Vergiss die Angst - Patricia Vandenberg - E-Book

Vergiss die Angst E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dorthe Harling stieß einen kleinen Schrei aus, als ein schmutziger, blutverschmierter junger Mann in die Praxis von Dr. Norden gewankt kam, und nach ihm gleich Adele Walter, deren Stimme wahrhaftig nicht zu überhören war, worauf auch sofort Franzi, die junge Arzthelferin, und auch Dr. Norden ins Vorzimmer kamen. »Der Mastix war es, dieser Mörderhund«, kreischte Adele Walter, »aber jetzt meld' ich es der Polizei, und wenn die Bitterling hundertmal die Baronin von und zu ist. Man ist ja seines Lebens nicht mehr sicher vor dem Untier, wo ich doch wirklich Hunde mag, und jeder weiß das.« Und jeder in der Umgebung wußte, daß Adele Walter die perfekteste, sauberste und zuverlässigste Zugehfrau war, die man finden konnte, wenn sie auch manchmal ihr Mundwerk nicht in Zaum halten konnte. Daß sie jetzt wütend war, konnte man ihr nicht verdenken, denn der junge Mann brach nun bewußtlos zusammen. Aber wer das war, konnte Adele Walter auch nicht sagen. »Gesehen hab' ich es, wie der Köter über den Zaun sprang und gleich auf den Burschen los, und wie er ihn zusammenbiß. Geschrien hab' ich wie eine Wilde, aber meinen Sie ja nicht, Herr Doktor, daß die gnädige Baronin etwas unternommen hätte. Ich hab' dann nur gedacht, daß er schnell Hilfe braucht, ich meine der Bursch' da, und deshalb hab' ich ihn hergebracht. Schauens doch, wie ich auch ausschaue.« »Dafür muß die Versicherung aufkommen, Frau Walter. Ich werde Ihnen behilflich sein, aber jetzt muß ich mich um den Patienten kümmern«, sagte Dr. Norden. Und während der Verletzte noch bewußtlos am Boden lag, wurde ihm schon Erste Hilfe zuteil. Dann rappelte er sich auf, und Dr. Norden konnte in seinem Behandlungsraum die Wunden versorgen, die ihm zugefügt worden waren.

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Dr. Norden Bestseller – 303 –

Vergiss die Angst

Patricia Vandenberg

Dorthe Harling stieß einen kleinen Schrei aus, als ein schmutziger, blutverschmierter junger Mann in die Praxis von Dr. Norden gewankt kam, und nach ihm gleich Adele Walter, deren Stimme wahrhaftig nicht zu überhören war, worauf auch sofort Franzi, die junge Arzthelferin, und auch Dr. Norden ins Vorzimmer kamen.

»Der Mastix war es, dieser Mörderhund«, kreischte Adele Walter, »aber jetzt meld’ ich es der Polizei, und wenn die Bitterling hundertmal die Baronin von und zu ist. Man ist ja seines Lebens nicht mehr sicher vor dem Untier, wo ich doch wirklich Hunde mag, und jeder weiß das.«

Und jeder in der Umgebung wußte, daß Adele Walter die perfekteste, sauberste und zuverlässigste Zugehfrau war, die man finden konnte, wenn sie auch manchmal ihr Mundwerk nicht in Zaum halten konnte.

Daß sie jetzt wütend war, konnte man ihr nicht verdenken, denn der junge Mann brach nun bewußtlos zusammen. Aber wer das war, konnte Adele Walter auch nicht sagen.

»Gesehen hab’ ich es, wie der Köter über den Zaun sprang und gleich auf den Burschen los, und wie er ihn zusammenbiß. Geschrien hab’ ich wie eine Wilde, aber meinen Sie ja nicht, Herr Doktor, daß die gnädige Baronin etwas unternommen hätte. Ich hab’ dann nur gedacht, daß er schnell Hilfe braucht, ich meine der Bursch’ da, und deshalb hab’ ich ihn hergebracht. Schauens doch, wie ich auch ausschaue.«

»Dafür muß die Versicherung aufkommen, Frau Walter. Ich werde Ihnen behilflich sein, aber jetzt muß ich mich um den Patienten kümmern«, sagte Dr. Norden.

