Viktoria von jenseits des Zauns - Waldtraut Lewin - E-Book

Viktoria von jenseits des Zauns E-Book

Waldtraut Lewin

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Beschreibung

In den drei Texten dieses Buches erzählt Waldtraut Lewin Geschichten von der Liebe, Liebesgeschichten eben – allerdings von sehr unterschiedlichen Varianten der Liebe. In „DIE BRAUT UND DER PFAU“ ist zunächst einmal von einem ungewöhnlichen Garten die Rede: Es war einmal ein großer Garten, in dem wuchs kein Kohl, kein Klee und keine Kartoffel, ja nicht einmal ein Pfirsichbäumchen, obwohl ein Pfirsichbäumchen etwas sehr Schönes ist: Im Frühling hat es rosa Blüten, und im Sommer trägt es Früchte mit samtigen Backen, so süß sind die, dass einem in Gedanken daran das Wasser im Mund zusammenläuft. Der Garten wie auch ein schönes Haus gehören dem vielseitig talentierten, aber recht armen Herrn Justinus. Und eben dorthin kommt eines Tages ein Pfau, der vielleicht schönste Pfau der Welt, und der kann nicht nur sprechen, sondern er hat auch einige andere merkwürdige Eigenschaften. „HANS UND SEINE KATZE“ spielt nicht irgendwo, sondern in einem Dörfchen am Ende der großen Wälder, das war so klein, dass es nicht einmal im Autoatlas aufgezeichnet war. Darum hieß es auch Klein Siehstumichnich. Dort lebte Bauer Hans, der allerjüngste im Dorf, erst vierzig Jahre alt. Und dieser gute Hans war gleichzeitig Bürgermeister, LPG-Vorsitzender und Traktorist von Klein Siehstumichnich. Hans lebte ganz allein mit seiner Katze Dorothea in einem schmucken Häuschen gleich hinter der Bürgermeisterei. Eines Tag bekam Hans auf einmal so eine Sehnsucht nach einer schönen junge Frau mit einer Rosette im Haar, die lacht und singt und tanzt und ihm die Suppe kocht, damit er nicht immer Fertigsuppe aus der Tüte essen muss. Allerdings achtete Hand nicht drauf, dass seine Katze Dorothea den buschigen Schweif aufstellte, ihn ansah und sagte: „Miau.“ Aber Hans verstand einfach nicht, was ihm Dorothea, die übrigens plötzlich sogar sprechen konnte, damit sagen wollte. Und dann passiert noch einiges anderes Überraschende. Die Hauptrollen in „VIKTORIA VON JENSEITS DES ZAUNS“ spielen Viktor und Viktoria, zwei Nachbarkinder, allerdings aus sehr unterschiedlichen Familien. Manchmal trafen sich die Kinder heimlich hinten bei den Fliederbäumen, wo der Zaun durchlässig war, und spielten Braut und Bräutigam oder Räuberin und Prinz und hatten einander herzlich gern. Und als beide größer geworden waren, da wollte Viktor mit Viktoria gehen. Doch dann schickt er sie fort, weil er erfährt, dass sie in ihn verliebt ist. Was wird werden? Hat ihre Liebe noch eine Chance? Und was kann und muss Viktoria dafür tun?

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Impressum

Waldtraut Lewin

Viktoria von jenseits des Zauns

ISBN 978-3-86394-196-3 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 1981 bei Der Kinderbuchverlag Berlin

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta Foto: Andrea Grosz

© 2011 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.com

DIE BRAUT UND DER PFAU

Es war einmal ein großer Garten, in dem wuchs kein Kohl, kein Klee und keine Kartoffel, ja nicht einmal ein Pfirsichbäumchen, obwohl ein Pfirsichbäumchen etwas sehr Schönes ist: Im Frühling hat es rosa Blüten, und im Sommer trägt es Früchte mit samtigen Backen, so süß sind die, dass einem in Gedanken daran das Wasser im Mund zusammenläuft.

Aber in unserem Garten gab es kein Pfirsichbäumchen, von anderem Obst und Gemüse ganz zu schweigen. Hier gab es nur weiches, grünes, glattes Gras, in dem hin und wieder eine Sternblume blühte oder eine Kuckuckslichtnelke, und hohe stille Bäume standen darin, deren Stämme so glatt waren wie seidene Strümpfe. Zwischen dem Gras und den Bäumen stand ein gelbes Haus mit einem Balkon, Torbögen und freundlichen Fenstern.

