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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Grüß Gott, Frau Langner«, sagte der Postbote. »Ich hab' hier ein Einschreiben für Sie.« Tina atmete tief durch. Sollte das endlich der langersehnte Brief sein? »Wenn S' hier, bitt'schön, unterschreiben wollen?« Der Briefträger hielt ihr den Zettel und einen Kugelschreiber hin. Die Hand der Dreiundzwanzigjährigen zitterte ein wenig, als sie ihren Namen auf das Papier setzte. »Dank' schön, Herr Wittlinger«, nickte sie ihm zu. Sie schloß die Haustür und schaute auf den Umschlag in ihrer Hand. Der Absender darauf bestätigte ihre Hoffnung. »Wer war's denn?« rief ihre Mutter. »Die Post, Mama«, antwortete sie und ging in die Küche. Hildegard Langner sah ihre Tochter fragend an. »Was Wichtiges?« Tina lächelte geheimnisvoll und wedelte der Mutter mit dem Brief vor der Nase herum. »Ich hab' meine erste Stelle«
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Seitenzahl: 109
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»Grüß Gott, Frau Langner«, sagte der Postbote. »Ich hab’ hier ein Einschreiben für Sie.«
Tina atmete tief durch. Sollte das endlich der langersehnte Brief sein?
»Wenn S’ hier, bitt’schön, unterschreiben wollen?«
Der Briefträger hielt ihr den Zettel und einen Kugelschreiber hin. Die Hand der Dreiundzwanzigjährigen zitterte ein wenig, als sie ihren Namen auf das Papier setzte.
»Dank’ schön, Herr Wittlinger«, nickte sie ihm zu.
Sie schloß die Haustür und schaute auf den Umschlag in ihrer Hand. Der Absender darauf bestätigte ihre Hoffnung.
»Wer war’s denn?« rief ihre Mutter.
»Die Post, Mama«, antwortete sie und ging in die Küche.
Hildegard Langner sah ihre Tochter fragend an.
»Was Wichtiges?«
Tina lächelte geheimnisvoll und wedelte der Mutter mit dem Brief vor der Nase herum.
»Ich hab’ meine erste Stelle«, rief sie und tanzte durch die Küche.
»Wirklich? Wo denn? Nun mach’ doch schon auf.«
Die junge Frau riß den Umschlag auf und las mit flinken
Augen den Inhalt des Schrei-
bens.
An die Lehrerin zur Anstellung, Christina Langner, Pfarrkirchen, stand in der ersten Zeile.
Ihr Herz schlug bis zum Hals hinauf. Es war wirklich der Bescheid vom Ministerium, daß sie zum nächsten Monat eine Stelle als Grundschullehrerin in St. Johann bekommen hatte.
»St. Johann? Wo ist denn das?« fragte ihre Mutter.
Die Tochter war noch so mit dem Inhalt des Briefes beschäftigt, daß sie die Frage gar nicht hörte. Hildegard Langner mußte sie wiederholen. Tina sah verwirrt von ihrer Lektüre auf.
»Was? Ach, entschuldige, Ma-ma, ich weiß es net genau. Irgendwo in Oberbayern, in den Bergen. Wir schau’n gleich mal auf der Karte nach.«
»Heißt das, daß du dorthin ziehen mußt?«
Die Stimme ihrer Mutter klang ein bißchen ängstlich. Tina lachte.
»Das werd’ ich wohl«, erwiderte sie. »Wie soll ich denn sonst pünktlich zur Arbeit kommen, wenn ich hier wohnen bleib’?«
Die Mutter schüttelte den Kopf.
»Was wird denn Vater dazu sagen?«
»Das weiß ich net, Mama. Aber ihr werdet euch damit abfinden müssen. Ich bin ja froh, überhaupt eine Stelle bekommen zu haben, nachdem ich seit beinahe einem Jahr darauf wart’. Da soll’s mir egal sein, wo die Schule steht, an der ich unterrichte.«
Sie nahm ihre Mutter in den Arm und gab ihr einen Kuß.
»Am Ende der Welt wird’s schon net sein, dieses St. Johann«, meinte sie tröstend. »Ich hol’ den Atlas, und dann schau’n wir mal nach.«
Sie lief in ihr Zimmer und kam kurze Zeit später mit dem alten Schulatlas zurück. Die beiden Frauen setzten sich an den Küchentisch und blätterten das Kartenwerk durch.
