Über das Leben und Wirken der sogenannten »Toten« - Josef F. Justen - E-Book

Über das Leben und Wirken der sogenannten »Toten« E-Book

Josef F. Justen

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Beschreibung

Die Geschichten in diesem Buch zeigen auf, dass die sogenannten »Toten« alles andere als »tot« sind. Sie sind keinesfalls untätig wie etliche Zeitgenossen glauben. Gemessen an den vielfältigen Aufgaben und Tätigkeiten, die sie in den geistigen Welten wahrzunehmen haben, erscheint das Erdenleben geradezu wie ein langer Urlaub. Die Seelen der Verstorbenen haben noch ein reges Interesse an den Menschen, die sie auf der Erde zurückgelassen haben. Sie können an deren Leben noch sehr intensiv teilhaben. Die Hinterbliebenen können und sollten ihren lieben Verstorbenen etliche Wohltaten erweisen, die diesen ihr nachtodliches Dasein erleichtern und bereichern können. Auch wenn es sich in diesem Buch um fiktive Erzählungen handelt, so stehen sie doch in vollem Einklang mit den geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen.

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Die Toten starben nicht. Es starb ihr Kleid. Ihr Leib zerfiel, es lebt ihr Geist und Wille. Vereinigt sind sie dir zu jeder Zeit in deiner Seele tiefer Tempelstille.

In dir und ihnen ruht ein einiges Reich, wo Tod und Leben Wechselworte tauschen. In ihm kannst du, dem eigenen Denken gleich, den stillen Stimmen deiner Toten lauschen.

Und reden kannst du, wie du einst getan, zu deinen Toten lautlos deine Worte. Unwandelbar ist unsres Geistes Bahn und ewig offen steht des Todes Pforte.

Schlagt Brücken in euch zu der Toten Land, die Toten bau’n mit euch am Bau der Erde. Geht wissend mit den Toten Hand in Hand, auf dass die ganze Welt vergeistigt werde.

Manfred Kyber

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die vergessene Seele

Die Begegnung mit Verstorbenen an der Schwelle des Todes

Die zerstrittenen Nachbarn

Die fromme Martha

Das Kind, das sein Schicksal nicht leben durfte

Die Vollendung eines Lebenswerkes

Die vermeintlichen Zerrbilder des Teufels

Wahre Ehen werden im Himmel geschlossen, aber auf Erden gelebt.

Wie ein verstorbener Sohn seinem Vater zu neuem Lebensmut verhalf

Das selbst gewählte Schicksal

Der reiche Gutsbesitzer und der Bettler

Das Kind, das seinen Eltern ein großes Opfer brachte

Die verlogene Trauerrede

Die schützende Kraft der verstorbenen Großmutter

Aus der Perspektive des Opfers

Eine völlig fremde Welt

Die Nachricht aus dem Jenseits

Anhang: Zitate zum Thema »Sterben und Tod«

Vorwort

Vor nichts anderem fürchten sich die Menschen heute so sehr wie vor dem Tod. Diese Angst basiert darauf, dass man nicht weiß, was nach dem Tod geschieht. Es handelt sich also um die große Angst vor dem Ungewissen.

Viele derjenigen Zeitgenossen, die an ein Leben nach dem Tod glauben, haben völlig falsche oder zumindest unzureichende Vorstellungen von dem, was die sogenannten »Toten« in den geistigen Welten erleben und erfahren werden. Auch glauben viele, dass die Seelen der Verstorbenen ein beschauliches Leben führen würden, in dem es für sie nicht viel zu tun gäbe.

Schon der große griechische Tragödiendichter Euripides stellte sich die Frage: »Wer weiß denn, ob das Leben nicht Totsein ist und das Totsein Leben?«

Das nachtodliche Leben eines Menschen hat in der Tat mit »Ruhe« nicht das Geringste zu tun. In den übersinnlichen Welten gibt es kein Schlafen, kein Ruhen, kein Pausieren oder Verweilen. Gemessen an der Fülle der Aufgaben, welche der Mensch im Leben zwischen Tod und neuer Geburt zu leisten hat, erscheint das gesamte Erdenleben fast wie ein langer Urlaub.

Die Toten haben noch ein reges Interesse an dem Leben der Menschen, die sie auf der Erde zurückgelassen haben. Sie können ihnen noch etliche Wohltaten erweisen. Auch die Hinterbliebenen können und sollten für ihre lieben Verstorbenen vieles tun, was ihnen ihr nachtodliches Dasein erleichtern kann.