Und während der Verletzte noch bewußtlos am Boden lag, wurde ihm schon Erste Hilfe zuteil. Dann rappelte er sich auf, und Dr. Norden konnte in seinem Behandlungsraum die Wunden versorgen, die ihm zugefügt worden waren.

Adele Walter hatte sich zwar nicht beruhigt, aber sie mußte zum Apotheker Rohwald, wo sie mittags saubermachen mußte, und sie war eine gewissenhafte Frau.

»Wir werden die Baronin benachrichtigen, Frau Walter«, sagte Dorthe, die den ersten Schrecken überwunden hatte, »und Sie sollten wirklich Anzeige bei der Polizei erstatten und auch Ihre Sachen vorzeigen.«

»Worauf Sie sich verlassen können«, sagte Adele Walter. »Man ist ja seines Lebens nicht mehr sicher, seit da dieser Mastix ist. Preisgekrönte Töle«, fügte sie verächtlich hinzu, »damit will das Weib noch angeben. Das ist eine ganz Raffinierte, Frau Dorthe, das kann ich Ihnen sagen. Die wird sich bestimmt wieder herausreden. Ich geh’ ja nimmer zu ihr, seit dieses Mistvieh da ist, da kann sie machen, was sie will, aber sie meint ja, daß sie wunder wer ist.«

Man mußte es Adele Walter zugute halten, daß sie maßlos aufgeregt war, denn sonst redete sie nicht so keifend. Daß sie die Dinge beim Namen nannte, nahm ihr niemand übel, der sie kannte, aber die Baronin Bitterlien war auch ein besonderes Exemplar Mensch, und nicht nur Frau Walter nannte sie Bitterling!

Der Mastix gehörte der Hunderasse Mastiff an, aber wer kannte diese Rasse schon. Dr. Norden wußte allerdings, daß es besonders scharfe und manchmal auch unberechenbare Hunde waren, aber warum er diesen fremden jungen Mann angefallen hatte, der jetzt ziemlich stockend und in gebrochenem Deutsch sagte, daß er die Baronin Bitterlien gar nicht kenne und nur an ihrem Haus vorbeigegangen wäre, konnte er sich auch nicht erklären.

Der junge Mann stand noch unter einem Schock. Sein Parka, der gewiß nicht zur billigsten Kategorie gehörte, wies mehrere Löcher auf, und der Ärmel war auseinandergerissen. Es war der linke Arm, der auch schwere Bißwunden davongetragen hatte. Franzi mußte sich höllisch zusammenreißen, um Dr. Norden alles zuzureichen, was er brauchte, um die Wunden zu desinfizieren, zu klammern und zu verbinden. Eine Tetanusspritze hatte der junge Mann schon bekommen und auch eine örtliche Betäubung.

Er war glücklicherweise kräftig, sportlich durchtrainiert und hatte auch eine gute Konstitution.

Franzi säuberte sein Gesicht, daß auch einen Prankenhieb abbekommen hatte, aber anscheinend war es ihm gelungen, den Hund mit dem Arm abzuwehren.

Noch konnte er nicht reden. Dr. Norden gab ihm eine Flüssigkeit zu trinken in einem kleinen Glas, ein Medikament, das gleichzeitig schmerzstillend aber auch belebend wirkte. Langsam kehrte nun auch das Blut in das Gesicht des jungen Mannes zurück, das von Sommersprossen übersät war. Franzi strich ihm behutsam das dichte rotbraune Haar, das feucht an der Stirn klebte, zurück. Voller Mitgefühl betrachtete sie ihn.

Am Morgen hatte es geregnet, aber schon vor mehr als einer Stunde hatte der Regen aufgehört. Die feuchte Kleidung, das ebenfalls feuchte Haar des jungen Mannes verrieten aber, daß er ziemlich lange im Regen herumgelaufen sein mußte.

»Sorry«, sagte er jetzt stockend, »tut mir leid, Ärger zu machen.«

»Sie machen keinen Ärger«, sagte Daniel Norden freundlich. »Sie sind in eine scheußliche Situation geraten. Wir sollten froh sein, daß nicht noch mehr passiert ist.«

»Ich verstehe das nicht«, murmelte der junge Mann stockend. »Ich mag Hunde, ich habe diesem auch nichts getan. Er ist einfach über den Zaun auf mich zugesprungen. Oh, ich muß mich erst vorstellen. My name is Timothy Bradley.«

»Sie sind Amerikaner«, sagte Dr. Norden.