»Da!« rief Tina und zeigte auf einen winzigen roten Punkt.
»Du lieber Himmel, so weit?«
Hildegard Langner schüttelte wieder den Kopf.
»Da kannst ja gar net mal so übers Wochenend’ nach Haus’ kommen.«
»Die erste Zeit bestimmt net. Erst mal muß ich mich dort einrichten. Eine kleine Wohnung finden.«
Sie ging an den Küchenschrank und öffnete ihn. Gleich daneben stand die Kaffeemaschine. Tina nahm Pulver und Filtertüten heraus und füllte Wasser in die Maschine. Während sie diese Arbeit verrichtete, gingen ihr allerlei Gedanken durch den Kopf.
Seit zehn Monaten wartete sie nun schon auf diesen Bescheid. Obgleich sie von den Einstellungsschwierigkeiten wußte, hatte es für sie keinen Zweifel gegeben, daß sie Lehrerin werden wollte. Zielstrebig und beharrlich hatte sie diesen Weg verfolgt, auch wenn sie es dabei nicht immer leicht hatte. Als Älteste von vier Geschwistern wurde sie früh in die Pflicht genommen, auf die Kleineren aufzupassen und der Mutter bei der Arbeit im Haushalt zu helfen. Erstmals konnte sie aus diesen Zwängen fliehen, als sie ihr Stu-dium in Passau aufnahm. Tina hatte diese Jahre genossen. Mit einer Kommilitonin bewohnte sie eine kleine Studentenbude, und oft unternahmen sie Ausflüge ins nahe Österreich oder nach Tschechien.
Leider fand diese Freiheit ein Ende, als Tina ihr Studium und die Referendariatszeit beendet hatte. Nach dem letzten Examen hatte sie sich erwartungsvoll auf eine Stelle beworben, doch die Absage folgte prompt. Auch wenn sie sich von dem ersten Mißerfolg nicht entmutigen ließ, nach dem vierten vergeblichen Versuch gab sie dann allmählich doch die Hoffnung auf, jemals in ihrem Traumberuf zu arbeiten. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ins Elternhaus zurückzukehren und mit Aushilfsjobs etwas zum Einkommen der Familie beizutragen.
Doch heute, endlich, hatte sie die ersehnte Zusage bekommen.
Natürlich wurde am Abend im Kreis der Familie heftig darüber diskutiert. Tina hatte drei Brüder, von denen der jüngste noch die Schulbank drückte, während die beiden anderen bereits in der Berufsausbildung waren. Ihr Vater war Angestellter bei der Bahn. Alles in allem war es ein harmonisches Miteinander, wären da nicht die Zwänge, denen Tina sich ausgesetzt fühlte. Die lebenslustige junge Frau mußte auf so manches Vergnügen verzichten, sei es Tanzengehen oder mit Freunden ins Kino, weil ihre Arbeitskraft im Haus und Garten gebraucht wurde. Jetzt, so hoffte sie, würde sie endlich ihre Freiheit in vollen Zügen genießen können. Auch wenn es in einem kleinen Alpendorf war.
»Das vordringliche Problem wird sein, eine Wohnung zu finden«, meinte Gottfried Langner. »Zunächst wirst in einer Pension wohnen können, aber das geht auf Dauer natürlich net.«
Darüber hatte Tina auch schon nachgedacht. Ob es etwas nutzte, wenn man ein Inserat in einer dortigen Zeitung aufgab?
»Ich hab’ eine bessere Idee«, sagte ihr Vater. »Der Joseph Winkler, mit dem ich zusammenarbeit’, der kommt aus Engelsbach. Ich hab’ vorhin auf der Karte geseh’n, daß das ganz in der Nähe von St. Johann ist. Ich werd’ ihn morgen mal ansprechen. Vielleicht weiß er ja, was man da machen könnt’.«
Die junge Lehrerin konnte vor lauter Aufregung nicht schlafen. Aufgekratzt wälzte sie sich in ihrem Bett, und tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Am meisten freute es sie, daß ihr größter Wunsch in Erfüllung gegangen war. Endlich konnte sie ihre Vorstellungen darüber, wie man Kinder unterrichten sollte, in die Wirklichkeit umsetzen.