In dem Haus wohnte ganz allein ein junger Mann, der Bilder malte, Musik machte und Geschichten schrieb. Das gelbe Haus und den großen Garten hatte er von seiner seligen Tante Antonia geerbt, und es war ihm sehr recht gewesen, denn vorher wohnte er in einem winzigen Stübchen im Seitenflügel eines alten Mietskastens, gleich neben dem Klo, und vom Fenster aus sah man nichts als die Wand eines anderen Mietskastens. Da fällt es einem manchmal ziemlich schwer, sich Geschichten auszudenken, vom Bildermalen und Musikmachen ganz zu schweigen.

Deshalb war der junge Mann sehr froh, als er von seiner Tante Antonia das schöne gelbe Haus und den stillen Garten erbte. Seine Freunde rieten ihm zwar, unter den hohen Bäumen Mohrrüben zu säen und Kohlrabi zu pflanzen, aber der junge Mann machte sich nichts aus Mohrrüben und Kohlrabi. Er pflanzte stattdessen Malven, wilden Wein und Kletterrosen, und alles gedieh ihm prächtig, denn er war der Sohn eines Gärtners und verstand was von Pflanzen.

Da war er so vergnügt, dass er jeden Tag ein Lied schreiben, jeden dritten Tag eine Geschichte erzählen und jeden Monat ein Bild malen konnte - denn das ist das Schwerste -, und er lebte zufrieden in seinem gelben Haus.

Justinus - so hieß der junge Mann - war recht arm. Er trug jahraus, jahrein die gleichen ausgefransten Jeans und den gleichen Pullover, im Sommer rannte er barfuß, um Strümpfe zu sparen, und im Winter trug er mit Heu ausgestopfte Filzstiefel, auch um Strümpfe zu sparen. Außerdem besaß er ein lustiges rotes Halstuch, einen schwarzen Regenschirm und einen Schafpelz zum Schutz vor der Kälte. Er hatte lange schwarze Haare, die er, damit sie ihn nicht an der Nase kitzelten, mit einem Band im Nacken zusammenfasste. Manchmal trug Justinus auch einen Bart - wenn er nämlich vergaß, sich zu rasieren. Und er war ziemlich vergesslich.

Nun auf einmal hatte er einen schönen Garten und darin ein Haus, und wie es mit dem Glück so ist, es wirft immer Junge: Justinus' Lieder, Bilder und Geschichten gefielen den Leuten, und er bekam eine ganze Menge Geld für sie.

Also überlegte er, was er kaufen könnte, und dachte: Bisher habe ich nur eine Gitarre gehabt, wie viel besser müsste ich doch Lieder komponieren können, wenn ich einen Flügel hätte wie die Pianisten im Konzert. Hin ging er und kaufte sich einen Flügel. Es war ein sehr schöner Flügel aus braunem Holz, mit schwarzen und weißen Tasten, und wenn er diese, seine Zähne, zeigte, konnte man außerdem lesen, dass er von der Firma Bechstein stammte.

Mit dem Kauf dieses Flügels fing die ganze Sache an.

Denn als die Männer in den verschwitzten Overalls mit den Ledergurten kamen, sechs an der Zahl, und den Flügel zu Justinus brachten, stellte sich heraus, dass das Instrument durch keine Tür passte, weder mit noch ohne Beine, weder hochkant noch schräg seitlich, noch zuerst mit den Tasten, noch umgekehrt und schon gar nicht von oben seitlich und überhaupt nicht. Die Tante Antonia hatte zu kleine Türen in ihr gelbes Haus bauen lassen.

Da war nun guter Rat teuer. Die Männer in den verschwitzten Overalls mit den Ledergurten zuckten die Achseln, wischten sich den Schweiß von der Stirn, tranken jeder zwei Flaschen Berliner Bier und wollten schon nach Empfang eines gehörigen Trinkgeldes für weitere Berliner Biere losziehen und den schönen Flügel einfach vor der Tür stehen lassen, da rief Justinus verzweifelt: "Aber Kollegen! Das könnt ihr doch nicht machen! Ich kann ja gar nicht mehr in mein Haus!"

Und als die Männer zum zweiten Mal die Achseln zuckten, hatte er einen Einfall und sagte: "Dann stellt ihn wenigstens mitten auf den Rasen, damit er richtig schön zur Geltung kommt."

