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Tartuffe – eine Komödie in fünf Akten des französischen Dichters Molière. Orgon und seine Mutter Pernelle bewundern den Betrüger Tartuffe, der sich als besonders frommer Mann ausgibt. Pernelle versucht, Orgons Familie von ihren Ansichten zu überzeugen. Seit Tartuffe in Orgons Haus lebt, befolgt dieser alle Ratschläge des Betrügers und beschließt sogar, seine Tochter Mariane mit Tartuffe zu verheiraten, obwohl sie mit Valère verlobt ist. Mariane ist unglücklich über die Entscheidung ihres Vaters, wehrt sich aber nicht direkt. Sie überlässt die Initiative der Dienerin Dorine, die mit Hilfe von Marianes Bruder Damis und ihrer Stiefmutter Elmire die Heiratspläne mit Tartuffe vereiteln will.
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Seitenzahl: 76
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LUNATA
Tartuffe oder Der Betrüger
© 1664 Molière
Originaltitel Tartuffe ou L’Imposteur
Aus dem Französischen von Ludwig Fulda
© Lunata Berlin 2020
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt
Vierter Akt
Fünfter Akt
Madame Pernelle
Orgon, ihr Sohn
Elmire, seine Frau
Damis
Marianne seine Kinder erster Ehe
Valer, Mariannes Verlobter
Cleant, Orgons Schwager
Tartuffe
Dorine, Mariannes Kammermädchen
Loyal, Gerichtsdiener
Ein Polizeibeamter
Flipote, Dienstmädchen der Madame Pernelle
Schauplatz: Paris, in Orgons Haus
Erster Auftritt
Madame Pernelle. Elmire. Marianne. Cleant. Damis. Dorine. Flipote
Mad. Pernelle. Jetzt hab' ich's satt! Komm, Flipote; gehen wir!
Elmire. So eilig? Lassen Sie sich doch geleiten.
Mad. Pernelle. Nein, Schwiegertochter, bleiben Sie nur hier;
Ja, bleiben Sie! Wozu die Förmlichkeiten?
Elmire. Wir wissen, was wir Ihnen schuldig sind.
Doch, warum wollen Sie schon gehn?
Mad. Pernelle. Ich kann die Wirtschaft hier nicht länger sehn!
Was ich auch rede – ihr seid taub und blind
Und tut das Gegenteil, mir grad zum Torte;
Ein andrer halte so was aus!
Kein Funke von Respekt, und Worte hört man, Worte,
Als wäre man im Narrenhaus.
Dorine. Ja...
Mad. Pernelle. Sie, mein Kind, sind hier die Magd;
Ein großes Mundwerk! Eine freche Zunge!
Sie sollten warten, bis Sie jemand fragt.
Damis. Indes...
Mad. Pernelle. Du, Enkel, bist ein dummer Junge,
Und sage nur, Großmutter hat's gesagt.
Ich habe deinem Vater deine Gaben
Längst prophezeit: du bist ein Tunichtgut!
Er wird an dir noch viel Vergnügen haben!
Marianne. Mir scheint...
Mad. Pernelle. Mein Gott, die Schwester! Wie sie tut!
Dies Blümchen Rühre-mich-nicht-an!
Jedoch die tiefsten Wasser sind die stillen,
Und was dahinter steckt, das wittert man.
Elmire. Verzeihn Sie, Mutter...
Mad. Pernelle. Tochter, grad heraus,
Sie sollten, ging's nach meinem Willen,
Das gute Beispiel sein fürs ganze Haus;
Die sel'ge erste Frau, die war es allen.
Und was soll diese Geldvergeudung nutzen?
Wozu ist's nötig, so sich aufzuputzen?
Die Frau, die nur dem Gatten will gefallen,
Die braucht dazu kein fürstlich Kleid.
Cleant. Nun, wenn auch...
Mad. Pernelle. Ihnen, Schwager, alle Ehre,
Hochachtung, Liebe und Ergebenheit;
Doch wenn ich Ihrer Schwester Gatte wäre,
Würd' ich Sie dringend bitten, fortzubleiben.
Was Sie von Lebensweisheit offenbart,
Ist nichts für Leute, die es ehrbar treiben.
Nun wissen Sie's! Sprach ich zu wenig zart?
Frei von der Leber, das ist meine Art!
Damis. Ihr Herr Tartuffe wird glücklich sein, zu hören...
Mad. Pernelle. Das ist ein Ehrenmann, ein würdig Haupt;
Und muß mich's etwa nicht empören,
Wenn solch ein Schlingel sich erlaubt...