Das Leben und Wirken der sogenannten »Toten« ist in diesem Buch in spannende Geschichten verpackt worden. Wenngleich es natürlich fiktive Erzählungen sind, so enthalten sie große spirituelle Wahrheiten und stehen in vollem Einklang mit den geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen.

Diese Geschichten eignen sich auch, um sie älteren oder sterbenden Menschen vorzulesen.

Die vergessene Seele

Z wei Seelen befanden sich schon seit ein paar Jahren in der Geisteswelt, in die sie sich längst gut eingelebt hatten. Da sie im gemeinsamen Erdenleben gute Freunde waren, konnten sie auch jetzt ein schönes und sehr inniges Zusammenleben pflegen. Mit ihren verstorbenen Verwandten sowie mit ihren Engeln waren sie ebenfalls oft beieinander.

Wenngleich es ihnen in der übersinnlichen Welt recht gut erging, so vermissten sie doch immer noch ihre Ehepartner und Kinder, die sie auf der Erde zurücklassen mussten.

Die eine Seele sagte einmal: »Ich schaue oft auf die Erde herunter und versuche, meinen Mann und meine beiden Töchter zu finden. Aber ich kann sie einfach nicht finden. Ich kann ihre Gedanken und Gefühle seit langem nicht mehr wahrnehmen. Kurz nachdem ich gestorben war, haben sie noch oft in Liebe an mich gedacht. Das habe ich mitbekommen. Aber jetzt scheinen sie mich vergessen zu haben. Ich komme nicht mehr an sie heran. Sie sind für mich fast wie ausgelöscht. Es ist so, als gäbe es sie gar nicht mehr.«

»Ja, das ist schlimm!«, entgegnete die andere Seele. »Da geht es mir deutlich besser. Meine Frau und mein Sohn gedenken noch häufig meiner. Das kann ich bestens wahrnehmen, und es tut mir sehr gut. Auch denken sie oft über spirituelle Themen nach. Wenn sie dann abends zu Bett gehen und diese Gedanken mit in den Schlaf nehmen, kann ich mich an diesen laben. Sie sind so etwas wie eine geistige Nahrung für mich.« Dann fuhr die Seele fort: »Bald feiert man auf der Erde wieder die Totengedenktage. Dann werden gewiss auch deine Angehörigen an dein Grab gehen, Gebete sprechen und an dich denken. Also, gedulde dich noch eine Weile.«

Die erste Seele war etwas skeptisch, fieberte aber dennoch den Gedenktagen entgegen.

Dann kam der Allerheiligentag.

Die Frau, der Sohn und noch zwei Cousins sowie ein Freund der zweiten Seele suchten kurz vor Sonnenuntergang ihr Grab auf. Jeder von ihnen entzündete feierlich ein Grablicht, dachte ganz intensiv und liebevoll an den Toten. Dabei versuchte er so lebhaft wie möglich, ein gemeinsames Erlebnis mit dem Verstorbenen in die Erinnerung zu rufen, bevor er das Licht auf dem Grab platzierte. Nachdem alle so verfuhren, sprachen sie ein paar Gebete. Dabei dankten sie innerlich dem Vorangegangenen dafür, dass sie mit ihm ihr Leben teilen durften. Auch bei der anschließenden Unterhaltung auf dem Heimweg stand der Tote im Mittelpunkt der Gespräche.

Die Seele, derer so gedacht wurde, erlebte das alles sehr intensiv mit. Es war für sie eine unfassbare Wohltat. Dieses liebevolle Gedenken wurde für sie geradezu zu einem Lebenselixier. Sie war ganz selig. Diese Seligkeit hielt noch lange über den Tag hinaus an.

Auch der Mann der ersten Seele suchte mit seinen beiden Töchtern am Allerheiligentag ihr Grab auf. Sie machten es aber nur, weil es Tradition war. Der Mann dachte: »Die Toten bekommen das ohnehin nicht mit, falls sie überhaupt noch existieren. Aber wenn wir keine Lichter aufs Grab stellen würden, könnten andere Leute glauben, wir hätten keine gute Ehe geführt.« So stellten die Drei besonders viele Lichter aufs Grab. Während sie das machten, dachten sie an alles Mögliche, nur nicht an die Verstorbene. Schon nach wenigen Minuten machten sie sich auf den Heimweg.

Die Seele, die sich so auf diesen Tag gefreut hatte, war maßlos enttäuscht. Wieder konnte sie keine Verbindung zu ihren Hinterbliebenen finden.

