Verlieb dich! - Carly Phillips - E-Book

Verlieb dich! E-Book

Carly Phillips

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Beschreibung

No risk, no fun

Der Polizist Rafe rettet seiner Kollegin Sara das Leben – ein gefundenes Fressen für die Medien, die die Geschichte aufbauschen und ihn zum begehrtesten Junggesellen New Yorks machen. Er flieht vor der Klatschpresse, nachdem er zugegeben hat, dass die attraktive Sara weit mehr als eine Kollegin für ihn ist. Die macht sich auf die Suche nach Rafe und verliebt sich in ihn und seine ungestüme, aber liebenswerte Großfamilie. Wenn nur alles so einfach wäre ...

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Das Buch

Die Rettung seiner Kollegin Sara bei einem Undercover-Einsatz macht Rafe nicht nur zum beliebtesten Junggesellen New Yorks, sie lässt ihn auch seine bisherige Beziehung zu Sara überdenken. Schon länger sind seine Gefühle für sie mehr als nur freundschaftlich, und er findet sie unglaublich sexy. Obwohl Sara sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht ist, folgt sie Rafe nach Hidden Falls, wo er sich im Kreis seiner Großfamilie von den Verletzungen, die er bei Saras Rettung erlitten hatte, erholt. Sara fühlt sich im Schoß seiner Familie sofort geborgen, doch das Gefühl der Sicherheit trügt … Auch im abgelegenen Hidden Falls ist sie in Gefahr. Die Verfolger, die sie wegen einer wichtigen Zeugenaussage bedrohen, spüren sie auch dort auf. Das allein stellt Saras Mut schon auf eine harte Probe, und ihre tiefen Gefühle für Rafe machen die Situation nicht einfacher. Obwohl Rafe alles daransetzt, schafft er es nicht, Sara zu beschützen, und ihre Liebe gerät in große Gefahr.

Die Autorin

Carly Phillips hat sich mit ihren romantischen und leidenschaftlichen Geschichten in die Herzen ihrer Leserinnen geschrieben. Sie veröffentlichte bereits über 25 Romane und ist inzwischen eine der bekanntesten amerikanischen Schriftstellerinnen. Mit zahlreichen Preisnominierungen ist sie nicht mehr wegzudenken aus den Bestsellerlisten. Ihre Karriere als Anwältin gab sie auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie lebt mit ihrem Mann und den zwei Töchtern im Staat New York. Weitere Informationen auf ihrer Homepage: www.carlyphillips.com

Im Heyne-Verlag liegen vor: Küss mich, Kleiner!

Die Chandler-Trilogie: Der letzte Kuss – Der Tag der Träume – Für eine Nacht

Die Hot-Zone-Serie: Mach mich nicht an! – Her mit den Jungs! — Komm schon! – Geht’s noch?

Die Corwin-Trilogie: Trau dich endlich! – Spiel mit mir! – Mach doch!

Die Single-Serie: Küss mich doch! – Verlieb dich!

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDie AutorinKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Copyright

Kapitel 1

Rafe Mancuso tastete unauffällig nach seiner Waffe, einer Glock, die im Jackett seines Smokings versteckt war, während er gelassen, aber aufmerksam durch den Saal ging, in dem sich die gesellschaftliche Elite Manhattans in gedämpftem Tonfall unterhielt und an Champagnergläsern nippte. Er war sicher, dass er inmitten dieser eleganten Gesellschaft von der Knarre keinen Gebrauch machen würde. Egal. Er wurde von der Lancaster-Stiftung dafür bezahlt, die sündteuren Schmuckstücke zu bewachen, die im Rahmen der heutigen Auktion unter den Hammer kommen würden. Im Augenblick jedoch galt seine ganze Aufmerksamkeit Sara Rios, seiner ehemaligen Partnerin bei der New Yorker Polizei, die ihn gebeten hatte, mit ihr die Security für die Versteigerung zu übernehmen.

Seit sie den Raum durch die Flügeltür betreten hatte, konnte er sich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Sie hatten früher nicht nur wie eine gut geölte Maschine perfekt zusammengearbeitet, sondern auch ein ganz besonderes Verhältnis zueinander gehabt. Wenn man stundenlang nebeneinander im Auto sitzt, freundet man sich eben rasch an, und ihre unzähligen Gespräche hatten zu einer emotionalen Nähe geführt, wie Rafe sie noch nie zuvor erlebt hatte.

Nicht einmal mit seiner Verlobten.

Sara und er hatten sich ihre Gefühle füreinander nie eingestanden, geschweige denn sie ausgelebt. Das hatte jedoch der Intensität ihrer Verbindung keinerlei Abbruch getan. Bereits damals war Sara für Rafe eine gefährliche Versuchung gewesen. Als er sie nun aber in ihrem knöchellangen silbernen Abendkleid sah, war er hin und weg. Bisher hatte er sie nur in Polizeiuniform gekannt. So heiß wie heute hatte sie noch nie ausgesehen. Das blonde Haar fiel ihr auf die Schultern, und beim Anblick ihrer vollen Brüste, die sich deutlich unter dem dünnen Stoff abzeichneten, fielen Rafe beinahe die Augen aus dem Kopf. Er konnte sich gar nicht an ihr sattsehen.

»Hallo, Fremder! Lange nicht gesehen.« Sara begrüßte ihn mit einem breiten Lächeln.

»Hallo, du.«

Sie trat zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Ihre weichen Lippen und ihr süßer Duft bezauberten ihn. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm wieder ein, warum er voriges Jahr die Schicht gewechselt und ihr die Partnerschaft aufgekündigt hatte. Rafes Vater hatte mit einer Affäre fast seine Familie zerstört, und Rafe hatte sich geschworen, dass er niemals denselben Fehler machen würde. Für ihn als verlobten Mann hatte Sara eine Versuchung dargestellt, der er einfach ein Ende bereiten musste. Ironischerweise war seine Beziehung kurze Zeit später in die Brüche gegangen. Und was ihn anging, war Schluss zu machen damals das Klügste gewesen, das er je getan hatte.

Leider würde sich Sara nie und nimmer auf eine langfristige Beziehung mit einem Mann einlassen. Für Rafe hingegen kam etwas anderes nicht infrage.

»Ich freue mich, dass du bereit warst, mit mir zusammen diesen Auftrag auszuführen. Schön, dich zu sehen.« Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und schaute ihn an. Ihre braunen Augen strahlten vor Freude.

Er lächelte. »Finde ich auch.«

»Der Smoking steht dir gut.«

Er ließ sie nicht aus den Augen. »Du siehst in dem Kleid aber auch toll aus. Und das Beste ist, dass dieser Abend sicher ohne besondere Vorkommnisse verlaufen wird.« Er deutete mit dem Kopf zur anderen Seite des Raumes, wo der Schmuck ausgestellt war.

Die Lancaster-Stiftung hatte darauf bestanden, dass sie sich nicht ständig in der Nähe der zum Verkauf angebotenen Wertgegenstände aufhalten, sondern etwas unters Volk mischen sollten. Als ausgebildete Polizisten hätten sich Rafe und Sara die Bedingungen zwar lieber selbst ausgesucht, aber die Zuständigen von der Stiftung fürchteten, eine zu offensichtliche Postierung von Sicherheitspersonal könnte die Gäste verunsichern.

