0,99 €
Tsunami der Kinder Ein Erdbeben im Indischen Ozean verursachte einen Tsunami der Superlative. Am Morgen des 26 Dezember 2004 gab es ungefähr 85 Kilometer vor der Nordwestküste der indonesischen Insel Sumatra ein Erdbeben. Ausgelöst durch eine Plattenverschiebung der indisch-australischen Platte. Es war das drittstärkste jemals aufgezeichnete Beben und löste eine Reihe von verheerenden Tsunamis an den Küsten des Indischen Ozeans aus. Insgesamt starben durch das Erdbeben und seine Folgen etwa 230.000 Menschen. Auf einen Schlag verlieren tausende Menschen ihr Leben. Viele Kinder, ihre Eltern und Verwandten. Durch diese Situation sind sie traumatisiert und hilflos. In vielen Berichten werden die Kinder erwähnt, die durch Hilfsorganisatoren gerettet wurden. Es erscheinen aber keine Berichte über die "Organisatoren", die nur an ihren Profit gedacht haben, als sie ihre Hilfe anboten. Von einem kleinen Teil dieser Tsunamikinder handelt der Roman. Er zeigt das Schicksal von Kindern auf, die in ihrer schwersten Not von Menschen "gerettet" werden, die nur an ihren Profit denken.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Bibliografische Information der Nationalbibliotheken:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Verlage, Herausgeber und Autoren unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Impressum:
Copyright © 2018 Michael Schönberg
Alle Rechte vorbehalten.
Autor: Michael Schönberg
Korrektorat / Lektorat: M. Schönberg, W. van Velzen
Covergestaltung:
Wine van Velzen
Michael Schönberg
Tsunami der Kinder
Vorwort
Dies ist ein Roman.
Ich erwähne das, weil man glauben könnte, dass es sich wirklich so zugetragen hat. Doch dieser Roman ist nur eine Fiktion.
Ich war nie in dieser Region, ich habe mich nicht besonders mit diesem Thema befasst, außer den Spenden, die ich getätigt habe. Und doch haben mich die schrecklichen Bilder nie losgelassen.
Auf einen Schlag verlieren tausende Menschen ihr Leben. Viele Kinder, ihre Eltern und Verwandten.
Durch diese Situation sind sie traumatisiert und hilflos. In vielen Berichten werden die Kinder erwähnt, die durch Hilfsorganisatoren gerettet wurden. Es erscheinen aber keine Berichte über die „Organisatoren“, die nur an ihren Profit gedacht haben, als sie ihre Hilfe anboten.
Von einem kleinen Teil dieser Tsunamikinder handelt der Roman. Er zeigt das Schicksal von Kindern auf, die in ihrer schwersten Not, von Menschen „gerettet“ werden, die nur an ihren Profit denken.
Was war geschehen?
Ein Erdbeben im Indischen Ozean verursachte einen Tsunami der Superlative.
Am Morgen des 26 Dezember 2004 gab es ungefähr 85 Kilometer vor der Nordwestküste der indonesischen Insel Sumatra ein Erdbeben. Ausgelöst durch eine Plattenverschiebung der indisch- australischen Platte. Es war das drittstärkste jemals aufgezeichnete Beben und löste eine Reihe von verheerenden Tsunamis an den Küsten des Indischen Ozeans aus. Insgesamt starben durch das Erdbeben und seinen Folgen etwa 230.000 Menschen, davon allein in Indonesien rund 165.000. Über 110.000 Menschen wurden verletzt, über 1,7 Millionen Küstenbewohner rund um den Indischen Ozean wurden obdachlos.
In Thailand war besonders die touristisch erschlossene Küste an der Andamanensee von den Flutwellen betroffen, insbesondere die Urlauberzentren Khao Lak und Ko Phuket. Über 400 Dörfer wurden überflutet, von denen sehr viele völlig zerstört wurden.
Anders als die meisten übrigen betroffenen Länder bat die thailändische Regierung nach dem Tsunami nicht offiziell um internationale Unterstützung. Viele private Hilfsorganisatoren beteiligten sich aber an den Hilfsmaßnahmen. Unter anderem die Hilfsorganisation von Herrn Phuntai.