Am nächsten Tag schilderte sie der anderen Seele von ihrer Enttäuschung: »Mein Mann und meine Töchter haben wieder nicht meiner gedacht. Ich glaube, sie waren nicht einmal auf dem Friedhof. Ich bin sehr traurig.«

Die andere Seele versuchte sie zu trösten. »Ja, das ist wirklich schlimm! Aber man kann und darf die Menschen zu nichts zwingen. Dir bleibt wohl nichts anderes übrig, als zu warten, bis auch sie die Schwelle des Todes überschreiten. Erst dann könnt ihr wieder vereint sein.«

Für die vergessene Seele war das allerdings nur ein schwacher Trost...

Die Begegnung mit Verstorbenen an der Schwelle des Todes

F reddy Broy hatte über vierzig Jahre in einem Kohlebergwerk unter Tage schwer geschuftet. Als er seinen 60. Geburtstag feierte, war er sehr froh, endlich das Rentenalter erreicht zu haben.

Er hoffte, jetzt genügend Zeit zu finden, um seinen zahlreichen Interessen und Hobbys nachgehen zu können.

Doch die so gewonnene Zeit konnte er nicht allzu lange nutzen. Ein knappes Jahr nachdem er in den Ruhestand gegangen war, klagte er immer häufiger über Magenschmerzen und Übelkeit. Außerdem musste er sich oftmals übergeben, nachdem er eine Mahlzeit eingenommen hatte.

Der Internist, den er konsultierte, musste ihm eine niederschmetternde Diagnose mitteilen: Herr Broy hatte Magenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Bei der kurz danach durchgeführten Operation wurde ihm diejenige Hälfte seines Magens, in der sich das Krebsgeschwür eingenistet hatte, entfernt. Allerdings stellte sich heraus, dass der Krebs schon gestreut hatte. In einigen anderen Organen hatten sich bereits Metastasen gebildet.

Herr Broy, seine Frau und seine Tochter Gerda, die noch in der elterlichen Wohnung lebte, waren völlig schockiert. Der Arzt konnte nicht umhin, ihnen zu sagen, dass seine Lebenserwartung nur noch wenige Monate betragen werde.

In den folgenden Wochen konnte Herr Broy noch ein halbwegs normales Leben führen. Doch nach etwa vier Monaten verschlechterte sich sein Zustand drastisch. Da er keinen Appetit mehr hatte, aß er kaum noch etwas. Er wurde von Tag zu Tag schwächer. Schließlich war er so ausgezehrt und geschwächt, dass er das Bett nicht mehr verlassen konnte. Seine Frau und Gerda betreuten und pflegten ihn aufopferungsvoll.

Dann kam der Tag, dass er nicht mehr sprechen konnte. Der Krebs hatte sich auch im Kehlkopf breitgemacht. Darüber hinaus wurde er von starken Schmerzen geplagt. Als Frau Broy den Hausarzt bat, nach ihm zu schauen, meinte dieser: »Da ist nichts mehr zu machen. Machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut, dass Ihr Mann nicht mehr lange unter uns weilen wird, Frau Broy.«

Wegen seiner Schmerzen, injizierte der Arzt ihm ein starkes schmerzlinderndes Serum. Dann sagte er: »Das Einzige, was ein Arzt für Ihren Mann noch tun kann, ist, ihm seine letzten Tage so erträglich wie möglich zu gestalten. Übrigens, die Wirkung des Schmerzmittels hält nicht lange an. Ich rate Ihnen, sich an den Hospizverein zu wenden. Die haben erfahrene Palliativkräfte, die regelmäßig nach Ihrem Mann schauen und eine geeignete Schmerzmedikation durchführen.«

Am nächsten Tag rief Frau Broy beim Hospizverein an und schilderte das Problem. Bereits am gleichen Abend kam ein Palliativarzt, Dr. Weiss, vorbei. Er schaute sich den Patienten näher an und gab ihm eine Schmerzspritze. Anschließend sagte er zu Frau Broy: »Ich werde nun jeden Nachmittag vorbeikommen und die Medikation anpassen. Schmerzen muss Ihr Mann nicht erleiden.«

In der Tat kam Dr. Weiss an den folgenden drei Tagen und sorgte dafür, dass Herr Broy keine Schmerzen hatte.

Die Schmerzmedikation schien zu helfen. Herr Broy lag jetzt meistens ganz ruhig auf seinem Sterbelager, ohne Schmerzen zu signalisieren. Er war allerdings nicht mehr ansprechbar. Nachdem er schon seit Tagen nicht mehr selbst sprechen konnte, konnte er jetzt auch nicht mehr verstehen, was andere sagten. Mal mit geschlossenen, mal mit offenen Augen dämmerte und döste er vor sich dahin.

