Violas schwerster Tag - Patricia Vandenberg - E-Book

Violas schwerster Tag E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Die drückende Schwüle des Julitages zermürbte selbst Dr. Norden, obgleich es in seiner Praxis noch bedeutend erträglicher war als auf den Straßen, in denen sich die Abgase sammelten. Es war kein Wunder, daß die Patienten, die an diesem Tage zu ihm kamen, völlig erschöpft waren. Auch die zierliche Viola Röhm, zwar nicht sehr kräftig, aber keineswegs kränklich, fächelte sich immer wieder Luft zu. Sie tat es mit der ihr angeborenen Grazie, sie war damenhaft vom Scheitel bis zur Sohle und wirkte in dem hellen Leinenkleid trotz der Hitze wie aus dem Ei gepellt. Das Bestechendste an ihr waren die Augen. Ihre Eltern mochten geahnt haben, daß diese eine violette Färbung annehmen würden, als sie ihr den Namen Viola gaben. Viola war so fotogen, daß sie als Sprecherin beim Fernsehen ebenso eingesetzt wurde wie im Rundfunk, und wer ihre weiche Stimme einmal gehört hatte, vergaß sie so rasch nicht mehr. Dr. Norden und seine Frau kannten Viola deshalb gut, weil sie in ihrer Nachbarschaft wohnte. Ärztlichen Beistand brauchte sie selten. Diesmal war sie zu Dr. Norden gekommen, um sich gründlich untersuchen zu lassen, da sie eine mehrwöchige Schiffsreise plante. Mit ihrem bezwingenden Charme erklärte sie Dr. Norden, daß sie wenig Lust hätte, eventuell mit einer Blinddarmentzündung oder sonstigen Schwierigkeiten die Reise zu unterbrechen. »Eigentlich soll es ja eine vorweggenommene Hochzeitsreise sein«, sagte sie heiter. »Aber das soll nicht publik werden, Herr Dr. Norden.« »Ich werde es nicht ausposaunen«

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Dr. Norden Aktuell – 30 –

Violas schwerster Tag

Patricia Vandenberg

Die drückende Schwüle des Julitages zermürbte selbst Dr. Norden, obgleich es in seiner Praxis noch bedeutend erträglicher war als auf den Straßen, in denen sich die Abgase sammelten. Es war kein Wunder, daß die Patienten, die an diesem Tage zu ihm kamen, völlig erschöpft waren.

Auch die zierliche Viola Röhm, zwar nicht sehr kräftig, aber keineswegs kränklich, fächelte sich immer wieder Luft zu. Sie tat es mit der ihr angeborenen Grazie, sie war damenhaft vom Scheitel bis zur Sohle und wirkte in dem hellen Leinenkleid trotz der Hitze wie aus dem Ei gepellt.

Das Bestechendste an ihr waren die Augen. Ihre Eltern mochten geahnt haben, daß diese eine violette Färbung annehmen würden, als sie ihr den Namen Viola gaben.

Viola war so fotogen, daß sie als Sprecherin beim Fernsehen ebenso eingesetzt wurde wie im Rundfunk, und wer ihre weiche Stimme einmal gehört hatte, vergaß sie so rasch nicht mehr.

Dr. Norden und seine Frau kannten Viola deshalb gut, weil sie in ihrer Nachbarschaft wohnte. Ärztlichen Beistand brauchte sie selten. Diesmal war sie zu Dr. Norden gekommen, um sich gründlich untersuchen zu lassen, da sie eine mehrwöchige Schiffsreise plante.

Mit ihrem bezwingenden Charme erklärte sie Dr. Norden, daß sie wenig Lust hätte, eventuell mit einer Blinddarmentzündung oder sonstigen Schwierigkeiten die Reise zu unterbrechen.

»Eigentlich soll es ja eine vorweggenommene Hochzeitsreise sein«, sagte sie heiter. »Aber das soll nicht publik werden, Herr Dr. Norden.«

»Ich werde es nicht ausposaunen«, erwiderte er lächelnd. Er fragte auch nicht, wer der Glückliche sei. Glücklich mußte ein Mann jedenfalls sein, wenn er Viola zur Frau bekam, das war seine Meinung, genauso glücklich, wie er es mit seiner Fee geworden war.