Tina sprang noch einmal aus dem Bett und lief zum Regal, in dem der Atlas stand. Sie nahm ihn und setzte sich auf das Bett zurück. Die Seite, wo St. Johann zu finden war, hatte sie markiert. Jetzt huschte ihr Finger darüber, und leise sagte sie die Namen der Ortschaften und Berge vor sich hin. Sie wollte schon jetzt so viel wie möglich über ihre neue Heimat erfahren.
*
Sebastian Trenker war früh am Morgen aufgebrochen. Lange Zeit hatte er auf das Vergnügen einer Bergwanderung verzichten müssen – die Arbeit ließ ihm einfach keine Zeit dafür –, heute jedoch hatte er sie sich genommen. Noch bevor die Sonne aufging, war der gute Hirte von St. Johann losgezogen. Am Floriansfelsen vorbei, führte sein Weg zum Kogler hinauf, auf dessen anderen Seite Österreich lag. Früher war dies ein beliebter Schmugglerpfad gewesen, doch seit es in der Europäischen Gemeinschaft keine Zollschranken mehr gab, lohnte es sich auch nicht mehr, Waren und andere Sachen auf so beschwerlichem Weg von einem Land in das andere zu bringen.
Die aufgehende Sonne tauchte den Himmel in glutrote Farbe, als Sebastian sich zu einer ersten Rast niederließ. Auf einem Felsbrocken hockend ließ er sich schmecken, was Sophie Tappert, seine fürsorgliche Haushälterin, ihm in den Rucksack gepackt hatte.
Beinahe waren die belegten Brote zuviel für einen alleine, doch Sebastian hatte die Erfahrung gemacht, daß er mehr essen konnte als er glaubte, wenn er draußen unterwegs war.
Der Geistliche genoß die Stille, die ihn umgab. Noch war es recht kalt, doch wenn die Sonne hoch am Himmel stand, würde er den Anorak ausziehen müssen. Sebastian sah sich um. Es kam ihm vor, als wäre er ganz allein auf der Welt, und wären da nicht ein paar vorwitzige Murmeltiere, die ihre Nasen aus einem Erdloch streckten, dann wäre diese Vorstellung vollkommen gewesen.
Der einsame Wanderer drehte den Deckel der Thermoskanne wieder zu und packte die Reste seines Frühstücks in den Rucksack zurück. Er schulterte ihn und setzte seinen Weg fort. Bis zur Birrachhütte würde er noch gute drei Stunden brauchen. Da war die Zeit eine gute Gelegenheit, um über den Anruf nachzudenken, den er gestern abend erhalten hatte.
Eine junge Frau, die sich ihm als Christina Langner vorgestellt hatte, bat um seine Hilfe. Über einen Arbeitskollegen ihres Vaters habe sie den Namen und die Telefonnummer des guten Hirten von St. Johann einmal erfahren. Ob er ihr bei der Suche nach einer kleinen Wohnung behilflich sein könne, war ihre Frage damals gewesen, weil sie demnächst als Lehrerin an der Grundschule unterrichten würde.
Sebastian hatte gar nicht gewußt, daß sein Ruf bis ins niederbayerische Pfarrkirchen reichte, aber er freute sich über das Hilfeersuchen und war natürlich bereit zu tun, was in seinen Kräften stand.
»Ich werd’ mich umschau’n«, versprach er. »Und wenn’s gar net klappen will, dann bring’ ich Sie erst mal hier im Pfarrhaus unter. Wir haben Platz genug, und meine Haushälterin freut sich immer, wenn sie noch jemanden zusätzlich versorgen kann.«
Jetzt überlegte Sebastian, ob es in St. Johann oder der näheren Umgebung jemanden gab, der eine Wohnung vermieten wollte. Zu groß durfte sie nicht sein. Mehr als vielleicht zwei Zimmer brauchte eine einzelne Person nicht. Schließlich spielte die Größe der Wohnung ja auch bei der Miete eine Rolle.
Als er drei Stunden später die Hütte erreichte, war sein Problem noch nicht gelöst. Es war ihm auf Anhieb niemand eingefallen, den er hätte fragen können.
Die Birrachhütte war eine recht kleine Sennhütte, gemessen an anderen, in denen es richtige Gastronomie gab, und Zimmer, in denen Wanderer übernachten konnten. Dafür stellte Alois Krinzinger einen der besten Bergkäse der ganzen Gegend her, und allein dafür lohnte der Aufstieg.
»Hochwürden, schön, daß S’ auch mal wieder vorbeischau’n«, begrüßte der alte Senner den Besucher.