»Umso besser, wenn es ein ruhiger Abend wird«, meinte Sara. »Schließlich soll ich mich bis zu meiner Zeugenaussage in einem Mordprozess nächsten Monat möglichst unauffällig verhalten. Da kommt mir so ein unspektakulärer Einsatz gerade recht.«

Rafe lachte und nickte zustimmend. »Ich habe von dem Fall gehört. Er hat als Routineeinsatz in der Park Avenue begonnen, nicht wahr?«

»Ja, davon sind wir ausgegangen. Jemand ist dort eingebrochen und hat das Opfer zu Hause überrascht. Der Einbrecher hat die Frau mit einem Schlag auf den Kopf außer Gefecht gesetzt und einige wertvolle Gegenstände mitgehen lassen. Leider hat sie sich geweigert, ins Krankenhaus zu fahren, und ist dann einige Stunden später im Schlaf gestorben.« Sara schüttelte angesichts des traurigen Ausgangs den Kopf.

Sie hatten beide immer wieder mit eigensinnigen Opfern zu tun gehabt.

»Wie es der Zufall wollte, war ich die Letzte, die vor ihrem Tod mit ihr gesprochen hat. Sie hatte ihren Mann im Verdacht, oder zumindest hat sie ihm ein Motiv unterstellt.«

»Somit bist du die Hauptzeugin im Mordprozess gegen ihren Gatten«, sagte Rafe. Jedenfalls hatten ihm das seine Kollegen kolportiert.

»Ja. Und letztendlich dreht sich wieder einmal alles ums Geld.« Sie deutete mit dem Kopf auf einige der reichen Anwesenden. »Die Investmentfirma ihres Mannes konnte sich nur mit Hilfe von Alicia Morleys Kapital über Wasser halten. Seine Partner und er haben die Firma an den Rand des Ruins gebracht, und Alicia hat sich geweigert, die Fehlinvestitionen ihres Mannes weiterhin zu finanzieren. Deshalb soll er jemanden engagiert haben, der bei Alicia eingebrochen ist und es so aussehen ließ, als wäre bei dem Einbruch etwas schiefgegangen. Alicias Mann hoffte, auf diese Weise ihr Vermögen zu erben. Allerdings geht ihr Geld im Falle seiner Verurteilung an die erwachsenen Kinder aus Alicias erster Ehe.«

Sara schnappte sich ein Glas Mineralwasser vom Tablett eines vorbeigehenden Kellners und nahm einen Schluck, wobei ihr Lippenstift einen rosaroten Abdruck auf dem Glas hinterließ.

Rafe konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Er stellte sich vor, was man mit diesen wunderbar vollen, glänzenden Lippen sonst noch alles anstellen könnte. »Wo befindet sich der Ehemann jetzt?«, fragte er mit trockener Kehle.

»Immer noch im Gefängnis. Die Anklage konnte den Richter davon überzeugen, dass Fluchtgefahr besteht. Seine Geschäftspartner stehen mit einigen gefährlichen Leuten in Kontakt. Deshalb möchte die Bezirksstaatsanwältin, dass ich mich möglichst unauffällig verhalte, bis der Fall abgeschlossen ist.«

»Nun, ich bin froh, dass ich dir bei dieser Veranstaltung zur Seite stehen kann.« Auf diese Weise konnte er zumindest ihren Anblick genießen. »Ich habe vorhin Sam Cooper gesehen.«

Sam Cooper, kurz Coop, war nicht nur Saras Nachbar, sondern auch ein enger Freund von ihr. Da Sara nur wenige Menschen an sich heranließ und Rafe ihrem Instinkt vertraute, brachte er Coop automatisch Respekt entgegen. Außerdem hatte er mit dem Reporter für den Bereich Verbrechensbekämpfung schon häufig beruflich zu tun gehabt und hielt ihn aus professioneller Sicht für einen vernünftigen Kerl, der sich in seinen Artikeln stets strikt an die Tatsachen hielt.

Da Sara nichts auf ihre Freunde kommen ließ, beschloss Rafe, nicht zu erwähnen, dass er vorhin gesehen hatte, wie Coop aus einer unbenützten Garderobe geschlichen war, die im Sommer offenbar nur als Abstellraum verwendet wurde – und zwar kurz nachdem eine leicht derangiert aussehende junge Frau dasselbe getan hatte. Im Grunde war Rafe neidisch. Er konnte sich nicht entsinnen, wann er zuletzt an einem quasi öffentlichen Ort eine Frau vernascht hatte. Und seit er Sara in diesem Kleid erblickt hatte, konnte er an nichts anderes mehr denken.

Seine ehemalige Partnerin nickte. »Ich bin mit Coop gekommen, hoffe aber, dass er die Veranstaltung mit seiner Freundin Lexie verlassen wird. Das heißt, sofern sich die beiden bis dahin wieder versöhnt haben. Sie hatten nämlich gerade einen Streit.« Sie schürzte die Lippen und sah sich mit gerunzelter Stirn im Saal um. »Ich kann sie nirgends sehen.«

»Es ist viel los. Vielleicht haben die beiden ja gerade irgendwo ein heißes Tête-à-tête«, witzelte Rafe, um Sara schon mal auf den Geschmack zu bringen.

Pfff. Wie konnte er nur denken, dass seine Fantasien gleich Realität werden würden? So viel Glück konnte doch wohl kein Mann haben? Rafe schüttelte den Kopf und lachte über sich selbst.

»Was gibt es denn da zu lachen?«, wollte Sara wissen.

Rafe hatte schnell eine Ausrede parat. »Ich habe mich nur gerade gefragt, wie Coop wohl damit zurechtkommt, dass er dank dieses Bachelor Blogs ständig unter Beobachtung steht.«

In der Daily Post, einer New Yorker Tageszeitung, erschien neuerdings täglich – auch online nachlesbar – ein kurzer Artikel über einen männlichen Single aus der Stadt. Der betreffende Junggeselle wurde dann eine Zeit lang auf Schritt und Tritt verfolgt, und der Bachelor Blog enthüllte sämtliche Details über das Leben des aktuellen Auserwählten, angefangen von der Firma, für die er arbeitete, bis hin zu den Cafés, die er frequentierte. Gewöhnlich kulminierte die Berichterstattung in Spekulationen über das Liebesleben des Betreffenden, und dann kamen die Frauen scharenweise aus ihren Verstecken, in der Hoffnung, sich den beliebtesten Junggesellen New Yorks unter den Nagel reißen zu können. Das jüngste Opfer des Bloggers war ausgerechnet Sam Cooper gewesen, obwohl er selbst für die Daily Post arbeitete.

»Liest du diesen Mist etwa?«, fragte Sara empört.

Rafe schüttelte den Kopf. »Quatsch, ich doch nicht. Ich habe es von Maggie gehört.«

Sara wusste, dass Maggie, ihre Einsatzleiterin, eine Vorliebe für Klatsch und Tratsch hatte und seit kurzem mit großem Interesse die Neuigkeiten aus dem Bachelor Blog verfolgte.

»Ich möchte mal wissen, wie Maggie noch Zeit für solchen Unsinn findet«, meinte Sara.

»Das lenkt sie von ihrem eigenen Leben ab.«

In diesem Augenblick wurde ihre Unterhaltung von dem Geräusch von zersplitterndem Glas und einem lauten Schrei unterbrochen. Das einförmige Gemurmel der Menge verstummte jäh.

Rafe fuhr herum und spähte in die Richtung, aus der der Lärm gekommen war. Er hatte die Hand auf den verborgenen Revolver gelegt, bereit, seine Waffe zu ziehen.

»Der Kellner hat ein Messer!«, schrie jemand in ihrer Nähe.

Sara reckte den Hals und stöhnte dann: »Und er hat Coops Freundin.«

Sofort waren all ihre Sinne in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Sie mussten näher ran an das Geschehen. Sara wechselte einen raschen Blick mit Rafe.