Damis. Wie! Soll ich's dem Duckmäuser gönnen,
Daß seine Macht tyrannisch sich erstreckt,
Daß wir uns hier an nichts mehr freuen können,
Worein der Herr nicht seine Nase steckt?
Dorine. Wenn man ihm glauben soll und hört ihn an,
Ist alles, was man tun mag, ein Verbrechen;
Denn allem spürt er nach, der fromme Mann.
Mad. Pernelle. Gut, daß er nachspürt euren Schwächen.
Auf diesem Weg geht ihr zum Himmel ein.
Mein Sohn soll diesen Mann euch lieben lehren.
Damis. Nicht hundert Väter können mich bekehren,
Je dieses Menschen Freund zu sein;
Ich wäre sonst ein Lügner und Verräter.
Seh' ich ihn nur, hält mich der Zorn benommen;
Ich fühl's, ich werde mit dem Leisetreter
Noch eines Tages aneinander kommen.
Dorine. Von so 'nem Fremden ist's ein starkes Ding,
Sich als Gebieter bei uns festzusetzen,
Ein Bettler, der zuerst halb barfuß ging
Und einen Rock anhatte, ganz in Fetzen!
Der ist es, der seitdem den Herrn hier spielte,
Und nichts mehr ist ihm gut genug im Haus.
Mad. Pernelle. Ja, weiß der Himmel, besser säh's hier aus, wenn seine fromme Mahnung Recht behielte!
Dorine. Fromm ist er nur in Ihrer Phantasie;
In Wirklichkeit ist's pure Heuchelei.
Mad. Pernelle. Schweig' sie!
Dorine. Er und sein Diener, alle zwei –
Den beiden traue ich im Leben nie.
Mad. Pernelle. Den Diener kenn' ich nicht genauer;
Der Herr jedoch, das ist ein Ehrenmann,
Der euch nur deshalb nicht behagt,
Weil er euch allen blank die Wahrheit sagt.
Denn eure Sünden setzen ihn in Trauer,
Und nur der Eifer Gottes treibt ihn an.
Dorine. Nun schön; doch ist's vielleicht vor Gott ein Makel,
Wenn uns besucht ein ehrenhafter Gast?
Ihm aber wird hier jedermann zur Last;
Bei jedem macht er einen Mordspektakel.
Und im Vertrau’n gesagt, was ist der Grund?
(Zeigt auf Elmire)
Der gute Mann ist eifersüchtig.
Mad. Pernelle. Still! Halten Sie den schnöden Lästermund!
All' die Besuche hass' ich auch – und tüchtig!
Fortwährend wird treppauf, treppab gesprungen!
Die Tür mit Kutschen stets verschanzt,
Ringsum Lakaien aufgepflanzt –
Das gibt Gerede bei den bösen Zungen.
Und wenn ihr weiter auch nichts Schlimmes tut,
Man spricht darüber – und das ist nicht gut.
Cleant. Man spricht! Verhindern Sie die Welt zu sprechen
Das wäre mir ein sauberes Gesetz,
Wenn ich aus Angst vor törichtem Geschwätz
Mit meinen besten Freunden müßte brechen.
Und wenn ich's täte, würd' es etwas nützen?
Wär' das ein sichres Mittel gegen Klatsch?
Vor der Verleumdung kann man sich nicht schützen! –
Drum kümmre sich wer mag um dies Getratsch.
So viel wir können, tun wir recht;
Die andern mögen ihre Zungen üben!
Dorine. Frau Daphne und ihr Mann im Haus da drüben,
Die machen uns besonders schlecht.
Am schnellsten wird die andern schmähn,
Wer selbst was hat auf seinem Kerbholz stehn.
Wo die nur irgend etwas aufgegabelt,
Das eines Zweifels Schein erlaubt,
Da wird's mit Freude ringsherum gefabelt,
Daß alle Welt wer weiß was glaubt.
Die Taten andrer werden bloßgestellt,
Damit man ihre eigenen verzeiht
Und irr’geführt durch falsche Ähnlichkeit
Sie selbst für nicht viel schlimmer hält.
Wenn dann gerechter Tadel sie ereilt,
So haben sie ihn wenigstens verteilt.
Mad. Pernelle. Nun, das mag unerörtert bleiben.
Orante jedoch lebt musterhaft gewiß;
Sie lebt dem Himmel. Trotzdem ist das Treiben
In diesem Haus auch ihr ein Ärgernis.
