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Mit dem Bergpfarrer Sebastian Trenker hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Wundervolle, Familienromane die die Herzen aller höherschlagen lassen. Der Wagen, dessen Fernlichter grell eingeschaltet waren, raste an dem Fahrzeug, in dem Mareile und Roland saßen, vorbei. Von Roland fiel die Erstarrung ab, der Stau aus Erschrecken und Entsetzen in seiner Brust löste sich, er stieß die Luft aus und atmete tief durch. »Großer Gott«, ächzte er schließlich, »ich dacht' schon, unser letztes Stündlein wär' angebrochen.« Von Mareile kam nur ein Laut, der sich anhörte wie ein ersticktes Schluchzen. Sie stand noch im Bann der Todesangst, die sie soeben durchlebt hatte. Ihr Hals war wie zugeschnürt. Roland stieg aus und schaute dem Auto hinterher, in dem – wovon der überzeugt war –, der Brandstifter saß, der einige Tage zuvor die im Hof der früheren Pension ›Gästehaus Feilhuber‹ die zur Abholung bereitgestellten Möbel angezündet hatte. Er sah nur noch die Rücklichter, um die Zulassungsnummer zu lesen, war der Wagen schon viel zu weit entfernt. Er beugte sich in sein Auto. »Hast du etwas erkennen können, den Fahrzeugtyp vielleicht?« Seine eigene Stimme kam ihm immer noch fremd vor. »Nein – nein«, stammelte Mareile. »Die – die Lichter haben mich dermaßen geblendet … Gütiger Gott, ich …« Sie verlor die Beherrschung und begann bitterlich zu weinen. »Ich – ich dachte, er will uns töten.« Roland setzte sich wieder auf den Fahrersitz und nahm Mareile in die Arme. »Beruhige dich, Schatz. Auch mich hat dieser Lump zutiefst erschreckt.
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Seitenzahl: 124
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Der Wagen, dessen Fernlichter grell eingeschaltet waren, raste an dem Fahrzeug, in dem Mareile und Roland saßen, vorbei.
Von Roland fiel die Erstarrung ab, der Stau aus Erschrecken und Entsetzen in seiner Brust löste sich, er stieß die Luft aus und atmete tief durch. »Großer Gott«, ächzte er schließlich, »ich dacht’ schon, unser letztes Stündlein wär’ angebrochen.«
Von Mareile kam nur ein Laut, der sich anhörte wie ein ersticktes Schluchzen. Sie stand noch im Bann der Todesangst, die sie soeben durchlebt hatte. Ihr Hals war wie zugeschnürt.
Roland stieg aus und schaute dem Auto hinterher, in dem – wovon der überzeugt war –, der Brandstifter saß, der einige Tage zuvor die im Hof der früheren Pension ›Gästehaus Feilhuber‹ die zur Abholung bereitgestellten Möbel angezündet hatte.
Er sah nur noch die Rücklichter, um die Zulassungsnummer zu lesen, war der Wagen schon viel zu weit entfernt.
Er beugte sich in sein Auto. »Hast du etwas erkennen können, den Fahrzeugtyp vielleicht?« Seine eigene Stimme kam ihm immer noch fremd vor.
»Nein – nein«, stammelte Mareile. »Die – die Lichter haben mich dermaßen geblendet … Gütiger Gott, ich …« Sie verlor die Beherrschung und begann bitterlich zu weinen. »Ich – ich dachte, er will uns töten.«
Roland setzte sich wieder auf den Fahrersitz und nahm Mareile in die Arme. »Beruhige dich, Schatz. Auch mich hat dieser Lump zutiefst erschreckt. Aber wenn uns der Wagen gerammt hätt’, dann wär’ auch der Fahrer net ungeschoren davongekommen. Unabhängig davon hätt’ sich der elende Bazi verraten. Denn selbst wenn er noch in der Lage gewesen wär’, zu Fuß zu fliehen, sein Auto hätt’ er bei einem Crash mit dieser Geschwindigkeit zurücklassen müssen.«
Mareile erbebte regelrecht, ihre Zähne schlugen aufeinander wie im Schüttelfrost. »Wir – wir müssen Anzeige erstatten«, entrang es sich ihr.
