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Übersichtlich im Westen des Vaterlandes angeordnet, ohne Extreme in Höhe oder Niederungen und weitgehend entspannt – das Bild der Niederlande scheint klar und vertraut. Doch wussten Sie, dass nicht wenige Holländer vogelen zu ihrem Lieblingshobby zählen? Kennen Sie die wahre Geschichte von Frau Antje? Wissen Sie, was niederländische Fußballreporter vorteilhaft von ihren hiesigen Kollegen unterscheidet? Sind Sie gewappnet für die ganze erschütternde Wahrheit über Tulpen? Haben Sie eine Vorstellung davon, wie Holländer im – nun ja – Längenvergleich abschneiden? Und können Sie ertragen, was unsere Nachbarn wirklich über uns denken? In 55 erhellenden und erheiternden Kapiteln wird Thomas Fuchs Sie gründlich über alles aufklären, was man auf den ersten Blick oft übersieht. Ein humorvolles Porträt des großartigen kleinen Lands in aktualisierter und komplett überarbeiteter Neuausgabe
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Seitenzahl: 232
Thomas Fuchs hat sich in verschiedenen Büchern mit dem Thema Niederlande befasst. Im CONBOOK Verlag erschien Holland Speciaal – eine lekker Landeskunde über wakker Nederland, ein Werk, von dem es mittlerweile eine aktualisierte Auflage gibt. Die Bücher 111 Orte in Amsterdam, die man gesehen haben muss und 111 Orte in Nordholland, die man gesehen haben muss gelten mittlerweile bei Niederlande-Besuchern, die gerne hinter die Klischees und Kulissen Hollands blicken wollen, als Klassiker.
THOMAS FUCHS
Was Sie dachten
NIEMALS
über die
NIEDERLANDE
wissen zu wollen
55 erhellende Einblicke inein großartig(es) kleines Land
© Conbook Medien GmbH, Neuss, 2020, 2015
Alle Rechte vorbehalten.
www.conbook-verlag.de
Einbandgestaltung: Weiß-Freiburg GmbH, Grafik und Buchgestaltungunter Verwendung der Motive von DutchScenery/Shutterstock.com und Luca Santilli/Shutterstock.com
Satz: Röser MEDIA, Karlsruhe
Druck und Verarbeitung: GGP Media, Pößneck
eBook by Roeser-Medienhaus.deISBN: 9783958893481
Die in diesem Buch dargestellten Zusammenhänge, Erlebnisse und Thesen entstammen den Erfahrungen und/oder der Fantasie des Autors und/oder geben seine Sicht der Ereignisse wieder. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, Unternehmen oder Institutionen sowie deren Handlungen und Ansichten sind rein zufällig. Die genannten Fakten wurden mit größtmöglicher Sorgfalt recherchiert, eine Garantie für Richtigkeit und Vollständigkeit können aber weder der Verlag noch der Autor übernehmen. Lesermeinungen gerne an [email protected].
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1. Holländer haben Bauchschmerzen mit ihrer Nationalhymne