Alois war schon weit über siebzig, und seit mehr als vierzig Jahren lebte er hier oben. Selbst im Winter sah man ihn kaum im Tal, nur zur Weihnacht kam er herunter und blieb dann über die Festtage bei seiner Schwester in St. Johann.
»Wie geht’s, Loisl?« erkundigte sich Sebastian Trenker.
»Ach, ich will net klagen«, erwiderte der Greis. »Aber so allmählich machen sich die ersten Zipperlein bemerkbar. Na ja, man ist halt net mehr der Jüngste.«
Sie setzten sich auf eine Bank vor der Hütte, nachdem der Senner einen Krug frischer Milch herbeigeholt hatte. Wie alle Almenbewohner kannte auch er die Vorliebe des Bergpfarrers für diese köstliche Erfrischung.
Sie unterhielten sich angeregt, und Sebastian freute sich zu sehen, wie agil der Alte immer noch war. Geist und Körper bekam der langjährige Aufenthalt in der Berg-luft offensichtlich ganz gut. Lediglich die Andeutung über die Zipperlein stimmten den Geistlichen nachdenklich.
»Was hast denn damit gemeint?« wollte er wissen.
Alois machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ach, eigentlich ist’s net der Rede wert«, meinte er. »Wie’s halt so ist im Alter. Das Kreuz tut ein bissel weh am Abend, und schlafen tu’ ich auch net mehr so richtig gut.«
»Soll ich dir mal den Doktor Wiesinger raufschicken?«
»Bloß das net«, wehrte Loisl schmunzelnd ab. »Womöglich
find’t er noch was and’res.«
Die beiden Männer lachten zwar, aber Sebastian nahm sich vor, Toni Wiesinger bei Gelegenheit zu bitten, ob er nicht »zufällig« in der Birrachhütte vorbeischau’n könnte.
»Was gibt’s denn Neues im Dorf?« fragte der Senner. »Ich hab’ in der letzten Zeit nur wenig Besuch hier oben gehabt und weiß gar net, was sich so alles zugetragen hat.«
»Viel ist’s auch net, was es da zu berichten gibt«, antwortete Pfarrer Trenker. »Außer vielleicht, daß demnächst eine junge Lehrerin ihren Dienst antritt.«
»Wird die denn überhaupt gebraucht?«
»Dringend sogar. Seit die Maria Hochanger in Pension gegangen ist, kneift’s mächtig mit dem Lehrpersonal. Immerhin haben wir zwei Erste Klassen, und jeweils einen weiteren Jahrgang, bis zur Vierten. Da ist’s manchmal schon ein bissel knapp, mit nur fünf Lehrkräften. Wir sind schon froh, daß da endlich Abhilfe geschaffen wurde.
Allerdings gibt’s da auch ein kleines Problem. Die Frau Langner, so heißt die neue Lehrerin, hat mich gestern angerufen und bat mich, ihr bei der Suche nach einer kleinen Wohnung behilflich zu sein. Leider ist mir bisher nix eingefallen. In der Pension wird’s auf die Dauer zu teuer, und im Pfarrhaus wird sie auch net immer wohnen wollen. Fürs erste vielleicht schon, aber schließlich will ja jeder seine eig’nen vier Wände haben.«
Alois Krinzinger kratzte sich am Kinn.
»Hm, ich hätt’ da vielleicht eine Idee«, sagte er.
»Wirklich?« Sebastian sah ihn gespannt an.
»Meine Schwester hat sich beklagt, daß es ihr zu einsam ist in dem großen Haus«, erzählte der Senner. »Seit ihr Mann verstorben ist, denkt sie darüber nach, ein, zwei Zimmer zu vermieten. Sprechen S’ doch mal mit der Monika. Ich glaub’ net, daß sie allzuviel Miete verlangen wird. Ihr geht’s mehr darum, net mehr so allein zu sein. Sie braucht jemanden, den sie bekochen und umsorgen kann. Am liebsten hätt’ sie ja, daß ich zu ihr zieh’, aber der Tag muß erst noch kommen, an dem ich die Hütte für immer verlaß.«
»Das ist ein guter Rat, Loisl«, bedankte sich der Bergpfarrer. »Am besten such’ ich sie gleich auf, wenn ich wieder unten bin.«
Er schaute zum Himmel. Dem Stand der Sonne nach war es gegen Mittag. Alois deutete den Blick richtig.
»Wollen S’ etwa schon wieder los?« fragte er.