»Aus Colorado.«

»Sie verbringen hier Ihren Urlaub?«

»Halb und halb, ein bisken deutsch kann ich«, fügte er mit einem netten Lächeln hinzu. »Ich suche Verwandte in Germany. Ist nicht einfach, wenn man nicht viel weiß.«

»Und dann wird man auch noch von einem bösen Hund gebissen«, sagte Dr. Norden. »Sie können Schadenersatzansprüche stellen, in Ihrem Fall beträchtliche. Hundehalter müssen versichert sein in unserem Land.«

»Alles ist korrekt in Germany«, sagte Timothy, »und ich bin sehr in Ihrer Schuld. Auch die Dame, die mich hergebracht hat.«

Frau Walter würde sich freuen, als Dame bezeichnet zu werden, aber sie war nicht anwesend.

»Sie können Anzeige gegen die Tierhalterin erstatten«, erklärte Dr. Norden dem jungen Amerikaner. »Es ist eine Baronin Bitterlien.«

»Aber was nutzt es?« fragte Timothy. »Ich muß sein morgen in St. Moritz. Ich werde Sie korrekt honorieren.«

»Darum geht es doch nicht. Sie haben Anspruch auf Schmerzensgeld, auf neue Kleidung, bedenken Sie das bitte.«

»Ich habe wenig Zeit. Zeit ist auch Geld. Ich habe Geld, Doc.« Und er faßte in seine Hosentasche und holte ein Bündel Hundertdollarnoten heraus.

Dr. Norden war sprachlos.

»Dreihundert Dollar, genügt das?« fragte Timothy, »Sie waren sehr freundlich und hilfsbereit.«

»Ich möchte, daß Sie wiederkommen, damit ich mich überzeugen kann, daß die Wunden gut verheilen«, sagte Dr. Norden.

»Ich werde wiederkommen, wenn ich meine Geschäfte erledigt habe. Ich mag Menschen wie Sie. Und bitte geben Sie der netten Frau auch Geld, und ich bedanke mich. Und wenn ich ein Taxi rufen darf?«

Dr. Norden war ziemlich verwirrt, und gewiß nicht deshalb, weil Timothy Bradley so schnell wieder auf den Beinen war. Seine Eile war verwunderlich, und dann die Dollarnoten, aber dabei machte der junge Mann einen durchaus sympathischen Eindruck und wirkte keineswegs wie ein Ganove.

»Auf jeden Fall sollten wir eine Aufnahme von den Verletzungen machen«, sagte Dr. Norden. »Falls Sie später doch Ansprüche stellen wollen. Sie haben ja zwei Zeugen, denn Frau Walter geht bestimmt zur Polizei.«

»Wenn Sie meinen«, erwiderte Timothy mit einem jungenhaften Lächeln, und auch das konnte Dr. Norden mit seiner Sofortbildkamera festhalten, nichtahnend, welche Bedeutung diese Aufnahme noch einmal bekommen sollte.

*

Timothy Bradley hatte sich höflich verabschiedet, besonders höflich auch von Dorthe und Franzi, und dann lagen doch drei Hundertdollarscheine auf Dr. Nordens Schreibtisch. Als er es merkte, fuhr das Taxi aber schon mit dem jungen Mann davon

»Eine etwas merkwürdige Geschichte«, sagte er zu Dorthe, der er die Scheine hinhielt. »Einen bekommt Frau Walter.«

»Er könnte von der Bitterling ein paar Tausender herausholen«, sagte Dorthe, »und der würde ich es gönnen.«

»Sie sagten ja auch Bitterling, Dorthe«, meinte Dr. Norden lächelnd.

»Der King paßt zu der Bitterling, heißt es doch schon. Und wie der Herre, so’s Gescherre.« Dorthes Stimme hatte seinen sarkastischen Unterton.

»Und wer ist der King?« fragte Dr. Norden.