Dieser nickte, ohne ein Wort zu sagen, und dann machten sie sich in stillem Einvernehmen auf den Weg. Sara näherte sich dem bewaffneten Kellner im Uhrzeigersinn, während sich Rafe in entgegengesetzter Richtung durch die aufgeregte Menge zu ihm vorarbeitete.

Blieb nur zu hoffen, dass es einem von ihnen gelang, den Geiselnehmer abzulenken, damit sich der andere auf ihn stürzen konnte oder zumindest freie Schussbahn hatte.

»Er hat den Ring, Coop!«, rief Lexie Davis, die sich der Kerl als Geisel geschnappt hatte.

Ein Schmuckstück der Lancaster-Stiftung. Rafe stieß einen leisen Fluch aus.

»Schnauze!«, schrie der in Panik geratene Kellner die Frau an und drückte ihr das Messer an den Hals, so dass die Spitze ihre Haut ein wenig aufritzte.

»Wie wollen Sie eigentlich hier herauskommen?«, fragte Sam Cooper und ging mit einer beschwichtigenden Geste ein, zwei Schritte auf den Mann zu, der seine Freundin bedrohte.

Normalerweise wäre Rafe strikt dagegen gewesen, dass eine Zivilperson versuchte, bei einem Verbrechen zu intervenieren, aber Coop war nicht dumm. Er versuchte offenbar, Zeit zu schinden, damit Rafe und Sara näher herankommen konnten.

»Wer zum Teufel bist du?«, bellte der Kellner.

»Ich gehöre zu der Dame, die Sie als Geisel genommen haben. Bitte beruhigen Sie sich erst einmal.« Coop wagte einen weiteren Schritt.

»Bleib, wo du bist!«, schrie der Kerl mit dem Messer.

Leider war Rafe noch immer zu weit von ihm entfernt, um eingreifen zu können, und er wollte es nicht riskieren, den Mann in Panik zu versetzen. Schließlich hatte er sich bereits vom Dieb zum Geiselnehmer gewandelt. Wer weiß, wozu er noch fähig war.

»Ich werde jetzt einfach hier hinausmarschieren«, verkündete der Kellner, »und niemand wird mich daran hindern.« Damit packte er die Frau und zerrte sie mit sich zu einer Stahltür mit der Aufschrift ›Treppe‹.

Rafe ließ suchend den Blick über die Anwesenden gleiten und erspähte Sara auf der anderen Seite des Saales. Sie war nahe genug, um sich dem Verbrecher in den Weg zu stellen. Sie sah Rafe an, und er bedeutete ihr mit einer raschen Geste, in Aktion zu treten. Er war sicher, dass sie es schaffen würde, den Mann umzustimmen, schließlich hatten sie gemeinsam die Grundausbildung für Verhandlungstechnik besucht. Allerdings hatte Sara kein Interesse gehabt, sich weiter auf diesen Bereich zu spezialisieren.

Plötzlich stieß der Kellner – für alle überraschend – die Geisel in die Menschenmenge.

In dem darauf folgenden Chaos riss er die Tür auf und stürmte aus dem Raum. Sara hetzte hinterher.

Jetzt stürmte auch Rafe los. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, während er sich einen Weg durch die Menge bahnte. Dummerweise war die Tür ins Schloss gefallen, bis er dort angelangt war, was ihn wichtige Sekunden kostete. Er riss sie auf und rannte die dunkle Treppe hinauf.

Dann öffnete er mit gezückter Waffe eine weitere Tür, die, wie sich herausstellte, auf das Dach hinausführte, und sah sich unvermittelt mit einer weiteren Geiselnahme konfrontiert.

Der Kellner hatte offenbar seinen Fluchtweg falsch eingeschätzt. Als er erkannt hatte, dass er auf dem Dach in der Falle saß, musste er blitzschnell reagiert und sich Sara geschnappt haben. Er hatte zweifellos schon damit gerechnet, dass er verfolgt wurde, denn nun bedrohte er sie mit dem Messer.

Rafe bekam einen Schweißausbruch, der nicht das Geringste mit der schwülen Hitze zu tun hatte, die ihn umgab.

»Lass die Waffe fallen!«, befahl ihm der Kellner.

Rafe versuchte abzuschätzen, ob er auf den Verbrecher schießen konnte, ohne Sara dabei zu verletzen. Das Mondlicht, das auf das Dach schien, war zwar auf seiner Seite, doch in Anbetracht der Tatsache, dass der Mann Sara als menschlichen Schutzschild verwendete, standen Rafes Chancen nicht gut.

»Komm schon, Mann, lass sie gehen. Du möchtest doch sicher nicht hinter Gitter wandern, weil du eine Polizistin angegriffen hast«, sagte Rafe. Damit waren die Verhandlungen eröffnet.

Der Kellner riss die Augen auf, aber er wich weder zurück, noch ließ er das Messer sinken. »Ist sie wirklich eine Polizistin?«

»Wir sind beides Polizisten«, informierte ihn Sara mit ruhiger Stimme.

Rafe bewunderte sie für ihre Coolness und hoffte, dass sie auch weiterhin Ruhe bewahren würde.

Der Kellner fluchte. Die Hand, in der er das Messer hielt, zitterte, und die Klinge ritzte Saras Haut auf. Ein kleiner Blutstropfen zeigte sich an ihrem Hals.

Rafe wurde übel, aber er kämpfte gegen das Gefühl an. »Du siehst, dein Glück schwindet«, sagte er, wobei er seine Waffe etwa auf Saras Brusthöhe hielt. »Lass sie gehen. Du wirst sicher besser davonkommen, wenn du keine Polizistin auf dem Gewissen hast.«

»Schnauze! Ich muss nachdenken«, bellte der Mann. Er wirkte sichtlich durcheinander.

Seine Unentschlossenheit war deutlich spürbar. Noch hielten sich das Gefühl der Panik und das irrationale Bedürfnis, zu kämpfen, die Waage.

Rafe hatte dergleichen bereits erlebt. Der Kerl musste eine Entscheidung treffen. Rafe tat es ebenfalls. Andere Vermittler hätten in dieser Situation bestimmt auf Zeit gespielt und sich den Mund fusselig geredet. Doch Rafe hatte den Vorteil, dass er die Geisel kannte.

Und sie konnte seine Gedanken lesen und seine Winke deuten. Es war ein riskantes Manöver, aber Rafe hatte vollstes Vertrauen zu seiner Ex-Partnerin.

Sobald er die Entscheidung getroffen hatte, sah er Sara nachdrücklich in die Augen und nickte ihr kaum merklich zu. Dann brüllte er: »Runter!« und stürzte sich auf den Geiselnehmer.

Es ging alles ganz schnell. Sara ließ sich einfach fallen und rollte sich zur Seite. Im selben Augenblick warf sich Rafe auf die Beine des völlig überraschten Mannes, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er versuchte nach Kräften, seinen Gegenspieler zu überwältigen, doch es gelang ihm nicht, das Messer an sich zu reißen. Rafe war sich nicht sicher, wie lange der Kampf hin und her gegangen war, ehe er endlich die Oberhand gewann. Schließlich verpasste er dem Mann einen Kinnhaken, um ihn ein für alle Mal außer Gefecht zu setzen.

»Keine Bewegung!« Sara postierte sich über dem Kellner, die Pistole im Anschlag.

