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Utah Beach – Der Kilometer Null – blutig erkauft! Normandie, 6. Juni 1944: D-Day! Die Alliierten wagen den Sturm auf die "Festung Europa". Die Landung in der Normandie gilt als eine der größten Militäroperationen der Menschheitsgeschichte. Untrennbar mit ihr verknüpft sind menschliche Tragödien, militärische Fehlschläge, schier unglaubliche Einzelschicksale und abenteuerliche Geheimnisse … Der renommierte D-Day-Experte und Historiker Helmut Konrad Freiherr von Keusgen, bekannt aus einschlägigen Print-, Radio- und TV-Dokumentationen zum D-Day, ist weltweit geschätzt für seine in ihrer Art einzigartigen Aufarbeitung der historisch so bedeutsamen großen Invasion in der Normandie. Mit dem vorliegenden Buch "Utah Beach – Der Kilometer Null" liefert der Autor eine detaillierte Gesamtdarstellung der militärischen Operation ab, die sich an diesem Strandabschnitt zutrug, als tausende US-Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge im Angesicht des deutschen Abwehrfeuers den Invasionsabschnitt stürmten, um die „Festung Europa“ endgültig zu knacken. Profitieren Sie von der jahrzehntelangen, gründlichen Recherche des Autors. Von Keusgen hat unzählige Unterlagen und Pläne ausgewertet und mit zahllosen Veteranen beider Seiten gesprochen. Auf dieser Grundlage erarbeitete er die vermutlich umfangreichste Gesamtdarstellung über die komplexen Kampfhandlungen und die militärische Operation im US-Landeabschnitt Utah an der Küste der Normandie. Der Autor ergänzt seine Darstellungen des für beide Seiten grauenhaften Kampfes durch zahllose Berichte amerikanischer, deutscher und französischer Zeitzeugen. Ihre schonungslosen Erzählungen werden Sie direkt in die Ereignisse hineinsaugen und nicht mehr loslassen. In seinem Buch malt von Keusgen in unverhohlener Offenheit ein äußerst realistisches und höchst eindrucksvolles Bild des Krieges direkt vor Ihren Augen – ein grausames, blutiges Bild menschlicher Tragödien, Einzelschicksale und Verzweiflung. Die ausführlichen Beschreibungen der verworrenen Kampfhandlungen um eine der berühmtesten Militäroperationen im Zweiten Weltkrieg – die Landung am Utah Beach – sind wohl einmalig in der deutschen Militärliteratur. Auf dem schmalen Strandstreifen am Fuß der Halbinsel Cotentin ereigneten sich am ersten Invasionstag zahlreiche blutige Kämpfe, die zu Unrecht im Schatten anderer Invasionskämpfe stehen … Gerade die Zeitzeugenberichte aus erster Hand lassen Sie hautnah eintauchen in die geschichtsträchtigen Ereignisse während der Landung.
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Helmut Konrad von Keusgen
Utah Beach
Der Kilometer Null
Die Utah-Beach-Gedenkstätte 1973 mit dem damaligen (zweiten) Museum (links im Bild oben), an jener schmalen Passage zum Strand, von der aus die amerikanischen Truppen am 6. Juni 1944 ins Inland vorstießen – 29 Jahre zuvor.
Fotos: von Keusgen 1973
Diese Neuauflage obliegt dem Originaltext mit der alten deutschen Rechtschreibung.
Lieber Leser,
da es technisch nicht möglich ist, Ihnen die detaillierten Karten und Abbildungen hochaufgelöst in diesem E-Book zur Verfügung zu stellen, möchten wir Sie herzlich einladen, die PDF unter untenstehendem Link herunterzuladen. Diese enthält alle Karten und Abbildungen hochaufgelöst.
https://www.ek2-publishing.com/utah-beach
Vorwort
Die Cotentin-Halbinsel
Bonjour, wir sind die Besatzung
Die Situation auf dem Cotentin bis Ende 1943
Verstärkung für die Cotentin-Halbinsel
Ein echter Sperr-Riegel war das nicht…
Verstärkung der Cotentin-Ostküste durch Batterien am Grandcamp
Es lag etwas in der Luft…
Der „Tag X“ rückte immer näher…
Der Plan der Alliierten
Da wehte plötzlich ein schärferer Wind
Der 5. Juni
…und unablässig kamen Flugzeuge
Da hingen Brautkleider in den Bäumen
Verwirrungen
Letzte Vorbereitungen für den großen Angriff
Da sind sie!
…und dann kamen die Jabos
Die „Stunde Null“
Und es kamen immer mehr…
Der zerbrochene Wall
Fortschritt und Niedergang
Ein erfolgreicher D-Day
Der 7. Juni
Die Tage danach
Ein unaufhaltbarer Flächenbrand
Das Ende
„Utah Beach“ heute Das Monument Leclerc
Ein Haus mit einer besonderen Geschichte
Die Utah-Beach-Gedenkstätte
Quellenverzeichnis (56 Zeitzeugen)
Bildnachweis
Danksagungen
Impressum
Vorwort
In diesem bisher achten Buch meiner D-Day-Serie wird der Fokus der Berichterstattung auf den US-Landeabschnitt Utah gerichtet und somit die anderen vier Landeabschnitte der West-Alliierten an der Küste der Normandie weitestgehend außer Acht gelassen, da ihnen von mir bereits spezielle Buchtitel gewidmet sind. Um sich über die historischen Geschehnisse des gesamten Invasionsraums am D-Day (Deckname für den ersten Invasionstag), dem 6. Juni 1944, vollständig zu informieren, ist es sinnvoll, auch meine anderen zu dieser Serie gehörenden Bücher zu lesen.
Utah war der Deckname des westlichsten der fünf Landeabschnitte der Alliierten und ein weiterer, an dem amerikanische Truppen gelandet waren. Was die Invasion im Bereich Utah betrifft, sind besonders meine Buchtitel Sainte-Mère-Église und Merderet sowie Die Kanonen von Saint Marcouf zu empfehlen, denn sie ergänzen mit den darin speziell beschriebenen Luftlandeunternehmen der Amerikaner in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1944 hinter dem Utah Beach(dem Strandabschnitt im Landeabschnitt „Utah“) sowie die Küstenverteidigung durch die schweren Batterien Marcouf und Azeville, somit sich alles zu einem großen Gesamtbild zusammenfügt. Außerdem wird vorausgesetzt, daß dem Leser die historischen Ereignisse, die zur Besetzung Frankreichs im Jahre 1940 führten, bekannt sind.