Darauf ließen sich die Männer ein, sie hakten die Gurte wieder um den Leib des Flügels, sagten: "Und-zu-gleich", hoben ihn an und trugen ihn so sanft wie die Sanitäter einen Verletzten mitten auf den schönen grünen Rasen im Garten des Justinus. Dann sagten sie "Mahlzeit" und gingen.

Justinus war glücklich. Er holte sich einen Küchenstuhl heraus, setzte sich an seinen Bechstein und ließ sich die herrlichsten Melodien einfallen. Als es Abend wurde, legte er eine Decke über den Flügel, damit der vom Nachttau keine Erkältung kriegte und etwa heiser würde. Er ging zu Bett, und noch im Schlaf fiel ihm die Musik ein, die er in der Frühe komponieren wollte.

Das ging nun eine ganze Weile so, solange der Wetterbericht von Tiefs, Regenfronten und Sturmzonen erzählte. Aber dann wurde eine lange Schönwetterperiode angekündigt, und Justinus stutzte und sagte zu sich: "O weh, wir werden wohl Regen bekommen. Was wird mit meinem schönen Bechstein auf der Wiese? Ich werde ihm ein Schutzdach bauen müssen."

Da war er nicht faul und schlug ein paar Wäschestützen in den Boden, in deren Gabeln legte er Bohnenstangen, überflocht das Viereck mit Stroh und deckte es schließlich mit großen Borkenplatten ab. Er arbeitete von früh bis spät, so dass er rote Backen bekam und das Haar ihm ins Gesicht fiel. Schließlich flocht er sich einfach einen Zopf, da hatte er Ruhe.

Und als der Mond hinter Dunst und Wolken aufging, stand das Dach und sah traulich und rechtschaffen aus, so dass man sich richtig freuen konnte.

Justinus ging ins Haus, putzte sich die Zähne und sank in Schlaf, kaum dass er das Bett berührt hatte, denn er hatte sein Tagewerk vollbracht. Und als er am nächsten Morgen erwachte, siehe, da prasselte der Regen wie erwartet an die Fensterscheiben. Justinus schob die Gardine beiseite: Da stand sein Flügel im Trocknen und sah sehr zufrieden aus.

Eines Tages hatte Justinus vier Freunde zu Besuch: den Drechsler von der Ecke - den, der die hübschen Schaukelpferde macht -, den Kraftfahrer vom Konsum, den Kohlenmann und einen Maler mit großer Glatze. Die vier freuten sich an dem schönen Haus und dem Garten, aber sie verwunderten sich doch sehr über den Flügel auf dem Rasen, und Justinus erklärte ihnen alles. Der Drechsler stützte sein Kinn in die Hand, kniff die Augen schmal, besah sich den Flügel, besah sich das Haus und sagte dann bestimmt: "Mag sein, dass die Türen zu klein sind. Aber das Fenster da ist groß genug. Kommt, Jungs."

Und ehe der Hausherr überhaupt piep sagen konnte, hatten sie dem Flügel schon die Beine abgeschraubt und bugsierten ihn fein säuberlich durchs Fenster, zu viert statt zu sechst und ohne lederne Gurte. Dann sagten sie "uff' und zogen die Korken aus den Rotweinflaschen. Justinus wusste gar nicht, ob er sich freuen oder ärgerlich sein sollte, denn eigentlich hatte ihm der Flügel auf dem Rasen recht gut gefallen. Aber dann dachte er an den Winter und dass der Bechstein in meterhohem Schnee vielleicht Rheuma kriegen würde, und er beschloss, sich doch lieber zu freuen.

Auf dem Rasen zurück blieb das Häuschen mit dem Borkendach, und es sah vereinsamt aus. Deshalb dachte Justinus, da er ein paar seiner schönen Lieder verkauft hatte, Brot, Butter und Tee habe ich schon, was fange ich mit dem übrigen Geld an? Ich werde etwas kaufen, das für das Häuschen mit dem Borkendach gut ist.

Es war gerade Flohmarkt, wie jeden zweiten Donnerstag im Monat, und er ging hin und hielt Ausschau, was er wohl kaufen könnte. Einen Gartenzwerg mit Karre und Schaufel? Eine alte Standuhr? Einen Wetterhahn? Eine Dame aus Porzellan, die ein Füllhorn in der Hand hielt? Alles nahm er in Augenschein, aber nichts gefiel ihm so recht.