Phuket, Ende Dezember 2004
Ein großer Unimog mit der Flagge vom Deutschen Roten Kreuz fuhr auf den wenigen befahrbaren Wegen. Der Wagen hatte vorne auf der Haube und an den Seiten große weiße Laken und einem roten Kreuz befestigt. Alle, die diesen Unimog sahen, wussten, hier kommt Hilfe.
Im Wagen saßen Helfer, die nach Flutopfern Ausschau hielten.
Schnell wurden sie fündig, denn es gab tausende Menschen, die einen Halt gefunden und dadurch überlebt hatten. Sei es auf dem Dach ihres zerstörten Hauses, ein Baum eine Matratze oder nur auf einem Holzbrett. Die Retter führten ein kleines Schlauchboot auf dem Dach ihres angeblichen Krankenwagens mit. Womit sie Opfer einsammeln konnten, die durch die Wassermassen nicht zu Fuß oder mit dem Wagen zu erreichen waren.
Die schnelle Hilfe
»Da sieh mal, zwei Kinder auf einem Dach. Ein kleiner Junge und ein etwas älteres Mädchen.«
Ho freute sich über diesen Anblick. Er sah nicht die Menschen, er sah bares Geld.
Zwei asiatische Kinder, ein guter Einstieg in das Unternehmen Menschenrettung.
»Da ist aber auch noch eine Frau auf dem Dach. Wahrscheinlich ihre Mutter. Das gibt Ärger, die wird ihre Kinder nicht so einfach hergeben.«
»Die nehmen wir mit und setzen sie später wieder aus.«
»Ja, so machen wir es.«
Über die Unannehmlichkeiten wegen der Mutter waren sie nicht erfreut aber angesichts der zwei Kinder, die sie dadurch bekamen, nahmen sie das in Kauf.
Der Krankenwagen hielt auf der befestigten Straße, jedenfalls was von ihr noch übrig geblieben war. Zwischen ihnen und dem Haus waren mehr als 500 Meter. Keine wirkliche Entfernung, doch angesichts der Umstände eine fast unüberwindbare Strecke. Das Wohnviertel lag in einer Senke und von oben sah es aus, als standen die Häuser in einer gefüllten Badewanne.
Das Haus stand in einer Senke und das Wohnviertel darin wurde wie eine Badewanne mit Wasser gefüllt. Nur wenige Häuser zeigten noch ihre Dächer.
Meerwasser, Strömungen, wie bei einem reißenden Fluss, waren zu überwinden. Bäume, Bretter, Hausrat und alles, was den Wassermassen nicht standhielt, trieb an ihnen vorbei.
Ho hatte die Menschen auf dem Dach mit seinem Fernglas entdeckt. Die Augen waren zwar wie die eines Adlers, doch er benötigte mehr als nur die Sicherheit, dass es Menschen sind, die er sah.
Er benötigte Grunddetails: Erwachsene oder Kinder. Wenn es Kinder sind wie viele und vor allem wie alt?
Erst danach entschied er, ob sich der Rettungswagen ihnen nähern sollte.
Der Wagen hielt seitlich neben der Senke, so dass das Dach, auf dem die Menschen ausharrten, fast auf Augenhöhe war. Die kleine Familie hatte es auf das Dach geschafft und klammerte sich am Kamin fest, als die Wassermassen das kleine Tal fluteten. Jetzt saßen sie nebeneinander auf dem First. Ein Junge, ein Mädchen und dazwischen die Mutter, die ihre Kinder festhielt. Sie rief laut nach den Helfern.
Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie nicht, dass sie das Unheil zu sich rief.
»Wir kommen und retten euch«, rief Ho über das Megafon, was genau für diesen Zweck im Führerhaus des Unimog lag.
Ho und sein Fahrer Li zogen das Schlauchboot vom Dach des Wagens. Mit dem kleinen Außenbordmotor waren sie schnell bei den Flutopfern. Allerdings galt es dem Treibgut auszuweichen, was in Massen in dem immer noch tosenden Wasser umhertrieb.
Nicht nur Tiere sahen sie in dem Wasser umhertreiben. Menschen, die aus ihren Urlaubsfreuden herausgerissen waren und aussahen, als ständen sie gleich wieder auf und erfreuten sich weiter ihres Urlaubsdaseins. Sie sahen Menschen, die ihre Gliedmaßen verloren hatten. Arme, Köpfe, Rümpfe, alles schwamm in dem Meerwasser, was hier nicht hingehörte. Schwer zu erkennen in dem ganzen Unrat, was sonst noch im Wasser umhertrieb.