»Der Mastix-Mastiff, meine ich natürlich, aber der Hund ist wirklich schon überall gefürchtet, und alle sagen Mastix.«

»Ich habe bisher noch nichts gehört über ihn«, sagte Dr. Norden nachdenklich, »und ich weiß auch gar nicht, wie er aussieht.«

»Furchterregend«, sagte Franzi. »Ich gehe immer auf die andere Straßenseite, aber sie hat ihn ja erst ein paar Wochen.«

»Ist bei ihr auch eingebrochen worden?« fragte Daniel.

»Nein, bei ihr noch nicht, aber vielleicht hat sie sich den Hund deshalb zugelegt. Früher hatte sie doch so ein Schoßhündchen«, sagte Franzi. »Ich kann mich noch erinnern, das war so ein kleiner Kläffer, aber bloß eine Handvoll.«

Aber dann mußte die Unterhaltung beendet sein, denn es warteten noch zwei Patienten, aber die waren geduldig. Zwei alte Damen, die froh waren, wenn sie sich bei Dr. Norden trafen und miteinander reden konnten, und sie gingen dann auch gemeinsam weg. Trotz des Zwischenfalls kam Dr. Norden mal verhältnismäßig früh nach Hause. Und seine Söhne waren gleich ganz da und begeistert, als er sagte, sie sollten doch mal das Hundebuch holen, er wolle mal sehen, ob da auch ein Mastiff drin sei.

»Klar doch, Papi, das ist so einer wie die Bitterling hat«, sagte Danny, »aber Mastiffs sind noch schlimmer.«

»Meine Güte, wir hatten heute gerade einen Patienten, der von dem Mastiff gebissen wurde«, sagte Daniel. »Geht mir bloß nicht an dem Haus vorbei.«

»Ach, den wird wieder der Marco losgehetzt haben, das ist so ein Blindmann«, sagte Danny, der nun mit dem Buch kam.

»Und wer ist Marco?« fragte Daniel.

»Der wohnt doch bei der Bitterling, der ist aus Italien gekommen.«

»Und zu dämlich, um deutsch zu lernen. Die denken alle, daß wir mit ihm italienisch reden sollen«, sagte Felix.

»Nun mal langsam, Herrschaften«, sagte Daniel, »wenden wir uns mal der Hunderasse zu.«

Und dann las er, daß der Mastiff zu den ältesten englischen Hunderassen gehörte und früher als Kampfhund gezüchtet wurden.

»Und da steht, daß sie Fremden mißtrauen und sehr aggressiv werden können«, sagte er. »Und so einen hält man sich als Haushund? Was sagst du dazu, Fee?«

»Wahrscheinlich mehr als Wachhund, aber darum muß man auch aufpassen, daß sie nicht auf die Straße laufen können. Das scheint mir wirklich sehr gefährlich zu sein, aber ich komme ja nicht in diese Gegend.«

»Mastinos sind aber noch viel schlimmer«, sagte Felix. »Die Mutter von Hasso ist von einem gebissen worden, die sieht vielleicht aus, obwohl es schon lange her ist. Aber die kriegt nicht mal mehr ein Schönheitsdoktor hin, sagt Hasso. Aber blechen müssen die Besitzer.«

Fee warf ihrem Mann einen schrägen Blick zu. »Und was wird die Bitterling blechen müssen?« fragte sie.

»Das weiß ich noch nicht. Jedenfalls ist der junge Amerikaner daran nicht wild interessiert. Er hat bar gezahlt und war sehr nett, aber er muß gleich weiter nach St. Moritz. Mal sehen, was Frau Walter herausschlägt.«

Und die war nicht zu bremsen, nachdem sie auch noch vom Apotheker Rohwald unterstützt worden war, der auch noch ein Hühnchen mit der Baronin Bitterlien zu rupfen hatte, sogar mehrere, weil sie öfter Medikamente holen wollte, die nicht rezeptfrei verkauft werden durften und die er ohne ärztliche Verordnung auch nicht herausgab. Da hatte er schon allerhand von der Baronin vorgeworfen bekommen.