2. Der Schlager-Grand-Prix ist holländischer als gedacht
3. Holländer gehen jede Nacht mit Reinhard Mey ins Bett
4. Deutschland, der ewige (Fußball-)Rivale
5. Niederländische Fußballer müssen nicht ins Dschungelcamp
6. Niederländer sind die wahren Preußen
7. Am Puck sind Holländer Nieten
8. In Holland sind auch die großen Gangster zweirädrig unterwegs
9. Auch die Niederlande hat ihre Mafia
10. In Holland verstehen versteckte Kameras keinen Spaß
11. In Holland bedeutet Bach mehr
12. In der Küche werden Holländer zu Sadisten
13. Das schnellste Fastfood der Welt kommt aus Holland
14. In den Niederlanden stinkt der Fisch nicht am Kopf
15. Über die holländische Tulpe gibt es Erstaunliches zu berichten
16. Niemand in Holland weiß, wer Anne Frank verraten hat
17. Manche Holländer sind sich nicht grün
18. In Holland dreht die Welt durch
19. Holland brachte uns gute und schlechte Zeiten
20. Holländer wollen längst nicht überall leben
21. Holland ist »gezellig«!?
22. In Holland gibt’s kleine Meerjungfrauen
23. Holländer haben Humor (Kein Witz)
24. Holländer mögen keine Windmühlen
– Warum Sie immer wieder in die Niederlande reisen sollten
25. Holländer schlagen den König
26. Holland steckt in jedem Handy
27.Miffy is made in Holland
28. Niederländisch ist eine richtige Sprache
29. Niederländer sind beim Buchdruck beweglich
30. Der Meister der holländischen Wortakrobatik war ein Schweizer
31. Holländer mögen keine Loverboys
32. An Holländern kommt man auch im Internet nicht vorbei
33. Die Niederländer sind ein wenig länger
34. Der Holländer ehrt den Cent nicht
35. Ikea ist ein typisch holländisches Unternehmen
36. Frau Antje ist keine Holländerin
37. Holland ist die Heimat der roten Gefahr
38. Singapurs Marschallplan stammt von einem Holländer
39. Der Holländer schert sich um die Bohne
40. Der schnellste Autofahrer Hollands hatte keinen Führerschein
41. Die Holländer fahren im Urlaub am liebsten in den Wohnwagen
42. Hinter der gelben Gefahr steckt ein Prinzip
43. Niederländer finden vogelen geil
44. Holländer mögen keine Sommerzeit
45. Amsterdam hat den längsten
46. In Holland herrscht Vielfalt statt Flachheit
47. Deutschland ist kein holländisches Feindbild mehr
48. Holländer lassen sich gern einen Bären aufbinden
49.House is in Holland
50. Holländer brauen nicht unser Bier
51. Holländische Hengste halten Hof
52. Belgier haben in Holland nichts zu lachen
53. In den Niederlanden gibt’s Triathlon hollandaise
54. Holländer und ihre Majestätchen und Autoritätchen
55. Holländer über Holländer
HOLLÄNDER HABENBAUCHSCHMERZEN MITIHRER NATIONALHYMNE
Das Wilhelmus ist offiziell seit 1932 die niederländische Nationalhymne. Von 1817 bis 1932 hatten die Niederländer Wien Neêrlands bloed im Dienst. Zwar war Wilhelmus vor dieser Zeit so etwas wie die inoffizielle Hymne, aber nach der napoleonischen Besatzung war man der Meinung, es sei Zeit für ein neues »Volkslied«. Und für die kurze Zeit, in der Belgien und die Niederlande ein Königreich bildeten (1815–1830), kam Wilhelmus nicht infrage, da die mehrheitlich katholischen Belgier sich durch die calvinistische Kampfeshymne eher beleidigt als repräsentiert fühlten.
Dieses Problem gab es bei »Wem niederländisches Blut durch die Adern fließt« hingegen nicht. Wien Neêrlands bloed hatte acht Strophen, was für niederländische Nationalhymnenverhältnisse eher wortkarg ist. Ähnlich wie in Werken aus der Zeit der deutschen Befreiungskriege schimmert im Text eine gewisse Abneigung gegen alles welsche und fremdländische durch, aber das war nicht der Grund, weshalb Wien Neêrlands bloed als Nationalhymne nie so richtig angenommen wurde. Nun begibt man sich ja meist auf ein Minenfeld, wenn man die musikalische Qualität von Hymnen bewertet, aber Wilhelmus schlägt seinen Vorgänger/Nachfolger in dieser Beziehung um Längen.
Und so wurde das Wilhelmus nach seiner Auszeit am 10. Mai 1932 wieder in Amt und Würden gesetzt. Das Wilhelmus gilt als älteste Nationalhymne der Welt. Der Text stammt von einem Autor aus dem 16. Jahrhundert, einem Mitarbeiter Wilhelm von Oraniens, weshalb es durchaus möglich ist, dass der Herrscher das tatsächlich selbst gesungen hat. Gesichert ist das aber nicht.
Inhaltlich beschreibt die niederländische Nationalhymne einen Konflikt. Was soll der Fürst tun? Den Spaniern dienen, was sein Job als ihnen untergeordnetes Oberhaupt der niederländischen Provinzen wäre? Oder dem Ruf seiner Landsleute folgen, die ihn als Anführer im Kampf gegen die Spanier sehen wollen.
Keine einfache Entscheidung. Die Habsburger mit ihren Kernbesitzungen in Österreich und Spanien waren die Herren der Welt. Der Spruch von dem Reich, in dem die Sonne nie untergeht, war keine Übertreibung, und die rebellischen Provinzen der Niederlande waren nicht mehr als ein Nasenpopel, den die Herrscher der Welt mit einer lässigen Geste wegwischen konnten. Doch die Niederlande hielten stand, was letztlich nicht nur eine Frage des Mutes, sondern auch der Klugheit war. Sie verstanden es, gegen die Spanier kunstvolle Allianzen zu schmieden, welche schließlich sogar das Osmanische Reich mit einschlossen, und so siegten und überlebten sie. Während der Rest des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation in einem Strudel aus Religionskriegen versank, begann für die Niederlande ein goldenes Zeitalter.