Am Haus angekommen, begannen sie mit der Rettungsaktion. Dafür sollte die Mutter ein Kind nehmen und am langen Arm langsam vom Dach herunterlassen. Dabei musste sie aufpassen, dass sie ihr Gleichgewicht nicht verlor.
»Loslassen, ich werde die Kleine auffangen!«, befahl Ho der Frau. Doch sie zögerte. Sie wollte ihr Kind nicht loslassen.
War es eine Vorahnung, die sie zögern ließ?
»Wenn sie das Kind nicht loslassen, werden wir wieder wegfahren. Also was ist jetzt?«
Ho wurde ärgerlich, es sollte alles schnell ablaufen. Schließlich waren sie nicht die einzigen Retter in dieser Gegend. Retter, die ihren Namen auch verdienten.
Der strenge Ton und die Gefahr, dass die Leute wieder wegfuhren, veranlasste die Frau, ihr Kind loszulassen.
Das Mädchen rutschte den Rest des Daches herunter. Ho fing es auf und setzte es in eine Ecke des Bootes.
»Du bleibst da sitzen, egal was passiert!« Das Mädchen war froh im Boot zu sein. Sie schaute ihn an, nickte mit dem Kopf und kauerte sich in die Ecke.
Ho nickte ebenfalls mit dem Kopf, sichtlich erfreut, dass die Kleine brav gehorchte.
»Nun das nächste Kind!«
Doch ehe er sich versah, rutsche die Mutter samt dem zweiten Kind das Dach herunter. Nur mit größter Anstrengung schaffte es Ho, die beiden am Ende des Daches zu stoppen, ohne dass sie in das Wasser stürzten. Ho war ein kräftiger Mann und doch war er mit diesem Gewicht fast überfordert. Außerdem geriet das Boot leicht außer Kontrolle. Ein Kentern wäre fatal, angesichts der Strömung, die hier herrschte.
Verärgert über das Vorgehen der Mutter schimpfte er sie aus. Andererseits war er froh, dass sie die Rettungsaktion beschleunigt hatte.
Nachdem sich alle auf dem Boot befanden, befahl er dem Fahrer Li, der mit richtigen Namen Liam-Noah hieß, dass er zurück zum Ufer fahren soll.
Die Mutter und ihre Kinder waren glücklich, gerettet worden zu sein. Aufgeregt erzählte sie den Männern, was sie erlebt hatten. Ho und sein Fahrer nickten, hörten aber nicht zu. Sie dachten an ihren Plan, wie sie die Frau später entsorgen könnten. Das Boot wurde mit leichter Wucht bis auf die Straße gefahren. Nicht die beste Art das Schlauchboot zu stoppen. Denn der Boden litt unter solchen Manövern. Doch so waren sie mit dem halben Boot schon an Land und konnten aussteigen. Der Motor des Bootes hatte keinen Schaden genommen. Li war ein guter Bootsführer, wenn auch sehr risikofreudig.
Die Frau redete immer noch, als sie den Wagen erreichten.
Ho`s Ausruf:
»Ruhe jetzt. Ich habe einige Fragen an sie!«, ließ die Frau verstummen.
»Sind das ihre Kinder?«
»Ja, das ist Aran« und zeigte auf den Jungen. »Tida, meine Tochter« und deutete auf das Mädchen.
„»Wie alt sind die Kinder?«
„»Aran ist acht und Tida ist elf Jahre.«
„»Ok. Danke.«
ie drei hatten schon mehr als zwei Tage oben auf dem Dach gesessen. Ohne Nahrung und ohne Wasser. Obwohl sie von Wassermassen umzingelt waren.
Die Kinder wurden von Somchai, einen schmächtigen, aber kräftigen Mann aus Indonesien, mit Wasser, Brot und Decken versorgt. Dann beorderte er sie in den Wagen und wies ihnen ihre Koje zu.
Danach kümmerte sich Herr Kukrit um die beiden.