Wie in keiner anderen Publikation, ist es hier ebenfalls nicht möglich, auf sämtliche Ereignisse, die in Bezug zum US-Landeabschnitt Utah stehen, einzugehen und sie zu beschreiben. In dieser Publikation wird schwerpunktmäßig auf den seeseitigen Angriff der Amerikaner eingegangen. Wie auch in allen meiner anderen Bücher, bilden Aussagen und schriftliche Dokumente 58 ehemaliger Kriegsteilnehmer und französischer Zeitzeugen den Schwerpunkt meiner Berichterstattung. Ganz besonders hervorzuheben ist hier die Erwähnung der Flak-Abteilung 497 des Flak-Sturm-Regiments 1 und ihres Einsatzes, die nur wenige Tage lang am Grandcamp aufgestellt war und infolgedessen offenbar in Dokumentationen anderer Autoren gewissermaßen „übersehen“ wurde.
Helmut Konrad von Keusgen
(Die nachfolgend zitierten Meldungen aus den Kriegstagebüchern der Marine und des Heeres erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es wurden lediglich die für eine Ergänzung beziehungsweise Erklärung wichtigen Passagen zum besseren Verständnis des Kriegsgeschehens ausgewählt.)
Ausblick vom Terrain des ehemaligen W 3 auf die Mündung der Vire-Bucht, der Baie du Grand Vey, und dem gegenüberliegenden, als Grandcamp bezeichneten Landstrich.
Foto: E. Schlegel 1958
Die Cotentin-Halbinsel
…oder der Cotentin, wie die Franzosen sagen, war noch vor einigen Jahrhunderten fast eine richtige Insel, lediglich durch einen schmalen Landstreifen bei der Lessayer Heide mit dem normannischen Festland verbunden. Sogenannte portes à flot (Flut-Tore), die an der Baie de Veys sowie an der Westküste gebaut wurden, können sich bei auflaufender Meeresflut schließen und bei eintretender Ebbe wieder öffnen. So ist der Cotentin (Département Manche) zu einer Halbinsel geworden, deren schmalste Stelle ein fast dreißig Kilometer breiter Korridor bildet. Daran, daß der Cotentin einst mehr eine Insel war, erinnern noch heute die weitläufigen, tiefliegenden Marais du Carentan, die Sümpfe vor Carentan.
Das weitläufige, flache Land hinter dem Strand der Cotentin-Ostküste liegt durchschnittlich nur zweieinhalb Meter über dem Niveau des Meeresspiegels (partiell sogar noch niedriger) und wird zwischen Valogne im nördlichen Teil, und Carentan, gewissermaßen am „Fuß“ des Cotentin gelegen, zum Meer hin als La Plaine (Die Ebene) bezeichnet. Das gesamte, durchschnittlich zwei Kilometer breite und neunzehn Kilometer lange Terrain wurde als Weideland genutzt und ist in sich leicht vertieft. Ein schmaler, etwas erhöhter Saum, der den ganzen Küstenstreifen entlang verläuft, begrenzt die Niederung zum Meer hin. Auf dieser Erhebung führt eine schmale Straße sehr nahe an der Küste entlang. La Plaine wird durchzogen von vielen, etwa eineinhalb Meter breiten Gräben, die mit ihrer Drainage-Wirkung selbst bei starken und länger anhaltenden Regenfällen deren Trockenhaltung bewirken.
Das an La Plaine angrenzende Hinterland hat ebenfalls eine besondere Charakteristik: Vom Inland her erstreckt sich noch bis etwa fünf Kilometer über die Linie Montebourg – Ste.-Mère-Église – Carentan hinaus weites Weideland, durchzogen von schier unendlich vielen sogenannten Knicks (wallartige Baum- und Strauchhecken) und hohen Natursteinmauern. Mächtige, schlanke, von Efeu umrankte Bäume säumen die Vielzahl schmaler Wege, die das als Bocage (Heckenlandschaft) bezeichnete, Land durchziehen. Lediglich kleine Plantagen knorriger Apfelbäume bringen gelegentlich etwas Abwechslung in die äußerst romantisch und urwüchsig anmutende Landschaft.
Dieser nordwestliche Landstrich der Normandie hat eine lange, kriegerische Geschichte, noch dazu mit zwei besonderen militärischen Großereignissen:
Am 27. September des Jahres 1066 brach Wilhelm der Bastard, der Herzog der Normandie, von Dives-sur-Mer (nahe Cabourg, im Département Calvados) mit 7.500 Soldaten und 1.900 Pferden in 619 sogenannten Drachenbooten zu einer Invasion Englands auf, um sich dort die Königskrone anzueignen. Am 14. Oktober desselben Jahres kam es dann bei Hastings zu einem neunstündigen, äußerst blutigen Kampf, in deren Verlauf der letzte angelsächsische König, Herald II., getötet wurde. Wilhelms Armee gewann die Schlacht, er wurde König von England und ging als Wilhelm der Eroberer in die Weltgeschichte ein.
Mit der Landung einer Invasionsarmee des englischen Königs Eduard III. am 12. Juli 1346 auf dem nördlichen Teil der Cotentin-Halbinsel, nahe Saint-Vaast-la-Hougue, begann der Hundertjährige Krieg (1346-1446). Seit damals hatten die Franzosen zur Verhinderung einer erwarteten weiteren Invasion an ihrer Kanalküste Festungs- und Verteidigungsanlagen durch ihren bedeutenden Festungsbauer, Sébastian Le Prestre de Vauban (1633-1707),errichten lassen – auch auf der größeren der beiden Saint-Marcouf-Inseln – 7,5 Kilometer jenem Küstenstreifen vorgelagert, an dem am 6. Juni 1944 eine weitere Invasion stattfinden und der als Utah Beach in die Weltgeschichte eingehen sollte.