»Wegen was?«, fragte Roland. »Dass jemand, von dem wir annehmen, dass es der Brandstifter war, mit überhöhter Geschwindigkeit an uns vorbeigerast ist? Das, denk’ ich, führt zu nix.« Er dachte an Birgit Fladerer. Auch wenn er immer nur ›vom Brandstifter‹ sprach, dachte er an Birgit Fladerer, die als Buchhalterin im Bauunternehmen arbeitete und die er verdächtigte, sich an ihm rächen zu wollen.
Mareile lag in Rolands Armen und schmiegte sich schutzsuchend an ihn. Eine ganze Weile verstrich, in der die beiden stumm im Auto saßen, bis sie sich wieder etwas vom Schock erholt hatten. »Sein Ziel war sicherlich die Pension«, murmelte Mareile schließlich. »Was er wohl vorgehabt hat?«
»Was wohl?«, brummte Roland, der trotz der Ruhe, die er zur Schau trug, innerlich noch ziemlich aufgewühlt war. »Vielleicht wollte er wieder zündeln, vielleicht auch nur herausfinden, ob das Anwesen bewacht wird. Wer weiß das schon. Was Gutes hat er jedenfalls net im Sinn gehabt.«
»Warum lässt er uns nicht in Ruhe?« Wieder war Mareile nahe daran, die Fassung zu verlieren. »Wie kann ein Mensch nur so hassen?«
»Er ist zum zweiten Mal gestört worden und muss jetzt davon ausgehen, dass das Anwesen überwacht wird«, sagte Roland. »Vielleicht gibt er auf. Bleib’ im Auto sitzen, Schatz, ich geh’ mal ums Haus herum und schau, ob alles in Ordnung ist.«
Roland stieg aus und schaute in die Richtung, in die der Wagen gerast war. Die Nacht schien ihn aufgesogen zu haben. Roland beugte sich noch einmal ins Auto. »Er ist fort. Und er wird sich hüten, zurückzukommen.« Er sagte das, um Mareile zu beruhigen.
»Geh nur«, murmelte sie.
Er drückte die Autortür zu und schritt in die Dunkelheit hinein.
Mareile, die ihm nachschaute, sah seine schemenhafte Gestalt mit der Finsternis verschmelzen. Nach wie vor spürte sie das innerliche Zittern, das sie befallen hatte, nachdem die lähmende Anspannung von ihr abgefallen war. »Warum, Thomas?«, flüsterte sie und wurde sich bewusst, dass sie laut dachte. ›Warum tust du mir das an?‹, wiederholte sie in Gedanken die Frage. ›Hast du mich je geliebt? Oder hast du mich nur als deinen Besitz angesehen, als ein Spielzeug, über das du verfügen konntest, wenn es dir beliebte? Und nun hat man dir dieses Spielzeug weggenommen …‹
Roland kam zurück. »Alles in Ordnung«, sagte er, als er sich ans Lenkrad setzte. »Ich werd’ trotzdem morgen Früh’ gleich den Trenker-Max informieren.« Er startete den Motor und drehte um, dann fuhren sie den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sie hielten Ausschau nach einem verdächtigen Fahrzeug, aber sie konnten nichts entdecken, was sie alarmieren hätte können.
Am folgenden Morgen, Max Trenker hatte kaum den Dienst angetreten, erschien Roland Wiedermann in der Polizeistation. Max ahnte, dass das frühere Feilhuber-Anwesen wieder das Ziel einer Attacke des bisher unbekannten Brandstifters gewesen war. Er erwiderte Rolands Gruß und sagte sogleich: »Ich seh’s Ihrem Gesicht an, Herr Wiedermann, Sie haben wieder Unerfreuliches zu vermelden.«
»Unerfreuliches – ja. Die Freud’ an der ganzen Angelegenheit ist mir nämlich seit der Brandstiftung genommen, Herr Trenker«, erwiderte Roland.