Das Wilhelmus hat fünfzehn (!) Strophen, allerdings werden heute nur noch die erste und die sechste gesungen. Die ersten Buchstaben der fünfzehn Strophen bilden in der Originalversion den Namen Willem van Nassov (in alten Texten wurde oft ein V für ein U gesetzt).
Der Grund für ein gelegentliches Unwohlsein bei holländischen Interpreten dieser Tage liegt in der ersten Zeile, die übersetzt lautet: »Wilhelm von Nassau bin ich, von deutschem Blut, und dem Vaterland bleibe ich treu bis in den Tod«. Dass in der vierten Strophe ein Graf vorkommt, der ausgerechnet Adolf heißt, könnte die Sache noch schlimmer machen, aber diese Strophe wird sowieso so gut wie nie gesungen.
Nun wissen Menschen, die sich auskennen, dass deutsch ursprünglich nur jemanden beschrieb, der Teil des einfachen Volkes war – also nicht von Adel. Der König wollte seinen Landsleuten mit diesen Zeilen schon gleich zu Beginn signalisieren, dass er – wenn es drauf ankommt – trotz seiner blaublütigen Abkunft weiß, dass er zum Volk gehört.
Das Wilhelmus steht überraschenderweise nicht auf dem Lehrplan der niederländischen Grundschulen. Das könnte ein Grund dafür sein, dass bei festlichen Anlässen auch gern ein anderes Lied interpretiert wird.
Oranje boven ist so etwas wie die Alltagsvariante einer Nationalhymne, wenn man es ein bisschen festlich haben will, aber auch der Spaß nicht zu kurz kommen soll. Das Lied hat nur zwei Strophen, in denen im Wesentlichen berichtet wird, dass die Niederlande klein sind, das Herz des Niederländers rein ist und er immer zu seinem Königshaus stehen wird.
Aber ich denke, man kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die Mehrheit der Nachbarsleute vor allem den Refrain kennt, der von einem Kinderlied ausgeborgt wurde, welches die Frage aller Fragen von Kindern unterwegs beantwortet: Sind wir schon da? – »We zijn er bijna« (Wir sind gleich da).
Oranje Boven ist auch gut als Eselsbrücke geeignet, wenn man sich merken will, welche Farbe in der niederländischen Trikolore oben steht: Rot (ehemals Oranje), dann folgen Weiß und Blau. Oder, wenn man es ganz korrekt machen will: Zinnober, Weiß und Kobaltblau.
Dank einer langen Reihe von Regentinnen hatte es sich eingebürgert, im Refrain »Leve de koningin« zu singen, was aber seit Máxima und Willem Alexander nicht mehr ganz passt. Zwar hätte man theoretisch weiter »Lang lebe die Königin« singen können, aber das hätten einige möglicherweise als Affront gegen den König und als Kompliment für seine wesentlich flamboyantere Gattin verstanden. Während der Karnevalssession 2013 bot der Entertainer André van Duin – ein holländischer Mix aus Weird Al Yankovic und Gottlieb Wendehals – als modernisierte Zeile »Leve de koning en Máxima« an, aber auch das setzte sich nicht durch. Am meisten verbreitet ist derzeit die Variante »Leve het koningspaar«.
Zu dem Kanon der offiziellen Songs gehört auch das Koningslied, welches anlässlich des Amtsantritts von Willem Alexander am 30. April 2013 aufgeführt wurde. Bei den Leuten war das Werk schnell beliebt, aber von Sprach- und Musikexperten wurde es vielerorts mit Häme überschüttet. Mittlerweile haben die Wogen sich geglättet, aber im Vergleich zu den anderen nationalen Kompositionen fehlt dem Koningslied vor allem eines: Patina.
Aber
Auch wenn deutsche Ohren im Wilhelmus vielleicht nur »von deutschem Blut« hören und die Chance sehen, ein bisschen zu lästern, sollte man dieser Versuchung widerstehen. Nicht nur – aber auch – aus Respekt, sondern ebenso weil unsere eigene Nationalhymnengeschichte auch nicht frei von Makeln ist. Dabei muss man gar nicht auf die drei Strophen und ihre unterschiedliche Wertigkeit eingehen. Es reicht, daran zu erinnern, dass die Melodie unserer Hymne von dem Österreicher Franz Joseph Haydn stammt. Und Heil dir im Siegerkranz, was bis zum Ersten Weltkrieg als deutsche Hymne galt, war nichts anderes als die deutsche Version des englischen God Save the King.
DER SCHLAGER-GRAND-PRIX IST HOLLÄNDISCHERALS GEDACHT
Der Eurovision Song Contest ist in den Niederlanden eine sehr wichtige und ernsthafte Angelegenheit.