Vielleicht setzte Viola voraus, daß er ihren Zukünftigen kannte, denn sie plauderte munter weiter.

»Ich muß ja meinen Job noch ein paar Jährchen halten. Werner steht erst am Anfang seiner Karriere. Als Schauspieler und auch als Ansagerin ist man weitaus beliebter, wenn man keinen Trauring trägt. Alles hat halt seinen Preis.«

An diese Worte sollte sich Dr. Norden später einmal erinnern, doch jetzt konnte er Viola die beruhigende Kunde mit auf den Weg geben, daß sie kerngesund sei.

»Wohin geht denn die Reise?« fragte er noch.

»Zu den Bahamas. Ich schreibe Ihnen eine Ansichtskarte.«

»Gute Erholung und schöne Erlebnisse«, sagte er.

»Bahamas«, sagte Loni nachdenklich. »Das Mittelmeer ist schon nicht mehr in. Ich gönn’ es den Leuten ja von Herzen, aber wozu in die Ferne schweifen, wo das Gute liegt so nah? Wenn ich mir vorstelle, was das kostet und was man mit dem Geld alles anfangen könnte! Und manche machen das ja auf Kredit. Aber die Viola Röhm hat das bestimmt nicht nötig. Und ein goldiger Mensch ist sie auch.«

Ja, goldig war Viola und überall beliebt. Auf Rosen gebettet war sie allerdings bisher nie gewesen, und ein bißchen teuer fand sie diese Reise auch. Aber Werner war so begeistert gewesen, und er hatte auch gesagt, daß sie sich wegen der Kosten keine Sorgen machen müßte.

Viola hatte gespart, allerdings für ihren Hausstand. Zwanzigtausend Mark hatte sie recht mühsam auf die Seite gebracht, denn in ihrem Beruf mußte sie auch immer schick gekleidet sein. So großartig, wie manche meinten, war der Verdienst nicht.

Ganz leicht war es ihr auch nicht gefallen, als Werner Kilian vor zwei Tagen darum gebeten hatte, daß sie das Geld für die Reise doch vorschießen möchte, da er die Anzahlung für die Eigentumswohnung leisten mußte.

In ihrem Elternhaus hatte man immer rechnen müssen, und so fiel es Viola schwer, sich von ihrem Ersparten zu trennen, aber das wollte sie Werner nicht sagen. Schließlich erklärte er ihr ja auch, daß sein Konto nach ihrer Rückkehr wieder gefüllt sein würde.

»Es soll ja sozusagen unsere Hochzeitsreise sein, Liebling«, sagte er, »und später werde ich für alles sorgen. Wenn du deinen Job behältst, kannst du das Gehalt selbstverständlich als dein Taschengeld betrachten.«

Man sagte Werner Kilian eine große Karriere voraus. Auf der Bühne hatte er Erfolge eingeheimst, sein erster Film war ein Renner, wie man sagte.

Viola gefiel dieser Film zwar nicht, aber auch das behielt sie für sich. Schließlich kam es nur darauf an, daß Werner gute Kritiken bekam. Und jetzt hatte er so viele Eisen im Feuer, daß auch nach der Hochzeit nicht so bald an eine Reise gedacht werden konnte.

Das größte Problem war für Viola gewesen, wo sie ihren Hund Purzel lassen sollte, aber dann hatte sich ihre Freundin Helga bereit erklärt, den hübschen Mischling, den sich Viola vor Weihnachten aus dem Tierheim geholt hatte, weil er sie so erbarmte, in Pflege zu nehmen.

Helga war eine gute Haut, lange nicht so attraktiv wie Viola, wenn auch nicht unansehnlich. Werner Kilian nannte sie nicht gerade freundlich eine »Intelligenzbestie«, mit der er nichts anzufangen wußte. Die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit, aber dazu äußerte sich Helga nicht, denn sie wollte nicht in den Verdacht geraten, eifersüchtig zu sein, da es kaum eine Frau gab, die nicht für Werner Kilian schwärmte.