Eines Tages machte Frau Broy eine Beobachtung, die sie sehr verstörte. Ihr Mann lag wie immer auf dem Rücken. Er schaute mit leerem Blick nach oben und fuchtelte wild mit den Händen herum.

Es machte den Eindruck, als kommunizierte er mit irgendwelchen fiktiven Wesen. Manchmal vermittelte er den Eindruck, als ob er einem unsichtbaren Wesen die Hand schütteln wollte. Auch am nächsten Tag konnten Frau Broy und ihre Tochter dieses Gebaren einige Male beobachten. Beide waren der Meinung, dass es sich dabei um sehr bewegende Träume handeln würde. Einmal hatten sie den Eindruck, als ob er seine Lippen zu einem Wort formen wollte, das aber nur mit etwas Phantasie hörbar war. Sowohl seine Frau als auch Gerda waren sich sicher, dass das unhörbare Wort »Mutter« lautete.

»Dass er jetzt an verstorbene Verwandte oder Freunde denkt oder von ihnen träumt, mag ja nicht so verwunderlich sein. Dass er aber ausgerechnet an seine Mutter denkt, erstaunt mich«, meinte Frau Broy. Tatsächlich hatte ihr Mann selten über seine seit mehr als dreißig Jahren verstorbene Mutter gesprochen. Viel häufiger hatte er von seinem Vater und seiner Schwester Grete, die ebenfalls vor langer Zeit gestorben waren, erzählt.

Als Dr. Weiss am Nachmittag vorbeischaute, berichteten die beiden ihm von dem sonderbaren Verhalten. Herr Weiss rang sich ein gequältes Lächeln ab und meinte wissend: »Das ist nichts Ungewöhnliches. So etwas habe ich schon öfters gehört und auch selbst wahrgenommen. Damit Ihr Mann bzw. Ihr Vater keine Schmerzen zu ertragen hat, musste ich die Medikation recht hoch dosieren. Das hat natürlich den Preis, dass er nicht mehr bei klarem Bewusstsein ist und nicht mehr viel von dem, was um ihn herum geschieht, mitbekommt. Außerdem kann es dazu führen, dass der Patient halluziniert. Er bildet sich dann ein, Personen zu sehen, die definitiv gar nicht da sind. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Das ist für den Patienten ein angenehmer Zustand.«

Nachdem der Arzt sich verabschiedet hatte, trieb die beiden die Frage um, ob es wohl eine richtige Entscheidung war, der starken Schmerzbehandlung zuzustimmen. Insbesondere bedauerten beide sehr, dass es so nicht mehr möglich sein konnte, sich von dem Sterbenden zu verabschieden. Darüber hinaus gab es noch einige Dinge, die sie gern mit ihm besprochen hätten. All das war jetzt nicht mehr möglich.

Als sie so noch fragend und zweifelnd am Sterbebett saßen, bemerkten sie plötzlich, dass Herr Broy noch ein paar Mal tiefer und kräftiger als üblich atmete. Dann ging er über die Schwelle des Todes...

Ähnlich wie er in seinen letzten Erdentagen vor sich hin dämmerte, verblieb er auch nach seinem Übergang in die jenseitige Welt noch eine kurze Zeit lang in einem Dämmerzustand.

Doch dann wurde er gewahr, dass er von einer Schar von Seelen umgeben war. Er erkannte seine Eltern, seine Schwester Grete und noch etliche andere, die schon vor ihm die Schwelle des Todes überschritten hatten. Alle nahmen in freudig und herzlich in Empfang. Man feierte das Wiedersehen.

Seine Mutter sagte: »Schön, mein Junge, dass es dir gelungen ist, dich von deinem Erdenleib zu lösen. Du hast ziemlich kämpfen müssen, um diesen Schritt zu gehen. Ich habe dir dabei geholfen. Aber das weißt du ja. Du hast es ja bemerkt, dass ich schon vor deinem Übertritt bei dir war!«

Die zerstrittenen Nachbarn

D ie Nachbarn Peter Bachmann und Johann Goller lebten schon seit Jahrzehnten Tür an Tür in einer kleinen Gemeinde in Osttirol.

Man kann nicht gerade sagen, dass sie dicke Freunde waren, aber sie kamen zumindest lange Zeit bestens miteinander aus. Häufig saßen sie beieinander und sprachen über Gott und die Welt. Ihre Freizeitinteressen waren nahezu deckungsgleich. Hier waren sie auf einer Wellenlänge. So liebten sie es sehr, gemeinsame Bergwanderungen oder Fahrradtouren zu unternehmen.