Die Invasionsarmee des Herzogs Wilhelm im Jahre 1066 war zu ihrer Eroberung Englands an der breitesten Stelle des Ärmelkanals ausgelaufen. Auch jene des englischen Königs Eduard III. hatte 1346 ihren Gegner über die breiteste Stelle des Ärmelkanals angegriffen – ebenso die Invasions-Armeen der West-Alliierten 1944…
Bonjour, wir sind die Besatzung
Ende Juni 1940 erreichten die ersten deutschen Besatzungstruppen die Normandie und drangen weiter in westliche Richtung vor, Anfang Juli desselben Jahres auch bis auf die normannische Cotentin-Halbinsel. Zu ihrer eigenen Sicherheit wurde im gesamten besetzten Teil Frankreichs von den Soldaten jedes Haus nach Waffen und Fotoapparaten durchsucht, denn diese zu besitzen, war nun verboten, um somit Spionage und Anschläge zu vereiteln.
Die deutsche Besatzung bestand anfangs lediglich darin, Verwaltungsämter zu übernehmen, beziehungsweise an der Seite des örtlichen Verwaltungspersonals zu arbeiten und Kontrollfunktionen auszuführen. Die Stationierung von Truppen beschränkte sich im Wesentlichen auf Wachsoldaten, dennoch wurde vieles im alltäglichen Leben der Franzosen durch die deutsche Verwaltung anders.
Da waren sie schon wieder, die so sehr verhaßten „Boches“. Viel zu nah war noch der Erste Weltkrieg und noch viel zu frisch die Erinnerungen an den großen Feldzug der Deutschen gegen die Franzosen, und viel zu schmerzlich waren noch die Wunden – ganz besonders bei den Kriegsversehrten, wie dem französischen Veteranen Robert Blanchard (unten), dem im März 1916 eine deutsche Granate bei Verdun den linken Fuß abgerissen hatte.
Fotos: Archiv von Keusgen
Ab dem 1. September 1941 wurde die erst am 2. Mai im Wehrkreis IX aufgestellte 709. Infanterie-Division in die Bretagne verlegt. Im Dezember desselben Jahres bezog sie ihren endgültigen Aufstellungsraum auf der normannischen Cotentin-Halbinsel. Die im Angriffsfall von ihr zu verteidigende westliche, nördliche und östliche Küstenfront erstreckte sich somit über eine Gesamtlänge von 189 Kilometern (üblich waren maximal 20 Kilometer für eine einzige Division). Dieser äußerst nachteilige Zustand sollte sich erst im April 1944 ändern.
Am 7. Dezember 1941 führten die mit dem Deutschen Reich verbündeten Japaner gegen den US-Marinestützpunkt Pearl Harbor einen folgenschweren Luftangriff, denn als Reaktion darauf traten die Amerikaner in den Krieg ein – die bisher Deutschland mit Kriegsmaterial beliefert hatten.
Von nun an wuchs für Hitler die Gefahr eines Landeunternehmens der somit deutlich stärker gewordenen West-Alliierten an den von Deutschland besetzten Küstenregionen vom Nordkap bis zu den Pyrenäen. Aus diesem Grund entschied das OKW (Oberkommando der Wehrmacht) die unmittelbar küstennahe Errichtung eines durchgängigen Verteidigungsgürtels mit Schwerpunkt an der engsten Stelle des Ärmelkanals, der 34 Kilometer schmalen Straße von Dover bei Calais.
Ein mehr als viertausend Kilometer langer und als uneinnehmbar geplanter Küsten-Sperriegel sollte als sogenannter Atlantikwall bezeichnet werden und aus einer langen Reihe von Stützpunkten und Widerstandsnestern bestehen. Die Entscheidung für dieses Mammut-Projekt wurde noch am 14. Dezember desselben Jahres getroffen. Bereits im selben Monat wurde mit der Einrichtung der ersten (vorerst) kleinen, relativ schwachen und – sofern überhaupt – überwiegend mangelhaft befestigten und weit voneinander entfernten Verteidigungsanlagen an der gesamten Küstenlinie begonnen. Ihre personelle Besetzung war vorläufig nur sehr gering. Anlagen, in denen (hauptsächlich später) ganze Kompanien bzw. Batterien stationiert wurden, erhielten die Bezeichnung Stützpunkt. Anlagen mit Teilen von Kompanien, nicht selten sogar nur einer einzigen Gruppe, wurden jeweils als Widerstandsnest bezeichnet. Der Einfachheit halber wurden sämtliche dieser Anlagen von Osten nach Westen durchnumeriert, immer von 1 bis 100. Um die in den jeweiligen Küstenabschnitten einzelnen 100er-Gruppen besser voneinander unterscheiden zu können, erhielten diese Anlagen jeweils in abwechselnder Folge die Kurzbezeichnung WN oder W (beispielsweise WN 1 bis WN 100, dann W 1 bis W 100 und wieder WN 1 und so weiter). Die deutschen Soldaten sprachen meistens verallgemeinernd von Stützpunkten.
In den langen „Atlantikwall“ mit einbezogen wurden auch noch intakte, küstennahe deutsche und französische Verteidigungsanlagen aus dem Ersten Weltkrieg (rechts) sowie deutsche und französische Geschütze aus derselben Zeit (unten), die anfangs lediglich provisorische Artilleriestellungen bildeten.
Fotos: Archiv von Keusgen
Die Areale waren von den Soldaten lediglich mit ein paar Holzpfosten und einfachem, einreihigen, dünnen Draht eingezäunt worden. Die meisten dieser Anlagen waren nur sehr notdürftig ausgestattet und wenig effektiv befestigt und getarnt. Als Unterstände dienten in manchen der Anlagen lediglich kleine Holzhütten oder gar nur mit Brettern „überdachte“ Dünen. Die wenigen Geschütze wurden lediglich mit Tarnnetzen oder irgendwelchen Zweigen mit etwas Grünzeug daran vor der feindlichen Luftaufklärung zu verbergen versucht. Der französischen Bevölkerung waren sie ohnehin bekannt, fast überall sogar völlig frei zugänglich und für die Angler und Fischer zum und vom Meer durchgängig, zumal sich ein großer Teil der Franzosen sehr freundlich und kooperativ verhielt.