Schließlich sah er am Ende einer Reihe von Verkaufsnischen eine mürrische Frau zwischen hohen Körben stehen und sich mit einem Blatt Luft zufächeln, und als er näher kam, sah er, dass in zwei Körben weiße und bunte Hühnchen waren, im dritten Entenkücken und im vierten ein Pfau - das heißt nur ein Teil von ihm, denn der Korb war ihm zu klein, und er ließ seinen langen Schweif aus einem Loch heraushängen, das man eigens dafür in das Weidengeflecht geschnitten hatte.

"Ist der Pfau zu verkaufen?", sprach Justinus neugierig und trat näher.

"Dumme Frage!", antwortete die Frau und zog ihr Kopftuch fester, obwohl es recht warm war, "sonst stünde ich ja wohl nicht mit ihm hier."

Während sie so sprach, hob der Pfau seinen kleinen Kopf und sah den jungen Mann mit einem Blick voller hochmütiger Erwartung an, gleich wie ein Diplomat, den eine Regierung ausgesandt hat, die Welt zu unterwerfen.

"Was soll er denn kosten?", fragte Justinus und konnte sich gar nicht losreißen vom Anblick des Tiers, und die Frau nannte eine Summe, die auf den Pfennig genau der Summe entsprach, die Justinus in der Tasche trug.

"Wundersam, wundersam", murmelte der junge Mann, und in diesem Augenblick veränderte der Pfau seinen Gesichtsausdruck. Seine hochmütige Miene verschwand, er bekam etwas kumpelhaft Verschmitztes, kniff kurz ein Auge zu und sah dann wieder gleichmütig vor sich hin.

Einen Moment dachte Justinus, er habe sich etwas eingebildet. Sollte er mir wirklich ein Zeichen gemacht haben? Das gibt es doch nicht, überlegte er. Um ganz sicher zu gehen, dass er nicht geträumt habe, kniff auch er ein Auge zu. Und tatsächlich - der Pfau zwinkerte zurück.

"Also", sagte die mürrische Frau, "wollen Sie nun oder wollen Sie nicht, junger Mann? Wenn nein, dann stehn Sie hier nicht rum und halten die Kunden ab." Dies sagte sie, obwohl weit und breit außer ihnen beiden kein Mensch da war.

"Ich will schon", erwiderte Justinus ein bisschen verwirrt, "aber..." Aber es ist sehr viel Geld, hatte er sagen wollen. Doch der Pfau, den er unverwandt ansah, schüttelte energisch den Kopf, ja, es kam Justinus vor, als runzele er sogar die Augenbrauen, obwohl Vögel gar keine Augenbrauen haben.

Da beeilte er sich, "schön, schön" zu murmeln, und zählte der Frau das Geld in die Hand. Dabei war er so durcheinander, dass Scheine und Geldstücke zur Erde fielen. Er und die Verkäuferin bückten sich gleichzeitig, alles aufzuheben, und ihre Köpfe stießen gegeneinander. Dem Justinus war, als bekäme er einen elektrischen Schlag, und als er die Frau so dicht vor sich sah, bemerkte er plötzlich, dass sie gar nicht alt war, wie er die ganze Zeit angenommen hatte, sondern rosenrot und blütenweiß, und das Haar, das unter dem verrutschten Kopftuch hervorsah, war so kraus wie ein Vogelnest und so golden wie ein Ahorn im Oktober.

Das war nur ein Augenblickchen, so lange, wie man braucht, um vom Apfel abzubeißen, dann hatte die Verkäuferin ihr Kopftuch wieder bis fast über die Augen gezogen und sagte brummig: "Passen Sie doch auf, Sie Tollpatsch!" Ihm kam es vor, als wenn irgendwer lachte.

Dem jungen Mann war die Sache nicht geheuer. Er wagte nicht mehr, die Augen aufzuschlagen, sah weder Frau noch Pfau an, griff den Weidenkorb am Henkel und machte sich auf den Weg nach Haus.

Um zu seinem Garten zu gelangen, musste er eine breite Straße überqueren. Er ging auf die Verkehrsampel zu, fast wie im Traum, und die Geschehnisse auf dem Flohmarkt gingen ihm immerzu im Kopf herum. Damit der lange Schweif des Pfaus nicht durch den Staub schleifte, hatte sich Justinus  den Weidenkorb auf die Schulter gestellt, nachdem er ihn zuerst eine Weile am ausgestreckten Arm hochgehalten hatte, aber das war auf die Dauer zu mühsam gewesen. Außerdem sah er das Tier nun nicht, und das war ihm ganz recht, denn er hatte ordentlich eine Scheu vor der Mimik dieses Vogels.