Jedenfalls war Frau Walter zur Polizei gegangen, und dort kannte man sie auch. Sie war schließlich eine ehrbare Bürgerin, die alles zur Anzeige brachte, was sich ihrer Meinung nach nicht gehörte. Sie war für absolute Sauberkeit und gegen jede Umweltverschmutzung. Sie hatte nichts gegen Hunde und Katzen und andere Haustiere, solange sie nicht zur Belästigung anderer wurden, aber gegen die Baronin Bitterlien hatte sie persönlich etwas, weil sie von ihr beschuldigt worden war, einen Ring entwendet zu haben. Da hatte Adele Walter allerdings sofort darauf bestanden, die Polizei zu rufen, damit sie sofort und an Ort und Stelle alles untersuche, und der Ring war nicht bei Adele gefunden worden, und nirgendwo im Haus. Adele hatte dieses dann nicht mehr betreten, aber da hatte es dort auch noch nicht den Mastiff King gegeben und auch nicht den Enkel Marco.

Jedenfalls erschienen zwei Polizeibeamte bei Dr. Norden in der Nachmittagssprechstunde und wollten sich erkundigen, ob er die Angaben von Frau Walter bestätigen könne.

Das konnte er, aber als er gefragt wurde, warum das eigentliche Opfer keine Anzeige erstattet hatte, konnte er nur sagen, daß Mr. Bradley aus Zeitnot nicht dazu in der Lage gewesen wäre. Was sollte er auch sonst sagen? Es war schließlich Timothy Bradleys Angelegenheit, ob er Schmerzensgeld und sonstige Entschädigungen haben wollte oder nicht. Und wo kein Kläger war, war auch kein Richter. Er war Arzt und hatte als solcher geholfen, und mehr sagte er nicht.

Kurz vor Ende der Sprechstunde erschien die Baronin Bitterlien höchstpersönlich in der Praxis.

Dorthe riß es vom Stuhl empor, und Franzi lief ins Labor, als die Baronin mit schriller Stimme sagte, sie wolle Dr. Norden sprechen und zwar sofort.

Ruhe bewahren, mahnte sich Dorthe, und sie brachte es fertig, die Baronin mit wohlgesetzten Worten ins Wartezimmer zu dirigieren. »Es ist nur noch ein Patient bei Dr. Norden, aber den kann er Ihretwegen nicht vor die Tür setzen, Frau Baronin«, erklärte sie, aber sie wußte schon, daß Dr. Norden bestimmt nicht erbaut sein würde über diesen späten Besuch. Andererseits wußte sie aber auch, daß sich die Baronin nicht wegschicken ließ.

*

Carlotta Bitterlien war sechzig Jahre alt, sehr groß und hager, und hager war auch ihr Gesicht, was zu dem einen herrischen Ausdruck hatte, was durch stechende dunkle Augen noch betont wurde. Ihre Stimme war hoch und schrill, was Dr. Norden schon gar nicht mochte. Er war bisher einmal zu ihr ins Haus gerufen worden, als sie bei Glatteis gestürzt war und sich schrecklich aufgeführt hatte, obgleich sie tatsächlich nur eine leichte Prellung davongetragen hatte.

»Was ist nun mit Ihrem Patienten?« herrschte sie auch gleich den Arzt an. »Mir kommt die Polizei ins Haus, aber er hat sich noch nicht gemeldet. Und was meinen Hund anbetrifft, wird er diesen gereizt haben.«

»Warum kommen Sie eigentlich zu mir?« fragte Dr. Norden. »Wenn mein Patient keine Anzeige erstattet, ist das doch nicht meine Angelegenheit.«

»Ich lasse mir aber nicht nachsagen, daß ich meinen Verpflichtungen nicht nachkomme. Auch Frau Walter wird Schmerzensgeld bekommen. Mein Hund ist hoch versichert, und mir scheint es überhaupt, daß alles von Frau Walter inszeniert wurde, um mich in Mißkredit zu bringen.«

»Nun, das möchte ich wahrlich nicht behaupten. Der junge Mann, er ist übrigens Amerikaner und scheint sich mit unseren Gesetzen und Rechten nicht auszukennen, ist durch Ihren Hund stark gebissen und recht schwer verletzt worden. Dazu wurden auch seine Jacke, sein Pullover und sein Hemd zerrissen. Ich habe Aufnahmen von den Verletzungen gemacht, die ich Ihnen zeigen kann, aber Mr. Bradley wollte davon anscheinend noch keinen Gebrauch machen.«