Nun ist es keinesfalls so, dass die meisten Holländer Ohren aus reinem Blech haben – wie den restlichen Bewohnern des Kontinents ist auch ihnen klar, dass es sich bei ziemlich vielen musikalischen Darbietungen um Kunstwerke handelt, die man besser schnell vergisst (was ja auch regelmäßig schnell passiert). Nein, die Wertigkeit des Eurovision Song Contests kommt für viele Holländer daher, dass sie in ihm einen Indikator für ihre Akzeptanz und Beliebtheit in Europa sehen.
Die Niederlande haben den ESC schon fünfmal gewonnen (immerhin mehr als doppelt so oft wie Deutschland), aber andererseits musste das Land in diesem Wettbewerb auch schon die eine oder andere Niederlage hinnehmen. Doch der Reihe nach.
Holland gehört nicht nur zu den Gründungsmitgliedern der europäischen Union, es war auch beim Schlager-Grand-Prix von Anfang an dabei. Außerdem gehörten damals schon (West-)Deutschland, Belgien, Italien, Luxemburg und die Schweiz dazu. Drei weitere Staaten wollten mitmachen, wurden aber disqualifiziert: Dänemark, Österreich und Großbritannien. Allerdings nicht weil die Lieder zu schlecht waren, sondern weil sie schlicht vergessen hatten, ihre Anmeldungsformulare rechtzeitig einzureichen. Eine solche Schlamperei würde man sich heutzutage bei manchen Kandidaten gern wünschen.
Die Niederlande haben darüber hinaus die Ehre, unter den Ersten der Allererste gewesen zu sein. Das allererste Lied, das nach der Eurovisionsfanfare erklang, kam aus einer holländischen Kehle. Interpretiert von Jetty Paerl trug es den schönen Titel De vogels van Holland. Es ist sicher von Vorteil, dass aus diesem Song kein Hit geworden ist, denn sonst würde man hierzulande wohl immer noch von »Vögeln in Holland« sprechen. Wer das bezweifelt, der sei daran erinnert, wie schnell im Internet aus Conchita Wursts Rise like a Phoenix Rise like a Penis wurde.
Hierzulande wurde immer wieder darüber gewitzelt, dass auch Rudi Carrell einst für sein Vaterland antrat und dabei den vorletzten Platz (Rang zwölf bei dreizehn Teilnehmern) belegte, aber es geht noch schlimmer. Beim Grand Prix gibt es nämlich einen Verein, in dem garantiert niemand Mitglied werden will, und das ist der Null-Punkte-Club. Holland hat hier schon zwei Mitglieder, dass Norwegen mit vier Teilnehmern noch schlechter dasteht, ist nicht wirklich ein Trost. (Aber dass Deutschland jüngst auch in diese Regionen vorstieß, vielleicht schon.)
In Holland macht den Job, der in Deutschland lange auf die Schultern zweier Koryphäen (RS & SR, Ralph Siegel und Stefan Raab) verteilt war, ein einziger Herr namens Gordon.
Gordon heißt eigentlich Cornelis Willem Heuckeroth. Er wurde Ende der sechziger Jahre im Norden von Amsterdam geboren. Der Norden der Stadt liegt auf der anderen Seite des Flusses und ist somit das, was man in Köln als Schäl Sick bezeichnet.
Bevor er in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts seinen Durchbruch als Sänger schaffte, soll er auf dem Albert-Cuyp-Markt Damenunterwäsche verkauft haben. Das ist möglicherweise nur eine Erfindung seines PR-Fritzen, denn wenn man Gordon singen hört, denkt man eher an Schmalz.
Seine Hits tragen Titel wie Ik hou van jou (Ich liebe dich), Weet dat ik van je hou (Ich weiß, dass ich dich liebe) oder Omdat ik zo van je hou (Weil ich dich so liebe). Ich habe nicht die sittliche Festigkeit, mich durch das Gesamtwerk des Herren zu hören, aber die Hits klingen ziemlich ähnlich. Entweder auf der Gitarre oder dem Klavier heruntergeklimperte Akkorde, über die man dann hemmungslos angeschmachtet wird. Und zumindest Omdat ik zo van je hou sollte er besser nicht singen, wenn jemand von Foreigner (I Wanna Know What Love Is) in der Nähe ist.