Als er an der Kreuzung angekommen war, hielten ihn seine Gedanken so umsponnen, dass er gar nicht richtig hinsah, ob da rot, gelb oder grün leuchtete, sondern einfach drauflosstolperte, mit seinem Korb auf der Schulter, und er konnte noch von Glück sagen, dass gerade gelb war. Trotzdem hupten die Autos wie auf dem Jahrmarkt, und Justinus, wie erwachend, rettete sich vor den Anfahrenden mit ein paar großen Sprüngen und setzte sich erst mal auf eine Parkbank - da lachte es neben seinem Ohr.

Er hätte den Käfig fallen lassen vor Schreck. Aber dann fasste er sich so weit, dass er ihn mit einem Ruck neben sich stellte, die Arme in die Hüften stützte und den Pfau geradeheraus fragte, ob er etwa gelacht habe.

"Was dachten denn Sie?", entgegnete der große Vogel mit einer Selbstverständlichkeit, die Justinus daran hinderte, den Mund wieder zuzumachen. "Wer geht denn so über die Kreuzung! Sie scheinen ein größerer Tollpatsch zu sein, als ich dachte." Seine Stimme klang etwas heiser.

"Du kannst sprechen?", murmelte Justinus und strich sich das Haar hinter die Ohren.

"Sie hören es", entgegnete der Pfau majestätisch. "Aber davon einmal abgesehen, bin ich es nicht gewohnt, von wildfremden Leuten mit du angeredet zu werden. Ich duze Sie ja auch nicht."

"Aber wieso...", wollte Justinus irgendetwas fragen, jedoch der Vogel schnitt ihm das Wort ab.

"Näheres zu Hause", sagte er. "Ich brenne darauf, Ihren großen Garten und das Borkenhäuschen kennenzulernen, das für mich bestimmt ist."

"Woher weißt du - ich meine, woher wissen Sie denn das?", stammelte Justinus und nahm gehorsam den Korb wieder auf seine Schulter.

Und der Pfau: "Man informiert sich ja schließlich."

Der junge Mann wagte nicht, weiter nachzufragen, und marschierte nach Hause wie ein Schlafwandler.

In seinem Garten angekommen, öffnete er die Tür des Weidenkäfigs, und der Pfau ruckte mit dem Kopf, sah nach rechts und links und stolzierte dann zögernd hinaus, ganz, als sei er nichts weiter als ein gewöhnlicher Vogel. Dann schüttelte er sein Gefieder zurecht und breitete die Schwingen: Justinus, um ganz ehrlich zu sein, wäre wahrscheinlich nicht einmal böse gewesen, wenn der seltsame Kauf einfach auf und davon geflogen wäre, aber nach umständlichem Anlauf ließ sich das Tier nur auf dem Dach des Borkenhäuschens nieder, öffnete den Schnabel - schon fiel Justinus das Herz fast bis zu den Schuhsohlen - und tat nichts weiter, als ganz natürlich "whii - whii" zu schreien.

Aufatmend ging unser junger Mann ins Haus. Er beeilte sich, dem neuen Gartengenossen eine Schale Wasser und einen Napf mit Hirsekörnern hinzustellen, und der ließ sich tatsächlich herab, zu essen und zu trinken, wobei er nach jedem Schluck den kleinen gekrönten Kopf zum Himmel reckte.

Justinus aber beschloss, zunächst einmal jemand anderen um Rat zu fragen.

Er steckte seine letzten beiden Zwanzigpfennigstücke zu sich und lief los zur Telefonzelle. An der Gartenpforte zögerte er und rief halblaut und unsicher: "Ich komme gleich wieder!", ohne sich umzusehen. Wenn der Pfau genickt hätte, hätte es ihn doch gar zu sehr aufs Neue verstört.

Zuerst rief er seinen Freund, den Drechsler, an, den, der die schönen Schaukelpferde machte, und er erklärte ihm kurz und bündig, er habe einen Pfau gekauft, der sprechen könne.

Im Telefonhörer lachte es. "Ja, ja, diese Dichter! Was sagt er denn so den ganzen Tag? Rezitiert er griechische Lyrik im Original oder sagt er Balladen von Schiller auf?"

"Nein", entgegnete Justinus. "Er lacht mich aus und nennt mich einen Tollpatsch, und außerdem verlangt er, dass ich ihn mit Sie anrede."

"Ich finde, letzteres ist sein gutes Recht", sagte der Drechsler trocken. "Wenn er schon spricht und was Besonderes ist, muss man ihn auch mit Sie anreden."

"Und das andere?"