Doch nicht alle, die kooperativ erschienen, waren dieses aus reiner Sympathie für die Deutschen, oder um mit ihnen Geschäfte zu tätigen. Da gab es auch noch die verschiedenen Gruppierungen der Résistance, der im Untergrund agierenden französischen Widerstandsbewegung. Ursprünglich von Intellektuellen, ehemaligen Politikern und Offizieren ins Leben gerufen, setzten sich die Mitglieder dieser von den Deutschen verbotenen Organisation schnell aus sämtlichen Volksschichten und Berufsgruppen zusammen. Alles, was sie als wissenswert erachteten, sandten sie an den britischen Geheimdienst. Die französische Widerstandsbewegung mit ihren schon bald vielen Agenten bediente sich dabei einer der herkömmlichsten und ältesten Methoden der Nachrichtenübermittlung – der Brieftauben. „Geladene“ Tauben trugen in ihrem dichten Gefieder versteckte, oder am Bein befestigte, kleine Aluminiumkapseln, in denen sich auf hauchdünnes Reispapier geschriebene, verschlüsselte Botschaften befanden. Auf diesem direkten Weg gelangten Meldungen über deutsche Truppenbewegungen, ihre Stärke, den Bau von Bunkeranlagen, die Installation schweren Kriegsgerätes und vieles mehr nach Großbritannien. Deshalb waren inzwischen in Strandnähe, auf Sichtweite, spezielle deutsche Wachtposten aufgestellt worden, die mit Schrotflinten auf jede Taube schossen, die vom französischen Festland in Richtung Ärmelkanal flog.
Die Situation auf dem Cotentin bis Ende 1943
Zu jener Zeit, da man mit den Bauarbeiten am „Atlantikwall“ begonnenen hatte, wurden in Nordfrankreich noch offizielle, ordentliche Friedhöfe und Monumente für die militärischen Opfer des Ersten Weltkriegs angelegt…
Fotos: Archiv von Keusgen
Etwa zweieinhalb Kilometer von der Küste entfernt steigt das nur wenig über dem Meeresspiegel gelegene Land innerhalb von zweihundert Metern in einem Winkel von maximal 16° auf durchschnittlich etwa zwanzig Meter an. Lediglich im zentralen und westlichen Inland gibt es vereinzelt deutlich höhere Erhebungen. Die Gestade des Küstenstreifens an der östlichen Seite der Cotentin-Halbinsel teilen sich im Strandbereich in zwei unterschiedliche Streifen: Von St. Vaast im Norden, weiter in südöstliche Richtung über Quinéville, bis annähernd zwei Kilometer über Ravenoville-Plage(Strand) hinaus, wo nur ein paar Meter neben dem Strand die schmale Küstenstraße D 421 verläuft. Eine stellenweise bis zu mehr als zwei Meter hohe Natursteinmauer, die bei einer eintretenden Springflut das küstennahe Hinterland mit den wenigen kleinen Weilern (die seit 1944 bis heute deutlich an Ausdehnung zugenommen haben) schützen soll, trennt über diese gesamte Strecke den Strand von der Fahrbahn. Doch von da ab führt die Straße mit bis zu fast vierhundert Meter Abstand vom Strand entfernt weiter, da sich dort beginnend zwischen ihr und dem Strand eine Menge bis zu mehr als fünf Meter hoher, heller Dünen befinden. Diese unregelmäßige Dünenlandschaft erstreckt sich bis in die Vire-Bucht, der Baie de Vey, im äußersten Süden der Ostküste.
Der Strand vor dieser Küste ist infolge seines außergewöhnlich geringen Gefälles zum Meer hin bei Niedrigwasser mehrere hundert Meter breit, an manchen Stellen und entsprechend des jeweiligen Tide-Koeffizienten (der sich nach der zeitweiligen Mondphase richtet) bis zu 700 Meter.
Auf dem erhöhten Hinterland verläuft parallel zur Küste, in einer Entfernung von 2,8 bis 4,1 Kilometer, von Norden her die zweispurige Landstraße D 14 über St. Vaast mit seinem kleinen Fischerhafen, dann über die Dörfer und Kleinstädte Lestre, Fontenay, St. Marcouf, Ravenoville, Foucarville, St.-Germain-de-Varreville, Audouville, Ste.-Marie-du-Mont und Vierville nach Carentan. Von dieser Straße führen insgesamt 12 schmale, zur damaligen Zeit nur wenig befestigte Verbindungswege in unregelmäßigen Abständen zueinander bis zur Küstenstraße hinunter.
Nach der Besetzung der Cotentin-Halbinsel wurde das unterhalb der D 14 liegende Küstenflachland durch das Aufstauen mehrerer kleiner Bachläufe sowie dem Schließen einer wichtigen Schleuse an der Douve in weiter Ausdehnung und parallel zur Küste mit einer durchschnittlichen Breite von 1,8 Kilometer aufgestaut – eine passive Abwehrmaßnahme gegen jede Art von Luftlandeunternehmen. Da diese Straßen nur unerheblich höher liegen, als das sie umgebende Terrain, waren die meisten von ihnen infolge des aufgestauten Wassers teilweise oder sogar gänzlich überflutet worden, manche bis zu einem Meter Tiefe. Viele der in diesem Küstenbereich wohnenden Franzosen sahen sich durch diese Maßnahme gezwungen, kleine Boote zu benutzen, um von dem nun nur noch sehr schmalen Küstenstreifen ins etwas höher gelegene Hinterland gelangen zu können, oder umgekehrt.
Parallel zum Überschwemmungsgebiet hinter dem Küstenstreifen war in durchschnittlich zwölf Kilometern Abstand, nahe westlich Ste.-Mère-Église1, ein weiteres, noch breiteres Gewässer entlang des Merderet-Baches aufgestaut worden.