Aber Gordon tut noch viel mehr als Singen. Er macht Radioshows, außerdem trat er im Fernsehen mit einer Late Nicht Show auf, ein Name, der verständlich wird, wenn man weiß, dass Nicht das holländische Wort für Tunte ist. Aus seiner Homosexualität hat Gordon noch nie einen Hehl gemacht (sie ist allerdings auch sehr schwer zu übersehen). An der Amsterdamer Gay Parade nahm er in einem leuchtenden rosa Anzug teil.
Aber seine große Liebe gehört dem europäischen Songwettstreit. Und natürlich wäre es schön gewesen, gerade als schwuler Paradiesvogel am Wettbewerb 2009 in Moskau teilzunehmen. Aber hier ist Holland gehandicapt. Da es nicht wie Deutschland oder Frankreich zu den großen Geberstaaten der Eurovision gehört, müssen sich die Vertreter der Niederlande erst qualifizieren. Und das gelang Gordon, obwohl er sich mit zwei Kumpels zu dem Trio Toppers zusammenschloss, auch in Moskau nicht.
Und damit sein Engagement gegen Diskriminierung und für Toleranz nicht allzu heldenhaft wirkt, zeigte Gordon bei anderer Gelegenheit, dass er auch gut austeilen konnte. Auch in Holland gibt es Das Supertalent, wo Meneer Heuckeroth in der Jury sitzt und den Dieter Bohlen mimt. Und als ein Chinese vor die Jury trat, fragte Gordon: »Was willst du für uns singen? Nummer 39 mit Reis?« Der Tumult nach diesem Statement war beträchtlich. Der Beliebtheit des Sängers sind solche Aktionen allerdings nicht abträglich. Als er im Sommer 2015 auf der griechischen Insel Mykonos bei einem Verkehrsunfall verunglückte, schlug ihm eine Welle aus Mitgefühl entgegen, wie man es sonst nur bei Flut- und anderen Katastrophenopfern kennt.
Aber
Den Traum, für das Vaterland nach vierundvierzig Jahren endlich wieder den Eurovision Song Contest zu gewinnen, machte dann doch ein anderer wahr. Duncan de Moor nahm an der fünften holländischen Staffel von The Voice teil, einem Showformat, das auf der ganzen Welt funktioniert und zeigt, dass die Niederländer von Showbusiness immer noch sehr viel verstehen. Aber schon vorher hatte er an diversen Talentwettbewerben teilgenommen. Seine Mentorin bei The Voice war Ilse de Lange, eine in ihrer Heimat sehr bekannte Sängerin. Wie die Sage geht, soll er ihr den späteren Contest-Gewinner-Song einfach in die Dropbox gelegt haben und sie habe sofort das Hit-Potenzial erkannt. Aus niederländischer Sicht war bei dem Sieg 2019 vor allem überraschend, dass Duncan de Moor – der auf den Künstlernamen Duncan Laurence hört – fast überall als Geheimfavorit gehandelt wurde und dann am Ende tatsächlich gewann.
HOLLÄNDER GEHENJEDE NACHT MITREINHARD MEY INS BETT
Die Radiosendung Met het oog op morgen (Mit dem Blick auf morgen) gibt es gefühlt schon ewig, und wenn man nach einer Erklärung für ihren Erfolg sucht, muss man zuerst einfach mal anerkennen, dass die Sendung auf einem soliden und durchdachten Konzept beruht.
Sie wird jeden Tag zwischen elf Uhr abends und Mitternacht ausgestrahlt. Es gibt einen Überblick über die Nachrichten des Tages und – wie der Titel vermuten lässt – einen Ausblick auf den nächsten, eine Presseschau und Interviews mit – meist – interessanten Menschen, die etwas zu den aktuellen Ereignissen zu sagen haben. Dabei handelt es sich nicht immer um die bekannten Mediennasen, sondern oft auch um Leute, die hinter den Kulissen wirken, oder um ganz normale Betroffene, weshalb in Met het oog op morgen nicht nur hochsprachliches Niederländisch zu hören ist, sondern auch in diversen Dialekten geplaudert und geknödelt wird. Das macht die Radio-Sendung für Nichtmuttersprachler nicht eben zugänglich, aber das ändert nichts an der Qualität des Konzepts.
Wie es sich für ein Format, das etwas auf sich hält, gehört, hat Met het oog op morgen auch ein Kürzel, welches besonders gern von Branchenkennern und Insidern verwendet wird. Deshalb ist in Fachkreisen meist von Mhoom die Rede, wenn das abendliche Radioprogramm erwähnt wird.