Schwer atmend stand Rafe auf. »Alles in Ordnung mit dir?«

Sie nickte. »Es würde mir besser gehen, wenn sich der Kerl vorhin nicht auf mich gestürzt hätte. Er hat mir einfach die Pistole aus der Hand geschlagen.« Sie schüttelte empört den Kopf.

Rafe wurde unversehens schwindlig. Er beugte sich vornüber, die Hände auf die Oberschenkel gestützt.

»Ja, das kann ich mir gut vorstellen.«

»Inzwischen hat bestimmt schon jemand die Polizei gerufen. Sie müsste jeden Moment hier sein.«

Rafe schaute zu Sara hinüber. »So sieht es also aus, wenn du dich unauffällig verhältst.«

Sie brachte sogar ein Lachen zustande.

Sie fuhren herum, als der Kellner am Boden stöhnte.

»Ganz ruhig«, drohte Sara und trat ein paar Schritte auf den Mann zu, wobei sie vor Schmerz das Gesicht verzog.

»Bist du verletzt?«, wollte Rafe wissen.

Sara schüttelte den Kopf. Sie hätte nie und nimmer zugegeben, dass es sie erwischt hatte.

Rafe schwindelte es erneut, heftiger diesmal. Er sank auf die Knie. Alles um ihn herum verschwamm. Erst jetzt nahm er einen stechenden Schmerz in der Brustgegend wahr.

Er öffnete sein Smoking-Jackett und sah an sich hinunter. Blut sickerte durch sein weißes Hemd.

Verdammt. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er sich bei dem Kampf vorhin eine Stichwunde zugezogen hatte.

»Rafe!«, stieß Sara entsetzt hervor.

»Es geht mir gut«, log Rafe. Im selben Augenblick schwang die Tür auf, und mehrere Polizisten stürmten mit der Waffe im Anschlag auf das Dach.

Eine Frau, die Rafe nicht kannte, die er aber vorhin zwischen den Gästen gesehen hatte, ging neben ihm in die Knie.

»Mister Mancuso, ich bin Amanda Nichols von der Daily Post. Sie sind ein Held«, sagte sie. Man merkte ihr die Aufregung nur zu deutlich an.

»Ich tue bloß meine Arbeit«, murmelte Rafe.

»Wie ich höre, waren Sara Rios und Sie früher Partner. Wie fühlt es sich an, einer Kollegin das Leben zu retten?«, hakte die Frau hartnäckig nach.

Rafe presste sich die Hand auf die Brust. Der Schmerz wurde stärker. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie uniformierte Polizeibeamte den Verbrecher hochzogen.

Die Reporterin wiederholte ihre Frage.

Wie es sich angefühlt hatte, Sara zu retten?

Einfache Frage. Es hatte sich verdammt gut angefühlt, diese umwerfende Polizistin mit dem Wahnsinnskörper zu retten.

Hoffentlich habe ich diesen Gedanken jetzt nicht laut ausgesprochen, dachte er noch, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

»Sein Zustand war eine Weile kritisch, aber er wird wieder gesund.«

Die Worte des Unfallchirurgen hallten Sara noch im Ohr. Ihr war vor Erleichterung ganz flau im Magen. Man hatte praktisch die halbe Stadt abgeriegelt, um sie – und vor allem Rafe – möglichst rasch ins Lenox Hill Krankenhaus transportieren zu können.

Sara konnte sich nur vage daran erinnern, dass man eine Röntgenaufnahme von ihrem Bein gemacht, ihr Eis aufgelegt und eine Schiene angepasst hatte. Sie hatte sich beim Hinauflaufen der Stiege das Knie gezerrt, aber der Schmerz, den sie verspürte, war eine Kleinigkeit verglichen mit dem Schock, Rafe beinahe verloren zu haben. Er hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um das ihre zu retten. Das würde sie ihm nie vergessen.

Sie hatte nicht vor, das Gebäude zu verlassen, ehe man ihr mehr über Rafes Gesundheitszustand sagen konnte.

»Rios!«

Sara fuhr herum, als sie die Stimme des Polizeichefs vernahm. Es hatte sich fast die ganze Mannschaft eingefunden, um auf Neuigkeiten über die beiden verletzten Kollegen zu warten.

»Das verstehen Sie also unter ›unauffälligem Verhalten‹, wie?« Captain Hodges war ein stattlicher Mann mit einem Rückgrat aus Stahl, der sich meist bärbeißig gab, aber ein Herz aus Gold hatte, wie Sara wusste.

»Tut mir echt leid, Captain. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es auf einer harmlosen Auktion zu einem Geiseldrama kommen würde.«

Ihr Vorgesetzter verdrehte die Augen. »Dass Sie aber auch immer dort sein müssen, wo’s brenzlig wird«, brummte er. »Die Bezirksstaatsanwältin wird mir den Kopf abreißen, weil ich Ihnen diesen Einsatz außerhalb der Dienstzeit genehmigt habe.«

»Dann gehen Sie ihr in nächster Zeit mal lieber aus dem Weg«, scherzte Sara.

Zu ihrer Erleichterung grinste Hodges. »Wie ich höre, ist Mancuso außer Lebensgefahr.«

»Ja, Sir.«

»Und wie lange müssen wir noch ohne Sie auskommen? «, fragte er und zeigte auf die Schiene an ihrem Knie.

Sie schluckte schwer. »Ich bin nicht sicher. Die Röntgenbilder haben keine eindeutigen Ergebnisse geliefert. « Eindeutig war nur, dass es bereits erste Anzeichen von Arthritis und Arthrose gab. »Für morgen ist ein MRT angesetzt.«

Der Meniskus bereitete ihr schon Schwierigkeiten, seit sie sich auf der Highschool eine Knieverletzung zugezogen hatte. Häufig wiederkehrende Schmerzen sowie ein Schnappen und Anschwellen des Knies gehörten längst zu ihrem Alltag. Doch jetzt hieß es, bei dieser neuerlichen Knieverletzung müsse sie eventuell mit dauerhaften Problemen rechnen, die es ihr unmöglich machen würden, ihre Arbeit weiterhin auszuüben. Eine Vorstellung, über die sie sich im Augenblick lieber nicht allzu ausführlich Gedanken machen wollte.

Die Tätigkeit als Polizistin war alles, was sie kannte. Alles, was sie immer gewollt hatte. Sie kam aus einer Familie von Cops, die allesamt kein Händchen für Beziehungen – geschweige denn Ehen – hatten und sich deshalb über ihren Beruf definierten. Beides traf auch auf Sara zu.

»Also, offiziell sind Sie im Krankenstand, bis Sie das Okay bekommen, wieder anzufangen. Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus«, sagte der Polizeichef.

Sie biss sich auf die Lippe, wohl wissend, dass es keinen Sinn hatte, ihm zu widersprechen. »Aye, aye, Captain.«

»Passen Sie auf sich auf.«

Sie nickte.

»Und verhalten Sie sich diesmal wirklich unauffällig. «

Daily Post Der Bachelor Blog

Der beliebteste Junggeselle New Yorks hat also aus Liebe seinen Job gekündigt. Sam Coopers Herz ist vergeben, meine Damen, aber zum Glück gibt es bereits einen würdigen Nachfolger für ihn. Die Stadt hat einen neuen Helden. Er heißt Rafe Mancuso und hat in der vergangenen Nacht einer New Yorker Polizistin das Leben gerettet, eine Mission, im Zuge derer er selbst verletzt wurde. Ich sehe schon jetzt die Augen meiner Leserinnen aufleuchten!