Soldaten des Georgier-Bataillons auf einem der großen Anwesen nahe St.-Martin-de-Varreville. Die hell uniformierten Männer gehörten zu jenen, die zu den Ausbauarbeiten derKüstenbefestigungen eingesetzt wurden; aber auch Angehörige der Wehrmacht mußten derartige Arbeiten verrichten.
Fotos: Archiv von Keusgen
Zwischen Ste.-Mère-Église und der 8,5 Kilometer entfernten Ostküste befindet sich die Commune d’Audouville-la-Hubert mit dem gleichnamigen Weiler. Auf einem nahegelegenen, großen Gehöft wohnte die Bauernfamilie Birette. Ein Teil dieses Anwesens war von Soldaten der Wehrmacht belegt – hauptsächlich von einem Zug Georgiern des Ost-Bataillons 795. Ihr Zugführer war der 40-jährige deutsche Stabsfeldwebel Heinz Bertram. Das Bataillon unterstand dem Kommando eines Hauptmanns namens Stiller. Zusammen mit zwangsverpflichteten (dennoch für ihre Arbeit bezahlten) Franzosen aus der näheren Umgebung arbeiteten die Georgier seit einigen Wochen an der Errichtung von Küsten-Verteidigungsanlagen.
Auch der 20-jährige Bauernsohn Bernadin Birette war zeitweise verpflichtet worden. Eines Tages sollte er mit einem Pferdefuhrwerk Artilleriegranaten zum Bahnhof von Chef-du-Pont fahren. Da es gerade Mittag war, stellte der junge Mann sein Fuhrwerk vor der Bahnhofsgaststätte ab und begab sich zum Essen. Das bemerkte der Stabsfeldwebel und schimpfte mit ihm, weil er mit dieser leichtsinnigen Tat gegen die strengen Sicherheitsvorschriften der Wehrmacht verstoßen würde. Doch Bernadin entgegnete gelassen: „Es ist Mittag, und mittags esse ich.“
Der Stabsfeldwebel war empört. Bernadin könne doch jetzt nicht einfach eigenmächtig eine Pause einlegen…
Der erwiderte in ruhigem Ton: „Ich brauche nur eine Stunde, um zu essen.“
Nach exakt einer Stunde bestieg der Bauernsohn wieder seinen Wagen und erledigte seinen Auftrag.
(Bereits einige Zeit vor der Invasion hatte dieser Stabsfeldwebel der Familie Birette angeboten, daß sie nach dem Krieg seiner Einladung nach Deutschland folgen möchte – als Entschuldigung dafür, daß ihr Anwesen von deutschen Soldaten besetzt worden war.)
Zu Beginn des Februar 1942 kam an der normannischen Küste schlechtes Wetter auf, wie für diese Region und zu dieser Zeit nicht unüblich ist. In diesem Jahr sollte es jedoch ganz besonders schlecht werden. Mehrere Tage lang wütete ein starker, orkanartiger Sturm, der das Meer derart anhaltend an die Küste drückte, daß dadurch eine schwere Sturmflut entstand. Etliche der kleinen, strandnahen, und noch provisorischen Verteidigungsanlagen wurden im wahrsten Sinne des Wortes fortgeschwemmt. Auch die beim Weiler Grand Hameau des Dunes schon im Dezember 1941 als eine der ersten deutschen Verteidigungsanlagen am gesamten Atlantikwall in Strandnähe stationierte 2. Batterie des Heeres-Küsten-Artillerie-Regiments 1261 mit ihren vier 10,5-cm-Kanonen des Hauptmanns Dr. Hugo Treiber wurde ganz erheblich in Mitleidenschaft gezogen.
Gegen feindliche Luftlandungen war ein fast 15 Kilometer langes und teilweise bis zu zwei Kilometer breites Überschwemmungsgebiet angelegt worden. Darüber hinweg führten lediglich zwei schmale Holzstege bis zur Küste hinab, die zu überqueren nicht ungefährlich war. Oder man mußte mittels kleiner Boote übergesetzt werden.
Fotos: Kollektion Dr. H. Treiber
Als Konsequenz aus der Erkenntnis einer möglichen weiteren Sturmflut wurde entschieden, die Batterie schnellstens zum 29 Meter höher gelegenen und 4,8 Kilometer vom Meer entfernten Dorf Azeville zu verlegen, wo der Batteriechef (Foto oben, 2. von links) und seine Artilleristen ohnehin in kleinen Privathäusern Quartier bezogen hatten (auch die meisten der in den kleinen Widerstandsnestern an der Küste stationierten deutschen Soldaten wurden in Privathäusern einquartiert, häufig im unmittelbaren Küstenbereich – nicht selten nach der Zwangsräumung dieser Häuser).
Bereits ab März desselben Jahres war eine Abteilung der Organisation Todt damit beschäftigt, im nördlichen Bereich des neuen, unmittelbar bei Azeville befindlichen und weitläufigen Stützpunktareals den Beton für vier runde Geschütz-Ringstellungen in den Erdboden zu gießen und Bunker zu errichten. (Derartige Bautätigkeiten fanden an vielen Stellen – nicht nur – der französischen Küste statt.) Doch bis zum Bezug der neuen Batterieanlage mußten der Chef und seine Männer täglich über das breite Überschwemmungsgebiet zu ihrer derzeit noch am Strand befindlichen Batterie gelangen. Da aber gerade jene beiden Wege dorthin überflutet waren, hatte Dr. Treiber von einem Bauern einen alten Holzkahn ausleihen lassen, um mit seinen Artilleristen keinen allzu weiten und zeitraubenden Umweg nehmen zu müssen. Allerdings wurden einige der überfluteten Wege schon bald von sogenannten hilfswilligen Franzosen und jungen Rekruten mit schmalen Holzstegen überbaut. Von Azeville bis zum Rand des Überschwemmungsgebietes ließ sich der Batteriechef entweder von einem seiner Artilleristen mit einem Pferdefuhrwerk fahren oder bediente sich selbst eines kleinen Feldbahnanhänger-Chassis der Organisation Todt. Diese hatte vom Bahnhof bei Ste.-Mère-Église über eine Streckenlänge bis 16 Kilometern Schienen für den Nachschub von Baumaterial bis zu den Baustellen der Batterien bei Azeville und Crisbecq verlegt – auch für die gelegentliche Beförderung auf der Cotentin-Halbinsel neu eingetroffener deutscher Soldaten.