Mhoom wurde zum ersten Mal am 5. Januar 1976 ausgestrahlt. Hinter dem Konzept steckte Radio-Legende Kees Buurman, der in seinen späteren Jahren so aussah, als sei er der verschollene Drilling von Käpt’n Iglo und Vader Abraham. Buurman begann seine Reporterkarriere bei einer Zeitung, aber so richtig in die Gänge kam er, als er in ein Mikrofon sprechen durfte. Buurman war einer der Ersten, die in den Niederlanden Radrennen auf dem Motorrad begleiteten, später berichtete er – ebenfalls als Trendsetter – vom Hubschrauber aus. Im 20. Jahrhundert gehörten die Mondlandungen wie die Boxkämpfe von Muhammad Ali zu den Ereignissen, für die man nachts den Fernseher einschaltete; Buurman war auch hier mit dem Mikrofon dabei. In die Annalen seiner Branche schrieb Kees Buurman sich ein, als er bei den Olympischen Spielen 1972 in München als Erster von der Geiselnahme israelischer Sportler berichtete.
Aufgrund dieser Erfahrung ist es keine Überraschung, dass Buurman mit Mhoom ein Format ausgetüftelt hatte, das ein Erfolg wurde. Zu einer erfolgreichen Radioshow gehören Ohrwürmer, akustische Duftmarken, die dem Hörer schnell signalisieren: Das ist die Sendung, die du kennst, hier bist du zu Hause. Zu den Kennmarken gehört, dass die Sprecher ihre Anmoderation mit dem immer gleichen Satz beginnen: »Draußen ist es X Grad und drinnen sitzt Y …« Ein anderes Kennzeichen der Sendung ist die Titelmelodie. Und die stammt seit der ersten Sendung von niemand anderem als dem deutschen Liedermacher Reinhard Mey.
Die Entscheidung verblüfft. Zum einen war Gute Nacht Freunde in Holland nie ein großer Hit. Der Song wurde zwar veröffentlicht, allerdings kam er nie in die Top Ten. Das dürfte Reinhard Mey nicht wirklich geärgert haben. Er schrieb ihn anfangs unter seinem Pseudonym Alfons Yondraschek, die erste Veröffentlichung kam von dem Duo Inga & Wolf, die mit diesem Lied die Bundesrepublik beim damals noch so genannten Schlager-Grand-Prix vertreten wollten.
Aber Kees Buurman kannte den Song. Er gefiel ihm, und für seine Sendung suchte er nach einer Melodie, die aufhorchen ließ. Und da kam ihm Gute Nacht Freunde gerade recht.
Nun wird niemand dem Werk Reinhard Meys irgendwelche teutonischen Untertöne unterstellen, aber es wurde nun mal auf Deutsch gesungen, und damit traf es, wenn es täglich im öffentlichen Rundfunk ausgestrahlt wird, auf Empfindlichkeiten.
Es gab harsche Reaktionen (à la »Sind wir immer noch unter deutscher Besatzung, oder warum wird jeden Tag Deutsch gesungen?«). Als diese Vorwürfe an Buurman abprallten, versuchten es Kritiker auf andere Weise. Schließlich ist im Text von einer Zigarette und einem Glas im Stehen die Rede – könnte man daraus nicht ablesen, dass der östliche Nachbar, wenn auch auf einschmeichelnde und subtile Weise, die braven Holländer zu hemmungslosem Nikotin- und Alkoholmissbrauch verführen will? Auch diese Vorwürfe liefen ins Leere, hielten sich aber hartnäckig.
Vor einigen Jahren führte im Sommerloch ein Leserbrief an eine Tageszeitung zu einer erneuten Diskussion. Mittlerweile dürfe man doch kaum noch irgendwo rauchen, wäre es da nicht an der Zeit, den Song zum Verstummen zu bringen? Diese Debatte wurde erst beendet, als eine Organisation, die sich der Krebsbekämpfung widmet, erklärte, dass von Meys Weise keinerlei Gesundheitsgefahr ausginge. Mittlerweile wurde das Lied mehr als 27.000-mal gespielt, so oft wie kein anderes im holländischen Radio.
Aber
An jedem 4. Mai, dem Tag, an dem die Niederlande der Toten des Zweiten Weltkriegs gedenken, gibt es eine kleine Änderung. Dann wird die französische Version gespielt: Bonsoir mes amis.
DEUTSCHLAND, DEREWIGE (FUSSBALL-)RIVALE
Die Geschichte der fußballerischen Rivalität zwischen Deutschland und den Niederlanden wurde hierzulande schon oft in allen möglichen Facetten beschrieben, selten jedoch aus holländischer Sicht, weswegen letztlich die Frage unbeantwortet blieb: Warum gingen die Niederländer so oft als Verlierer vom Platz, obwohl es ihnen doch nie an Talenten und Stars mangelte?