Amanda Nichols, Kulturredakteurin bei der Daily Post, war höchstpersönlich zugegen, als eine Geiselnahme während einer Versteigerung zugunsten der Lancaster-Stiftung für einigen Aufruhr sorgte. Nachdem alles ausgestanden war, wollte sie vom Befreier der zweiten Geisel wissen, wie es sich angefühlt habe, einer jungen Frau in Not zu Hilfe zu eilen. Mancuso, der bei der Aktion ohne es zu bemerken eine Stichverletzung davongetragen hatte, antwortete ganz ungeniert: »Es hat sich verdammt gut angefühlt, dieser umwerfenden Polizistin mit dem Wahnsinnskörper das Leben zu retten.« Dann verlor er aufgrund seiner Verletzung das Bewusstsein.

Kann es sein, dass es zwischen dem Helden und der Lady, die er gerettet hat, kräftig funkt? Oder ist die Bahn frei für die übrigen Single-Damen der Stadt? Nur die Zukunft wird es zeigen – und der Bachelor Blog wird berichten!

Kapitel 2

Rafe wachte in einem steril wirkenden Krankenhauszimmer auf. Er hing an einem Infusionstropf und registrierte sogleich einen starken Schmerz in der Brustgegend. Dann kamen allmählich die Erinnerungen zurück: die Auktion, das Geiseldrama, im Zuge dessen er eine Stichverletzung davongetragen hatte, das Rudel Uniformierter, das danach das Dach gestürmt hatte.

Er blinzelte, aber noch verschwamm alles vor seinen Augen.

Das ist das Morphium, dachte er bei sich. Er erinnerte sich vage, dass er bereits mehrere Male desorientiert und von Schmerzen gequält aufgewacht war. Diesmal fühlte er sich endlich nicht mehr so benommen. Er fragte sich, wie viel Zeit wohl vergangen sein mochte.

»Du bist wach!«

Er drehte den Kopf in die Richtung, aus der die vertraute Stimme kam, und sah Sara auf einem Stuhl an der Wand sitzen. Sie erhob sich und hantierte umständlich mit ihren Krücken, ehe sie an sein Bett humpelte. Sie trug kein Make-up, und ihr schulterlanges Haar war zerzaust. Die Erschöpfung – und die Erleichterung – waren ihr deutlich anzusehen.

Plötzlich stieg eine weitere Erinnerung in Rafe hoch: Wann immer er die Augen aufgeschlagen hatte, war Sara da gewesen.

»Wie fühlst du dich?«, fragte sie, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

»Als hätte mir jemand ein Messer in die Brust gerammt. « Er brachte ein Lächeln zustande.

Sie musterte ihn finster. »Das ist nicht lustig. Das Messer hat eine Lungenvene angeritzt. Sie mussten dich aufschneiden, um die Wunde zu schließen. Zumindest hat das der Doktor behauptet.«

»Ich wurde operiert?«, fragte Rafe.

Sie nickte ernst. »Du hast sogar einige Blutkonserven gebraucht.«

Er wollte schlucken, doch seine Kehle war wie ausgetrocknet.

»Hier.« Sara griff nach einer Tasse mit zerstoßenen Eiswürfeln und verabreichte ihm einige Löffel voll.

»Ah, viel besser. An diese Art der Behandlung könnte ich mich gewöhnen.«

»Ich habe das untrügliche Gefühl, dass die Frauen reihenweise Schlange stehen würden, um dich betüddeln zu dürfen.« Sie lächelte zum ersten Mal, seit er aufgewacht war.

Dann stellte sie die Tasse auf das Tablett zurück.

»Aber dazu müssten sie es erst mit deiner Mutter aufnehmen, und die ist ganz schön eifersüchtig.«

»Meine Mutter? Ist sie etwa hier?«, stieß Rafe erschrocken hervor.

Sara nickte. »Du kennst das ja – sobald die Lage ernst aussieht, sorgt der Boss dafür, dass die Angehörigen benachrichtigt werden. Also sind deine Leute aus dem Outback angerückt. Sie wohnen in einem Hotel ganz in der Nähe.«

Er schloss die Augen und stöhnte, was Sara jedoch missdeutete.

»Hast du sehr große Schmerzen?«, erkundigte sie sich besorgt.

»Ich werde es überleben«, winkte er ab, womit das Stechen in seiner Brust gemeint war.

»Gut«, murmelte sie.

Doch das Wissen, dass seine Mutter hier war, um sich um sein Wohlergehen zu kümmern, reichte aus, um selbst einen erwachsenen Mann wie ihn zum Stöhnen zu bringen. Rafe liebte seine große, laute Familie. Allerdings hatte er seiner Heimatstadt nördlich von New York vor allem aus einem Grund den Rücken gekehrt: damit er seine Anverwandten aus sicherer Entfernung lieben konnte.

»Wie geht es unserem Freund, dem Kellner? Was ist mit ihm passiert?«

»Der Kerl ist in Haft und wird auch nicht allzu schnell wieder entlassen werden.« Sara nickte zufrieden.

»Das ist zumindest eine gute Neuigkeit.«

»Die wichtigere ist, dass du es geschafft hast«, sagte sie und ergriff seine Hand.

Ihre Finger waren warm, ihr sanfter, sicherer Griff vermittelte ihm ein Gefühl der Geborgenheit.

»Du hast mich zu Tode erschreckt. Zuerst all das Blut … und dann bist du auch noch ohnmächtig geworden …« Saras Stimme zitterte. Sie atmete tief durch. »Die Sanitäter meinten, dein Blutdruck sei gefährlich abgesunken und du hättest innere Blutungen. « Sie brach erneut ab. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. »Du hast mir das Leben gerettet.«

Saras Dankbarkeit machte Rafe ganz verlegen. »Wir sind ein Team. Ich habe ›Runter!‹ geschrien, und du hast prompt reagiert. Das war keine große Sache.«

»Erzähl das mal den Zeitungen.«

»Die übertreiben doch immer«, murmelte er.

»Ich werde Coop nicht verraten, dass du das eben gesagt hast.« Sara grinste.

Rafe hätte fast losgelacht, besann sich aber aus Angst vor den drohenden Schmerzen gerade noch rechtzeitig eines Besseren. Er starrte an die weiße Decke.

»Sollte ich wissen, welcher Tag heute ist?«

Sie seufzte. »Montagmorgen.«

Er war also zwei volle Tage weggetreten gewesen. Wenn er nicht irrte, war Sara die ganze Zeit über nicht von seiner Seite gewichen. Bei diesem Gedanken waren all seine Schmerzen vergessen. Stattdessen breitete sich ein warmes Gefühl in seiner Brust aus.

»Und was ist mit dir? Wie schlimm ist es?«, fragte er Sara und warf einen vielsagenden Blick auf ihre Krücken.

Sie winkte ab. »Ich habe mir bloß das Knie gezerrt, auf der Treppe zum Dach. Aber ich werde bald wieder arbeiten können.«

»Und warum weichst du meinem Blick aus, während du das sagst?«, wollte er wissen.

Sie runzelte die Stirn, gab aber keine Antwort.

Er sah an ihr herunter und stellte fest, dass sie eine Jogginghose mit dem Logo der New Yorker Polizei trug, die weit genug war, um eine Schiene darunter zu tragen. »Hat es dein schlechtes Knie erwischt?«

Sie verdrehte die Augen. »Du bist ganz schön hartnäckig, Mancuso. Ich habe dir doch schon gesagt, dass es mir gutgeht. Lassen wir es dabei.«

Jetzt machte er sich noch mehr Sorgen, aber sie würde erst darüber reden, wenn sie bereit dazu war. Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Ich habe überhaupt nicht bemerkt, dass mir der Kerl das Messer in die Brust gestoßen hat.« Er konnte immer noch nicht glauben, dass er eine Stichverletzung davongetragen hatte.