(Die gesamte Geschichte Dr. Treiber’s schwerer 2. Heeres-Küsten-Batterie sowie der benachbarten schweren 2. Marine-Küsten-Batterie und ihrer dramatischen Einsätze anläßlich der Invasion 1944 wird im Titel dieser Buchserie „Die Kanonen von Saint Marcouf“ ausführlich beschrieben.)
Dr. Treiber’s täglicher Weg von seinem Quartier zu seinem an der Küste gelegenen Gefechtsstand war durchaus nicht unproblematisch…
Fotos: Kollektion Dr. H. Treiber
In einer Lagebesprechung am 13. August 1942 – nur wenige Tage vor dem britisch-kanadischen (Test-)Angriff auf die nordfranzösische Küste nahe Dieppe – verlangte Hitler die Errichtung von 15.000 Bunkern und Verteidigungsanlagen. Mit der Durchführung dieses Mega-Projekts wurde weiterhin die Organisation Todt beauftragt, die bereits maßgeblich an der Errichtung der ersten Bunkeranlagen beteiligt gewesen war. Auch war sie zuvor am sogenannten Westwall eingesetzt worden und hatte nach Kriegsbeginn primär zerstörte Eisenbahnlinien, Brücken und Straßen sowohl im Deutschen Reich wie auch in den besetzten Gebieten wieder instandgesetzt.
1 In Frankreich tragen viele Ortschaften die Namen von Heiligen – „Saint“ bei männlichen Heiligen, „Sainte“ bei weiblichen. So werden sie entweder St. (maskulin) oder Ste. (feminin) abgekürzt.
Ein echter Sperr-Riegel war das nicht…
In den erst knapp vier Monaten, seit Rommel seinen Dienst am Atlantikwall ausübte, waren in vielen Widerstandsnestern und Stützpunkten Schützengräben ausgehoben und massive Bunker errichtet worden. Die Verteidigungsanlagen hatte man deutlich vergrößert und eine Menge offener Feldstellungen waren entstanden. Außerdem war eine stärkere Bewaffnung vorgenommen worden und die Anlagen durch eigene MG- und Granatwerferstände sowie mittels Stacheldraht und Minenfeldern gesichert. An der Küste befanden sich in vorderer Linie viele Flak-Stände, vornehmlich mit 3,7-cm-Geschützen. Größere Kaliber hatte man im näheren Hinterland aufgestellt. Sehr viele der an der Atlantikküste installierten Waffen stammten aus von gegnerischen Armeen erbeuteten Beständen. So stellte sich schon früh heraus, daß es wegen der vielen unterschiedlichen Kaliber mit der Munitionszuteilung und -versorgung nicht einfach sein würde. An den Stränden waren nach Rommel’s Idee massenhaft Strandhindernisse verschiedener Art errichtet und zahlreiche Minenfelder angelegt worden. Auch strategisch wichtige Verkehrswege waren stellenweise vermint worden. Dennoch, der enorm große Bedarf an Minen, den Rommel zur passiven Abwehr forderte, konnte nicht geliefert werden. Dazu sagte Hans Lücking: „Da hatte man oft Schilder aufgestellt, die zwar vor Minen warnen und abschrecken sollten, doch waren an diesen Stellen gar keine verlegt worden – eine Maßnahme, die nicht selten der Fall war und an der sich an vielen Stellen bis in den Juni hinein nichts mehr änderte.“
Hans Lücking war als Kartenzeichner für Rommel’s Stab tätig und kannte infolge dessen sämtliche Verteidigungsanlagen im späteren Invasionsraum sehr genau.
Foto: Kollektion H. Lücking
An der Cotentin-Ostküste waren somit fast sämtliche Verteidigungsanlagen deutlich verstärkt und viele neue angelegt worden. Davon befanden sich etliche allerdings erst noch im Entstehen. Als im Januar 1944 Oberstleutnant Günther Keil zu einer Besichtigung der Küstenverteidigungsanlagen an der Ostküste erschien, war ihr Ausbau seit dem Vorjahr nur sehr wenig vorangekommen. Zwei Drittel der Anlagen waren noch im Planungsstadium. Überall gab es Schwierigkeiten. Aus Mangel an Beton wurden – wie an der Ostfront – Bunker aus Holz gebaut. Keil war der Ansicht, daß zwischen den einzelnen Anlagen der Abstand nicht 1.400 Meter überschreiten dürfe, so daß sie sich bei einem feindlichen Angriff gegenseitig Feuerschutz geben konnten, andernfalls gegnerische Truppen zwischen ihnen einigermaßen ungehindert ins Hinterland vordringen könnten. Doch die Abstände betrugen stellenweise bis zu fast 3.000 Meter. Der Oberstleutnant sprach von einer „Mauer der Illusion“.
Plan der deutschen Widerstandsnester im späteren US-Landeabschnitt „Utah“.
In den Küstenverteidigungsanlagen ließ Keil nur geringe Kräfte positionieren; das Gros der Truppe sollte im Hinterland stationiert sein. Die Verteidigung der Cotentin-Ostküste war dem I. und II. Bataillon des Grenadier-Regiments 919 übertragen worden. In den deutlich unterschiedlich dimensionierten Widerstandsnestern dieses Regiments waren in direkter Strandnähe etliche über- und halb-unterirdische Unterstände, Granatwerfer- und MG-Stände sowie kleinere Kasematten angelegt worden. Aber hauptsächlich hatte man offene Feldstellungen beibehalten oder zusätzliche angelegt. Die Verteidigungsanlagen waren von unterschiedlich breiten Minenfeldern umgeben – nicht selten waren aber nur Schilder aufgestellt worden, die vor Minen warnten, die aber gar nicht verlegt worden waren. Sämtliche Widerstandsnester und Stützpunkte waren neu durchnumeriert und in diesem Bereich lediglich mit „W“ (anstatt wie bisher mit „WN“) abgekürzt deklariert worden. Stützpunkte waren in Kompaniestärke mit Verpflegung für drei Wochen verproviantiert, Widerstandsnester mit nur einigen Zügen für bis zu zwei Wochen.