Kukrit hatte eine Ausbildung zum Sanitäter und bei dieser „Rettungsaktion“ war er für die Ruhigstellung der Kinder verantwortlich. Was nichts anderes bedeutete, dass er den jungen Geschöpfen eine Spritze gab. Ein schnell wirkendes Schlafmittel. Größe und Gewicht wurden geschätzt und damit die Dosis festgelegt. Alles Pi mal Daumen. Er legte die Menge so fest, dass er immer im sicheren Bereich lag. Lieber noch mal nachspritzen, als die Ware zu verderben, in dem Falle zu töten.
Das bekam die Mutter nicht mit. Bewusst hielten sie die Frau vor dem Wagen auf, indem man ihr weitere Fragen stellte.
Ihr wurde ebenfalls eine Decke umgelegt. Sie wurde gefragt, ob sie von dem Wasser getrunken hätte?
„»Ja, wir schluckten es. Weil die Wassermassen uns alle überraschten, wären wir fast ertrunken.«
„»Wir werden sie Impfen müssen, in dem Wasser sind sehr viele Bakterien und Fäkalien, also Kot von Tieren und Menschen. Die Impfung tötet die Bakterien, bevor sie daran erkranken oder sterben. Stimmen sie der Impfung zu? Denken sie an ihre Kinder!«
Die Frau nickte und Kukrit gab ihr die vorbereitete Spritze.
Dann führte er die Frau in den Wagen. Sie sah ihre Kinder, die schon eingeschlafen waren. Entsprechend leise verhielt sich die Frau. Sie streichelte ihnen sanft über die Haare. Nichtwissend, dass es ihre letzte Berührung sein wird.
Dann legte sie sich hin. Währenddessen verstauten Ho und Li das Boot samt dem Motor und schon fuhr der Unimog weiter, - auf der Suche nach Geld.
Die Spritze wirkte recht schnell und die Frau fiel in Tiefschlaf. Auch die beiden Kinder schliefen und träumten. Ihre Träume müssen schön sein, denn sie hatten ein Lächeln im Gesicht. Das lag aber auch an dem Medikament, was sie bekommen hatten. Schlafmittel und ein wenig Tryptophan. Ein Mittel, was dem Körper ein Glücksgefühl vermittelt. Ähnlich was man empfindet, wenn man Schokolade isst.
Die Frau wurde mitgenommen, bis sich eine Gelegenheit bot, sie auszusetzen. Hier wäre sie mit Sicherheit umgekommen. Wenn sie schon keine wirklichen Retter waren, so wollten sie auf keinen Fall Mörder sein.
iAuf der Suche nach neuen Geldern, die Ho und sein Fahrer benötigten, nutzen Kukrit und Somchai die Zeit, um sich mit der Frau näher zu befassen. Eine eher hagere Frau. Sie sah kränklich aus. Blass, eingefallene Wangen, dunkle Ringe unter den Augen. Ihre Kleidung war verdreckt und roch modrig. Die Sachen der Kinder hatte den Geruch von Schimmel angenommen. Die ganze Gegend in der sie sich aufhielten, hatte diesen Schimmelgeruch. Der Modergeruch der Kleidung von der Frau hielt die beiden aber nicht davon ab, sie sich mal näher anzusehen.
Wenn der Wagen stoppte, wurde die „Beschäftigung“ unterbrochen und die neue Ware verstaut. Ho und Li bekamen von den Dingen, die sich im hinteren Teil des Wagens abspielten, nichts mit. Sie hatten andere Sorgen. Kinder einsammeln, unter den Gefahren eines Gebietes, wo es nur so von Strömungen, Unrat und Schlangen wimmelte, benötigte ihre ganze Konzentration.
„»Die da, die nehmen wir mit. Fahr näher ran?«
Li gehorchte und steuerte dem Unimog bis an einen kleinen Hügel. Dabei waren die Vorderräder schon über die Hälfte im Wasser. Es benötigte nur eine Furche oder größere Vertiefung und der Unimog würde sich festfahren. Wenn die vorhandene Winde vieles konnte, alles dann doch nicht. Es bedurfte schon eines Baums oder einer sonstigen Befestigungsmöglichkeit, um sich selbst wieder herauszuziehen. Doch diese Möglichkeiten waren rar. Der Tsunami hatte mit seiner unbändigen Kraft fast alles zerstört. Da wo er gewütet hatte, war nichts mehr außer Wasser und Trümmer. Li achtete genau, wo er hinfuhr.