»Ich glaub’s Ihnen«, murmelte der Polizist. »Was ist es dieses Mal?«
»Ich bin nur gekommen, um Ihnen eine Beobachtung zu melden. Gestern Abend, so gegen zehn Uhr, haben wir – die Mareile und ich –, uns spontan entschlossen, nachzuschauen, ob bei der Pension alles in Ordnung ist.«
Dass der junge Bauunternehmer nur eine Beobachtung melden wollte, war schon mal gut. Es war aber nicht auszuschließen, dass das, was Roland und Mareile gesehen hatten, irgendwelche Hinweise auf den Täter beinhaltete. »Spannen S’ mich net auf die Folter«, sagte Max Trenker und nickte auffordernd.
»Wir sind also zu dem Anwesen gefahren und haben auf der Straße davor im Auto gesessen«, setzte Roland seinen Bericht fort. »Plötzlich ist ein Fahrzeug auf uns zugekommen. Es hat einen Moment angehalten. Ich nehm’ an, der Fahrer hat uns wahrgenommen und ist deshalb stehen geblieben. Plötzlich aber hat er voll aufgeblendet und Gas gegeben. Im ersten Moment waren wir schockiert, weil wir annehmen mussten, er will uns rammen. Er ist aber an uns vorbeigebraust, ohne uns irgendeinen Schaden zuzufügen. Wir vermuten, dass es sich um den Brandstifter gehandelt hat und dass sein Ziel das Feilhuber-Anwesen war.«
»Ja, das lässt sich aus dem ganzen Verhalten, so wie Sie’s mir eben geschildert haben, ohne weiteres schließen«, erklärte Max. »Ich vermut’, die Frau Frischholz geht davon aus, dass es ihr früherer Lebensgefährte, der Herr Bertram, war.«
»Davon ist sie net abzubringen«, erwiderte Roland. »Sie hat sich in diesen Verdacht regelrecht verrannt.«
»Aber Sie sind anderer Meinung«, bemerkte Max.
Roland nagte kurz an der Unterlippe. »Na ja …« Er zog die Schultern an. »Der Bertram hat zweimal ein Alibi nachweisen können, und ich bin mir sicher, dass er auch gestern Abend in Frankfurt war.« Er druckste herum und wich Max Trenkers Blick aus.
»Okay, Herr Wiedermann«, stieß Max hervor. »Ich seh’s schon, Sie wollen mit dem Namen der Person, die Sie verdächtigen, net herausrücken. Dann nenn’ ich eben das Kind beim Namen. Sie haben Ihre Buchhalterin, die Frau Fladerer, in Verdacht.«
»Woher wissen Sie …?«
»Die Frau Frischholz hat’s mir verraten. Sie hat mir auch anvertraut, dass Sie versuchen wollen, die Angelegenheit in eigener Regie zu regeln, ohne dass es an die große Glocke gehängt wird.«
Roland stand das Unbehagen ins Gesicht geschrieben. »Ich hab’ der Birgit nie einen Grund für Racheaktionen gegeben«, murmelte er.
»Ich werd’ sie in meine Ermittlungen einbeziehen. Haben Sie das Kennzeichen des Wagens erkennen können, oder können S’ mir den Fahrzeugtyp nennen? Die Farbe des Autos vielleicht, möglicherweise haben S’ sogar das Gesicht des Fahrers erkannt.«
»Wir waren total geblendet.«
»Das heißt, Sie haben gar nix erkannt, was vielleicht sachdienlich sein könnte«, konstatierte Max.
»So ist es. Tut mir leid.«
»Sie müssen sich deswegen net entschuldigen«, sagte Max. »Ich werd’ gleich noch einmal die Kollegen in Frankfurt bemühen, außerdem werd’ ich Ihrem Verdacht, Birgit Fladerer betreffend, nachgehen, Herr Wiedermann. Hinsichtlich der Brandstiftung hab’ ich bis jetzt net den geringsten Hinweis erhalten. Wie’s ausschaut, hat niemand was beobachtet.«
»Hoffentlich kann man dem Täter bald das Handwerk legen«, knurrte Roland. »Die Mareile und ich leben in der ständigen Befürchtung, dass der Terror weitergeht. Wie’s ausschaut, hat der oder die – sei’s der Bertram oder die Birgit -, noch net aufgegeben.«
»Unternehmen S’ nix auf eigene Faust, Herr Wiedermann«, mahnte Max. »Das kann nämlich ganz brutal ins Auge gehen.«
»Ist schon recht, Herr Trenker.« Besonders überzeugend klang es nicht.