Und weshalb gingen die holländischen Teams – von einer Ausnahme abgesehen – beim Ringen um die Welt- und Europameisterschaft bis jetzt jedes Mal leer aus? Die Spieler waren fast immer Weltklasse; in ihren Vereinen feierten sie ebenso große Erfolge wie später als Stars in Italien, Spanien oder England. Nur mit der Elftal wollte es bislang nicht klappen.
1974 standen die Niederlande wohl so dicht wie noch nie vor dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft. Lange Zeit stand die Auswahl im Schatten der Clubs, die in der ersten Hälfte der siebziger Jahre die Pokalwettbewerbe dominierten. Feyenoord Rotterdam hatte 1970 den Pokal der Landesmeister gewonnen (für heutige Leser: Champions League), und dann legte der alte Rivale Ajax Amsterdam nach und holte den Pokal dreimal.
Und nun war es der Nationalmannschaft zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder gelungen, sich überhaupt für die Endrunde zu qualifizieren. Das Team galt mit seinem voetbal totaal trotz der langen Abstinenz als der große Titelfavorit. Konsequent angewandte Abseitsfallen und das wilde Umherwirbeln der Spieler auf allen Positionen galt damals als revolutionär und das Oranje-Team so gut wie unschlagbar.
Durch die Qualifikation waren die Holländer unter dem Trainer František Fadrhonc gekommen, einem Exil-Tschechen, der wegen seines Akzents gerne gehänselt und noch öfter imitiert wurde.
Als es nach Deutschland zur WM ging, musste Fadrhonc seinen Hut nehmen und wurde durch Rinus Michels ersetzt. Michels hatte seine ersten Erfahrungen als Fußballtrainer an einer Gehörlosenschule gesammelt, sein fachliches Ansehen verdankte er den Erfolgen, die Ajax Amsterdam im Europapokal errungen hatte. Neben der Nationalmannschaft betreute Michels auch den FC Barcelona, ja, er musste sogar während der WM kurzzeitig abreisen, weil Barça im spanischen Pokalfinale stand. Trotzdem hielt jeder im Team die Niederlande für so überlegen, dass sie auch mit diesem Handicap den Weltmeistertitel holen würden.
Doch der Trainerwechsel veränderte die Balance in dem Team, das sich während der Qualifikationsrunde so gut geschlagen hatte. Durch Michels gewann die Fraktion der Spieler von Ajax Amsterdam an Gewicht. Denn auch wenn die Holländer sich gerne locker und lässig zeigen, herrschte im Team eine strenge Hierarchie. Es gab zwei große Blöcke um die Spieler aus Rotterdam und Amsterdam. Wer wie Rensenbrink beim belgischen RSC Anderlecht spielte, hatte da nicht viel zu lachen.
Unumschränkter König in der Mannschaft war natürlich Johan Cruyff, der mit seinen 1,78 Metern für holländische Verhältnisse eher zierlich war, aber dennoch – oder gerade deshalb – seine Macht mit rabiaten Methoden durchsetzte. Der zweimalige Sitzenbleiber amüsierte als Jungspund die Bosse von Ajax Amsterdam, als er – noch keine zwanzig Jahre alt – erklärte, dass er fortan nur noch mit einem professionellen Berater an der Seite in Verhandlungen treten würde. Der Mann an Cruyffs Seite war der Geschäftsmann Cor Coster, der zufällig auch der Vater von Cruyffs junger Braut Danny war. Coster erfüllte für Cruyff eine ähnliche Funktion wie zur gleichen Zeit Robert Schwan für Franz Beckenbauer in München. Er handelte für Cruyff gut dotierte Verträge aus und sorgte später für den Transfer von »König Johan«, Trainer Michels und Kollegen Neeskens nach Barcelona. Mithilfe des Geschäftsmannes hatte der Kapitän der Nationalmannschaft auch eine erkleckliche Prämie für den Titelgewinn ausgehandelt. Diese Summe sollte kurz darauf als Beispiel für die Gehaltsverhandlungen der deutschen Kicker mit dem DFB gelten. Die Niederländer hatten 100.000 Gulden als Siegprämie vereinbart, die Deutschen um Franz Beckenbauer stiegen mit einer Forderung von 100.000 DM in die Verhandlungen ein und gaben sich am Ende mit 70.000 DM zufrieden.