Die beiden Männer zogen ihre Gummianzüge an und öffneten die Türen. Dann sprangen sie in das Schmutzwasser. Der Anzug hatte Stiefel und Handschuhe. Fast ein Ganzheitskondom, wie es Li immer ausdrückte, wenn er den Overall anziehen musste. Doch er schütze sie vor der Kloake und vor den Bissen der Schlangen. Vor den umhertreibenden Trümmern allerdings nicht. Da hieß es aufpassen, wenn man den festen Boden verließ.
Die vier Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren konnten schnell eingesammelt und in den Wagen verfrachtet werden. Erwachsene waren nicht zu sehen. Ho und Li befragten die kleinen Geschöpfe, ob sie wüssten, ob weitere Kinder in der Gegend wären. Doch sie verstanden die Frage nicht. Schauten wie in Trance auf die Männer und ließen sich anstandslos mitnehmen.
Deshalb schaute Ho selbst noch mal nach und kletterte den Hügel bis nach oben. Dass was er sah, machte ihm klar, warum die Kinder so verstört waren. Einige Erwachsene lagen auf der anderen Seite unten im Wasser. Ertrunken, erschlagen und verstümmelt. Ein Baum hatte sich mit seinen Ästen in die Körper der Menschen gebohrt und sie aufgespießt. Zwischen den Erwachsenen sah er Kinder, die nicht mehr für ihre Zwecke zu gebrauchen waren. Ertrunken, erschlagen, verstümmelt. Nach dem Mitleidsgedanken kam der Ärger über entgangenes Geld auf. Gedanken, für die er sich selbst hasste. Schnell machte er sich auf den Weg zurück zum Wagen. Seine Crew hatte die Kinder schon verstaut.
Weiterfahrend in die Gegend der Verwüstung brachte eine neue Sichtung. Einen lebenden Anblick. Doch nicht alles war verwertbar. Zwei ältere Mädchen, so um die sechszehn Jahre, wurden ebenso zurückgelassen, wie die beiden Männer bei ihnen, die mehr Tod als lebend waren. Sie verstanden nicht, dass man ihre Hilferufe hörte, aber nicht zu ihnen kam. Einer der Erwachsenen blutete am Kopf. Doch die Retter unternahmen nichts, um zu ihnen zu gelangen, um die Blutung zu stillen. Ein Mädchen hatte ihre Bluse oder Jacke in der Hand und drückte damit auf die Wunde.
„»Wir schicken euch Hilfe, leider ist unser Wagen jetzt voll. Haltet noch ein wenig aus. Und immer schön auf die Wunde drücken. Wir bringen euch bald Hilfe.«
„»Nicht wegfahren. Bitte helfen sie dem Mann, ich kann bald nicht mehr, sehen sie doch, ich bin auch verletzt«, rief das Mädchen und zeigte auf ihr verdrehtes Bein.
„»Wir können jetzt nichts für euch tun.«
Aus dem Wagen nahm Ho Wasserflaschen und Brot und warf es zu den Menschen, die sie zurücklassen würden.
Dann verließen sie die schreienden Mädchen, die langsam begriffen, dass sie nicht gerettet werden. Sie wurden zurückgelassen von Menschen des Roten Kreuzes, die doch da waren, um zu retten. Nachdem der Wagen außer Sichtweite war, hörten sie auf zu schreien. Zu schreien nach Hilfe und nach Rettung.
„»Wir fahren noch etwas in das Landesinnere, ich denke dort werden wir mehr Überlebende finden, als hier in Küstennähe.«
„»Da kannst du recht haben. Wir müssen aber aufpassen. Wenn wir über die Hauptstraße fahren ist es möglich, dass wir auf andere Retter treffen?«
Auf dieser Straße gab es einen Rastplatz oder das, was von ihm übrig war.
„»Fahr zu dem Platz. Ich will die Frau loswerden. Ich denke hier hat sie gute Chancen gefunden zu werden.«
Doch als sie sich diesem Ort näherten, sahen sie weitere Autos auf dem Gelände. Keine Rettungsfahrzeuge aber Lastwagen.