Helga arbeitete als Übersetzerin für einen Verlag, verdiente sich ihr täglich Brot, obwohl sie von Haus aus genügend Vermögen hatte, um sich manches gestatten zu können.

Eine Reise auf die Bahamas fand sie irrsinnig, aber auch darüber schwieg sie sich aus, denn sie hatte Viola viel zu gern, um sie zu kränken, und sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als auch nur ein warnendes Wort verlauten zu lassen.

Helga hatte sich also bereit erklärt, ihre Stadtwohnung während Violas Abwesenheit mit deren Mansardenwohnung im Vorort zu vertauschen, damit Purzel in seiner gewohnten Umgebung blieb.

Es war eine hübsche Wohnung, und Viola hatte auch gemeint, daß sie vorläufig auch für zwei reichen würde, doch Werner war sie nicht repräsentativ genug.

Helga konnte in die Luft gehen, wenn sie hörte, daß Viola sich in allem nach Werner richtete, aber sie verstand auch, sich zu bremsen, weil ja schließlich und endlich des Menschen Wille sein Himmelreich sei.

Aber Helga, drei Jahre älter als Viola, hatte ihre Erfahrungen mit Männern gemacht und auch andere gesammelt. War sie auch nicht kühl bis ins Herz, wie Werner Kilian von ihr behauptete, so wahrte sie doch nach dem ersten Reinfall und einer gelösten Verlobung Distanz, und als Viola dann ihre Koffer packte und Helga den aufgeregten Purzel beruhigen mußte, sagte sie doch behutsam warnend: »Ihr habt ja jetzt ein paar Wochen Zeit, euch richtig kennenzulernen, Viola. Wenn es nicht so hinhaut, wie du es dir vorgestellt hast, zieh lieber die Konsequenzen. Wenn du mich brauchst, bin ich immer zur Stelle.«

»Was sollte nicht hinhauen?« fragte Viola. »Wir verstehen uns doch wunderbar. Wir legen uns nicht gegenseitig an die Kette. Wir wollen Partner sein.«

Sie ist doch sehr naiv, dachte Helga. Sie liegt längst an der Kette, und wenn sie ihren Werner mal nicht mehr anhimmelt, wird sie ihn schon kennenlernen.

Oder täuschte sie sich? Verkannte sie ihn vielleicht doch? Es schien ja wirklich eine ganz romantische Liebe zu sein.

Aber sie mußte sich dann Purzels annehmen, der seinem Frauchen eine ganze Nacht und einen langen Tag nachweinte, bis er sich endlich doch damit abfand, daß er es auch bei Helga recht gut hatte. Da schwammen Viola und Werner Kilian schon auf einem Luxusdampfer auf hoher See. Es war allerdings kein vielversprechender Anfang, denn Werner war bald seekrank geworden.

*

»Ich vermisse Viola schon zwei Abende auf dem Bildschirm«, sagte Fee Norden zu ihrem Mann. »Ist sie krank?«

»Habe ich dir nicht gesagt, daß sie mit ihrem Zukünftigen eine Kreuzfahrt macht?« fragte Daniel.

»Nein, das hast du mir nicht gesagt«, erwiderte Fee. »Wohin geht denn die Reise?«

»Zu den Bahamas.«

»Das ist auch so ein Tick«, sagte Fee kopfschüttelnd, »und eigentlich paßt das doch gar nicht zu Viola, so viel Geld auszugeben.«

»Da wird schon der Partner den Ton angeben«, sagte Daniel.

»Wer ist es denn?«

»Das müßtest du doch eigentlich besser wissen, mein Schatz.«

»Etwa Kilian, dieser Schauspieler?« fragte Fee. »Ich habe sie mal zusammen gesehen. Dieser Herzensbrecher paßt doch auch nicht zu ihr.«

»Vielleicht denkt sie anders. Zerbrechen wir uns nicht den Kopf darüber. Ich mache mir Sorgen über Annika.«

»Annika Winkler? Was fehlt ihr denn?«

»Die Mutter, mein Liebes.«

»Es war eine Rabenmutter«, sagte Fee aggressiv. »Annika kann sie nicht vermissen. Herr Winkler ist ein guter Vater.«

»Aber er hat keine Zeit für das Kind, und die schwere Grippe hatte die Kleine sehr mitgenommen. Winkler will sie in ein Kinderheim bringen, aber sie sträubt sich mit Händen und Füßen dagegen. Sie möchte zu ihrer Großi, aber du weißt ja, wie die alte Frau Winkler beisammen ist.«

»Jetzt fängst du auch schon damit an, Frauen um die Sechzig als alt zu bezeichnen«, sagte Fee verweisend.