Doch für die Niederländer war eine Sache noch viel wichtiger: das Image. Vor dem Start des Turniers galten sie als dasSinnbild für coole Socken. Gut, Netzer hatte eine eigene Diskothek und eine Goldschmiedin zur Freundin, aber bei den Niederländern konnte selbst der Sitzenbleiber Cruyff auf Englisch parlieren, während man bei manchen Deutschen über jedes Wort froh war, das sie nicht sprachen. Den Standard in Sachen Lifestyle hatte in den siebziger Jahren der nordirische Fußball-Playboy George Best gesetzt, der für seinen Ausspruch »Ich habe viel Geld für Bier, Bräute und schnelle Schlitten ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst« noch heute gefeiert wird. So pflegten die holländischen Fußballer ihren Individualismus, während die Deutschen am Anfang des Turniers noch im Spaßbremsenwerk Malente interniert waren und zur Abwechslung unter der Aufsicht von DFB-Funktionären das Legoland im benachbarten Dänemark besuchen durften.
Und was damals im deutschen Team vollkommen undenkbar gewesen wäre: Cruyff weigerte sich, wie der Rest der Nationalmannschaft in Adidas-Fußballschuhen zu spielen. Schließlich wurde nach langen Verhandlungen ein Kompromiss gefunden, und Cruyff musste das Logo seiner Marke (wenn ich mich recht erinnere, war es Puma) vor Spielbeginn abkleben.
Hinter den Kulissen wurde unter Cruyffs Ägide kräftig gekungelt und intrigiert, aber auch auf dem Platz wurden unbotmäßige Spieler auch mal in wichtigen Spielen vorgeführt, indem ihnen ein Pass so hart vor den Latz geknallt wurde, dass sie den Ball unmöglich annehmen konnten. Bei allem Esprit, den die Elftal in ihren Spielen an den Tag legte, Außenstehende sahen voetbal totaal manchmal komplexer, als dieses Spielsystem tatsächlich war. Anfangs lautete die Ansage für die Spieler einfach: »Kümmere dich um deinen Mann, und wenn du den Ball kriegst, spiele ihn zu Cruyff oder Keizer, die wissen, was zu tun ist.«
Als Mannschaftsquartier hatten sich die Niederländer das Hotel Waldkrämer in Hiltrup bei Münster ausgesucht. Damit die Medien keine Interna aus der Mannschaft erfuhren, ließ Michels als Erstes die Zimmertelefone von der Etage, auf der die holländischen Spieler untergebracht waren, entfernen. Die Vorsicht war berechtigt, sollte sich allerdings als unwirksam erweisen.
Das Hotel kurz hinter der Grenze hatte – 1974 der letzte Chic – einen eigenen Saunabereich mit Schwimmbad. Über dem Becken stand an der Stirnwand: Schwimmen auf eigene Gefahr. Diese Warnung sollte bald einen ominösen Unterton bekommen.
Nachdem die Niederlande in der Zwischenrunde die DDR besiegt hatten, ging es am Abend im Hotel hoch her. Zur Fußballnationalmannschaft war auch die Band Cats nebst Frauen gestoßen. Die Gruppe hatte mit Schnulzen wie One Way Wind einige Erfolge gefeiert, sich dann aufgelöst und nun extra für das Nationalteam noch einmal zusammengetan. Bei diesen Feierlichkeiten wurde eine Tradition begründet, die man auch bei späteren Turnieren gern aufleben ließ: die voreilige, glückstrunkene Siegesfeier. (Zum letzten Mal praktiziert beim 5:1 gegen Spanien bei der WM in Brasilien.) Obwohl noch gar nichts entschieden war, wurde gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Die DDR, auch in fußballerischer Hinsicht das kleinere Deutschland, war für die Niederländer in ihrer Geschichte selten mehr als ein Aufbaugegner. Mit dem Überraschungssieg über die Bundesrepublik hatten die Ostdeutschen ihr Soll erfüllt. Gegen die Holländer stellten sie zehn Mann und einen Möbelwagen in den Strafraum. Der Verteidiger Konrad Weise wurde als persönliche Eskorte für Johan Cruyff abkommandiert. Daraufhin ließ sich Cruyff zurückfallen, das öffnete Räume, und am Ende stand es 2:0. Solide, aber alles andere als berauschend. Nicht nur Amateurpsychologen könnten die übertriebene Feierlaune als eine Art Übersprunghandlung interpretieren, mit der die Angst vor den wirklich großen Auseinandersetzungen kompensiert werden sollte.
Abseits der Oranje-Etage war das Hotel für normales Publikum geöffnet. Ein Stuttgarter Reporter, der sich als Spätzle-Vertreter im Hotel eingetragen hatte, knüpfte inkognito Kontakte zu den holländischen Fußballern. Er gab sich als Fan, aber nicht als Reporter zu erkennen. Während er mit den Holländern Kontakt aufnahm, erschienen ihm mehrere Dinge merkwürdig.