„»Siehst du nicht, dass da einige LKWs auf dem Platz stehen. Ist das nicht zu gefährlich?«
Ohne eine Antwort zu geben, deutete Ho ihm, dass er weiterfahren sollte in Richtung Rastplatz. Doch schon kurz nach der Auffahrt auf den Platz, befahl er zu halten. Ho sprang aus dem Führerhaus und lief nach hinten und öffnete die Tür. Kukrit und Somchai sahen verwundert hinaus. Es gab weder Kinder noch Aktivitäten, um das Boot herunterzuholen.
„»Was ist los, warum halten wir?«
„»Die Frau wird hier entsorgt. Bringt sie raus und legt sie dort an der Säule ab. Schnell, wir müssen hier wieder rasch verschwinden.«
ie beiden Helfer sahen sich kurz an. Ohne Widerworte. Kukrit und So hoben die Frau hoch und trugen sie aus dem Wagen.
Die Säule, die Ho meinte, war ein ehemaliger Strommast, der zwar schief stand, aber immerhin stand. Strom lieferte er aber keinen mehr. Die Stromversorgung auf dem Rastplatz wurde durch einen Kompressor erzeugt. Sprit gab es ja genug.
Ho war wieder in den Wagen gestiegen und wartete darauf, dass die beiden die Sache erledigten.
Er sah sich die Aktion aus dem Seitenspiegel an und wunderte sich, wenn auch nur kurz, dass die Frau einen entblößten Unterleib hatte. Er drehte die Seitenscheibe herunter und rief:
„»Jetzt aber voran, euren Spaß scheint ihr ja schon gehabt zu haben. Aber das ist nicht unsere Aufgabe. Schnell jetzt!«
Von alldem bekam die Frau nichts mit. Kukrit legte noch schnell ihre Unterwäsche neben sie, die er unter dem Arm geklemmt hatte. Slip und Büstenhalter. Das bunte Sommerkleid hatten sie ihr ja angelassen und zogen es schnell wieder herunter. Schuhe hatte sie nicht an, als sie aufgegriffen wurde.
Wenn sie wach wird, kann sie sich ja wieder ankleiden und auf Hilfe hoffen, waren seine dann doch ehrenhaften Gedanken.
Die ganze Aktion hatte nicht länger als 3 Minuten gedauert und sie waren wieder auf der Hauptstraße in Richtung Kualar Lumpur. Diese Gegend lag zwar nur geringfügig höher als die anderen Orte, doch das hatte ausgereicht, die Wassermassen zurückzuhalten. Dort erhofften sie sich viele Überlebende zu finden, die es hinaufgeschafft haben.
Herr Phuntai hatte zusätzlich zu den Transportern einen Hubschrauber gemietet, dessen Pilot die Gegend von oben beobachtete. Aus dem Helikopter bekamen die Mannschaften Hinweise, wo es Landstriche gab und wo sich Menschen aufhielten. Ho und seine Gehilfen waren nicht die einzigen, die sich auf die Suche nach Kapital gemacht hatten. Junges, frisches Kapital mit Händen und Füßen und unversehrt.
Insgesamt waren drei Mannschaften unterwegs. Der Pilot hatte ein großes Gebiet zu überfliegen, um den Bodentruppen Hinweise zu geben. Informationen zu Ortschaften, wo sich Menschen aufhielten, die die Katastrophe überlebt hatten.
Li kannte sich bestens in der Gegend aus und wusste sofort, welche Stelle oder Ortschaft gemeint war, wenn sie Hinweise aus der Luft bekamen. Seine jahrelange Tätigkeit als LKW-Fahrer für ein ansässiges Unternehmen machte sich nun bezahlt. Und ja, er würde gut bezahlt werden, für den Job. Doch er durfte sich keine Fehler erlauben. Bisher war sein Chef Ho zufrieden mit ihm. Zumindest hatte er dieses Gefühl.
Ho war ein Mensch, der nicht viel sprach. Er befahl und erwartete, dass man ihm gehorchte. Diskussionen ließ er erst gar nicht aufkommen. Zeitverschwendung, da er der beste des gesamten Teams war. Der Erfolg gab ihm bis dato recht. Ob sein richtiger Name Ho war, wusste Niemand. Unwichtig bei so einer Aktion. Er erledigte, was man von ihm verlangte und er machte seine Sache ausgezeichnet. Nur das zählte.