Die vormals als „WN“ deklarierten Verteidigungsanlagen bestanden bis zum Beginn ihres Ausbaus (ab Februar 1944) meistens nur aus provisorischen Holzunterständen, die lediglich mit etwas Erde oder Sand überschüttet worden waren, und in denen man nur ein Maschinengewehr, einen Granatwerfer oder eine Kanone in Stellung gebracht hatte. Mehrreihige Drahtverhaue waren eine Seltenheit – auch noch nach ihrem Ausbau, wie hier das ehemalige WN 102 an der westlichen Seite der Vire-Bucht, der Baie du Grand Vey. Ab Februar 1944 wurde es zu W 3 umbenannt (auch alle 97 in westliche Richtung folgenden WN wurden mit W neu deklariert).
Foto: Kollektion H. Lücking
W 1(ursprünglich WN 100) war das am südlichsten gelegene Widerstandsnest in der Bucht von Isigny und stellte die äußerste rechte Flanke der Verteidigungsanlagen am Strand der Cotentin-Ostküste dar. Hier befand sich jene Grenze, wo der Bereich der 352. Infanterie-Division endete und an die sich, nach Norden und Nordwesten fortsetzend, die 709. Division anschloß. In seinem südlichen Teil umzäunte das Areal den Weiler Le Grand Vey und war mit knapp vierhundert Metern Länge zur Sicherung der Zufahrt zum Carentan-Kanal angelegt worden – ebenso wie W 2 und W 2a. Bewaffnet war die Verteidigungsanlage mit zwei 5-cm-Kampfwagenkanonen (KwK), einer kleinen Kasematte des Typs H 612 mit einer 4,7-cm-Panzerabwehrkanone, einem drehbaren Renault-Panzerturm mit einer 3,7-cm-Kanone auf einem betonierten Geschützstand, zwei Tobruk-Ständen mit 5-cm-Granatwerfern und einem Tobruk-Stand für Maschinengewehre. Außerdem gab es hier vier Gruppenunterstände, von denen zwei mit MG-Ständen versehen waren, sowie drei Maschinengewehren in offenen Positionen. Im Norden und Süden grenzte jeweils in direkter Strandnähe ein Minenfeld an das Widerstandsnest.
Der Gefechtsstand der an diesem Strandabschnitt stationierten 2. Kompanie des Grenadier-Regiments 919 war in einem Privathaus im Weiler Le Grand Vey etabliert.
W 1 befand sich unmittelbar an der breiten Isigny-Bucht (Foto rechts). An der bei Flut ins Wasser führenden Rampe für Fischerboote hatte die Organisation Todt direkt an die Flut-Mauer einen speziellen Tobruk-Stand angebaut und auf ihn eine Renault-Panzerkuppel mit einer 3,7-cm-Kanone montiert (Foto unten – nach der Einnahme durch die Amerikaner).
Foto: US National Archives
Eine etwas mehr als einen Meter hohe Mauer, die vor der Meeresflut schützensoll, verlief schon 1944 an fast der gesamten Westseite der Isigny-Bucht entlang.
Fotos rechts und unten: von Keusgen
W 2 (ursprünglich WN 101) befand sich 800 Meter weiter nördlich, am 900 Meter vor Pouppeville gelegenen Strand und war lediglich feldmäßig angelegt. Die Schützenlöcher waren in die Dünen gegraben, fünf Meter im Durchmesser. Ringsum waren Sandsäcke aufgeschichtet, hinten etwas höher als vorn. Oben drüber war jeweils ein Tarnnetz gespannt. Ebenso war auch ein Artillerie-Beobachtungsstand improvisiert. An den Flanken der Anlage war je ein MG’42 in Stellung gebracht, in der Mitte des etwa dreihundert Meter langen Widerstandsnestes stand ein Betonblock und auf ihm ein drittes MG’42 auf einer Lafette. In zwei kleinen betonierten Stellungen waren zwei von Tarnnetzen verdeckte Kampfwagenkanonen aufgestellt. Die eine war eine 5-cm-Skoda-Kanone, die andere in der Kuppel eines Renault-Panzers. Auf der linken Seite des W 2 stand eine 7,5-cm-Pak – ohne jede Deckung und Tarnung. Als zusätzliche und ganz besondere Waffe waren am 21. Mai noch sechs Kleinstpanzer geliefert worden – sogenannte Goliaths. Sie waren unbemannt, besaßen kein Geschütz und mittels eines dünnen, zweiadrigen Kabels, das über eine am Heck befindliche Rolle lief, fernlenkbar. Infolge ihrer nur geringen Größe (150 cm lang, 90 cm breit, 60 cm hoch) und mit einem Tarnanstrich versehen, waren sie in unebenem Gelände kaum zu erkennen. Bei Artilleriebeschuß boten sie ein nur kleines, durch ihre wacklige Fortbewegung sehr schwer auszumachendes Ziel. Ihre Geschwindigkeit richtete sich nach dem Untergrund, auf dem sie fuhren und reichte von 8 bis 16 km/h, doch war ihr Steuersystem äußerst empfindlich. Leer wogen die Goliaths 369 Kilo – aber in ihrem Inneren befanden sich 60 Kilo Sprengstoff.
Die mit Dynamit beladenen Sprengpanzer waren für die Zerstörung von Brücken, Befestigungsanlagen und Hindernissen aller Art konstruiert worden. An der Cotentin-Ostküste sollten sie auf dem Strand gegen feindliche Landungs- und Kraftfahrzeuge sowie Panzer eingesetzt werden.
Die offizielle Bezeichnung dieses Kleinstpanzers lautet, „Leichter Ladungsträger Goliath A“ und wurde als sogenanntes „Verlustgerät“ bezeichnet, da er bei der Sprengstoffzündung mit explodierte.