Roland verließ die Polizeistation und Max griff zum Telefon, um die Kripo in Frankfurt zu kontaktieren.
*
Marvin Feldmeier, ein neunundzwanzigjähriger Mann, der in St. Johann lebte, war um sieben Uhr zur Arbeit gefahren. Er war in der Verwaltung des staatlichen Forstamts beschäftigt.
Er war nicht gut drauf. Trübe Gedanken setzten ihm zu, schmerzliche Ahnungen erfüllten ihn, er war voller Zweifel. Seine Freundin, Antonia Pollinger, war in letzter Zeit recht merkwürdig geworden. Sie schien ständig in sich gekehrt zu sein, lachte kaum noch, und wenn, dann aufgesetzt und wie gequält. Es war ihm auch nicht gelungen, sie aus der Reserve zu locken. Er hatte schon gegenüber ihrer Mutter, die zusammen mit ihrem Mann die Pension ›Blauer Enzian‹ führte, anklingen lassen, dass sich Antonia sehr verändert hatte, aber Maria Pollinger hatte nicht den blassesten Schimmer, was mit ihrer Tochter los sein könnte. Dass ein anderer Mann im Spiel war, konnte sie sich nicht vorstellen, das hätte sie mitbekommen, hatte Maria versichert.
Marvin war nicht in der Lage, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Instinktiv spürte er, dass ihm Antonia zu entgleiten drohte. Einen Grund hierfür konnte er sich nicht erklären. Er trug sie auf Händen und las ihr die Wünsche regelrecht von den Augen ab.
In ihm wuchs die Überzeugung, dass ein anderer Mann im Spiel war, und der Drang, dies zu klären, wurde in ihm übermächtig. Er griff zum Telefonhörer, dachte kurz nach und zog die Hand wieder zurück. Er wollte Antonia in die Augen schauen, wenn er sie fragte, worauf ihr verändertes Wesen zurückzuführen war. Im direkten Gespräch war es nicht so einfach, ihn mit Ausreden und vielleicht sogar Unwahrheiten abzufertigen.
Er wollte endlich Gewissheit.
Sein Dienst würde allerdings erst um halb fünf Uhr nachmittags enden. Ihm war klar, dass er es bis dahin nicht mehr aushielt. Er musste wissen, wie er dran war.
Kurz entschlossen griff er zum Telefon, tippte die Nummer seines Vorgesetzten, und als der sich meldete, sagte er mit etwas rau klingender Stimme: »Karl-Heinz, ich hab’ ein Problem. Ich fühl’ mich hundeelend. Wahrscheinlich brüt’ ich was aus. Vielleicht sollt’ ich mich ein oder zwei Tage ins Bett legen.«
»Du klingst in der Tat gar net gut«, sagte sein Vorgesetzter. »In Ordnung, Marvin, geh’ heim und leg’ dich nieder. Lass’ dir einen Tee kochen und trink’ ihn so heiß wie möglich. Vielleicht kannst du das Übel im Keim ersticken. Und wenn du dich morgen net besser fühlst, dann blieb lieber einen Tag länger daheim. Am Ende steckst du uns auch noch an.«
»Danke, Karl-Heinz. Sagst du in der Personalverwaltung Bescheid?«
»Mach’ ich. Dann halt’ dich net auf und geh’ heim. Ich wünsch’ dir gute und schnelle Besserung.«
»Vergelt’s Gott.« Marvin atmete auf. »Ich schau schon, dass ich net allzu lang ausfall’. Servus, Karl-Heinz.«
Marvin fuhr nicht nach Hause, sondern zur Pension ›Blauer Enzian‹. Er traf Maria Pollinger an. »Ist die Antonia auch da?«, fragte er.
»Die macht oben die Zimmer sauber«, antwortete Maria. »Wieso bist du denn net in der Arbeit?«
»Ich hab’ mir freigeben lassen«, erwiderte Marvin ausweichend. »Ich geh’ mal zu ihr hinauf.«
»Ja, geh’ nur«, sagte Maria.