»Das war nur der Vergleich zur jungen Frau Winkler, die ja mit ihrem Liebhaber über alle Berge ist«, erklärte Daniel. »Gerald Winklers Mutter ist durch die Scheidungsgeschichte schrecklich mitgenommen.«

»Sie wollte doch auf die Insel der Hoffnung gehen. Da könnte sie Annika mitnehmen.«

»Das will Herr Winkler anscheinend nicht. Er fühlt sich noch schuldbewußt, weil er die Scheidung eingereicht hat.«

»Du liebe Güte, es gibt schon seltsame Männer. Ihm sind doch wahrhaftig Hörner aufgesetzt worden.«

»Aber er hat gehofft, daß seine Frau Annika zuliebe zur Vernunft kommt. Nun macht er sich Vorwürfe, weil seine Mutter unter all diesem Getratsch so leidet.«

»Sie leidet nur, weil ihr Sohn so betrogen worden ist. Er ist doch wahrhaft ein feiner Mensch.« Sie machte eine kleine Pause und dachte nach. »Könnten wir ihn nicht überzeugen, daß es gut für seine Mutter und auch für Annika ist, wenn sie gemeinsam auf die Insel gehen?«

»Ich möchte mich da nicht einmischen, Feelein«, sagte Daniel.

»Dann werde ich mal mit Frau Winkler sprechen.«

»Du bist ein Schatz.«

»Mein Schatz ist Mami«, meldete sich Danny zu Wort.

»Meine Mami«, rief der kleine Felix weinerlich. Er wollte nicht hintenan gestellt sein, aber das stand auch nicht zu befürchten. Fee und Daniel Norden liebten ihre Kinder über alles, und nun hofften sie darauf, daß sich zu den beiden Buben auch noch ein Schwesterchen gesellen würde. Daniel wünschte sich von ganzem Herzen eine kleine Fee, und er wußte ganz genau, daß es in seiner Ehe niemals solche Probleme geben würde wie bei den Winklers.

Deren Ehe war unter ganz anderen Umständen geschlossen worden. Gerald Winkler, ein bekannter Verleger, hatte die sehr reizvolle Kunststudentin Vera bei einer Vernissage kennengelernt, sich Hals über Kopf in sie verliebt und schon nach wenigen Wochen geheiratet.

Sie hatten ihre Tochter Annika bekommen, aber Vera war das Leben an Geralds Seite bald langweilig geworden. Sie war anspruchsvoll und ebenso exaltiert, und sie fand es äußerst schick, sich mehr in den Kreisen der Nichtstuer zu bewegen, als Ehefrau und Mutter zu sein. Sie hatte ihre Affären, aber einige Jahre verstand sie es doch recht geschickt, diese der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Doch eines Tages ließ sie dann alle Rücksichten fallen, als sie sich in einen bekannten Schlagersänger verliebte, der nicht gerade den besten Ruf genoß. Dies aber brachte für ihren Mann das Faß zum Überlaufen. Lächerlich ließ sich Gerald Winkler dann doch nicht machen. Es war schon ein Schock für Vera gewesen, als er kurzerhand die Scheidung einreichte. Als ihm dann auch Annika zugesprochen wurde, wußte Vera, daß sie zuviel riskiert hatte. Sie hatte alles aufs Spiel gesetzt, verloren und dann gemeint, mit Annika einen Trumpf in der Hand zu haben, doch diesmal hatte sich Gerald Winkler von seiner härtesten Seite gezeigt.