Foto: von Keusgen
W 2a, das weitere 550 Meter weiter nördlich lag, war noch im Entstehen begriffen. Deshalb befand sich die eigentliche Verteidigungsstellung, in diesem Bereich 860 Meter vom Meer zurückgelegen, im W 6, im Weiler Pouppeville. (W 2 und W 2a waren jedoch bis zur Invasion noch immer nicht gänzlich fertiggestellt.)
W 3(ursprünglich WN 102) befand sich weitere 1.400 Meter nördlich, beim Weiler Beau Guillot, und an der fünfeinhalb Kilometer breiten Mündung der Isigny-Bucht, die es zu sichern hatte. Bestückt war das ebenfalls noch unfertige Widerstandsnest mit einer 5-cm-KwK und zwei 4,7-cm-Panzerabwehrkanonen, alles noch in offenen Feldstellungen.
Die tief in den Strand eingeschwemmten und mit Minen bestückten Pfähle bildeten vor der Küste eine gefährliche Maßnahme zur passiven Abwehr anlandender feindlicher Truppen (hier vor dem W 3, siehe Seite 6).
Foto: US National Archives
W 4 (ursprünglich WN 103) lag 1.050 Meter vom Strand entfernt, unmittelbar im Weiler La Madeleine, 860 Meter hinter dem W 5, und war ebenfalls noch im Ausbaustadium befindlich und nicht mit Waffen bestückt.
W 5(ursprünglich WN 104) lag 1.200 Meter vom W 3 entfernt, direkt am Strand. Es erstreckte sich über eine Länge von 420 Metern und einer Breite von 290 Metern. Im W 5 war ein 46 Soldaten starker Zug der 3. Kompanie I./919 stationiert. Stützpunktführer war ein von der Ostfront in die Normandie versetzter, fronterfahrener und durchaus mutiger 23-jähriger Leutnant namens Arthur Jahnke.
Stützpunktführer Leutnant Arthur Jahnke
Grafische Darstellung des Widerstandsnestes 5.(Rekonstruktion auch anhand amerikanischer Luftaufnahmen vom 6. Juni’44.)
Zwischen den hohen Dünen waren, unmittelbar am Strand gelegen, zwei offene Ringstellungen mit je einer 5-cm-KwK entstanden, und eine weitere hatte ihren Standplatz in einem Kleinstschartenunterstand des Typs H 667 erhalten – bei Flut ebenfalls unmittelbar am Wassersaum. Weiterhin gab es im W 5 inzwischen drei Tobruk-Stände für Maschinengewehre, einen Tobruk-Stand für Granatwerfer und einen mit einer Panzerkuppel mit einer 3,7-cm-Kanone. Drei weitere Maschinengewehre standen in offenen Feldstellungen. An dem einzigen schmalen Durchgang vom Strand zum Widerstandsnest (und weiter ins Hinterland) war eine 4,7-cm-Pak in Stellung gebracht worden, zwei Festungsflammenwerfer installiert und eine mobile 8,8-cm-Flak im Mittelbereich des Areals aufgestellt. Außerdem gab es auch hier noch fünf Goliaths, die direkt am Strand, an den Flanken des W 5, in kleinen, halbrunden Wellblech-Unterständen bereitgestellt worden waren. Als weitere nicht fest installierte Waffe gab es einen transportablen 5-cm-Granatwerfer.
Einer von insgesamt fünf Tobruk-(Ein-Mann)Ständen im W 5.
Foto: von Keusgen
Grundrißplan eines Kleinstunterstandes entsprechend dem Regelbau-Typ H 667.
Einer der fünf Gruppenunterstände des Typs H 702 war im Zentrum des W 5 direkt an die dem Meer abgewandte Rückwand eines kleinen, schon lange vor der Besatzungszeit errichteten, ehemaligen Fischerhauses angebaut, direkt am Zufahrtsweg zum nur noch 120 Meter entfernten Strand und diente 1943/44 dem W 5 als Küche. Da auch dieser Unterstand vollständig überirdisch errichtet worden war, ließ ihn Leutnant Jahnke mittels einer entsprechenden Bemalung als ein angebautes Haus tarnen.
Den Gefechtsstand des W 5 bildete kein großer Bunker, sondern Leutnant Jahnke hatte ein mit dicken Brettern und massiven Eisenbahnschwellen versehenes, großes Loch im Sand zwischen den Dünen, an der südlichen Flanke des W 5 und in direkter Strandnähe zu diesem Zweck herrichten lassen – dort, wo ihn kein Jagdbomber-Pilot vermuten würde. So war er es aus Russland gewohnt.
Waren die wenigen Mannschaften der Widerstandsnester 1, 2, 2a und 3 in Privathäusern der Weiler Le Grand Vey, Brucheville und Pouppeville einquartiert, so standen Jahnke’s Männern solide Gruppenunterstände zur Verfügung: Ein großer, überirdischer Bunker des Regelbau-Typs H 501 sowie fünf Unterstände des Typs H 702. Die Soldaten waren über ihre neuen Bunker allerdings nicht besonders glücklich, weil aus den noch feuchten Wänden der erst in den letzten Wochen fertiggestellten Betonklötze nicht nur starke Feuchtigkeit austrat, sondern auch der darin enthaltene Kalk und Zement. Die Ausdünstungen führten bei vielen von ihnen schon in kurzer Zeit zu Hustenreiz und leichten Augenentzündungen.
Am nördlichen Ende, noch von den Stacheldrahtzäunen des W 5 umgeben, stand ein älteres, großes Haus, dem die Franzosen einst die Bezeichnung Chalet Rouge(Rotes Landhaus) gegeben hatten. Es bildete jedoch keinen strategisch genutzten Bestandteil der Verteidigungsanlage, sondern lediglich eine Freizeitstätte für die Unteroffiziere und Mannschaften des W 5.
An jener Stelle, auf der sich damals das alte Fischerhausbefand, wurde in den 1980er Jahren ein fast identischer Neubau errichtet und als Café und Restaurant genutzt. Der 1943 an das Fischerhaus angebaute, noch erhaltene Gruppenunterstand desRegelbau-Typs H 702 diente als Unterkunft für 10 Soldaten (Vergleich siehe Foto nächste Seite).
Foto: von Keusgen