Marvin stieg die Treppe empor und folgte dem Geräusch, das ein Staubsauger verursachte. Er traf Antonia in einem der Gästezimmer an. Sie sah ihn, ihr Gesicht blieb ernst, geradezu verschlossen, und Marvin spürte erneut, dass zwischen ihnen etwas stand, von dem er nicht zu sagen vermochte, was es war.
Antonia war sechsundzwanzig Jahre alt und hatte blonde Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Ihre Augen waren von einem tiefen Blau, ihr Mund war schön geschnitten, die Nase klein und gerade. Vor ihm stand also eine sehr hübsche, begehrenswerte Frau nur schien sie alles andere als erfreut zu sein, ihn zu sehen. Sie stellte den Staubsauger ab und lehnte ihn weg. »Wo kommst du denn her?«, entfuhr es ihr verdutzt. »Müsstest du net in der Arbeit sein?«
»Ich hab’ freigenommen«, antwortete er und trat vor sie hin. »Grüaß di.« Er wollte sie zu sich heranziehen, um sie zu küssen, spürte aber ihren Widerstand und ließ es sein. »Bisher haben wir uns zur Begrüßung immer geküsst«, stieß er hervor.
»Ich hab’ sehr viel Arbeit«, murmelte sie. »Mir ist net nach küssen zumute. Drei Gäste sind heute abgereist, und ich muss die Zimmer bis vierzehn Uhr fertig kriegen. Weshalb kommst du denn überhaupt? Du weißt doch ganz genau, dass ich tagsüber keine Zeit hab’.«
Marvins Gesicht war ernst. »Ich muss mit dir reden. Die Zeit wirst du dir nehmen müssen. Was ist los mit dir? Du bist in letzter Zeit so zurückhaltend geworden. Deutlicher gesagt: Du zeigst mir die kalte Schulter. Warum? Bitte, schenk’ mir reinen Wein ein. Wenn ein anderer Kerl dahintersteckt, dann sag’ mir das. Ich möcht’ wissen, was los ist. So, wie es im Moment ist, ist das kein Zustand. Du wirst mir immer fremder.«
Antonia hatte den Blick niedergeschlagen. »Es gibt keinen anderen Mann, Marvin«, murmelte sie nach einer ganzen Weile, in dem sie sich dem Druck seines durchdringenden Blicks hilflos ausgesetzt gefühlt hatte.
»Was ist es dann?«
»Das – das kann ich dir auch net so genau beschreiben«, antwortete sie mit schwankender Stimme. »Ich weiß im Moment selber net, was richtig und was falsch ist und bin voller Zweifel. Irgendwie hab’ ich das Gefühl, nimmer frei atmen zu können. Ich mag dich sehr gern, nein, ich hab’ dich lieb, aber mir wird das alles zu viel. Du erdrückst mich regelrecht mit deiner Liebe und Fürsorge. Mir wächst das alles über den Kopf, denn ich hab’ das Gefühl, nimmer frei zu sein.«
Marvin schluckte. »Aber – irgendwie muss ich dir doch meine Liebe beweisen. Und am besten beweise ich sie dir, indem ich alles tu’ für dich. Jede andere Frau wär’ glücklich …«
»Ich will selbst über mein Leben bestimmen!«, erklärte Antonia, und jetzt klang ihre Stimme fest und klar. »Vor allen Dingen brauch’ ich keinen, der in jeder freien Minute um mich herumscharwenzelt und mich regelrecht erdrückt mit seiner Fürsorge.«
»Ich – ich hab’s doch immer nur gut gemeint«, ächzte Marvin.
»Zu gut«, murmelte Antonia.
Er zuckte zusammen. »Aber … Ich … Wir …« Ihm fehlten die Worte, er atmete schnell, weil sein Herz wie verrückt schlug.
»Ich brauche eine Auszeit«, erklärte Antonia.
»Wie – wie meinst du das?«, stöhnte Marvin. Er war wie vor den Kopf gestoßen. Mit Beklemmung erwartete er die Antwort auf seine Frage.
»Ich hab’ mir gedacht, dass es ganz gut wär’, wenn wir beide uns mal einen Monat lang net sähen«, sagte Antonia. »Ich muss wieder zu mir finden, mir darüber klar werden, was ich will.«