"Welches andere? Ach, dass er dich auslacht und so? Ja, da musst du ihn einfach vom Gegenteil überzeugen, finde ich. Das dürfte dir doch nicht schwerfallen!" Und ehe Justinus noch zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte der Drechsler unter schallendem Gelächter aufgelegt.

"Ich fürchte, er hat gedacht, ich mache Witze", vermutete Justinus und kratzte sich die Wangen, denn der wachsende Bart juckte ihn. "Ich muss es geschickter anfangen, um einen guten Rat zu bekommen."

Er warf den nächsten Zwanziger ein und wählte die Nummer des Malers mit der großen Glatze - den Kohlenmann und den Kraftfahrer vom Konsum konnte er um diese Zeit nicht anrufen, denn die arbeiteten ja nicht zu Haus. Als sich der Maler mit undeutlicher Stimme meldete (er war gerade bei der Arbeit und hielt den frisch eingetauchten Pinsel quer im Mund), fragte er ihn, ob er jemals gehört habe, dass ein Pfau sprechen könne.

"Du meinst bestimmt einen Papagei", nuschelte der Maler, "in Naturkunde warst du noch nie besonders gut."

"Nein", erwiderte Justinus, schon ziemlich hoffnungslos. "Ich meine einen Pfau, und er ist bei mir im Garten und lacht mich aus und beschimpft mich."

Es folgte eine kleine Pause, weil der Maler den Pinsel aus dem Mund nahm, dann sagte er mit normaler Stimme: "Sag mal, hast du schon so früh am Tag was getrunken? Das ist sehr ungesund und..."

"Tee, nur Tee!" rief Justinus verzweifelt. "Glaub mir bitte. Vorhin war ich auf dem Flohmarkt und habe einen Pfau für mein Borkenhäuschen gekauft, und er zwinkerte mir gleich so seltsam zu, dass ich eigentlich Verdacht hätte schöpfen müssen, aber die Frau, die das Kopftuch trug, sah ganz normal aus, ich konnte ja nicht ahnen, dass sie in Wirklichkeit so schön ist und diese Haare unterm Kopftuch hat, die ich gesehen habe, obwohl sie danach wieder..."

"Ach so", unterbrach ihn der Maler, "es geht um eine Frau! Sag es doch gleich, dass du dich verliebt hast. Das erklärt alles. Dann wünsche ich dir alles Gute, und demnächst komme ich mal vorbei, deinen Wunderpfau anschauen, vielleicht lässt er sich malen. Adieu, alter Junge!" Und schwupp, schon hatte er aufgelegt, und Justinus hatte für vierzig Pfennig telefoniert, ohne etwas anderes zu erfahren, als was er ohnehin schon wusste.

Er sah nun ein, dass er mit der Sache allein zurechtkommen musste. Nachdenklich schlenderte er heim, immer noch in der Hoffnung, der Teufelspfau könne sich in der Zwischenzeit davongemacht haben; aber nein, als er in seinen Garten kam, saß er wunderschön grün auf dem Dach des Borkenhäuschens und sonnte sich. Und auf einmal, wer weiß, wieso, waren die Besorgnisse, Befürchtungen, Unsicherheiten und Ängste des Justinus wie weggeblasen, er fasste sich ein Herz, warf die Haare hinter die Ohren zurück und den Kopf in den Nacken und ging auf das Wundertier zu, und dabei dachte er: Wenn ich nun schon einen Pfau habe, der sprechen kann, na gut, dann habe ich eben einen Pfau, der sprechen kann. Wollen doch mal sehen, wie wir das Beste daraus machen.

Vor dem Pfau stellte er sich auf, stemmte die Hände in die Hüften und sagte: "So. Ich hoffe, du - eh, Sie fühlen sich wohl hier und die Hirse und das Wasser entsprechen Ihrem Geschmack."

Der Pfau sah ihn an und erwiderte nichts.

"Was halten Sie davon, jetzt Ihren Schwanz zu entfalten? Schließlich möchte ich etwas von Ihrer Schönheit haben", fuhr Justinus fort.

Und der Pfau? Er sprach nichts, er tat nichts, er zeigte auf keine Weise an, dass er Justinus überhaupt verstanden habe. Da saß er und äugte mit schrägem Kopf zu dem jungen Mann hin.

Der nahm den dritten Anlauf und fragte: "Können Sie nur reden, um sich über andere lustig zu machen oder zu mokieren? Dann können Sie von mir aus auch ganz den Schnabel halten."