»Er wird schon wissen warum. Er hat vor unserem Haus gestanden und meinen Enkel dumm angeredet. Und da hat der Hund meinen Enkel beschützt. So wird es in Wahrheit gewesen sein, auch wenn ich nicht zugegen war. Nun, ich bin bereit, diesen Mann zu entschädigen und auch Ihre Rechnung zu bezahlen.«

»Das hat Mr. Bradley bereits selber getan«, sagte Dr. Norden. »Für mich ist dieser Fall erledigt, gnädige Frau.«

»Und ich soll mich von dieser Putzfrau anschuldigen lassen, nur weil ich einen guten Wachhund habe?«

»Ich meine, Sie sollten dafür sorgen, daß Ihr Hund Sie und Ihr Haus bewacht, aber nicht andere Menschen anfällt und sie beißt, womöglich sogar totbeißt. Sehen Sie sich die Wunden an, die er dem jungen Amerikaner zugefügt hat.«

Die Fotos aus der Sofortbildkamera lagen noch auf Dr. Nordens Schreibtisch, und er zeigte sie der Baronin Bitterlien.

Sie starrte diese an, wurde kreidebleich und rang nach Luft.

»Ich lasse alles durch meinen Anwalt klären«, stammelte sie. »Ich möchte jetzt dazu keine Stellung nehmen. Ich möchte gehen.«

»Bitte«, sagte Dr. Norden ruhig. »Aber es wäre sicher gut, wenn Ihr Hund erzogen würde.«

»Er ist dressiert«, stieß sie hervor.

»Auf wen? Auf arglose Passanten?«

»Sie brauchen mich nicht zu belehren, das hat bereits die Polizei getan«, zischte sie. »Aber es wäre doch wohl besser, wenn wir von dieser besser geschützt würden.«

»Wenn Sie sich bedroht fühlen, können Sie es melden«, sagte er.

Sie kniff die Augen zusammen. »Sie sind doch auch kein Narr, Herr Dr. Norden. Hoffentlich bleiben Sie verschont von Räubern und Tagedieben, und könnte es nicht sein, daß nicht auch jener junge Mann zu dieser Kategorie gehörte? Warum hat er denn keine Adresse angegeben, oder hat er das? Ich würde sie gern erfahren.«

»Er hat nur bezahlt und ist weggefahren«, sagte Dr. Norden. »Er wollte anscheinend keine große Affäre daraus machen. Er ist ein Hundefreund.«

Warum sagte er das eigentlich? Warum war er so überzeugt, daß dieser Timothy Bradley einfach nur ein netter, toleranter junger Mann war?

Er wollte sich nicht auf eine Debatte mit dieser Frau einlassen. Er war froh, daß sie nun ging, ohne noch etwas zu sagen. Aber etwas an ihr kam ihm doch merkwürdig vor. Hatte sie vor jemandem Angst, daß sie sich einen so scharfen Hund zugelegt hatte? Aber doch nicht vor Timothy, diesem sommersprossigen jungen Mann mit den rostbraunen Haaren, der so jungenhaft und harmlos wirkte.

Für ihn wäre es interessant gewesen zu hören, welche Frage die Baronin an ihren Enkel Marco stellte.

»Was hat dieser Mann gesagt, Marco, warum hast du King auf ihn gehetzt?« herrschte sie den Zwölfjährigen in italienischer Sprache an.

Er sah sie aus engen Augen mit einem verschlagenen Ausdruck an. »Ich habe ihn gar nicht verstanden, und ich habe King nicht auf ihn gehetzt. Ich verstehe nicht englisch, und er verstand nicht italienisch, Nonna.«

Sie lehnte an der Wand. Ihr Gesicht war grau. »King hat ihn schwer verletzt, das darf nicht wieder passieren, Marco, dann wird King von der Polizei erschossen.«

»Dann kaufen wir einen Mastino«, sagte der Junge kalt.

»King muß gedacht haben, daß der Mann dich angreifen wollte«, sagte die Baronin tonlos.

»Vielleicht wollte er das auch. Er griff über den Zaun nach meinem Arm«, stieß Marco hervor. »Vielleicht wollte er mich entführen. Ich bin ein reicher Erbe.«

»Mein Gott, wer hat dir das eingeredet?« stöhnte sie.