Allerdings hatten sie insbesondere in politischen und gesellschaftlichen Fragen eine sehr konträre Anschauung. Da beide ziemlich rechthaberisch waren, führte es oftmals zu hitzigen Diskussionen. Nur hin und wieder kamen sie dabei auf einen gemeinsamen Nenner. Immerhin ließ jeder dem anderen seine Meinung, wenngleich er sie nicht teilen konnte. Diese Debatten führten jedoch nie zu einem Streit.

Doch das sollte sich zu Beginn des Jahres 2020, dem ersten Jahr der sogenannten »Corona-Pandemie«, drastisch ändern.

Peter war der festen Überzeugung, dass alles, was über die offiziellen Medien aus den Mündern der Politiker und Experten verlautbart wurde, uneingeschränkt den Tatsachen entspreche. Er hielt das Corona-Virus für einen Killer-Virus und begrüßte die aus seiner Sicht alternativlosen Corona-Maßnahmen bis hin zum Lockdown.

Johann sah das ganz anders. Er verurteilte die weltweit geschürte Panik und die Maßnahmen, die er für kontraproduktiv hielt.

Von nun an führte fast jedes Gespräch, das sie miteinander führten, früher oder später zu Streit, wenngleich sich alles noch im Rahmen bewegte.

Die Situation verschärfte sich gewaltig, als die Impfkampagne begann. Peter ließ sich von der Empfehlung, dass sich jeder Erwachsene impfen lassen solle, überzeugen. Er sah in der Impfung die einzige Möglichkeit, um der Pandemie Herr zu werden. Innerhalb weniger Wochen ließ er sich zweimal den kleinen Pieks geben. Er hielt die Impfstoffe für ein Geschenk des Himmels.

Johann hingegen verurteilte die öffentliche Propaganda, die zur Impfung riet. »Die Impfstoffe sind nicht hinreichend lang getestet worden. Heute kann kein Mensch wissen, welche Nebenwirkungen und Spätfolgen diese nach sich ziehen. Außerdem bin ich strikt gegen genbasierte Seren. Das, was du mit dir machen lässt, sind Menschenversuche!«, wetterte er gegen Peter.

Peter konterte: »Du bist unsolidarisch, weil du die Impfung verweigerst und somit andere, die sich nicht impfen lassen dürfen, gefährdest! Des Weiteren wirst du dich früher oder später infizieren und womöglich schwer erkranken.«

So und ähnlich verliefen ihre Gespräche in den folgenden Wochen. Es war kein Raum mehr für andere Themen. Corona beherrschte ihr Zusammensein.

Beide hatten also offensichtlich nicht nur völlig konträre, sondern auch sehr extreme Ansichten. Immer wieder versuchten sie, dem anderen ihre Sicht der Dinge argumentativ zu untermauern. Aber die Argumente des einen prallten am anderen ab. Keiner konnte den Standpunkt seines Nachbarn nachvollziehen oder gar tolerieren. Jeder der beiden beharrte darauf, recht zu haben und die Lage objektiv und richtig einzuordnen. Es gelang ihnen einfach nicht anzuerkennen, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte lag. Sie konnten zu keinem Konsens finden.

So arteten jetzt fast alle ihrer Gespräche in heftigen Streit aus. Peter beschimpfte seinen Nachbarn als »Verschwörungstheoretiker« und »Covidioten«. Johann war in der Wahl seiner Begriffe auch nicht gerade zimperlich. Er bezeichnete Peter als »dummen Mitläufer« und »unmündigen Bürger«.

Das Verhältnis der beiden wurde von Tag zu Tag schlechter. Es ging so weit, dass sie den Kontakt ganz mieden und den anderen nicht einmal mehr grüßten, wenn sie ihm über den Weg liefen. Am liebsten hätten sie sich gegenseitig ihre vermeintliche Dummheit ausgeprügelt. Aus den ehemals guten Nachbarn, die viele Jahre ein durchaus freundschaftliches Verhältnis gepflegt hatten, waren erbitterte Gegner geworden.

Im Herbst des Jahres 2021 gingen beide innerhalb weniger Wochen durch die Pforte des Todes. Übrigens, keiner von ihnen ist an Covid-19 gestorben!

Nachdem sich die beiden einigermaßen den Verhältnissen, die in den höheren Welten herrschen, angepasst hatten, trafen sie sich erstmals wieder.