Die Kinder im Wagen bekamen nicht mit, dass ihre Mutter ausgesetzt wurde. Die Spritzen, ein verändertes Schlafmittel, wirkten bis zu 8 Stunden. Genug Zeit, um weit weg von der Mutter und dieser Gegend zu sein. Für wirkliche Erkrankungen war der Unimog nicht ausgerüstet. Kranke wollten sie ja nicht einsammeln. Und diejenigen, die sie mit Verletzungen fanden, ließen sie, wo sie waren.
Da werden sich die richtigen Helfer schon drum kümmern, dachte nicht nur Ho.
Der Wagen war innen umgebaut worden, um möglichst viele Menschen aufzunehmen. Drei Pritschen übereinander und davon zwei Reihen. So konnten sie mindestens 12 Kinder mit einer Fuhre retten. Doch einige Betten waren noch leer. Also hieß es weiterfahren und suchen. Ausspähen nach Ware für den Handel.
Menschenhandel und in diesem Fall Kinderhandel.
Die beiden Fahrer sahen den Unimog schon von Weitem. Die Rot-Kreuztücher leuchteten in der frühen Mittagszeit.
„»Schau da kommt ein Rettungswagen. Wahrscheinlich machen sie Mittagspause vom Retten«, lachte Salvatore, als er den Wagen kommen sah.
„»Retter müssen auch mal! Und wild in die Gegend pullern, ist zurzeit dann doch eher ungesund«, setzte Giovanni nach.
Sie beobachteten, das der Transporter auf den Platz fuhr und anhielt. Ein Mann stieg aus und lief zur Rückseite. Diese Seite konnten die Fahrer nicht einsehen.
„»Was macht der da«, fragte Salvatore.
Und als sie sahen, dass der Mann wieder einstieg und der Wagen kurze Zeit später vom Platz fuhr, waren sie völlig irritiert.
„»Also Pullern war nicht, aber irgendwas haben die da gemacht? Komm, wir gehen hin und schauen nach.«
„»Nee, ich bleib schön hier. Du kannst ja hingehen. Mir ist das zu weit. Bei der Bullenhitze und schwüle, verlasse ich doch nicht unser schönes kühles Führerhaus. Außerdem was macht so ein Rettungswagen? Na?«, und als ihm Salvatore keine Antwort gab: »Retten. Und wenn man rettet, kann es sein, dass der Wagen mal anhalten muss, um die Kranken umzubetten, festzuschnallen oder sonst was machen muss. Ich kenn das aus einer Fernsehserie.«
oSalvatore war mit der Antwort nicht zufrieden. Irgendetwas sagte ihm, hier stimmt was nicht. Selbst Leute im Einsatz nutzen doch so eine Gelegenheit, um sich mit Essen oder Trinken zu versorgen.
Salvatore sah sich die Stelle genauer an, wo der Rettungswagen gehalten hatte. Seine Augen suchten jeden Zentimeter ab, ob es was Ungewöhnliches zu sehen gab. Und ja, da war was, was ihm vorher nicht aufgefallen war.
„»Sag mal. Da an dem Mast, da ist doch was. Da haben die was hingelegt. Siehst du das nicht?«
Giovanni strengte seine Augen an und sah zu der Stelle, die sein Kumpel beschrieben hatte.
„»Das kann sonst was sein. Und es lag wahrscheinlich auch schon immer da. Warum denkst du, dass was dort liegt, ist von dem Unimog? Und wenn, wahrscheinlich ihr Müllsack. Aber bitte, geh und untersuche den Müllsack eines Rettungswagens. Wahrscheinlich unheimlich interessant. Gute Reise Sherlock Holmes.«
»Dann gehe ich eben alleine.«
Er öffnete die Fahrertür und stieg aus dem Führerhaus. Die Hitze, die ihm entgegenkam, war fast unerträglich.
Für einen kurzen Augenblick dachte er daran, was wäre, wenn sein Kumpel recht hat und es tatsächlich nur ein Müllbeutel ist. Den Rest der Fahrt, wenn nicht sogar den Rest seines Lebens, würde er zu hören bekommen:
Salvatore, der Retter eines Müllbeutels. Heldenhaft schlug er sich durch die tropische Hitze auf den Weg zum Müll. Nicht irgendein Müll, nein, der Müll eines Rettungswagens. Blutgetränkte Tücher, Urin und kotbehaftete Windeln, Spritzen in verschiedensten Größen. Und Verbandmull, Verbandmull, jede Menge davon.