Dorine. Das ist 'ne Frau! Ich weiß, wie hoch die steht!
Von der ist nur das Beste zu erfahren!
Doch wurde sie so fromm erst mit den Jahren,
Und sie ist tugendhaft, weil's nicht mehr anders geht.
Solang die Herzen ihr Tribut entrichtet,
So lange griff sie zu mit frischer Hand;
Erst seit der Glanz aus ihren Augen schwand,
Verzichtet sie, weil man auf sie verzichtet,
Und läßt nur noch im frommen keuschen Schleier
Die abgeblaßten Reize sehn.
Wenn sich empfohlen hat der letzte Freier,
Dann müssen die Koketten in sich gehn.
Verlassen sind sie, und die schwere Bürde
Erleichtern sie durch Ehrenhaftigkeit,
Und sie entwickeln eine Würde
Und eine Strenge, welche nichts verzeiht.
Natürlich, daß die andern Frau'n nichts taugen!
Doch nicht aus Tugend, nur aus Neid
Ist ihnen andrer Glück ein Dorn in Augen,
Ein Glück, das ihrem Alter nicht mehr blüht.
Mad. Pernelle(zu Elmire). So dumm Geplapper freut wohl Ihr Gemüt?
Ich komme gar nicht mehr zu Wort;
Denn die Person hier schwatzt in einem fort.
Doch endlich möcht' auch ich zum Reden kommen;
Mein Sohn bewies den äußersten Verstand,
Als er den frommen Mann hier aufgenommen;
Der Himmel selber hat ihn hergesandt
Zur Rettung eurer arg verführten Seelen;
Ihm zu willfahren möcht' ich euch empfehlen;
Mit vollem Rechte nennt er euch betört.
Besuche, Bälle, Unterhaltungsstunden,
Das alles hat der böse Geist erfunden.
Wann wird hier je ein christlich Wort gehört?
Gottlose Reden, Gassenhauer, Possen
Und über euren Nächsten Spott und Hohn;
Denn nichts ist heilig euren Glossen.
Kopfweh bekommt ein kluger Mensch davon;
So toll geht's zu auf jedem eurer Feste,
Wirr durcheinander bappeln alle Gäste.
Ein Doktor machte jüngst den guten Witz:
»Es ist der reine Turm von Babylon;
Denn jeder bappelt, als bekäm' er Lohn.«
Die Sache, die war nämlich so...
(Sieht Cleant lachen)
Mir scheint, der Herr dort kichert. Ei der Blitz!
Wo anders suchen Sie sich Ihre Narren!
(zu Elmire)
Adieu! Ich schweig' und denke mir mein Teil.
Mit diesem Haus hab' ich nichts mehr zu schaffen,
Und bis ich wiederkomme, könnt ihr harren!
(Zu Flipote)
Was stehst du hier und hältst Maulaffen feil!
Du Gans (gibt ihr eine Ohrfeige), ich will dich lehren gaffen.
Marsch! Vorwärts!
(Sie treibt Flipote voraus und geht ab rechts, gefolgt von Elmire, Marianne, Damis)
Zweiter Auftritt
Cleant. Dorine
Cleant. Nein, ich folg' ihr lieber nicht;
Von neuem sonst begänn' sie ihre Suade,
Die gute alte Frau...
Dorine. Wie jammerschade,
Daß sie's nicht anhört, wie man von ihr spricht.
Sie würde finden, daß Sie sehr galant,
Und daß sie noch nicht in dem Alter steht...
Cleant. Wie ist sie doch um nichts in Zorn entbrannt!
Ihr Herr Tartuffe hat ihr den Kopf verdreht.
Dorine. Das ist noch gar nichts gegen ihren Sohn;
Sehn Sie erst den! Der ist bei weitem schlimmer!
Vom Weltmann grad bekam er einen Schimmer,
Hoffähig war er beinah schon.
Jetzt aber steht's mit seinem Geiste flau,
Seitdem er sich in den Tartuffe verschossen;
Er hat ihn in sein Herz geschlossen
Weit mehr als Mutter, Tochter, Sohn und Frau,
Sein Rat erscheint ihm unentbehrlich;
Er weiht nur ihn in jed' Geheimnis ein
Und hätschelt ihn – mit der Geliebten schwerlich
Vermöchte man viel zärtlicher zu sein.
Den Ehrenplatz weist er ihm an bei Tisch,
Ist froh, wenn er sich vollstopft bis zur Rundheit,
Gibt ihm das beste Stück von Fleisch und Fisch,