Annika vermißte ihre Mutter nicht, aber sie war acht Jahre alt und verstand, was man klatschte. Und es traf sie tief, daß man ihren geliebten Papi so hintergangen hatte. Sie hatte mitbekommen, daß man ihre Mutter als Flittchen bezeichnete. Flittchen war ein schlimmes Wort, das hatte Annika begriffen. Sie wollte nicht mehr zur Schule gehen und wollte auch nicht mehr hören, wenn sich die beiden Hausmädchen unterhielten.

Dr. Nordens Sorge um das Kind war durchaus begründet, denn Annika hatte auch keinen Appetit mehr, und zuzusetzen hatte sie sowieso nichts.

Fee Norden sprach schon am nächsten Tag mit Frau Winkler, und schon wenige Tage später trafen die »Großi« und ihre Enkelin auf der Insel der Hoffnung ein.

Daß es mit ihnen dort wieder aufwärts gehen würde, davon war Fee Norden überzeugt.

Gerald Winkler stürzte sich noch mehr in die Arbeit, und Helga Merten bekam auch viel zu tun. Jetzt war es ihr ganz angenehm, in dem ruhigen Vorort wohnen zu können. Purzel erwies sich auch als rücksichtsvoller Hund. Ihr taten die Spaziergänge gut, zu denen er sie zwang. In dem Großstadtgetriebe hätte sie sich dazu nicht aufraffen können.

Wenn Viola diesen Schnösel heiratet, werde ich diese Wohnung übernehmen, dachte sie. Gerald Winkler wohnte nur ein paar Straßen weiter. Er war sehr überrascht gewesen, als sie ihm sagte, wo sie die nächsten vier Wochen zu erreichen wäre, und nun brachte er ihr die Arbeiten aus dem Verlag mit.

Gerald Winkler schätzte Helgas Zuverlässigkeit, und er schätzte sie auch deshalb, weil sie sich niemals einzuschmeicheln versuchte, Distanz wahrte und niemals den Versuch machte, einen anderen auszubooten.

Helga schätzte Gerald Winkler als überaus anständigen Chef, und sie hatte Mitgefühl mit ihm wegen dieser häßlichen Scheidungsaffäre. Immer trifft es doch die Anständigen, dachte sie für sich.

Hoffentlich kommt Viola nicht auch mit einem Katzenjammer heim, dachte sie bekümmert. Oder lieber doch, bevor es zu spät ist, überlegte sie weiter. Warum war sie nur so skeptisch? Es schien bei den beiden doch wirklich alles in Ordnung zu sein. Hätte sie Viola jetzt sehen können, wäre sie davon sogar überzeugt gewesen.

Villa war unbefangenen Gemütes und hatte die ersten Tage der Schiffsreise sehr genossen, im Gegensatz zu Werner Kilian, der in der Kabine geblieben war und seine Ruhe haben wollte.

»Ich fühle mich elend, ich bin überarbeitet«, hatte er zu Viola gesagt und sie ziemlich barsch angeredet.

Nun gut, dachte sie, er soll seine Ruhe haben. Ich lasse mir den Urlaub nicht vermiesen.

Viola sah blendend aus und wurde umschwärmt. Und als Werner dann aus der Versenkung auftauchte, gefiel ihm das gar nicht. Es kränkte ihn in seiner Eitelkeit, und er demonstrierte auffällig, wer bei Viola das Sagen hatte.

Aber es gab noch eine ganze Anzahl hübscher Frauen an Bord, und wenn er der Mittelpunkt war, fühlte er sich ganz in seinem Element. Da Viola tolerant und in Urlaubsstimmung war, kam es nicht zu Differenzen. Sie dachte jetzt auch nicht mehr daran, daß ihr Sparkonto durch diese Reise gewaltig reduziert worden war. Sie würde von Werner ja alles zurückbekommen, und schließlich war es gleich, wer die Reise bezahlte und wer die Wohnung.

*

Purzel schien sein Frauchen nicht mehr zu vermissen, und Helga hatte sich so an den lieben kleinen Kerl gewöhnt, daß sie ihn auch nicht mehr missen wollte.

Als er sie jedoch bei einer ganz schwierigen und dazu noch dringenden Arbeit mit einem ungewohnten Jaulen störte, wurde sie ungehalten.

»Beherrsch dich, Purzel, deine Zeit ist noch nicht gekommen«, sagte sie, aber diesmal ließ er sich nicht beruhigen.