Sie nickte verständnisvoll. »Das lag bestimmt am Adrenalin.«

Sie schwiegen eine Weile, und Rafe stellte fest, dass er die angenehme Ruhe vermisst hatte. Jake Riordan, sein derzeitiger Partner, redete viel, um die Zeit totzuschlagen, und Rafe sehnte sich häufig nach der Ruhe zurück, die im Auto geherrscht hatte, als Sara und er noch ein Team gewesen waren.

Es klopfte, und eine nicht mehr ganz junge Krankenschwester trat ein. »Ah, wie schön, unser Held ist endgültig aufgewacht!«, rief sie fröhlich. »Guten Morgen. Ich muss gleich mal Ihre Temperatur und Ihren Blutdruck messen. Außerdem werde ich einen Blick auf Ihren Verband werfen.«

»Meinetwegen, aber hören Sie bitte mit diesem Unsinn von wegen Held auf«, brummte Rafe.

Sara lächelte. »Benimm dich und sei höflich zu der Schwester, sonst hetze ich dir deine Mutter auf den Hals.«

»Mister Mancuso, ich finde Ihre Schwester zwar sehr sympathisch, aber sie muss trotzdem draußen warten«, sagte die Krankenschwester mit einer Kopfbewegung in Richtung Sara.

»Meine Schwester?«

Sara beugte sich über ihn. »Ich habe behauptet, ich wäre deine Schwester, damit ich bleiben kann, so lange ich will«, flüsterte sie, und ihre Augen blitzten übermütig auf. »Deine Mutter hatte offenbar nichts dagegen, denn sie hat mich nicht verpetzt«, fügte sie hinzu, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »So, jetzt sei ein braver Junge und tu, was die Krankenschwester sagt.« Sie küsste ihn leicht auf die Wange, wobei ihre Haare seine Haut kitzelten.

Beide Berührungen spürte er deutlich bis hinunter in die Zehenspitzen.

»Und du solltest heimgehen und ein bisschen schlafen«, erwiderte er mit rauer Stimme.

»Jetzt, wo es dir gutgeht, werde ich das wohl tun.«

Rafe starrte auf ihren Po, während sie auf den Krücken zur Tür humpelte. Als sie noch zusammengearbeitet hatten, wäre er nie auf diese Idee gekommen. In seinen Augen sah sie in dieser Jogginghose genauso appetitlich aus wie neulich auf der Auktion in diesem sexy Kleid mit dem tiefen Ausschnitt.

Die Krankenschwester wartete ab, bis die Tür hinter Sara ins Schloss gefallen war, bevor sie fortfuhr. »Ihre Schwester ist wirklich sehr nett.«

Dann gab sie Rafe mit einem Augenzwinkern zu verstehen, dass sie Bescheid wusste.

»Ja. Ich habe Glück gehabt«, sagte er mit einem Lachen, für das er sofort büßen musste. Er kniff die Augen zu vor Schmerz.

»Manchmal hilft es, wenn man sich ein Kissen vor die Brust hält. Aber am besten warten Sie damit noch, bis Sie aufgestanden sind und ein bisschen herumlaufen können.«

Rafe verkniff sich ein Stöhnen, wohl wissend, dass ihm ein paar anstrengende Tage bevorstanden.

»Die junge Dame ist nicht eine Minute von Ihrer Seite gewichen, seit man Sie vom Aufwachraum hierherverlegt hat«, bemerkte die Krankenschwester, während sie die Blutdruckmanschette über seinen Arm streifte.

Ein warmes Gefühl, das mehr als bloß reine Dankbarkeit war, durchströmte Rafe — ein Gefühl, das er am liebsten den ganzen Tag verspürt hätte.

Sara stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, sobald sie Rafes Krankenhauszimmer verlassen hatte. Ihr Körper schmerzte von den langen Stunden auf dem Stuhl neben seinem Bett. Aber immerhin normalisierte sich ihr Puls ein wenig, nachdem Rafe nun endlich aufgewacht war und mit ihr gesprochen hatte; und nachdem man ihr versichert hatte, dass er wieder gesund werden würde.

Sie umklammerte die Krücken und rüstete sich für den Weg durch den Korridor zum Aufzug. Sie würde mit einem Taxi nach Hause fahren.

Als sie am Schwesternzimmer vorbeiging, beugten sich die Frauen dort gerade über eine Zeitung, redeten wild durcheinander und gestikulierten in die Richtung, in der sich Rafes Zimmer befand. Kaum war Sara am Empfangspult stehen geblieben, verstummten alle und setzten beschäftigte Mienen auf.

Sara wurde unruhig. Da war doch etwas im Busch! Auf ihr Bauchgefühl war Verlass. »Was haben Sie denn?«

»Ich muss los«, sagte eine der Frauen und hastete davon.

»Ich auch.« Ihre Kollegin machte sich eilends zum Zimmer eines Patienten auf.

»Okay«, meinte die dritte, die allein zurückgeblieben war, »dann sage ich es Ihnen eben.« Die junge Schwester reichte Sara eine Ausgabe der Daily Post. »Schon mal etwas vom Bachelor Blog gehört?«

»Ach herrje!« Sara schnappte nach Luft und starrte auf die Zeitung, die bereits auf der entsprechenden Seite aufgeschlagen war.

Dort prangte ein offizielles Polizeifoto von Rafe Mancuso. Es hatte weniger als achtundvierzig Stunden gedauert, um ihn in die Zeitung zu bringen. Diese Art von Aufmerksamkeit würde ihm gar nicht behagen, denn Rafe war ein Mann, der viel Wert auf seinen persönlichen Freiraum und seine Privatsphäre legte. Sara wusste nur zu gut, was ihm nun blühte. Ihr Nachbar Coop war nämlich erst kürzlich von den Blog-Autoren zum beliebtesten Junggesellen der Stadt ernannt worden und hatte daraufhin Unmengen von Fanpost erhalten – parfümierte Briefe, Süßigkeiten und sogar Unterwäsche. Das alles hatte Sara lediglich in der Annahme bestärkt, dass nur total verzweifelte Frauen den Bachelor Blog als Chance für ihre Partnersuche im neuen Millennium sahen.

Mit einem Seufzer legte sie die Zeitung zurück auf den Empfangstresen. »Würden Sie mir bitte einen Gefallen tun und ihn mit dieser Neuigkeit möglichst lange verschonen?« Sie deutete in die Richtung von Rafes Zimmer. »Er würde sich nur aufregen, und im Moment benötigt er all seine Kräfte, um wieder gesund zu werden.«

Die Schwester nickte. »Ich werde mein Bestes tun und auch die anderen darum bitten. Allerdings gehen hier dauernd Leute ein und aus und es werden ständig Zeitungen herumgereicht, da kann ich nicht garantieren, dass er nicht doch Wind davon bekommt.«

Sara nickte. »Danke trotzdem für Ihre Bemühungen. « Sie hatte sich schon zum Gehen gewandt, als sie hinter sich ein Räuspern vernahm.

»Ähm … haben Sie den Blog-Artikel eigentlich gelesen? «, fragte die Schwester.

»Nein.« Sara hatte sich nur kurz das Foto angesehen.

Wieder wurde ihr mulmig. Rasch nahm sie noch einmal die Zeitung zur Hand, um den Text unter dem Bild zu überfliegen – und was sie dort las, verschlug ihr schier die Sprache.

