legte mit einem eleganten Schwung die Füße auf den Tisch.
»Ich werde mir eine Motorjacht kaufen, Barbara«, verriet er nicht ohne Stolz in der Stimme. Als sie ihn zweifelnd ansah, fuhr er fort: »Schon in diesem Sommer. Dann kreuze ich im Mittelmeer.«
Barbara schwieg. Irgendetwas störte sie an diesem Satz. Warum sagte er nicht ›wir‹?
»Du ganz allein?«, fragte sie unschuldig.
Er lehnte sich zurück und lachte laut auf. »Nein, natürlich nicht. Mit ein paar Geschäftsfreunden und deren Frauen.«
Wie der Stich einer Nadel durchzog es Barbara. So, wie er von diesen Plänen sprach, war sie gar nicht eingeplant. Ohne sich um ihn zu kümmern, ergriff sie nun auch das Glas und nippte an dem Getränk, bis sie von innen her eine Wärme aufsteigen fühlte, die sie im Zusammensein mit Peter immer vermisste.
Ein kurzer Blick zu ihm und sie sah, dass er sein Glas bereits zum zweiten Mal füllte. Eine maßlose Traurigkeit ergriff sie. Sie wollte und musste mit Peter über Robin sprechen, musste ihm von ihrem Fund erzählen und den merkwürdigen Entschuldigungen, die ihr Sohn angeführt hatte. Doch schon flimmerte es auf dem Bildschirm, und die Stimme eines Sprechers kündigte einen Krimi an.
Da riss Barbara die Geduld. Sie sprang auf, knipste den Apparat aus und setzte sich so zu dem erstaunten Peter, dass er ihr gerade in die Augen sehen musste.
»Du musst mir helfen, Peter«, begann sie fast flehentlich. »Robin trinkt Gin, bevor er schlafen geht. Heimlich.«
Als Barbara weitersprach, mied sie den Blick des Mannes, in dem eine kalte Schadenfreude und hochmütiger Triumph lag.
»Na und?«, fragte Peter, als sie mit ihrer Geschichte zu Ende gekommen war. »Der Junge braucht eine Tracht Prügel, weiter nichts.«
»Er braucht ein Vorbild, Peter. So etwas wie einen Vater«, widersprach sie zögernd. In ihren großen grünlich schimmernden Augen flackerte dabei eine Hoffnung auf.
Peter Knoll stieß seinen Atem laut durch die Nase. »Ich habe dir ja immer gesagt, du hättest diesen Hallodri, Robins Vater, zur Ehe zwingen müssen. Oder wenigstens zur Kasse bitten müssen. Dann hätte er jetzt mehr Interesse für den Bengel.«
»Das alles ist längst vorbei, Peter.« Barbaras schmales Gesicht wirkte streng. Aber in ihr sehnte sich alles nach Liebe und Verständnis. Sie erkannte nicht, dass sie das alles von Peter niemals erhalten würde. Sie liebte sein selbstsicheres Auftreten, seinen strahlenden Witz und die Tatkraft, die sein Äußeres und sein Charme vermuten ließen.
Als Peter ihr fast mitleidig über das Haar fuhr, lächelte sie ihn vertrauensvoll an, als würde sich irgendwann doch alles so lösen, wie sie es heimlich ersehnte.
»Wenn alles längst vorbei ist, Barbara«, erwiderte er gönnerhaft, »so vergiss es. Robin wird dir noch viele Sorgen machen. Du hast ihn von Anfang an verwöhnt. Je großzügiger du bist, desto frecher wird er. Und für so einen Bengel findest du niemals einen Vater. Niemals.«
Barbara machte eine so schnelle Kopfbewegung, dass seine Hand von ihren Haaren glitt. Dabei blieb ihr Blick auf der Wohnzimmertür haften. Die Klinke der Tür bewegte sich leise.
»Robin«, rief sie mit heller, fröhlicher Stimme, als könnte die Gegenwart ihres Sohnes sie vor weiteren Geschmacklosigkeiten schützen, »komm herein!«
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Robin erschien mit einem verschlafenen Gesicht. »Ich habe mich in der Tür geirrt, Mami«, stammelte er mit halb geschlossenen Augen. »Ich wollte mir nur etwas zu trinken holen. Ich habe Durst. Ist noch Milch im Eisschrank?«
Peter Knoll lachte laut und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Der kleine Milchbubi will etwas zu trinken, haha!« Er ergriff seinen Cognacschwenker und hielt ihn hoch. »Komm, trink mit mir. Oder ist dir Cognac zu milde?«
Robin war zusammengezuckt. Sekundenlang haftete sein Blick nun auf dem Gesicht seiner Mutter. In seinen dunklen Augen stand Verzweiflung, Scham und ein bitterer Vorwurf.
Barbara hielt dem Blick stand. Sie ahnte, wie sehr sie sich schuldig gemacht hatte, indem sie Peter von Robins Vergehen berichtet hatte. Sie wusste, dass ihr Sohn diesen Mann nicht nur ablehnte, sondern ihn auch verachtete. Würde er seine Verachtung nun auch auf sie übertragen?
In diesem Moment spürte Barbara, wie sehr sie ihren Sohn liebte. Es wurde ihr alles gleichgültig, wenn sie ihn leiden sah. Sie erhob sich, trat mit ihm auf den Korridor und zog ihn an sich.
»Peter redet zuweilen dummes Zeug, Robin. Nimm es nicht tragisch.«
Robin bebte. »Hast du ihm …, hast du ihm etwa auch erzählt, dass Kai manchmal trinkt?«