»Na, dann, ab durch die Mitte«, sagte sie seufzend. »Was fehlt dir denn nur.«

Das merkte sie dann, als sie aus dem Haus traten, denn auf den Stufen hockte eine zusammengekrümmte Frau.

»Ich kann nicht mehr«, stöhnte sie, »ich kann nicht mehr weiter. Bitte…« Aber sie konnte nicht mehr sprechen.

Helga überlegte blitzschnell. Sie sah, daß die Frau schwanger war, und ihr Gesicht war fahl und schweißbedeckt.

Wie hieß doch der Arzt, von dem Viola gesprochen hatte. Norden! Ja, es fiel ihr ein, obgleich sie aufgeregt war.

»Ich rufe einen Arzt«, sagte sie.

Purzel hatte sich auf die Treppe gesetzt, und dort saß er auch noch, als Helga zurückkam.

»Dr. Norden kommt sofort«, sagte sie beruhigend.

Sie wollte der jungen Frau emporhelfen, aber die schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich kann keinen Schritt mehr gehen«, stöhnte sie. »Viola – Viola –«, da wurde sie ohnmächtig.

Helga verlor nicht so leicht die Fassung, aber nun war sie doch maßlos erschrocken. Die Fremde wollte zu Viola. Es war kein Zufall, daß sie hierhergekommen war.

Purzel schien sie zu kennen, deswegen hatte er so gejault, aber Helga hatte diese junge Frau noch nie gesehen.

Dr. Norden kam. »Bitte rufen Sie den Notarztwagen. Es eilt«, sagte er zu Helga. Er sagte ihr die Nummer. Helga rannte die Treppe empor. Es war ein Glück, daß sie ein so gutes Zahlengedächtnis hatte, das auch in der Aufregung nicht versagte.

Der Notarztwagen kam. Auf der Straße hatten sich schon einige Neugierige angesammelt, doch von alldem nahm Helga keine Notiz. Sie hörte nur, wie Dr. Norden sagte: »Zur Frauenklinik Dr. Leitner, schnellstens.«

Purzel begann wieder zu jaulen. Sie kniete nieder und streichelte ihn, und als sie sich aufrichtete, stand ein großer breitschultriger Mann vor ihr.

Die Wagen waren davongefahren, die Neugierigen waren wieder gegangen, nur dieser Mann war da.

»Was ist denn hier los?« fragte er heiser. »Was machen Sie hier? Ist etwas mit Fräulein Röhm?«

Helga hatte ihre Fassung zurückgewonnen. Purzel begrüßte den großen Mann nun schwanzwedelnd.

»Wer sind denn Sie?« fragte Helga tonlos.

»Rodenberg. Mir gehört das Haus, wenn Sie nichts dagegen haben.«

Viola hatte ihr gesagt, daß der Hausbesitzer einige Monate beruflich abwesend sei. Mehr wußte sie über ihn nicht, aber Helga hatte sich auch nie dafür interessiert, wem das Haus gehörte.

»Ich heiße Helga Merten und bin eine Freundin von Viola. Sie hat Urlaub, und ich betreue Purzel«, sagte sie kühl. »Paßt Ihnen das nicht?«

In seinen hellen Augen blitzte es auf. »Verzeihung«, sagte er nun höflich. »Ich habe mich nur über den Menschenauflauf gewundert und dachte, daß Viola etwas passiert ist.«

»Es war eine fremde junge Frau, die hier zusammengebrochen ist«, erwiderte Helga zurückhaltend. »Ich habe den Arzt gerufen, und nun ist sie in die Klinik gebracht worden. Und ich werde wieder an die Arbeit gehen, die dringend fertig werden muß. Ich hoffe, daß Sie durch meine Anwesenheit nicht gestört werden.«

»Bitte, nicht so aggressiv«, sagte er. »Ich war erschrocken. Wenn man nach langer Abwesenheit so empfangen wird, ist das doch wohl nicht verwunderlich. Wollen wir nicht einen Beruhigungsschluck nehmen?«

»Nein, danke, ich muß arbeiten«, erwiderte Helga. »Komm, Purzel.«