Der Blogger besaß doch tatsächlich die Dreistigkeit, anzudeuten, dass zwischen ihr und Rafe etwas lief. Und das alles nur wegen einer einzigen Bemerkung, die Rafe offenbar auf dem Dach von sich gegeben hatte, ehe er das Bewusstsein verloren hatte.

Es hat sich verdammt gut angefühlt, dieser umwerfenden Polizistin mit dem Wahnsinnskörper das Leben zu retten.

Eine Bemerkung, von der Sara bis jetzt nichts gewusst hatte.

Eine Bemerkung, die sie niemals vergessen würde.

Sie hatten so lange zusammengearbeitet, und es hatte auf sämtlichen Ebenen ausgezeichnet funktioniert. Zum Teil war ihnen das auch durchaus bewusst gewesen; beispielsweise die Tatsache, dass sie genau auf einer Wellenlänge waren und oft die Gedanken des jeweils anderen lesen konnten. Deshalb war es Sara auch so schwergefallen, Rafes Versetzung zu akzeptieren. Auch wenn sie seinen Wunsch, mehr Zeit mit seiner Verlobten zu verbringen, verstanden hatte, waren berufliche Partnerschaften wie die ihre doch selten genug. Mit ihrem neuen Partner musste sie sich auch jetzt noch, nach über einem Jahr, immer wieder aufs Neue zusammenraufen.

Und dann war da noch die sexuelle Anziehung gewesen: das Kribbeln, das vom Kopf ausging und das sich dann höchst angenehm über die Magengegend bis weiter nach unten ausbreitete, wann immer sie Rafe Mancuso ansah. Sie hatte diese Anziehung bisher ignoriert, weil sie sie für einseitig gehalten hatte.

Doch jetzt hatte sie Anlass zu der Vermutung, dass sie sich geirrt hatte. War es möglich, dass er ihre Gefühle erwiderte und ihre Wünsche teilte?

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigte sich die Krankenschwester und unterbrach damit jäh Saras Gedankengänge. »Ja, ja, es geht mir gut. Ich bin bloß überrascht, wie weit manche Leute im Namen der ›Berichterstattung‹ gehen.« Sara warf die Zeitung auf das Pult. »Könnten Sie mir noch einen Gefallen tun? Sagen Sie doch bitte den anderen Krankenschwestern, sie sollen nicht alles glauben, was sie lesen, ja?«

Die Frau lächelte. »Natürlich. Ich muss allerdings gestehen, wenn er mich attraktiv finden würde, dann würde ich zusehen, dass ich den Mann für mich gewinne, bevor ihn mir eine andere verzweifelte Frau vor der Nase wegschnappt.«

Sara schauderte. »Es hält mich also niemand hier für seine Schwester?«

Die Krankenschwester zuckte mit den Schultern. »Was soll ich sagen? Wir sind alle davon ausgegangen, dass ihm Ihre Anwesenheit wichtig ist, und seine Familie hat keinerlei Einwände erhoben.«

Sara verdrehte die Augen. »Die letzten paar Tage waren ziemlich verrückt. Ich brauche jetzt wirklich etwas Schlaf.«

»Sie können sich beruhigt ausruhen. Er ist hier in sehr guten Händen.«

Genau das bereitete Sara ja Sorgen. »Danke«, sagte sie nachdenklich. Rafes Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Er fand sie umwerfend?

Er war der Ansicht, dass sie einen Wahnsinnskörper hatte?

Na und?

Sie zwang sich, ruhig Blut zu bewahren und sich zu konzentrieren. Selbst wenn seine Worte ehrlich und wahr waren, selbst wenn er mittlerweile nicht mehr verlobt war, würde das nichts an der Tatsache ändern, dass Rafe von ganzem Herzen an Familie und an Beständigkeit glaubte, während sich Sara keine Illusionen in Bezug auf Romantik oder ein bis ans Lebensende währendes Eheglück machte.

Eine Beziehung stellte schon unter normalen Umständen eine riesige Herausforderung dar, und ihre Familie war der lebende Beweis dafür, dass Polizisten nicht für dauerhafte Partnerschaften – welcher Art auch immer – geschaffen waren. Über Generationen hinweg hatte sich in ihrer ganzen Familie die Überzeugung verfestigt, die auch für ihr Leben galt: An erster Stelle kam stets die Arbeit. Wenn man dann noch etwas Zeit erübrigen konnte, gestattete man sich hin und wieder eine flüchtige Affäre oder im besten Fall eine kurzfristige Beziehung. Allerdings hatte es bei Sara in letzter Zeit in beiderlei Hinsicht ziemlich düster ausgesehen.

Sie umklammerte die Krücken etwas fester und dachte an ihr lädiertes Knie. Ihre Arbeit war alles, was sie hatte. Genau deshalb jagte ihr diese Verletzung mit ihren möglichen Auswirkungen eine Heidenangst ein.

Daily Post Der Bachelor Blog

Nichts verströmt mehr Sexappeal als ein bescheidener Held – und genau diese Art von Held ist der New Yorker Polizist Rafe Mancuso, der kürzlich bei einem Geiseldrama einer Kollegin das Leben gerettet hat. Aus diesem Grund wurde er von uns zum neuen begehrtesten Junggesellen der Stadt gekürt. Seine Bemerkung kurz vor seiner verletzungsbedingten Bewusstlosigkeit lässt vermuten, dass sein Herz bereits vergeben ist. Trotzdem ist alles möglich, meine Damen. Halten Sie deshalb die Augen offen und lassen Sie es mich wissen, wenn Sie etwas über ihn in Erfahrung gebracht haben! Ich werde Ihre Informationen umgehend in den Blog stellen.

Rafe liebte seine Privatsphäre. Da er aus einer großen Familie stammte, hatte er schon früh die Vorteile des Alleinseins schätzen gelernt und war nach dem College aus seiner kleinen Heimatstadt nördlich von New York weggezogen, um der Neugier seiner umfangreichen Verwandtschaft zu entgehen, die jeden seiner Schritte mit Argusaugen überwachte. Natürlich hatte er nach wie vor engen Kontakt zu seinem älteren Bruder Nick und zu seinen drei Schwestern, die ihn bewunderten. Aber er liebte und schätzte sie aus der Entfernung umso mehr. Hier in Manhattan war er in der Menschenmenge untergegangen —bis dieser verdammte Blogger die Geschichte um die Geiselnahme neulich Abend aufgegriffen hatte. Seither schien die Aufmerksamkeit der gesamten weiblichen Bevölkerung von New York auf ihm zu ruhen. Er war kurz davor, durchzudrehen.

Nach dem Krankenhausaufenthalt hatte er sich eine Woche Ruhe gegönnt, aber inzwischen unternahm er täglich einen kleinen Spaziergang, um allmählich wieder zu Kräften zu kommen. Allerdings hatte er wegen des Bachelor Blogs keine ruhige Minute mehr. Seine geliebte Anonymität war dahin.

Wenn er den Hausflur entlangging, musterten ihn seine Nachbarinnen mit begehrlichen Blicken, als wäre er Frischfleisch, und teilten ihm mit einem schüchternen Augenaufschlag und im Flüsterton mit, sie seien Single und noch zu haben … und zwar für alles. Sobald er sein Stammcafé betrat, begrüßte ihn der Kassierer mit einem großen Hallo, woraufhin sämtliche Anwesenden ihre Unterhaltungen einstellten und sich zu ihm umdrehten. Die junge Frau, die den Kaffee machte, hatte ihm bereits ihre Nummer zugesteckt, und die Kollegen von der Polizeiwache hatten angerufen, um ihm mitzuteilen, er habe Pakete und parfümierte Geschenke bekommen. Verärgert bat Rafe sie darum, die Sachen wegzuwerfen.

In der Zwischenzeit setzte der Bachelor Blogger die Spekulationen über Rafes Beziehung zu der Frau, die er gerettet hatte, fort und erinnerte Rafe damit ständig an Sara. Als ob er irgendetwas vergessen könnte, was sie anging. Sie hatte Tag und Nacht an seiner Seite gewacht, bis er endlich über den Berg und sein Zustand wieder einigermaßen stabil gewesen war. In seinen Augen wirkte sie immer attraktiv, ganz egal, ob sie erschöpft und zerzaust war oder ob sie sich in Schale geworfen hatte und ein glamouröses Kleid trug. Und er konnte weiß Gott darauf verzichten, dass der Blogger ihm immer wieder unter die Nase rieb, was er über Sara gesagt hatte, ehe er das Bewusstsein verloren hatte.

Er dachte den ganzen Tag an sie.

Und nachts träumte er von ihr.

Er fragte sich andauernd, was wohl geschähe, wenn sie dem Verlangen nachgeben würden, das sie beide noch nie angesprochen hatten.

Rafe hatte nichts von Sara gehört, seit er das Krankenhaus verlassen hatte. Aber er erinnerte sich an alles: an ihren warmen Blick, an ihre erleichterte Miene, als er schließlich zu sich gekommen war. Doch das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, war sie kühl und distanziert gewesen. Sie hatte nichts mehr mit der Frau gemein gehabt, die an seinem Bett gesessen und seine Hand gehalten hatte. Ihm blieb keine andere Wahl, als die Grenzen zu respektieren, die sie gesteckt hatte. Obwohl er sich sehr zu ihr hingezogen fühlte, hatten sie doch unterschiedliche Erwartungen an das Leben, und er zog es vor, sie lieber als Freundin zu behalten, als sie nach einer Affäre zu verlieren.

Man hatte ihm mitgeteilt, dass er mindestens vier bis sechs Wochen krankgeschrieben sein würde, bis er wieder einsatzfähig war. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, hatte man ihn auch noch verwarnt, weil er sich auf den Geiselnehmer gestürzt hatte, ohne vorher alle friedlichen Verhandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Er konnte schwer erklären, weshalb er ganz sicher gewesen war, dass Sara seine Taktik vorhersehen und sich rechtzeitig ducken würde. Letztlich gab es jedoch keine Rechtfertigung für sein Verhalten.

Deshalb hatte er jetzt viel Zeit, und er musste ständig an jene Nacht denken. Saß er in seiner Wohnung herum, drehte er beinahe durch. Ging er vor die Tür, machte ihn die Aufmerksamkeit, die ihm plötzlich zuteilwurde, wahnsinnig. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten sehnte er sich nach seiner Heimatstadt am Ufer des Ontariosees. Er vermisste die Ruhe, die Einsamkeit, den Geruch des Sees, an dem er aufgewachsen war und unzählige Stunden mit seinem Vater, seinen Geschwistern, Cousins und Cousinen verbracht hatte. Er hatte dort schwimmen gelernt, sie hatten Ball gespielt und die meiste Zeit damit verbracht, herumzualbern und einander zu hänseln und zu necken. Damals war er weggezogen, weil er von alldem genug gehabt hatte. Jetzt brauchte er genau das.

Vielleicht, weil er dem Tod nur knapp entronnen war. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er sich wegen des Bachelor Blogs in letzter Zeit so eingeengt, ja bedrängt fühlte. Auf jeden Fall musste Rafe fort. Es war Sommer, und er sehnte sich nach frischer Luft und Sonne. Er besaß sogar ein Haus am Ontariosee, und die Vorstellung, dort ein paar Tage zu verbringen, erschien ihm sehr verlockend.

Seine Eltern würden begeistert sein, wenn er eine Weile auf Heimaturlaub kam. Sie waren nach Hause zurückgekehrt, nachdem er aus dem Spital entlassen worden war, aber seine Mutter rief ihn mehrmals täglich an, um sich davon zu überzeugen, dass er genügend aß, schlief und sich schonte. Es wäre ihr sicher viel lieber, wenn er sich in ihrer Nähe aufhielt, bis er wieder vollkommen gesund war. Aber im Grunde ging es hier in erster Linie um seine eigenen Wünsche.

Die Entscheidung ist gefallen, dachte Rafe. Sollte der Autor des Bachelor Blogs doch zusehen, wie er ohne ihn auskam!

Kapitel 3

Sara verlagerte probehalber das Gewicht auf das verletzte Bein, wie sie es die vergangenen beiden Wochen jeden Morgen getan hatte. Wieder spürte sie einen stechenden Schmerz im Knie. Sie stöhnte auf und wartete darauf, dass der Schmerz nachließ. Die Neoprenschiene, die man ihr in der Notaufnahme gegeben hatte, half zwar, das Knie zu stützen, gegen den pochenden Schmerz, den sie ständig verspürte, konnte die Schiene allerdings nichts ausrichten. Sara musste nach wie vor Eis auf die Schwellung legen und entzündungshemmende Medikamente einnehmen. Außerdem hoffte sie noch immer, dass ihr Krankenstand nur vorübergehend und ihre Karriere noch nicht beendet sein würde.

Sie warf einen Blick auf die Schmerztabletten auf der Küchenanrichte und schüttelte den Kopf. Sie hasste es, sich benebelt zu fühlen. Sie würde das auch so durchstehen.

Es war erst halb zehn Uhr vormittags, und sie war bereits seit Stunden wach. Der Tag würde noch lang werden. Deshalb erschien ihr das Klopfen an der Tür als willkommene Ablenkung.

Sara humpelte ohne Krücken zur Tür. Der Arzt hatte ihr versichert, dass eine leichte Belastung des Beins dem Heilungsprozess nicht schaden, sondern ihn eher fördern würde.

Sara blickte durch den Türspion. »Coop!« Sie öffnete ihrem Freund die Tür.

»Komme ich ungelegen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, perfektes Timing. Ich habe die Nase voll davon, hier herumzusitzen und mich im Selbstmitleid zu suhlen. Komm doch rein; ich kann ein wenig Ablenkung von meinen Problemen gebrauchen.«

Coop schloss die Tür hinter sich und folgte ihr in die Wohnung.

»Warum bist du nicht bei der Arbeit?«, fragte sie, weil Coop normalerweise in aller Herrgottsfrühe das Haus verließ und meist erst spätnachts zurückkehrte.

»Ich habe mir einen Tag freigenommen. Also, wie geht es dir?«, fragte er und warf einen Blick auf ihr Knie. »Und diesmal hätte ich gern eine ehrliche Antwort. «

Sara runzelte die Stirn. Bisher war sie allen Fragen nach ihrer Verletzung ausgewichen und hatte so getan, als ginge es ihr gut, doch Coop ließ sich nichts vormachen.

Es ging ihr gar nicht gut – und zwar nicht nur wegen der Schmerzen in ihrem Bein. Wenn ihr Knie nicht wieder in Ordnung kam, waren ihre Tage bei der New Yorker Polizei gezählt.

»Ich mache mir Sorgen, dass es nicht ordentlich heilen

Die Originalausgabe LOVE ME IF YOU DARE erschien bei Harlequin Books S.A., Canada

Vollständige deutsche Erstausgabe 07/2011

Copyright © 2010 by Karen Drogin Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Fotos von © shutterstock/vgstudio Satz: Greiner & Reichel, Köln

eISBN 978-3-641-08112-6

www.heyne.de

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